Autor: Rad, Gerhard von Buch: Theologie des alten Testaments II Titel: Theologie des alten Testaments II Stichwort: Propheten als Einsame und Einzelne; neues Ichbewusstsein, Ichwerdung Kurzinhalt: 1 gemeinsamer Zug in der Prophetie des 8. Jhdts., Amos, Hosea, Micha, Jesaja: sie wurden Einsame im Hören auf Jahwe Textausschnitt: Aber bei all diesen großen Verschiedenheiten verbindet die Propheten des 8. Jahrhunderts doch immer noch viel Gemeinsames; denn auf dem Grund ihrer religiösen Vorstellungswelt ruht eine ihnen durchaus gemeinsame Überzeugung, so neuartig, so revolutionär gegenüber aller hergebrachten Gläubigkeit, daß von ihr aus die gewiß erheblichen Unterschiede doch fast als gering und peripher erscheinen. () Wir beginnen mit einer sehr einfachen Feststellung: Diese Männer waren Einzelne, um nicht zu sagen Einsame. Durch ihre Berufung lebte in ihnen ein einzigartiges Wissen von Jahwe und seinen Plänen mit Israel. Wir sahen, wie tief sie in den religiösen Überlieferungen ihres Volkes wurzeln, wahrscheinlich viel tiefer als irgendeiner ihrer Zeitgenossen; man könnte ja fast das Ganze ihrer Verkündigung als ein einziges aktualisierendes Gespräch mit der Überlieferung bezeichnen. Aber gerade damit, wie sie diese verstanden und erneuerten, gerade damit sind sie aus dem bisherigen glaubensmäßigen Besitzstand ihres Volkes herausgetreten.
()
Darauf ruht also ihre Vereinzelung: im Hören und im Gehorsam eines nicht auswechselbaren, eines nur an sie gerichteten Wortes und Auftrags Jahwes sind diese Männer zu Einzelnen, zu Persönlichkeiten geworden . Sie konnten auf eine Weise, wie es in Israel bisher noch nicht erhört war, Ich sagen. ____________________________Autor: Rad, Gerhard von Buch: Theologie des alten Testaments II Titel: Theologie des alten Testaments II Stichwort: Jahwe spricht über Israel das Urteil, Umdeutung der Überlieferung Kurzinhalt: 2 gemeinsamer Zug in der Prophetie des 8. Jhdts: Schärfe und Endgültigkeit des prophetischen Gerichtswortes, bisherige Geschichte als Fehlschlag Textausschnitt: das Neue und Entsetzliche an der Verkündigung der Propheten war die Botschaft, daß Jahwe Israel vor seinen Richterstuhl rufe, Ja, daß er ihm das Urteil schon gesprochen habe: 'Es ist das Ende gekommen über mein Volk Israel'
()
... daß die vernichtende Schärfe und Endgültigkeit des prophetischen Gerichtswortes unter gar keinen Umständen im Kultus einen Vorgänger gehabt haben kann; denn es bedeutete ja auch das Ende alles Kultus.
()
Hinsichtlich der alten Jahweüberlieferung stellen sie sich also mit ihnen auf einen Boden; aber es ist, als läsen sie aus diesen Überlieferungen etwas völlig anderes heraus; denn die Propheten sind der Meinung, daß diese Überlieferungen nicht das Heil Israels begründen, sondern sich vielmehr gegen Israel wenden.
()
Neu ist die Bilanz, die die Propheten aus der bisherigen Geschichte zogen, nämlich, daß sie ein einziger großer Fehlschlag war und daß sie, wo immer man sie aufschlug, vom Versagen Israels Zeugnis ablegte. Bei dieser revolutionären Sdiau haben die Propheten nicht einmal vor der Gestalt des Erzvaters Jakob Halt gemacht ____________________________Autor: Rad, Gerhard von Buch: Theologie des alten Testaments II Titel: Theologie des alten Testaments II Stichwort: Die Heilsgeschichte war zur Ruhe gekommen, neues Geschichtsbild Kurzinhalt: 3 gemeinsamer Zug in der Prophetie des 8. Jhdts: die weltliche Geschichte wird wieder mit Jahwe in Verbindung gebracht; Jesaja (Fliege, Biene), Jahwe als Herr d. Geschichte; Gerichtsworte, Heil im Schatten des Gerichts Textausschnitt: Aber Jahwe wird noch einmal an Israel handeln; er ist nicht willens, sich nach diesem Fehlschlag aus der Geschichte zurückzuziehen; im Gegenteil: Ungeheures steht Israel bevor. Und damit stehen wir vor dem, was ohne Frage die Mitte der prophetischen Botschaft ist. ... Eine der größten Leistungen der Prophetie bestand darin, daß sie dem Glauben diejenige Dimension zurückgab, in der sich Jahwe vornehmlich geoffenbart hatte, nämlich die der Geschichte und des politischen Raumes ... Mit seiner vergangenen Geschichte hatte sich Israel wohl immer beschäftigt, aber für die Gegenwart und die Zukunft hatte es Jahwe, seinen Gott, etwa seit David mehr und mehr abgeschrieben; es hatte die Politik und die Gestaltung seiner Zukunft selbst in die Hand genommen. Die Heilsgeschichte war zur Ruhe gekommen ...
