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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Das Volk Gottes

Titel: Das Volk Gottes

Stichwort: Institution, Anpassung; Polis, Apolitismus; Christentum, Reformation; Bergpredigt; vox populi, vox Dei

Kurzinhalt: Bilden darüber hinaus solche Personen Gemeinschaften und werden in organisierter Form politisch aktiv, dann ist die Situation reif für eine Revolution.

Textausschnitt: 6 Eine Institution muß dauernd am Prozeß ihrer Restabilisierung arbeiten durch die Lösung der Probleme, die - blieben sie ungelöst - ihren Wert und ihre Bedeutung zerstörten. Versäumt die herrschende Gruppe einer Institution eine solche Anpassung, so wird sich eine zunehmende Personenzahl 'ausgeschlossen' fühlen. Wird die Zahl dieser Personen in einer bestehenden Gesellschaft groß genug und verleihen sie ihren Gefühlen und Ideen in einer Verhaltensphilosophie Ausdruck, die zwar diejenigen anspricht, die mit ihrem 'Körper' an einer Gemeinschaft teilhaben, nicht aber mit ihrer 'Seele' (um die platonische Formulierung zu gebrauchen), dann erreicht das Phänomen des Apolitismus eine gesellschaftlich relevante Schicht. Bilden darüber hinaus solche Personen Gemeinschaften und werden in organisierter Form politisch aktiv, dann ist die Situation reif für eine Revolution. (19f; Fs) (notabene)

7 Spannungen dieser Art treten, wie gesagt, in jeder Zivilisation auf, doch variieren ihre Formen entsprechend ihrer jeweiligen geistigen Struktur stark. Im Falle der hellenischen Zivilisation sahen wir, daß die Art der Spannung durch den Konflikt zwischen dem kollektiven Mythos der Polis und dem Mythos der Seele der mystischen Philosophen bestimmt war. Das Anschwellen des Apolitismus in Hellas - vollzog er sich erfolgreich - konnte nur in der Auflösung der Polis enden; der polytheistische Kollektivismus der Polis-Welt konnte nur mit einem Kollaps auf den im wesentlichen monotheistischen und universellen Mystizismus der Seele reagieren. (20; Fs)

8 In einer christlichen Zivilisation sind die Determinanten der Situation grundsätzlich anders. Die öffentlichen Institutionen des imperialen Christentums (Kirche und Reich) haben, von Beginn an, die Probleme der geistigen Seele und ihres Schicksal in ihr System absorbiert. Prinzipiell scheint es unmöglich, daß Situationen wie die öffentliche Unzufriedenheit mit der Reichsreligion Echnatons, oder der Apolitismus der hellenischen Schulen, oder der chinesische 'Assoziationismus' in Konflikt mit der konfuzianischen öffentlichen Ordnung in einer christlichen Zivilisation entstehen könnten. Tatsächlich entstehen Situationen dieser besonderen Art nicht; vielmehr nehmen die Spannungen spezifisch unterschiedliche Formen an. Zur Bezeichnung dieses spezifischen Unterschieds halten wir den Terminus Reformation für geeignet. (20; Fs)

9 Die Bewegung des Geistes ist in der Kirche institutionalisiert worden; deshalb können die geistigen Bewegungen vom unteren Ende der Gesellschaft nicht in grundsätzlicher Opposition zu den Institutionen stehen. Die oppositionelle Bewegung ist in engster Weise mit dem Geist der Institutionen verbunden und muß sich selbst in einem Ruf nach Reformen artikulieren. Der Spiritualismus des Christentums - insbesondere der Spiritualismus der Bergpredigt - ist ein Maßstab, an dem die Institution, von der man erwartet, daß sie ihm entspricht, gemessen werden kann. Wird die spirituelle Ordnung des Christentums durch das Verhalten der herrschenden Gruppen massiv verletzt, so kann an solche Maßstäbe appelliert werden, die prinzipiell für die herrschenden Gruppen akzeptabel sind. Die Antwort auf eine spirituelle Bewegung von unten ist nicht notwendigerweise ein Zusammenbruch, sondern kann auch die Reformation der Institutionen bedeuten. Die Kategorie der Reformation wird so zu einer Idee, die die mittelalterliche und die moderne westliche Zivilisation von der hellenischen unterscheidet. Tatsächlich sind die fünf Jahrhunderte zwischen 1000 und 1500 nach Christus sowohl durch die Verdauung radikaler spiritueller Bewegungen als auch durch eine Reihe kleinerer Reformationen charakterisiert wie auch durch die gesellschaftliche, gelegentlich blutige Unterdrückung des unverdaulichen Bodensatzes solcher Bewegungen. (20f; Fs)

10 Wir sprachen gerade vom unverdaulichen Bodensatz der Bewegungen und ihrer Unterdrückung. Bildet sich eine Volksbewegung von Massenrelevanz in Opposition zu einer Institution, dann ist diese Bildung der definitive Beweis, daß die Institution es irgendwie versäumt hat, die ihr anvertrauten Probleme zu meistern; soweit ist die vox populi, vox Dei eine goldene Weisheit. Allerdings ist die Bildung einer solchen Bewegung niemals ein Beweis dafür, daß mit der Richtung, in die sie sich bewegt, irgendein innerer Wert verbunden ist. Die Bewegung mag ein Vorstoß in Richtung auf die soziale Verwirklichung geistiger Werte sein; aber dieser Vorstoß mag auch nicht mehr sein als ein Kern, umgeben von einem weiten Mantel zerstörerischen Hasses auf die Institution, die hinsichtlich einer spezifischen Aufgabe versagt hat. Aus dieser Möglichkeit ergeben sich besondere Gefahren im Hinblick auf die Spannungen zwischen den Institutionen und den Bewegungen, von denen einige generell in allen Zivilisationen angelegt sind, andere spezifisch in der westlichen Zivilisation. (21; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Das Volk Gottes

Titel: Das Volk Gottes

Stichwort: Institution; Gegenbewegung, Reform, Ressentiment

Kurzinhalt: Anti-zivilisatorischen Beimischungen bei Reformen; doppelte Gefährlichkeit; besondere Verwundbarkeit der westlichen Zivilisation; Nietzsche

Textausschnitt: 10 Wir sprachen gerade vom unverdaulichen Bodensatz der Bewegungen und ihrer Unterdrückung. Bildet sich eine Volksbewegung von Massenrelevanz in Opposition zu einer Institution, dann ist diese Bildung der definitive Beweis, daß die Institution es irgendwie versäumt hat, die ihr anvertrauten Probleme zu meistern; soweit ist die vox populi, vox Dei eine goldene Weisheit. Allerdings ist die Bildung einer solchen Bewegung niemals ein Beweis dafür, daß mit der Richtung, in die sie sich bewegt, irgendein innerer Wert verbunden ist. Die Bewegung mag ein Vorstoß in Richtung auf die soziale Verwirklichung geistiger Werte sein; aber dieser Vorstoß mag auch nicht mehr sein als ein Kern, umgeben von einem weiten Mantel zerstörerischen Hasses auf die Institution, die hinsichtlich einer spezifischen Aufgabe versagt hat. Aus dieser Möglichkeit ergeben sich besondere Gefahren im Hinblick auf die Spannungen zwischen den Institutionen und den Bewegungen, von denen einige generell in allen Zivilisationen angelegt sind, andere spezifisch in der westlichen Zivilisation. (21; Fs)

11 Die legitimen Beschwerden einer spirituellen Bewegung, ihr Ruf nach Reformen im christlichen Sinne, können begleitet sein von einer feindseligen Haltung gegenüber zivilisatorischen Werten. Diese Beimischung von zivilisatorischer Feindseligkeit ist ein praktisch unvermeidliches Merkmal von Bewegungen an der unteren sozialen Schicht; das Ressentiment gegen intellektuelle und ästhetische Werte, die von der oberen Gesellschaftsklasse verwirklicht werden, wird einen gut Teil an Motivationskraft für den Ruf nach Reformen liefern. Der Schrei nach geistiger Reform ist typischerweise gekoppelt mit Forderungen nach einer 'Bücherverbrennung', nach Unterdrückung literarischer und künstlerischer Kultur und nach Abschaffung der herrschenden Eigentumsordnung. (21f; Fs)

12 Diese anti-zivilisatorischen Beimischungen sind für die Institutionen doppelt gefährlich. Sie sind eine Gefahr aufgrund ihres direkten Angriffs auf die zivilisatorischen Werte; und sie sind eine noch größere Gefahr, weil diese Beimischung dem institutionellen Widerstand gegen Bewegungen Legitimität verleiht: Die anti-zivilisatorischen Elemente in den Bewegungen werden für die herrschende Klasse zur Entschuldigung, die legitimen Beschwerden nicht zu befriedigen; und der momentane Sieg der Institution kann, als eine Konsequenz, die Ursache für noch schlimmere Ausbrüche in der Zukunft werden. (22; Fs)

13 Dieser kumulative Effekt des Widerstandes gegen legitime Rufe nach Reformen hat besonders ernste Konsequenzen in einer Zivilisation des westlich-christlichen Typus. Denn gehen die Reformen nicht voran, so richten sich die Ressentiments - die sich immer schnell gegen die von den Institutionen verkörperten zivilisatorischen Werte richten - gegen die geistigen Werte selbst. Der Prozeß, der mit Bewegungen für eine geistige Reform begann, könnte mit Bewegungen gegen den Geist enden. Dies war in der Tat der Verlauf der Bewegungen der westlichen Zivilisation: Er beginnt mit Bewegungen des albigensischen Typus und endet mit Bewegungen des kommunistischen und nationalsozialistischen Typus. Diese Entwicklung ist in der Geschichte ohne Parallele. Die westlich-christliche Zivilisation besitzt eine besondere Verwundbarkeit und weist besondere Probleme des Niedergangs auf: Während in der griechisch-römischen Zivilisation die Spannung des Niedergangs durch Bewegungen verursacht wurde, die einen Fortschritt des Geistes darstellten, wurde in der westlich-christlichen Zivilisation die Spannung des Niedergangs durch Bewegungen verursacht, die geistig rückläufig sind.1 (22; Fs)

14 Es ist von größter Wichtigkeit, zwischen diesen verschiedenartigen Komponenten innerhalb der Bewegungen zu unterscheiden, denn eine ungenügende Unterscheidung könnte bei ihrer Interpretation zu einer ernsthaften Verwirrung führen. So sah beispielsweise Nietzsche nur die Komponente des Ressentiments in den Anfängen des Christentums als auch in den späteren christlichen Reformbewegungen - eine Komponente, die sicherlich präsent war. Hingegen war er blind für die geistigen Werte des Christentums, und sein Angriff auf die zivilisatorische Korruption verleitete ihn, als eine Folge, zu dem tragisch-absurden Versuch einer geistigen Revolte gegen den Geist. Der Fall Nietzsche ist besonders erhellend aufgrund der engen Beziehung zwischen einer theoretisch falschen Analyse und den praktischen Konsequenzen: Eine Bewegung wie der Nationalsozialismus konnte mit einer gewissen Legitimität ihre Abstammung von Nietzsche behaupten, trotz der Tatsache, daß Nietzsches Intention präzise gegen die Züge in der westlichen Zivilisation gerichtet war, die in dieser Bewegung manifest waren. Die geistige Revolte blieb wirkungslos; die Revolte gegen den Geist gewann gesellschaftliche Relevanz. (23; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Das Volk Gottes

Titel: Das Volk Gottes

Stichwort: Periodisierung, Kriterium

Kurzinhalt: Periodisierung, Kriterium: Absorptionsfähigkeit der Institutionen; bis 1300, 1300-1500, ab 1700

Textausschnitt: () Das erste - und wichtigste - Kriterium für eine Periodisierung wäre die Absorptionsfähigkeit der Institutionen gegenüber den Bewegungen.
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Gemessen an diesem Kriterium können wir sagen, daß der Grad der Absorptionsfähigkeit bis 1300 sehr hoch ist und danach entscheidend abnimmt.
()
Nach 1300 ändert sich dieses Bild. () Man kann das Jahr 1300 als den Markstein der Epoche ansehen, in der der Niedergang der Kirche beginnt - Niedergang verstanden als nachlassende Absorptionsfähigkeit der Bewegung des Geistes.
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Der Ruf nach Reform wandelt sich nun zu einer Attacke gegen den Geist.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Evangelium und Kultur

Titel: Evangelium und Kultur

Stichwort: Justin; Evangelium, Philosophie, logos; Seligpreisung (Armen im Geiste); Situation der Gläubigen heute

Kurzinhalt: Glaube als Philosophie in ihrem vollkommenen Zustand; logos, logos spermatikos; Arme im Geiste

Textausschnitt: 14a Ich habe die einleitenden Fragen auf das Problem von »Evangelium und Philosophie« zugespitzt und will nun zunächst zwei Beispiele vorstellen, ein frühes und eines aus jüngerer Zeit, in denen dieses Problem thematisch geworden ist. (Fs)

1 Indem das Evangelium der frühen ekklesia tou theou das Leben der Vernunft in der Gestalt der hellenistischen Philosophie in sich aufnahm, ist es zum christlichen Glauben der Kirche geworden. Hätte die Gemeinde des Evangeliums sich nicht auf die Kultur der Zeit eingelassen, indem sie sich auf deren Leben der Vernunft einließ, so wäre sie eine obskure Sekte geblieben und wahrscheinlich aus der Geschichte verschwunden; wir kennen das Schicksal des Judenchristentums. Das Leben der Vernunft seinerseits hatte einen Zustand erreicht, der von ungeduldigen jungen Menschen als Sackgasse empfunden wurde, und in dieser schien das Evangelium die Antwort auf die Suche des Philosophen nach Wahrheit anzubieten. (14; Fs) (notabene)


2 Die Einleitung zu Justins Dialoges belegt diese Situation. In der Vorstellung von Justin dem Märtyrer (gest. ca. 165) stellen Evangelium und Philosophie den Denker nicht vor die Wahl zwischen Alternativen, noch sind sie komplementäre Aspekte der Wahrheit, die der Denker zum Ganzen der Wahrheit verbinden müßte. Vielmehr ist in seiner Vorstellung der Logos des Evangeliums dasselbe WORT desselben Gottes wie der logos spermatikos der Philosophie, nur in einem späteren Stadium seiner geschichtlichen Manifestation. (14f; Fs) (notabene)

3 Der Logos war in der Welt von ihrer Erschaffung an wirksam; alle Menschen, die in Übereinstimmung mit der Vernunft gelebt haben, ob Griechen (Heraklit, Sokrates, Platon) oder Barbaren (Abraham, Elias), waren in gewissem Sinne Christen (Apol. I 46). Deshalb ist christlicher Glaube nicht eine Alternative zur Philosophie, sondern er ist selbst Philosophie in ihrem vollkommenen Zustand. Die Geschichte des Logos kommt zu ihrer Erfüllung durch die Inkarnation des WORTES in Christus. Für Justin ist der Unterschied zwischen Evangelium und Philosophie eine Angelegenheit aufeinanderfolgender Stadien in der Geschichte der Vernunft. (Fs)

15a Mit dieser frühen Darstellung des Problems vor Augen wollen wir nun eine Äußerung aus jüngerer Zeit zu diesem Thema untersuchen. Ich entnehme sie aus Der Neue Katechismus von 1966, herausgegeben im Auftrag der niederländischen Bischöfe und meist als Holländischer Katechismus bezeichnet. Das Einleitungskapitel trägt den Titel »Der fragende Mensch«, und gleich auf der ersten Seite finden wir folgenden Passus:
»Dieses Buch [...] stellt an den Anfang die Frage, was der Sinn der Tatsache ist, daß wir existieren. Das soll nicht etwa heißen, daß wir von Anfang an einen nichtchristlichen Standpunkt einnehmen. Es bedeutet schlicht und einfach, daß auch wir als Christen Menschen mit fragendem Geist sind. Wir müssen immer bereit und fähig sein zu erklären, auf welche Weise unser Glaube die Antwort auf die Frage unserer Existenz ist.«1

5 "Obwohl diesem Passus der letzte Schliff fehlt, trifft er philosophisch den entscheidenden Punkt sehr genau. Seine etwas unbeholfene Bemühtheit wirft ein helles Licht auf die Schwierigkeiten, in denen sich die Kirchen heute befinden. Bemerkenswert ist vor allem, welche Schwierigkeit die Kirche mit ihren eigenen Gläubigen hat, die Christen sein wollen um den Preis ihrer menschlichen Natur. Justin machte sich auf den Weg mit suchendem Herzen und ließ seine Suche, nachdem er die philosophischen Schulen seiner Zeit geprüft hatte, in der Wahrheit des Evangeliums zur Ruhe kommen. (16; Fs)

6 Heute ist die Situation gerade umgekehrt: Die Gläubigen sind zur Ruhe gekommen in einem Zustand des Glaubens, in dem keine Fragen mehr gestellt werden. Ihr geistiger Stoffwechsel muß erst durch die Mahnung in Gang gebracht werden, daß der Mensch eigentlich ein Fragender ist, daß der Gläubige, der nicht in der Lage ist zu erklären, inwiefern sein Glaube eine Antwort auf das Rätsel der Existenz darstellt, vielleicht ein 'guter Christ' ist, aber ganz sicher ein ziemlich fragwürdiger Mensch. Und wir können diese Mahnung ergänzen, indem wir vorsichtig daran erinnern, daß weder Jesus noch seine Jünger, an die er seine Worte richtete, schon wußten, daß sie Christen sind. Das Evangelium verkündete seine Verheißung nicht etwa den Christen, sondern den Armen im Geist, das heißt denen, deren Geist auf der Suche ist, wenn auch auf einem kulturell weniger anspruchsvollen Niveau als dem Justins. Hinter dem zitierten Passus verbirgt sich der Konflikt nicht zwischen Evangelium und Philosophie, sondern zwischen dem Evangelium und seiner Inbesitznahme als Dogma, das keine Fragen mehr zuläßt. Die Verfasser des Katechismus nehmen diesen Konflikt nicht auf die leichte Schulter. Sie sehen den Widerstand voraus, der sich ihrem Versuch entgegenstellen wird, die gemeinsame Natur der Menschen darin zu finden, daß sie auf der Suche nach dem Sinn der Existenz sind; und sie schützen sich gegen allzu eilfertige Mißverständnisse, indem sie dem Leser versichern, sie hätten nicht die Absicht, »einen nichtchristlichen Standpunkt einzunehmen«. Nehmen wir an, sie hätten jeden Satz, den sie geschrieben haben, sorgfältig abgewogen, dann enthüllt diese defensive Redeweise ein Milieu, in dem es nicht üblich ist, Fragen zu stellen und in dem das Wesen des Evangeliums als einer Antwort durch seine Verhärtung zu einer in sich abgeschlossenen Lehre so sehr verdunkelt ist, daß es als »nichtchristlicher Standpunkt« verdächtigt werden kann, die Frage zu stellen, auf die das Evangelium eine Antwort sein will. Wenn die Lage aber wirklich so ist, dann haben die Verfasser in der Tat allen Grund zur Beunruhigung. Denn das Evangelium als Lehre, die man annehmen kann und dadurch gerettet wird, oder die man läßt und dadurch verdammt ist, ein solches Evangelium ist ein toter Buchstabe. Es wird bei Menschen mit suchendem Herzen außerhalb der Kirche auf Gleichgültigkeit, wenn nicht gar auf Verachtung stoßen, und innerhalb der Kirche die Unruhe des Gläubigen hervorrufen, der unchristlich genug ist, ein fragender Mensch zu sein. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Evangelium und Kultur

Titel: Evangelium und Kultur

Stichwort: Frage, Antwort; zetesis, aporein, tasis, metaxy

Kurzinhalt: "Einheit" von Frage und Antwort; Weigerung zur Frage; Verlust der Frage; Dekulturationsprozeß; falsche Frage: Sinn des Lebens

Textausschnitt: Die Suche selbst macht die existentielle Unruhe offenkundig; im Akt des Fragens bricht das Bewußtsein des Menschen von seiner Spannung (tasis) zum göttlichen Grund hervor in Gestalt des Logos der Frage als dem Gebet um den LOGOS der Antwort. Frage und Antwort gehören eng zusammen; die Suche bewegt sich im metaxy, wie Platon es genannt hat, im 'Zwischen' von Armut und Fülle, von Menschlichem und Göttlichem. Die Frage ist wissend, aber ihr Wissen ist noch das bange Zittern einer Frage ...
()
Dem Menschen, der die Frage verloren hat, kann die Antwort nicht helfen. Und die Situation des gegenwärtigen Zeitalters ist mehr durch den Verlust der Frage als den der Antwort gekennzeichnet

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Evangelium und Kultur

Titel: Evangelium und Kultur

Stichwort: Leben, Existenz, Faktum; Sartre; Descartes

Kurzinhalt: Das Leben ist kein Faktum mit der Eigenschaft "Sinn"; cogito, ergo sum; sum, ergo cogito

Textausschnitt: 10 Da die Frage das Wesen des Menschen betrifft, ist sie heute die gleiche, die sie auch in der Vergangenheit immer schon war. Aber heute ist sie durch den Dekulturationsprozeß im Westen so sehr entstellt, daß sie zuerst einmal aus dem intellektuell liederlichen Sprachgebrauch herausgelöst werden muß, in dem wir unterschiedslos vom Sinn des Lebens sprechen oder vom Sinn der Existenz, oder vom Faktum der Existenz, das keinen Sinn hat, oder von dem Sinn, den man dem Faktum der Existenz erst geben muß, und so weiter, so als ob Leben eine gegebene Tatsache wäre und Sinn eine Eigenschaft, die das Leben hat oder nicht hat. (18; Fs) (notabene)

11 Nun ist aber Existenz kein Faktum. Wenn überhaupt, dann ist Existenz das Nicht-Faktum einer beunruhigenden Bewegung im metaxy1 von Nichtwissen und Wissen, von Zeit und Zeitlosigkeit, von Unvollkommenheit und Vollkommenheit, von Hoffnung und Erfüllung und schließlich von Leben und Tod. Aus der Erfahrung dieser Bewegung, aus der Angst, in diesem 'Zwischen' von Dunkel und Licht die Orientierung zu verlieren, entsteht die Frage nach dem Sinn des Lebens. Sie entsteht aber nur, weil Leben erfahren wird als das Partizipieren des Menschen an einer Bewegung, deren Richtung man treffen oder verfehlen kann. Wäre menschliche Existenz nicht eine Bewegung, sondern ein Faktum, dann hätte sie nicht nur keinen Sinn, sondern die Frage nach dem Sinn könnte nicht einmal entstehen. (18f; Fs) (notabene)

12 Die Verknüpfung zwischen Bewegung und Suche kann man am besten am Beispiel ihrer Deformation bei gewissen existentialistischen Denkern erkennen. Ein Intellektueller wie Sartre z.B. sieht sich in einen ausweglosen Konflikt verstrickt zwischen seiner Annahme einer sinnlosen Faktizität der Existenz und seinem verzweifelten Verlangen, sie aus den Quellen seines Moi mit Sinn auszustatten. Durch die Annahme, Existenz sei ein Faktum, kann er sich von der Suche des Philosophen völlig abschneiden, aber er kann seiner existentiellen Unruhe nicht entrinnen. Wird die Suche daran gehindert, sich im metaxy zu bewegen, und kann sie sich deshalb nicht auf den göttlichen Grund des Seins richten, dann muß sie sich auf einen Sinn richten, welcher der Imagination von Sartre entspringt. So verlangt die Suche zwingend ihre Form, auch wenn ihr wesentlicher Inhalt verloren gegangen ist. Das imaginierte Faktum der Existenz kann nicht so sinnlos bleiben, wie es ist, sondern wird notwendigerweise zum Sprungbrett für das Ego des Intellektuellen. (19; Fs)

13 Diese imaginative Zerstörung der Vernunft und der Realität ist nicht etwa Sartres Idiosynkrasie; sie ist vielmehr geschichtlich repräsentativ, da sie erkennbar eine Phase in der Entwicklung eines Denkens ist, dessen Modus von Descartes bestimmt worden ist. Die Meditationes gehören zwar noch zur geistigen Kultur der Suche, aber Descartes hat die Bewegung deformiert, indem er ihre Partner zu Objekten für einen archimedischen Beobachter außerhalb der Suche verdinglichte. In der Konzeption der neuen, dogmatischen Metaphysik ist der Mensch, der sich selbst als Fragender erfährt, in ein res cogitans verwandelt worden, deren esse erst aus ihrem cogitare abgeleitet werden muß. Und der Gott, auf dessen Antwort wir hoffen und warten, ist zum Gegenstand eines ontologischen Beweises seiner Existenz verwandelt worden. (19f; Fs)

Kommentar (vom 10/03/06): An diese Art von Metaphysik wird der Einfluss der Naturwissenschaftlichen Methode deutlich.

20 Ferner ist die Bewegung der Suche, die erotische Existenz im metaxy von Göttlichem und Menschlichem zu einem cogitare geworden, das seine Objekte beweist. Die innere Helligkeit des Lebens der Vernunft hat sich in die Klarheit des raisonnements verwandelt. Indem also in den Meditationes die Realität der Suche zerfällt, werden aus diesem Auflösungsprozeß drei Gespenster freigesetzt, die bis zum heutigen Tag auf der Szene der westlichen Kultur herumspuken. Da ist an erster Stelle der Gott, der aus der Suche hinausgeworfen ist, und dem es nicht mehr erlaubt ist, Fragen zu beantworten: Seit er sich vom Leben der Vernunft in den Ruhestand zurückgezogen hat, ist er zu einem Gegenstand des Glaubens ohne Vernunft eingeschrumpft; und in angemessenen Abständen wird er für tot erklärt. (20; Fs)

21 Da ist dann an zweiter Stelle das cogitare des archimedischen Beobachters außerhalb der Bewegung. Es ist zum Monstrum des Hegelschen BEWUSSTSEINS angeschwollen, das seinen eigenen Gott, seinen eigenen Menschen und seine eigene Geschichte hervorgebracht hat. Und dieses Monstrum kämpft noch immer verzweifelt darum, daß seine dialektische Bewegung als real akzeptiert wird an Stelle der realen Bewegung der Suche im metaxy. Und schließlich ist da der Mensch des cartesischen cogito, ergo sum, Er ist ziemlich heruntergekommen, reduziert auf das Faktum und die Figur des Sartreschen sum, ergo cogito. Der Mensch, der einst nicht nur sich selbst, sondern sogar die Existenz Gottes beweisen konnte, ist zu dem Menschen geworden, der dazu verurteilt ist, frei zu sein, und keinen dringenderen Wunsch hat, als wegen der Veröffentlichung eines maoistischen Journals verhaftet zu werden. (20f; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Evangelium und Kultur

Titel: Evangelium und Kultur

Stichwort: Leben, klassische Frage; Euripides, Platon, Jesus, Paulus

Kurzinhalt: Klassische Lebensfrage; Abschiedsworte der Apologie

Textausschnitt: Die suchende Frage nach dem Sinn des Lebens findet ihren klassischen Ausdruck im Griechenland des 5. Jahrhunderts ...: 'Wer weiß, ob leben tot sein ist, und tot sein leben.'
()
Es gibt ein Ziel, auf das unsere Existenz gerichtet ist, und indem wir ihm folgen oder nicht, kann Leben Tod sein, und Tod ewiges Leben. Die Philosophen waren sich bewußt, diese Einsicht repräsentativ für die Menschheit gewonnen zu haben.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Evangelium und Kultur

Titel: Evangelium und Kultur

Stichwort: Zugkräfte; Platon; zetein, helkein

Kurzinhalt: Spiel der Zugkräfte; menschlicher und göttlicher Pol

Textausschnitt: () Die Symbolik, daß Leben und Tod doppeldeutig sind, wird von der Erfahrung des Menschen hervorgebracht, in verschiedene Richtungen gezogen zu werden ...
()
Wenn er nun aber der zweiten Zugkraft folgt, ist die Sinnfrage für ihn nicht erledigt, denn die erste Zugkraft wird weiter als Teil seiner Existenz erfahren. ... Das Spiel der Zugkräfte ist also erhellt mit Wahrheit. Indem man dem falschen Weg folgt, macht man ihn nicht zum richtigen, sondern gleitet in eine Existenz in Unwahrheit.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Evangelium und Kultur

Titel: Evangelium und Kultur

Stichwort: Platon, Höhlengleichnis, periagoge, Sokrates, Paulus

Kurzinhalt: Zugkraft als Erleiden; Ähnlichkeit mit der Vision Paulus' vor Damaskus; Zug, Gegenzug; Marionette; der Mensch als entscheidende Kraft im Feld der Zugkräfte

Textausschnitt: () ... ruft das Gleichnis die Erinnerung an die Passion des Sokrates wach, der dieses Gleichnis erzählt: Wie er durch den Gott zum Licht hinaufgezogen wird; wie er den Tod erleidet für das Licht, wenn er zurückkehrt, um seine Mitmenschen daran teilhaben zu lassen; und wie er von den Toten aufersteht, um zu leben als der Erzähler der rettenden Geschichte.
() Drückt dieses pathos nur die Erfahrung der Zugkraft aus (helkein), die der Suche ihre Richtung gibt, oder enthält es das Bekenntnis, daß die Bewegung so stark durch Erleiden geprägt ist, daß die Ausdrücke Erfahren und Erleiden fast synonym werden.
()
... die Zugkraft der goldenen Schnur ist sanft, ohne Gewalt. Um in der Existenz die Oberhand zu gewinnen, braucht sie die Unterstützung des Menschen, der den Gegenzugkräften der minderwertigeren Schnüre entgegenarbeiten (anthelkein) muß. Das Selbst (autos) des Menschen wird als die Kraft eingeführt, die den Kampf der Zugkräfte entscheiden muß durch Kooperation mit der heiligen Zugkraft der Vernunft (logos) und der Einsicht (logismos).

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Evangelium und Kultur

Titel: Evangelium und Kultur

Stichwort: metaxy; Verständnisschwierigkeiten, Doppelstatus; Offenbarung - Philosophie; Mythos, Jenseits

Kurzinhalt: Doppelstatus des Wortes; Propheten, Platon: Spannung zw. Offenbarung und Natürlicher Vernunft; Offenbarungskomponente bei Plato; Jenseits: Jenseits-von-Bewußtsein

Textausschnitt: () ... die Sprachsymbole, welche die Bewegung ausdrücken, werden nicht etwa durch einen Beobachter erfunden, der an der Bewegung nicht partizipiert, sondern sie werden im Ereignis des Partizipierens selbst hervorgebracht.
()
... auch die Propheten erkennen diesen Doppelstatus des 'Wortes' an, wenn sie ihre Reden als das 'Wort' Jahwes verkünden, wie in der vorher zitierten Jeremias-Stelle. Dieser Doppelstatus der Symbole, welche die Bewegung im metaxy ausdrücken, ist in der westlichen Geschichte durch christliche Theologen sehr verdunkelt worden () ... indem sie die göttliche Komponente unter dem Namen 'Offenbarung' ausschließlich für christliche Symbole monopolisierten, während sie die menschliche Komponente unter dem Namen 'Natürliche Vernunft' den philosophischen Symbolen zuweisen. () Platon war sich der Offenbarungskomponente in der Wahrheit seines logos ebenso bewußt wie die Propheten Israels oder die Verfasser der Schriften des Neuen Testaments.
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... das 'Wort', durch welches das göttliche Jenseits-der-Existenz in der Existenz als ihre Wahrheit gegenwärtig wird.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Evangelium und Kultur

Titel: Evangelium und Kultur

Stichwort: Evangelium, Philosophie; Unterscheidung

Kurzinhalt: Unterscheidung: Evangelium, Philosophie

Textausschnitt: 55 Der Gott, der mit dem Menschen wie mit einer Marionette spielt, ist nicht der Gott, der Mensch wird, um dem Menschen das Leben zu gewinnen, indem er seinen Tod erleidet. Die Bewegung, welche die rettende Geschichte von Gottes Menschwerdung, Tod und Auferstehung als Antwort auf die Frage von Leben und Tod hervorbrachte, ist erheblich komplexer als die klassische Philosophie: Sie ist reicher durch die missionarische Leidenschaft ihres religiösen Universalismus, ärmer durch ihre Vernachlässigung noetischer Kontrolle, breiter durch ihre Anziehungskraft auf den einfachen Menschen, der seine menschliche Natur nur unklar artikulieren kann, beschränkter durch die Abneigung gegen die artikulierte Gelehrsamkeit des Weisen, beeindruckender durch den imperialen Ton göttlicher Autorität, weniger ausgewogen durch die apokalyptische Heftigkeit, die zu Konflikten mit den Bedingungen der menschlichen Existenz in der Gesellschaft führt, kompakter durch die großzügige Aufnahme früherer Schichten mythischer Imagination, besonders durch die Rezeption der israelitischen Historiogenesis und durch die Überfülle der Wundertaten, differenzierter durch die intensiv artikulierte Erfahrung liebend-göttlichen Handelns bei der Erhellung der Existenz mit Wahrheit. (36; Fs)

56 Das Verständnis dieser vielschichtigen Besonderheiten, durch die sich die Bewegung des Evangeliums von der Bewegung der klassischen Philosophie unterscheidet, kann nicht gefördert werden, indem man topische Dichotomien verwendet wie Philosophie und Religion, Metaphysik und Theologie, Vernunft und Offenbarung, Natürliche Vernunft und Supranaturalismus, Rationalismus und Irrationalismus etc. Ich will lieber so vorgehen, daß ich zuerst den noetischen Kern aufzeige, den die beiden Bewegungen gemeinsam haben und dann einige der Probleme untersuche, die sich aus der Differenzierung göttlichen Handelns in der Bewegung des Evangeliums sowie aus der Rezeption kompakterer Schichten der Erfahrung und ihrer Symbolisierung ergeben. (36; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Evangelium und Kultur

Titel: Evangelium und Kultur

Stichwort: Johannes; Zug, Gegenzug; helkein

Kurzinhalt: Symbol helkein; Symbolisierung der Zugkraft der goldenen Schnur

Textausschnitt: () Ich habe vorher Johannes 12,32 zitiert, wo der Autor Christus sagen läßt, er werde, wenn er von der Erde emporgehoben sei, alle Menschen an sich ziehen (heikein). Bei Johannes 6,44 wird dann diese ziehende Kraft Christi mit der Anziehungskraft identifiziert, die Gott ausübt ...
()
Mit einer bewundernswerten Sparsamkeit der Mittel symbolisiert Johannes die Zugkraft der goldenen Schnur, ihre Epiphanie als historisches Ereignis im repräsentativen Menschen, der [sic ] Erhellung der Existenz durch die Bewegung von der Frage nach Leben und Tod, die durch die Zugkraft in Gang gesetzt wird, hin zu der rettenden Antwort

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Evangelium und Kultur

Titel: Evangelium und Kultur

Stichwort: Paulus, existentielle Erkenntnis; Aristoteles

Kurzinhalt: 1., 2. Korintherbrief, Galaterbrief; Differenzierung der Erfahrung; Formel bei Aristoteles

Textausschnitt: Im 2. Korintherbrief möchte er den strahlenden Glanz des pneumatischen Bundes, der in die Herzen geschrieben ist, gegen die kompaktere 'verhüllte' Wahrheit des Mosaischen Gesetzes absetzen, und er benützt zu diesem Zweck eine Symbolik, die er den Propheten entnimmt. Im 1. Korintherbrief muß er 'ididolothytes' warnen, Menschen, die bereit sind, Nahrung zu sich zu nehmen, die Götzenbildern geopfert worden ist, weil sie sich in ihrer Erkenntnis sicher fühlen, daß die Idole überhaupt keine Götter sind. Und im Galaterbrief ruft er Gläubige zur Ordnung, die in ihre frühere Anbetung von Elementargeistern zurückfallen. Dieser allzu offenkundige Unterschied des kulturellen Kontextes darf jedoch nicht die Tatsache verdunkeln, daß Paulus darum ringt, eine Dynamik existentieller Erkenntnis zu artikulieren, die Aristoteles komprimiert in der Formel ausdrückte, menschliches Denken (nous) auf der Suche nach dem göttlichen Grund des Seins werde bewegt (kineitai) durch den göttlichen Nous, welcher der Gegenstand des Denkens (noeton) des menschlichen Nous sei (metaph. 1072a 50).

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Evangelium und Kultur

Titel: Evangelium und Kultur

Stichwort: Philosophie, Evangelium; noetischer Kern; metaxy; Platon

Kurzinhalt: Derselbe noetische Kern in Evangelium und Philosophie

Textausschnitt: Der noetische Kern ist also in der klassischen Philosophie und in der Bewegung des Evangeliums derselbe. Da ist dasselbe Feld von Zug- und Gegenzugkraft, dieselbe Empfindung ...

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Evangelium und Kultur

Titel: Evangelium und Kultur

Stichwort: Evangelium; Jesus, metaxy; Kolosserbrief; theotes, theiotes; Römerbrief; Gottes Fülle in Jesus

Kurzinhalt: Diese Irruption, durch die Jesus zum Christus wird, drückt der Autor des Kolosserbriefes in den Worten aus: 'Denn in ihm lebt die ganze Fülle ...

Textausschnitt: 66 Obwohl der noetische Kern im Evangelium derselbe ist, hat sich die geistige Dynamik von Grund auf geändert durch die Erfahrung einer außerordentlichen Irruption des Göttlichen in der Existenz von Jesus. Diese Irruption, durch die Jesus zum Christus wird, drückt der Autor des Kolosserbriefes in den Worten aus:
'Denn in ihm lebt die ganze Fülle der göttlichen Realität (theotes) in körperlicher Gestalt.' (2,9) In ihrer ganzen Fülle (pan to pleroma) ist göttliche Realität nur in Christus gegenwärtig, der kraft dieser Fülle 'das Ebenbild (eikon) des unsichtbaren Gottes ist, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung' (1.15). (40; Fs)

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67 Alle anderen Menschen haben nur ihren gewöhnlichen Anteil an dieser Fülle (pepleromenoi), indem sie die Wahrheit ihrer vollen Präsenz in Christus annehmen, der durch seine ikonische Existenz 'das Haupt aller Herrschaft (arche) und Autorität (exousia) ist' (2,10). Etwas an Jesus muß seinen Zeitgenossen den Eindruck einer Existenz im metaxy von solcher Intensität vermittelt haben, daß seine körperliche Gegenwart, das somatikos der zitierten Stelle, ihnen von göttlicher Präsenz völlig durchdrungen erschien. (40f; Fs)

Kommentar (vom 2/23/2008): Analogie: Jenseits als Jenseits-des-Bewusstseins zu: Christus als Jenseits-des-Erlöstseinswollens

68 Die Stelle ist wertvoll, weil es dem Autor gelungen ist, das, was ihn beeindruckte, zu vermitteln, ohne zu älteren, kompakteren Symbolen, etwa dem Symbol Gottessohn, Zuflucht zu nehmen, was der neu differenzierten Erfahrung nicht gerecht geworden wäre. Dies verlangte jedoch eine bewußte Anstrengung von ihm, denn der Ausdruck theotes ist ein Neologismus, den er für diesen Anlaß prägte. Den verschiedenen Übersetzungsmöglichkeiten wie Gottheit, göttliches Wesen, göttliche Wesenheit, welche die Vorstellung eines persönlichen Gottes implizieren, habe ich die Übersetzung göttliche Realität vorgezogen, weil sie am besten die Intention des Autors wiedergibt, eine nicht-personale Wirklichkeit zu bezeichnen, die Grade des Partizipierens an ihrer Fülle ermöglicht und doch der Gott jenseits des metaxy der Existenz bleibt. (41; Fs)

69 Wenn der Autor zur paulinischen 'Schule' gehörte, kann man sein Symbol theotes als einen Versuch verstehen, gewisse Schwächen zu überwinden, die dem Symbol theiotes bei Paulus anhaften. In Römer 1,18 ff. spricht Paulus von Menschen, welche die Wahrheit Gottes durch ihre Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit unterdrücken: (41; Fs)

'Denn was über Gott erkannt werden kann (to gnoston tou theou), ist in ihnen offenbar, weil Gott es ihnen offenbar gemacht hat. Denn seit der Kosmos geschaffen ist, konnte Gottes unsichtbare Wirklichkeit in den geschaffenen Dingen durch die Vernunft erfaßt werden (nooumena), nämlich seine immerwährende Macht (dynamis) und Göttlichkeit (theiotes).'

70 Paulus ist ein ziemlich ungeduldiger Mann. Er möchte die göttliche Realität der kosmischen Primärerfahrung unmittelbar als die welttranszendente göttliche Wesenheit differenziert sehen, die in Christus fleischgeworden ist. Er findet es unentschuldbar, daß die Menschheit durch eine geschichtliche Phase gegangen sein soll, in welcher der unsterbliche Gott durch Bilder 'von sterblichen Menschen, von Vögeln, Vierfüßlern und Reptilien' repräsentiert wurde; und er kann sich einen solchen Greuel nur durch eine absichtliche Unterdrückung der wohlbekannten Wahrheit vorstellen. (41f; Fs)

71 Darüber hinaus macht er in seinem jüdischen Abscheu vor heidnischen Idolen das geschichtliche Phänomen des kosmologischen Mythos für Erscheinungen ausschweifenden Lebens verantwortlich, die er in seiner Umgebung beobachten kann, und er betrachtet das weitere Festhalten an diesen Götzenbildern und die daraus folgende moralische Zügellosigkeit als Strafe Gottes dafür, daß sie sich dem Götzenkult überhaupt ergeben haben (Röm 1,26-52). Diese eifernde Verquickung von Problemen mußte sicherlich entwirrt werden. Und in der Tat holte der Autor des Kolosserbriefs aus dem paulinischen Passus die Unterscheidung zwischen dem 'Unsichtbaren' des Göttlichen und dem 'Sichtbaren' der partizipatorischen Erfahrungen heraus: Er unterschied den unsichtbaren Gott, der als wirklich erfahren wird jenseits des metaxy der Existenz, von der theotes, der göttlichen Realität, die in der Bewegung der Existenz in das metaxy eintritt. (42; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Evangelium und Kultur

Titel: Evangelium und Kultur

Stichwort: Platon, Kolosserbrief; eikon; Kosmos, Christus, Dissoziation

Kurzinhalt: Kosmos und Christus je als Bild Gottes; Schranke der Griechen; Dissoziation: kontingente, ewige Welt; transkosmische Götter

Textausschnitt: () Obwohl nun Platons homoiosis theo das genaue Äquivalent darstellt zum Ange-füllt-Werden mit theotes beim Autor des Kolosserbriefs, ist nichtsdestoweniger Platons geistiger Mensch, der daimonios aner, nicht der Christus des Kolosserbriefs, die eikon tou theou. Bei Platon ist ikonische Existenz dem Kosmos selbst vorbehalten: Der Kosmos ist das Bild (eikon) des Ewigen; er ist der sichtbare Gott
()
Die Erfahrung der Bewegung tendiert dazu, die kosmisch-göttliche Realität der Primärerfahrung zu dissoziieren in das kontingente Sein der Dinge und das notwendige Sein des welt-transzendenten Gottes; und eine Kultur, in der die sakrale Grundlage der Ordnung, der persönlichen wie der gesellschaftlichen, durch intrakosmische Götter symbolisiert wird, kann nicht leicht der theotes der Bewegung den Weg frei geben, deren Sieg die Desakralisierung der traditionellen Ordnung nach sich zieht.

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Evangelium und Kultur

Stichwort: Re-Symbolisierung, Moses, Amon

Kurzinhalt: Schwierigkeit einer Re-Symbolisierung; Fortschritt als Grade der Differenzierung; kosmologische Kultur

Textausschnitt: () Und doch waren noch dreizehn Jahrhunderte geschichtlicher Entwicklung erforderlich, und die erschütternden Ereignisse der aufeinanderfolgenden imperialen Eroberungen, um das Volk für die Wahrheit des Evangeliums aufnahmebereit zu machen.
()
Dieses Sediment von Phänotypen läßt leicht übersehen, daß die Wahrheit der Realität in der Erfahrung des Menschen, wie die historischen Belege zeigen, immer voll gegenwärtig ist, und daß das, was sich ändert, die Grade der Differenzierung sind.
()
Die Götter einer kosmologischen Kultur, könnte man sagen, haben einen Vordergrund von spezifischer und einen Hintergrund von universeller göttlicher Präsenz

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Autor: Voegelin, Eric

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Stichwort: Unbekannter Gott; Offenbarungsprozess

Kurzinhalt: Dynamik zum Unbekannte Gott; Amon, Re, theotes, Gorgias, kultureller Konflikte; Celsus, Origines; Deutero-Isaias; prote arche, causa sui, causa rerum; Johannes, Areopag; Apostelgeschichte

Textausschnitt: () Ich will nun die Bewegung des Evangeliums in den Zusammenhang des Offenbarungsprozesses stellen, in dem sich der Unbekannte Gott von den kosmologischen Gottheiten differenziert.
()
Hinter den bekannten Göttern taucht also der unbekannte Gott auf, von dem jene ihre göttliche Wirklichkeit ableiten.
()
... muß der Prozeß der Offenbarung zwangsläufig in dem Maße zu einer Quelle kultureller Konflikte werden, wie die Differenzierung seiner Wahrheit fortschreitet.
()
Denn die Menschen, die in der Bewegung engagiert sind, neigen dazu, die göttliche Realität, die sie erfahren, in den Rang eines Gottes nach dem Bild der bekannten Götter zu erheben und diesen wahren Gott den spezifischen Göttern entgegenzusetzen, die dadurch zu falschen Göttern degradiert werden. Die Gläubigen der kosmologischen Religion andererseits ...
()
Die causa sui ist es, welche die differenzierte göttliche Realität der Bewegung zum agnostos theos macht; die causa rerum macht sie zu dem Gott, der durch die Schöpfung erkannt wird.

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Evangelium und Kultur

Stichwort: Unbekannter Gott, Gnosis, Irenäus

Kurzinhalt: Irenaeus: Adversus Haereses; Matthäus;

Textausschnitt: () In der orthodoxen Lehre ist der Gott, der durch Jesus geoffenbart wurde, mit dem Schöpfergott identisch, der durch die Propheten Israels geoffenbart worden ist. In der gnostischen Lehre sind der Unbekannte Gott Jesu und der Israelitische Demiurg zwei verschiedene Götter.

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Evangelium und Kultur

Stichwort: Drama, Gott, Mensch; Dogma, Geschichte; Petrusbekenntnis

Kurzinhalt: Evangelium: Ereignis im Drama der Offenbarung; historischer Jesus, dogmatischer Christus; Mt16; Das Motiv des Stillschweigens

Textausschnitt: () kann man nicht nachdrücklich genug betonen, daß das Evangelium den Status einer Symbolik hat, die im metaxy der Existenz durch die Antwort eines Jüngers auf das Drama des Gottessohnes hervorgebracht wird. ... Das Evangelium selbst ist ein Ereignis im Drama der Offenbarung.
()
Wenn man aber das Drama des Partizipierens auseinanderreißt in die Biographie eines Jesus in Raum und Zeit und in ewige Wahrheiten, die vom Himmel herabregnen, dann nimmt dies der existentiellen Realität, die als das Drama des Gottessohnes erfahren und symbolisiert worden ist, jeden Sinn.

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Autor: Voegelin, Eric

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Stichwort: Stillschweigen, Offenbarung; praeparatio evangelica, Evangelium

Kurzinhalt: Evangelium als Symbolisierung einer Bewegung des Göttlichen; Vorbereitung der Symbole des Evangeliums (Messias, Menschensohn)

Textausschnitt: () ein Evangelium ist weder das dramatische Kunstwerk eines Dichters noch die Jesus-Biographie eines Historikers, sondern die Symbolisierung einer Bewegung des Göttlichen, die durch die Person von Jesus hindurch in die Gesellschaft und die Geschichte hineinreicht.
()
Die revelatorische Bewegung verläuft also auf mehr als einer Ebene. Da ist zuerst das persönliche Drama Jesu ...
()
Und schließlich verschränkt sich das gesellschaftliche mit dem geschichtlichen Drama. Denn wenn nicht die praeparatio evangelica der sich über Jahrtausende erstreckenden Bewegung die Bereitschaft geschaffen hätte, ...
()
Das Mysterium göttlicher Gegenwart in der Existenz hatte sich im Bewußtsein der Bewegung allmählich entwickelt, lange bevor das Drama des Evangeliums seinen Anfang nahm. Und die Symbole, die von den Evangelisten verwendet werden, um dieses Mysterium auszudrücken ... lagen geschichtlich bereit durch die Symboliken des pharaonischen Ägypten, des Davidischen Königtums, der Propheten und Apokalyptiker, durch iranische Überlieferungen und durch die hellenistischen Mysterien.

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Autor: Voegelin, Eric

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Stichwort: Evangelium, Geheimnis, malak, Johannes, Christus, Sohn Gottes

Kurzinhalt: Geheimnis des Evangeliums; Mt 11, 16: fortschreitende Differenzierung; Symbole: 'Messias-Christus', 'Sohn Gottes'

Textausschnitt: Das 'Geheimnis' des Evangeliums ist deshalb weder das Mysterium göttlicher Gegenwart in der Existenz noch seine Artikulation durch neue Symbole, sondern das Ereignis, daß es durch Jesu Leben und Tod in seiner Fülle erfaßt und verwirklicht wurde.
()
In der Tat ist Johannes eher als Jesus der wahre malacheische malak. In dem Zitat aus Malachias aber macht der matthäische Jesus durch eine Textänderung aus einem Boten, den 'Ich (der Herr) sende [...], der den Weg vor mir bereiten soll', einen Boten, den der Herr sendet, um den Weg 'für dich' zu bereiten.