()
So ist es gewiß einer der interessantesten Gegenstände der prophetischen Theologie, zu sehen, wie die Propheten diesen weltlich-politischen Raum, in dem sich große und kleine Staaten tummelten, mit dem Walten Jahwes in Verbindung gebracht haben.
()
Dürre, Hunger, Seuchen) waren - abgesehen von dem Unterschied von Heil und Unheil - in einem anderen Sinne Jahwetaten, nicht wunderhaft, nicht durch ein Ereignis völlig analogieloser Art die Geschehniszusammenhänge zerreißend -, Dürre und Hunger pflegen sich überall einmal zu ereignen. Diese Geschichtstaten Jahwes - so meint man folgern zu müssen - sind also dem Glauben schwerer erkennbar, weil sie tiefer an der Mehrdeutigkeit aller geschichtlichen Phänomene teilhaben. Dies gerade würden aber die Propheten bestritten haben.
()
Die bildhafte Einkleidung - Jahwe, der ein Weltreich wie ein Tier herbeipfeift, Jahwe als Barbier, der sich ein Messer, ein Weltreich leiht - spricht von der völligen Geschichtsmächtigkeit Gottes. Sie ist so souverän, daß neben ihr überhaupt keine andere Aktivität in der Geschichte Raum zu haben scheint.
()
Das dürfen wir also als das Charakteristikum prophetischer Geschichtsschau bezeichnen: nicht nur dieses Vermögen, aufs eindeutigste die Pläne und Absichten Jahwes in der Geschichte zu erkennen, sondern auch die in ihr waltenden Kräfte in ganz anderen Proportionen zu sehen. Die großen vordergründigen Phänomene auf der politischen Bühne verstellen den Propheten nicht den Blick auf Gott; im Gegenteil, sie schrumpfen angesichts der alles ausfüllenden Macht Jahwes fast zu einem Nichts zusammen. Das Ich Jahwes ist es, das den Raum der Geschichte bis zum Letzten ausfüllt.
()
Aber es ist bisher fast schon zu viel von der Geschichte in einem allgemeinen Sinn die Rede gewesen, so daß das Mißverständnis entstehen könnte, als hätten die Propheten unsere Vorstellung von 'der' Geschichte geteilt. Aber dem steht schon die Tatsache entgegen, daß sich die Geschichte, die die Propheten meinen, überall, wo von ihr die Rede ist, in irgendeinem Sinne für Israel begibt. Auch der vielgerühmte Geschichtsuniversalismus Jesajas weiß es nicht anders, als daß Jahwe die Geschichte auf Israel zu bewegt. Aber eine nähere Betrachtung der Heilsweissagungen der Propheten zeigt, daß dieses zukünftige Geschichtshandeln Jahwes an Israel noch eine besondere Eigenart hat. () - überall sieht man, wie traditionsgebunden auch die Zukunftsweissagungen der Propheten sind; und zwar sind sie es in dem Sinne, daß nach der prophetischen Verkündigung die zukünftigen, sagen wir ruhig: die eschatologischen Heilstaten antitypisch den ersten entsprechen werden.
()
Also auch in ihren Zukunftssprüchen fungieren die Propheten weithin als Interpreten alter Jahwetraditionen. Und doch bringen sie damit etwas fundamental Neues, nämlich dies, daß allein die zukünftigen Taten für das Heil Israels entscheidend sein werden. ____________________________Autor: Rad, Gerhard von Buch: Theologie des alten Testaments II Titel: Theologie des alten Testaments II Stichwort: Zusammenfassung: Propheten des 8. Jahrhunderts Kurzinhalt: kein Nomismus, 'Gesetzespredigt', Textausschnitt: Zusammenfassend wäre also zu sagen, daß die Propheten des 8. Jahrhunderts sowohl hinsichtlich ihrer 'Gesetzespredigt' wie hinsichtlich ihrer Heilsverkündigung das Leben Israels auf ganz neue Fundamente gestellt haben. Erst von ihrer Heilsverkündigung aus kommt ihre Gesetzespredigt ins rechte Licht. Wir haben es oben schon betont, daß die Propheten diesen richtenden Gotteswillen nicht einer besonderen Offenbarung entnommen haben, die der von Jahwes Heilstaten selbständig gegenüberstünde, sondern den alten Heilsüberlieferungen selbst; sie haben ihnen also eine andere Botschaft entnommen und sie anders interpretiert als ihre Zeitgenossen, aber auch als die ältere Zeit überhaupt. Sie sind ihnen zum Gesetz geworden. Aber Vorläufer des Nomismus waren sie nicht ...