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Autor: Voegelin, Eric

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Stichwort: Grundprobleme; Kosmos, Bewusstsein

Kurzinhalt: Kosmos von Göttern -> Gegenwart des Göttlichen in der Bewegung der Seele

Textausschnitt: () Die vielfältigen Probleme, die durch zweitausend Jahre hindurch an uns weitergegeben worden sind, haben ihr Zentrum in der BEWEGUNG, in der das Bewußtsein des Menschen von seiner Existenz sich aus der Primärerfahrung des Kosmos entwickelt. Bewußtsein wird für sich selbst durchsichtig als der Schauplatz des Offenbarungsprozesses, des Suchens und Gezogenwerdens. Die Erfahrung eines Kosmos voll von Göttern muß der Erfahrung weichen, daß das Göttliche in der Bewegung der Seele im metaxy in eminenter Weise gegenwärtig ist.

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Autor: Voegelin, Eric

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Stichwort: Evangelium, Philosophie; Unterschied. Platon, Kosmos

Kurzinhalt: Erfahrung vom unbekannten Gott als Kern der Realität schlechthin; Platon, Phaidros; Platons intra-kosmischen Götter - Sohn Gottes; Plotin

Textausschnitt: In der Bewegung der klassischen Philosophie ist die noetische Analyse des metaxy, wie ich gezeigt habe, ebensoweit gegangen wie in der Bewegung des Evangeliums ... aber der entscheidende Schritt, die Erfahrung des Menschen von seiner Spannung zum Unbekannten Gott zu der Wahrheit zu machen, mit der alle Wahrheit der Realität übereinstimmen muß, wurde nie unternommen.
()
Platons mythische Imagination stattet also die intra-kosmischen Götter mit einer Spannung ihrer psyche zum Unbekannten Gott aus und läßt sie ihr wahres Wissen an den Menschen übermitteln. In der Sprache des kosmologischen Mythos sind diese olympischen Gottsucher und Mittler das Äquivalent zu dem Sohn Gottes

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Autor: Voegelin, Eric

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Stichwort: Evangelium; Bewusstsein, Realität, Gnosis

Kurzinhalt: Existentielles Bewusstsein - Kosmos; Evangelium: Stärke, Mangel; Jahwe als Dämon; Rückzug des existentiellen Bewusstseins ins Extra-Kosmische

Textausschnitt: () Der Bereich existentiellen Bewußtseins ist nur ein Realitätsbereich, auch wenn er von besonderer Bedeutung ist. Wenn er überbetont wird, dann wird aus dem Kosmos und seinen Göttern die 'fremde Erde' der Gnostiker, und das Leben in der verachteten Welt ist kaum mehr lebenswert.
()
Die Stärke des Evangeliums ist die Konzentration auf den entscheidenden Punkt: Daß die Wahrheit der Realität ihr Zentrum nicht im Kosmos in seiner Gesamtheit hat, nicht in der Natur, der Gesellschaft oder imperialer Herrschaft, sondern in der Gegenwart des Unbekannten Gottes in einem Menschen, der auf seinen Tod und sein Leben hin existiert. Gerade diese Stärke kann jedoch die Ursache einer gravierenden Störung sein, wenn das Zentrum der Wahrheit so stark betont wird, daß die Beziehungen zu der Realität, deren Zentrum sie ist, vernachlässigt oder gar unterbrochen werden.
()
Wenn der Unbekannte Gott nicht die noch undifferenzierte göttliche Gegenwart hinter den spezifischen intra-kosmischen Göttern ist, dann ist er wirklich ein für die kosmische Primärerfahrung unbekannter Gott. In diesem Fall ...

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Evangelium und Kultur

Stichwort: Existenztypen, Paulus

Kurzinhalt: apeitheia , Widerstand; Plato, peitho

Textausschnitt: () Paulus interpretiert nun den Widerstand gegen die Wahrheit als eine apeitheia, als eine Meuterei gegen Gott, und er bezeichnet diesen Zustand der Meuterei gegen Gott als den Naturzustand des Menschen ...

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Autor: Voegelin, Eric

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Stichwort: Existenztypen, Jesus; Johannes-Apokalypse

Kurzinhalt: Selig sind die Armen im Geiste

Textausschnitt: ()... bei Jesus ist immer durchsichtig und klar die Willigkeit, dem Zug, dem heikein, dem Gezogen-werden auch wirklich zu folgen.

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Autor: Voegelin, Eric

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Stichwort: Existenztypen, Johannes-Evangelium, Platon, Aristoteles, Existentialtugenden

Kurzinhalt: Evangelium ohne "Inhalt"; Auflösung in die existentielle Durchdrungenheit vom göttlichen Sein; agathon, Phronesis

Textausschnitt: () Das Charakteristikum des Johannes-Evangeliums ist - deutlicher als in allen anderen Evangelien -, daß es überhaupt keinen Inhalt des Evangeliums gibt. Der einzige Inhalt des Evangeliums ist nicht eine Lehre, sondern das Ereignis, daß Gott in Jesus präsent war.
()
Also kein Inhalt, sondern die Verhaltensänderung als Folge der existentiellen Durchlässigkeit.
()
Wesentlich also für das Evangelium ist - dort, wo es wie im Johannes-Evangelium am sorgfältigsten durchdacht ist: Es ist keine Lehre von irgendetwas, sondern der Eindruck, den ein Mensch macht, der vollständig durchlässig ist für die göttliche Präsenz in seiner Existenz. Das ist ein Ereignis, das in dieser Art neu ist.

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Autor: Voegelin, Eric

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Stichwort: Gnade, Offenbarung, periagoge, Höhlengleichnis, Christentum, Plato

Kurzinhalt: Leistung des Christentums; Das Gnadenproblem auf der Platonischen Stufe

Textausschnitt: () Im Christentum ist nun eine entscheidende Differenzierung eingetreten, die man vielleicht am besten am Fall des Platonischen Höhlen-Gleichnisses deutlich machen kann.
()
Hier haben Sie das Gnadenproblem auf der Platonischen Stufe der Einkleidung in Gleichnisse und Mythen. Dieser 'Zwang', das ist im wesentlichen, was im Christlichen als 'Offenbarung' oder 'Gnade' differenziert wird als der erlebte Eingriff der Transzendenz in das menschliche Leben ...

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Autor: Voegelin, Eric

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Stichwort: Trinität, Transzendenzerlebnis

Kurzinhalt: Leistung des Christentums; Trinität: Notwendigkeit der Differenzierung: Transzendenz, Einbruch in die Natur, Präsenz des Geistes

Textausschnitt: () Die zweite Leistung, eng mit der Christologie verknüpft, ist das Dogma von der Trinität.
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Das erste Erlebnis ist das der radikalen Transzendenz Gottes ...
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Das zweite Erlebnis ist das des göttlichen transformierenden Eingriffes in die 'Natur' ...
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Das dritte Erlebnis ist die Präsenz des Geistes in der Gemeinschaft der Gläubigen, der Kirche.

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Evangelium und Kultur

Stichwort: Christologie

Kurzinhalt: Leistung des Christentums; Gottmenschentum; Mittlertum

Textausschnitt: () Die erste dieser Leistungen wurde durch die Christologie erbracht.
()
Neu, und für die Welt aufregend, war nicht das Gottmenschentum Christi, sondern (1) der soziale Status des inkarnierten Gottes und (2) die menschheitlich universale Funktion seines Mittlertums.

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Evangelium und Kultur

Stichwort: Maria,

Kurzinhalt: Leistung des Christentums; mariologischen Dogmen

Textausschnitt: () Die dritte Leistung ist mit dem Komplex der mariologischen Dogmen verbunden.
()
Die Teilnahme bleibt für die Menschen innerhalb der Schranken, die ihnen von ihrer Natur gesetzt ist. So wie es durch Christus Schluß mit den Göttern ist, so ist es durch Maria Schluß mit übermenschlichen Gefäßen des Göttlichen.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Evangelium und Kultur

Titel: Evangelium und Kultur

Stichwort: Theologischen Spekulation, thomistischen Theologie

Kurzinhalt: Leistung des Christentums; analogia entis; Dogmatik: deskriptive Ordnung, nicht ein rationales System

Textausschnitt: 166 Die vierte Leistung, im Zusammenhang mit den zwei vorhergehenden, ist das kritische Verständnis der theologischen Spekulation und ihres Sinngehaltes, vor allem erreicht durch Dionysius Areopagita und Thomas. Das Zentralstück der Thomistischen Theologie ist die analogia entis, d. h. die Einsicht, daß theologische Urteile nicht Urteile im Sinne von Aussagen über Weltinhalte sind. Der Satz 'Gott ist allmächtig' verbindet ein transzendentes Subjekt (von dem wir keine innerweltliche Erfahrung, sondern nur die Glaubenserfahrung haben) mit einem 'idealisierten', infinitisierten innerweltlichen Prädikat. Der Satz ist daher sinnlos, wenn Subjekt und Prädikat buchstäblich verstanden werden; er gibt Sinn nur, wenn das Prädikat dem extrapolierten Subjekt der Glaubenserfahrung analogisch hinzugefügt wird. (83; Fs)

167 Das, was die Aufklärer des 18. Jh. der christlichen Dogmatik zum Vorwurf machen (der Vorwurf, der bis heute von aufgeklärten Denkern wiederholt wird), daß die Sätze der Theologie nicht verifizierbar im Sinne einer Aussage über Sinneswahrnehmungen und daher sinnlos seien, das ist der Ausgangspunkt der christlichen Theologie. In diesem Punkt würde Thomas jedem Aufklärer zustimmen. Die Dogmatik ist ein Symbolgewebe, das die außerordentlich komplizierten religiösen Erfahrungen expliziert und differenziert; und die Ordnung dieser Symbole ist eine deskriptive Ordnung, nicht ein rationales System, das von Axiomen abgeleitet werden könnte. (Zu beachten ist die Insistenz des Thomas, daß Inkarnation, Trinität und andere Lehrstücke rational undurchdringlich, d. h. rational sinnlos seien.) (83; Fs)

168 Hier scheint mir der Hauptwert der christlichen Theologie zu liegen: als ein mehr als tausendjähriger Schatz von religiösen Erfahrungen, die in einem unerhörten kooperativen Unternehmen der Patristik und Scholastik durchanalysiert und differenziert worden sind. Und gegen diesen Schatz, ohne ihn genauestens zu kennen, irgendwelche philosophischen Spekulationen einzusetzen (seien sie monotheistischer, pantheistischer, dualistischer oder welcher Art immer), die unvermeidlich auf sehr limitierten Erfahrungen einzelner Denker beruhen müssen, scheint mir — ich kann mir nicht helfen - ein frecher Unfug, auch wenn dieser Unfug von Denkern wie Bruno, Hegel, oder William James begangen wird. (83f; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Das Volk Gottes

Titel: Das Volk Gottes

Stichwort: Institution, Bewegung, Ebenen, Apolitismus, Polis, Kirche

Kurzinhalt: 2 Ebenen; Schere zw. Institution und Bewegung; hellenische, christliche Zivilisation; Kirche: Integration der Bewegung; Kategorie der Reformation

Textausschnitt: () Wir können uns dem Problem der Bewegungen nähern, indem wir zwischen zwei Ebenen der westlichen Zivilisation unterscheiden - einer oberen und einer unteren Ebene. Die obere Ebene werden wir vorläufig als die Ebene der öffentlichen Institutionen
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Unter dieser Oberfläche entfaltet sich das tausendjährige Drama der Gefühle und Ideen, die sich in Revolte gegen den institutionellen Überbau unserer Zivilisation befinden.
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Die Bewegung des Geistes ist in der Kirche institutionalisiert worden; deshalb können die geistigen Bewegungen vom unteren Ende der Gesellschaft nicht in grundsätzlicher Opposition zu den Institutionen stehen.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Das Volk Gottes

Titel: Das Volk Gottes

Stichwort: Kirche, Kompromiß, Sekte, Sakrament

Kurzinhalt: Kirche: zivilisatorische Kraft: 3 Kompromisse; sakramentale Organisation

Textausschnitt: () Der Angriff der Sektenbewegungen ist genau gegen die Merkmale der kirchlichen Institution gerichtet, die in den frühen christlichen Kompromissen mit der Welt ihren Ursprung haben.
()
So wichtig diese Kompromisse waren, sie konnten ihre volle Wirkungskraft solange nicht entfalten, wie sie nicht von der Schaffung einer sakramentalen Organisation begleitet wurden. Die Mediation der Gnade durch die Sakramente macht Gnade objektiv.
()
Der Kompromiß mit der Schwäche des Menschen ...
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Die Akzeptanz der Regierungsmacht als Teil der 'Welt' und als gottgewollt ist der zweite große Kompromiß ...
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Der dritte Kompromiß - ebenfalls vom Heiligen Paulus eingeführt - war der Kompromiß mit der Geschichte durch die Erkenntnis ...

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Das Volk Gottes

Titel: Das Volk Gottes

Stichwort: Kirche, Sekte

Kurzinhalt: Kirche u. Sekte als Manifestationen des Christentums; Folgen des Angriffs auf die kirchliche Institution

Textausschnitt: () Es ist gleichermaßen möglich, das Christentum in die Richtung einer kompromißlosen Verwirklichung der evangelischen Ratschläge zu entwickeln, auf den Universalismus der Institution zu verzichten und sich auf die Verwirklichung des Geistes in kleineren Gemeinschaften mit hohen Maßstäben an persönliche Religiosität und moralische Führung zu konzentrieren.
()
Wir müssen Kirche und Sekte als gleichermaßen authentische Manifestationen des Christentums anerkennen, wenn wir die dynamische Kraft der Sektenbewegungen in ihrem Kampf mit der Kirche verstehen wollen ...

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Das Volk Gottes

Titel: Das Volk Gottes

Stichwort: Kirche, Reform, anti-zivilisatorischer Effekt

Kurzinhalt: Anti-staatliche Haltung

Textausschnitt: () Die Elemente geistiger Reform und zivilisatorischer Zerstörung sind in den Bewegungen häufig so eng ineinander verwoben, daß es schwierig wird, sie zu trennen oder zu entscheiden, welches dieser beiden Elemente dabei das Übergewicht hat.

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Das Volk Gottes

Stichwort: Puritanismus, Sekte; Eschatologie

Kurzinhalt: A Glimpse of Sion 's Glory; Elemente einer revolutionären Sekte; immanente Eschatologie; Joachim von Fiore

Textausschnitt: () A Glimpse of Sion's Glory ist besonders geeignet, das Problem der revolutionären Sekte zu illustrieren, weil in diesem Pamphlet praktisch alle wichtigen Merkmale vertreten sind, die in der einen oder anderen Periode der Bewegungen auftauchen.
()
Babylons Zerstörung ist Jerusalems Erlösung.
()
Der Ruf nach einer Reform der Institutionen ist bereits zum Ruf nach ihrer Zerstörung geworden.
()
Weit stärker entwickelt sind die Elemente, in denen die eschatologische Stimmung aufscheint. Das Ende des Zeitalters steht bevor; Babylon wird fallen; und Christus wird in seinem Reich gegenwänig sein. Das Reich aber, das kommen wird, ist nicht das Jenseits des orthodoxen Christentums; es ist ein historischer Zustand der Vollkommenheit, der den gegenwänigen Zustand der Ungerechtigkeit ablöst.
()
Es findet sich ein weiteres Element, welches nicht immer mit den Träumen vom irdischen Paradies verbunden ist: das Element von Ressentiment und Gewalttätigkeit.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Das Volk Gottes

Titel: Das Volk Gottes

Stichwort: Dionysius Areopagita; Johannes Scotus Eriugena, Gottschalk; Origenes

Kurzinhalt: Eriugena: neoplatonische Ideen, schon vor Areopagitas Einfluss; Traktat über Prädestination; Gottschalk; Problem des Bösen, der Erlösund und Verdammnis; apokatastasis; Origenes

Textausschnitt: () In Eriugena ist schon eine Strömung neoplatonischer Ideen präsent durch die Bewahrung der östlichen patristischen Literatur in der Tradition des irischen Christentums; wir müssen diese Strömung als eine Quelle betrachten, die unabhängig vom starken Einfluß Areopagitas auf das westliche Hochmittelalter ist.
()
Und es ist genau diese Lehre von der apokatastasis, der vollständigen Rückkehr der Schöpfung in einen göttlichen Zustand der Sündenfreiheit, die - in den politischen Bewegungen - in die Visionen vom irdischen Paradies einfließt.

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Das Volk Gottes

Stichwort: apokatastasis; Joachim von Fiore; Eriugena

Kurzinhalt: Auftauchen der Lehre vom Dritten Reich; Johannes-Evangelium; drei Typen der Priesterschaft

Textausschnitt: () In seinem Kommentar über das Johannes-Evangelium unterscheidet Eriugena zwischen drei Typen der Priesterschaft.
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Das Auftauchen der Lehre vom Dritten Reich ebenso wie das der Lehre von der vollkommenen Wiederherstellung

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Das Volk Gottes

Stichwort: Areopagit, Eriugena, Amaurianer

Kurzinhalt: Pseudo-dionysische Schriften; De Divisione Naturae; Sekte der Amaurianer, Umkher der Moral, Amoralität; Eckhart: Sünde; Katharer; Prozess der Symbolisierung

Textausschnitt: () Unter den amaurianischen Glaubenssätzen befand sich auch jene Lehre, die in allen revolutionären Bewegungen bis zur Gegenwart eine Konstante geblieben ist.
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Das wichtigste Anzeichen dafür, daß der Mensch ohne Sünde ist, wäre, daß er nicht sündigt; in der sektiererhaften Konzeption des bekehrten Menschen erscheint diese Beziehung umgekehrt: Vom Menschen wird angenommen, daß er bekehrt sei, und deshalb müssen seine unmoralischen Taten und Verbrechen als Manifestationen der in ihm waltenden göttlichen Energie betrachtet werden.
()
Dieses erneute Auftauchen des Werks in den katharischen Zirkeln erhellt die Art und Weise literarischer Einflüsse. Von der Katharer-Bewegung kann kaum gesagt werden, sie sei durch die Verbreitung von Lehren, indem De Divisione Naturae sich verbreitete, entstanden.
()
Der Prozeß scheint so verlaufen zu sein, daß ein bestimmter Typus von religiöser Erfahrung, der in den Symbolen der etablierten Kircheninstitution keinen passenden Ausdruck fand, sich der überlieferten 'östlichen' Ausdrucksweise einer ähnlichen Religiosität bedient, um sich selbst zu artikulieren.

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Das Volk Gottes

Stichwort: Eriugena, Neuplatonismus

Kurzinhalt: Eriugena, Neuplatonismus; Alpha, Omega; Theorie der Entfaltungsprozesse; Paradies, apokatastasis; De Divisione Naturae; Engel

Textausschnitt: () Das System Eriugenas kann als neoplatonisch bezeichnet werden. Alles Sein oder alle Natur ist in vier Teile aufgeteilt, und diese Teile sind über einen Prozeß kreativer Emanation und der Rückkehr der Kreatur in ihren Urgrund miteinander verbunden.
()
In Eriugenas neoplatonischer Konzeption hat die Welt demnach eine dreifaltige Existenz:
()
Kraft dieser wechselseitigen Daseinsform - mit ihrem Zentrum im Menschen - umfaßt die Natur des Menschen die Schöpfung der Animalität bis hin zu den Engeln. Die letzte 'Rückkehr' wird daher die Rückkehr der Schöpfung in den Menschen sein; und dann nur die des Menschen in Gott.

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Das Volk Gottes

Stichwort: Zweiweltentheorie; Übergang

Kurzinhalt: Dreiweltentheorie ->Zweiweltentheorie; Amaurianer; Durchdringung von Licht und Finsternis -> Nacheinander der Welten

Textausschnitt: () Selbst wenn theologische Spekulation zur Annahme von drei historischen Epochen führt, ist das brennende praktische Problem in der Politik immer der Übergang vom gegenwärtigen unvollkommenen Zustand zum vollkommenen Zustand, dessen Anbruch unmittelbar bevorsteht.
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Die manichäische Konzeption der Katharer als auch die Spekulation Eriugenas und der Sekten des 13. Jahrhunderts fassen die Welt als eine wechselseitige Durchdringung der Kräfte des Lichtes und der Finsternis oder des Geistes und der Materie auf. Die 'Welten' der politischen Spekulation werden als aufeinanderfolgende Perioden der Vorherrschaft der einen oder der anderen der beiden Kräfte unterschieden.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Das Volk Gottes

Titel: Das Volk Gottes

Stichwort: Aktivierung; Mystik, Symbol, Erfahrung

Kurzinhalt: Eriugena, Collier; Paradies, Aktivierung; Aktivist: Aufhebung der Distanz zwischen Symbol und Erfahrung; Transformation (Metamorphose): religiöses Symbol -> politisches Programm

Textausschnitt: () Die Idee von einem überweltlichen Gottesreich wird zu einer 'materialistischen' Idee, während die 'geistige' Idee eine diesseitige Welt fordert, die durch den Geist Gottes verwandelt wird.
()
Das Symbol der Vollkommenheit wurzelt in der Erfahrung einer Unvollkommenheit, die nur durch Gnade im Tod überwunden werden kann. Das ist der Punkt, an dem der wahre Mystiker seine Spekulation abbricht; und das ist der Punkt, an dem der aktivistische Mystiker sie weiterführt. Der 'Aktivist' akzeptiert die Entmaterialisierung des Symbols ebenso wie der wahre Mystiker, geht dann aber einen folgenschweren Schritt weiter: Er hebt die Distanz zwischen Symbol und Erfahrung auf und mißversteht das Symbol als eine Erfahrung, die existentiell im Leben des Menschen in Gesellschaft verwirklicht werden kann.
()
Die Transformation des mystischen Symbols der Vollkommenheit in ein politisches Programm für 'Aktivisten' liegt im Zentrum moderner politischer Massenbewegungen. Sie ist nicht auf christliche Sektenbewegungen in der Politik im engeren Sinn beschränkt; die Transformation bleibt eine Konstante in den atheistischen und antichristlichen politischen Sekten des 19. Jahrhunderts.

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Das Volk Gottes

Stichwort: Weltkrieg

Kurzinhalt: 2 Welten; Weltkrieg; deutscher Nationalismus

Textausschnitt: () Die zwei Welten, die zeitlich aufeinander folgen sollen, werden in der politischen Praxis zu zwei universellen bewaffneten Lagern, die sich gegenseitig auf den Tod bekämpfen. Aus dem Mystizismus der zwei Welten sehen wir das Motiv der Weltkriege aufsteigen ...
()
Diese Kriege sind nicht Weltkriege, weil das militärische Theater in globaler Expansion begriffen ist; sie sind Weltkriege, weil der Mystizismus der sektiererischen Exklusivität die Parteien mit dem Willen zur universellen Zerstörung ausstattet.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Das Volk Gottes

Titel: Das Volk Gottes

Stichwort: Realist; Mystiker; Grundkonflikt; Nihilismus

Kurzinhalt: Spiritueller Realiste, aktivistischer Mystiker; 5 Charakteristika; eschatologische Gewalt; nationalsozialistische, kommunistische Revolutionen; Planlosigkeit; Kapitulation

Textausschnitt: () Unter eschatologischer Gewalt verstehen wir ein Reich der Aktion, das () jenseits von Gut und Böse liegt, weil es den Übergang von der Welt des Unrechts in eine Welt des Lichts sicherstellt.
()
Drittens: Da die eschatologische Gewalt jenseits von Gut und Böse liegt, und da der Krieg für die Welt des Lichtes eine transzendentale geistige Operation ist, in der die Mächte der Finsternis aus dem Kosmos entfernt werden, werden sich die Gläubigen zwangsläufig in einer Gründlichkeit der Vernichtung ergehen, die von der Warte der Realität aus als Bestialität und Grausamkeit erscheint.

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Das Volk Gottes

Stichwort: Periode, mittelalterliche, moderne, Kontinuität, Bruch; Gnosis

Kurzinhalt: Lenin, Hitler: kein Bruch in d. Geschichte, sondern: aktivistischer Mystizismus -> eschatologische Spekulationen; Streit: Welt - Kirche -> Christentum - Gnosis

Textausschnitt: () Offensichtlich wird unser Verständnis von modernen politischen Bewegungen während und nach der Aufklärung eine neue Tiefe gewinnen, wenn wir die Ideen von Comte, Marx, Lenin und Hitler über die letztendliche Transfiguration der Geschichte nicht als 'neu' ansehen, sondern als eschatologische Spekulationen, die auf den aktivistischen Mystizismus des 13. Jahrhunderts zurückgehen
()
... wenn wir den kritischen Streit unserer Zeit zwischen Positivismus, Progressivismus, Kommunismus und Nationalsozialismus auf der einen Seite und dem Christentum auf der anderen Seite nicht als Streit zwischen 'modernen' Ideen und dem Christentum verstehen, sondern als eine Erneuerung des alten Kampfes zwischen Christentum und Gnosis

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Das Volk Gottes

Titel: Das Volk Gottes

Stichwort: Adamiten, Zügellosigkeit, Bosch

Kurzinhalt: Adamiten: Spiritualisierung des Körpers, Paradies; Nudisten, Libertinimus; Hieronymos Bosch

Textausschnitt: () wir stehen vor einem systematischen Versuch einer Spiritualisierung des Körpers und einem Kult an spirituellem Erotizismus. Wir können ähnliche Probleme in der 'Libertinage' beobachten, verbunden mit der lateinischen averroistischen Bewegung, insbesondere im Roman de La Rose. Und wir können den adamitischen Spiritualismus als Teil einer übergreifenden Bewegung verstehen, in der der Natur als einem bedeutungsvollen Teil der göttlichen Schöpfung eine neue Würde gegeben wird.
()
Die Würde der Natur zu erkennen, ist eine Sache, die Natur über die Schöpfung in ein vorschöpferisches Paradies zu heben, ist eine ganz andere. Wir müssen vom Versuch einer adamitischen Verwirklichung die gleichen Probleme erwarten wie vom Versuch, die Geschichte zu transfigurieren.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Das Volk Gottes

Titel: Das Volk Gottes

Stichwort: Hieronymos Bosch, "Garten der Lüste"

Kurzinhalt: Hieronymos Bosch, Fraenger, Das Tausendjährige Reich, Garten der Lüste, Verschmelzung von joachitischen und adamitischen Lehren, Hölle, Erotik

Textausschnitt: () Die Transfiguration dieser Hölle in das Tausendjährige Reich kann jedoch nicht durch die Negation und Unterdrückung der Triebe und Begierden erreicht werden; sie müssen als die Quelle des Lebens anerkannt werden, als der elementare kosmische Drang, der den Menschen über den Fluß der Schöpfung hinaus - durch die meisterhafte Unterwerfung unter den Rhythmus des Lebens und durch die Spiritualisierung der Begierden im Kult der Erotik - in seinen göttlichen Grund tragen wird.
()
Boschs Triptychon ist der Beweis, daß in der Bewegung des Freien Geistes eine schier unglaublich freie Entwicklung und Transformation des Christentums stattgefunden hat. Die Symbole der Orthodoxie sind noch vorhanden; doch sie werden durch die platonische, gnostische, neo-platonische und neo-pythagoräische geistige Kultur angereichert.
()
Wir sollten uns vor allem des intensiven Verständnisses der geistig desorientierten Existenz als der wahren 'Hölle' bewußt sein - eine Intensität, die wir nur im 17. Jahrhundert in der Psychologie von Hobbes und Pascal voll entwickelt finden.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Das Volk Gottes

Titel: Das Volk Gottes

Stichwort: Verschmelzung, aktivistische Mystik, innerweltlicher Intellektualismus, Renaissance

Kurzinhalt: Das Apollinische Imperium; Übergang: Sektierertum -> Säkularistische Spekulation, (Positivismus, Aufklärung); Burdach, Mittelalter, Renaissance; Dante, Petrarca, Rienzo

Textausschnitt: () ... das Problem des eigentlichen Übergangs vom sektiererischen Christentum des Freien Geistes zur säkularistischen Spekulation der Aufklärung und des Positivismus bestehen.
()
Wann und wo ereignete sich die Verschmelzung der Spekulation der aktivistischen Mystik mit dem Medium des innerweltlichen 'Intellektualismus' und der 'Wissenschaft'?
()
... indem er Humanismus und Renaissance als die Erben der sterbenden imperialen Mächte definiert. Was sie mit Kirche und Kaiserreich gemein haben, ist der 'Universalitätsgedanke'. Mit der Renaissance beginnt ein 'drittes Imperium' unpolitischer Art, 'das in der Sphäre der Phantasie, der Sittlichkeit, der Lebenskunst regiert und die innere Natur des Menschen bestimmt. (...) Das neue, dritte Imperium, das so Dante, Petrarca, Rienzo und ihre Mitkämpfer heraufführten in der Sphäre des Geistes, nannte ich das Apollinische.
()
Es ist die Leistung von Burdachs Lebenswerk, gezeigt zu haben, daß in der italienischen Renaissance des 14. Jahrhunderts in den Personen Dantes, Petrarcas und Rienzos die zwei Aktivismen des Reiches des Geistes und des apollinischen Reiches ineinander verschmolzen sind, daß wir hier den historischen locus haben, an dem die Spekulation über das Dritte Reich in die säkularistische, intellektuelle und künsterlische Kultur der westlichen Zivilisation Eingang gefunden hat.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Das Volk Gottes

Titel: Das Volk Gottes

Stichwort: Bonifaz III, Unam sanctam, sektiererische Tendenz

Kurzinhalt: Bonifaz III, pneumatikos - psychikos, 1. Korintherbrief

Textausschnitt: () Das sektiererische Element enthüllt sich in der Unterscheidung zwischen pneumatici und psychici. Im Ersten Brief an die Korinther bezieht sich die Unterscheidung lediglich auf Christen und Nicht-Christen; die Bulle hingegen impliziert nicht, daß die psychici keine Christen sind; sie sind zwar Christen, aber von niedrigerem spirituellem Rang.
()
() So unglaublich es erscheinen mag, Bonifaz VIII. unternahm den Versuch, die geistigen und weltlichen Ordnungen des mittelalterlichen Christentums in ein gnostisches Reich umzuwandeln.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Das Volk Gottes

Titel: Das Volk Gottes

Stichwort: Dante, Weltmonarch, Herrscher, Philosoph

Kurzinhalt: Spirituelles Reich -> historische Existenz, Adel, Convivio, virtu propria; Vision, Appolinisches Reich, Zusammenfassung

Textausschnitt: () Wie schon in der Unam Sanctam werden wir mit dem Versuch konfrontiert, ein spirituelles Reich in historische Existenz heraufzubeschwören; und erneut ist die Methode zur Realisierung des Reichs die Schaffung eines neuen spirituellen Adels. Der Schlüssel zum Verständnis von Dantes Konzeption ist seine Übertragung der Idee des Adels vom feudalen Blutsadel auf einen intellektuellen Adel der Person.
()
Mit Dantes Beschwörung des apollinischen Imperiums ist die Übertragung der mystischen Spekulation auf das Medium des irdischen Intellekts prinzipiell vollendet. In Dantes eigenem Werk sowie in der Literatur seiner Zeit und der folgenden Generationen wird die Idee einer spirituell wiedergeborenen Menschheit in der Geschichte unterstützt durch eine Fülle an Symbolen ...
()
Der schicksalhafte Schritt wurde getan, als das Reich des kreativen Intellekts in der Wissenschaft und Kunst als das Reich der göttlichen Gnade etabliert wurde; das Reich der Kultur wird zu einem Reich spiritueller Vollkommenheit geweiht. Bei Dante selbst wird dieser neue Immanentismus der Vollkommenheit noch gezügelt durch den Transzendentalismus des Christentums

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die politischen Religionen

Titel: Die politischen Religionen

Stichwort: Intellektueller, Typus, Nationalsozialismus, Gegenpropaganda

Kurzinhalt: Typus des politisierenden Intellektuellen, Verdeckung des Wesentlichen, Tabuisierung der religiösen Frage

Textausschnitt: () Es gibt heute einen Typus des politisierenden Intellektuellen ... der seine tiefe Abneigung gegen den Nationalsozialismus in kräftigen ethischen Urteilen kundgibt; er hält es für seine Aufgabe und Pflicht, den Kampf mit allen ihm zur Verfügung stehenden literarischen Mitteln zu führen.
()
Der literarische Kampf als ethische Gegenpropaganda ist wichtig, aber er wird bedenklich, wenn er das Wesentliche verdeckt. Doppelt bedenklich: denn er lenkt die Aufmerksamkeit davon ab, daß sich hinter den ethisch verwerflichen Handlungen ein tieferes und gefährlicheres Übel verbirgt; und er wird in seinen eigenen Mitteln wirkungslos und fragwürdig, wenn er keinen tieferen Grund findet als einen sittlichen Kodex.
()
Die religiöse Frage ist für diese säkularisierten Geister tabu; und sie ernsthaft und radikal aufzuwerfen, scheint ihnen bedenklich

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die politischen Religionen

Titel: Die politischen Religionen

Stichwort: Staat, Definition, Pluralismus, Einheit, Hegel

Kurzinhalt: Pluralismus - Frage nach Abkunft; Hegel: Volk - Geist - Staat

Textausschnitt: () Quer, 3RLX149 Nr 9: also der Mensch im letzten die absolute und doch alles umfassende Einheit aller Wirklichkeit in sich selbst findet und nicht realisiert, daß er in seinem kreatürl. Pluralismus immer auf die ihm transzendent bleibende Einheit Gottes verwiesen ist
()
... an die Stelle des welttranszendenten Gottes tritt der Staat als die letzte Bedingung und der Ursprung seines eigenen Seins. Die wechselseitig sich hemmende Vielzahl
()
Der Geist, der Staat geworden ist, und nicht ein Zufall, habe darum die mechanischen Mittel der Tötung erfunden
()
Die Existenz des Menschen verliert in seinem Erlebnis an Realität, der Staat zieht sie an sich und wird zum wahrhaft Realen, aus dem ein Wirklichkeitsstrom zurückfließt

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die politischen Religionen

Titel: Die politischen Religionen

Stichwort: Religions, Gefühl, Beschreibung

Kurzinhalt: Nabel der Seele; Beschreibung des Urgefühls: Unendlichkeit, Abhängigkeit, Geworfensein, intentio, Wiedervereinigung

Textausschnitt: () Irgendwo in der Tiefe, am Nabel der Seele, dort wo sie am Kosmos hangt, zerrt es. Dort ist der Punkt jener Erregungen, die unzulänglich Gefühle genannt und darum leicht mit gleichnamigen oberflächlichen Bewegungen der Seele verwechselt werden. en. Ihre Natur ist nicht leicht zu fassen. Religiös bewegte Menschen beschreiben sie unter Bildern, die nur jene Züge treffen, die sie an ihren eigenen Erregungen erkennen. Sie sprechen vom Urgefühl ...

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die politischen Religionen

Titel: Die politischen Religionen

Stichwort: Religion, Erfahrung, Ausdruck analogia entis, Geistreligionen

Kurzinhalt: Religion, Mannigfaltigkeit transzendentaler Erfahrung, Selbstdeutung, verschiederneAufnahme der Wirklichkeit, Realissimum, Definition: innerweltliche Religion,

Textausschnitt: () In allen Richtungen, in denen die menschliche Existenz zur Welt hin offen ist, kann das umgebende Jenseits gesucht und gefunden werden: im Leib und im Geist, im Menschen und in der Gemeinschaft, in der Natur und in Gott. Die große Zahl der grundsätzlichen Möglichkeiten und die unendliche der geschichtlich-konkreten, die sich hier auftut, verbindet sich mit den Versuchen der Selbstdeutung ...
()
Wo immer ein Wirkliches im religiösen Erlebnis sich als ein Heiliges zu erkennen gibt, wird es zum Allerwirklichsten, zum Realissimum. Diese Grundwandlung vom Natürlichen zum Göttlichen hat zur Folge eine sakrale und wertmäßige Rekristallisation der Wirklichkeit um das als göttlich Erkannte.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die politischen Religionen

Titel: Die politischen Religionen

Stichwort: Symbol, Hierarchie

Kurzinhalt: Hierarchie als Symbol der Verbindung Mensch - Gott; Echnaton, Maimonides, Plotin, Dante, Ludwig XIV, Bodin, Hierarchie des Ämter - Dekapitierung Gottes

Textausschnitt: () Eine Grundform der Legitimierung der Herrschaft von Menschen über Menschen vollzieht sich im Symbol der Ausstrahlung von der göttlichen Spitze über die Hierarchie der Herrscher und Amter bis hinunter zum letzten gehorchenden Untertan.
()
Die staatsimmanente Hierarchie der Ämter und Normen hat sich verselbständigt und war fähig, nach der Dekapitierung Gottes sich mit jeder beliebigen legitimierenden Symbolik zu verbinden.
()
Bodin, der große Theoretiker des französischen Königtums, hat am Ende des 16. Jahrhunderts das Symbol der sakralen Hierarchie bis in die Einzelheiten der staatlichen und rechtlichen Stufenordnung durchrationalisiert.
()
Im übrigen ist die Stufenordnung Bodins das Bild der inneren Staatsordnung Europas geblieben bis in die säkularisierten neueren Rechtsstufentheorien. Die staatsimmanente Hierarchie der Ämter und Normen hat sich verselbständigt und war fähig, nach der Dekapitierung Gottes sich mit jeder beliebigen legitimierenden Symbolik zu verbinden.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die politischen Religionen

Titel: Die politischen Religionen

Stichwort: Symbol, Ekklesia, Sokrates

Kurzinhalt: Ekklesia, Abstammungsgemeinschaft, Polis, Mysterien, Sokrates

Textausschnitt: () Die Schließung einer herrschaftlich organisierten Gemeinschaft erfordert vor allem, daß die Gemeinschaft als Einheit mit einem in ihr selbst ruhenden Existenzzentrum erlebt wird.
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... weil es diesen Denkern noch nicht möglich war, die Schranken der sakral-politischen innerweltlichen Gemeinschaft zu durchbrechen und die Möglichkeit der gottesunmittelbaren religiösen Existenz zu erkennen.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die politischen Religionen

Titel: Die politischen Religionen

Stichwort: Symbol, Ekklesia, Paulus, corpus Christis, Adam

Kurzinhalt: Umbildungen der Ekklesia-Substanz, Sakrament der Königssalbung, Priesterweihe, Nationalsozialismus, Solidarität als säkularisierte christliche Karitas

Textausschnitt: () Die christliche Idee, wie sie in den Paulusbriefen und dem nahestehenden Hebräerbrief entwickelt wird, versteht die Ekklesia, die Gemeinde als den mystischen Leib Christi ...
()
... unterstützt wird die Analogie durch Reste der Abstammungssymbolik in der Idee des Christus als des zweiten Adam ...

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die politischen Religionen

Titel: Die politischen Religionen

Stichwort: Symbol, spiritual, temporal, Augustin

Kurzinhalt: civitas terrena, civitas Dei, Eroberung Roms, Vielzahl an Dualismen

Textausschnitt: () ... Einer der wichtigsten Faktoren in der Bildung der innerweltlichen Gemeinschaften war die Spaltung der Ekklesia nach den Linien von spiritual und temporal.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die politischen Religionen

Titel: Die politischen Religionen

Stichwort: Symbol, spiritual, temporal, Thomas, Aristoteles

Kurzinhalt: Feudalkirche, Polis, Vergleich: Aristoteles - Thomas, Friedrich II. - Gottmensch, Messiaskönig, Antichrist, erste innerweltliche politische Religion

Textausschnitt: () Die Rezeption der aristotelischen Staatslehre ermöglicht es Thomas, das Verhältnis der kirchlichen zur fürstlichen Funktion zu bestimmen. In den Inhalten der Politik folgend, weist Thomas dem Fürsten die Aufgabe zu, die weltliche Herrschaft über seine Untertanen so auszuüben, daß ihre materielle und geistige Existenz sie optimal befähigt, ihr Seelenheil zu verfolgen; die spirituelle Sorge ist Sache der Kirche.
()
Der griechische Denker bewegt sich noch im politisch-religiösen System der Polis. Der Sinn des persönlichen und des staatlichen Lebens werden analogisch verstanden und die Analogie über Mensch und Staat zu Welt und Gott erweitert. Das wertvollste Leben ist das Leben der Tätigkeit im Geiste, denn ...
()
... Nach der Eroberung Jerusalems und der Selbsterhöhung zum Messiaskönig spricht der Kaiser als Autokrator, als heidnischer Gottmensch. Die antike Justitia wird zur Staatstugend erklärt, ihr Kult zur Staatsreligion, das Volk zum Dienst gezwungen, das Triumphtor von Kapua als Altar errichtet. Der Papst erklärt den Kaiser zum Antichrist. Die erste innerweltliche politische Religion auf dem Boden der christlichen Ekklesia war entstanden.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die politischen Religionen

Titel: Die politischen Religionen

Stichwort: Symbol, Geschichtsdeutung, Joachim, DUX, Apokalypse

Kurzinhalt: Grundschema der religiösen Geschichtsdeutung, Joachim von Floris, Höherentwicklung der Menschheit zum idealen Endzustand, Aufklärung, die Orden des neuen Reiches

Textausschnitt: () Das Grundschema der religiösen Geschichtsdeutung ist schon in der paulinischen Gliederung der Weltgeschichte in die drei Reiche ... enthalten.
()
Joachim hat die Formel für eine Seelen- und Denkrichtung gefunden, die schon länger zur Öffentlichkeit und Geltung drängte, nach der das Reich Christi nicht ...
()
Die christliche Reichsapokalypse und der Symbolismus des Spätmittelalters bilden den geschichtstiefen Untergrund der apokalyptischen Dynamik in den modernen politischen Religionen.
()
Die ansteigende Linie der Vollkommenheit geistigen Seins ist zu einem der stärksten Elemente der innerweltlichen Dynamik seit der Renaissance geworden, im Glauben an die perfectibilitas der menschlichen Vernunft, an die unendliche Höherentwicklung der Menschheit zum idealen Endzustand in der Aufklärung ...

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die politischen Religionen

Titel: Die politischen Religionen

Stichwort: Symbol, Leviathan, Hobbes, Nation, innerweltliche Ekklesia (Paulus)

Kurzinhalt: Gottunmittelbarkeit des Staates, Commonwealth, Gemeinschaft als Kollektivperson, partikuläre innerweltliche Ekklesia, Souverän - Kirchenhaupt, Herrscher - Gottesmittler

Textausschnitt: () Der große Theologe der partikulären gottesunmittelbaren Ekklesia war Hobbes. Er wird oft als Theoretiker der absoluten Monarchie verstanden; er war auch das, aber er war mehr, denn er hat das Symbol des Leviathan geschaffen, des unmittelbar unter Gott stehenden und im göttlichen Auftrag gegenüber den Untertanen omnipotenten Staates.
()
... die vorher gestaltlose Vielzahl von Menschen wählt sich nicht einen Herrscher, sondern verbindet ihre Vielheit zu der Einheit einer Person; die Vielzahl wird zur Einheit des Commonwealth ...
()
aber von Gott geht die Hierarchie nach unten nicht mehr zu Personen, welche die Ränge der Ekklesia besetzt halten, sondern zu der Gemeinschaft als einer Kollektivperson; sie geht zum Souverän nicht als dem Herrscher über Untertanen, sondern als dem Persönlichkeitsträger des Commonwealth.
()
Wenn man geschichtliche Vergleiche ziehen will, dann müßte man Hobbes für die partikuläre innerweltliche Ekklesia eine ähnliche Stelle zuerkennen wie Paulus für die Symbolschöpfung der christlichen Gemeinschaft. Die neue Gemeinschaft gewinnt ihre Einheit durch den Souverän in der gleichen symbolisch-mystischen Weise wie die paulinische Ekklesia durch Pneuma und Kephale des Christus. Das weltliche Substrat des Commonwealth sind die partikulären Nationen
()
Jedes Commonwealth sei für sich eine christliche Ekklesia, wenn sein Souverän Bibel und Christentum durch Staatsgesetz verbindlich macht; der Staat sei dann zugleich Kirche, mit dem Souverän als Kirchenhaupt, unmittelbar unter Gott, ohne Vermittlung des Vicarius Christi. Ein spirituales Commonwealth als Kirche, die nicht Staat ist, sei widersinnig; die Unterscheidung von spiritual und temporal sei nur in die Welt gesetzt worden
()
Die christlichen Herrscher sind die Inhaber der ekklesiastischen Gewalt, und durch ihre Vermittlung wird die Gottesherrschaft in dieser Welt über die ihnen unterworfenen Ekklesiae wiederhergestellt.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die politischen Religionen

Titel: Die politischen Religionen

Stichwort: Innerweltlichkeit, innerweltliche Religiosität

Kurzinhalt: Neue Innerweltlichkeit, neue Götter, Kant, Fichte, Comte, Zweck - Mittel: Ignatius, Kollektivexistenz;

Textausschnitt: () Die Welt als Inhalt hat die Welt als Existenz verdrängt ... seit dem 19. Jahrhundert wird über große Perioden bis zur Gegenwart das Wort 'metaphysisch' zum Schimpfwort ...
()
Die Menschen können den Weltinhalt so anwachsen lassen, daß Welt und Gott hinter ihm verschwinden, aber sie können nicht die Problematik ihrer Existenz aufheben. Sie lebt in jeder Einzelseele weiter, und wenn Gott hinter der Welt unsichtbar geworden ist, dann werden die Inhalte der Welt zu neuen Göttern; wenn die Symbole der überweltlichen Religiosität verbannt werden, treten neue, aus der innerweltlichen Wissenschaftssprache entwickelte Symbole an ihre Stelle
()
... Wenn an die Stelle Gottes die innerweltliche Kollektivexistenz rückt, wird die Person zum dienenden Glied des sakralen Weltinhaltes ...

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die politischen Religionen

Titel: Die politischen Religionen

Stichwort: Echnathon, Horus, Re, Amon-Re, Aton, Echnaton

Kurzinhalt: Lokalgottheit -> Aton, König als Mittler, König = Gott, Dynastie, Amenothep, Memphis, Theben, Aton-hymnen

Textausschnitt: () Der König ist der Mittler zwischen den Menschen und den Göttern, er allein hat theoretisch das Recht, die Götter zu verehren, aber praktisch ...
()
Beim Übergang von der vierten zur fünften Dynastie (etwa 27 - 50 v. Chr. eg: Fehler) war der Kampf der Priesterkollegien für den Sonnengott von Heliopolis, den Re, entschieden ...
()
... der König wurde zum leiblichen Sohn des Re, und Re erschien jedesmal auf Erden, um der Vater des Königs zu werden.
()
Amenothep IV. führt den Aton als den höchsten Gott ein. Zwar bestreitet er nicht seine Identität mit dem Re, aber seine Absicht geht über den Kult der Sonne, als des sichtbaren Gottes, hinaus. Aton ist nicht die Sonnenscheibe, sondern 'die Glut, die in der Sonne ist', Aton ist 'der Herr der Sonne', der neue Gott ist das lebenspendende Prinzip als solches, wie es in der Wirkung der Sonne sich offenbart.
()
Da der König selbst Gott ist, gehen die göttliche und die menschliche Sphäre ineinander über. Das menschlich eroberte Reich und die göttlich erschaffene Welt, menschliche und göttliche Herrschaft, menschliche und göttliche Schöpfung lassen sich nicht genau unterscheiden.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die politischen Religionen

Titel: Die politischen Religionen

Stichwort: Echnaton, Aton-Hymnen, Erlöser, Gottesunmittelbarkeit, Staatskult

Kurzinhalt: Aton als Weltgott, kein Erlöser aller Menschen, Herrscher, Gottessohn, ewige Schöpfung, Osiris, Totenkult

Textausschnitt: () Aton ist ein Weltgott, seine schöpferische Liebe und Fürsorge erstreckt sich auf alles Leben, auf die ganze Erde und alle Menschen ohne Unterschied der Rasse und der Sprache
()
Der Bruch mit der orthodox-ägyptischen Tradition ist sehr scharf: ... Er war die erste große religiöse Individualität der Weltgeschichte.
()
Die alte Hierarchie der sakralen Substanz bleibt erhalten. Nur durch den Gottessohn ist die Schöpfung rückverbunden zu dem Schöpfer, der sie aus sich entlassen hat. Nur ein einziges Individuum der Welt lebt in unmittelbarer Beziehung zu Gott, der Mittler, der König. Nur er weiß um den Willen des Herrn
()
Ontologisch setzte der Sonnenkult an die Probleme von Welt und Staat, der Osiriskult an das Schicksal der Einzelseele an
()
die monotheistische Rationalisierung hätte sich vielleicht durchsetzen können, wenn der König im übrigen fähig gewesen wäre, die Expansionskraft des Staates zu erhalten. Die Volksreligion aber war vernichtet worden, ohne daß der Atonkult für sie einen Ersatz geboten hätte.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die politischen Religionen

Titel: Die politischen Religionen

Stichwort: Symbol, Volksgeist, innerweltliche ekklesia, Dekaptivierung Gottes, Führer, Leviathan

Kurzinhalt: Legitimierungsquelle: die Gemeinschaft selbst; Romantik, Mussolini, Leviathan -> Faschismus, Nationalsozialismus, Ausleseprinzip, Führer, Persönlichkeitsstatus der Volksgenossen

Textausschnitt: () In der vollendet innerweltlichen Symbolik wird nun die Verbindung zu Gott durchschnitten, und an seine Stelle tritt als Legitimierungsquelle der Gemeinschaftsperson die Gemeinschaft selbst.
()
Der Führer ist die Stelle, an der der Volksgeist in die geschichtliche Realität einbricht; zum Führer spricht der innerweltliche Gott wie der überweltliche zu Abraham, und der Führer formt die Gottesworte um zum Befehl an die engere Gefolgschaft und an das Volk.
()
... der Führer ist in der deutschen Theorie der 'Repräsentant' im gleichen Sinne, wie der Souverän des Hobbes der Repräsentant, der Persönlichkeitsträger des Commonwealth ist. Ein gewisser Unterschied besteht an diesem Punkt zwischen der italienischen und der deutschen Symbolik insofern, als der italienische Volksgeist mehr spirituell verstanden wird, während in der deutschen der Geist blutgebunden ist und der Führer zum Sprecher des Volksgeistes und Repräsentanten des Volkes kraft seiner rassenmäßigen Einheit mit dem Volk wird.
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die Volksabstimmung ist Bekenntnis zum Führer, nicht Kundgabe eines eigenen Willens. Wenn daher die Abstimmung den Führerwillen nicht bestätigt, braucht der Führer nicht vor dem Volkswillen zurückzuweichen

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die politischen Religionen

Titel: Die politischen Religionen

Stichwort: Glaube, Symbol, Kreatürlichkeit, Führer, Erlöser

Kurzinhalt: Glaube -> Symbol, Führer als Erlöser, Gral, Gerhard Schumann: Führer-Hymnen

Textausschnitt: () ... wir wollen hinabsteigen zu den Ursprüngen, zu den Kräften, welche die symbolischen Formen schaffen. Gerhard Schumanns 'Lieder vom Reich ... Sie haben als religiöse Erregungen ihre Wurzeln im Erlebnis der Kreatürlichkeit; aber das Realissimum, in dem sie sich erlösen, ist nicht, wie im christlichen Erlebnis, Gott, sondern das Volk und die Bruderschaft der verschworenen Gefährten, und die Ekstasen sind nicht geistig, sondern triebhaft, und münden im Blutrausch der Tat.
()
... und der Führer, der nach dem Ringen mit Gott als Heiland vom Berg herabsteigt, um das Volk zu erlösen, erlöst die Einzelseele, die sich dem Dienst am Gral, dem Bau am Dom des Reiches, verschworen hat.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die politischen Religionen

Titel: Die politischen Religionen

Stichwort: Symbol, Epilog, Fazit, Elemente, Seinsordnung, Abkehr

Kurzinhalt: Gemeinschaft immer auch -> ein Bereich religiöser Ordnung, Elemente der Symbolsprache: Hierarchie, Ekklesia, Apokalypse Gottesmittler

Textausschnitt: () Das Leben der Menschen in politischer Gemeinschaft kann nicht als ein profaner Bezirk abgegrenzt werden, in dem wir es nur mit Fragen der Rechts- und Machtorganisation zu tun haben. Die Gemeinschaft ist auch ein Bereich religiöser Ordnung, und die Erkenntnis eines politischen Zustandes ist in einem entscheidenden Punkt unvollständig, wenn sie nicht die religiösen Kräfte der Gemeinschaft und die Symbole, in denen sie Ausdruck finden, mitumfaßt, oder sie zwar umfaßt, aber nicht als solche erkennt, sondern in a-religiöse Kategorien übersetzt.
()
In jeder der Hochkulturen sind Elemente der symbolischen Formensprache wiederzufinden ...: die Hierarchie ... die Ekklesia ... Apokalypse ... die heiligen Könige als Gottesmittler und Persönlichkeitsträger der Gemeinschaft.
()
Es ist nicht gleichgültig, wie der Bereich menschlich-politischer Organisation in die Seinsordnung eingegliedert wird.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Autobiographische Reflexionen

Titel: Autobiographische Reflexionen

Stichwort: Ideengeschichte, Erfahrung, Repräsentation, Gnostizismus

Kurzinhalt: Politische Ideen -> Symbolerfahrung, koinai ennoiai der Stoa, Locke, existentielle, transzendente Repräsentation

Textausschnitt: () ... ging mir auf, daß der Begriff einer Ideengeschichte eine ideologische Deformierung der Realität ist. Es gab keine Ideen, wenn es keine Symbole unmittelbarer Erfahrungen gab.
()
Lockes Essay concerning Human Understanding von 1690. Locke stellte ihre Gültigkeit in Frage, um zu den Erfahrungen zurückzukehren, die die Ideen hervorbringen.
()
Ich hatte entdeckt, daß diese existentielle Repräsentation stets den Kern einer effektiven Regierung bildete, unabhängig von dem formalen Verfahren, durch das die existentiell repräsentierende Regierung an die Macht gekommen war.
()
'transzendente' Repräsentation. Mit transzendenter Repräsentation meinte ich die Symbolisierung der Regierungsfunktion als Vertretung der göttlichen Ordnung im Kosmos.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Autobiographische Reflexionen

Titel: Autobiographische Reflexionen

Stichwort: Gnostizismus, egophanische Revolte

Kurzinhalt: Gnostizismus, metastatische Apokalypse, Immanentisierung -> Moderne; Neuplatoniker, kosmische Ordnung, amor Die, amor sui, egophanische Revolte, Isaia, Magie

Textausschnitt: () ... daß die Idee, moderne Phänomene als gnostische zu interpretieren, nicht so originell ist, wie es den Ignoranten erscheint, die mich deswegen kritisierten.
()
Die Anwendbarkeit der Kategorie des Gnostizismus auf moderne Ideologien ist selbstverständlich stichhaltig. In einer vollständigen Analyse müssen jedoch auch andere Faktoren berücksichtigt werden.
()
Darüber hinaus entdeckte ich, daß weder der apokalyptische noch der gnostische Aspekt den Prozeß der Immanentisierung ausreichend erklärt. Dieser Faktor hat eigenständige Wurzeln in dem Wiederaufleben des Neuplatonismus im späten 15. Jahrhunden.
()
Der Begriff egophanische Revolte, der jene Erfahrung des überheblichen Ego von der theophanischen Verfaßtheit der Menschheit abgrenzt, scheint mir momentan die beste terminologische Lösung zu sein.
()
Die Annahme des Propheten, daß durch einen Akt des Glaubens die Struktur der Realität nachhaltig verändert werden könne, bedurfte der Erklärung.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Autobiographische Reflexionen

Titel: Autobiographische Reflexionen

Stichwort: Husserl, William James, Plato, metaxy, anamnesis, Partizipation

Kurzinhalt: Theorie des Bewusstseins: Husserl, James, anamnesis, Aufgabe d. Philosophie, Erfahrung des Partizipierens: Zentrum des Bewusstseins

Textausschnitt: 1/18 Wesentliche Fortschritte bei dem Verständnis der Probleme, die mich die vierziger Jahre hindurch und auch bei meiner Arbeit an Order and History beschäftigten, habe ich meiner Korrespondenz mit Alfred Schütz über das menschliche Bewußtsein zu verdanken. Diese Briefe wurden erst 1966 als der erste Teil meines Werkes Anamnesis veröffentlicht. Ursache für die Korrespondenz mit Schütz war die Lektüre von Edmund Husserls Krisis der europäischen Wissenschaften. Diese Untersuchung interessierte mich sehr aufgrund des großen historischen Bogens, den Husserl hierin von Descartes bis hin zu seinem eigenen Werk schlug. Aber sie verärgerte mich auch in einem hohen Maße wegen der hier zum Ausdruck kommenden, ziemlich naiven Arroganz eines Philosophen, der glaubte, daß mit seiner Methode der Phänomenologie letztendlich der, wie er es nannte, apodiktische Horizont der Philosophie erreicht worden sei und daß von nun an jeder, der ein wahrer Philosoph sein wollte, in der Nachfolge Husserls zu stehen habe. Diese arrogante Haltung erinnerte mich zu sehr an verschiedene andere Philosophien wie die von Hegel oder Marx und ebenso an die Auffassung der Nationalsozialisten, daß sie die endgültige Wahrheit gefunden hätten. (90; Fs)

2/18 Vor allem Husserls Anmaßung, von sich selbst als Sachwalter des Geistes zu sprechen, stieß mich ab. Diese Sprache erinnerte mich an meine gerade erst gemachten Erfahrungen mit Funktionären ganz anderer Art. Meine frühere Analyse des Bewußtseins in Über die Form des amerikanischen Geistes fand nun ihre Fortsetzung in einer ausführlichen Kritik von Husserls Theorie des Bewußtseins. Der entscheidende Punkt dabei war, daß er die sinnliche Wahrnehmung der Dinge der externen Welt zum Modell des Bewußtseins erhob. Wenngleich die intellektuelle Schärfe der Analyse, mit der er dieses Modell der Wahrnehmung entwickelte, nicht zu bestreiten war, so erschien es mir doch lächerlich zu sagen, daß das Bewußtsein nichts anderes als das Bewußtsein von Objekten der äußerlichen Welt sei. (90f; Fs)

3/18 Zu jener Zeit, im Jahre 1942, wußte ich bereits genug über die klassische, die patristische und die scholastische Philosophie, um zu erkennen, daß die Denker, die ihre Philosophie auf eine Analyse des Bewußtseins gegründet hatten, eine Reihe von Phänomenen untersucht hatten, die jenseits der Wahrnehmung von Gegenständen der äußeren Welt lagen. Ich beschäftigte mich deswegen mit der Frage, welche Erfahrungen nun wirklich das Bewußtsein des Menschen konstituieren. Ich tat dies durch eine anamnesis, die Wiedererinnerung an entscheidende Erfahrungen in meiner Kindheit. Und so schrieb ich auch tatsächlich zwanzig kurze Skizzen, die jeweils eine jener frühen Erfahrungen wiedergeben, so daß insgesamt so etwas wie eine intellektuelle Autobiographie bis zum Alter von zehn Jahren entstand. (91; Fs)

4/18 Die beschriebenen Phänomene waren eindeutig dem Bereich des Bewußtseins zuzuordnen, weil sie mein Bewußtsein von verschiedenen Bereichen der Realität im Kindesalter widerspiegelten. Und diese Erfahrungen hatten sehr wenig zu tun mit Objekten der Sinneswahrnehmung. Eine der Erfahrungen, die so tief saßen, daß ich mich noch vierzig Jahre später daran erinnern konnte, war beispielsweise die Geschichte des Mönches von Heisterbach. Heisterbach war die Ruine eines mittelalterlichen Klosters in der Nähe von Königswinter. Wir machten oft unseren Sonntagsausflug dorthin. Der Mönch von Heisterbach war eine mythische Figur. Er verirrte sich, um nach tausend Jahren zurückzukehren und zu entdecken, daß diese tausend Jahre für ihn wie ein einziger Tag verstrichen waren. (91; Fs)

5/18 Solche Formen der Konzentration und Verkürzung von Zeiträumen bildeten, obwohl sie eindeutig nicht Probleme sinnlicher Wahrnehmung sind, entscheidende Elemente zumindest meines Bewußtseins, wenn auch nicht bei Husserl. In dieser An und Weise setzte ich mich mit Erfahrungen auseinander wie beispielsweise den Ängsten und der Faszination, die ich empfand, wenn ich mit Hans Christian Andersen in einem seiner Märchen am Ende der bekannten Welt stand und nach Norden in einen geheimnisvollen, unendlichen Horizont schaute. Oder Erfahrungen festlicher Aufgeregtheit im Leben, die ich empfand, als Schiffe des Nachts den Rhein hinunterfuhren, auf denen Feste gefeiert wurden. (91f; Fs)

6/18 Diese Art von Erfahrungen konstituiert Bewußtsein; und dies ist das wahre Bewußtsein, das ein Mensch besitzt, es sei denn, jemand beharrt darauf, daß meine Kindheit völlig anders als die aller anderen Kinder in der Menschheitsgeschichte gewesen wäre. Diese Erfahrungen der Partizipation in den verschiedenen Bereichen der Realität bilden den Horizont der Existenz in der Welt. Die Betonung liegt auf Erfahrungen der Realität in der Mehrzahl: Ihnen gegenüber gilt es, offen zu sein und sie in Balance zu halten. Dies ist es, was ich unter der Haltung eines Philosophen verstanden habe, und dies ist auch die Haltung, die ich in der offenen Existenz aller großen Philosophen entdeckt habe, auf die ich bis dahin gestoßen war. Diese Offenheit der Realität wiederherzustellen, erschien mir als die zentrale Aufgabe der Philosophie. (92; Fs)

7/18 Für die Analyse der Erfahrungen war ein spezifisches technisches Vokabular erforderlich. Glücklicherweise mußte ich dabei nicht bei Null anfangen, sondern ich konnte Stück für Stück von anderen Philosophen lernen, die denselben Prozeß durchgemacht und bereits Begriffe entwickelt hatten, mit denen sie die analytischen Schritte in der Erforschung ihrer Erfahrungen bezeichnen konnten. Das Zentrum des Bewußtseins, so entdeckte ich, bildete die Erfahrung des Partizipierens, d. h. die Realität, in Kontakt mit der Realität außerhalb meiner selbst zu sein. Dieses Bewußtsein vom Partizipieren als dem zentralen Problem wurde verstärkt durch die Analyse von Mythen, wie sie von den Mitgliedern des Oriental Institute in Chicago unter der Kategorie der Konsubstantialität durchgeführt, von Henri und H. A. Frankfort konzipiert und wahrscheinlich von Lucien Lévy-Bruhl übernommen wurde. Wäre der Mensch nicht konsubstantiell mit der Realität, die er erfährt, dann könnte er sie gar nicht erfahren. (92; Fs)

8/18 Aus der Philosophie erhielt ich wesentliche Bestätigung durch den radikalen Empirismus des William James. James' Studie zur Frage 'Does 'Consciousness' Exist?' aus dem Jahre 1904 erschien mir damals wie heute als eines der wichtigsten philosophischen Schriften des 20. Jahrhunderts. Bei der Entwicklung seiner Theorie der reinen Erfahrung berührte James das Problem der Realität des Bewußtseins vom Partizipieren, insofern als seine reine Erfahrung sowohl mit dem subjektiven Strom des Bewußtseins als auch mit dem Gegenstand der äußeren Welt in Zusammenhang gebracht werden kann. Diese grundlegende Einsicht von James setzt das, was zwischen dem Subjekt und dem Objekt des Partizipierens liegt, mit der Erfahrung gleich. Später fand ich heraus, daß dieselbe Art der Analyse in einem weit größeren Maßstab von Platon vorgenommen worden war und in seinem Begriff des metaxy - des Zwischen - ihren Niederschlag gefunden hatte. Die Erfahrung ist weder im Subjekt, noch in der gegenständlichen Welt, sondern im Zwischen. Das heißt: zwischen den beiden Polen Mensch und Realität, die dieser erfährt. (92f; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Autobiographische Reflexionen

Titel: Autobiographische Reflexionen

Stichwort: Bewusstsein, Symbol, Zwischen-Realität, metaxy, Symbol, Sprache

Kurzinhalt: Zwischen-Charakter der Erfahrung, Hypostasierung d. Pole d. Erfahrung, Symbol: Prozess der partizipierenden Erfahrung, Wort Gottes, göttliche Präsenz

Textausschnitt: () Der Zwischen-Charakter der Erfahrung wird besonders wichtig beim Verstehen der Antwort auf die Bewegung der göttlichen Gegenwart. Denn die Erfahrung solcher Bewegungen ist nicht in dem Bewußtseinsstrom des Menschen ... angesiedelt, sondern in dem Zwischen des Göttlichen und des Menschlichen. Die Erfahrung ist die Realität sowohl der göttlichen, als auch der menschlichen Gegenwart. Und erst nachdem sie sich ereignet hat, kann sie entweder dem menschlichen Bewußtsein oder - unter dem Begriff der Offenbarung - dem göttlichen Bereich zugeordnet werden.
()
Eine ganze Reihe von Problemen aus der Geschichte der Philosophie erwiesen sich nun als Hypostasierungen der Pole einer reinen Erfahrung im Sinne von William James oder der metaxy-Erfahrungen im Sinne Platons. Mit Hypostasierungen meine ich die trügerische Auffassung, daß die Pole der partizipierenden Erfahrung voneinander getrennte Entitäten sind, die bei einer Erfahrung in einen mysteriösen Kontakt treten. Mit Sicherheit liegt hier ein Mysterium vor, aber auch ein Mysterium kann deutlich ausgedrückt werden, indem die partizipierende Realität der Erfahrung als der Ort des Bewußtseins herausgestrichen und die Pole der Erfahrung als ihre Pole und nicht als in sich abgeschlossene Entitäten verstanden werden.
()
Der Begriff Bewußtsein konnte deshalb für mich nicht länger ein menschliches Bewußtsein, das sich einer Realität außerhalb seiner selbst bewußt ist, meinen, sondern mußte die Bedeutung annehmen von der Zwischen-Realität der partizipierenden reinen Erfahrung, die dann analytisch mit Begriffen wie die Pole von Erfahrungsspannung und die Realität der Erfahrungsspannung im metaxy bezeichnet werden kann.
()
Symbole stellen das sprachliche Phänomen dar, das durch den Prozeß der partizipierenden Erfahrung hervorgebracht wird. Die sprachlichen Symbole, die eine Erfahrung ausdrücken, sind keine Erfindungen eines immanentistischen Bewußtseins, sondern im Prozeß der Partizipation selbst entstanden. Deshalb partizipiert die Sprache am metaxy-Charakter des Bewußtseins.
()
... daß Symbole nicht einfach eine göttliche Realität außerhalb des Bewußtseins bezeichnen, sondern in gewissem Sinne die göttliche Präsenz selbst sind.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Autobiographische Reflexionen

Titel: Autobiographische Reflexionen

Stichwort: Ordnung, Unordnung, Entfremdung, allotriosis, Stoa, Revolte, System

Kurzinhalt: allotriosis, deformierten Existenz: Interpretation der Realität, egophanische Revolte,

Textausschnitt: () In der Psychopathologie der Stoiker bedeutet allotriosis einen Zustand der Abkehr vom eigenen Selbst, das durch die Spannung zum göttlichen Grund der Existenz konstituiert wird. Insofern als der göttliche Grund der Existenz in der Philosophie der Klassik und der Stoa der logos oder die Quelle der Ordnung in dieser Welt ist, stellt die Abkehr vom eigenen Selbst, das durch diese ordnende Kraft entsteht, eine Abkehr von der Vernunft in der Existenz dar.
()
Die Kategorien der Stoiker können auf moderne Phänomene der Ideologie übertragen werden, in denen der Zustand der Entfremdung weitaus häufiger als der Zustand der Existenz in Spannung zum Grund als Erfahrungsbasis für das Verstehen der Realität genutzt wird. ... Man kann nicht gegen Gott revoltieren, ohne gleichzeitig gegen die Vernunft zu revoltieren, und umgekehrt. Diese Interpretationen der Realität auf der Basis einer deformierten Existenz, welche nicht mehr offen gegen den Grund ist und deswegen die Erfahrung des Grundes aus jeglicher Betrachung der Realität ausklammern muß, hat einige typische Phänomene zur Folge.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Autobiographische Reflexionen

Titel: Autobiographische Reflexionen

Stichwort: Realität, Wiedergewinnung, Deformierung, Methode, Regel, Apperzeptionsverweigerung

Kurzinhalt: Wiedergewinnung der Realität, Methode: welche Erfahrung liegt hinter dem Symbol, zweite Realität (Musil), Apperzeptionsverweigerung ( Doderer)

Textausschnitt: () Die Wiedergewinnung der Realität vor dem Hintergrund ihrer allgegenwänigen Deformierung erforden beträchtliche Anstrengungen. Man muß die fundamentalen Kategorien der Existenz, der Erfahrung, des Bewußtseins und der Realität wieder neu entwickeln. Gleichzeitig sind Technik und Struktur jener Deformationen zu erforschen ...
()
Oberste methodologische und vielleicht wichtigste Regel für mich ist, auf die Erfahrungen zurückzugehen, welche Symbole hervorbringen. Kein sprachliches Symbol kann heute einfach bona fide als Symbol akzeptiert werden. Dazu ist die Korruption der Sprache zu weit fortgeschritten.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Autobiographische Reflexionen

Titel: Autobiographische Reflexionen

Stichwort: Apperzeptionsverweigerung, Frageverbot, Ideologie, Bewusstsein, Reduktion

Kurzinhalt: Frageverbot, Aussparung von Realität, modernes Bewusstsein: Sinneserfahrung,

Textausschnitt: () Die Weigerung der Apperzeption ist für mich zu einem der zentralen Begriffe im Verständnis ideologischer Verirrungen und Deformationen geworden. Sie tritt in verschiedenen Varianten in Erscheinung ...
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Begreift man das Frageverbot als wichtigste Strategie in allen ideologisch geführten Debatten, dann hat man zumindest ein wichtiges Kriterium zur Diagnose von Ideologien ermittelt: der Zweck der Diagnose besteht darin, zu bestimmen, welcher Teil der Realität ausgespart wurde, damit die Konstruktion eines trügerischen Systems möglich wird.
()
Begreift man das Frageverbot als wichtigste Strategie in allen ideologisch geführten Debatten, dann hat man zumindest ein wichtiges Kriterium zur Diagnose von Ideologien ermittelt: der Zweck der Diagnose besteht darin, zu bestimmen, welcher Teil der Realität ausgespart wurde, damit die Konstruktion eines trügerischen Systems möglich wird.
()
Charakteristisch für das, was man 'moderne Auffassung des Bewußtseins' nennen könnte, ist die Anlehnung an das Modell der Sinneswahrnehmung von Objekten der äußeren Realität. Diese Beschränkung der Auffassung vom Bewußtsein auf die Wahrnehmung von Gegenständen der äußeren Realität wird im 19. Jahrhunden zum mehr oder weniger versteckten Kunstgriff beim Entwurf von Systemen.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Autobiographische Reflexionen

Titel: Autobiographische Reflexionen

Stichwort: Symbol, Deformierung, Entfremdung, allotriosis, Metaphysik, periagoge, epistrophe, apostrophe

Kurzinhalt: Deformation d. Symbole, propositionale Metaphysik, allotriosis, Stoiker, Polis, epi-, apostrophe: Hin-, Abwendung Grund, pathologisch

Textausschnitt: () Wenn die Erfahrung von Objekten in der äußeren Welt zur allgemeinen Struktur des Bewußtseins verabsolutiert wird, dann werden automatisch alle geistigen und intellektuellen Phänomene ausgeklammert, die mit den Erfahrungen des göttlichen Grunds verknüpft sind. Da sie jedoch nicht völlig negiert werden können ..., müssen sie zu Aussagen über eine transzendente Realität verformt werden. Diese Deformation der von den Philosophen und Propheten geschaffenen Symbole stellt eines der entscheidendsten Phänomene in der Geschichte der Menschheit dar.
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... Frage, warum Menschen sich auf das Spiel der propositionalen Metaphysik und auf die den propositionalen Ideologien folgenden Orthodoxien überhaupt einlassen. Auf welche Erfahrung gründet sich das Motiv für die großen modernen Dogmatomachien, die im 16. Jahrhundert aufkamen und nun seit über vierhundert Jahren andauern ...
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Die Deformationen setzten in der klassischen Antike zu der Zeit ein, als der Mythos der polis nichts weiter als eine leere Hülle darstellte
() Hinwendung zu und Abwendung vom göttlichen Grund werden zu den grundlegenden Kategorien in der Beschreibung der Zustände von Ordnung und Unordnung in der menschlichen Existenz.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Autobiographische Reflexionen

Titel: Autobiographische Reflexionen

Stichwort: Zeitalter, ökumenisches, Zivilisation, Toynbee

Kurzinhalt: Ökumenisches Zeitalter, Achsenzeit, Ökumene, 3 Merkmale: geistiger Ausbruch, Reich, Geschichtsschreibung

Textausschnitt: () Das ökumenische Zeitalter stellt jene Epoche in der Geschichte der Menschheit dar, die in etwa in der Zeit Zarathustras und der Anfänge der Eroberungsfeldzüge der Achämeniden einsetzt und bis hin zum Ende des Römischen Reiches dauert. Es ist die Zeit, in der die kosmologische Auffassung der Realität einem neuen Realitätsverständnis Platz machte ...
()
Mit dem bereits erwähnten ökumenischen Bewußtsein ist gemeint, daß die Akteure und Zeitgenossen, man denke etwa an Herodot, Polybios oder an die ersten chinesischen Historiker ... die Ereignisse der imperialen Expansion als Entdeckung und Eroberung der - wie sie es nannten - Ökumene verstanden.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Autobiographische Reflexionen

Titel: Autobiographische Reflexionen

Stichwort: Reich, orthodox, moderne Deformation, Entfremdung, Vielfalt

Kurzinhalt: Ökumenische -> orthodoxe Reiche, moderne Epoche, Ausklammerung von Realität; Faktum der Vielfalt

Textausschnitt: () Auf die ökumenischen Reiche und ihre Unordnung folgten orthodoxe Reiche ...
()
Orthodoxe Reiche sind dem Zerfall preisgegeben, sobald bedeutendere Erscheinungen wie die Wiederentdeckung der heidnischen Antike und die gleichzeitige Expansion der Naturwissenschaften das Bewußtsein der Menschen im Abendland für Realitätsbereiche öffnen, die von der staatlich sanktionierten Orthodoxie ausgeklammert waren. In diesem Sinne stellt die moderne Epoche den Prozeß der Auflösung der imperialen Orthodoxie durch ein neues Bewußtsein von der Realität dar. Dieses neue Bewußtsein kann jedoch ... selbst zu einem orthodoxen System entarren ...
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Die moderne Deformation könnte man als eine Orthodoxie der Entfremdung bezeichnen, die den wichtigsten Bereich der Realität - die Beziehung des Menschen zum göttlichen Grund - aus dem Bewußtsein ausschließt.
()
Wir stehen vor dem gleichen Problem wie die Gründer der früheren ökumenischen sowie der späteren orthodoxen Reiche: das Faktum der ethnischen und kulturellen Vielfalt in der Menschheit.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Autobiographische Reflexionen

Titel: Autobiographische Reflexionen

Stichwort: Realität, Konstanz, Kompaktheit, Differenzierung, Ausblendung

Kurzinhalt: Konstanz der Realität, Ausblendung, Aristoteles

Textausschnitt: () Die Realität, die sogenannte Primitive erfahren, ist keine andere als die, die der Mensch in der Moderne erfährt ... Aristoteles ... hatte begriffen, daß seiner philosophischen Analyse der Realität genau dieselbe Realität zugrundelag, die auch die älteren 'theologisierenden' Denker, die ihre Erfahrungen noch im Mythos ausdrückten, erfahren hatten.
()
Wenn eine neue Stufe in der Differenzierung erreicht ist, wird der neu artikulierte Bereich der Realität als ein Bereich von besonderer Bedeutung verstanden ... Der gravierendste Fall einer solchen Ausblendung ereignete sich in der Moderne, als die neu differenzierten Naturwissenschaften an Bedeutung gewannen. Das Modell von der Vernunft, wie sie in der kognitiven Wahrnehmung der äußeren Welt wirksam ist, avancierte zum Modell von Vernunft schlechthin

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Autobiographische Reflexionen

Titel: Autobiographische Reflexionen

Stichwort: Realität, Differenzierung, Ausblendung, Christentum, Offenbarung, Paulus, Platon, Thomas

Kurzinhalt: Offenbarung, Prophet, Parallelphänomen: griechische Philosophie - israelitisch-christliche Offenbarung, noetische, pneumatische Theophanie: Platon, Paulus

Textausschnitt: () Da Offenbarung (die Differenzierung pneumatischen Bewußtseins) etwas völlig Neues darstellte, eine Epoche in der Geschichte markierte, wurde die Existenz der pneumatischen Schicht in der kompakten Form des früheren menschlichen Denkens vernachlässigt und sogar geleugnet ... Daß die griechischen Denker sich völlig bewußt waren, daß sie eine Offenbarung empfangen hatten, als sie den Nous als den Grund des Seins entdeckten, wurde einfach ignoriert.
()
Man kann von theophanischen Ereignissen und Erfahrungen sowohl im noetischen als auch im pneumatischen Kontext der griechischen Philosophie wie der israelitisch-christlichen Offenbarung sprechen. Ist die Parallele erst einmal erkannt, dann kann man die Unterschiede zwischen der noetischen Theophanie Platons und der pneumatischen Theophanie des Paulus untersuchen.
()
Thomas von Aquin ... wußte, daß Christus, sollte er in der Tat Oberhaupt aller Menschen sein, mehr als nur der Kopf der christlichen Kirche und ihrer Mitglieder war.
()
... wie drückt sich die pneumatische Präsenz seines logos in den Erfahrungen und Symbolisierungen der Babylonier oder der Ägypter aus?

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Autobiographische Reflexionen

Titel: Autobiographische Reflexionen

Stichwort: Psyche, Wahrheit, Geschichte, Mystik, Ockham, Eckhart, Bodin, Bergson

Kurzinhalt: Seele: Differenzierung in das Bewußtsein, Wahrheit - Geschichte, Pseudo-Dionysios, Mystik; Gegensatz: Mystik - Nominalismus, Ordnung, Unordnung

Textausschnitt: () ... Verlagerung des Prozesses der Differenzierung in das Bewußtsein des Menschen hinein ist. Wird das Bewußtsein oder in der griechischen Terminologie: die psyche des Menschen als der Ort dieses Prozesses verstanden, muß die Symbolisierung der göttlichen Präsenz von den intrakosmischen Göttern auf die Psyche des Menschen als den Ort der göttlichen Gegenwart übergehen. Radikalster Ausdruck dieser Erfahrung ist das christliche Symbol der Inkarnation.
()
Die Symbole, die die Erfahrungen der Psyche, ihres Bewußtseins, ihrer noetischen und pneumatischen Struktur artikulierten, wurden als Symbole der Wahrheit verstanden, die aus dem Prozeß der Geschichte aufsteigen: Dieser Prozeß ist einerseits ein Prozeß in dieser Welt, andererseits ein theophanischer Prozeß.
() Diese Artikulation einer weiteren Schicht von Erfahrung jenseits der Symbolisierung von noetischer und pneumatischer göttlicher Präsenz wurde in Anlehnung an Pseudo-Dionysios Mystik genannt.
()
In der Generation nach Thomas entstand die Kluft in der Theologie zwischen dem Nominalismus Wilhelms von Ockham und der Mystik Meister Eckharts. Der nominalistische und der mystische Glaube bildeten seit dieser Zeit zwei wesentliche Stränge in der Geistesgeschichte des Abendlandes. Der Nominalismus eines Dogmas, das sich von der ihm zugrundeliegenden Erfahrung abgelöst hat und deswegen nicht mehr durch den Rückbezug auf die Erfahrung überprüft werden kann, setzte sich jedoch als allgemeine Denkform im Westen durch:

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Autobiographische Reflexionen

Titel: Autobiographische Reflexionen

Stichwort: Revolution, Realität, Abkopplung, Massenmedien

Kurzinhalt: Problem der Revolution im Westen, Oswald Spengler, Jahr 1968, Raymond Aron, Vietnam, Macht der Massenmedien, Abkopplung von der Realität, intellektuelle Unredlichkeit

Textausschnitt: () ... daß die Revolutionen in der Zeit vor 1789 - d. h. die englische und die amerikanische Revolution - einen konservativen Typus von Revolution darstellen, insofern als sie die kulturelle Substanz der westlichen Zivilisation fortführten. Mit der französischen Revolution setzt nach der Meinung Spenglers ein Zerfallsprozeß der westlichen Kultur ein.
()
Die Feindseligkeit der französischen revolutionären Revolte, die sich im Namen der Vernunft und eines höchsten Wesens gegen die christliche Ordnung richtete, welche wiederum im Frankreich des 18. Jahrhunderts nicht gerade sympathieerweckend durch die Kirche und den Klerus repräsentiert wurde, ist ohne Parallele in Amerika.
()
... muß man diese Trends als eine Gefahr für das demokratische System betrachten, dessen Bestand letzten Endes auf dem Kontakt der Mehrheit der Bevölkerung zur Realität basiert.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Autobiographische Reflexionen

Titel: Autobiographische Reflexionen

Stichwort: Unsterblichkeit, athanatizein, aphtarsia, Eschatologie, Jenseites, Zwischen

Kurzinhalt: Realität, Bewegung, Unvergänglichkeit, Tod, Platon, Aristoteles, Paulus, Marx, Spannung, existentielle Ordnung, Magie der Aktion, Jenseits des Zwischen, Zwischencharakter

Textausschnitt: () Eine der wichtigen Einsichten, die von den Philosophen, den Propheten in Israel und von den frühen Christen gewonnen wurden, ist die Bewegung in der Realität in Richtung auf einen Zustand jenseits ihrer bestehenden Struktur. Was das einzelne menschliche Individuum anbelangt, so kann diese Bewegung offensichtlich nur durch den eigenen Tod vollzogen werden. Die große Entdeckung der klassischen Philosophen bestand darin, daß der Mensch nicht 'sterblich' ist, sondern ein Wesen darstellt, das sich auf die Unsterblichkeit zubewegt. Das athanatizein ... Einsicht des Paulus auf die Bewegung der Realität über ihre gegenwärtige Struktur des Todes hinweg in jenen unvergänglichen Zustand, der auf den Tod folgen wird dank der Gnade Gottes: d. h. in den Zustand der aphtarsia, der Unvergänglichkeit.
()
Diese Bewegung in Richtung auf einen Zustand jenseits der bestehenden Struktur führt eine neue Spannung in die existentielle Ordnung ein, insofern als man das Leben in einer Weise zu führen hat, die zu einem Zustand der Unvergänglichkeit führen wird.
()
Die metastatische Erwartung einer neuen Welt, die noch zu Lebzeiten auf die alte Welt folgen soll, wurde zu einem beständigen Unruhefaktor in der sozialen wie der politischen Realität.
()
Der eschatologische Status der Volkommenheit wird durch direkte Gewalt erreicht. Die Erfahrung einer Bewegung in der Realität in Richtung auf den Bereich jenseits ihrer Struktur ist in die magische Vulgarität aggressiver Zerstörung der sozialen Ordnung transformiert worden.
()
Darüber hinaus wurde dieser Zwischencharakter des Prozesses nicht als eine Struktur in unbegrenzter Zeit erfahren, sondern als eine Bewegung, die eschatologisch endet in einem Zustand jenseits des Zwischen und jenseits der Zeit.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Autobiographische Reflexionen

Titel: Autobiographische Reflexionen

Stichwort: Eschatologie, Natur, Geschichte, viator

Kurzinhalt: Praxis des Sterbens, Natur des Menschen - Geschichte, eschatologische Bestimmung, ordnende Kraft in der Existenz, Platon, Aristoteles, Meinungsklima

Textausschnitt: () Das Verständnis der eschatologischen Bewegung erfordert eine Revision der Deformationen, die die Begriffe der klassischen Philosophie durch Interpreten erlitten haben, welche die Natur des Menschen als eine festumgrenzte Einheit verstanden haben wollten.
() ... nicht, daß man die Natur des Menschen innerhalb der Geschichte verändern kann. Im Prozeß der Geschichte wird die Natur des Menschen lediglich durchsichtig auf ihre eschatologische Bestimmung hin. Dieser Prozeß des Durchsichtigwerdens verändert, obwohl er zum Verständnis der menschlichen Natur und ihrer Probleme beiträgt, nicht das Wesen des Menschen im Hier-und-Jetzt der räumlich-zeitlichen Existenz.
waren sich Platon und Aristoteles sehr darüber im klaren, daß der Akt des Philosophierens ein Prozeß des Unsterblichwerdens in dieser Welt ist.
() Während die klassischen Philosophen mit den Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, die durch den Niedergang des Mythos und die Aggressivität der Sophisten verursacht wurden, so hat der Philosoph im 20. Jahrhundert mit dem 'Meinungsklima' zu kämpfen

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Thomas Collier, Cromwell, Puritanismus; Neuer Himmel -> Bruch mit Christentum, christliche Spannung -> immanenter Geschichtsprozess, gnostische Politik, Gnosis; Welt und Überwelt: immanent zeitlich aufeinanderfolgende Äonen

Kurzinhalt: Beide Welten sind auf der 'Erde', beide in der Geschichte... Die Erde, wie sie ist, kann Welt der Finsternis oder Welt des Lichtes, Teufelsreich oder Gottesreich sein. Dies ist der entscheidende Bruch mit dem Christentum.


Textausschnitt: 36a Die Puritanerbewegung des 17. Jahrhunderts hatte einen radikalen Flügel, der die Revolution als die Errichtung des Reiches Gottes auf Erden verstand. Die Heiligen des Herrn, geführt vom Sohn und erfüllt vom Geist, kämpften um die Staatsmacht, nicht um eine neue politische Ära zu eröffnen, sondern um ein neues gnostisches Äon dem alten der Verderbnis folgen zu lassen.1 Sprachlich drückte dieser radikale Flügel seine Haltung zu Gesellschaft und Welt mit den Mitteln biblischer Symbolik aus. Der Riß durch die Zeiten war gekommen, den II Esdras 6:9 prophezeit, und in Erfüllung sollte gehen, was Jesaja 65:17-19 verkündet hatte: 'Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und neue Erde schaffen, daß man der vorigen nicht mehr gedenken wird noch zu Herzen nehmen; sondern sie werden sich ewiglich freuen und fröhlich sein über dem, was ich schaffe. Denn siehe, ich will Jerusalem schaffen zur Wonne und ihr Volk zur Freude. Und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk; und soll nicht mehr drinnen gehört werden die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens.' (Fs)

37a Diese Dinge, als Tatsachen der Geschichte, sind wohl bekannt; weniger bekannt, selbst heute, ist ihre Bedeutung als eine entscheidende Phase in der Entwicklung moderner Politik. Ihr Verständnis stößt auf Schwierigkeiten, weil wir noch zu tief in dem Weltbild befangen sind, das durch die Gnosis der puritanischen Revolutionäre und ihrer säkularisierenden Nachfolger geschaffen wurde; es fehlt an kritischer Distanz, und vor allem an den begrifflichen Mitteln der Kritik im öffentlichen Bewußtsein - denn das Vorhandensein dieser Mittel in den Werken von Philosophen und Gelehrten hat wenig Bedeutung in einer Zeit der Massendemokratie, in der rationale Diskussion ihren Status als öffentliche Macht verloren hat. An diesen Mitteln fehlt es sogar heute mehr als in der Puritanerzeit mit ihrem schärferen christlichen Bewußtsein. Der Versuch, das Reich Gottes durch Generäle auf dem Schlachtfeld zu begründen, wurde damals noch in seiner Seltsamkeit empfunden; und die Pamphlete der radikalen Puritaner waren darum ebenso defensiv gegen christliche Argumente wie aggressiv in ihrer Verdammung des Reiches der Finsternis, das vernichtet werden sollte. Unter dem Druck der Kritik waren Armeeprediger und Sektenführer genötigt, das Besondere ihres Unternehmens im Gegensatz zur christlichen Tradition genauer zu charakterisieren; und die Prüfung des einen und ändern dieser Defensivargumente möge die weitere Untersuchung einleiten. (Fs)

37b Die bis an die Zähne bewaffneten Gefäße des Geistes hatten sich mit dem Wort Christi auseinanderzusetzen: 'Mein Reich ist nicht von dieser Welt.' Die Schwierigkeit dieses Wortes wurde zum Teil durch buchstabengläubige Rabulistik des Konfrontierens mit anderen Stellen überwunden. Gewiß hat Christus gesagt, sein Reich sei nicht von dieser Welt; aber hat er gesagt, es solle nicht auf der Erde begründet werden? Im Gegenteil, Offenbarung Johannis 5:10 versichert ausdrücklich: 'Du hast uns unserem Gott zu Königen und Priestern gemacht und wir werden Könige sein auf Erden.' Welt und Erde müssen also unterschieden werden. Welt bedeute die Zeit der weltlichen Herrschaft, der menschlichen Monarchie, der die Puritaner unterworfen sind; und diese Welt werde auf Erden von jener anderen gefolgt werden, von der Hebräer 2:5 spricht: 'die zukünftige Welt, davon wir reden'. (Fs)

38a Tiefer in die Motive dieses Setzens von Text gegen Text führt eine Predigt, die Thomas Collier 1647 in Cromwells Hauptquartier hielt. Collier ging von der Verteidigung zum Angriff über. Der neue Himmel und die neue Erde seien das Reich Gottes durch den Geist in den Heiligen; der Himmel als ein übernatürlicher Gnadenort sei ein Mißverständnis: 'Wir hatten, und wir haben noch immer, sehr niedrige und fleischliche Vorstellungen vom Himmel, insofern wir ihn für einen Ort der Glorie über dem Firmament halten, unsichtbar, und seine Freuden nur jenseit des Lebens zu genießen. Aber Gott selbst ist das Reich der Heiligen, ihr Genuß und ihre Glorie. Wo Gott sich manifestiert, dort ist sein und der Heiligen Reich, und er manifestiert sich in den Heiligen. Hier ist das große und verborgene Mysterium des Evangeliums, diese neue Schöpfung in den Heiligen.' (Fs; tblVrw)
38b Die eben zitierte Stelle aus Colliers Predigt ist eines der bemerkenswertesten Dokumente puritanischer Spekulation, insofern als sie ausspricht, was anderwärts als hintergründiger Gedanke nur vermutet werden darf: Es gibt eine alte und eine neue Welt, eine alte und eine neue Schöpfung. Beide Welten sind auf der 'Erde', beide in der Geschichte. Unter Erde ist die Konstitution des Seins zu verstehen, und im besonderen des menschlichen Seins in Gesellschaft. Unter Welt ist der gnostische Status des Seins als unerlöste Finsternis oder erlösendes Licht zu verstehen. Die Erde, wie sie ist, kann Welt der Finsternis oder Welt des Lichtes, Teufelsreich oder Gottesreich sein. Dies ist der entscheidende Bruch mit dem Christentum. (Fs)

39a Die christliche Welt, als Schöpfung Gottes, ist nicht ein Reich der Finsternis; gewiß, sie ist verdunkelt durch das Allzumenschliche des Falls; aber durch die Verleiblichung des Gottes ist sie wieder geadelt als die Stätte vollkommenen Menschentums in den Schranken kreatürlichen Seins. Diese christliche Spannung nun zwischen kreatürlichem und göttlichem Sein, zwischen Grenzen des Seins und Verklärung durch Gnade im Tod, wird aufgelöst in einen immanenten Geschichtsprozeß, der Welt und Überwelt als zeitlich aufeinanderfolgende Äonen umfaßt. Und diese Immanentisierung löst sogar das Symbol des 'Himmels' auf, indem sie dem Mysterium der seligen Schau Gottes im Tod einen Paradiesesmaterialismus unterschiebt und dann gegen diese 'niedrige Vorstellung' die zeitliche Verwirklichung des ewigen Reiches als sein geistiges Verstehen fordert. In diesem vernichtenden Angriff auf die christliche Symbolik ist Collier wohl so weit gegangen, wie man überhaupt gehen kann, ohne sie ganz fallen zu lassen. Die antiphilosophische und antichristliche Propagandatechnik der aufgeklärten Intellektuellen, ein Jenseitssymbol nicht seinsanalogisch zu verstehen, sondern es buchstäblich, als direkte Aussage über ein finites Objekt mißzuverstehen, um dann den buchstäblichen Unsinn lächerlich zu machen, ist voll entwickelt. Die geschichtliche Linie ist vorgezeichnet, auf der gnostische Politik sich von christlicher Symbolsprache zur antichristlichen Symbolik des Marxismus bewegen wird. (Fs) (notabene)

39a Die Natur eines Dinges ist das, wodurch es in seinem Wesen eben dieses Ding ist und nicht ein anderes. Die Natur ist ex definitione unveränderlich. Die gnostischen Politiker jedoch wollen die Natur auf eine vorläufig nicht näher geklärte Weise verändern. Insofern die Absicht, das Unmögliche zu verwirklichen, zum Ziel politischer Aktion gemacht wird, kann das Programm nicht durchgeführt werden; insofern diese Absicht gefaßt wird, verrät sich der seelische Zustand der Menschen, die sie fassen, als ein pneumopathologischer. Das Wesen gnostischer Politik muß als eine Erkrankung des Geistes verstanden werden, als ein nosos im Sinne Platos und Schellings, eine Störung im Leben des Pneuma, zum Unterschied von Geisteskrank-heit im psychopathologischen Sinne. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Pneumopathologie, Puritanismus; Traumrealität als 'Wirklichkeit' des Gnostikers; Bakunin, Marx, A Glimp of Zion's Glory; Gericht über die Feinde d. Lichts; Kommunismus; Entgleisung d. Gs. - Herrschsucht

Kurzinhalt: Die philosophische Sprache der klassischen und christlichen Tradition ist an bestimmten Forschungsaufgaben gebildet worden... Von der Traumrealität haben wir weder Erfahrung, noch können wir sie durch Handeln in der Wirklichkeit herstellen.


Textausschnitt: 40a Ohne Klarheit über diesen Punkt ist eine kritische Deutung gnostischer Politik unmöglich. Die philosophische Sprache der klassischen und christlichen Tradition ist an bestimmten Forschungsaufgaben gebildet worden. Als ontologische Sprache ist sie erwachsen aus der Theorie, der Kontemplation des Seins und seiner Ordnung; als metaphysische Sprache aus dem Versuch spekulativer Extrapolation eines Seinsgrundes; als theologische Sprache aus der Auslegung von Erlebnissen der Transzendenz. Sie ist die Sprache des Versuchs, die Ordnung der Welt und die Stellung des Menschen in ihr zu verstehen. Sie ist nicht Sprache des Irrsinns und kann darum mit der Sprache des Irrsinns nicht ins Gespräch kommen. Sie bietet keine Mittel, um gnostische Programme auf ihren Wert zu prüfen, gnostische Aktionen an Maßstäben der Zweckrationalität zu messen, oder die sprachlichen Ausdrücke gnostischer Haltung auf ihrem eigenen Boden zu diskutieren. Sie kann diese Programme, Aktionen und sprachlichen Ausdrücke nur als Symptome der Erkrankung behandeln, indem sie nachweist, an welcher Stelle der Bruch mit der Wirklichkeit, die Entgleisung (wie Jaspers dieses Phänomen für den Fall Nietzsches genannt hat) sich ereignet. Eine kritische Untersuchung gnostischer Phänomene wird daher die sprachliche Verwirrung, die 'Wirklichkeit' betreffend, beheben müssen. Denn die vom Geist transfigurierte Natur, die 'Wirklichkeit' des Gnostikers, ist nicht die Wirklichkeit philosophischen Ordnungswissens; und doch spricht der gnostische Politiker von ihr, und operiert in ihr, als ob sie Wirklichkeit im normalen Sinne wäre. Zur Lösung dieser fundamentalen Schwierigkeit soll daher, in der folgenden Analyse von Symptomen, für die gnostische 'Wirklichkeit' kurz der Ausdruck 'Traumrealität' gebraucht werden. (Fs; tblStw: ?) (notabene)

40b Von der Traumrealität haben wir weder Erfahrung, noch können wir sie durch Handeln in der Wirklichkeit herstellen. Der Gnostiker jedoch muß von ihr sprechen, als ob er Erfahrung von ihr hätte, und er muß handeln, als ob er sie herstellen könnte. Und er muß beides von seiner Stelle in der Wirklichkeit her tun, von der er in die Traumrealität durchbrechen will. Das pathologische Phänomen als solches bedarf keiner weiteren Erläuterung durch Beispiele, da es aus dem 'Umbruch' der nationalsozialistischen Gnosis in frischer Erinnerung ist. Wir können uns unmittelbar den beiden Fragen zuwenden, auf die der Gnostiker Antwort zu finden hat. Die erste Frage: Wie kann ein Bild der Traumrealität so konstruiert werden, daß es Wirklichkeitszüge trägt, auf der 'Erde' bleibt, und doch die Transfiguration in den Lichtzustand suggeriert? Die zweite Frage: Wie kann ein Aktionsprogramm so konstruiert werden, daß die Aktionen in der Wirklichkeit verlaufen, und doch zum Ziel nicht Wirklichkeit, sondern Traumrealität haben? (Fs) (notabene)

41a Gnostiker sind krank am Geiste, aber sie sind nicht dumm; sie wollen Unmögliches, aber sie wissen, was sie wollen. Sie wollen in eine als Wirklichkeit intendierte Traumrealität durchbrechen, aber sie wissen, daß die Traumrealität eine Wirklichkeit anderer Art ist, und daß gerade jene Züge, die das Wesentliche an ihr sind, nicht aus der Erfahrung der normalen Wirklichkeit stammen können. Im Bewußtsein dieser Schwierigkeit zeigen sie gelegentlich die Neigung, auf die erste Frage, wenn möglich, gar nichts zu antworten. In der jüdischen Apokalypse vom Riß durch die Zeiten drängt Esdras den Herrn mit der Bitte um Einzelheiten; und er wird von Gott hingehalten mit der Mahnung: Andre Fragen, Esdras, stelle du nicht! Die vollkommene Lösung ist das Lied der Hitlerjugend: Wir marschieren; wir marschieren in die Zukunft! - denn diese, mit eschatologischer Spannung geladene Formel rührt die Erlösungswünsche tief auf und sagt doch über die Traumrealität, die in geschichtlicher Zeit zu erwarten ist, nichts aus. (Fs)

41 Die gnostischen Politiker von einigem intellektuellen Rang finden ihre persönlichen Lösungen für die Schwierigkeit je nach Temperament und Gewissenhaftigkeit. Bakunin war der Meinung, daß der geschichtliche Prozeß des Übergangs von der alten zur neuen Welt einige Zeit in Anspruch nehmen werde. Die erste Phase der Aktion, die seiner Generation zufalle, bestehe in radikaler Zerstörung des Alten; die Zwangsinstitutionen der alten Welt, die organisierte Staatsmacht und die Bürokratie, müßten vernichtet werden; der Vernichtungsprozeß selbst und die folgende Unordnung würden furchtbare Opfer fordern; aber diese Opfer müßten gebracht werden, damit auf den Trümmern des Alten die nun von verderbenden Einflüssen befreite, in ihrem Wesen gute, menschliche Natur in freier, föderativer Aktion ihr vollkommenes Leben einrichten könne. Wie dieses vollkommene Leben aussehen solle, darüber sei nichts zu sagen, denn wir selbst gehören noch der Generation der Verderbnis an; wir können der Welt zur Vollendung helfen durch Vernichtung des Alten, aber das Wissen um das neue Leben sei der durch unsere Aktion befreiten Generation vorbehalten, die es zu schaffen habe. (Fs)

42a Bakunin lebte so tief in seinem Glauben an Erlösung durch Aktion, durch den 'Einsatz', wie die nationalsozialistischen Gnostiker den Willen nannten, der nicht sieht, daß er ein Wissen nicht brauchte. Vielleicht darum konnte er leichter als andere verstehen, daß es dieses Wissen nicht gibt. Jedenfalls ist das erkenntnistheoretische Raffinement im Träumen das auszeichnende Merkmal Bakunins. Eben weil für ihn die Traumrealiät der neuen Welt nicht visionär zu bilden, sondern nur in existentieller Zugehörigkeit zu schaffen war, konnte er sich ganz auf die alte Welt konzentrieren, und diese Beziehung war die negative der zerstörenden Aktion. Durch das Bekenntnis radikalen Nichtwissens um die Traumrealität wurde der Vernichtungswille, der sich gegen die Ordnungsmächte richtete, als die einzige der Erfahrung zugängliche Komponente gnostischer Politik klar isoliert. In Bakunins Glaubensspannung zwischen Nichts und Nichts enthüllte sich aufs reinste der Nihilismus der modernen Gnosis; und insofern sein Leben diese Spannung durchhielt, wurde es prototypisch für gnostische revolutionäre Existenz. (Fs)
42b Nicht alle Gnostiker sind so enthaltsam wie Bakunin. Sie wollen verkünden, wes ihr Herz voll ist. Und da die Traumrealität nicht in Kategorien der Wirklichkeit verkündet werden kann, entwickeln sie eine eigene Kommunikationsform: den Blick, oder Ausblick, auf die Zukunft. In der puritanischen Bewegung wurde diese Form gebildet und benannt in einem Pamphlet von 1641, das den Titel führt A Glimpse of Zion's Glory. Das englische glimpse hat kein genaues Äquivalent im Deutschen. Es bedeutet einen flüchtig haschenden Blick auf eine Sache, wie durch einen Spalt, der sich für einen Augenblick öffnet, unsicher im Erfassen, da strahlende Glorie die Umrisse verwischt.