()
Das also ist die Quintessenz der Gebote nach dem Verständnis der Propheten! Hier wird nicht 'Ethos' statt Kultus verlangt, als wolle der Prophet die Menschen von der einen Gesetzlichkeit in eine andere führen. Nein, gegenüber den zerstörenden Gewaltleistungen wird hier auf etwas ganz Einfaches gezeigt; ein Weg, der gangbar ist vor Gott, wird gewiesen. ____________________________Autor: Rad, Gerhard von Buch: Theologie des alten Testaments II Titel: Theologie des alten Testaments II Stichwort: Prophetie Habakuks, Zephanjas Kurzinhalt: Ungeachtet einiger ungeklärter Fragen zeigt die Prophetie Habakuks doch manche charakteristische Züge Textausschnitt: Ungeachtet einiger ungeklärter Fragen zeigt die Prophetie Habakuks doch manche charakteristische Züge. Denjenigen, der von Amos, Jesaja oder Micha herkommt, muß es verwundern, wie sich das Verhältnis des Propheten zu Jahwe gewandelt hat. Die Rollen scheinen vertauscht: die Initiative liegt beim Propheten, denn er ist der Drängende, der Unzufriedene, Jahwe ist der Gefragte. ____________________________Autor: Rad, Gerhard von Buch: Theologie des alten Testaments II Titel: Theologie des alten Testaments II Stichwort: Jeremia, Auflösung der klassischen Prophetie; Sprengung der alten Formen Kurzinhalt: trotz Abhängigkeit von Hosea völlig neues; Gattungsforschung, Schelt- und Drohreden selten, Klagen; lyrische Dichtung Textausschnitt: Die Ziontradition, die für Jesajas ganze Weissagung bestimmend war, fehlt bei Jeremia ganz; dagegen klingt bei ihm bis in die Heilsweissagungen hinein immer wieder die Auszugs-, Bundes- und Landnahmeüberlieferung an.
()
Der junge Jeremia ist in einer Weise - bis in die Diktion hinein - von Hosea abhängig, die weit über das hinausgeht, was sonst allenfalls in der Thematik unter den Propheten traditionell war, so daß wir mit einer engen Berührung Jeremias mit dem Jüngerkreis Hoseas, wohl auch mit einer unmittelbaren Vertrautheit mit dessen literarischer Hinterlassenschaft zu rechnen haben. Hosea aber stand, wie wir sahen, ausschließlich in der israelitischen Überlieferung.
()
Hätten wir nur mit diesen beiden Grundvoraussetzungen der jeremianischen Prophetie zu rechnen, so wäre ... doch im großen und ganzen auch bei Jeremia eine Verkündigung zu erwarten, die grundsätzlich der des Jesaja, Micha oder Amos ähnlich ist. Aber die Dinge liegen bei Jeremia ganz anders. ... Gattungsforschung; und in der Tat, überprüft man seine Verkündigung allein in formaler Hinsicht, so zeigt sich gegenüber den älteren Propheten ein so tiefgreifend veränderter Befund, daß allein von da aus der Rückschluß auf eine Besonderheit in der prophetischen Substanz gerechtfertigt erscheint. Die Gattung der Schelt- und Drohreden, ehedem im Vordergrund stehend, tritt zurück; überhaupt fällt auf, daß Jeremia viel seltener - etwa in der Form des Botenspruches - kurz und sachlich einen göttlichen Bescheid ausrichtet. Ja noch mehr: Die ehedem so deutlich durchgeführte Scheidung von Prophetenrede und eigentlichem Gottesspruch beginnt sich zu verwischen. Jeremia macht einen viel freieren Gebrauch von der in der ersten Person einhergehenden Gottesrede; er läßt Jahwe sich in langen Klagen ergehen, anderwärts erhebt er selbst seine Stimme zu breit ausladenden Klagen. Wo war derlei bei Jesaja oder Amos anzutreffen?