43a Was enthüllt nun der Blick auf Zions Glorie? Vor allem den sozialrevolutionären Charakter der Bewegung, der sich, wie bei Bakunin, gegen die bestehenden Ordnungsmächte richtet. Gott bedient sich des gemeinen Volkes, wenn er das Reich seines Sohnes verkündet. Die Stimme Christi »tönt zuerst aus der Menge, aus dem gemeinen Volk. Dort wird sie zuerst gehört, bevor sie von anderen gehört wird. Durch das gemeine Volk und die Menge verkündet er, daß Gott der Herr ist, der Allmächtige, der herrscht.« Christus ist nicht zu den Weisen, den Vornehmen und den Reichen gekommen; er kam zu den Armen. Der Geist des Antichrist herrscht in den Oberklassen; darum begannen die Reformation und die Entdeckung des Antichrist in der »so verächtlichen, gemeinen Menge«. In der neuen Welt dagegen werden die Herrschaftsverhältnisse die Wahrheit der Dinge ausdrücken. Die Herrscher der alten Welt werden nicht nur ihr Unrecht einsehen, sondern darüber hinaus wird das Volk Gottes ihrer Einsicht durch Degradierung zu Hilfe kommen. Hat doch Jesaja 49:23 prophezeit: »Und die Könige sollen deine Pfleger und ihre Fürstinnen deine Säugammen sein. Sie werden vor dir niederfallen zur Erde aufs Angesicht und deiner Füße Staub lecken. Da wirst du erfahren, daß ich der Herr bin, an welchem nicht zu Schanden werden, die auf mich harren.« Die Heiligen dagegen, »werden alle gekleidet gehen in weißes Linnen, als welches ist die Gerechtigkeit der Heiligen, die Gerechtigkeit, die sie durch Christus haben, durch die sie gerecht sind vor Gott und heilig vor den Menschen. Heiligkeit wird auf ihre Töpfe geschrieben sein und auf ihr Zaumzeug; auf alles wird ihre Begnadung scheinen im Überfluß zur Glorie Gottes«. Die Symbolik dieser Träumer in Israel ist heute obsolet geworden. Neuere Gnostiker ersetzen die altorientalischen Zeichen der Unterwerfung durch Konzentrationslager und Gaskammern; und statt des weißen Linnens, das die Reichszugehörigkeit bezeugt, werden für die Behemdung braun, blau, schwarz oder andere Farben gewählt, die weniger oft gewaschen werden müssen. Aber das Prinzip der Sache dürfte klar sein. (Fs)

44a Der Blick gewährt noch einiges mehr. Die Rechts- und Wirtschaftsformen der Traumrealität werden andere sein. Die Gegenwart Christi in seinem Reich wird voraussichtlich rechtliche Sanktionen überflüssig machen. »Es ist fraglich, ob Rechtsvorschriften noch nötig sein werden, zumindest in der Art wie es sie heute gibt [...] Die Gegenwart Christi wird an die Stelle staatlicher Anordnungen treten.« Die wirtschaftliche Vorsorge für knappe Güter, ferner, wird einem Zustand des Überflusses und der Prosperität weichen. Denn Christus hat die ganze Welt erkauft; er hat sie erkauft für die Heiligen, und sie wird geliefert werden. Auf das freimütigste gesteht der Autor die Motive seiner Überzeugung: »Ihr seht, daß die Heiligsten in der Welt jetzt wenig haben; jetzt sind sie die Ärmsten und Niedrigsten von allen; aber wenn die Adoption der Söhne Gottes kommt in ihrer Fülle, dann wird die Welt ihrer sein... Nicht nur der Himmel soll euer Reich sein, sondern diese Welt in ihrem leiblichen Sein«. Auch in diesen Punkten ist der Blick nicht durch das Außerordentliche von Bedeutung, sondern durch das Typische des Bildes. Paradiesesphantasien sind typisch ein Katalog von Negationen existentieller Nöte; ein Paradies hat frei zu sein von Armut, Krankheit, Tod, Bedrückung und Geschlechtsnot. Die Träume des Glimpse konzentrieren sich auf die ökonomisch-politischen Nöte, auf Armut und Obrigkeitszwang. Es sind die Konstanten, die in anderen gnostischen Träumen wiederkehren, wie im freedom from want andfear der Atlantic Charter, oder im irdischen Paradiese des Kommunismus, in dem der Staat absterben und jeder mit Gütern versorgt sein wird im Maße seiner Bedürfnisse. (Fs)

44b Der Blickende steht in der Wirklichkeit und formt ein Traumbild der Zukunft. Durch seine vorausnehmende Vision will er anderen, in der Wirklichkeit stehenden Menschen eine Vorstellung vom ersehnten Zustand vermitteln und sie als Gefährten gewinnen, die ihm helfen, den Traum in die Zeit der Geschichte zu zwingen. Für den kritischen Beobachter besteht das Krankhafte der Vision und ihrer motivierenden Absicht in der Entgleisung, im Bruch mit der Wirklichkeit. Er weiß, daß der Traum nicht verwirklicht werden kann; und daß die Traumoperation, wenn sie unternommen wird, nach furchtbaren Zerstörungen der bestehenden Ordnung zu einem neuen Wirklichkeitszustand führt, der nichts mit der intendierten Traumrealität zu tun hat. Die Voraussicht des Philosophen wird nun bemerkenswerterweise von den intelligenteren Gnostikern geteilt. Auch der Gnostiker befürchtet eine Entgleisung, wenn auch die Richtung seiner Sorge sich umkehrt. Denn, was der Philosoph als notwendig voraussieht, muß der Gnostiker als möglich befürchten: daß die revolutionären Heiligen die alte Ordnung erfolgreich zerstören, aber nach vollbrachter Tat sich als ebenso unheilige Menschen erweisen wie alle anderen, und daß die Opfer der Zerstörung umsonst gebracht worden sind. (Fs)

45a Die Richtung, in der diese unheilige Entgleisung verlaufen wird, ist aus dem puritanischen Glimpse nur allzu deutlich zu ersehen. Die Traumbilder sind der Ausdruck einer wilden, mit Ressentiments geladenen Herrschsucht, wie sie Hobbes (und vor ihm schon Richard Hooker) mit meisterhafter Psychologie als das Wesen des radikalen Puritanismus diagnostiziert hat. Was immer sonst im Verlauf einer gnostischen Revolution geschehen möge, sicher ist, daß die siegreichen Heiligen eine neue Oberklasse von ausgesuchter Brutalität bilden und daß die Mitglieder der früheren Oberklasse gründlich malträtiert werden. Es handelt sich nicht um die schlimmen Folgen, die unvermeidlich den Unterliegenden in einer gewalttätigen Auseinandersetzung treffen, sondern um die Legitimierung der Gewalttätigkeit als geistiger Strafaktion gegen die Mächte, die dem Licht widerstreben. Die Situation des Unterliegenden ist fürchterlich, weil er nicht politischer Gegner im Kampf um die Macht, sondern, in der Traumphantasie des Gnostikers, kosmischer Gegner im Kampf des Lichtes mit der Finsternis ist. Was an den Vertretern der alten Welt vollzogen wird, ist kosmisches Gericht. (Fs)

46a Aus dieser pathologischen Traumverzerrung sind die sonst unverständlichen 'dialektischen' Umkehrungen zu verstehen, in denen vor allem Marx ein Meister war. Formeln wie 'Unterdrückung der Unterdrücker' oder 'Expropriation der Expropriateure' sind ethisch-widerspruchsvoll als Forderungen in der Wirklichkeit; in der Traumspekulation dagegen haben sie ihren guten Sinn, weil Unterdrückung und Expropriation, wenn von Gnostikern geübt, Befreiung ist. Diese negative Phase der Reichsgründung, der Kampf mit den Mächten der Finsternis, ist, wie schon bemerkt, der einzige Teil des gnostischen Programms, der verwirklicht werden kann; und mit einiger Sicherheit verwirklicht werden wird, da er auf Befriedigung niedriger Instinkte die Prämie nicht nur eines guten, sondern eines Erlösungswerkes setzt - eine Kombination, die psychologisch immer ihren Reiz hat und im Zeitalter der Massenverpöbelung durch die säkularisierten Intellektuellen gewaltige politische Bewegungen inspiriert. (45f; Fs)

46b Der Gnostiker, der dieses Anführen der Acheronla ebenso durchschaut wie der Philosoph, muß befürchten, daß seine Bewegung in dieser Phase der Negation stecken bleibt, daß seine Anhänger den Umsturz der Institutionen, die Schlachtung und Plünderung der Gegner für das Wesen der Reichsgründung nehmen, und daß das Millennium in einer piratischen Zwangsherrschaft saturierter Räuber und Mörder versandet. Marx hat diese Gefahr gesehen und darum zwischen rohem und wahrem Kommunismus unterschieden. Roher Kommunismus ist 'die Verallgemeinerung des Privateigentums'. Der rohe Kommunismus ist so überwältigt von der Herrschaft des Sacheigentums, daß er alles vernichten will, was nicht als Privateigentum von allen besessen werden kann; physischer unmittelbarer Besitz gilt ihm als einziger Zweck des Daseins; er will nicht die Existenzform des Arbeiters abschaffen, sondern sie auf alle Menschen ausdehnen; und er will darum alles auszeichnende Talent gewaltsam vernichten. Die Welt des Besitzes tritt aus dem Verhältnis der Ehe mit dem Privateigentümer in das Verhältnis universelle Prostitution mit der 'Gemeinschaft'. Dieser rohe Kommunismus negiert die Persönlichkeit des Menschen. Die Habsucht des Privateigentums befriedigt sich auf eine neue Weise, indem der Neid auf den Besitz des anderen sich als öffentliche Macht konstituiert. Wettbewerb in der kapitalistischen Gesellschaft ist Neid und Nivellierungssucht des kleineren gegen das größere Eigentum; der rohe Kommunismus ist die Vollendung dieses Neides durch seine Nivellierung auf ein allgemeines Minimum. Er zerstört die Zivilisation durch seine Rückkehr zur unnatürlichen Einfachheit armer Leute, die nicht über das Privateigentum hinaus, sondern noch nicht einmal bei ihm angelangt sind. Er ist eine Gemeinschaft der Arbeit und der Gleichheit des Einkommens, das die Gemeinschaft als der allgemeine Kapitalist auszahlt. Im rohen Kommunismus manifestiert sich die 'Niedertracht des Privateigentums, das sich als das positive Gemeinwesen setzen will'. (46f; Fs)

47a Diese Charakteristik des rohen Kommunismus ist einem Frühwerk von Marx entnommen, dem Ökonomisch-philosophischen Manuskript von 1844. Es ist eine subtile Analyse der Entgleisung in die Wirklichkeit, die in ihrer psychologischen Einsicht an Hobbes heranreicht. Sie hat ihren besonderen Wert, weil sie die Kontinuität zwischen der Wirklichkeit, die der Gnostiker beseitigen will, und der Wirklichkeitskomponente in seinem Traum herausarbeitet. Über dem bitteren Kampf unserer Zeit zwischen gnostischen Bewegungen und ihren Gegnern, und zwischen den verschiedenen Hemdfarben untereinander, wird allzu leicht vergessen, daß diese Bewegungen nicht aus dem Nichts entspringen, sondern historisch-kausal in den Strom der Wirklichkeit gebunden sind; daß radikaler Puritanismus die folgerechte Weiterentwicklung eines schon korrupten Christentums, und daß Positivismus, Kommunismus und Nationalsozialismus die menschenfressenden Blüten einer korrupten liberalen Gesellschaft sind. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Gnosis, Gnostiker: Marx; Entgleisung aus dem Traum; der neue Mensch; permanente Revolution: notwendig zur Zeugung des neuen Menschen; Symboltypus: Marx - Nationalsozialismus; Diktatur des Proletariats als Übergangsphase; Taktik

Kurzinhalt: Der Gnostiker muß die Entgleisung aus dem Traum befürchten... Diese argumentsichere Traumspekulation ist das krönende Schlußstück des gnostischen Wahnsinns, wie es von Marx in der Kritik des Gothaer Programms (1875) entwickelt und von Lenin ...

Textausschnitt: 47b Der Gnostiker muß die Entgleisung aus dem Traum befürchten. Das Problem jedoch wird für ihn dadurch kompliziert, daß der Fall in die Wirklichkeit ein Ereignis in der Zeit ist. Der Kampf gegen die alte Welt muß in der Wirklichkeit geführt werden; eine gnostische Prügelei zwischen SA-Leuten und ihren Gegnern unterscheidet sich in der Wirklichkeit nicht von einer nicht-gnostischen Prügelei. Die neue Welt beginnt mit der Zerstörung der alten, mit einem Umsturz der Institutionen; und wenn es eine kommunistische neue Welt ist, dann wird sie unvermeidlich psychologisch und Institutionen so aussehen wie der Marxische rohe Kommunismus. Mit der Roheit fängt das neue Äon an. An welchem Punkt beginnt nun die Transfiguration? Und wenn sie sich nicht sofort einstellt, wie lange muß die Roheit dauern, bevor das Urteil gefällt werden darf, daß mit der Transfiguration etwas schief gegangen sei? (Fs)

48a In seinen jüngeren Jahren, in der Deutschen Ideologie von 1845/46 beschäftigt sich Marx mit der Erzeugung des 'neuen Menschen' (synonym wurden gebraucht: totaler Mensch, sozialistischer Mensch, Übermensch) Der neue, der verklärte Mensch sollte sich im Erlebnis der revolutionären Aktion zeugen. Für die Massenerzeugung des kommunistischen Bewußtseins sei eine Veränderung des Menschen in der Masse nötig, wie sie nur durch das Erlebnis der Revolution verursacht werden könne. Die Revolution sei daher nicht nur nötig, um die herrschende Klasse zu stürzen, sondern vor allem, um die stürzende Klasse zu jener Höhe zu erheben, auf der sie 'den alten Dreck los' und damit fähig wird, die neue Gesellschaft zu gründen. Diese seltsame Vorstellung von der Schöpfung des Übermenschen durch revolutionären Blutrausch zeigt, wie nahe verwandt die neueren Gnostiker untereinander sind, auch wenn sie auf der geschichtlichen Szene einander bekämpfen. Der Marxische Blutrausch gehört dem gleichen Symboltypus an wie die nationalsozialistische Mystik, die durch den geheimnisvollen Chemismus von Blut und Boden den Menschen des Millenniums sich bilden läßt; und in einer Schrift eines deutschen Staatsrechtlers der nationalsozialistischen Periode finden wir, bei Gelegenheit von Betrachtungen über die Brutalitäten des Regimes, in der Tat die gleiche Formel wie bei Marx: 'Der Dreck muß heraus!' (48; Fs)

47b Wir müssen wiederholen, daß Gnostiker nicht dumm sind. Die Marxische Vorstellung von der Schöpfung des Übermenschen durch den Revolutionsakt kann zu Schwierigkeiten in der politischen Praxis führen. Wie, wenn nun die Revolution stattgefunden hat, wenn die neuen Herrscher die Macht fest in der Hand haben, und die Menschen sind immer noch dieselben alten Menschen; wenn vielleicht sogar prächtige Eliteerscheinungen, die persönlich einen Bourgeois, Juden oder Kommunisten umgebracht haben, nun ihrerseits liquidiert werden müssen, weil der Blutrausch sie nicht zu übermenschlicher Statur erhoben hat? Würden solche Beobachtungen auf den Gnostiker ernüchternd wirken, würde er aus seinem Traum zur Wirklichkeit erwachen? Keineswegs! Er sieht diese Möglichkeit voraus und, mit der Schlauheit des Irrsinnigen, baut er sie in seinen Traum ein. Marx hat die Voreiligkeit seiner Jugend korrigiert und in späteren Jahren, diese Möglichkeit bedenkend, eine Alternative entwickelt. Unter dem Eindruck der Kommune von 1871 formulierte er endgültig eine Idee, die seit dem Fehlschlag von 1848 im Reifen war: Nach der Machtergreifung wird es wieder einen Staat geben, vielleicht noch drückender als der alte; aber die Herrscher werden gewechselt haben. Und ein Staat, der von Heiligen (oder Genossen, oder Kameraden) beherrscht wird, unterscheidet sich von allen anderen Staaten dadurch, daß er absterben wird im Maße, in dem unter ihm die neuen Menschen wachsen. Der Staat der Heiligen ist eine Übergangsperiode von der alten zur neuen Welt. Die Zeit des Übergangs mag unbestimmt lange dauern, vielleicht Jahrhunderte, so daß unbequemere Fragen, ob ihre Länge nicht als Fehlschlag zu deuten sei, nicht entstehen können. Und wer nicht glaubt, daß die brutale Wirklichkeit nur ein Übergang zum Reich Gottes sei, der ist, je nach Jahrhundert und Position, ein Teufelsbraten, Bourgeois, Jude, Kommunist oder Faschist. Diese argumentsichere Traumspekulation ist das krönende Schlußstück des gnostischen Wahnsinns, wie es von Marx in der Kritik des Gothaer Programms (1875) entwickelt und von Lenin in Staat und Revolution (1917) weitergeführt wurde. Es ist die Lehre von der Diktatur des Proletariats als Übergangsphase, der die zweite Phase des wahren Kommunismus in unbestimmter Zeitferne folgen wird. (49; Fs)

49 Die Lehre von den zwei Phasen hat ihre ausdrückliche Formulierung erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gefunden. Als mehr oder weniger deutlich gesehene Voraussetzung gnostischen Handelns in der Wirklichkeit war sie jedoch wohl gegenwärtig, seit es eine Politik dieses Typus gibt; schon das große Puritanerporträt Richard Hookers, am Ende des 16. Jahrhunderts, zeigt sie mit aller Deutlichkeit als in der Argumentation seiner Gegner enthalten. Diese innere Logik der gnostischen Aktion hat darum schon vor der ausdrücklichen Formulierung die Idee der Revolution in bemerkenswerter Weise verändert. Revolution im Sinne dieser Lehre ist nicht mehr die große, schlagartige, zeitlich und sachlich fest umrissene Umwälzung der Gesellschaft, in der ein politisches Regime durch ein anderes ersetzt wird, sondern ein ins Unbestimmte hingezogener Prozeß, in dem die Machtergreifung selbst nur eine, wenn auch entscheidend bedeutsame Phase ist. Jahrzehnte revolutionärer Arbeit mögen diesen entscheidenden Schlag vorbereiten, und Jahrhunderte mögen ihm folgen, bis das eigentliche Ziel, die Traumrealität, erreicht wird. Es ist die »Revolution in Permanenz«. (Fs)

50a Das Wort »Revolution« ist erst durch die Französische Revolution von 1789 in allgemeinen Gebrauch gekommen. Die Phrase von der »Revolution in Permanenz« wurde in den liberalen Kreisen der restaurierten Monarchie in Frankreich geprägt. Charles Comte und Charles Dunoyer entwickelten im Censeur nach 1815 die Idee einer Politik, die gewaltsam zerstörende Ausbrüche und ebenso gewaltsame despotische Wiederherstellungen der Ordnung, wie die Schwingung der Großen Revolution von Terreur zu Empire sie eben gezeigt hatte, verhindern sollte durch zeitgerechte Reform der Übelstände, durch eine »permanente und weise regulierte Revolution«. (Fs)

50b Dieser Versuch, den Gnostikern die Revolution durch Sozialreform abzukaufen, ist in mehr als einer Hinsicht bemerkenswert. Vor allem zeigt er, daß die pathologische Gnosis weit über den revolutionären Aktivismus hinaus in die moderne Politik eingedrungen ist. Im Schatten der Gnosis entwickelt sich ein »rechter« liberaler, progressiver Flügel, der die Idee der Revolution aufnimmt, aber ihrer zerstörenden Gewalttätigkeit durch ein evolutionäres, geordnetes Verfahren vorbeugen will. Diese Flügelbildung kann sich innerhalb der aktivistischen Bewegungen selbst ereignen, wie es der Fall der deutschen revisionistischen Sozialdemokratie zeigt. Oder sie kann, wie im Fall der Liberalen des Censeur, aus einer Politik der Zugeständnisse auf der Ebene der Wirklichkeit herauswachsen, aus einer Politik des peaceful change, wie sie besonders von Amerikanern zwischen den Weltkriegen propagiert wurde. Und sie kann sich in der internationalen Politik bis zu dem Versuch steigern, unter dem Titel »Völkerbund« oder »Vereinte Nationen« eine Institution zu schaffen, die die gnostische Krise der westlichen und verwestlichten Zivilisationen durch Rechtsverfahren bändigen und auf der Erde ein Gottesreich des Friedens zum halben Preis errichten will. (Fs)

51a Das Bedenkliche dieser Versuche liegt, fürs erste, in der Halbschlächtigkeit einer Politik ohne eigenen Gestaltungswillen, die einem gefährlich starken Willen mit kleiner Schlauheit »den Wind aus den Segeln nehmen« will. Es liegt zweitens, für den gegenwärtigen Zusammenhang wesentlich in dem Irrtum, daß der »Wind« der gnostischen Politik ein Verlangen nach Reformen sei, daß die von Marx verurteilte Entgleisung in die Wirklichkeit das Wesen des gnostischen Traumes sei, und darum daß in der Tat der Evolutionär oder Gradualist diese scheinbar »wirklichen« Erfolge der Revolution billiger erreichen könne. Dieser folgenschwere Irrtum hat in der jüngeren Vergangenheit die westliche Politik des appeasement motiviert, und motiviert noch heute zahlreiche wohlgemeinte Einzelmaßnahmen der Politik, die dem Kommunismus vorbeugen will. (Fs)

51b Daß es sich hier um einen bösen Irrtum handelt, wird klar, wenn man bedenkt, was »Revolution in Permanenz« für den gnostischen Aktivisten bedeutet. Die Phrase taucht bei Marx zum erstenmal in der Ansprache an den Bund der Kommunisten von 1850 auf. Der Vorstand des Bundes hatte seinen Mitgliedern begreiflich zu machen, warum der Fehlschlag von 1848 nicht das Ende, und wie die revolutionäre Aktion nun weiter zu führen sei. Die Lösung ist einfach: Es gibt keinen Fehlschlag der Revolution; die Revolution geht weiter, sie bewegt sich in Permanenz dem unverrückbaren Traumziel zu; es gibt nur Widerstände in der Wirklichkeit, und die müssen beharrlich durch einen Stil des politischen Handelns überwunden werden, für den Marx den Namen »Taktik« prägte. (Fs)

51c Das gnostische, politische Handeln, dessen Idee Marx entwickelte, verläuft in der Wirklichkeit, aber es hat zum Ziel die Traumrealität. Da nun die Traumrealität in der Wirklichkeit nicht hergestellt werden kann, entsteht die Frage, wie Mittel innerhalb der Wirklichkeit einem Ziel außerhalb der Wirklichkeit zugeordnet werden können; und die weitere Frage, wie eine solche Traumzuordnung in Kategorien der Wirklichkeit zu verstehen sei. Gewiß ist die Traumzuordnung nicht ein Typus von zweckrationalem Handeln, und es wird fraglich, ob man von ihr noch als von politischem Handeln sprechen kann. Die Bezeichnung dieses Traumhandelns als Taktik ist die von den Gnostikern selbst gefundene terminologische Lösung. (Fs) (notabene)

52a Hinter dieser sprachlichen Unterscheidung steht die gefährliche Tatsache, daß gnostische Politik ein pathologisches Phänomen jenseits normaler politischer Berechenbarkeit ist. Was Taktik konkret bedeutet, möge aus den Marxischen Ratschlägen in der Situation von 1850 ersehen werden. Die Kommunisten seien nicht an der Versöhnung der Klassengegensätze interessiert, sondern an der Abschaffung der Klassen, nicht an der Reform der gegenwärtigen Gesellschaft, sondern an der Gründung einer neuen. Um den Kampf in Gang zu halten, müsse eine Stabilisierung der politischen Situation um jeden Preis verhindert werden. Während eines revolutionären Konflikts, sowie unmittelbar danach, müßten die Kommunisten jeden Versuch, die Erregung abzudämpfen, verhindern. Mobausschreitungen sollten nicht verhindert oder nur geduldet, sondern angezettelt und organisiert werden, um die Demokraten zu kompromittieren. Wenn eine verfassungsmäßige Ordnung wiederhergestellt sei, müßten die Kommunisten jede demokratische Maßnahme durch radikalere Forderungen übertrumpfen. Fordern die Demokraten die Nationalisierung von Eisenbahnen und Fabriken gegen angemessene Entschädigung, fordern die Kommunisten ihre Konfiskation; wenn die Demokraten eine gemäßigt progressive Steuer verlangen, müssen die Kommunisten eine verlangen, welche die höheren Einkommen ruiniert usw. Grundsätzlich müßten sich die Forderungen der Kommunisten immer an den Konzessionen und Maßnahmen der Demokratie orientieren. Das Prinzip dieser Ratschläge gilt für alle Situationen, innen- und außenpolitisch. Taktik ist die pathologische Negation der Politik, insofern sie im Prinzip Ordnung nicht schaffen, sondern zerstören will. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Gnosis, Gnostiker; Unmöglichkeit konkreter Ordnung d. Wirklichkeit; permanente Revolution; universaler (totaler) Krieg; Puritaner: Organisation der Heiligen

Kurzinhalt: Schon hier, in der puritanischen Mystik von den zwei Welten, beginnen sich die universalen Kriege abzuzeichnen, die im 20. Jahrhundert dann in der Tat ausgebrochen sind, die im 20. Jahrhundert dann in der Tat ausgebrochen sind.


Textausschnitt: 52b Der Wandel der Revolution von politischer Umwälzung zu einem taktischen Kampf ohne Ende liegt in der Logik des Äonentraumes. Weder kann das Äon des Lichtes verwirklicht, noch kann die Wirklichkeit aufgehoben werden. Die gnostische Aktion muß daher die Form des permanenten Kampfes gegen die Menschen, Institutionen und Ideen annehmen, die jeweils die konkreten taktischen Hindernisse des Augenblicks sind. Konkrete Ordnung der Wirklichkeit ist unmöglich, weil, was immer konkret Inhalt der Wirklichkeit ist, überwunden werden muß. Die permanente Revolution der Gnosis ist ein krebsartiges Geschwür im Leib der Wirklichkeit; sie ist der Tod einer Zivilisation, wenn sie nicht durch stärkere Gestaltungskräfte gehemmt wird. Das Problem der Gnosis ist daher, von der Wirklichkeit her gesehen, nicht der Advent des neuen Äons, sondern der Kampf der konkreten Wirklichkeitsmächte gegen die tödliche Bedrohung durch pathologische Träumer. (52f; Fs)

53a Auch dieser Punkt ist den Gnostikern nicht entgangen. Ein Puritanerdokument, die Queries to Lord Fair fax von 1649, befaßt sich mit den Einzelheiten der Machtergreifung und mit dem mutmaßlichen Widerstand der prospektiven Opfer. Die Machtergreifung wird vorbereitet durch föderative Organisationen der Sektierer von den Ortsgruppen, den Gemeinden der Heiligen aufwärts; wenn die Organisation die Stufe regionaler Kirchenparlamente erreicht hat, 'dann wird Gott ihnen Autorität und Herrschaft über die Nationen und Reiche der Welt geben'. Konkret wird die Organisation der Heiligen an die Stelle der Institutionen Englands treten. Die 'christlichen Magistrate und Parlamente' Englands müssen ersetzt werden durch die unmittelbare Herrschaft des Geistes in seinen Gefäßen, den Heiligen, den 'Funktionären Christi'. Es ist nicht genug, daß die Herrscher Christen sind; sie müssen Heilige sein. 'Denn wie sollte ein Reich der Heiligen errichtet werden, wenn die Unheiligen (ungodly) Wähler sind und gewählt werden?' Kein Kompromiß mit der alten herrschenden Klasse ist zulässig, 'denn wie könnte es Rechtens sein, die alte weltliche Herrschaft zu flicken?' Das einzig erlaubte Verfahren ist die 'Unterdrückung der Feinde der Heiligkeit (godliness) für immer'. (Fs)

53b Der radikale Angriff auf die historisch gewachsenen Institutionen Englands und die Forderung kompromißloser Entfernung des Gegners aus dem öffentlichen Leben und seiner Unterdrückung (wir würden heute sagen: Liquidierung) empfangen ihre besondere Note in den Queries dadurch, daß die 'Funktionäre Christi' sie gegen Christen richten. Der sprachliche Ausdruck schwankt noch. Die Behörden Englands werden als 'christliche Magistrate' bezeichnet; aber an anderen Stellen, wenn die Kampfstimmung durchbricht, wird vom Gegner als Antichrist gesprochen. Ähnlich wie in der Predigt Colliers ist das Christentum der Puritaner in den Queries zu einem Punkt getrieben, an dem es von einer anti-christlichen Bewegung, von einem vernichtenden Angriff auf den geschichtlichen Bestand einer nationalen, christlichen Gesellschaft kaum noch zu unterscheiden ist. (53f; Fs)

54a Die Autoren der Queries waren nicht im Zweifel, daß die Christen den Heiligen das Feld nicht ohne Kampf räumen würden. Das neue Reich war universal in seinem Herrschaftsanspruch; es sollte sich 'universal auf alle Personen und Dinge erstrecken'. (Das 'universal' des 17. Jahrhunderts würde heute mit 'total' wiederzugeben sein). Die Heiligen erwarteten, daß der universale Anspruch ihrer Föderation eine ebenso universale Allianz der Welt gegen sie hervorrufen würde. Die Heiligen müßten sich 'gegen die antichristlichen Mächte der Welt verbünden'; und die antichristlichen Mächte würden sich 'universal gegen sie verbünden'. Aus den zwei Welten, die sich zeitlich folgen sollten, würden historisch-konkret zwei universale bewaffnete Lager, die sich gegenseitig auf den Tod bekämpfen. Schon hier, in der puritanischen Mystik von den zwei Welten, beginnen sich die universalen Kriege abzuzeichnen, die im 20. Jahrhundert dann in der Tat ausgebrochen sind. Der universale Herrschaftsanspruch der gnostischen Sektierer erzeugt das universale Bündnis gegen sie. Das wahrhaft Gefährliche an den heutigen Weltkriegen ist nicht die erdenweite Ausdehnung des Kriegstheaters, sondern ihr Charakter als Kriege zwischen Welten im gnostischen Sinn, die nur mit der Vernichtung der Gegenwelt enden können. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Modernes politisches Denken - Gnosis; Literatur; Fehlen von Denkwerkzeugen

Kurzinhalt: Europa hat keine Denkwerkzeuge, um das Furchtbare, das sich ereignete, zu erfassen... es gab keine Wissenschaft von den nicht-christlichen, nicht-nationalen Geistes- und Massenbewegungen, in die das christliche, nationalstaatliche Europa im Begriff ...

Textausschnitt: 57a Moderne politische Denker und Bewegungen unter dem Titel der 'Gnosis' behandelt zu sehen, dürfte den Leser überraschen. Da der Stand der Wissenschaft in diesen Fragen der breiteren Öffentlichkeit noch wenig bekannt ist, wird eine einführende Erklärung nicht unwillkommen sein. (Fs)

57b Daß eine Hauptlinie der europäischen und im besonderen der deutschen Denkbewegung gnostischen Charakter habe, klingt heute ungewohnt, ist aber nicht eine neue Erkenntnis. Bis vor etwa hundert Jahren war der Sachverhalt noch bekannt. Ferdinand Christian Baurs monumentales Werk über Die christliche Gnosis, oder die Religionsphilosophie in ihrer geschichtlichen Entwicklung ist im Jahre 1835 erschienen. Im letzten Teil dieses Werkes werden unter dem Titel »Die alte Gnosis und die neuere Religionsphilosophie« abgehandelt: (1) Die Böhmesche Theosophie; (2) Die Schellingsche Naturphilosophie; (3) Die Schleiermachersche Glaubenslehre; (4) Die Hegelsche Religionsphilosophie. Die Spekulation des deutschen Idealismus wird richtig in ihren Zusammenhang der gnostischen Bewegung seit dem Altertum gestellt. Das Werk Baurs war ferner nicht eine isolierte Erscheinung - es stand selber schon am Ende einer hundertjährigen Befassung mit der Ketzergeschichte; einem Wissenschaftszweig, der nicht ohne Grund gleichzeitig mit der Aufklärung gewachsen ist. Ich nenne nur Mosheims enzyklopädischen Versuch einer unpartheiischen und gründlichen Ketzergeschichte, 2. Aufl., 1748 und zwei Werke über die alte Gnosis, die in Baurs Zeit hineinreichen: Neanders Genetische Entwicklung der vornehmsten gnostischen Systeme von 1818 und Matters Histoire critique du Gnosticisme et de son influence sur les sectes religieuses et philosophiques des six premiers siècles de l'ère chrétienne von 1828. Daß in der Aufklärung und im Idealismus die gnostische Bewegung sich zu massiver Sozialrelevanz erhob, war wohlverstanden. (Fs)

58a Der Stand des Wissens und des Selbstverständnisses der westlichen Kultur ist in dieser Frage, wie in so vielen anderen, erst in der liberalen Ära, in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts verschüttet worden, in der Zeit der positivistischen Geistes- und Gesellschaftswissenschaft. Die Verschüttung war so gründlich, daß die gnostische Bewegung, als sie ihre revolutionäre Phase erreichte, in ihrem Wesen nicht mehr erkannt werden konnte. Die Bewegungen, die an Marx und Bakunin anknüpften, der frühe Lenin, der Sorelsche Mythos der Gewalt, die Intellektuellenbewegung des neuen Positivismus, die kommunistischen, faschistischen und nationalsozialistischen Revolutionen fielen in die Zeit eines heute schon der Vergangenheit angehörenden Tiefstandes der Wissenschaft. Europa hat keine Denkwerkzeuge, um das Furchtbare, das sich ereignete, zu erfassen. Es gab eine Wissenschaft von den christlichen Kirchen und Sekten; es gab eine Staatslehre, die in den Kategorien des souveränen Nationalstaates und seiner Institutionen dachte; es gab die Anfänge einer Soziologie der Macht und der Herrschaftsformen; aber es gab keine Wissenschaft von den nicht-christlichen, nicht-nationalen Geistes- und Massenbewegungen, in die das christliche, nationalstaatliche Europa im Begriff war sich aufzulösen. Da das neue politische Phänomen in seiner Massivität nicht zu übersehen war, wurden zu seiner Erfassung eine Reihe von Verlegenheitsformeln geprägt. Es war die Rede von den neo-paganen Bewegungen, von neuen sozialen und politischen Mythen, oder von den mystiques politiques; auch ich habe mich in einer solchen Verlegenheitslösung versucht, als ich eine kleine Studie über die politischen Religionen schrieb. (Fs)

58b Die verworrene Lage der Wissenschaft und in deren Konsequenz die Unmöglichkeit, die politischen Ereignisse adäquat zu verstehen, dauerte bis in die nationalsozialistische Ära, ja bis in die Zeit des zweiten Weltkriegs; und für die breitere Öffentlichkeit dauert dieser unbefriedigende Zustand noch heute an - sonst wäre dieses Vorwort ja nicht nötig. Die Wissenschaftslage ist jedoch in einer Veränderung begriffen, deren Anfänge etwa zwei Generationen zurückreichen. Die säkular vorbereiteten Katastrophen, die über uns hereingebrochen sind, haben sie nicht aufgehalten, sondern beschleunigt; und angesichts der Breite der Veränderung und der schon vorliegenden Ergebnisse kann man heute sagen, daß wir an einer der großen Perioden westlicher Wissenschaftsentwicklung teilnehmen. Wenn die noch nicht ausgelebte Zersetzung nicht zu weiteren Katastrophen führt, die der freien Existenz der westlichen Gesellschaft ein Ende machen, werden künftige Historiker von dieser Blüte der Wissenschaft vielleicht die geistige und intellektuelle Regeneration Europas datieren. (58f; Fs)

59a Aber hier ist nicht der Ort, diese faszinierende Entwicklung in ihrem Zusammenhang und in ihren verzweigten Ergebnissen darzustellen. Nur ein kurzer Hinweis auf das neue Wissen um die Gnosis, die antike und die moderne politische, ist erlaubt. Die Erforschung der antiken Gnosis hat eine mehr als zweihundertjährige, komplizierte Geschichte. Über die innere Geschichte der Wissenschaft von der Gnosis informierten die historischen Überblicke in Wilhelm Bousset, Die Hauptprobleme der Gnosis (1907), und Hans Jonas, Gnosis und spätantiker Geist (2. Aufl. 1954). Über die Probleme der Gnosis selbst unterrichten die beiden genannten Werke und Hans Leisegangs Werk Die Gnosis (1924; 4. Aufl. 1955) ... Als repräsentatives Werk zum Verständnis der deutschen Geschichte seit dem achtzehnten Jahrhundert sei Hans Urs von Balthasars Apokalypse der deutschen Seele (1937) genannt, dessen erster Band unter dem Titel Prometheus 1947 wiederaufgelegt wurde. Das Parallel werk für die französische Geschichte ist Albert Camus' L'Homme Révolté (1951). Die geistesgeschichtliche Konzeption, die meiner hier vorliegenden Vorlesung zugrunde liegt, ist ferner stark beeinflußt von Henri de Lubacs Drame de l'Humanisme Athée (2. Aufl. 1945). Für die Wiederherstellung des Kontinuums von der Antike durch das Mittelalter bis in die moderne politische Gnosis ist bedeutsam das Werk von Jakob Taubes, Abendländische Eschatologie (1947). Zum Verständnis des politischen Sektenwesens vom elften bis sechzehnten Jahrhundert ist unentbehrlich die umfassende Ausbreitung des Materials in Norman Cohns The Pursuit of the Millenium (1957). Schließlich seien meine eigenen Studien zur modernen politischen Gnosis, in der New Science of Politics (1952) genannt. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Gnosis; Zeit der ökumenischen Reiche - Desorientierung; Erlebnis d. Welt als Fremde; Clemens von Alexandrien; Geworfenheit (Heidegger); Seinsordnung vs. Ontologie der alten u. neuen Gnosis; Gnostiker, Werk der Erlösung (Psyche, Pneuma); Irenäus

Kurzinhalt: Die Welt ist nicht mehr die wohlgeordnete, der Kosmos, ... Der gnostische Mensch hat nicht mehr den Willen, die wesenhafte Ordnung des Kosmos bewundernd zu erkennen; die Welt ist ihm ein Gefängnis geworden, dem er zu entfliehen sucht:

Textausschnitt: 60a Und nun ein Wort über die Gnosis selbst - über ihren Ursprung und einige ihrer Wesensmerkmale.

Mit dem siebten Jahrhundert vor Christus beginnt für die kosmologischen Zivilisationen in Mesopotamien, Syrien und Ägypten, sowie für die Völker des Mittelmeerbeckens, die Zeit der ökumenischen Reiche. Es folgen einander das Perserreich und die Eroberung Alexanders, die Diadochenreiche, die Expansion des Römischen Reiches und die Gründung der Parther und Sassaniden. Der Fall der alten Reiche im Osten, der Verlust der Unabhängigkeit für Israel, für die hellenischen und phönizischen Stadtstaaten, die Bevölkerungsverschiebungen, die Deportationen und Versklavungen, und die wechselseitige Durchdringung der Kulturen versetzten die Menschen, über deren Köpfe hinweg die Geschichte agiert wurde, in einen äußersten Zustand der Verlorenheit im Weltgetriebe, der geistigen Desorientierung, der materiellen und seelischen Unsicherheit. Der Sinnverlust der Existenz durch den Zusammenbruch der Institutionen, der Kulturen und der Volkszusammenhänge rief als Antwort die Versuche hervor, den Sinn des menschlichen Daseins neu zu verstehen, den Sinn der Existenz unter den gegebenen Bedingungen der Welt wiederzufinden. Zu diesen Versuchen, mit einer sehr großen Variationsbreite an Tiefe der Einsicht und an Wahrheitsgehalt, gehören die stoische Umdeutung des Menschen, dem die Polis sinnlos geworden war, in den Polites des Kosmos; die Polybianische Vision von der schicksalhaften Schöpfung der pragmatischen Ökumene durch Rom; die Mysterienreligionen; die heliopolitischen Sklavenkulte; die jüdische Apokalyptik; das Christentum; und der Manichäismus. Und in diese Reihe gehört, als eine der großartigsten unter den neuen Sinnschöpfungen, die Gnosis. (60f; Fs) (notabene)

61a Aus dem Reich der gnostischen Erlebnisse und symbolischen Ausdrücke sei der eine Zug herausgehoben, der als der zentral wesenhafte dieser weitverzeigten Sinnschöpfung anzusehen ist: das Erlebnis der Welt als einer Fremde, in die der Mensch sich verirrt hat und aus der er wieder heimfinden muß in die andere Welt seiner Herkunft. 'Wer hat mich in das Leid der Welt geworfen?' fragt in gnostischen Texten das 'große Leben', das zugleich das 'erste, fremde Leben aus den Lichtwelten' ist. Es ist fremd in dieser Welt, und diese Welt ist ihm Fremde. 'Diese Welt wurde nicht nach dem Wunsche des Lebens geschaffen'; und 'nicht nach dem Willen des großen Lebens bist du hergekommen'. Darum die Frage: 'Wer hat mich in die böse Finsternis versetzt?'; und die Bitte: 'Erlöse uns aus der Finsternis dieser Welt, in die wir geworfen sind.' Die Welt ist nicht mehr die wohlgeordnete, der Kosmos, in dem der hellenische Mensch sich heimisch fühlt; noch ist sie die jüdisch-christliche Welt, die Gott geschaffen und für gut befunden hat. Der gnostische Mensch hat nicht mehr den Willen, die wesenhafte Ordnung des Kosmos bewundernd zu erkennen; die Welt ist ihm ein Gefängnis geworden, dem er zu entfliehen sucht: 'Ohne Ausweg irrt die unselige Seele umher im Labyrinth voller Pein, in das sie geriet [...] Zu entfliehen sucht sie dem bitteren Chaos und weiß nicht, wie sie herauskommen soll.' Darum die verwirrte, klagende Frage an das große Leben: 'Warum hast du diese Welt geschaffen, warum hast du die Stämme aus deiner Mitte hinbefohlen?' Aus dieser Haltung erwächst die Programmformel der Gnosis, die Clemens von Alexandrien überliefert hat: Die Gnosis ist 'die Erkenntnis, wer wir waren, was wir wurden; wo wir waren und wohinein wir geworfen wurden, wohin wir eilen, woraus wir erlöst werden; was Geburt ist und was Wiedergeburt'. Um die Fragen der Herkunft, des Geworfenseins, der Flucht aus der Welt und der Mittel der Erlösung kreisen die großen spekulativen Mythopoeme der Gnosis. (Fs)

62a In den zitierten Texten wird der Leser Hegels entfremdeten Geist und Heideggers Geworfenheit des Daseins wiedererkannt haben. Die Gleichartigkeit des Welterlebens motiviert die Verwandtschaft im symbolischen Ausdruck. Und diese Gleichartigkeit erstreckt sich über das Welterleben hinaus, auf die Erlösung und das Menschenbild, mit denen die alten wie die modernen Gnostiker auf die Situation der Geworfenheit in die fremde Welt antworten. (Fs)

62b Um den Menschen von der Welt zu erlösen, muß vor allem die Erlösungsmöglichkeit in der Seinsordnung angelegt sein. In der Ontologie der alten Gnosis wird sie durch den Glauben an den 'fremden', den 'verborgenen' Gott gesichert, der den Menschen zu Hilfe kommt, ihnen seinen Abgesandten schickt, und ihnen den Weg weist aus dem Gefängnis des bösen Gottes dieser Welt (sei es Zeus oder Jahweh oder ein anderer der alten Vatergötter). In der modernen Gnosis wird sie gesichert durch die Annahme eines absoluten Geistes, der in der dialektischen Entfaltung des Bewußtseins aus der Entfremdung zu sich selbst kommt; oder eines dialektisch-materialistischen Prozesses der Natur, der in seinem Gang über die Entfremdung durch Gott und Privateigentum zur Freiheit des voll-menschlichen Daseins führt; oder durch die Annahme eines Willens der Natur, der den Menschen über sich selbst hinaus zum Übermenschen wandelt. (Fs)

62c Innerhalb der ontischen Möglichkeit hat der gnostische Mensch das Werk der Erlösung selbst zu betreiben. Durch seine Psyche gehört er der Ordnung, dem Nomos der Welt an; das, was in ihm zur Erlösung drängt, ist das Pneuma. Das Werk der Erlösung hat darum die Weltkonstitution der Psyche aufzulösen und gleichzeitig die Kräfte des Pneuma zu sammeln und in Freiheit zu setzen. Wie immer in den verschiedenen Sekten und Systemen die Phasen der Erlösung vorgestellt werden - sie variieren von magischen Praktiken bis zu mystischer Ekstase, von Libertinismus über Indifferentismus zur Welt bis zu strengster Askese - es geht um die Vernichtung der alten und den Übergang in die neue Welt. Das Instrument der Erlösung ist die Gnosis selbst, das Wissen. Da die Verstrickung in die Welt nach der gnostischen Ontologie durch die Agnoia, die Unwissenheit, verursacht ist, kann die Seele sich aus der Verstrickung wieder lösen durch das Wissen um ihr wahres Leben und ihren Zustand der Fremdheit in dieser Welt. Die Gnosis als das Wissen um die Verfallenheit an die Welt ist in einem das Mittel, ihr zu entfliehen. Über die Bedeutung, welche die Gnosis bei den Valentinianern hat, berichtet Irenäus: 'Die vollkommene Erlösung besteht in der Erkenntnis als solcher der Unaussprechlichen Größe. Denn da Sünde und Leid durch Unwissenheit (agnoia) entstanden sind, so wird durch das Wissen (gnosis) diese ganze aus der Unwissenheit entstandene Ordnung aufgelöst. Daher ist die Gnosis die Erlösung des inneren Menschen [...] Die Gnosis erlöst den inneren, pneumatischen Menschen - im Wissen um das Ganze hat er sein Genügen - und dies ist die wahre Erlösung.' (62f; Fs)

63a Damit möge es der Erklärungen genug sein. Nur eine Warnung ist noch geboten. Die Selbsterlösung durch das Wissen hat ihren eigenen Zauber - und dieser Zauber ist nicht harmlos. Denn am Gefüge der Seinsordnung ändert sich nichts, wenn ich es schlecht finde und vor ihm davonlaufe. Der Versuch der Weltvernichtung vernichtet nicht die Welt, sondern steigert nur die Unordnung in der Gesellschaft. Die Flucht der Gnostiker aus einem wahrhaftig heillosen, verwirrenden und erdrückenden Zustand der Welt ist verständlich. Aber die Ordnung der alten Welt wurde erneuert durch die Bewegung, die sich bemühte, das 'ernste Spiel' (um Platons Formel zu gebrauchen) durch liebendes Tun wieder in Gang zu bringen - durch das Christentum. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Politische Wissenschaft (politike episteme - Platon, Aristoteles); Frage nach Glück; Philosoph - Philodox; philia -> sophon, eros -> agathon, kalon; Öffnung d. Seele -> Sichtbarkeit der Seinsordnung (epékeina); Meinungen (Symptom d. Unordnung)

Kurzinhalt: Das entscheidende Ereignis, das eigentlich philosophische, das die politike episteme begründete, war die Einsicht, daß die innerhalb der Welt unterscheidbaren Seinsstufen überhöht werden von einer jenseitigen Quelle des Seins und seiner Ordnung.

Textausschnitt: 63b Die politische Wissenschaft, die politike episteme, ist von Platon und Aristoteles gegründet worden.

In der geistigen Verwirrung der Zeit ging es um die Frage, ob ein Bild von der richtigen Seelen- und Gesellschaftsordnung entworfen werden konnte: ein Paradigma, ein Modell, ein Leitbild für die Bürger der Polis, so wie in der homerischen Zeit der paränetische Mythos den Helden als Leitbild diente. Der Bilder gab es zwar genug im Athen des vierten Jahrhunderts - der Meinungen über die richtige Lebensführung des Menschen und die richtige Ordnung der Gesellschaft. Aber war es möglich, aus dieser Vielzahl von skeptischen, hedonistischen, utilitaristischen, machtrationalen und parteipolitischen doxai eine als die richtige zu erweisen? Oder, wenn keine der kritischen Prüfung standhielt, ein neues Bild der Ordnung zu formen, das nicht auch wieder den Charakter einer unverbindlichen, subjektiven Meinung hatte? Aus den Bemühungen um die Antwort auf diese Frage ist die politische als eine philosophische Wissenschaft entstanden. (63f; Fs)

64a Die Gründung hat einen Kernbestand, der noch heute gültig ist. Im folgenden werde er kurz umrissen nach den Richtungen des Gegenstandes, der analytischen Methode und der anthropologischen Voraussetzung der Wissenschaft. (Fs)

64b Versichern wir uns zunächst des Gegenstandes. Er liegt nicht fern von den Tagesfragen; er ist nicht esoterisch. Es geht um die Wahrheit über Dinge, von denen jedermann spricht. Was ist Glück? und wie soll der Mensch sein Leben führen, um glücklich zu sein? Was ist Tugend? und im besonderen die Tugend der Gerechtigkeit? Welche Größenordnung von Territorium und Bevölkerung ist für eine Gesellschaft die beste, welche Art von Erziehung und Berufen und welche Art von Herrschaftsordnung? Alle diese Fragen erwachsen aus den Bedingungen der Existenz des Menschen in der Gesellschaft. Und der Philosoph ist Mensch wie jeder andere; er hat, was die Ordnung der Gesellschaft betrifft, keine anderen Fragen zu stellen als seine Mitbürger. (Fs)

64c Sein Fragen führt jedoch zu einem Konflikt mit den Meinungen -zu einem Konflikt von anderer Art als dem der Meinungen untereinander; denn wenn auch die Fragen des Philosophen sich auf die gleichen Gegenstände richten, so ist doch die Art seiner Fragestellung eine radikal andere. Die Frage des Philosophen unterscheidet sich von der des Philodoxen - das sind die Ausdrücke, die Platon für die Antagonisten eingeführt hat - dadurch, daß sie beim Versuch, zur Wahrheit jenseits der Meinungen vorzudringen, sich der Analyse im Sinne der Wissenschaftslogik bedient, wie Aristoteles sie in den Analytica Posteriora entwickelt hat. Und wenn das Instrument der Analyse angewendet wird, dann zerfallen die in einer Gesellschaft umlaufenden Aussagen über politische Dinge in die vor-analytischen Meinungen und in die wissenschaftlichen Sätze im strengen Sinne; und die Sprachsymbole in die vor-analytischen, unzureichend analysierten Ausdrücke und die analytischen Begriffe der politischen Wissenschaft. Die Meinungen und ihre Vertreter, die in der Tagespolitik sich befehden, rücken dadurch zusammen gegenüber ihrem gemeinsamen Gegner, dem Philosophen. (64f; Fs)

65a Wenn wir von der Analyse im Sinne der Wissenschaftslogik sprechen, soll damit der Gegensatz zur formalen Logik betont werden. Denn eine formal-logische Analyse kann zu nicht mehr führen als dem Nachweis, daß eine Meinung an einem inneren Widerspruch leidet, oder daß verschiedene Meinungen einander widersprechen, oder daß Schlüsse falsch gezogen wurden. Die Wissenschaftslogik dagegen ermöglicht ein Urteil über die Richtigkeit der Prämissen, die in einer Meinung enthalten sind. Zu dieser Leistung ist sie jedoch nur unter der Annahme befähigt, daß die Wahrheit über die Seinsordnung, auf die sich ja auch die Meinungen richten, objektiv feststellbar ist. Und die Platonisch-Aristotelische Analyse arbeitet in der Tat mit der Annahme einer der Wissenschaft jenseits der Meinungen zugänglichen Ordnung des Seins. Ihr Ziel ist die Erkenntnis der Seinsordnung, der Stufen der Seinshierarchie und ihres Verhältnisses zueinander, der Wesensgefüge der Seinsbereiche, und im besonderen des menschlichen Wesens und seiner Stellung im Ganzen des Seins. Die Analyse ist daher wissenschaftlich und führt zur Wissenschaft von der Ordnung, dadurch daß und insofern sie ontologisch gerichtet ist. (65; Fs)

65b Die Annahme allein, daß die Seinsordnung der Erkenntnis zuganglich, daß Ontologie möglich sei, genügt jedoch nicht zur Durchführung einer Analyse. Denn die Annahme könnte ja unbegründet sein. Es muß daher immer eine Erkenntnis betreffend einen Seinsverhalt schon real vorgegeben sein, nicht nur um die ersten Schritte im Unternehmen der Analyse zu tun, sondern vor allem um die Idee der Analyse überhaupt zu fassen und zu entwerfen. Und die Platonisch-Aristotelische Analyse hat auch keineswegs mit Spekulationen über ihre Möglichkeiten begonnen, sondern mit der tatsächlichen Erkenntnis eines Sachverhaltes, die den Prozeß der Analyse motivierte. Das entscheidende Ereignis, das eigentlich philosophische, das die politike episteme begründete, war die Einsicht, daß die innerhalb der Welt unterscheidbaren Seinsstufen überhöht werden von einer jenseitigen Quelle des Seins und seiner Ordnung. Und die Einsicht wieder hatte ihre Wurzel in den realen Bewegungen der menschlichen Geistseele auf das als jenseitig erlebte, göttliche Sein hin. In den Erlebnissen der Liebe zum weit-jenseitigen Ursprung des Seins, in der philia zum sophon, im eros zum agathon und kalon, wurde der Mensch zum Philosophen. Aus diesen Erlebnissen erwuchs das Bild von der Ordnung des Seins. Wenn die Seele sich öffnet - das ist die Metapher, in der Bergson von dem Ereignis spricht -, dann wird die Seinsordnung sichtbar bis zu ihrem Grund und Ursprung im Jenseits, dem Platonischen epékeina, an dem die Seele teilnimmt, indem sie ihr Öffnen erleidet und begeht. (65f; Fs)

66a Erst wenn die Seinsordnung im Ganzen, bis zu ihrem Ursprung im transzendenten Sein, im Blickfeld liegt, kann die Analyse mit Aussicht auf Erfolg unternommen werden. Denn erst jetzt ist es möglich, die Meinungen über rechte Ordnung, die in der Gesellschaft im Umlauf sind, daraufhin zu prüfen, ob sie mit der Seinsordnung zusammenstimmen. Wenn der Starke und Erfolgreiche hochgewertet wird, so kann ihm der Mann entgegengestellt werden, der die Tugend der phronesis, der Weisheit, besitzt, der Mann, der sub specie mortis lebt und der handelt im Blick auf das Letzte Gericht. Wenn die Staatsmänner gepriesen werden, die ihre Völker groß und mächtig gemacht haben, wie Themistokles und Perikles Athen, kann Platon ihnen den sittlichen Verfall entgegenhalten, der die Folge ihrer Politik war. (Man denke dabei nicht nur an klassische Beispiele, sondern vielleicht auch an das Werk Gladstones über Bismarck: daß er Deutschland groß und die Deutschen klein gemacht hat.) Und wieder: wenn feurige Jünglinge von der Vulgarität der Demokratie abgestoßen werden, kann Platon sie aufmerksam machen, daß Energie, Stolz und Herrschaftswille zwar das Gewaltregime einer geistig ungewaschenen Elite begründen können, nicht aber eine gerechte Herrschaft; wenn Demokraten von Gleichheit und Freiheit schwärmen und vergessen, daß Herrschaft geistige Zucht und intellektuelle Disziplin erfordert, kann er sie warnen, daß sie auf dem Wege zur Tyrannis sind. (66f; Fs)

67a Das sind genug der Beispiele, um zu zeigen, daß es in der politischen Wissenschaft, über die Richtigkeit der Sätze hinaus, um die Wahrheit der Existenz geht. Denn die Meinungen, um deren Klärung willen die Analyse unternommen wird, sind mehr als nur falsch, sie sind die Symptome geistiger Unordnung in den Menschen, die sie vertreten; und die Analyse wird in der Absicht geführt, zu überzeugen; sie will erreichen, daß ihre Einsichten, wenn möglich, in der Sozialrealität an die Stelle der Meinungen treten. In der Analyse geht es um die Therapie der Ordnung. (67; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Politische Wissenschaft (politike episteme), Seinsordnung, Wahrheit der Existenz - Widerstand; existentieller Kampf um und gegen die Wahrheit; gefährlich: Doxa nimmt philosophische Form an; Verbot der Fragestellung

Kurzinhalt: Gegen das therapeutische Wirken der Wissenschaft leistet die Gesellschaft Widerstand. Weil eben nicht nur die Richtigkeit der Meinungen in Frage steht, sondern die Wahrheit der menschlichen Haltungen, die sich in den Meinungen ausdrücken...

Textausschnitt: 67b Gegen das therapeutische Wirken der Wissenschaft leistet die Gesellschaft Widerstand. Weil eben nicht nur die Richtigkeit der Meinungen in Frage steht, sondern die Wahrheit der menschlichen Haltungen, die sich in den Meinungen ausdrücken; weil das Bemühen um die Wahrheit sich gegen die Unwahrheit der Existenz in konkreten Menschen richtet, steigert sich die intellektuelle Auseinandersetzung, über die Ebene von Analyse und Argument hinaus, zum existentiellen Kampf um und gegen die Wahrheit - einem Kampf, der auf allen Stufen des menschlichen Seins, von der Geistigkeit der Überredung, der Peitho im Platonischen Sinne, über die psychologische Propaganda, bis hinunter zur physischen Attacke und Vernichtung geführt werden kann. Wir sind heute, unter den Eindrücken totalitären Terrors, vielleicht geneigt, vor allem an die physischen Formen des Widerstandes zu denken. Aber sie sind nicht die erfolgreichsten. Radikal und gefährlich wird der Widerstand erst, wenn das philosophische Fragestellen selbst in Frage gestellt wird, wenn die Doxa philosophische Form annimmt, wenn sie den Titel der Wissenschaft für sich arrogiert und die Wissenschaft als Nicht-Wissenschaft verbietet. Erst wenn dieses Verbot sozialwirksam durchgesetzt werden kann, ist der Punkt erreicht, an dem die Ratio als Remedium der geistigen Unordnung nicht mehr wirken kann. In der hellenischen Kultur ist er nie erreicht worden - Philosophieren konnte lebensgefährlich sein, aber die Philosophie, und im besonderen die politische Wissenschaft, blühte. Nie ist ein Grieche auf den Gedanken gekommen, das analytische Fragen als solches zu verbieten. (67f; Fs)

68a Das Gesamtbild der politischen Wissenschaft hat sich in den mehr als zweitausend Jahren, die seit ihrer Gründung vergangen sind, erheblich verändert. Die Erweiterung des zeitlichen und räumlichen Horizontes hat der vergleichenden Analyse gewaltige Materialmassen gebracht, die der Antike unbekannt waren; und der Eintritt des Christentums in die Geschichte hat durch die Spannung zwischen Vernunft und Offenbarung die Problematik des Philosophierens tief affiziert. Das Platonisch-Aristotelische Paradigma der besten Polis gibt uns keine Antwort mehr auf die großen Fragen unserer Zeit - weder auf die Organisationsfragen der Industriegesellschaft, noch auf die geistigen Fragen des Kampfes zwischen Christentum und Ideologie. An der Situation der politischen Wissenschaft, die ich eben kurz umrissen habe, hat sich jedoch, bis auf einen Punkt, nichts geändert. Heute wie vor zweitausend Jahren befaßt sich die politike episteme mit den Fragen, die jedermann angehen und die jedermann stellt; und wenn auch heute andere Meinungen in der Gesellschaft im Umlauf sind, so haben sich doch ihre Gegenstände nicht verändert. Ihre Methode ist noch immer die Analyse im Sinne der Wissenschaftslogik; und die Voraussetzung der Analyse ist noch immer die Erkenntnis der Seinsordnung bis zu ihrem Ursprung im transzendenten Sein, und im besonderen die liebende Offenheit der Seele zu ihrem jenseitigen Ordnungsgrund. (68; Fs)

68b Nur in einem Punkt hat sich, wie angedeutet, die Situation geändert. Ein Phänomen ist aufgetreten, das unsere modernen Gesellschaften so tief durchdrungen hat, daß seine Allgegenwart uns kaum noch Distanz läßt, es überhaupt zu sehen, ein Phänomen, das der Antike unbekannt war, das Verbot der Fragestellung. Es handelt sich dabei nicht um den Widerstand gegen die Analyse (den hat es auch in der Antike gegeben); nicht um Meinungen, die traditional und emotional zäh gehalten werden; nicht um Meinungen, deren Vertreter sich im guten Glauben der Richtigkeit ihrer Position naiv auf Argumente einlassen und erst zur Offensive übergehen, wenn die Analyse sie erschüttert; es handelt sich um Meinungen, deren Vertreter wissen, daß und warum sie einer kritischen Analyse nicht standhalten, und die darum das Verbot der Prüfung ihrer Prämissen zum Inhalt ihres Dogmas machen. Diese Haltung der bewußten und spekulativ sorgfältig durchgearbeiteten Verschließung gegen die Ratio ist das neue Phänomen. (68f; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Frageverbot (Marx); Natur - Mensch; generatio aequivoca; Frage nach der Schöpfung: Abstraktion von Natur u. Mensch (Marx); 'Gib deine Abstraktion auf, so gibst du auch deine Frage auf'; Comte

Kurzinhalt: Diese Spekulation hat den Zweck, den Seinsprozeß gegen transzendentes Sein abzuschließen und den Menschen sich selbst erzeugen zu lassen; und sie erreicht ihre Absicht durch das Spiel mit den Äquivokationen, in denen die 'Natur' einmal das...

Textausschnitt: 69a Ich will nun versuchen, das Phänomen des Frageverbotes vorzuführen, und zwar in der Form einer Analyse von repräsentativen Meinungen. Der Versuch wird also nicht nur das Phänomen vorführen, sondern in einem damit die Praxis der Analyse. Er soll zeigen, daß die geistige Unordnung der Zeit, die Kulturkrise, von der man so gern spricht, keineswegs als ein unabwendbares Schicksal hingenommen werden muß, sondern daß jedermann die Mittel zur Verfügung stehen, sie zu seinem Teil zu überwinden; und er soll nicht nur die Mittel zeigen, sondern auch die Methode ihrer Anwendung. Niemand ist verpflichtet, eine geistige Krise der Gesellschaft mitzumachen; im Gegenteil, jedermann ist verpflichtet, diesen Unfug zu unterlassen und in Ordnung zu leben. Die Vorführung des Phänomens wird es also gleichzeitig durch die therapeutische Analyse auflösen. (69; Fs)

1 (eg: Frageverbot bei Marx)

69b Als Ausgangspunkt möge das Frageverbot dienen, wie es in den Frühschriften von Karl Marx, im besonderen in dem Ms. über Nationalökonomie und Philosophie von 1844 auftritt. Marx ist ein spekulativer Gnostiker. Er konstruiert die Seinsordnung als einen in sich geschlossenen Prozeß der Natur. Die Natur ist im Werden, und im Laufe ihrer Entfaltung hat sie den Menschen hervorgebracht: 'Der Mensch ist unmittelbar Naturwesen.'1 Im Werden der Natur fällt nun dem Menschen eine besondere Rolle zu. Denn dieses Wesen, das Natur ist, steht der Natur auch gegenüber und steht ihr in ihrem Werden bei durch die menschliche Arbeit, in der höchsten Form durch die naturwissenschaftlich begründete Technik und Industrie. 'Die in der menschlichen Geschichte [...] werdende Natur', 'die Natur, wie sie durch die Industrie [...] wird', ist 'die wahre anthropologische Natur'.2 Im Akt der Naturschöpfüng schafft jedoch gleichzeitig auch der Mensch sich selbst zur Fülle seines Wesens; und darum ist 'die ganze sogenannte Weltgeschichte nichts anderes als die Erzeugung des Menschen durch die menschliche Arbeit'.3 Diese Spekulation hat den Zweck, den Seinsprozeß gegen transzendentes Sein abzuschließen und den Menschen sich selbst erzeugen zu lassen; und sie erreicht ihre Absicht durch das Spiel mit den Äquivokationen, in denen die 'Natur' einmal das umgreifende Sein ist, das andere Mal die Natur, die dem Menschen gegenübersteht, und ein drittes Mal die Natur des Menschen im Sinne von essentia. Seinen Höhepunkt erreicht das äquivoke Spiel in einem Satz, über den man leicht hinwegliest: 'Ein Wesen, welches seine Natur nicht außer sich hat, ist kein natürliches Wesen, nimmt nicht teil an dem Wesen der Natur.'4 (Fs)

70a Im Zusammenhang der Spekulation legt nun Marx sich selbst die Frage vor, welche Bedenken wohl 'das einzelne Individuum' gegen die Theorie von der 'generatio aequivoca' der Natur und des Menschen äußern werde. Denn 'das Durchsichselbstsein der Natur und des Menschen ist ihm unbegreiflich, weil es allen Handgreiflichkeiten des praktischen Lebens widerspricht'. Der einzelne Mensch wird auf der Suche nach seinem Ursprung, von Generation zu Generation rückwärtsschreitend, die Frage nach der Schöpfung des ersten Menschen erheben. Er wird das Argument des Regresses bringen, das in der ionischen Philosophie zum Problem der arche geführt hat. Auf solche Fragen, die durch das 'handgreifliche' Erlebnis motiviert werden, daß der Mensch nicht aus sich selbst existiert, will Marx die Antwort geben, daß sie 'ein Produkt der Abstraktion' seien. 'Wenn du nach der Schöpfung der Natur und des Menschen fragst, so abstrahierst du vom Menschen und der Natur.' Real seien nur die Natur und der Mensch, wie Marx sie in seiner Spekulation konstruiert; wenn der andere die Möglichkeit ihres Nicht-Seins setze, so könne er (Marx) nicht ihr Sein beweisen.5 (Fs)

Kommentar (vom 16.09.2012): "... so abstrahierst du vom Menschen und der Natur ...": Ein schönes Beispiel, wie eine schiefe Erkenntnistheorie sich selbst das Fundament schafft. (Lonergan).

71a An dieser Frage würde in der Tat die Konstruktion zusammenbrechen. Und wie zieht sich Marx aus dem Dilemma? Indem er den Frager anweist: 'Gib deine Abstraktion auf, so gibst du auch deine Frage auf.' Denn wäre der Frager konsequent, so müßte er sich selbst als nichtseiend denken, da er doch eben im Akt des Fragens ist. Darum nochmals die Anweisung 'Denke nicht, frage mich nicht'.1 Der 'individuelle Mensch' ist jedoch nicht verpflichtet, auf den Syllogismus von Marx hereinzufallen und sich selbst als nichtseiend zu denken, wenn er sich bewußt ist, nicht durch sich selbst zu sein. Und Marx gesteht ihm in der Tat noch dieses eine Gegenargument zu - ohne sich jedoch darauf einzulassen. An diesem Punkt bricht er die Debatte mit dem Dekret ab, 'für den sozialistischen Menschen', d.h. für den Menschen, der seine Konstruktion des Seins- und Geschichtsprozesses akzeptiert hat, sei eine solche Frage 'praktisch unmöglich geworden'. Die Fragen des 'individuellen Menschen' werden durch den Ukas des Spekulateurs abgeschnitten, der sich seine Konstruktion nicht stören lassen will. Wenn der 'sozialistische Mensch' spricht, hat der Mensch zu schweigen.2 (Fs)

71b Das wäre der Tatbestand, von dem wir auszugehen haben. Aber bevor wir in die Analyse selbst eintreten, sei vorgreifend festgestellt, daß das Marxistische Frageverbot weder isoliert noch harmlos ist. Es ist nicht isoliert in seiner Zeit, denn wir finden das gleiche Verbot bei Comte in der 1. Vorlesung seines Cours de Philosophie Positive. Auch Comte antizipiert Einwendungen gegen seine Konstruktion und lehnt sie rundweg als 'müßige Fragen' ab; ihn interessiere nun einmal nichts anderes als die Gesetzlichkeit der Sozialphänomene. Wer Fragen nach Wesen, Beruf und Schicksal des Menschen stellt werde vorläufig ignoriert; später, wenn sich das System des Positivismus sozial durchgesetzt habe, müsse er durch geeignete Maßnahmen zum Schweigen gebracht werden.3 Und das Frageverbot ist nicht harmlos, denn es ist massiv sozialwirksam geworden in Menschen, die sich selbst das Verbot auferlegen, in kritischen Situationen Fragen zu stellen. Man denke an die vor kurzem veröffentlichte Betrachtung von Rudolf Höß, dem Kommandanten des Vernichtungslagers Auschwitz. Auf die Frage, warum er den Befehl zur Organisation der Vernichtung nicht abgelehnt habe, antwortete er: 'Ich stellte damals keine Überlegungen an - ich hatte den Befehl bekommen - und hatte ihn durchzuführen [...] Ich glaube nicht, daß unter den Tausenden von SS-Führern auch nur einer einen solchen Gedanken in sich hätte aufkommen lassen können. So etwas war einfach ganz unmöglich.'4 Das ist fast im Wortlaut die Marxische Erklärung, daß für 'den sozialistischen Menschen' eine solche Frage 'praktisch unmöglich geworden sei'. Wir sehen die drei großen Typen sich abzeichnen, für die ein menschliches Fragen praktisch unmöglich ist: den sozialistischen Menschen (im Marxischen Sinne), den positivistischen Menschen (im Comteschen Sinne) und den nationalsozialistischen Menschen. (Fs)

72a Und nun zu dem Marxischen Frageverbot. Es hat ein sehr kompliziertes geistiges Gefüge, wie wir sehen werden; und wir müssen eine der Komponenten nach der anderen isolieren. Zuerst die 'handgreiflichste'. Hier ist ein Denker, der weiß, daß seine Konstruktion zusammenbrechen wird, wenn jemand die erste philosophische Frage stellt. Bewegt dieses Wissen ihn, die unhaltbare Konstruktion aufzugeben? Keineswegs. Es bewegt ihn nur, das Fragen zu verbieten. Aber dieses Frageverbot bewegt nun uns zu der Frage: War Marx ein intellektueller Schwindler? Eine solche Frage wird vielleicht Bedenken erregen. Kann man ernstlich erwägen, daß das Lebenswerk eines Denkers von erheblichem Rang auf einem intellektuellen Schwindel aufgebaut ist? Daß es Massengefolgschaft findet und zu einer politischen Weltmacht wird, wenn es sich auf einen Schwindel gründet? Aber wir sind heute abgehärtet gegen solche Bedenken: wir haben zu viel unwahrscheinliche und unglaubwürdige Dinge gesehen, die dennoch wirklich waren. Und wir zögern darum nicht, die Frage, die sich angesichts des Tatbestandes aufdrängt, zu stellen - und zu beantworten: Ja, Marx war ein intellektueller Schwindler. Damit ist über Marx gewiß nicht das letzte Wort gesprochen - ich habe schon auf die Komplexität des geistigen Gefüges in den zitierten Stellen hingewiesen. Aber es muß unerbittlich das erste Wort sein, wenn wir uns das Verstehen des Frageverbotes nicht verbauen wollen. (72f; Fs)

73a Aber wenn wir feststellen, daß Marx ein intellektueller Schwindler war, dann erhebt sich sofort die weitere Frage nach dem Warum. Was kann einen Mann bewegen, einen solchen Schwindel zu begehen? Hat diese Tat nicht etwas Krankhaftes? Wenden wir uns zur Antwort auf diese Frage an Nietzsche, der auch ein spekulativer Gnostiker war, aber ein sensitiverer Psychologe als Marx. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Gnosis; Nietzsche (libido dominandi); "Grausamkeit des intellektuellen Gewissens" vs periagoge (Platon); Genuss der Maske; intellektueller Schwinderl: 3 Stadien (Täuschung, Wissen um den Schwindel, Revolte gegen Gott)

Kurzinhalt: Aber die gnostische Bewegung des Geistes führt nicht zur erotischen Öffnung der Seele, sondern zu dem tiefsten Punkt des Beharrens in der Täuschung, an dem sich als ihr Motiv und Zweck die Revolte gegen Gott enthüllt.

Textausschnitt: 73b Nietzsche führt den Machtwillen, den Willen zur Herrschaft, die libido dominandi, als die Leidenschaft ein, die den Willen zur intellektuellen Täuschung erklären soll. Betrachten wir den Weg, auf dem diese Leidenschaft den gnostischen Denker von Station zu Station treibt. (Fs)

73c In Jenseits von Gut und Böse, Aphorismus 230, spricht Nietzsche von einem 'Grundwillen des Geistes', der sich als Herrn fühlen will. Dem Herrschaftswillen des Geistes dient fürs erste 'ein plötzlich herausbrechender Entschluß zur Unwissenheit, zur willkürlichen Abschließung, [...] eine Art Verteidigungs-Zustand gegen vieles Wißbare'. Ferner will der Geist gelegentlich sich täuschen lassen, vielleicht mit einer mutwilligen Ahnung davon, daß es so und so nicht steht, daß man es so und so eben nur gelten läßt [...] ein Selbstgenuß an der Willkürlichkeit aller dieser Machtäußerungen'. Und endlich gehört hierher 'jene nicht unbedenkliche Bereitwilligkeit des Geistes, andere Geister zu täuschen und sich vor ihnen zu verstellen' der Genuß 'der Masken-Vielfältigkeit und Verschlagenheit'.1 (73f; Fs)

74a Die libido dominandi hat jedoch eine Stärke und Grausamkeit, die über den Genuß der Maske und der Täuschung des andern hinausführt. Sie wendet sich gegen den Denker selbst und entlarvt sein Denken als ein verschlagenes Machtwollen. 'Eine Art Grausamkeit des intellektuellen Gewissens', 'eine ausschweifende Redlichkeit' löst die Täuschung wieder auf, aber - und das ist der entscheidende Punkt - nicht um zur Wahrheit jenseits der Täuschung vorzudringen, sondern nur um eine neue an die Stelle der alten zu setzen. Das Maskenspiel geht weiter; und der andere bleibt getäuscht, wenn er sich täuschen läßt. In dieser 'Grausamkeit des intellektuellen Gewissens' erkennen wir die geistige Bewegung, die in der Gnosis Nietzsches funktionell der Platonischen periagoge, der Umkehr und dem Öffnen der Seele, entspricht. In der gnostischen Bewegung bleibt jedoch der Mensch gegen das transzendente Sein verschlossen, der Wille zur Macht stößt an die Mauer des Seins, das zum Gefängnis geworden ist; er zwingt den Geist in den Rhythmus von Täuschung und Selbstzerfleischung.2 (Fs)

74b Der Zwang zur Täuschung steht nun weiter in Frage. Stößt der Geist wirklich an die Mauer des Seins? Oder will er nicht vielleicht an ihr Halt machen? Die Perspektive in die tiefere Tiefe des Machtwillens eröffnet der Aphorismus: 'Herrschen - und nicht mehr Knecht eines Gottes zu sein: - dieses Mittel blieb zurück, den Menschen zu veredeln.' Herrschen heißt Gott sein; um Gott zu sein, nimmt der gnostische Mensch die Leiden der Täuschung und Selbst-zerfleischung auf sich.3 (Fs)

75a Noch ist die Bewegung nicht zu Ende. Noch weiter führt die Frage, ob der Denker wirklich Gott sein wolle. Ist die Versicherung dieses Willens nicht vielleicht auch noch eine Täuschung? Im Zarathustra, im Nachtlied, findet sich zu der Frage eine aufschlußreiche Konfession: 'Nacht ist es nun: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden - Eine Begierde nach Liebe ist in mir [...] (Aber) Licht bin ich: ach, daß ich Nacht wäre! [...] dies ist meine Einsamkeit, daß ich von Licht umgürtet bin [...] Ich kenne das Glück des Nehmenden nicht [...] Das ist meine Armut, daß meine Hand niemals ausruht vom Schenken [...] Ihr erst seid es, ihr Dunklen, ihr Nächtigen, die ihr Wärme schafft aus Leuchtendem [...] Eis ist um mich, meine Hand verbrennt sich an Eisigem! [...] Nacht ist es: ach, daß ich Licht sein muß.' In dieser Konfession scheint die Stimme eines Spiritualen zu sprechen, der am Bewußtsein seiner dämonischen Verschlossenheit leidet. Die mystische Nacht ist ihm versagt; er ist gefangen im eisigen Licht seiner Existenz; und aus dem Gefängnis steigt die Versicherung, halb Klage, halb Gebet, und doch nicht frei vom Trotz des Rebellen: 'Auch meine Seele ist das Lied eines Liebenden.'4 (74f; Fs)

75b Niemand wird diese Klage eines Menschen, dem die Humilitas vor Gott nicht gegeben war, ohne Ergriffenheit hören. Wir stehen, jenseits einer Psychologie des Machtwilles, vor dem Unerforschlichen, daß Gnade gewährt oder versagt wird. (Fs)

75c Die Ergriffenheit darf uns jedoch nicht hindern, das Bedenkliche der Konfession zu sehen. Ich habe ihr die Frage vorangeschickt, ob der gnostische Denker wirklich Gott sein wolle, oder ob die Versicherung seines Willens nicht auch noch eine Täuschung sei. Das Nachtlied scheint die Täuschung zu gestehen - er will nicht Gott sein, er muß es sein aus unerforschlichen Gründen. Gegenüber dieser zweiten, die erste aufhebenden Versicherung drängt sich die Frage auf: Müssen wir sie akzeptieren? Müssen wir das Spiel der Täuschungen als beendet ansehen? Ich glaube nicht. Setzten wir das Spiel fort und fragen wir, ob nicht auch das Nachtlied noch eine Maske ist. Bedenken wir, daß Nietzsche bekennt, um seine Verschlossenheit zu wissen und an ihr zu leiden; kehren wir sein Bekenntnis gegen ihn und fragen wir: Muß ein Mensch aus der Not seines Zustandes, den er als gnadenlose Unordnung der Seele durchschaut, wirklich eine Tugend machen und ihn als übermenschliches Leitbild hinstellen? Berechtigt ihn sein Defekt, dionysische Tänze mit Masken aufzuführen? Fragen wir mit der Brutalität, zu der die Zeit uns zwingt, wenn wir nicht ihr Opfer werden wollen, ob er nicht vielmehr verpflichtet sei zu schweigen? Und wenn die Klage mehr als eine Maske, wenn sie echt wäre, wenn er an seinem Zustand litte, würde er dann nicht verstummen? Aber Nietzsche verstummt keineswegs; und seine Beredsamkeit ist der zwingende Beweis, daß die Klage nur im Bereich seines nachfühlenden Verstehens lag, daß er sie aber nicht an den Kern seiner Existenz im Aufstand gegen Gott rühren ließ, daß sie nicht echt war, sondern Maske. Wie Marx sich das Spiel seiner Äquivokationen nicht stören läßt, so weigert sich Nietzsche, das Spiel der Masken abzubrechen. (75f; Fs)

76a Das Phänomen des Frageverbots wird in seinen Umrissen deutlicher. Der gnostische Denker begeht in der Tat einen intellektuellen Schwindel - und er weiß, daß er es tut. Drei Stadien lassen sich in der Bewegung des Geistes unterscheiden. An der Oberfläche liegt der Akt der Täuschung selbst. Er könnte Selbsttäuschung sein; und sehr oft ist er es auch, wenn die Spekulation eines schöpferischen Denkers in der Form des Dogmas einer Massenbewegung zum abgesunkenen Kulturgut wird. Wo aber das Phänomen in seinem Ursprung zu fassen ist, wie bei Marx und Nietzsche, liegt tiefer als die Täuschung das Wissen um sie. Der Denker gibt sich nicht aus der Hand; die libido dominandi wendet sich gegen ihr eigenes Werk und will auch die Täuschung noch beherrschen. Diese gnostische Rückwendung gegen sich selbst entspricht geistig der philosophischen Umkehr, wie ich sagte, der periagoge im Platonischen Sinn. Aber die gnostische Bewegung des Geistes führt nicht zur erotischen Öffnung der Seele, sondern zu dem tiefsten Punkt des Beharrens in der Täuschung, an dem sich als ihr Motiv und Zweck die Revolte gegen Gott enthüllt. (Fs)

77a Mit Hilfe der drei Stadien in der geistigen Bewegung ist es nun möglich, auch die entsprechenden Tiefenschichten der Täuschung genauer zu unterscheiden: (Fs)

1. Für den Oberflächenakt ist es zweckmäßig, den Ausdruck 'Täuschung', den Nietzsche gebraucht hat, beizubehalten. Der Inhalt des Aktes unterscheidet sich nicht notwendig von einem Fehlurteil aus einem anderen als dem gnostischen Motiv. Der Akt könnte auch ein 'Irrtum' sein. Er empfängt seinen Täuschungscharakter erst vom Kontext der geistigen Bewegung.
2. Im zweiten Stadium wird der Denker sich der Unwahrheit seiner Aussage oder Spekulation bewußt, beharrt aber in ihr trotz seinem Wissen. Erst durch das Wissen um die Unwahrheit wird der Akt zur Täuschung. Und durch das Beharren im Kommunizieren als falsch erkannter Argumente empfängt er den zusätzlichen Aktcharakter des 'intellektuellen Schwindels'.
3. Im dritten Stadium wird als das Motiv des Schwindels die Revolte gegen Gott enthüllt und bewußt. Durch die Fortsetzung des intellektuellen Schwindels im Wissen um das Motiv der Revolte empfängt die Täuschung den weiteren Aktcharakter der 'dämonischen Verlogenheit'. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Gnosis; 3. Stadium, Revolte (Marx); Ersetzung der Realität durch gnostische Spekulation; zweite Realität (Musil); Prometheus (Marx vs. Aischylos, nósema); Titanenaufstand - Dike

Kurzinhalt: Marx: "Ein Wesen gibt sich erst als selbständiges, sobald es auf eigenen Füßen steht; und es steht erst auf eigenen Füßen, sobald es sein Dasein sich selbst verdankt...." Gnostiker, der die Unabhängigkeit seines Daseins durch die Spekulation erzeugt.

Textausschnitt: 3 (eü: Revolte, Marx)

77b Die Texte von Marx, die wir zitiert haben, lassen das erste und zweite der von Nietzsche beschriebenen Stadien erkennen. Wie steht es bei Marx mit dem dritten Stadium der Bewegung, mit der Enthüllung der Revolte gegen Gott als des Motivs der Täuschung? Im Kontext der zitierten Stellen findet sich in der Tat eine solche Enthüllung: 'Ein Wesen gibt sich erst als selbständiges, sobald es auf eigenen Füßen steht; und es steht erst auf eigenen Füßen, sobald es sein Dasein sich selbst verdankt. Ein Mensch, der von der Gnade eines anderen lebt, betrachtet sich als ein abhängiges Wesen. Ich aber lebe vollständig von der Gnade eines anderen, wenn ich ihm nicht nur die Unterhaltung meines Lebens verdanke, sondern wenn er noch außerdem mein Leben geschaffen hat; wenn er der Quell meines Lebens ist; und mein Leben hat notwendig einen solchen Grund außer sich, wenn es nicht meine eigene Schöpfung ist.'1 Marx bestreitet nicht, daß die 'Handgreiflichkeiten' für die Abhängigkeit des Menschen sprechen. Aber die Wirklichkeit muß zerstört werden - das große Anliegen der Gnosis. An ihre Stelle tritt der Gnostiker, der die Unabhängigkeit seines Daseins durch die Spekulation erzeugt. Es dürfte wohl kaum eine andere Stelle in der gnostischen Literatur zu finden sein, in der die Spekulation so klar als der Versuch enthüllt wird, an die Stelle der Seinswirklichkeit eine 'zweite Realität' zu setzen - wie Robert Musil dieses Unternehmen genannt hat. (Fs)

78a Noch tiefer in das Problem der Revolte hinein führt eine Stelle aus der Doktordissertation von 1840/41: 'Die Philosophie verheimlicht es nicht. Das Bekenntnis des Prometheus: 'In einem Wort, ich hasse alle Götter', ist ihr eigenes Bekenntnis, ihr eigener Spruch gegen alle irdischen und himmlischen Götter, die das menschliche Selbstbewußtsein nicht als die oberste Gottheit anerkennen. Es soll Keiner neben ihm sein.'2 In diesem Bekenntnis, in dem der junge Marx seine eigene Haltung unter das Symbol des Prometheus stellt, leuchtet die große Geschichte der Revolte auf, bis zurück zur hellenischen Schöpfung des Symbols. (Fs)

78b Stellen wir vor allem das Verhältnis des Marxischen Textes zu dem zitierten Verse des Äschylos (Aischylos) klar.

Prometheus ist an den Felsen am Meer geschmiedet. Unten am Uferstreifen steht Hermes und blickt zu ihm hinauf. Der Gefesselte läßt seiner Bitterkeit freien Lauf; Hermes besänftigt und mahnt zur Mäßigung. Prometheus preßt seine Ohnmacht und Auflehnung in den von Marx zitierten Vers: 'Mit einem Wort, ich hasse alle Götter.'3 Aber der Vers ist nicht Monolog; auf den Ausbruch des Hasses antwortet warnend die Stimme des Götterboten: 'Mich dünkt, dich schlug kein kleiner Wahnsinn.'4 Das Wort, das ich mit Wahnsinn übersetze, ist das griechische nosos; synonym damit gebraucht Äschylos nosema.5 Es bedeutet körperliche oder geistige Krankheit. Im Sinne einer Erkrankung des Geistes kann es den Götterhaß bedeuten, oder das Beherrschtsein durch Leidenschaft schlechthin. Platon spricht z.B. vom nosema tes adikias, von der Krankheit der Ungerechtigkeit.6 Damit rühren wir an den schon früher angedeuteten krankhaften, den pneumopathischen Charakter der Revolte. Und was sagt Marx zu dieser Betrachtung des Götterboten? Er sagt nichts. Wer den 'Gefesselten Prometheus' nicht kennt, muß aus dem Bekenntnis schließen, daß der zitierte Vers den Sinn der Tragödie zusammenfaßt, nicht daß Äschylos (Aischylos) den Götterhaß als Wahnsinn darstellen wollte. An der Verkehrung des Äschyleischen Sinns in sein Gegenteil wird wieder das Phänomen des Frageverbotes in allen seinen Schichten deutlich: Von der Täuschung des Lesers durch die Isolierung des Zitates (das Bekenntnis findet sich in der Vorrede zu einer Doktordissertation) über das Wissen um den Schwindel (denn wir nehmen an, daß Marx die Tragödie gelesen hat) bis zum dämonischen Beharren in der Revolte gegen das bessere Wissen. (Fs)

79a Die seelische Revolte gegen die Ordnung des Kosmos, der Götterhaß, der Titanenaufstand sind dem hellenischen Mythos nicht unbekannt - aber die Titanomachia endet mit dem Sieg der Jovischen Dike, und Prometheus wird gefesselt. Die revolutionäre Umkehrung des Symbols, die Entthronung der Götter und der Sieg des Prometheus, liegt jenseits der klassischen Kultur; sie ist das Werk der Gnosis. Erst in der gnostischen Revolte der römischen Zeit werden Prometheus, Kain, Eva und die Schlange zu den Symbolen der Befreiung des Menschen von der Herrschaft des tyrannischen Weltgottes. Das Marxische Bekenntnis wiederholt die Umdeutung des Prometheussymbols, die sich in einer Alchimistenschrift des dritten Jahrhunderts findet. (79f; Fs)

80a Im Traktat des Zosimos Über den Buchstaben Omega lesen wir: »Hermes und Zoroaster haben gesagt, daß das Geschlecht der Philosophen über dem Schicksal ist: sie erfreuen sich nicht am Glück, das es gibt, denn sie beherrschen ihre Lust; noch werden sie vom Übel getroffen, das es schickt, wenn es wahr ist, daß sie auf das Ende aller ihrer Übel hinblicken; noch nehmen sie die schönen Geschenke an, die von ihm kommen, denn sie verbringen ihr Leben in der Immate-rialität. - Darum auch stellt Hesiod Prometheus vor, wie er Epime-theus Ratschläge gibt:

(Prometheus:) >Was ist in den Augen der Menschen das größte Glück?<
(Epimetheus:) >Eine schöne Frau und viel Geld.<
Und er (Prometheus) erklärt: >Hüte dich, Geschenke vom Olympischen Zeus anzunehmen; weise sie weit von dir!<
So lehrt er seinen Bruder, die Geschenke des Zeus, d.h. der Hei-marméne, kraft der Philosophie zurückzuweisen.«7

80b Der Text ist von besonderer Bedeutung für uns, weil er den Zusammenhang zwischen der Revolte gegen die Götter und der Proklamation der »Philosophie« als der neuen Ordnungsquelle und Autorität bestätigt. Nicht nur Prometheus wird zum Revolutionshelden - das Symbol der Philosophie erleidet die gleiche Verkehrung seines Sinnes. Denn die »Philosophie« des Zosimos ist nicht die Philosophie, die Piaton begründet hat. Die Philosophen sind nicht im Sinne des Platonischen Mythos die Söhne des Zeus, die im Jenseits und Diesseits seiner Führung folgen; noch sind sie die Priester und Helfer der Götter des Markus Aurelius; ihr Bemühen geht nicht darum, die Menschen zur Ordnung des Zeus und der Dike zu bilden; und Philosophieren ist nicht die Sokratische Praxis des Sterbens, damit der Mensch im Letzten Gericht bestehe. Bei der »Philosophie« des Zosimos handelt es sich um etwas anderes, wenn auch der Text, soweit er zitiert wurde, nicht hinreichend erkennen läßt, worum. Sicher geht es um eine neue Askese, um den Versuch, sich aus der Welt und ihrer Verstrickung herauszuhalten - das gnostische Motiv der Wirklichkeitsaufhebung. Die Wandlung der Pan-dora mit ihren Geschenken zur »schönen Frau und viel Geld« trägt Obertöne einer antibourgeoisen Kritik. Sicher geht es um einen Aufstand gegen die Vatergötter des klassischen Mythos, denn die Gleichsetzung der Geschenke des Zeus mit den Gaben der zur Zeit des Zosimos reichlich diskreditierten Heimarméne ist zweifellos herabsetzend gemeint. Sicher geht es um ein opus der Erlösung des Menschen vom Übel der Welt. Und sicher ist schließlich, daß die »Philosophie« auf irgendeine Weise als Werkzeug der Erlösung und ihr Gebrauch als im Machtbereich des Menschen liegend bestimmt wird.8

81a Ob Marx diesen Text, unmittelbar oder durch Vermittlung, gekannt hat, wissen wir nicht - wahrscheinlich nicht; um so stärker würde die Parallele des symbolischen Ausdrucks die Gleichartigkeit der Haltungen und Motive in der antiken und modernen Gnosis bekräftigen.9 (81a)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Hegel, Phänomenologie von 1807 (von der Philosophie zur Gnosis); Philosophie: Hegel vs. Platon (Phaidros); Sein als Konstruktion; Vernunft, Weltgeist = göttlicher Geist

Kurzinhalt: 'Die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existiert, kann allein das wissenschaftliche System derselben sein. Daran mitzuarbeiten, daß die Philosophie der Form der Wissenschaft näher komme, - dem Ziele, ihren Namen der Liebe zum Wissen ablegen zu ...