()
Mit einem Wort: Alles das, was wir als Ausdrucksformen bei der klassischen Prophetie feststellen konnten, ist bei Jeremia unverkennbar in einer Auflösung begriffen ____________________________Autor: Rad, Gerhard von Buch: Theologie des alten Testaments II Titel: Theologie des alten Testaments II Stichwort: das Entscheidene der neuen Heilszusage: neuer Bund, Herz; Wegfall d. Gehorsamsleistung Kurzinhalt: die Übereignung des Gotteswillens an den Menschen wird sich nun anders als am Sinai vollziehen: Jahwe wird seinen Willen gleich in Israels Herz legen Textausschnitt: Damit scheint sich das Zukunftsbild von der neuen Existenz Israels vor Jahwe zu runden, und der Leser könnte den Eindruck haben, daß die Heilszeit, von der Jeremia spricht, in allem Wesentlichen in einer Restituierung der bisherigen Verhältnisse Israels bestehe. Aber das Gegenteil ist der Fall: Der Bruch zwischen dem Alten und dem Neuen ist bei Jeremia tiefer und grundsätzlicher als bei irgendeinem seiner prophetischen Vorgänger: Wir haben nämlich unter diesen Verheißungen den einen Satz noch nicht berücksichtigt, daß Jahwe seinem Volk ein Herz geben werde, ihn zu erkennen (Jer. 24:5). Erst dieser Satz führt uns an das Besondere der jeremianischen Heilserwartung heran;
()
Das Entscheidende, das schlechterdings über alles bisher von Propheten Geweissagte Hinausführende, liegt in der Weissagung eines neuen Bundes, den Jahwe mit Israel schließen wolle. Es handelt sich offenbar um etwas ganz anderes, als wenn Jahwe gesagt hätte, daß Tage kommen werden, da er wieder seines Bundes gedenken werde, den er mit Israel geschlossen habe. Nein, der alte Bund ist gebrochen, und Israel ist in den Augen Jeremias zur Zeit überhaupt ohne Bund. Entscheidend aber ist, daß keinerlei Versuch gemacht wird - wie doch etwa im Deuteronomium -, Israel in irgendeinem Sinne wieder auf die alten Fundamente zu stellen. Der neue Bund ist eben ein neuer und wird in einem wesentlichen Punkt über den alten hinausgehen.
Der Inhalt des Sinaibundes war die Offenbarung der Tora, das heißt der Erwählung und der Beschlagnahme Israels durch Jahwe und seinen Rechtswillen. Diese Tora wird auch im Zentrum des neuen Bundes stehen, den Jahwe 'in jenen Tagen' mit Israel schließen will. Also hinsichtlich des Inhalts der Selbstoffenbarung Jahwes wird sich bei dem neuen Bundesschluß nichts ändern. Jeremia spricht weder davon, daß die Jahweoffenbarung vom Sinai ganz oder teilweise hinfallen werde (und wie könnte auch eine Jahweoffenbarung hinfallen oder zurückgenommen werden!), noch deutet er in irgendeinem Sinn eine inhaltliche Veränderung oder Erweiterung an, die sie im neuen Bund erfahren werde. Dem alten Bund folgt der neue nicht etwa deshalb, weil die geoffenbarten Lebensordnungen sich als unvollkommen erwiesen haben, sondern weil er gebrochen wurde, weil Israel daran versagte. Und hier setzt das Neue ein: Die Übereignung des Gotteswillens an den Menschen wird sich anders vollziehen. ... Verstehen wir Jeremia recht, so wird dies das Neue sein, daß nunmehr der ganze Vorgang des göttlichen Anredens und menschlichen Hörens beim neuen Bund in Wegfall kommen wird. Auf diesem Weg, dem des Hörens des göttlichen Willens, ist Israel nicht zum Gehorsam gekommen. Jahwe wird den Vorgang des Anredens und Hörens gleichsam überspringen und seinen Willen gleich in Israels Herz legen.
()
Die Unterscheidung: hier äußerliche Gehorsamsübung, hier innerlicher Herzensgehorsam sollte man möglichst ganz aus dem Spiele lassen, denn sie trifft den Gegensatz, den Jeremia im Auge hat, kaum. ... im neuen Bund kommt das, was in das problematische Kapitel der bisherigen menschlichen Gehorsamsleistung gehört, ganz in Wegfall. Wenn der Gotteswille den Menschen nicht mehr von außen trifft und richtet, wenn Gott ihm seinen Willen direkt ins Herz legt, dann ist ihm die Gehorsamsleistung eigentlich überhaupt abgenommen; denn das Gehorsamsproblem entsteht doch erst bei der Begegnung des menschlichen Willens mit einem fremden Willen. Zu dieser Konfrontation kann es aber nicht mehr kommen, denn der Mensch wird in seinem Herzen den Willen Gottes tragen und wird nur noch Gottes Willen wollen. ____________________________
|