Textausschnitt: 4 (eü: Hegel)

82a "Wie steht es nun mit der neuen 'Philosophie'? Wie hängt sie mit der prometheischen Revolte zusammen? und wie mit dem Frageverbot? Marx hat seine Idee von Wissenschaft und Philosophie an Hegel gebildet. Wenden wir uns an den größten der spekulativen Gnostiker um die Antwort auf diese Fragen. (Fs)

82b Hegel gibt die Antwort in einer grundsätzlichen Erklärung, in der 'Vorrede' zur Phänomenologie von 1807: 'Die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existiert, kann allein das wissenschaftliche System derselben sein. Daran mitzuarbeiten, daß die Philosophie der Form der Wissenschaft näher komme, - dem Ziele, ihren Namen der Liebe zum Wissen ablegen zu können und wirkliches Wissen zu sein, - ist es, was ich mir vorgesetzt.'1 In der angeführten Stelle sind die Ausdrücke 'Liebe zum Wissen' und 'wirkliches Wissen' von Hegel selbst unterstrichen. Übersetzen wir sie zurück ins Griechische, in 'Philosophie' und 'Gnosis', dann haben wir das Programm vor uns, von der Philosophie zur Gnosis vorzuschreiten. In der programmatischen Form Hegels sind die Verkehrungen der Symbole Wissenschaft und Philosophie impliziert. (Fs) (notabene)

82c Unter Philosophie versteht Hegel ein Unternehmen des Denkens, das dem wirklichen Wissen näherkommen und es schließlich erreichen kann. Das Philosophieren wird der Idee des Fortschritts im Sinne des achtzehnten Jahrhunderts unterstellt. Erinnern wir uns, gegenüber dieser Fortschrittsidee der Philosophie, der Bemühungen Platons um die Klärung ihres Wesens. Im Phädros läßt er Sokrates die Züge des wahren Denkers zeichnen. Als Phädros dann fragt, wie man einen solchen Mann nennen solle, antwortet Sokrates in der Nachfolge Heraklits, daß der Titel sophos, der Wissende, zu hoch gegriffen sei - dieses Attribut komme Gott allein zu -, aber man dürfe ihn wohl philosophos nennen.2 Das 'wirkliche Wissen' ist also Gott vorbehalten; der endliche Mensch kann nur der Liebende des Wissens sein, nicht der Wissende selbst. Der Liebende des Wissens, das nur dem wissenden Gott zusteht, der philosophos, wird durch die Sinnverschränkungen der Stelle zum theophilos, zum Liebenden des Gottes. Wenn wir nun Hegels Idee des Philosophierens neben die Platonische halten, so müssen wir sagen, daß es zwar ein Fortschreiten in der Klarheit und Genauigkeit des Wissens von der Seinsordnung gibt, daß aber der Sprung aus den Schranken der Endlichkeit in die Vollkommenheit des wirklichen Wissens unmöglich ist. Wenn ein Denker ihn versucht, fördert er nicht die Philosophie, sondern verläßt sie und wird Gnostiker. Hegel verdeckt den Sprung dadurch, daß er Philosophie und Gnosis ins Deutsche übersetzt, um durch das Wortspiel mit dem Wissen von der einen in die andere zu gleiten. Es ist ein Wortspiel, verwandt in der Struktur mit dem Platonischen im Phädros. Aber das philosophische Wortspiel läßt den Gedanken aufleuchten, während das gnostische den Ungedanken verdecken muß. Der Punkt sei angemerkt, weil gerade die deutschen Gnostiker gerne mit Worten spielen und durch das Spiel mit der Sprache den Ungedanken verbergen. (Fs)

83a In der Folge solcher Übergänge, die in der Tat Sprünge sind, verkehren sich die Wortbedeutungen. Das gnostische Programm, das Hegel mit Erfolg durchführt, verbleibt unter dem Titel Philosophie; und das spekulative System, in dem der Gnostiker seinen Willen zur Beherrschung des Seins entfacht, verbleibt unter dem Titel Wissenschaft. (Fs)

83b Philosophie entspringt der Liebe zum Sein; sie ist das liebende Bemühen des Menschen, die Ordnung des Seins zu erkennen und sich auf sie einzustimmen. Gnosis will Herrschaft über das Sein; um sich des Seins zu bemächtigen, konstruiert der Gnostiker sein System. Das System ist eine gnostische Denkform, nicht eine philosophische. (Fs)

83c Der Denker kann sich des Seins jedoch nur dann durch das System bemächtigen, wenn das Sein wirklich in seinem Griff liegt. Solange der Ursprung des Seins jenseits des Welt-Seins liegt; solange ewiges Sein mit dem Werkzeug innerweltlicher, finiter Erkenntnis nicht vollständig durchdrungen werden kann; solange über göttliches Sein nur in der Denkform der analogia entis gedacht werden kann, ist die Konstruktion eines Systems unmöglich. Um das Unternehmen überhaupt sinnvoll in Gang zu bringen, muß der Denker vor allem diese Störungen ausschalten - er muß das Sein so auslegen, daß es grundsätzlich im Griff der Konstruktion liegt. Lassen wir wieder Hegel zu der Frage sprechen: 'Es kommt nach meiner Einsicht, welche sich nur durch die Darstellung des Systems selbst rechtfertigen muß, alles darauf an, das Wahre nicht als Substanz, sondern ebensosehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken.'3 Wie bei einem mathematischen Problem werden die Bedingungen der Lösung formuliert. Wenn das Sein die Substanz und in einem das Subjekt ist, dann liegt die Wahrheit allerdings im Griff des zugreifenden Subjekts. Aber, so müssen wir fragen, sind das Subjekt und die Substanz denn wirklich identisch? Hegel wird mit der Frage fertig, indem er die Wahrheit seiner Einsicht für erwiesen erklärt, wenn er sie 'durch die Darstellung des Systems rechtfertigen' kann. Wenn ich also ein System konstruieren kann, dann ist damit die Wahrheit seiner Prämisse erwiesen; daß ich ein System auch auf Grund einer falschen Prämisse konstruieren kann, kommt nicht in Frage. Das System rechtfertigt sich durch die Tatsache seiner Konstruktion; eine Instanz, die das Konstruieren eines Systems als solches in Frage stellen könnte, wird nicht anerkannt. Daß die Wissenschaft Systemform habe, muß als fraglos vorausgesetzt werden. Wir stehen wieder vor dem Phänomen des Frageverbotes, wie bei Marx. Aber wir sehen jetzt klarer, daß zwischen dem Frageverbot und der Konstruktion des Systems ein Wesenszusammenhang besteht. Wer das Sein ins System bringt, kann nicht Fragen zulassen, die das System als Denkform aufheben.4 (Fs)

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Fußnote 4 (oben), 26 (im Buch):

Fn26a1

(1) Hegel unterscheidet zwischen der 'Philosophie selbst' und der 'Philosophie der Weltgeschichte'. Der Philosoph tritt an die Auslegung der Weltgeschichte mit der 'Voraussetzung' heran, 'daß die Vernunft die Welt beherrscht, daß es also auch in der Weltgeschichte vernünftig zugegangen ist'. 'In der Philosophie selbst ist dies keine Voraussetzung; in ihr wird es durch die spekulative Erkenntnis erwiesen, daß die Vernunft - bei diesem Ausdrucke können wir hier stehen bleiben, ohne die Beziehung und das Verhältnis zu Gott näher zu erörtern - die Substanz, wie die unendliche Macht, sich selbst der unendliche Stoff alles natürlichen und geistigen Lebens, wie die unendliche Form, die Betätigung dieses ihres Inhaltes ist' (28) - Das Verhältnis der Vernunft zu Gott, das in diesem Satz noch in Schwebe bleibt, wird im weiteren Verlauf des 'Zweiten Entwurfs' geklärt. (Fs)

Fn26b Die Vernunft ist unter dem Titel 'Idee' das Absolute, das sich offenbart: 'Daß nun solche Idee das Wahre, das Ewige, das schlechthin Mächtige ist, daß sie sich in der Welt offenbart und nichts in ihr sich offenbart als sie, ihre Herrlichkeit und Ehre, dies ist es, was, wie gesagt, in der Philosophie bewiesen und hier so als bewiesen vorausgesetzt wird' (29). Die Intention der Attribute als göttliche und die Identifizierung Gottes mit der Vernunft, die sich in Spekulation und Geschichte entfaltet, wird in der folgenden Stelle klargestellt: 'Der Weltgeist ist der Geist der Welt, wie er sich im menschlichen Bewußtsein expliziert; die Menschen verhalten sich zu diesem als Einzelne zu dem Ganzen, das ihre Substanz ist. Und dieser Weitgeist ist gemäß dem göttlichen Geiste, welcher der absolute Geist ist. Insofern Gott allgegenwärtig ist, ist er bei jedem Menschen, erscheint im Bewußtsein eines jeden; und dies ist der Weltgeist.' (60) (Fs)

Fn26c
(2) Da die Idee identisch ist mit der sich offenbarenden Gottheit, wird das Schema des Fortgangs von der Philosophie zur Gnosis aus der Sphäre der 'Philosophie selbst' auf die 'Philosophie der Weltgeschichte' übertragen. Es sei die Aufgabe des Philosophen, von der partiellen Offenbarung Gottes durch Christus zur vollkommenen Erkenntnis Gottes fortzuschreiten. Zu der Aufgabe sei er verpflichtet durch die 'heilige Schrift', nach der 'der Geist es sei, der in die Wahrheit einführe, daß er alle Dinge erkenne, selbst die Tiefen der Gottheit'. (40f) Die Aufgabe selbst wird in der folgenden Stelle formuliert: 'In der christlichen Religion hat Gott sich geoffenbart, d.h. er hat dem Menschen zu erkennen gegeben, was er ist, so daß er nicht mehr ein Verschlossenes, Geheimes sei. Es ist mit dieser Möglichkeit, Gott zu erkennen, uns die Pflicht dazu auferlegt, und die Entwicklung des denkenden Geistes, welche aus dieser Grundlage, aus der Offenbarung des göttlichen Wesens, ausgegangen ist, muß dazu endlich gedeihen, das, was dem fühlenden und vorstellenden Geiste zunächst vorgelegt worden ist, auch mit dem Gedanken zu erfassen. Ob es an der Zeit ist zu erkennen, muß davon abhängen, ob das, was Endzweck der Welt ist, endlich auf allgemeingültige, bewußte Weise in die Wirklichkeit getreten ist.' (45) (85f; Fs)
Fn26d

(3) Das Programm, die Tiefen der Gottheit durch ihre Entfaltung in der Weltgeschichte restlos zu durchdringen, ist an die Bedingung geknüpft, daß der Endzweck der Welt sich in der Weltgeschichte wirklich ausgefaltet hat und begreifbar geworden ist. So wie auf der Ebene der 'Philosophie selbst' die Wahrheit der Einsicht durch 'die Darstellung des Systems' gerechtfertigt wird, so wird in der 'Philosophie der Weltgeschichte' die Richtigkeit der These von der vollständigen Offenbarung durch die Exekution des Programms bewiesen: 'Es hat sich also erst und es wird sich aus der Betrachtung der Weltgeschichte selbst ergeben, daß es vernünftig in ihr zugegangen, daß sie der vernünftige, notwendige Gang des Weltgeistes gewesen' (30) - man beachte das Perfektum. 'Daß in den Begebenheiten der Völker ein letzter Zweck das Herrschende, daß Vernunft in der Weltgeschichte ist - nicht die Vernunft eines besonderen Subjekts, sondern die göttliche, absolute Vernunft -, ist eine Wahrheit, die wir voraussetzen, ihr Beweis ist die Abhandlung der Weltgeschichte selbst: sie ist das Bild und die Tat der Vernunft.' (29) (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Gnosis, Marx; Vernunft - Konstruktion des Seinsprozesses (Frageverbot); Heidegger: Sein als An-wesen; Mensch als Dasein (Walten des Seins); Parusie des (leeren) Seins anstelle der Parusie Christi

Kurzinhalt: Der Mensch ist geschichtlich zu verstehen als ein Dasein, das sich dem Walten des Seins öffnen, aber auch verschließen kann. Im geschichtlichen Prozeß kann es darum Zeiten des Abfalls vom wesenhaften Sein in das Unwesen geben...

Textausschnitt: 5 (eü: Heidegger)

85a Der Wesenszusammenhang zwischen libido dominandi, System und Frageverbot ist, wenn auch keineswegs durchgearbeitet, so doch aus den Selbstzeugnissen der Gnostiker deutlich geworden. Kehren wir nun, zum letztenmal, zum Marxischen Frageverbot zurück. (85; Fs)

86a Wir erinnern uns, daß Marx den Dialog mit seinem philosophischen Fragesteller auf unsokratische Weise durch einen Ukas abbricht. Aber wenn er sich auch weigert, auf die Argumente weiter einzugehen, so begründet er die Weigerung selbst doch sehr sorgfältig aus dem Systemdenken. Er weist den Fragesteller nicht einfach ab, sondern verweist ihn auf den Weg der Vernunft. Wenn der Mensch das Problem der arche aufwirft, ermahnt ihn Marx: 'Frage dich, ob jener Prozeß als solcher für ein vernünftiges Denken existiert!'1 Der Mensch soll zur Vernunft kommen, dann wird er sein Fragen aufgeben. Die Vernunft aber ist für Marx, wieder in der Verkehrung der Symbole, nicht die Vernunft des Menschen, sondern der Standpunkt des Systems. Der Mensch soll aufhören, Mensch zu sein, er soll sozialistischer Mensch werden. Marx setzt also seine Konstruktion des Seinsprozesses, der auch den Geschichtsprozeß umschließt, als wirklich. Er überträgt die historische Entwicklung des Menschen zum sozialistischen Menschen, die zum Inhalt seiner Konstruktion gehört, aus dem System in die Wirklichkeit der Sozialbeziehung; er fordert den Menschen auf, in sein System einzutreten und die im System konstruierte Entwicklung zu vollziehen. Im Konflikt zwischen System und Wirklichkeit hat die Wirklichkeit dem System zu weichen. Der intellektuelle Schwindel wird gerechtfertigt durch den Machtanspruch der geschichtlichen Zukunft, die der gnostische Denker in seinem System spekulativ entworfen hat. (86f; Fs)

87a Die Entscheidung des gnostischen Denkers leitet ihre Autorität von der Macht des Seins ab. Er ist der Fürsprecher des Seins, das er auslegt als aus der Zukunft auf uns zukommend. In der Spekulation von Marx und Nietzsche ist diese Auslegung des Seins zwar schon lebendig, aber noch nicht bis in ihre Konsequenzen durchgearbeitet. Erst der geniale Gnostiker unserer Zeit, Heidegger, hat das Problem unter dem Titel der Fundamentalontologie durchdacht. Die folgenden Stellen zur Seinsspekulation sind seiner Einführung in die Metaphysik entnommen. (87; Fs)

87b In der Spekulation Heideggers wird das Sein, gestützt auf die griechische Grundbedeutung von parousia, als An-wesen ausgelegt.2 Das Sein ist nicht statisch als Substanz zu verstehen, sondern aktiv als Anwesen im Sinne eines Herankommens zur Präsenz, als ein Auftreten oder Erscheinen - etwa wie ein Herrscher erscheint oder anwesend ist. Das Wesen des Seins als actio ist ein Walten, in dem das Sein sich eine Welt schafft; und es schafft sich die Welt durch den Menschen.3 Der Mensch ist geschichtlich zu verstehen als ein Dasein, das sich dem Walten des Seins öffnen, aber auch verschließen kann. Im geschichtlichen Prozeß kann es darum Zeiten des Abfalls vom wesenhaften Sein in das Unwesen geben, aus denen das Dasein nur zurückfindet, wenn es sich der Parusie des Seins wieder öffnet. In der Anwendung dieser Möglichkeiten auf die Zeitgeschichte stellt Heidegger fest, ebenso wie Marx oder Nietzsche in ihrer gröberen Form, daß wir heute in der westlichen Welt in einer Zeit des Unwesens leben. Die Zukunft des Abendlandes hänge davon ab, daß wir uns der Wesensmacht des Seins wieder erschließen. Schwer von Schicksal fallen die Formeln: 'Es gilt, das geschichtliche Dasein des Menschen [...] im Ganzen der uns bestimmten Geschichte in die Macht des ursprünglich zu eröffnenden Seins zurückzuführen'; oder: das mit dem Wort 'Sein' Genannte birgt 'das geistige Schicksal des Abendlandes.'4 (87f; Fs)

88a Die Spekulation Heideggers hat ihre bedeutsame Stellung in der Geschichte der westlichen Gnosis. Die Konstruktion des in sich geschlossenen Seinsprozesses; die Verschließung des immanenten Seins gegen das weit-jenseitige; die Weigerung, die von den hellenischen Philosophen beschriebenen und benannten Erlebnisse der philia, des eros, der pistis und der elpis als die ontischen Ereignisse anzuerkennen, in denen die Seele an transzendentem Sein teilhat und sich von ihm ordnen läßt; in einem damit die Weigerung, sie als die Ereignisse anzuerkennen, in denen das Philosophieren, im besonderen das Platonische, seinen Ursprung hat; und schließlich die Weigerung, durch diese Ereignisse den Sinn der Konstruktion des geschlossenen Seinsprozesses in Frage stellen zu lassen - das alles war in verschiedenen Klarheitsgraden schon bei den spekulativen Gnostikern des neunzehnten Jahrhunderts vorhanden. Aber Heidegger hat diesen Komplex auf sein Wesensgefüge reduziert und ihn von den zeitgebundenen Zukunftsbildern gereinigt. Verschwunden sind die skurrilen Bilder vom positivistischen, vom sozialistischen und vom Über-Menschen. An ihre Stelle kann Heidegger das von allem Inhalt entleerte Sein selbst setzen, in dessen auf uns zukommende Macht wir uns zu fügen haben. Durch den Reinigungsprozeß ist das Wesen der gnostischen Spekulation geklärt worden als der symbolische Ausdruck einer Heilserwartung, in der die Seinsmacht an die Stelle der Gottesmacht tritt, und die Parusie des Seins an die Stelle der Parusie Christi. (88f; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Gnosis, Parusismus; parusitisches Zeitalter - im Unterschied zur chiliastischen Phase (Mittelalter, Renaissance)

Kurzinhalt: ... und spreche von Parusismus als der Geisteshaltung, in der die Erlösung vom Übel der Zeit durch die Ankunft, den Advent des immanent verstandenen Seins in seiner Fülle zu erwarten ist.

Textausschnitt: 6 (eü: Parusismus)

89a Die Analyse ist abgeschlossen. Es bleibt noch die Aufgabe, das Ergebnis durch Begriff und Namen festzulegen.

Zu diesem Zweck übernehme ich von Heideggers Auslegung des Seins den Ausdruck 'Parousie' und spreche von Parusismus als der Geisteshaltung, in der die Erlösung vom Übel der Zeit durch die Ankunft, den Advent des immanent verstandenen Seins in seiner Fülle zu erwarten ist. Wir können dann von den Männern, die ihren Parusismus in spekulativen Systemem ausdrücken, als parusitischen Denkern sprechen; von ihren Gedankengebäuden als parusitischen Spekulationen; von den Bewegungen, die sich an einige dieser Denker anschließen, als parusitischen Massenbewegungen; und von dem Zeitalter, in dem diese Bewegungen sozial und politisch vorherrschen, als dem parusitischen Zeitalter. Wir gewinnen damit die Ausdrücke zur Bezeichnung einer Phase der westlichen Gnosis, für die uns bisher der Begriff gefehlt hat. Durch ihre begriffliche Erfassung als parusitische wird es ferner möglich, sie genauer als bisher von der ihr vorangehenden chiliastischen Phase des Mittelalters und der Renaissance zu unterscheiden, in der die gnostischen Bewegungen sich in den Denkformen der jüdisch-christlichen Apokalypse ausdrückten.1 Die große Geschichte der nachantiken, westlichen Gnosis wird damit in ihrem Zusammenhang sichtbar als die Geschichte der westlichen Sektiererbewegung. (89f; Fs)

90a Im Mittelalter konnte die Bewegung noch unter der Revolutionsschwelle gehalten werden; heute ist sie, zwar nicht Seinsmacht, aber Weltmacht geworden. Diese Welt und den Zauber ihrer Macht wieder aufzulösen - jeder von uns in sich selbst -, das ist die große Aufgabe, an der wir alle zu arbeiten haben. Bei der Austreibung der Dämonen kann die Politische Wissenschaft helfen - in dem bescheidenen Maß von Wirksamkeit, das unsere Gesellschaft der episteme und ihrer Therapie zugesteht. (90; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Gottesmord (spekulativ rückwirkend): wesensnotwendig zur gnostischen Neuschöpfung der Seinsordnung; Nietzsche (Zarathustra)

Kurzinhalt: ... die Übernahme des Seins in die Verfügungsgewalt des Menschen wieder erfordert, daß der transzendente Ursprung des Seins ausgelöscht wird - sie erfordert die Dekapitation des Seins, den Gottesmord... Der Gottesmord wird spekulativ begangen durch ...

Textausschnitt: DER GOTTESMORD

91a Die Analyse der parusitischen Doxa ging von den Marxischen Texten aus, die das Frageverbot betreffen. Die Stellen wurden der Untersuchung zugrunde gelegt, weil sie in seltener Konzentration die Motive, die Symbole und die Denkformen der gnostischen Massenbewegungen unserer Zeit sichtbar werden lassen. Es dürfte schwer sein, ein zweites Dokument der modernen Gnosis zu finden, das an Kraft und Durchsichtigkeit der Sprache, an intellektueller Energie und genialer Entschlossenheit dem Manuskript des jungen Marx vergleichbar wäre. Die Wahl hat jedoch den Nachteil, daß eines der großen Motive der Spekulation nicht mit der Deutlichkeit hervortritt, die seiner tatsächlichen Stärke angemessen ist. Ich spreche von dem Motiv des Gottesmordes. (Fs)

91b In der parusitischen Gnosis geht es darum, die als unvollkommen und ungerecht erfahrene Seinsordnung zu zerstören und durch eine vollkommene und gerechte Ordnung aus menschlicher Schöpferkraft zu ersetzen. Wie immer nun die Seinsordnung ausgelegt wird - als eine von kosmisch-göttlichen Kräften durchwaltete Welt in den Zivilisationen des Nahen und Fernen Ostens; oder als die Schöpfung eines welt-transzendenten Gottes in der jüdisch-christlichen Symbolik; oder als eine wesenhafte Ordnung des Seins in der philosophischen Kontemplation -, so ist sie dem Menschen vorgegeben und liegt nicht in seiner Verfügungsgewalt. Der Versuch, eine neue Welt zu schaffen, setzt also, wenn er sinnvoll unternommen werden soll, voraus, daß der Charakter der Seinsordnung als vorgegebener ausgelöscht, daß sie als wesensmäßig in der Verfügungsgewalt des Menschen stehend ausgelegt wird. Und die Übernahme des Seins in die Verfügungsgewalt des Menschen wieder erfordert, daß der transzendente Ursprung des Seins ausgelöscht wird - sie erfordert die Dekapitation des Seins, den Gottesmord. (91f; Fs)

92a Der Gottesmord wird spekulativ begangen durch die Auslegung göttlichen Seins als Menschenwerk. Lassen wir Nietzsches Zarathustra zu der Frage sprechen: 'Ach, ihr Brüder, dieser Gott, den ich schuf, war Menschen-Werk und -Wahnsinn, gleich allen Göttern!'1 Die Schöpfung von Göttern solle der Mensch unterlassen, weil er dadurch seinem Wollen und Handeln sinnwidrige Schranken setze; und die Götter, die er schon geschaffen hat, solle er zum Bewußtsein bringen als von ihm geschaffene. 'Dies bedeute euch Wille zur Wahrheit, daß Alles verwandelt werde in Menschen-Denkbares, Menschen-Sichtbares, Menschen-Fühlbares.' Die Forderung erstreckt sich auch auf die Welt, die vordem als Gott-geschaffene verstanden wurde: 'Was ihr Welt nanntet, das soll erst von euch geschaffen werden: eure Vernunft, euer Bild, euer Wille, eure Liebe soll es selber werden!'2 'Gott ist eine Mutmaßung' - aber die Mutmaßungen des Menschen sollten nicht weiter reichen als sein schaffender Wille,3 und sie sollten sich begrenzen 'in der Denkbarkeit'. Es dürfe kein Sein und kein Seinsbild geben, das Wollen und Denken des Menschen als endlich erscheinen lasse. 'Weder ins Unbegreifliche dürftet ihr eingeboren sein, noch ins Unvernünftige.' Um als unbeschränkter Herrscher des Seins zu erscheinen, muß der Mensch das Sein so einschätzen, daß die Schranken nicht mehr sichtbar sind. Und warum muß dieses Zauberspiel aufgeführt werden? Die Antwort: 'Wenn es Götter gäbe, wie hielte ich's aus, kein Gott zu sein! Also gibt es keine Götter.'4 (Fs)

92b Es genügt also nicht, die alte Gotteswelt durch eine neue Menschenwelt zu ersetzen: schon die Gotteswelt muß Menschenwelt gewesen sein und Gott ein Menschenwerk, das auch wieder zerstört werden kann, wenn es den Menschen hindert, der Herr der Seins-Ordnung zu sein. Der Gottesmord muß spekulativ rückwirkend gemacht werden. Darum ist in der Marxischen Gnosis der Kardinalpunkt das 'Durchsichselbstsein' des Menschen; und seine spekulative Stütze findet er in der Auslegung der Natur und Geschichte als des Prozesses, in dem der Mensch sich selbst zu seiner vollen Statur schafft. Der Gottesmord gehört wesensnotwendig zur gnostischen Neuschöpfung der Seinsordnung. (92f; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Gottesmord; Golem, Golemlegende; emeth - meth (Wahrheit - tot); Gleichnis Architekt

Kurzinhalt: Seinsordnung: aus rein menschlicher Kraft - vorgegeben, Dekapitation des Seins, parusitischen Gnosis, Kardinalpunkt: das 'Durchsichselbstsein' des Menschen

Textausschnitt: 93a Der Gottesmord ist, ebenso wie der prometheische Götterhaß, eine generelle Möglichkeit menschlichen Verhaltens zu Gott. Er ist nicht an die parusitische Spekulation gebunden. Um das Phänomen zu klären, werde ich es daher zuerst in der verhältnismäßig einfachen Form beschreiben, in der es in der Kabbala auftritt, in den Golemlegenden des zwölften und frühen dreizehnten Jahrhunderts. Die Legenden wurden vor einigen Jahren durch Gerschom Scholem in seiner Studie über Die Vorstellung vom Golem in ihren tellurischen und magischen Beziehungen zugänglich gemacht.1 (Fs)

93b Im Kommentar des Pseudo-Saadia zum Buch Jezirah, vom Ende des zwölften Jahrhunderts, ist die Golemlegende in folgender Form enthalten: 'So heißt es im Midrasch, daß Jeremia und Ben Sira einen Menschen durch das Buch Jezirah schufen, und auf seiner Stirn stand emeth, wie der Name, den Er über das Geschöpf als Vollendung seines Tuns gesprochen hatte. Aber jener Mensch radierte das aleph aus, um damit zu sagen, Gott allein ist die Wahrheit, und er mußte sterben.'2 (Fs)

93c Das hebräische Wort emeth bedeutet 'Wahrheit'; wenn der erste der drei Konsonanten (im Hebräischen wird der Anfangslaut des Wortes emeth durch einen Konsonanten wiedergegeben), die das Wort bilden, gestrichen wird, bleibt meth übrig: meth bedeutet 'tot'. Die Adepten schaffen den Menschen 'durch das Buch Jezirah', d.h. durch eine magische Operation mit den Buchstaben des hebräischen Alphabets. Es ist eine Operation von grundsätzlich der gleichen Art wie die Marxische Schöpfung des 'sozialistischen Menschen' mit Hilfe der gnostischen Spekulation. Durch die Golemlegende nun fällt neues Licht auf deren Aktcharakter. Von der Wirklichkeit der Seinsordnung her, in der wir leben, mußte das Frageverbot als ein Versuch charakterisiert werden, den 'intellektuellen Schwindel' der Spekulation gegen Auflösung durch die Vernunft zu decken; vom Standpunkt des Adepten Marx war der Schwindel die 'Wahrheit', die er durch seine Spekulation schuf, und das Frageverbot hatte den Zweck, die Wahrheit des Systems gegen die Unvernunft des Menschen zu schützen. Die merkwürdige Spannung zwischen erster und zweiter Realität, erster und zweiter Wahrheit, auf deren pneumopathischen Charakter wir hingewiesen haben, enthüllt sich nun als die Spannung zwischen Gottesordnung und Magie. Diese Spannung, die durch den Machtwillen der Magie entsteht, kann jedoch auch wieder aufgehoben werden. Denn was tut der Golem, der das Siegel der Wahrheit auf der Stirn trägt, wie der Adam, der Mensch, den Gott geschaffen hat? Er radiert das aleph aus, um die Adepten zu warnen, daß die Wahrheit Gottes sei; die zweite Wahrheit ist der Tod. Der Golem stirbt. (93f; Fs)

94a Die Implikation der Spannung und ihre Auflösung werden genauer ausgelegt in einer zweiten Fassung der Golemlegende. Sie findet sich in einem kabbalistischen Text, dem Juda ben Bathyra zugeschrieben, aus dem Anfang des dreizehnten Jahrhunderts. Im ersten Teil sagt die Legende: 'Der Prophet Jeremia beschäftigte sich allein mit dem Buch Jezirah. Da erging eine himmlische Stimme und sprach: Erwirb dir einen Genossen. Er ging zu seinem Sohn Sira, und sie studierten das Buch drei Jahre lang. Danach gingen sie daran, die Alphabete nach den kabbalistischen Prinzipien der Kombination, Zusammenfassung und Wortbildung zu kombinieren, und es wurde ihnen ein Mensch geschaffen, auf dessen Stime stand: IHWH Elohim Emeth. Es war aber ein Messer in der Hand jenes neuerschaffenen Menschen, mit dem er das aleph von emeth auslöschte; da blieb meth. Da zerriß Jeremia seine Kleider uns sagte: Warum löschst du das aleph von emeth aus?'3 (Fs)

95a Sinngehalte der magischen Schöpfung, die in der ersten Legende nur impliziert waren, werden jetzt verdeutlicht. Der zweite Golem trägt auf seiner Stirn das Siegel: Gott ist die Wahrheit. Durch das Auslöschen des aleph wird es zur Verkündigung: Gott ist tot. Nach dieser Handlung aber stirbt der zweite Golem nicht wie sein Vorgänger. Er steht da, in der Hand das Messer, mit dem er den Mord begangen hat. Er lebt und trägt das neue Siegel auf der Stirn. Jeremia zerreißt seine Kleider: in der rituellen Geste des Entsetzens über die Blasphemie. Er fragt sein Geschöpf nach dem Sinn des Tuns und erhält die Antwort: (Fs)

95b 'Ich will dir ein Gleichnis erzählen. Ein Architekt baute viele Häuser, Städte und Plätze, aber niemand konnte ihm seine Kunst abmerken und es mit seinem Wissen und seiner Handfertigkeit aufnehmen, bis ihn zwei Leute überredeten. Da lehrte er sie das Geheimnis seiner Kunst, und sie wußten nun alles auf die richtige Weise. Als sie sein Geheimnis und seine Fähigkeiten erlernt hatten, begannen sie ihn mit Worten zu ärgern, bis sie sich von ihm trennten und Architekten wie er wurden, nur daß sie alles, wofür er einen Taler nahm, für sechs Groschen machten. Als die Leute das merkten, hörten sie auf, den Künstler zu ehren, und kamen zu ihnen und ehrten sie und gaben ihnen Aufträge, wenn sie einen Bau brauchten. So hat euch Gott in seinem Bilde und seiner Gestalt und Form geschaffen. Nur aber, wo ihr, wie Er, einen Menschen erschaffen habt, wird man sagen: Es ist kein Gott in der Welt außer diesen beiden!'4 (Fs)

95c Gerschom Scholem deutet die Legende: Eine gelungene Golemschöpfung würde den 'Tod Gottes' einleiten; die Hybris des Schöpfers würde sich gegen Gott kehren. Der Adept Jeremia ist der gleichen Ansicht, und darum fragt er den Golem nach dem Ausweg aus der entsetzlichen Situation. Er empfängt von ihm das Rezept zur Zerstörung der magischen Kreatur, wendet es an, 'und jener Mensch wurde vor ihren Augen zu Staub und Asche'. Jeremia fragt - und wenn er die Antwort bekommt, die ihn bewegen soll, sein Werk zu zerstören, verbietet er nicht das Fragen, sondern zerstört sein Werk. (Fs)

96a Die Legende schließt mit einem Wort des Jeremia: 'Wahrlich man sollte diese Dinge nur studieren, um die Kraft und Allmacht des Schöpfers dieser Welt zu erkennen, aber nicht, um sie wirklich zu vollziehen.'5 (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Gottesmord; Aphorismus (Nietzsche): der tolle Mensch; Gottesmord -> Menschenmord;

Kurzinhalt: Der hintergründige Sinn der Diogenes-Symbolik wird sichtbar. Der neue Diogenes sucht Gott - aber nicht den Gott, der tot ist, sondern den neuen Gott in den Menschen, die den alten ermordet haben - er sucht den Übermenschen.

Textausschnitt: 96b Der Gottesmord bei den parusitischen Gnostikern ist ein bekanntes und gut durchgearbeitetes Phänomen. Aber manches, das unter den Titeln 'Dialektik des Bewußtseins', 'Standpunkt der Immanenz', 'Wille zur reinen Diesseitigkeit' usw. wohl verstanden ist, hört sich anders an mit der Golemlegende im Ohr. Wieder ist, in diesem Zusammenhang, nur eine exemplarische Analyse möglich; als doxisches Material möge ein Aphorismus von Nietzsche dienen, der berühmte Aphorismus 125 aus der Fröhlichen Wissenschaft. Er führt den Titel: 'Der tolle Mensch'.1 Nietzsche hat den Aphorismus sorgfältig konstruiert, um die geistige Bewegung des Gottesmordes darzustellen. Ich gehe die Phasen der Bewegung durch. (Fs)

96c Der 'tolle Mensch' läuft am hellen Vormittag mit der Laterne auf den Markt und schreit: 'Ich suche Gott! Ich suche Gott!' Nietzsche beginnt mit einer Wandlung der Diogenes-Symbolik: der Philosoph, der den Menschen sucht, ist der tolle Mensch geworden, der Gott sucht. Der Sinn der Wandlung ist nicht unmittelbar klar. Der philosophische Sucher mag auf dem Markt wohl Menschen finden; aber ist der Markt der Ort, an dem Gott zu finden ist? Wenn wir annehmen, daß Nietzsche sinnvoll konstruiert hat, müssen wir fragen, ob der tolle Mensch denn wirklich Gott suche; und wir werden aufmerksam auf den hintergründigen Sinn der Symbolwandlung, der sich in der weiteren Bewegung des Aphorismus enthüllt. (Fs)

96d Auf dem Markt findet der Sucher, was man eben auf dem Markt findet: Menschen. Aber sie sind eine besondere Art, diese Menschen, 'welche nicht an Gott glaubten'. Sie begegnen seiner Suche mit Lachen und Spott: 'Ist er denn verloren gegangen', fragen sie, 'oder hält er sich versteckt? Fürchtet er sich vor uns? Ist er zu Schiff gegangen? ausgewandert?' (Fs)

97a Den Ungläubigen ruft der tolle Mensch zu: 'Wohin ist Gott? ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet - ihr und ich! Wir alle sind seine Mörder.' Und wie war eine solche Tat möglich? 'Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? [...] Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen! [...] Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts?' Aber die Tat ist getan. Der Gottesmord ist nicht rückgängig zu machen: 'Gott ist tot! Gott bleibt tot!' (Fs)

97b Mit diesem Ausruf geht die Bewegung des Aphorismus über die Golemlegende hinaus. Der Gottesmord ist als solcher verstanden -aber der Mörder steht zu seiner Tat. Die neue Kreatur, die den Mord vollzogen hat, erkennt in dem Akt nicht ihren eigenen Tod. Der Golem lebt. 'Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß, es ist unter unseren Messern verblutet.' Der Golem steht da, mit dem Messer in der Hand, zu weiteren Taten bereit. (Fs)

97c Und was sucht er mit dem Messer? Den Gott, der schon verblutet ist? Nein - er sucht 'Trost': 'Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? [...] Mit welchem Wasser können wir uns reinigen? [...] Ist nicht die Größe dieser Tat zu groß für uns?' Nietzsche wiederholt die Situation des Fragens in der Golemlegende - aber die Weisung des Golem, den magischen Gottesmord wieder rückgängig zu machen, ist schon abgelehnt. Der 'tolle Mensch' geht nicht rückwärts, sondern vorwärts: Wenn die Tat zu groß ist für den Menschen, muß der Mensch sich über sich selbst erheben zur Größe der Tat. 'Müssen wir nicht seiher zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen? Es gab nie eine größere Tat - und wer nur immer nach uns geboren wird, gehört um dieser Tat willen in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war!' Wer Gott mordet, wird selbst zum Gott - die Warnung der Gleichnisrede in der zweiten Golemlegende. (Fs)

97d Die Gleichnisrede ist Warnung (und wird von den Adepten der Legende als solche verstanden), weil der Mensch nicht Gott werden kann. Wenn er es versucht, im Akt der Selbstvergötzung, dann wird er zum Dämon in Verschlossenheit gegen Gott. Nietzsche aber will eben diesen Weg weitergehen. Als der 'tolle Mensch' seine Rede beendet hat, schweigen seine Zuhörer, die Ungläubigen, und blicken ihn befremdet an. Da wirft er seine Laterne zu Boden und spricht: 'Ich komme zu früh, ich bin noch nicht an der Zeit. Dies ungeheure Ereignis ist noch unterwegs und wandert [...] Taten brauchen Zeit auch nachdem sie getan sind, um gesehen und gehört zu werden. Diese Tat ist ihnen noch immer ferner als die fernsten Gestirne - und doch haben sie diesselbe getan!' (97f; Fs)

98a Der hintergründige Sinn der Diogenes-Symbolik wird sichtbar. Der neue Diogenes sucht Gott - aber nicht den Gott, der tot ist, sondern den neuen Gott in den Menschen, die den alten ermordet haben - er sucht den Übermenschen. Der 'tolle Mensch' sucht also den Menschen - aber nicht den Menschen des Philosophen, sondern das Wesen, das der Magie des Gottesmordes entspringt. Diese Symbolik mußten wir klarstellen. Denn in den gewissenhaften Bemühungen um die 'philosophischen' Intentionen Nietzsches wird allzu oft vergessen, daß der Interpret eines magischen opus nicht auf die Magie hereinfallen darf - um es deutlich zu sagen. Es genügt nicht, das Übermenschensymbol auf Grund der Texte zu untersuchen und seinen Sinn festzustellen, wie er von Nietzsche, d.h. im Kontext der Magie, intendiert war: es muß auch festgestellt werden, was in der Seinsordnung wirklich vorgeht, wenn Magie getrieben wird. Ein Ding kann seine Natur nicht verändern; wer versucht, seine Natur zu 'ändern', zerstört das Ding. Der Mensch kann sich nicht zum Übermenschen wandeln; der Versuch, den Übermenschen zu schaffen, ist der Versuch, den Menschen zu ermorden. Auf den Gottesmord folgt im geschichtlichen Prozeß nicht der Übermensch, sondern der Menschenmord - auf das deicidium der gnostischen Theoretiker das homicidium der revolutionären Praktiker. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Gottesmord, Marx (Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie); Religion als Opium des Volks

Kurzinhalt: Der Marxische homo novus ist nicht ein Mensch ohne religiöse Illusionen, sondern der Mensch, der ontisch Gott wieder in sich aufgenommen hat. Der 'Unmensch', der Illusionen hat, wird zum Vollmenschen dadurch, daß er den 'Übermenschen' absorbiert.

Textausschnitt: 98b Das Dokument des Übergangs zur revolutionären Praxis sind die Sätze, mit denen Marx seine Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie von 1843 eröffnet. Das Argument wird so klar hingesetzt, daß es kaum einen Kommentar erfordert. (Fs)

98c Wie bei Nietzsche ist der Gottesmord die Voraussetzung für das magische opus. 'Die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik.' Gott war nie etwas anderes als Menschenwerk. Die Kritik bringt diese Enthüllung und stellt dadurch die Vollnatur des Menschen wieder her. 'Das Fundament der irreligiösen Kritik ist: Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen. Und zwar ist die Religion das Selbstbewußtsein und das Selbstgefühl des Menschen, der sich selbst entweder noch nicht erworben oder schon wieder verloren hat.' Ist dies Verhältnis einmal durchschaut, dann wird die Wirklichkeit des Menschen wieder sichtbar. 'Der Mensch, der in der phantastischen Wirklichkeit des Himmels, wo er einen Übermenschen suchte, nur den Widerschein seiner selbst gefunden hat, wird nicht mehr geneigt sein, nur den Schein seiner selbst, nur den Unmenschen zu finden, wo er seine wahre Wirklichkeit sucht und suchen muß.'1 (98f; Fs)

99a Marx steht mit diesen Überlegungen Nietzsche sehr viel näher, als der Gebrauch des Symbols 'Übermensch' zur Bezeichnung Gottes aufs erste Lesen hin vermuten läßt. Denn Gott existiert ja nicht: 'Gott' ist, im Sinne der Feuerbachschen Religionspsychologie, die Projektion des Besten im Menschen in eine Überwelt. Aber wenn auch die Projektion in die Überwelt illusionär ist, so ist darum nicht der Inhalt der Projektion eine Illusion. Das Beste im Menschen ist real; es muß - und damit geht Marx über die Projektionspsychologie, welche die Religion als Illusion enthüllt, hinaus - in den Menschen zurückgeholt werden. Der Marxische homo novus ist nicht ein Mensch ohne religiöse Illusionen, sondern der Mensch, der ontisch Gott wieder in sich aufgenommen hat. Der 'Unmensch', der Illusionen hat, wird zum Vollmenschen dadurch, daß er den 'Übermenschen' absorbiert. Der neue Mensch ist also in der Tat, wie Nietzsches Übermensch, der Mensch, der sich selbst zum Gott macht. (Fs)

99b Wenn durch die Kritik der Religion der Mensch Gott wieder in sich aufgenommen hat und damit in den Vollbesitz seiner Kräfte getreten ist, beginnt die Kritik der Politik. 'Die Forderung, die Illusion über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusion bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.' 'Der Kampf gegen die Religion ist also mittelbar der Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist.'2 Denn der wirkliche Mensch, 'das ist die Welt des Menschen, Staat, Sozietät'.3 Nur wenn die Welt verkehrt ist, produziert sie das verkehrte Weltbewußtsein der Religion. 'Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.' Es ist darum die Aufgabe der Geschichte, 'nachdem das Jenseits der Wahrheit verschwunden ist, die Wahrheit des Diesseits zu etablieren'.4 'Die Kritik des Himmels verwandelt sich damit in die Kritik der Erde, die Kritik der Religion in die Kritik des Rechts, die Kritik der Theologie in die Kritik der Politik.'5 (99f; Fs)

100a Die verwandelte Kritik ist nicht mehr Theorie, sondern Praxis. 'Ihr Gegenstand ist ihr Feind, den sie nicht widerlegen, sondern vernichten will [...] Sie gibt sich nicht mehr als Selbstzweck, sondern nur noch als Mittel. Ihr wesentliches Pathos ist die Indignation, ihre wesentliche Arbeit ist die Denunziation.'6 (Fs)

100b Hier spricht der Mordwille des gnostischen Magiers. Das Realitätsband ist zerrissen; der Nebenmensch ist nicht mehr Partner im Sein; die Kritik ist nicht mehr Argument. Das Urteil ist gesprochen; es folgt die Exekution. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Gottesmord, Gnosis; Hegel, Phänomenologie; Tod Gottes als Tat des Dialektikers; letzte Gestalt des Geistes = das absolute Wissen; "der Geist als System erfordert den Gottesmord"

Kurzinhalt: Gott ist gestorben, weil er nicht mehr als eine Phase des Bewußtseins war, die jetzt überholt ist; und sie ist überholt, weil das Bewußtsein in seiner dialektischen Aktion über sie hinausgegangen ist. Der Tod Gottes ist nicht ein Ereignis, sondern ...

Textausschnitt: 100c Die kritischen Proklamationen von Marx verweisen auf Hegel zurück. Bedenken wir noch einmal die Phänomenologie, dieses magnum opus des Gottesmordes. (Fs)

100d Wir können es nicht mehr als reflektierend bedenken. Ein Durchdenken und Durchanalysieren ist in diesem Falle unmöglich, denn es ist ein streng konstruiertes System von fünfhundert Seiten Umfang. Der erste Satz setzt den Gegenstand der Spekulation und seine Schranken: 'Das Wissen, welches zuerst oder unmittelbar unser Gegenstand ist, kann kein anderes sein als dasjenige, welches selbst unmittelbares Wissen, Wissen des Unmittelbaren oder Seienden ist.'1 Die Beschränkung der Seinsordnung wird darüber hinaus explizit gemacht: 'Ich, dieser, bin dieser Sache nicht darum gewiß, weil Ich als Bewußtsein hierbei mich entwickelte und mannigfaltig den Gedanken bewegte. Auch nicht darum, weil die Sache, deren ich gewiß bin, nach einer Menge unterschiedener Beschaffenheiten, eine reiche Beziehung an ihr selbst oder ein vielfaches Verhalten zu anderen wäre. Beides geht die Wahrheit der sinnlichen Gewißheit nichts an.'2 Der Charakter der Seinsordnung als vorgegebener, wie der Stellung des Menschen in ihr, wird ausgelöscht; das Sein von Ich und Welt wird beschränkt auf das Wissen des Unmittelbaren oder Seienden; die Fragen des Kontextes der Seinsordnung, in dem dieses Wissen sich ereignet, werden als irrelevant erklärt; das Frageverbot wird formell zum Prinzip der Spekulation gemacht. Von diesem Anfang her wird der Inhalt der Seinsordnung, der dem Philosophen vorgegeben ist, systematisch als die Reihe der Bewußtseinsphasen konstruiert, die sich in dialektischer Entfaltung aus dem Initialbewußtsein der sinnlichen Gewißheit ergeben. In ihrer Sprache ist die Phänomenologie philosophisch; in ihrer Substanz und Intention ist sie radikal anti-philosophisch. Sie muß als Werk der Magie erkannt, und als eines ihrer großen Werke anerkannt werden. (100f; Fs)

101a Aus diesem Meisterwerk strengster, magischer Spekulation kann nichts herausgebrochen werden, ohne den Sinn des Ganzen zu zerstören. Ich kann daher nur auf einige Stellen hinweisen, an denen der Gottesmord, der der Zweck des Unternehmens ist, thematisch wird. Der Haupttext knüpft an den Tod Christi an: 'Der Tod des Mittlers ist Tod nicht nur der natürlichen Seite desselben [...], es stirbt nicht nur die vom Wesen abgezogene schon tote Hülle, sondern auch die Abstraktion des göttlichen Wesens [...] Der Tod dieser Vorstellung enthält also zugleich den Tod der Abstraktion des göttlichen Wesens, das nicht als Selbst gesetzt ist. Er ist das schmerzliche Gefühl des unglücklichen Bewußtseins, daß Gott selbst gestorben ist.' Was sich hier als Aussage gibt, ist jedoch mehr als die einfache Feststellung eines Sachverhaltes. Denn Gott ist gestorben, weil er nicht mehr als eine Phase des Bewußtseins war, die jetzt überholt ist; und sie ist überholt, weil das Bewußtsein in seiner dialektischen Aktion über sie hinausgegangen ist. Der Tod Gottes ist nicht ein Ereignis, sondern die Tat des Dialektikers. Der 'harte Ausdruck', daß Gott gestorben sei, bezeichnet 'die Rückkehr des Bewußtseins in die Tiefe der Nacht des Ich = Ich, die nichts außer ihr mehr unterscheidet und weiß [...] Dies Wissen also ist die Begeistung, wodurch die Substanz Subjekt, ihre Abstraktion und Leblosigkeit gestorben, sie also wirklich und einfaches und allgemeines Selbstbewußtsein geworden ist.'3 Was auf der Stufe der 'Religion' noch Vorstellung von einem andern war, ist hier zum eigenen 'Tun des Selbst' geworden. Diese letzte Gestalt des Geistes ist das absolute Wissen.4 Die Religion spricht zwar früher in der Zeit als die Wissenschaft es aus, was der Geist ist; 'aber diese ist allein sein wahres Wissen von ihm selbst'.5 Wenn der Geist dem Bewußtsein im Elemente des Begriffs erscheint, oder vielmehr vom Bewußtsein in diesem Element hervorgebracht wird, dann ist er 'die Wissenschaft'.6 Der Geist, der weiß, was er ist, existiert erst, wenn er die Arbeit vollendet hat, 'sich für sein Bewußtsein die Gestalt seines Wesens zu verschaffen, und auf diese Weise sein Selbstbewußtsein mit seinem Bewußtsein auszugleichen'.7 Oder, einfacher und gerade herausgesagt: der Geist als System erfordert den Gottesmord; und umgekehrt: um den Gottesmord zu begehen, wird das System geschaffen. (Fs)

103a Die Phänomenologie endet mit einer Betrachtung über die Geschichte als die Zeit, in der der Geist zu seinem Selbstbewußtsein kommt. 'Dies Werden stellt eine träge Bewegung und Aufeinanderfolge von Geistern dar, eine Galerie von Bildern, deren jedes mit dem vollständigen Reichtum des Geistes ausgestattet, ebendarum sich so träge bewegt, weil das Selbst diesen ganzen Reichtum seiner Substanz zu durchdringen und zu verdauen hat.'8 Ein Geisterreich entfaltet sich im zeitlichen Dasein der Geschichte, in dem jeder Geist das Reich der Welt vom vorangehenden übernimmt, bis die ganze entfaltete Geschichte zur 'Er-Innerung' in der Endphase des Selbstbewußtseins geworden ist. Das Ziel, das absolute Wissen, wird erreicht durch 'die Erinnerung der Geister, wie sie an ihnen selbst sind und die Organisation ihres Reiches vollbringen'. Die Bewahrung dieser Geisterfolge nach der Zeitlichkeit ihres Daseins ist die Geschichte; ihre Bewahrung als begriffene Organisation ist die Wissenschaft des erscheinenden Wissens. Beide zusammen, als die begriffene Geschichte, 'bilden die Erinnerung und die Schädelstätte des absoluten Geistes, die Wirklichkeit, Wahrheit und Gewißheit seines Thrones, ohne den er das leblose Einsame wäre: nur -
aus dem Kelche dieses Geisterreiches
schäumt ihm seine Unendlichkeit'.9 (Fs)

103b Bei Gelegenheit der Analyse von Nietzsches Aphorismus bemerkten wir, daß der Interpret eines magischen opus nicht auf die Magie hereinfallen darf. Treten wir darum aus dem opus heraus und zurück auf den Boden der Wirklichkeit. Fragen wir uns, was in der Seinsordnung vorgeht, wenn Hegel auf der Schädelstätte des Geistes sein Werk abschließt. Wenn wir versuchen, seine Zusammenfassung unsererseits zusammenzufassen, dann müssen wir sagen: Auf dem Grab des gemordeten Gottes begeht der Golem ein schauriges Ritual: eine Art Triumphtanz mit Gesang. Das Ziel ist erreicht. Die 'Offenbarung der Tiefe' ist gelungen; aber die Tiefe ist nichts als 'der absolute Begriff'; und 'diese Offenbarung' ist darum das Aufheben der Tiefe. Eine andere Offenbarung aber gibt es nicht. Und dann ertönt der Gesang: (103f; Fs)

aus dem Kelche dieses Geisterreiches
schäumt ihm seine Unendlichkeit.

104a Diese letzten Zeilen des Werkes, die zwei als Verse gesetzten Nicht-Verse, wandeln den Schluß von Schillers Lied an 'Die Freundschaft' ab:

Fand das höchste Wesen schon kein Gleiches,
Aus dem Kelch des ganzen Seelenreiches
Schäumt ihm - die Unendlichkeit.

104b Das ist der abschließende Akt gnostischer Zerstörung der Realität. Für das Schicksal der Seinsordnung, wenn sie den Magiern in die Hände fällt, hat Hegel das Symbol gefunden: die Schändung eines Gedichts. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Gnosis, gnostische Massenbewegungen; Progressivismus, Positivismus, Marxismus, Psychoanalyse, Kommunismus, Faschismus, Nationalsozialismus; Comte (Beispiel: Beziehung: Intellektuellen- und Massenbewegung), Positivismus, Altruismus

Kurzinhalt: Keine der genannten Bewegungen hat als Massenbewegung begonnen, alle sind von Intellektuellen und kleinen Gruppen ausgegangen. Manche von ihnen sollten nach der Absicht ihrer Gründer zu politischen Massenbewegungen werden und sind es dann nicht geworden.

Textausschnitt: Die gnostischen Massenbewegungen unserer Zeit.

105a Der Ausdruck 'gnostische Massenbewegungen' ist nicht allgemein gebräuchlich. Wenn man ihn liest, wird man daher zuerst eine Definition erwarten. Das ist aber nicht möglich, denn Definitionen stehen, aus methodischen Gründen, am Ende einer Analyse, nicht an ihrem Anfang; und wenn die Analyse sorgfältig durchgeführt worden ist, sind die Definitionen nicht mehr von allzu großer Bedeutung, da sie nicht mehr geben können als eine Zusammenfassung des Resultates der Analyse. Ich werde der aristotelischen Methode folgen, von dem zu untersuchenden Gegenstand zuerst exemplarisch zu sprechen, um dann, wenn der Gegenstand auf der Common-sense-Ebene in unserer Umwelt sichergestellt ist, zur Analyse fortzuschreiten. (105; Fs)

I (eg: Comte, Positivismus )

105b Unter gnostischen Bewegungen sollen Bewegungen von der Art des Progressivismus, des Positivismus, des Marxismus, der Psychoanalyse, des Kommunismus, des Faschismus und des Nationalsozialismus verstanden werden. Es handelt sich also nicht in allen diesen Fällen um politische Massenbewegungen. Einige von ihren würden besser als Intellektuellenbewegungen bezeichnet werden, wie etwa der Positivismus, der Neopositivismus und die Varianten der Psychoanalyse. Wir werden darauf aufmerksam, daß Massenbewegungen nicht ein eigenständiges Phänomen sind und daß der Unterschied von Massen und intellektuellen Eliten vielleicht nicht so groß ist, wie konventionell angenommen wird, wenn er überhaupt besteht. In der sozialen Realität jedenfalls gehen die beiden Typen ineinander über. Keine der genannten Bewegungen hat als Massenbewegung begonnen, alle sind von Intellektuellen und kleinen Gruppen ausgegangen. Manche von ihnen sollten nach der Absicht ihrer Gründer zu politischen Massenbewegungen werden und sind es dann nicht geworden. Andere sind als Intellektuellenbewegungen gemeint gewesen, wie etwa der Neopositivismus oder die Psychoanalyse, und haben, wenn sie auch nicht den Charakter einer politischen Massenbewegung angenommen haben, so doch Erfolg von Massencharakter gehabt, insofern als ihre Theorie und ihr Vokabular das Denken von Millionen von Menschen in der westlichen Welt geformt haben, sehr oft ohne daß sie sich dessen bewußt sind. (105f; Fs)

106a Als repräsentatives Beispiel für die Beziehung zwischen Intellektuellen- und Massenbewegung sei der Fall des Comteschen Positivismus kurz umrissen. Er war eine Intellektuellenbewegung, die mit Saint-Simon, mit Comte und seinen Freunden begann und nach der Absicht ihrer Gründer eine Massenbewegung von erdweitem Umfang werden sollte. Die gesamte Menschheit sollte zur Mitgliedschaft der Positivistengemeinde unter der geistigen Führung des Fondateur de la religion de l'humanite werden. Comte versuchte in diplomatische Korrespondenz mit Nikolaus I., mit dem Jesuitengeneral und mit dem Großwesir zu treten, um die russische Orthodoxie, die katholische Kirche und den Islam dem Positivismus einzugliedern. Wenn auch diese grandiosen Pläne fehlschlugen, so wurde doch Bedeutendes erreicht. Es hat starke positivistische Bewegungen, vor allem in Südamerika, gegeben; und die Brasilianische Republik hat bis heute das Comtesche Motto 'Ordnung und Fortschritt' in ihrem Wappen. In Europa hat der Comteismus die besten Köpfe der Zeit beschäftigt; er hat John Stuart Mill entscheidend beeinflußt; und der Nachklang des Comteschen Geschichtsbildes ist noch in der Philosophie Max Webers, Ernst Cassirers und Edmund Husserls zu hören. Die ganze westliche Welt schließlich verdankt Comte das Wort 'Altruismus', den säkularistisch-innerweltlichen Ersatz für die 'Liebe', die des Christentums verdächtig ist: der Altruismus ist die Grundlage für das Konzept einer Menschheit von Brüdern ohne Vater. Am Beispiel des Positivismus sieht man vielleicht am klarsten, wie die Probleme von Intellektuellen- und Massenbewegungen ineinander übergehen. (106f; Fs)






Unter gnostischen Bewegungen sollen Bewegungen von der Art des Progressivismus, des Positivismus, des Marxismus, der Psychoanalyse, des Kommunismus, des Faschismus und des Nationalsozialismus verstanden werden.
()
In Europa hat der Comteismus die besten Köpfe der Zeit beschäftigt; er hat John Stuart Mill entscheidend beeinflußt; und der Nachklang des Comteschen Geschichtsbildes ist noch in der Philosophie Max Webers, Ernst Cassirers und Edmund Husserls zu hören.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Gnosis: 6 Merkmale: 1. Unzufriedenheit 2. schlechte Welt 3. Erlösung vom Übel möglich 4. Änderung der Seinsordnung 5. im Handlungsraum des Menschen 6. Gnosis: Rezept zur Veränderung

Kurzinhalt: Mit diesem fünften Punkt erreichen wir das gnostische Merkmal im engeren Sinne, mit dem Glauben, daß eine Änderung der Seinsordnung, die Erlösungscharakter hat, im menschlichen Handlungsbereich liege, daß sie dem Menschen durch sein eigenes Handeln ...

Textausschnitt: II (eü: 6 Merkmale der Gnosis)

107a Wir haben den Gegenstand der Untersuchung auf der Common-sense-Ebene sichergestellt und müssen uns jetzt weiter darüber klarwerden, inwiefern die aufgezählten Bewegungen als gnostische zu charakterisieren sind. (107; Fs)

107b Wieder seien nicht Definitionen, sondern nur Hinweise auf die historischen Exemplare gegeben. Die Gnosis war eine religiöse Bewegung des Altertums. Sie wird etwa gleichzeitig mit dem Christentum feststellbar - so gleichzeitig in der Tat, daß man lange annahm, es handle sich bei der Gnosis um nicht mehr als um eine christliche Häresie. Diese Ansicht ist heute nicht mehr zu halten. Zwar gibt es keine gnostischen Quellen, die nachweislich vor Christus zu datieren wären, aber die gnostischen Einflüsse und das gnostische Vokabular sind schon bei Paulus so deutlich zu erkennen, daß sie aus einer vor ihm existierenden, kraftvollen Bewegung stammen müssen. Über die geschichtliche Kontinuität der Gnosis vom Altertum bis in die Neuzeit sei hier nur gesagt, daß die Entwicklung der Sekten gnostischen Charakters vom östlichen Mittelmeer des Altertums über die hochmittelalterlichen Bewegungen bis zu denen der westlichen Renaissance und Reformation in ihrem Zusammenhang hinreichend geklärt ist, um von einer Kontinuität sprechen zu dürfen. Wichtiger als die Definitions- und Genesisfragen sind für unseren Zweck die Merkmale, an denen wir gnostische Bewegungen als solche erkennen können. Es seien darum sechs Charakteristika aufgezählt, die in ihrer Gesamtheit das Wesen gnostischer Haltung umschreiben: (107; Fs)

1. Vor allem ist festzustellen, daß der Gnostiker mit seiner Situation unzufrieden ist. Das wäre an sich nicht besonders zu verwundern. Wir alle haben Grund, in diesem oder jenem Punkt mit der Situation, in der wir uns finden, nicht ganz zufrieden zu sein. (107f; Fs)
108a

2. Nicht ganz so selbstverständlich ist das zweite Merkmal der gnostischen Haltung: der Glaube, daß die Übelstände der Situation darauf zurückzuführen seien, daß die Welt wesensmäßig schlecht organisiert ist. Denn es wäre ja auch die andere Annahme möglich, daß die Seinsordnung, so wie sie uns Menschen vorgegeben ist (wo immer ihr Ursprung zu suchen ist), gut sei und daß wir Menschen unzulänglich sind. Wenn in der Situation etwas nicht so ist, wie es sein sollte, dann ist der Grund in der Schlechtigkeit der Welt zu suchen. (108; Fs) (notabene)

3. Das dritte Charakteristikum ist der Glaube, daß Erlösung vom Übel der Welt möglich sei.

4. Als viertes Merkmal folgt der Glaube, daß die Seinsordnung in einem historischen Prozeß geändert werden müsse. Aus der schlechten Welt muß historisch eine gute Welt werden. Die Annahme ist nicht ganz selbstverständlich, denn als Alternative wäre die christliche Antwort zu erwägen, daß die Welt in der Geschichte so bleibt, wie sie ist, und daß die erlösende Vollendung des Menschen durch Gnade im Tod erfolgt. (108; Fs) (notabene)

5. Mit diesem fünften Punkt erreichen wir das gnostische Merkmal im engeren Sinne, mit dem Glauben, daß eine Änderung der Seinsordnung, die Erlösungscharakter hat, im menschlichen Handlungsbereich liege, daß sie dem Menschen durch sein eigenes Handeln möglich sei. (108; Fs) (notabene)

6. Wenn es aber möglich ist, die uns vorgegebene Seinsordnung in ihrer Struktur so zu verändern, daß wir mit ihr als einer vollendeten zufrieden sein können, dann wird es zur Aufgabe des Gnostikers, das Rezept der Änderung zu erforschen. Das Wissen, die Gnosis, von der Methode der Änderung des Seins ist sein eigentliches Anliegen. Als sechstes Merkmal der gnostischen Haltung erkennen wir daher die Konstruktion der Rezepte zur Selbst- und Welterlösung sowie die Bereitwilligkeit des Gnostikers, als Prophet aufzutreten, der sein Erlösungswissen der Menschheit verkündet. (108; Fs)

109a Das wären also die sechs Merkmale, die das Wesen der gnostischen Haltung umschreiben. In der einen oder anderen Abwandlung finden wir sie in jeder der angeführten Bewegungen. (109; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Gnosis, Symbolik; christliche Vollendungsidee: sanctificatio, visio beatifica -> teleologische, axiologische Vollendung (E. Troeltsch); 3 Typen gnostischer Vollendung: 1. Fortschritt (Kant), 2. Utopie 8 (Moore), Ideale 3. aktivistische Mystik

Kurzinhalt: Wenn die teleologische Komponente immanentisiert wird, liegt das Hauptgewicht der gnostisch-politischen Idee auf der Vorwärtsbewegung ... eim zweiten Typus der Derivation, beim axiologischen, liegt das Gewicht der Idee auf dem Zustand der Vollendung ...

Textausschnitt: III (eg: gnostische Derivationen: teleologische, axiologisch, Mischung

109b In den modernen Massenbewegungen hat sich die gnostische Haltung, zu ihrem angemessenen Ausdruck, eine reiche, vielgestaltige Symbolik geschaffen. Sie ist so reich, daß sie in diesem Zusammenhang nicht vollständig dargestellt werden kann: nur einige der wichtigsten Symbolkomplexe können herausgehoben werden. Als ersten wollen wir den Komplex von Symbolen behandeln, die sich als Abwandlungen der christlichen Vollendungsidee erkennen lassen. (Fs)

109b Unter der christlichen Vollendungsidee soll die Einsicht verstanden werden, daß die menschliche Natur ihre Vollendung nicht in dieser Welt findet, sondern nur in der Visio beatifica, in der übernatürlichen Vollendung durch Gnade im Tod. Wenn es also keine diesseitige Vollendung gibt, so empfängt das christliche Leben doch seine besondere Form durch das Hinleben auf die jenseitige; es wird gestaltet durch die sanctificatio, durch die Heiligung des Lebens. In der christlichen Vollendungsidee lassen sich daher zwei Komponenten unterscheiden. Die erste Komponente ist die der Bewegung auf das Vollendungsziel hin, die durch den Ausdruck 'Heiligung des Lebens', im englischen Puritanismus durch die Formel vom pilgrim's progress, beschrieben wird. Sie wird als die der Bewegung auf ein Ziel hin die teleologische Komponente genannt. Das Ziel ferner, das telos, auf das sich die Bewegung richtet, wird als das der letzten Vollendung verstanden; und da das Ziel ein Zustand höchsten Wertranges ist, wird diese zweite Komponente die axiologische genannt. Die beiden Komponenten, die teleologische und die axiologische, wurden von Ernst Troeltsch unterschieden. (Fs) (notabene)

109c Die Vollendungsideen der gnostischen Massenbewegungen leiten sich von der christlichen her. Gemäß den eben unterschiedenen Komponenten gibt es prinzipiell drei Möglichkeiten der Derivation. In der gnostischen Vollendung, die sich innerhalb der geschichtlichen Welt ereignen soll, können entweder die teleologischen und axiologischen Komponenten jede für sich immanentisiert werden oder beide zugleich. Im folgenden werden einige Beispiele für die drei Typen der Immanentisierung gegeben. (Fs)

110a Zum ersten Typus der Derivation, zum teleologischen, gehört der Progressivismus in allen seinen Varianten. Wenn die teleologische Komponente immanentisiert wird, liegt das Hauptgewicht der gnostisch-politischen Idee auf der Vorwärtsbewegung, auf der Bewegung auf ein Vollendungsziel in der Welt hin. Das Ziel selbst braucht nicht allzu genau erfaßt zu sein; es mag in nicht mehr bestehen als in der idealisierenden Überhöhung dieser oder jener für wertvoll gehaltenen Züge der Situation des jeweiligen Denkers. Zu dieser teleologischen Variante der Gnosis gehören die Fortschrittsideen des 18. Jahrhunderts, wie z.B. die von Kant oder Condorcet. Nach der Kantschen Idee des Fortschritts bewegt sich die Menschheit in unendlicher Annäherung auf das Ziel einer vollkommenen, rationalen Existenz einer weltbürgerlichen Gesellschaft hin - wenn auch zu Ehre Kants gesagt werden muß, daß er in diesem unendlichen Fortschritt der Menschheit keine Erlösung des individuellen Menschen zu finden vermochte und die Relevanz des Fortschritts für die Vollendung der Person ihm daher fragwürdig schien. Condorcet war etwas weniger geduldig als Kant - er wollte die Vollendung der Menschheit nicht dem unendlichen Progreß der Geschichte überlassen, sondern sie durch ein Direktorium von Intellektuellen beschleunigen. Aber damit nähert sich seine progressivistische Idee schon dem dritten Typus, dem der aktivistischen Vollendung, wie denn die drei Typen bei den einzelnen gnostischen Denkern nur selten rein, sondern meistens in mannigfachen Verbindungen zu finden sind. (Fs)

110b Beim zweiten Typus der Derivation, beim axiologischen, liegt das Gewicht der Idee auf dem Zustand der Vollendung in der Welt. Der Zustand vollkommener Gesellschaftsordnung wird im einzelnen ausgearbeitet und beschrieben und nimmt dadurch die Gestalt eines Idealbildes an. Ein solches Idealbild wurde zum erstenmal von Thomas More in seiner Utopia entworfen. Aber nicht immer muß das Bild der Vollendung so sorgfältig durchgearbeitet sein wie bei More. Sehr viel häufiger sind die Vorstellungen von einem für wertvoll gehaltenen Endzustand, die als Negationen eines spezifischen Übels der Welt zu verstehen sind. Die Liste der Übel ist seit dem Altertum bekannt; sie wurde von Hesiod entwickelt. Es handelt sich vor allem um Armut, Krankheit, Tod, die Last der Arbeit und die Sexualnöte. Das sind die Hauptklassen des Existenzdrucks. An sie knüpfen die Gesellschaftsbilder an, die spezifische Erlösung vom einen oder anderen dieser Übel gewähren. Fragmentarische Vollendungsideen dieser Art mögen Ideale genannt werden, um sie von den vollständigen Bildern der utopischen Klasse zu unterscheiden. Wir verstehen also unter Idealen Utopiefragmente, wie die Idee einer eigentumslosen Gesellschaft oder die Idee einer Gesellschaft, die frei ist von den Übeln des Arbeitsdrucks, der Krankheit, der Angst usw. Für die Gesamtklasse dieser axiologischen Derivate ist charakteristisch, daß sie ein verhältnismäßig klares Bild von dem für wünschenswert gehaltenen Zustand entwerfen, aber sich nicht näher auf die Mittel einlassen, durch die er herbeigeführt werden soll. (Fs) (notabene)

111a Beim dritten Typus der Derivation, in dem beide Komponenten zusammen immanentisiert werden, ist beides vorhanden: eine Vorstellung vom Endziel und ein Wissen um die Methoden, es herbeizuführen. Von den Fällen des dritten Typus wollen wir als aktivistischer Mystik sprechen. Zu ihnen gehören vor allem Bewegungen, die sich von Auguste Comte und Karl Marx herleiten. In beiden Fällen findet sich eine relativ klare Vorstellung vom Zustand der Vollendung, bei Comte von einem Endzustand der industriellen Gesellschaft unter der temporalen Herrschaft der Manager und der spirituellen und positivistischen Intellektuellen, bei Marx von dem Endzustand eines klassenlosen Reiches der Freiheit. Und in beiden Fällen besteht Klarheit über den Weg zur Vollendung, bei Comte durch die Wandlung des Menschen zu seiner höchsten Form, zu der des Positivisten, bei Marx durch die Revolution des Proletariats und die Wandlung des Menschen zum kommunistischhen Übermenschen. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Gnosis, Joachim; trinitarisches Schema, 4 Symbole: 1. Drittes Reich, Dreiteilung d. Geschichte (Biondo, Comte, Hegel, Marx, Schelling) 2. Führer (Franz, Übermensch, Dante, Sektierer) 3. Vorläufer 4. Gemeinschaft

Kurzinhalt: Ein zweiter Komplex von Symbolen, der die modernen gnostischen Massenbewegungen durchzieht, wurde durch die Geschichtsspekulation des Joachim von Flora am Ende des 12. Jahrhunderts geschaffen.

Textausschnitt: V (eü: Joachim)

112a Ein zweiter Komplex von Symbolen, der die modernen gnostischen Massenbewegungen durchzieht, wurde durch die Geschichtsspekulation des Joachim von Flora am Ende des 12. Jahrhunderts geschaffen. (Fs)

112b Die historische Spekulation des Joachim richtet sich gegen die damals herrschende Geschichtsphilosophie des Augustinus. In der augustinischen Konstruktion war die Geschichtsphase seit Christus das sechste, das letzte irdische Zeitalter; es war das saeculum senescens, die Zeit der Vergreisung der Menschheit. Die Gegenwart hatte keine irdische Zukunft; ihr Sinn erschöpfte sich im Warten auf das Ende der Geschichte durch die eschatologischen Ereignisse. Es war ein Geschichtsbild, dessen Motive in den Erfahrungen des 5. Jahrhunderts zu suchen sind, in dem es entstanden war: zur Zeit Augustins schien in der Tat, wenn nicht die Welt, so doch eine Welt ihrem Ende entgegenzugehen. Aber die Vorstellung von der vergreisenden, auf ihr Ende wartenden Welt konnte nicht die Menschheit der 12. Jahrhunderts in Westeuropa befriedigen, denn deren Welt war allzu offenbar nicht im Untergehen, sondern, im Gegenteil, im Aufstieg. Die Bevölkerung vermehrte sich, das Siedlungsgebiet dehnte sich aus, der Reichtum wuchs, Städte wurden gegründet, und das geistige Leben intensivierte sich, vor allem durch die großen Ordensbewegungen seit Cluny. Dieser aufsteigenden, zivilisatorisch sich sättigenden, vitalen Zeit mußte die Vorstellung der Vergreisung als sinnwidrig erscheinen. (Fs)

112c Die Spekulation des Joachim ging, wie er selbst, aus der Ordensbewegung hervor. Joachim entwarf sein Geschichtsbild nach einem trinitarischen Schema. Die Weltgeschichte war eine Folge von drei großen Zeitaltern - des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Das erste Zeitalter hatte von der Erschaffung der Welt bis zu Christus gedauert; das zweite, das des Sohnes, hatte mit Christus begonnen. Aber das Zeitalter des Sohnes war nicht wie bei Augustinus das letzte der Menschheit, sondern es sollte ihm ein weiteres, das des Heiligen Geistes, folgen. Wir erkennen, wenn auch noch durchaus im christlichen Raum, die ersten Symptome der Idee einer nachchristlichen Zeit. Joachim erging sich ferner in konkreten Spekulationen über den Beginn der Zeit des Geistes - sie sollte mit 1260 einsetzen. Und das neue Zeitalter sollte, ebenso wie die vorangehenden, durch eine Führererscheinung eingeleitet werden. Wie das erste Zeitalter mit Abraham, das zweite mit Christus begann, so sollte das dritte im Jahre 1260 mit der Erscheinung eines dux e Babylone beginnen. (Fs) (notabene)

113a Soweit die joachitische Spekulation. Wir können in ihr einen Komplex von vier Symbolen erkennen, die seither für die politischen Massenbewegungen der Neuzeit charakteristisch geblieben sind. (Fs)

113b Das erste dieser Symbole ist das des Dritten Reiches, d.h. die Vorstellung von einer dritten weltgeschichtlichen Phase, die zugleich die letzte der Vollendung ist. (Fs)

113c Zu den Drei-Phasen-Symbolen gehört eine umfangreiche Klasse gnostischer Ideen. Als erste, und vor allem, wäre die humanistische Gliederung der Weltgeschichte in Altertum, Mittelalter und Neuzeit zu nennen. Die Gliederung stammt in ihrer ursprünglichen Fassung von Biondo; sie setzte als das Mittelalter das Jahrtausend von der Eroberung Roms durch die Westgoten bis zum Jahre 1410 an. Im 18. Jahrhundert beginnen dann die Drei-Phasen-Gesetze, die durch Turgot und Comte berühmt geworden sind: die Weltgeschichte gliedert sich in eine erste theologische, eine zweite metaphysische Phase und eine dritte der positiven Wissenschaft. Bei Hegel finden wir eine Dreiteilung der Weltgeschichte nach Stufen der Freiheit: von der alten Zeit der orientalischen Despotien, in denen nur einer frei war, über die aristokratischen Zeiten, in denen wenige frei waren, bis zu der neuen Zeit, in der alle frei sind. Marx und Engels haben das Dreiteilungsschema auf ihre Proletariatsproblematik angewandt und sprachen von einer ersten Phase des Urkommunismus, einer zweiten der bürgerlichen Klassengesellschaft und einer dritten der klassenlosen Gesellschaft, in der das endkommunistische Reich der Freiheit verwirklicht wird. Schelling wieder hat in seiner Geschichtsspekulation die drei großen Phasen des Christentums unterschieden: die erste, die petrinische, gefolgt von einer zweiten, der paulinischen, die von einer dritten, der johanneischen des vollendeten Christentums, abzuschließen sein wird. (113f; Fs)

114a Damit sind nur die Hauptfälle genannt, um zu zeigen, daß die Vorstellung von einem Dritten Reich der Vollendung in der Tat ein beherrschendes Symbol im Selbstverständnis der modernen Gesellschaft ist und daß nach mehrhundertjähriger Vorbereitung auf Dritte Endreiche der Versuch, sie durch revolutionäre Aktion in der Tat herbeizuführen, nicht mehr allzusehr überraschen dürfte. Die Aufzählung sollte ferner daran erinnern, daß ein Erlebnis- und Symboltypus, der in Jahrhunderten aufgebaut worden ist, wohl kaum über Nacht seine beherrschende Stellung in der westlichen Geschichte verlieren wird. (Fs)

114b Das zweite von Joachim entwickelte Symbol ist das des Führers, des dux, der zu Anfang eines neuen Zeitalters erscheint und durch seine Erscheinung das Zeitalter begründet. Das Symbol wurde von den erlösungssüchtigen Zeitgenossen Joachims mit Begierde aufgegriffen. Der erste, der ihm zum Opfer fiel, war Franz von Assisi. Er wurde von so vielen als der Führer in das Reich des Heiligen Geistes angesehen, daß er sich zu besonderen Maßnahmen gezwungen sah, um diesem Mißverständnis seiner durchaus orthodoxen Aktionen vorzubeugen. Trotz seiner Bemühungen blieb der Glaube an Franziskus als den Führer des Dritten Reiches lebendig und hat noch aufs stärkste Dante in seiner Konzeption einer solchen Führererscheinung beeinflußt. Die Idee beherrschte weiter die Sektenbewegungen der Renaissance und Reformation - ihre Führer waren die vom Geist Gottes besessenen Parakleten, und ihre Anhänger waren die homines novi oder spirituales. Über Dante ist die Vorstellung eines dux des neuen Reiches wieder lebendig geworden in der nationalsozialistischen und faschistischen Zeit. Es gibt eine deutsche und italienische Literatur, in der jeweils Hitler und Mussolini als die von Dante geweissagten Führer gefeiert werden. (Fs)

114c In der säkularistischen Periode konnten die Führer nicht als gottbesessene Parakleten vorgestellt werden. Mit dem Ende des 18. Jahrhunderts beginnt ein neues Symbol, das des 'Übermenschen', an die Stelle der älteren Sektiererkategorien zu treten. Der Ausdruck, von Goethe im Faust geprägt, wird im 19. Jahrhundert von Marx und Nietzsche zur Bezeichnung des neuen Menschen im Dritten Reich gebraucht. Der Prozeß, in dem der Übermensch geschaffen wird, ist nahe verwandt mit der geistigen Bewegung, in der die älteren Sektierer als [sic] Substanz Gottes in sich hineinziehen und sich zum godded man, zum vergotteten Menschen, verwandeln. Gott wird von den säkularistischen Sektierern als eine Projektion menschlicher Seelensubstanz in die illusionäre Räumlichkeit des 'Jenseits' verstanden. Diese Illusion kann psychologisch aufgelöst und der 'Gott' aus seinem Jenseits wieder in die menschliche Seele zurückgeholt werden, aus der er stammt. Durch die Auflösung der Illusion wird die göttliche Substanz dem Menschen wieder einverleibt, und der Mensch wird zum Übermenschen. Die Zurücknahme Gottes in den Menschen hat, ebenso wie bei den älteren Sektierern, zum Ergebnis die Schöpfung eines Menschentypus, der sich als jenseits der institutionellen Bindungen und Verpflichtungen stehend erlebt. Als die Haupttypen des Übermenschen können wir unterscheiden den progressivistischen Übermenschen Condorcets (der sogar die Aussicht auf ewiges irdisches Leben hat), den positivistischen Comtes, den kommunistischen von Marx und den dionysischen Nietzsches. (114f; Fs)

115a Das dritte der joachitischen Symbole ist das des Vorläufers. Joachim hatte angenommen, daß der Führer eines jeden Zeitalters einen Vorläufer habe, so wie Christus Johannes den Täufer. Auch der Führer aus der Babylonischen Gefangenschaft, der 1260 erscheinen sollte, hat einen solchen Vorläufer - in diesem Falle Joachim selbst. Mit der Schöpfung des Vorläufersymbols ist ein neuer Typus in die westliche Geschichte eingetreten: der Intellektuelle, der das Rezept der Erlösung von den Übelständen der Welt kennt und der voraussagen kann, wie die Weltgeschichte in Zukunft weiterverlaufen wird. In der joachitischen Spekulation war der Intellektuelle noch tief in das Medium des Christentums eingebettet, insofern als Joachim sich als den Propheten des kommenden, von Gott gesandten dux e Babylone verstand. Im weiteren Verlauf der westlichen Geschichte ist die christliche Einbettung abgebröckelt; der Verkünder, der Vorläufer des Führers, ist zum Intellektuellen im säkularistischen Sinne geworden - zum Intellektuellen, der glaubt, den Sinn der weltimmanent verstandenen Geschichte zu kennen und die Zukunft voraussagen zu können. In der politischen Praxis ist die Gestalt des Intellektuellen, der das Zukunftsbild der Geschichte entwirft und Voraussagen macht, nicht immer klar von der des Führers zu trennen. Im Falle Comtes z.B. sehen wir zweifellos die Gestalt eines Führers vor uns, aber gleichzeitig ist Comte auch der Intellektuelle, der seine eigene Rolle als Führer der Weltgeschichte prognostiziert und darüber hinaus sogar sich durch Magie meditativer Praxis aus dem Intellektuellen in den Führer verwandelt. Auch im Falle des Kommunismus sind Führer und Intellektueller in der Person eines Karl Marx kaum scharf zu trennen; aber durch die geschichtliche Gestalt der Bewegung sind doch Marx und Engels als die 'Vorläufer' durch den Abstand einer Generation von Lenin und Stalin als den 'Führern' der Verwirklichung des Reiches getrennt worden. (115f; Fs)

116a Das vierte der joachitischen Symbole ist die Gemeinschaft der geistig autonomen Personen. Im Sinne des Monastizismus der Zeit stellte sich Joachim das Dritte Reich als eine Gemeinschaft von Mönchen vor. Das für unseren Zusammenhang Wesentliche an dieser Vorstellung ist die Idee einer vergeisteten Menschheit, die ohne die Vermittlung und Stütze von Institutionen in Gemeinschaft existieren kann, denn die geistige Gemeinschaft der Mönche in der joachitischen Idee sollte ohne die sakramentale Stütze der Kirche bestehen. In dieser freien Gemeinschaft autonomer Personen ohne institutionelle Organisation erkennen wir die Gemeinschaftssymbolik moderner Massenbewegungen, die sich das Endreich als eine freie Gemeinschaft von Menschen, nach dem Absterben des Staates und anderer Institutionen, vorstellen. Im Kommunismus ist die Symbolik am deutlichsten zu erkennen; aber auch die Idee der Demokratie lebt nicht unerheblich von der Symbolik einer Gemeinschaft autonomer Menschen. (Fs)

116b Damit wäre die Darstellung der joachitischen Symbole abgeschlossen. Wir erkennen in ihnen einen der großen Symbolkomplexe, der in den modernen politischen Massenbewegungen aktiv geworden und es bis heute geblieben ist. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Gnosis; Immanentisierung; Leugnung d. Realität, 3 Beispiele: More (superbia ), Hobbes (summum bonum), Hegel (Mysterium); summum malum, libido dominandi; Pneumopathologie

Kurzinhalt: In allen gnostischen Bewegungen geht es darum, die Seinsverfassung mit ihrem Ursprung in göttlich-transzendentem Sein aufzuheben und sie durch eine weltimmanente Seinsordnung zu ersetzen, deren Vollendung in den Machtbereich menschlichen Handelns ...

Textausschnitt: V (eü: Immanentisierung; Auslassung von Realität)

117a Die zwei Komplexe, die hier kurz umrissen wurden, erschöpfen keineswegs die Symbolsprache der Massenbewegungen. Um annähernde Vollständigkeit zu erreichen, müßten die auf den lateinischen Averroismus und Nominalismus des Mittelalters zurückgehenden hinzugefügt werden. Aber die von der christlichen Vollendungsidee und der joachitischen Spekulation sich herleitenden sind zweifellos die beherrschenden, denen die anderen sich einfügen; und unter den beiden gebührt wieder der Immanentisierung der christlichen Vollendungsidee der Vorrang. (Fs)
117b Diese Rangordnung ist ontologisch bestimmt durch die zentrale Stellung des Problems der Immanentisierung: In allen gnostischen Bewegungen geht es darum, die Seinsverfassung mit ihrem Ursprung in göttlich-transzendentem Sein aufzuheben und sie durch eine weltimmanente Seinsordnung zu ersetzen, deren Vollendung in den Machtbereich menschlichen Handelns gegeben ist. Es geht darum, die Struktur der Welt, die als unzulänglich empfunden wird, so abzuändern, daß eine neue, befriedigende Welt entsteht. Die Varianten der Immanentisierung also sind die rangmäßig beherrschenden Symbole, denen die anderen Komplexe sich als sekundäre Ausdrucksmöglichkeiten des Immanentisierungswillens unterordnen. (Fs) (notabene)

117c Gleichgültig welcher der drei Varianten der Immanentisierung die Bewegungen angehören, der Versuch, eine neue Welt zu schaffen, ist ihnen allen gemeinsam. Der Versuch kann sinnvoll nur dann unternommen werden, wenn die Seinsverfassung in der Tat vom Menschen geändert werden kann. Nun steht jedoch die Welt, so wie sie uns vorgegeben ist, nicht in der Verfügungsgewalt des Menschen, und ihre Struktur kann nicht geändert werden. Um das Unternehmen zwar nicht möglich zu machen, es aber doch als möglich erscheinen zu lassen, muß daher jeder gnostische Intellektuelle, der ein Programm der Weltänderung entwirft, vor allem ein Weltbild konstruieren, aus dem die wesentlichen Züge der Seinsverfassung, die das Programm als aussichtslos und unsinnig erscheinen lassen würden, weggelöscht worden sind. Mit dieser Eigentümlichkeit der gnostischen Weltbilder wollen wir uns abschließend befassen. An drei repräsentativen Fällen soll gezeigt werden, welcher Realitätsfaktor ausgelassen wird, um die Möglichkeit der Änderung des unbefriedigenden Zustandes wahrscheinlich zu machen. Als die drei Fälle wählen wir die Utopie des Thomas More, den Leviathan des Hobbes und die Geschichtskonstruktion Hegels. (Fs) (notabene)

118a More entwirft in seiner Utopie das Bild eines Menschen und eines Gesellschaftszustandes, die er für vollkommen hält. Zur Vollkommenheit gehört die Abschaffung des Privateigentums. Nun ist er sich aber, da er eine ausgezeichnete theologische Bildung genossen hat, sehr wohl bewußt, daß der vollendete Zustand in der Welt nicht herbeigeführt werden kann, weil die Begierde des Menschen nach Besitz ihre tiefe Wurzel in der Erbsünde, in der superbia im augustinischen Sinne, hat. An der entscheidenden Stelle seines Werkes, wenn More das vollendete Bild überblickt, muß er daher zugeben, daß alles das möglich wäre, wenn es nur 'die Schlange der superbia' nicht gäbe. Nun gibt es aber die Schlange der superbia - und More denkt nicht daran, es zu bestreiten. Es erhebt sich daher die Frage, in welch eigentümlich psychopathischem Zustand ein Mann wie More sich befunden haben muß, als er ein Bild der vollkommenen Gesellschaft in der Geschichte zeichnete, im vollen Bewußtsein, daß dieser Zustand wegen der Erbsünde niemals erreicht werden konnte. (Fs)

118b Es eröffnet sich das Problem der besonderen, krankhaften Geisteskonstitution gnostischer Denker, für das wir noch keine adäquate Terminologie in unserer Zeit durchgebildet haben. Es empfiehlt sich daher, um von diesem Phänomen sprechen zu können, den Ausdruck 'Pneumopathologie', den Schelling für diesen Zweck geprägt hat, zu gebrauchen. In einem Fall wie dem Mores sprechen wir daher von dem pneumopathischen Zustand eines Denkers, der in seiner Revolte gegen die Welt, so wie sie von Gott geschaffen worden ist, willkürlich einen Realitätsfaktor ausläßt, um das Phantasiebild einer neuen Welt zu schaffen. (Fs)

118c Wie More aus dem Menschenbild die superbia wegläßt, um aus diesem neuen, vom Intellektuellen von der Erbsünde befreiten Menschen die utopische Ordnung zu schaffen, so läßt Hobbes einen anderen Wesensfaktor aus, um die Konstruktion seines Leviathan durchführen zu können. Der Faktor, den Hobbes wegläßt, ist das summum bonum, das höchste Gut. Zunächst der Tatbestand: Hobbes weiß, daß das Handeln des Menschen nur dann als rational zu verstehen ist, wenn es über alle Zwischenstufen der Zweck-Mittel-Relation hinaus auf ein letztes Ziel, eben das summum bonum, hin orientiert ist. Er weiß ferner, daß das summum bonum die Grundbedingung der rationalen Ethik bei den klassischen ebenso wie bei den scholastischen Denkern gewesen ist. Und er stellt daher ausdrücklich in der Einleitung zum Leviathan fest, daß er in seiner Konstruktion der Gesellschaft das summum bonum der 'alten Denker' wegzulassen gedenke. Wenn es aber kein summum bonum gibt, dann fehlt der letzte, Rationalität verleihende Orientierungspunkt menschlichen Handelns. Das Handeln kann dann nur noch vorgestellt werden als durch die Leidenschaften motiviert, vor allem durch die Leidenschaft der Aggression, des Überwindens des Nebenmenschen. Der 'natürliche' Gesellschaftszustand muß als der Krieg aller gegen alle verstanden werden, wenn die Menschen nicht in freier Liebe ihr Handeln auf das höchste Gut hin orientieren. Aus dem krieghaften, durch die Leidenschaften bedingten Naturzustand können die Menschen nur dadurch wieder herausfinden, daß eine Leidenschaft, die stärker ist als alle anderen, ihren Angriffs- und Überwindungswillen bändigt und sie zur Friedensordnung bewegt. Diese Leidenschaft ist für Hobbes die Furcht vor dem summum malum, die Furcht vor dem Tode, dem jeder im Naturzustand von der Hand des anderen ausgesetzt ist. Wenn die Menschen sich nicht durch die gemeinsame Liebe zum göttlichen höchsten Gut zu friedlichem Zusammenleben bewegen lassen, dann müssen sie durch die Furcht vor dem summum malum des Todes zur Ordnung in Gesellschaft gezwungen werden. (118f; Fs)

119a Die Motive diese merkwürdigen Konstruktion lassen sich bei Hobbes etwas deutlicher erkennen als bei More. Der Autor des Leviathans hatte sein Menschen- und Gesellschaftsbild unter dem Eindruck der puritanischen Revolution geformt. Am Fall der puritanischen Sektierer hatte er auf dem Grund der Bemühungen um die Herstellung des Gottesreiches die libido dominandi des Revolutionärs diagnostiziert, der die Menschen seinem Willen beugen will. Der 'Geist', von dem er die bewaffneten Propheten der neuen Welt beseelt sah, war nicht der Geist Gottes, sondern die Herrschsucht des Menschen. Diese im Fall der Puritaner durchaus richtige Beobachtung hat er verallgemeinert und die libido dominandi, die der Abfall des Menschen von seinem Wesen und von Gott ist, zum Wesensmerkmal des Menschen gemacht. Jede Bewegung des Geistes wurde für ihn zum Prätext für eine Bewegung der Leidenschaften. Eine Orientierung des menschlichen Handelns durch Liebe zu Gott gab es überhaupt nicht, sondern nur die Motivierung durch den weltimmanenten Machtwillen. Und diese 'Stolzen', die herrschen wollten und ihren Machtwillen als den Willen Gottes ausgaben, mußten gebrochen werden durch den Leviathan, den 'Herrscher über die Stolzen', der sie mit seiner Todesdrohung in Schach hielt und zur Friedensordnung der Gesellschaft zwang. Der Erfolg dieser Annahmen war für Hobbes der gleiche wie für More. Wenn die Menschen nicht imstande sind, ihre Beziehungen zueinander in Freiheit durch Liebe zum summum bonum zu ordnen, wenn die Gesellschaft im Bürgerkrieg in der Tat in den Zustand eines Krieges aller gegen alle verfällt und wenn dieser Zustand als der 'Naturzustand' des Menschen verstanden wird, aus dem es keinen Ausweg gibt, dann ist die Stunde des Denkers gekommen, der das Rezept für die Wiederherstellung der Ordnung und die Sicherung des ewigen Friedens besitzt. Die Gesellschaft, die weder in der Hand Gottes steht noch sich selbst in der Hand hat, wird in die Hand des gnostischen Denkers gegeben. Die libido dominandi, die Hobbes bei den Puritanern diagnostizierte, feiert ihren höchsten Triumph in der Konstruktion des Systems, das dem Menschen die Freiheit und Fähigkeit, sein Leben in Gesellschaft selbst zu ordnen, abspricht. Durch die Konstruktion des Systems wird der Denker zum einzig Freien, zum Gott, der die Erlösung vom Übel des 'Naturzustandes' bringt. Diese Funktion des Systems wird bei Hobbes deutlicher als bei More, weil Hobbes sein Werk einem 'Souverän' empfiehlt, der es lesen, beherzigen und danach handeln möge. More konstruierte zwar seine Utopie, aber das Spiel des Humanisten, so gefährlich es war, blieb für ihn doch Spiel, denn er blieb sich bewußt, daß die vollkommene Gesellschaft 'nirgendwo' war und je sein würde. Hobbes nimmt seine eigene Konstruktion bitter ernst und empfiehlt sie einem Machthaber, der die Scheinfreiheit des Geistes und seiner Ordnung unterdrücken soll, weil nach der Ansicht von Hobbes der Mensch die wirkliche nicht hat. (120f; Fs)

121a Der dritte Fall, den wir zu betrachten haben, ist die Geschichtsphilosophie Hegels. Stellen wir vor allem fest, daß der Ausdruck Geschichtsphilosophie auf die Hegelsche Spekulation nur mit Vorbehalt angewendet werden darf. Denn die Geschichte, die Hegel konstruiert hat, ist nicht in der Realität zu finden, und die Realität der Geschichte ist nicht in Hegels Konstruktion eingegangen. Die Harmonie zwischen Geschichte und Konstruktion konnte auch in diesem Falle nur durch die Auslassung eines wesentlichen Realitätsfaktors hergestellt werden. (Fs)

121b Der Realitätsfaktor, den Hegel ausschaltet, ist das Mysterium einer Geschichte, die in die Zukunft weiterläuft, ohne daß wir ihr Ende kennen. Die Geschichte als Ganzes ist wesensmäßig nicht ein Gegenstand der Erkenntnis, der Sinn des Ganzen ist nicht erkennbar. Hegel kann nun einen sinnhaft abgeschlossenen Prozeß der Geschichte konstruieren, weil er annimmt, daß die Offenbarung Gottes in der Geschichte voll durchschaubar sei. Die Erscheinung Christi war für ihn der Angelpunkt der Weltgeschichte; in dieser entscheidenden Epoche hatte Gott den Logos, die Vernunft, in der Geschichte offenbar gemacht. Aber die Offenbarung war unvollständig; und Hegel sah es als die Aufgabe des Menschen an, die unvollständig gebliebene Offenbarung zu vervollständigen, dadurch daß er den Logos zu vollständiger Klarheit ins Bewußtsein hebt. Die Hebung ins Bewußtsein sei in der Tat möglich durch den Geist des Philosophen, im konkreten Fall durch den Geist Hegels: im Medium der Hegelschen Dialektik kommt die Offenbarung Gottes in der Geschichte zu ihrer Vollendung. Die Gültigkeit der Konstruktion beruht also darauf, daß das Mysterium der Offenbarung und des Ganges der Geschichte aufgelöst und zur vollen Durchsichtigkeit durch die dialektische Entfaltung des Logos gebracht werden kann. Es handelt sich um eine Konstruktion, die nahe mit der des Joachim von Flora verwandt ist. Auch Joachim war mit der augustinischen Erwartung des Endes nicht zufrieden, auch er wollte einen verstehbaren Sinn hier und jetzt in der Geschichte haben, und um den Sinn verstehbar zu machen, mußte er sich selbst als den Propheten einsetzen, dem dieser Sinn durchsichtig war. In gleicher Weise identifiziert Hegel seinen menschlichen Logos mit dem Logos, der Christus ist, um den sinnhaften Prozeß in der Geschichte völlig durchschaubar zu machen. (121f; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Gnosis; Widerspruch zur Realität, Machtwille d. Gnostikers -> Phantasiebefriedigung;
Glaube (Definition: Hebräerbrief, Thomas) - Unsicherheit -> Sehnsucht nach "sicherem" Wissen; Beispiele aus 3 Kulturkreisen

Kurzinhalt: ... welchen seelischen Gewinn der Denker aus der Konstruktion seines Bildes zieht ... Und dieser Gewinn nun scheint ... in einer stärkeren Gewißheit über den Sinn der menschlichen Existenz, in einem neuen Wissen um die Zukunft, die vor uns liegt ...

Textausschnitt: VI (eü: Glaube, Gefährdung)

122a In den drei Fällen von More, Hobbes und Hegel konnten wir feststellen, daß der Denker einen wesentlichen Realitätsfaktor unterdrückt, um ein Menschen-, Gesellschafts- oder Geschichtsbild nach seinem Wunsche konstruieren zu können. Wenn wir uns nun die Frage vorlegen, warum der Denker sein Bild im Widerspruch zur Realität konstruiert, so kann die Antwort nicht auf der Ebene theoretischer Argumente gefunden werden, denn wir bewegen uns offenbar jenseits der Ratio, wenn die Beziehung zur Realität so schwer gestört ist, daß wesentliche Realitätsfaktoren von der Betrachtung prinzipiell ausgeschlossen werden. Wir müssen psychologisch fragen, und eine erste Antwort hat sich schon im Verlauf der Darstellung ergeben: Der Machtwille des Gnostikers, der die Welt beherrschen will, hat den Sieg davongetragen über die Demut der Unterordnung unter die Seinsverfassung. Die Antwort wird uns jedoch nicht voll befriedigen, wenn wir bedenken, daß zwar der Machtwille den Sieg über die Demut davongetragen hat, daß aber das Ergebnis des Sieges nicht wirklicher Machterwerb ist. Die Seinsverfassung bleibt, was sie ist, jenseits der Machtbegierden des Denkers; sie wird nicht dadurch verändert, daß ein Denker ein Programm zu ihrer Änderung entwirft und sich einbildet, er könnte das Programm verwirklichen. Das Ergebnis ist also nicht Herrschaft über das Sein, sondern eine Phantasiebefriedigung. (Fs) (notabene)

123a Wir müssen daher weiterfragen, welchen seelischen Gewinn der Denker aus der Konstruktion seines Bildes zieht und welche seelischen Bedürfnisse der massenhaft ihm folgenden Menschen durch seine Bilder befriedigt werden. Und dieser Gewinn nun scheint, soweit das aus den vorgelegten Materialien hervorgeht, in einer stärkeren Gewißheit über den Sinn der menschlichen Existenz, in einem neuen Wissen um die Zukunft, die vor uns liegt, und in der Schaffung einer sicheren Basis für das Handeln in die Zukunft hinein zu bestehen. Sicherheiten dieser Art aber werden gesucht, wenn sich der Mensch in allen diesen Punkten unsicher fühlt. Wenn wir dann weiter nach den Gründen der Unsicherheit fragen, so stoßen wir auf Züge der Seinsordnung und der Stellung des Menschen in ihr, die allerdings Anlaß zu Unsicherheit geben - einer Unsicherheit, die vielleicht so schwer zu ertragen ist, daß sie als zureichendes Motiv für die Schaffung von Phantasiesicherheiten anerkannt werden darf. Betrachten wir einige dieser Züge. (Fs)

123b Als die beherrschende Symbolik der gnostischen Spekulation erwies sich ein Komplex von Derivaten der christlichen Vollendungsidee. Offenbar steckt in dieser Idee ein Unsicherheitsfaktor, der die Menschen bewegt, nach festerem Grund für ihre Existenz in dieser Welt zu suchen. Es wird daher angezeigt sein, zuerst den Glauben im christlichen Sinn als Quelle der Unsicherheit zu erwägen. (Fs)

123c Der Glaube wird im Hebräerbrief 11,1 definiert als die Substanz der Dinge, auf die wir hoffen, und der Beweis der Dinge, die wir nicht sehen. Das ist die Glaubensdefinition, die der theologischen Exposition bei Thomas zugrunde liegt. Die Definition besteht aus zwei Teilen - aus einem ersten ontologischen und einem zweiten erkenntnistheoretischen Satz. Der ontologische Satz besagt, daß der Glaube die Substanz der Dinge sei, auf die wir hoffen. In nichts anderem als eben dem Glauben besteht die Substanz dieser Dinge, nicht etwa in ihrer theologischen Symbolik. Der zweite Satz besagt, daß der Glaube der Beweis der Dinge sei, die wir nicht sehen. Wieder besteht der Beweis in nichts anderem als eben dem Glauben. (Fs; tblStw: Glaube) (notabene)
124a Dieser Glaubensfaden, an dem alle Gewißheit betreffend jenseitig-göttliches Sein hängt, ist in der Tat sehr dünn. Nichts Greifbares ist dem Menschen gegeben. Die Substanz und der Beweis des Unsichtbaren ist durch nichts gesichert als den Glauben, den der Mensch aus der Stärke seiner Seele erhalten muß - wobei wir in dieser psychologischen Betrachtung das Gnadenproblem außer acht lassen. Nicht alle Menschen sind solcher Seelenstärke fähig; die meisten bedürfen institutioneller Hilfe; und auch sie wird nicht immer genügen. Wir stehen vor der seltsamen Situation, daß der christliche Glaube um so mehr gefährdet ist, je weiter er sich sozial ausbreitet, je mehr Menschen er durch institutionellen Druck umfaßt und je klarer er in seinem Wesen herausgearbeitet wird. Im hohen Mittelalter hatte die Gefährdung durch sozialen Massenerfolg den kritischen Punkt erreicht. Das Christentum hatte in der Tat die Menschen der westlichen Gesellschaft institutionell erfaßt; und in der neuen Stadtkultur war unter dem Einfluß der großen Ordensbewegungen sein Wesen zu hoher Klarheit gelangt; und gleichzeitig mit seiner Größe war auch seine Schwäche sichtbar geworden: große Massen von christianisierten Menschen, die nicht stark genug waren für das heroische Abenteuer des Glaubens, wurden anfällig für Ideen, die ihnen einen höheren Grad von Gewißheit über den Sinn ihrer Existenz geben konnten als der Glaube. Die Realität des Seins, wie sie vom Christentum in ihrer Wahrheit erkannt wird, ist schwer zu ertragen; und die Flucht vor der klar gesehenen Realität in gnostischen Konstruktionen wird wohl immer ein Phänomen von weiter Ausbreitung bleiben, wo das Christentum eine Zivilisation durchdrungen hat. (Fs) (notabene)

124b Die Versuchung zum Fall von der ungewissen Wahrheit in die gewisse Unwahrheit ist in der Glaubensklarheit des Christentums stärker als in anderen geistigen Strukturen. Aber das Fehlen des sicheren Griffs in die Realität sowie die hohe Anforderung an die seelische Spannkraft des Menschen sind generell charakteristisch für die Grenzerlebnisse, in denen sich das Wissen des Menschen um transzendentes Sein und damit um den Ursprung und Sinn diesseitigen Seins konstituiert. Dies sei kurz an drei Beispielen aus verschiedenen Kulturkreisen dargestellt - aus dem jüdischen, dem hellenischen und dem islamischen. (Fs)

125a Im jüdischen Bereich respondiert der Glaube der Offenbarung Gottes. Das zentrale Offenbarungserlebnis finden wir in Exodus 3, in der Dornbuschepisode, überliefert. Gott offenbart sich Moses in seinem Wesen durch die Formel: 'Ich bin, der ich bin'. Wie die Formel des Hebräerbriefes bei Thomas die Grundlage für die Theologie des Glaubens ist, so ist die Exodusformel bei ihm die Grundlage der Gotteslehre. Wieder kann man von dieser Formel nur sagen: Das ist alles. Im menschlich-seelischen Berührungspunkt der Welt mit dem Jenseits wird nichts erfahren als die Existenz Gottes. Alles, was darüber hinausgeht, gehört in den Bereich der analogisch-spekulativen Erschließung und der mythischen Symbolisierung. Auch im Offenbarungserlebnis des Moses müssen wir feststellen, daß der Faden, an dem unser Wissen um die Seinsordnung, ihren Ursprung und ihren Sinn hängt, sehr dünn ist. Er war in der Tat so dünn, daß er riß und das Volk in Massen zu den alten Göttern der polytheistischen Kultur zurückkehrte. Ja noch mehr, der Prophet Jeremias machte die scharfsinnige Beobachtung, daß die Völker im allgemeinen nicht von ihren Göttern abfallen, obwohl sie 'falsche Götter' sind, und daß gerade Israel, das den 'wahren Gott' hat, von ihm abfällt. Dieser einzigartige Fall in der Völkergeschichte der Zeit bezeugt wohl am deutlichsten das Phänomen, das wir eben bei Anlaß des Glaubenserlebnisses beobachten, daß mit der Verfeinerung und Klärung der Beziehung zwischen Mensch und Gott das Moment der Unsicherheit und mit ihm das Bedürfnis massiverer Sicherheit sich verstärkt. Das Beispiel Israels zeigt weiter, daß der Abfall keineswegs in die eine oder andere Form der Gnosis erfolgen muß; wenn die kulturgeschichtliche Situation es erlebnismäßig gestattet, kann das Sicherheitsbedürfnis sich auch in der Form des Rückfalls in noch lebendigen Polytheismus befriedigen. (Fs) (notabene)

125b Die hohe Anforderung an die seelische Spannkraft des Menschen sei verdeutlicht durch die Symbolik des Letzten Gerichts, wie Platon sie im Gorgias entwickelt. Seinen sophistischen Gegnern, die mit der innerweltlichen Erfolgsethik des Machtmenschen arbeiten, hält er entgegen, daß der 'Erfolg' des Lebens im Bestehen vor den Richtern der Toten liege. Vor diesen Richtern steht der Mensch seelisch nackt, ohne die Hülle des Leibes und die Verkleidung des weltlichen Status, in völliger Durchschaubarkeit. Und im Hinblick auf diese letzte Durchschaubarkeit, sub specie mortis, sei das Leben in der Welt zu führen, nicht unter dem Antrieb des Machtwillens und der Befriedigung des sozialen Status. Was im platonischen, wie in jedem Gerichtsmythos, seinen symbolischen Ausdruck findet, ist das Grenzerlebnis der Gewissensprüfung. Über die normale Prüfung unserer Handlungen an den Maßstäben rationaler Macht, die man Gewissen nennt und die wir selbst als Menschen vornehmen, hinaus kann das Erlebnis der Prüfung meditativ durchgearbeitet und erweitert werden zum Erlebnis des Stehens im Gericht. Der Mensch weiß, daß auch der gewissenhaftesten Selbstprüfung die Schranken seiner Menschlichkeit gezogen sind: intellektuelles Versagen im Urteil, prinzipiell unvollständige Kenntnis aller Faktoren der Situation und aller verzweigten Folgen des Handelns und vor allem unzureichende Kenntnis der eigenen letzten Motive, die ins Unbewußte hinunterreichen. Ausgehend von diesem Wissen um die Schranken, die der Selbstprüfung gesetzt sind, kann im meditativen Experiment die Situation imaginiert werden, in der der Mensch nicht an einem bestimmten Punkt in einer bestimmten Situation seines eigenen Lebens vor sich selbst zur Prüfung steht, sondern mit dem Ganzen seines Lebens (das erst im Tod vollendet ist) vor einem allwissenden Richter, vor dem es kein abwägendes Prüfen im einzelnen mehr gibt, kein Argument und keine Verteidigung mehr möglich ist, weil alles, auch das Letzte und Fernste, schon gewußt ist. In dieser Meditation auf die Grenze hin verstummt alles Für und Wider, und nichts bleibt als das Schweigen des Urteils, das der Mensch durch sein Leben über sich selbst gesprochen hat. (Fs)

126a Platon hat diese Meditation vollzogen - denn sonst hätte er seinen Mythos des Gerichts nicht dichten können -, aber wenn wir uns in die Situation versetzen, in der er seinen Sokrates den Mythos den sophistischen Gegnern erzählen läßt, und uns die Frage nach der Möglichkeit seiner Wirkung auf diese hartgesottenen, im 'Leben' stehenden Realpolitiker vorlegen, dann müssen wir wieder zweifeln, daß viele ihn sich zu Herzen nehmen und ihre Existenz durch ihn formen lassen, wenn sie auch ihn hörend für einen Augenblick im Innersten betroffen werden. Die Meditation selbst, und noch mehr die Existenz in ihrer Spannung, dürfte für die meisten Menschen unerträglich sein. Jedenfalls finden wir, gerade in den gnostischen Massenbewegungen, eine Entwicklung des Gewissensbegriffs, die von der Meditation auf die Grenze hin weg in die entgegengesetzte Richtung der Verweltlichung führt. Das Gewissen wird auch heute noch gerne berufen, besonders gerne wenn eine unsittliche oder verbrecherische Handlung eines Politikers dadurch gerechtfertigt werden soll, daß er 'seinem Gewissen' folge oder sich 'seiner Verantwortung' bewußt sei. Aber das Gewissen bedeutet in diesen Fällen nicht mehr die Selbstprüfung der Handlung an den rationalen Grundsätzen der Moral, sondern im Gegenteil das Abschneiden der rationalen Argumente und das dämonisch-verstockte Beharren auf dem Handeln, zu dem die Leidenschaft treibt. (Fs) (notabene)

127a Für die hohe Anforderung an die seelische Spannkraft diene als abschließendes Beispiel die islamische Gebetspraxis, die sich seit dem 9. Jahrhundert entwickelt hat. In ihrer Struktur ist die Meditation, die dem Gebet voranzugehen hat, aufs nächste verwandt mit dem meditativen Experiment, das dem platonischen Mythos vom Letzten Gericht zugrunde liegt. Wenn ich beten will, so lautet die Vorschrift, gehe ich zu dem Ort, an dem ich mein Gebet verrichten will. Ich sitze still, bis ich in Ruhe bin. Dann stehe ich auf: die Kaaba ist gerade vor mir, das Paradies zu meiner Rechten, die Hölle zu meiner Linken, und der Engel des Todes steht hinter mir. Dann verrichte ich mein Gebet, als ob es mein letztes wäre. Und so stehe ich, zwischen Hoffnung und Furcht, und weiß nicht, ob Gott mein Gebet gnädig angenommen hat oder nicht. - Vielleicht steht für die Massen auch diese hohe, geistige Klarheit in einem Zusammenhang, der sie erträglich macht, mit der weder hohen noch besonders geistigen Ausbreitung des Gottesreiches durch Waffengewalt über die Ökumene. (Fs)

128a Die gnostischen Massenbewegungen unserer Zeit verraten durch ihre Symbolik den Derivativcharakter ihres Zusammenhanges mit dem Christentum und seinem Glaubenserlebnis. Das Problem des Abfalles von einer geistigen Höhe, die den Unsicherheitsfaktor zu letzter Klarheit bringt, in die massive Gewißheit innerweltlicher Sinnerfüllung scheint jedoch ein generell menschliches Problem zu sein. Die Fälle der Grenzerlebnisse, an denen der Unsicherheitsfaktor der Seinsverfassung deutlich wird, wurden aus vier verschiedenen Zivilisationskreisen gewählt, um zu zeigen, daß es sich bei den modernen Massenbewegungen trotz ihrer historischen Einzigartigkeit um ein typisches Phänomen handelt. Empirisch wird diese Einsicht vielleicht manches zum Verständnis sozialer Prozesse in verschiedenen Zivilisationen beitragen. Theoretisch ist es gelungen, das Phänomen bis in die ontischen Wurzeln zurückzuverfolgen, und es unter ontologische Typenbegriffe zu bringen. Und das ist die Aufgabe der Wissenschaft." (E, 21.12.00; ergänzt mit dem weiteren Text am 24.09.2012)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Vernunft (Erfahrung d. klassischen Philosophie 1); Entdeckung der Vernunft als Ordnungskraft und -kriterium (psyche, Seele); Symbole: Philosoph, spoudaios, daimonios aner, amathes, thnetos

Kurzinhalt: Vernunft ... ihre Differenzierung und Artikulierung durch Sprachsymbole ist ein geschichtliches Ereignis. Der Genius der hellenischen Philosophen entdeckte Vernunft als die Quelle von Ordnung in der psyche des Menschen

Textausschnitt: Vernunft: Die Erfahrung der klassischen Philosophen

1/6 "Vernunft ist zu allen Zeiten das, was die menschliche Natur1 konstituiert, aber ihre Differenzierung und Artikulierung durch Sprachsymbole ist ein geschichtliches Ereignis. Der Genius der hellenischen Philosophen entdeckte Vernunft als die Quelle von Ordnung in der psyche2 des Menschen. Deshalb beschäftigt sich diese Untersuchung mit Vernunft im Sinn des platonisch-aristotelischen nous, mit den näheren Umständen und Folgen ihrer Differenzierung als eines Ereignisses in der geschichtlichen Entwicklung existentieller Ordnung. (127; Fs; tblStw: Ordnung)

2/6 Ich werde mich dabei nicht mit dem 'Begriff' oder einer nominalistischen 'Definition' von Vernunft befassen, sondern mit dem Prozeß in der Realität, in dem konkrete Menschen, die 'Liebhaber der Weisheit', die Philosophen, wie sie sich selbst nannten, sich in einem Akt des Widerstands gegen die persönliche und soziale Unordnung ihrer Zeit engagierten. Aus diesem Akt tauchte der nous auf als eine Kraft kognitiver Helligkeit, welche die Philosophen zum Widerstand veranlaßte und sie gleichzeitig befähigte, die Erscheinungen der Unordnung als solche zu erkennen im Licht einer menschlichen Natur, die durch den nous geordnet ist. Vernunft im noetischen Sinn wurde also entdeckt sowohl als Ordnungskraft wie als Ordnungskriterium. (127; Fs)

3/6 Als die Vernunft so zu klarem Bewußtsein ihrer selbst aufstieg, wurden sich die Philosophen gleichzeitig bewußt, daß dieses Ereignis einen epochalen Einschnitt darstellt, der eine Sinnrichtung3 in der Geschichte konstituierte. Sobald die Natur des Menschen für ihre Ordnung durchsichtig geworden war, konnte man von der Ebene, die durch diesen sinnkonstituierenden Erkenntnisschritt erreicht war, nicht mehr zu weniger differenzierten Formen der Erfahrung und ihrer Symbolisierung zurückkehren. Die Entdeckung der Vernunft teilte die Geschichte in ein Vor- und Nachher. (127f; Fs)

4/6 Dieses Epochenbewußtsein kam in der Bildung von Symbolen zum Ausdruck, welche die neue Struktur im Feld der Geschichte charakterisieren sollten. Das zentrale Symbol war dabei der 'Philosoph', in dessen psyche die menschliche Natur für ihre noetische Ordnung durchsichtig geworden war. Parallelsymbole waren Platons 'geistiger Mensch' (daimonios aner) und Aristoteles' 'reifer Mensch' (spoudaios). Der Mensch, der auf einem weniger differenzierten Bewußtseinsstand zurückblieb, war weiterhin der 'Sterbliche' (thnetos) der homerischen Sprache. Der Mensch schließlich, der sich aus Mangel an Empfänglichkeit diesem Erkenntnisschritt versperrte, sank zum 'törichten' oder 'stumpfsinnigen' Menschen ab, zum amathes. (128; Fs)

5/6 In der aristotelischen Metaphysik sind 'Mythos' und 'Philosophie' die Bezeichnungen für die beiden symbolischen Formen, durch die in historischem Nacheinander das kompakte kosmologische und das differenzierte noetische Bewußtsein ihre jeweiligen Realitätserfahrungen zum Ausdruck brachten. Und hinsichtlich desselben epochalen Schritts entwickelte Platon in den Nomoi eine triadische Symbolik für den geschichtlichen Prozeß, in dem das Zeitalter des Kronos und das des Zeus nun durch das Zeitalter des Dritten Gottes - des nous - abgelöst wurde. (128; Fs)

6/6 Obwohl sich also die klassischen Philosophen der epochalen Bedeutung dieses Schrittes bewußt waren, vermieden sie die Entgleisung in apokalyptische Erwartungen eines kommenden Endreiches. Sowohl Platon wie Aristoteles bewahrten die Balance ihres Bewußtseins. Zwar erkannten sie in dem noetischen Ausbruch das unwiderrufliche Ereignis in der Geschichte, das es wirklich war. Doch sie wußten auch, daß die Vernunft das Konstituens der menschlichen Natur schon gewesen war, noch bevor die Philosophen die Struktur der psyche differenzierten, und ihre Präsenz im Menschen es nicht verhindert hatte, daß die Ordnung der Gesellschaft in die Unordnung verfiel, zu der sie nun in Opposition standen. Es wäre unsinnig gewesen anzunehmen, die Differenzierung der Vernunft würde dem Aufstieg und Niedergang von Gesellschaften ein Ende bereiten. Sie erwarteten nicht, Hellas werde sich nun zu der Art von Föderation paradigmatischer Poleis entwickeln, wie Platon sie für wünschenswert hielt. Im Gegenteil, Platon sah vorher, und Aristoteles erlebte es als Augenzeuge, daß die Polis einer Gesellschaft vom neuen Typ des ökumenischen Reiches unterlag. (128f; Fs)

7/6 Die klassischen Philosophen hielten so das Feld der Geschichte offen für gesellschaftliche Prozesse in einer Zukunft, die man nicht vorhersehen konnte, ebenso wie für die Möglichkeit einer weiteren Differenzierung des Bewußtseins. Besonders Platon war sich sehr wohl bewußt, daß der Mensch in seiner Spannung zum Grund der Existenz offen war in Richtung auf eine Tiefe der göttlichen Realität noch über das Stratum hinaus, das sich als nous enthüllt hatte. Als Philosoph ließ er das Bewußtsein für zukünftige Theophanien offen, ebenso für die pneumatischen Offenbarungen vom jüdisch-christlichen Typ wie für die späteren Differenzierungen in Gestalt von Mystik und Toleranz in dogmatischen Fragen. (129; Fs)

8/6 Es sollte klar geworden sein, daß Vernunft im noetischen Sinn der Geschichte nicht ein apokalyptisches Ende setzt, weder jetzt noch in einer progressivistischen Zukunft. Sie durchdringt vielmehr die Geschichte, die sie erst konstituiert, mit einer neuen Durchsichtigkeit der existentiellen Ordnung, in kritischer Auseinandersetzung mit den Leidenschaften, die diese Ordnung stören. Ihr modus operandi ist nicht Umsturz, Gewalttat oder Zwang, sondern Überzeugung, die peitho, die im Mittelpunkt von Platons philosophischer Existenz steht. Diese kann die Leidenschaften nicht beseitigen, aber sie kann der Vernunft Gehör verschaffen, so daß das noetische Bewußtsein eine überzeugende Ordnungskraft wird durch das helle Licht, das von ihm auf die Erscheinungen persönlicher und gesellschaftlicher Unordnung fällt. Es ist die epochale Leistung der klassischen Philosophen, daß sie die Spannung von existentieller Ordnung und Unordnung zur Durchsichtigkeit des noetischen Dialogs und Diskurses erhoben haben. Diese Epoche hat für das Leben der Vernunft in der Westlichen Kultur den Grund gelegt bis herauf in unsere eigene Zeit. Sie gehört deshalb nicht der Vergangenheit an, sondern ist die Epoche, in der wir immer noch leben. (129f; Fs)

9/6 Die Entdeckung der Vernunft als das epochale Ereignis in der geschichtlichen Entwicklung existentieller Ordnung kann in einem Aufsatz nicht erschöpfend dargestellt werden. Ich muß daher eine Auswahl treffen. Da unsere eigene Situation als Philosophen im 20. Jahrhundert der platonisch-aristotelischen Situation im 4. Jahrhundert v. Chr. sehr ähnlich ist, und da wir uns heute in derselben Art von kritischer Auseinandersetzung mit der Unordnung der Zeit befinden, empfiehlt es sich, daß ich mich auf die Entdeckung der Vernunft als der ordnenden Kraft in der menschlichen Existenz konzentriere. (130; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Vernunft (Erfahrung d. klassischen Philosophie 2); Spannung d. Existenz (Grund, Staunen); nous als Struktur d. psyche (Seele); zoon politikon, politikon: Erfahrungsrealität; Kompaktheit u. Differenzierung (Homer - Aristoteles)

Kurzinhalt: ... zoon noetikon ... als eine zusammenfassende Kurzformel einer Analyse bezüglich der Realität von Ordnung in der psyche des Menschen... Wenn der Mensch sich als existent erfährt, entdeckt er seine spezifische menschliche Natur als die des Fragers ...

Textausschnitt: I. Die Spannung der Existenz

10/6 In ihren Akten des Widerstands gegenüber der Unordnung der Zeit erfuhren und erforschten Sokrates, Platon und Aristoteles die Bewegungen einer Kraft, die der psyche des Menschen Struktur verlieh und sie befähigte, der Unordnung Widerstand zu leisten. Dieser Kraft, ihren Bewegungen und der sich daraus ergebenden Struktur gaben sie die Bezeichnung nous. Im Hinblick auf die ordnende Struktur seiner Natur charakterisierte Aristoteles den Menschen als das zoon noun echon, das Lebewesen, das nous besitzt. Diese Formulierung fand Anklang. Durch die lateinische Übersetzung des zoon noetikon als animal rationale ist der Mensch das vernünftige Lebewesen geworden und Vernunft zur Natur des Menschen. Auf der topischen Ebene philosophischer Sprache entwickelte sich diese Charakterisierung zu einer Art von Nominaldefinition. (130f; Fs)

11/6 Der Philosoph war jedoch nicht an Nominaldefinitionen interessiert, sondern an der Analyse der Realität. Die Charakterisierung des Menschen als des zoon noun echon, oder zoon noetikon, war nicht mehr als eine zusammenfassende Kurzformel einer Analyse bezüglich der Realität von Ordnung in der psyche des Menschen. Wenn die Analyse sich nicht mit der persönlichen Ordnung des Menschen befaßte, sondern mit der Ordnung seiner Existenz in der Gesellschaft, kam sie zu der zusammenfassenden Charakterisierung des Menschen als des zoon politikon. Und wenn die Analyse der menschlichen Existenz in geschichtlicher Realität, der 'Geschichtlichkeit' des Menschen, wie man dies heute nennt, von den klassischen Philosophen weiter geführt worden wäre, als es tatsächlich geschah, wären sie vielleicht zu der formelhaften Charakterisierung des Menschen als des zoon historikon gekommen. Alle drei Charakterisierungen sind richtig, insofern sie eine gültige Analyse der Erfahrungsrealität auf eine kurze Formel bringen, jede einzelne jedoch würde falsch, wenn sie die beiden anderen ausschlösse und beanspruchte, die einzige und die einzig gültige Definition der Natur des Menschen zu sein. (131; Fs)

12/6 Der Mensch ist ferner nicht eine körperlose Seele, die durch Vernunft geordnet wird. Durch seinen Körper partizipiert er an der organischen Wirklichkeit, sowohl an der der Tiere wie der Pflanzen, ebenso wie an dem Bereich der Materie. Und in seiner psyche erfährt er nicht nur die noetische Bewegung in Richtung auf Ordnung, sondern auch die Zugkraft der Leidenschaften. Außer seiner spezifischen Natur, der Vernunft, in ihren Dimensionen persönlicher, gesellschaftlicher und geschichtlicher Existenz, hat der Mensch das, was Aristoteles seine 'synthetische' Natur nennt. Von spezifischer und synthetischer Natur zusammen können wir als der 'integralen' Natur des Menschen sprechen. Diese integrale Natur, die sowohl die noetische psyche mit ihren drei Ordnungsdimensionen umfaßt als auch die Teilhabe des Menschen an der Hierarchie des Seins vom nous bis hinab zur Materie, ist nach Auffassung des Aristoteles der Gegenstand der philosophischen Untersuchung peri ta anthropina, der Untersuchung der Dinge, die sich auf die Natur des Menschen beziehen. (131f; Fs)

13/6 Für den gegenwärtigen Zweck genügt es, wenn wir uns dieses umfassenden Feldes der menschlichen Realität bewußt sind als des Feldes, in dem Vernunft ihren Ort hat und die Funktion eines Ordnungszentrums erfüllt, von dem aus die Existenz geistig durchsichtig wird. Ich beginne nun mit der Untersuchung der klassischen Erfahrung und Symbolisierung dieser ordnenden Kraft in der psyche des Menschen. (132; Fs)

14/6 Die Realität, die von den Philosophen als spezifisch menschlich erfahren wird, ist die Existenz des Menschen in einem Zustand von Unruhe. Der Mensch ist nicht ein von ihm selbst geschaffenes, autonomes Wesen, das den Ursprung und Sinn seiner Existenz in sich selbst trüge. Er ist nicht eine göttliche causa sui. Vielmehr bricht aus der Erfahrung seines Lebens in unsicherer Existenz zwischen den Grenzen von Geburt und Tod die verwunderte Frage nach dem letzten Grund auf, der aitia oder prote arche, dem letzten Grund jeglicher Realität und besonders seiner eigenen. Die Frage ist der Erfahrung, aus der sie aufsteigt, inhärent. Das zoon noun echon, das sich selbst als ein lebendiges Wesen erfährt, ist sich gleichzeitig des fragwürdigen Charakters bewußt, der mit seinem Status verbunden ist. Wenn der Mensch sich als existent erfährt, entdeckt er seine spezifische menschliche Natur als die des Fragers nach dem Woher und Wohin, nach dem Grund und dem Sinn seiner Existenz. (132; Fs; tblStw: Ordnung)

15/6 Obwohl dieses Fragen der Selbsterfahrung des Menschen zu allen Zeiten inhärent ist, stellt, wie ich betont habe, die adäquate Artikulierung und Symbolisierung des fragenden Bewußtseins als des Konstituens der menschlichen Natur die epochale Leistung der Philosophen dar. Man kann in der Tat in den platonisch-aristotelischen Formulierungen noch die Erschütterung des Übergangs von den kompakten zu den differenzierten Modi des Bewußtseins erkennen. Bei Platon sind wir der Entdeckung noch näher. Der Sokrates des Theaitet erkennt in der Erfahrung (pathos) des Sich-Wunderns (thaumazein) das Merkmal des Philosophen. 'Philosophie hat in der Tat keinen anderen Ursprung.' (155d) (132f; Fs)

16/6 Eine Generation später, als die Wucht des ersten Eindrucks abgeklungen war, konnte Aristoteles seine Metaphysik mit der programmatischen Feststellung beginnen: 'Alle Menschen haben von Natur aus das Bestreben oregontai) zu wissen (eidenai).' Alle Menschen - nicht nur die Philosophen! Das Unternehmen der Philosophen ist für die Menschheit repräsentativ geworden. Jedermanns Existenz ist durch das thaumazein potentiell beunruhigt, aber einige drücken ihre Verwunderung in dem kompakteren Medium des Mythos aus, andere durch die Philosophie. Neben dem philosophos steht deshalb die Gestalt des philomythos, und 'der philomythos ist in gewissem Sinn ein philosophos.' (Met, 982b 18 ff.) Wenn Homer und Hesiod den Ursprung der Götter und aller Dinge bis zu Uranos, Gaia und Okeanos zurückverfolgen, drücken sie sich im Medium der theogonischen Spekulation aus, doch sind sie auf derselben Suche nach dem Grund wie Aristoteles selbst (Met. 983b 28 ff.). Die Stellung auf der Skala von Kompaktheit und Differenzierung berührt nicht die grundsätzliche Gleichheit der Struktur in der Natur des Menschen. (133; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Vernunft (Erfahrung d. klassischen Philosophie 3); noetische Erfahrung; Symbolfelder (Unruhe, Staunen, Verwirrung, Nichtwissen, Wissen, thaumazein, helkein, periagoge, agnoia, agnoein, amathia); differenzierte Existenzerfahrung

Kurzinhalt: Die Unruhe in der Seele eines Menschen kann so durchsichtig für sich selbst sein, daß sie sich versteht als verursacht durch Unwissenheit hinsichtlich des Grundes und des Sinns von Existenz ...

Textausschnitt: 17/6 Und doch ist das epochale Ereignis der Differenzierung eingetreten, und die Philosophen haben den in sich kohärenten Komplex von Sprachsymbolen geschaffen, mit denen sie die einzelnen Stationen ihrer Analyse bezeichnen. Da ist an erster Stelle die Gruppe von Symbolen, welche die Erfahrung der Unruhe und Verwunderung ausdrücken: Sich-wundern - thaumazein; suchen, forschen - zetein; Untersuchung - zetesis; zweifelndes Fragen - aporein, diaporein. Ferner ist das zweifelnde Fragen in der Erfahrung mit dem Anzeichen der Dringlichkeit verbunden. Es ist nicht ein Spiel, das man spielt oder auch nicht. Der Philosoph fühlt sich durch eine unbekannte Kraft bewegt (kinein), die Fragen zu stellen, er fühlt sich in die Suche hineingezogen (helkein). Manchmal zeigt der verwendete Ausdruck ein drängendes Begehren als Moment des zweifelnden Fragens an, wie bei dem aristotelischen tou eidenai oregontai. Und manchmal ist der Zwang, die Frage zu stellen, großartig ausgestaltet, wie in Platons Höhlengleichnis, wo der Gefangene durch die unbekannte Kraft bewegt wird, sich herumzudrehen (periagoge) und den Aufstieg zum Licht zu beginnen. (133f; Fs; tblStw: Ordnung)

18/6 Nicht immer jedoch muß die unbekannte Kraft erst die Fesseln der Gleichgültigkeit sprengen. Die Unruhe in der Seele eines Menschen kann so durchsichtig für sich selbst sein, daß sie sich versteht als verursacht durch Unwissenheit hinsichtlich des Grundes und des Sinns von Existenz, so daß der Mensch ein aktives Begehren verspürt, diesem Zustand von Unwissenheit zu entkommen (pheugein ten agnoian, Met. 982b 21) und zum Wissen zu gelangen. Aristoteles drückt es kurz und bündig so aus: 'Ein Mensch in Verwirrung (aporon) oder Verwunderung (thaumazon) ist sich bewußt, in Unwissenheit zu sein (oietai agnoein).' (Met. 982b 18) Die Analyse erfordert also weitere Sprachsymbole: Nichtwissen - agnoia, agnoein, amathia; Flucht vor dem Nichtwissen - pheugein ten agnoian; sich herumdrehen - periagoge; Wissen - episteme, eidenai. (134; Fs)

19/6 Der bis jetzt artikulierte Teil der Erfahrung liefert den Unterbau für die noetischen Einsichten im eigentlichen Sinn. Ich habe ihn mit einiger Sorgfalt dargestellt, da er weniger bekannt ist, als er es sein sollte. Platon und Aristoteles waren so erfolgreich in der Exegese ihrer Erfahrungen, daß die nachklassische Entwicklung der Philosophie an die darüberliegende Schicht der noetischen 'Resultate' anknüpfen konnte, während die differenzierte Existenzerfahrung, die das Symbol 'Philosophie' hervorgebracht hatte, in das Halbdunkel des beinahe Vergessenen verdrängt wurde. Gegenüber dieser Vernachlässigung muß ich betonen, daß dieser Unterbau das katalytische Moment war, das die Beschäftigung der Vorsokratiker mit noetischen Problemen erst deutlich als ein Unternehmen in den Blick brachte, das sich mit der Ordnung der psyche durch ihre Spannung zum göttlichen Grund, dem aition aller Wirklichkeit, befaßte. Auf Grund dieser katalytischen Funktion ist diese Schicht der Erfahrung der Schlüssel zum Verständnis des nous im klassischen Sinn. (134f; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Vernunft (Erfahrung d. klassischen Philosophie 4); Parmenides (Grund d. Existenz, nous, logos, IST); Anaxagoras (G. d. Realität; nous als Quelle d. Ordnung im Kosmos); psyche (Seele): Ort des göttlichen aition

Kurzinhalt: Der Mensch, der Fragen stellt, und der göttliche Grund, auf den sich die Fragen richten, verschmelzen miteinander in der Erfahrung des Fragens als einer göttlich-menschlichen Begegnung, und sie tauchen aus dieser Verschmelzung wieder auf als die ...

Textausschnitt: 20/6 Der nous hatte die Aufmerksamkeit der vorsokratischen Denker, besonders des Parmenides und des Anaxagoras, auf sich gezogen im Zusammenhang mit ihren Erfahrungen von verstehbaren Strukturen in der Realität. Parmenides hatte die Bezeichnung nous für die Fähigkeit des Menschen verwendet, zur Schau des Seins aufzusteigen, und die Bezeichnung logos für die Fähigkeit, den Inhalt dieser Schau zu analysieren. Er zog den präanalytischen Inhalt seiner Vision in den nicht-gegenständlichen Ausruf 'IST' zusammen. Die Erfahrung war so stark, daß sie zur Identifizierung von nous und Sein neigte, von noein und einai (B 3). Im Taumel der Vision verschmolzen der Erkennende und das Erkannte zu der einen wahren Realität (aletheia), um erst dann wieder getrennt zu werden, als der logos daranging, diese Erfahrung zu untersuchen und die geeigneten Sprachsymbole für ihren Ausdruck zu finden. Von diesem parmenideischen Ausbruch hat die Erfahrung der klassischen Philosophen die Erbschaft übernommen, daß der Mensch mit nous begabt ist (das aristotelische zoon noun echon), was seine Seele zu einem Sensorium des göttlichen aition macht, sowie das Gespür für die Konsubstantialität des menschlichen nous mit dem aition, das er in seinem Bewußtsein erfaßt. (135; Fs; tblStw: Ordnung)

Kommentar (vom 07/12/2008): Vgl. zu nous (nus): Schadewaldt, SCHWPH, 559 ff.

21/6 Während Parmenides die noetische Fähigkeit differenzierte, den Grund der Existenz zu erfassen, beschäftigte sich Anaxagoras mit der Erfahrung einer verstehbaren Struktur in der Realität. Konnte das göttliche aition wirklich eines der Elemente sein, wie frühere Denker angenommen hatten, die den Göttern des Mythos noch näher waren, oder mußte es nicht statt dessen eher eine gestaltende Kraft sein, die der Materie Form geben konnte? Anaxagoras entschied sich für den nous als die Quelle verstehbarer Ordnung im Kosmos und wurde für diese Einsicht von Aristoteles hoch gepriesen. Von zwei Seiten her also, der des Erkennenden und der des Erkannten, hatten sich die Erfahrungen von intellektueller Wahrnehmung und von einer intelligiblen Struktur, die geistig wahrgenommen werden konnte, zunächst unabhängig voneinander entwickelt. Jetzt standen sie bereit zu verschmelzen in der Entdeckung der menschlichen psyche als dem Sensorium des göttlichen aition und zugleich als dem Ort, an dem sich diese gestaltende Kraft manifestiert. (135f; Fs)

22/6 Die Differenzierung der psyche erweitert die Suche nach dem Grund um die Dimension kritischen Bewußtseins. Denn die kompakteren Symbole des Mythos oder der Vor-sokratiker können nicht unangefochten bleiben, sobald die Erfahrungsprozesse der psyche als die empirische Quelle erkannt worden sind, von der die Symbole ihre Gültigkeit ableiten. Der Mensch, der Fragen stellt, und der göttliche Grund, auf den sich die Fragen richten, verschmelzen miteinander in der Erfahrung des Fragens als einer göttlich-menschlichen Begegnung, und sie tauchen aus dieser Verschmelzung wieder auf als die Partizipierenden an dieser Begegnung, welche die Durchsichtigkeit und Struktur von Bewußtsein hat. (136; Fs)

23/6 In der platonisch-aristotelischen Erfahrung trägt die fragende Unruhe ihre beruhigende Antwort in sich, da der Mensch zu seiner Suche nach dem Grund bewegt wird durch den göttlichen Grund, nach dem er auf der Suche ist. Der Grund ist nicht ein räumlich entfernter Gegenstand, sondern eine göttliche Gegenwart, die in der Erfahrung der Unruhe und des Begehrens nach dem Wissen offenbar wird. Das Sich-verwundern und Fragen wird als der Beginn eines theophanischen Ereignisses erfahren, das nur dann ganz durchsichtig für sich selbst werden kann, wenn es die entsprechende Antwort in der psyche konkreter Menschen findet - wie im Fall der klassischen Philosophen. Folglich ist Philosophie nicht ein Korpus von 'Ideen' oder 'Meinungen' über den göttlichen Grund, unter die Leute gebracht durch eine Person, die sich selbst Philosoph nennt, sondern der Sachverhalt, daß ein Mensch auf die fragende Unruhe antwortet und ihr nachspürt bis zu dem göttlichen Ursprung, der die Unruhe erregt hat. Wenn dieses Nachspüren jedoch wirklich dem göttlichen Beweger antwortend entgegenkommen soll, erfordert dies den Versuch, die Erfahrung durch geeignete Sprachsymbole zu artikulieren. Und dieser Versuch führt zu der Einsicht in die noetische Struktur der psyche. (136f; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Vernunft (Erfahrung d. klassischen Philosophie 5); Plato, Ermittlung. Grundes: via negativa (epekeina) - positiva (to hen); präkognitive Unruhe -> kognitives Bewußtsein; Aufstieg zum Licht, Abstieg zum Grund

Kurzinhalt: Der Komplex der nous-Symbole umfaßt also alle Schritte in der philosophischen Exegese der Spannung des Menschen zum Grund seiner Existenz... das Verbum noein, um die Phasen der Bewegung zu bezeichnen, die von der fragenden Unruhe zur Erkenntnis des ...

Textausschnitt: 24/6 Das Bewußtsein fragender Unruhe in einem Zustand des Nichtwissens wird sich selbst durchsichtig als eine Bewegung in der psyche in Richtung auf den Grund, der in ihr präsent ist als der, der sie bewegt. Die präkognitive Unruhe wird zu einem kognitiven Bewußtsein, einer noesis, die sich auf den Grund als ihr noema oder ihr noeton richtet. Gleichzeitig wird das Begehren (oregesthai) zu erkennen zum Bewußtsein, daß der Grund der Gegenstand des Begehrens, das orekton ist (Met. 1072a 26 ff.). Der Grund kann in diesem Prozeß des Denkens erreicht und erkannt werden als das Ziel des Begehrens durch den meditativen Aufstieg über die via negativa: Der Grund ist weder zu finden unter den Gegenständen der äußeren Welt noch unter den Zielen hedonistischen oder politischen Handelns, sondern er liegt jenseits dieser Welt. Platon hat das Symbol des Jenseits, das epekeina, in die philosophische Sprache eingeführt als das Kriterium für den schöpferischen, göttlichen Grund (Politeia 508-9). Und Aristoteles spricht vom Grund als 'ewig, ohne Bewegung und getrennt von den Dingen der Sinneswahrnehmung' (Met. 1073 a 3-5). (137f; Fs)

25/6 Positiv setzt Platon das Eine (to hen), das in allen Dingen als der Grund gegenwärtig ist, gleich mit sophia kai nous (Phileb. 30 c-e). Und Aristoteles identifiziert die Wirklichkeit des Denkens (nou energeia) als das ewige göttliche Leben, 'denn das ist es, was Gott ist' (Met. 1072 b 27-31). Der Komplex der nous-Symbole umfaßt also alle Schritte in der philosophischen Exegese der Spannung des Menschen zum Grund seiner Existenz. Da gibt es sowohl einen menschlichen als auch einen göttlichen nous als Bezeichnung für den menschlichen und den göttlichen Pol der Spannung. Es gibt eine noesis und ein noeton, zur Bezeichnung der Pole des kognitiven Aktes. Und da ist ganz allgemein das Verbum noein, um die Phasen der Bewegung zu bezeichnen, die von der fragenden Unruhe zur Erkenntnis des Grundes als des nous führt. (138; Fs)

26/6 Wenn dieser Sprachgebrauch auch gewisse Nachteile hat, so macht er doch eindrucksvoll klar, daß die Philosophen den Prozeß in der psyche als einen eigenen Realitätsbereich mit einer eigenen Struktur verstehen. Diese Struktur kann entfaltet werden entweder durch den Aufstieg von der existentiellen Unruhe auf dem Grund der Höhle zu der Vision des Lichts oben, oder durch den Abstieg von dem Bewußtsein, das sich selbst durchsichtig geworden ist, nach unten. Ohne die kinesis des Angezogen-werdens von oben gäbe es kein Begehren nach dem Wissen vom Grund, ohne das Begehren kein Fragen in Verwirrung, ohne Fragen in Verwirrung kein Bewußtsein des Nichtwissen. Es gäbe keine existentielle Unruhe, die zu der Suche nach dem Grund treibt, wenn diese Unruhe nicht schon das Wissen des Menschen von seiner Existenz aus einem Grund, der nicht er selbst ist, wäre. Die Bewegungen dieser göttlich-menschlichen Begegnung bilden nach diesem Verständnis eine verstehbare Sinneinheit, noetisch sowohl in ihrer Substanz als auch in ihrer Struktur. (138; Fs)

27/6 Dies ist die Sinneinheit, auf die ich mich in aller Kürze bezogen habe als die Spannung des Menschen zum göttlichen Grund seiner Existenz. Das Abstraktum 'Spannung' dagegen (es wäre das griechische Wort tasis) ist kein Bestandteil des klassischen Vokabulars. Wenn Platon und Aristoteles von der göttlich-menschlichen Begegnung sprechen, dann ziehen sie Symbole vor, die sie von ihren Vorgängern in der Erforschung der psyche übernommen haben, und die verschiedene konkrete Modi der Spannung benennen, wie z. B. philia, eros, pistis und elpis. Ich muß deshalb nun auf die Probleme in der Existenz des Menschen als eines zoon noun echon eingehen, welche die verschiedenen Abstraktionsebenen in der Analyse erforderlich machen. (138f; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Vernunft (Erfahrung d. klassischen Philosophie 6); Psychopathologie 1; Vernunft als Struktur d. Realität (Struktur d. Psyche im Einklang mit d. göttlichen Kosmos; philia: Spannung zum Grund); Zusammenbruch westl. Ph.

Kurzinhalt: Vernunft als eine Struktur in der Realität differenziert sich aus den Erfahrungen von Glaube und Vertrauen (pistis) in den göttlich geordneten Kosmos, und von Liebe ... Sie differenziert sich aus dem amor Dei im Sinn Augustins, und nicht aus dem amor sui.

Textausschnitt: II. Psychopathologie

28/6 Daß Platon und Aristoteles sich auf die konkreten Modi der Spannung konzentrieren, ist von entscheidender Bedeutung für das Verständnis des nous-Symbols, weil dadurch der Erfahrungskontext angegeben wird, in dem sich ohne Zweifel die Differenzierung der Vernunft ereignet: Vernunft als eine Struktur in der Realität differenziert sich aus den Erfahrungen von Glaube und Vertrauen (pistis) in den göttlich geordneten Kosmos, und von Liebe (philia, eros) zu der göttlichen Quelle von Ordnung. Sie differenziert sich aus dem amor Dei im Sinn Augustins, und nicht aus dem amor sui. Die Realität, die durch die nous-Symbole zum Ausdruck gebracht wird, ist also die Struktur in der psyche eines Menschen, der sich in Einklang mit der göttlichen Ordnung im Kosmos befindet, nicht eines Menschen, der in der Revolte gegen diese Ordnung lebt. (139; Fs; tblStw: Ordnung, Vernunft)

29/6 Vernunft hat als bestimmten existentiellen Inhalt die Offenheit gegenüber der Realität in dem Sinn, in dem Bergson von der âme ouverte spricht. Bleibt dieser Kontext der klassischen Analyse unbeachtet und werden die Symbole nous oder Vernunft so behandelt, als bezögen sie sich auf irgendeine menschliche Fähigkeit, die unabhängig ist von der Spannung zum Grund, dann ist die empirische Basis, von der die Symbole ihre Gültigkeit herleiten, verloren gegangen. Sie werden zu Begriffen, die aus Nichts abstrahiert sind, und das Vakuum dieser Pseudo-Abstracta füllt sich bereitwillig mit verschiedenen nicht-rationalen Inhalten. (139f; Fs)

30/6 Der Begriff 'Spannung zum Grund', der sowohl die voranalytischen wie die noetischen Modi der Spannung bezeichnet, soll verhindern, daß der Begriff Vernunft mißverstanden wird, indem unzweideutig die existentielle philia als die Realität hervorgehoben wird, die in der philosophia und im bios theoretikos der klassischen Philosophen noetisch durchsichtig wird. Angesichts des Zusammenbruchs der Philosophie in der westlichen Gesellschaft der Neuzeit muß die Verbindung zwischen Vernunft und existentieller philia, zwischen Vernunft und Offenheit gegenüber dem Grund ausdrücklich hervorgehoben werden. (140; Fs)

31/6 Da der Begriff Spannung die Verbindung zwischen Vernunft und Existenz in Offenheit gegenüber dem Grund deutlich macht, ist er unentbehrlich, um den grundlegenden Sachverhalt psychopathologischer Erscheinungen zu verstehen: Wenn Vernunft existentielle philia ist, wenn sie die Offenheit der Existenz ist im Zustand kritischen Bewußtseins, dann beeinflußt das Sich-Verschließen der Existenz oder jede Art von Widerstand gegen die Offenheit sicher die rationale Struktur der psyche in negativer Weise. (140; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Vernunft (Erfahrung d. klassischen Philosophie 8); Psychopathologie 3; Ursprung d. Entgleisung in d. fragenden Unruhe (agnoia - Angst); neuzeitliche Geschichte der Unruhe: Hobbes, Hegel, Heidegger, Freud; Apperzeptionsverweigerung (Doderer), Frankl

Kurzinhalt: ... geht es dabei um mehr als um einen bloßen Unterschied in der Stimmung zwischen klassischer und moderner Unruhe. Denn die Vertreter der modernen agnoia ptoiodes beanspruchen in aggressiver Weise für ihre geistige Krankheit den Status geistiger ...

Textausschnitt: 40/6 Die Stoiker diagnostizierten also geistige Krankheit als eine Störung noetisch geordneter Existenz. Diese Störung betrifft sowohl die Leidenschaften als auch die Vernunft, aber sie ist weder durch das eine noch durch das andere verursacht. Sie hat ihren Ursprung in der fragenden Unruhe, der agnoia, und in der Freiheit des Menschen, das Ziel der menschlichen Natur, das in der Unruhe potentiell enthalten ist, zu verwirklichen oder dieses Ziel zu verfehlen. (144; Fs)

41/6 Gesundheit oder Krankheit der Existenz wird schon aus der Stimmungslage dieser Unruhe spürbar. Die klassische, besonders die aristotelische Unruhe ist unverkennbar freudig, da das Suchen in sich eine Richtung hat. Die Unruhe wird als der Beginn eines theophanischen Ereignisses erfahren, in dem sich der nous als die göttlich ordnende Kraft in der psyche des Fragenden und im Kosmos in seiner Gesamtheit offenbart. Die Unruhe ist eine Einladung, dem Ziel, das sie anzeigt, bis zur Aktualisierung des noetischen Bewußtseins nachzuspüren. (144f; Fs)

42/6 Es gibt keinen Ausdruck für 'Angst'. Die Gefühlslage, in Panik oder Schrecken versetzt zu werden durch eine Frage, auf die keine Antwort gefunden werden kann, ist der klassischen Erfahrung in charakteristischer Weise fremd. Die 'Panik' wurde erst durch die Stoiker als ein pathologisches Phänomen durch das Adjektiv ptoiodes eingeführt. In der neuzeitlich-westlichen Geschichte der Unruhe dagegen, von Hobbes' 'Todesfurcht' bis zu Heideggers 'Angst' hat sich die Stimmung verschoben von freudiger Teilnahme an einer Theophanie zu der agnoia ptoiodes, zur feindseligen Entfremdung von einer Wirklichkeit, die sich mehr verbirgt, als daß sie sich offenbart. Hobbes ersetzt das summum bonum durch das summum malum als ordnende Kraft in der menschlichen Existenz; Hegel baut seinen eigenen Zustand der Entfremdung zu einem System aus und lädt alle Menschen ein, Hegelianer zu werden; Marx verwirft die aristotelische Suche nach dem Grund rundweg, und lädt uns ein, sich ihm als 'sozialistischer Mensch' in seinem Zustand der Entfremdung anzuschließen; Freud diagnostiziert die Offenheit zum Grund als eine 'Illusion', als 'neurotisches Relikt', als 'Infantilismus'; Heidegger wartet auf die 'Parusia des Seins', die nicht kommt, was die Erinnerung an Samuel Beckets 'Warten auf Godot' wachruft; Sartre fühlt sich 'zur Freiheit verdammt' und schlägt wild um sich bei dem Versuch, Ersatzziele zu entwerfen für das eine Ziel, das er verfehlt hat; Levy-Strauss versichert uns, daß man nicht Wissenschaft betreiben kann, wenn man nicht Atheist ist; das Symbol 'Strukturalismus' wird das Schlagwort einer modischen Bewegung der Flucht aus der noetischen Struktur der Realität. Und wo weiter.' (145; Fs)

43/6 Aber wie diese Fallsammlung zeigt, geht es dabei um mehr als um einen bloßen Unterschied in der Stimmung zwischen klassischer und moderner Unruhe. Denn die Vertreter der modernen agnoia ptoiodes beanspruchen in aggressiver Weise für ihre geistige Krankheit den Status geistiger Gesundheit. Im Meinungsklima der Neuzeit hat das zoon agnoian echon das zoon noun echon ersetzt. Die Pervertierung der Vernunft infolge ihrer Aneignung durch geistig Kranke, die schon Chrysipp beunruhigt hatte, hat sich in der neuzeitlichen Periode des Kulturverfalls zu der mörderischen Groteske unserer Zeit ausgewachsen. (145f; Fs)

44/6 Von Pervertierung allein kann jedoch der Mensch nicht leben. Parallel zu der Kulmination der Groteske in Hitler, Stalin und der Orgie des 'Befreiungspöbels' nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs auch das Bewußtsein ihres pathologischen Charakters. Zwar hatte schon im 19. Jahrhundert Schelling, als er sich mit dem Progressivismus seiner Zeit befaßte, den Ausdruck 'Pneumopathologie' geprägt. Aber bis in die jüngste Zeit wäre es sinnlos gewesen, die 'Meinungen', die die öffentliche Szene beherrschen, als psychopathologische Phänomene zu behandeln. Mittlerweile aber sind der 'Trugschluß des Reduktionismus', die Hervorbringung imaginärer 'Zweiter Wirklichkeiten' und die Rolle von Geschichtsphilosophien bei der Erzeugung einer Illusion von 'Unsterblichkeit' weithin als pathologische Symptome bekannt geworden. Ein Autor wie Doderer hat in seinen Dämonen die 'Apperzeptionsverweigerung', die Weigerung wahrzunehmen, als das Syndrom des zoon agnoian echon erkannt. Und in der Existenzpsychologie, z. B. im Werk Viktor E. Frankls, ist die 'noologische Dimension' des Menschen, sowie die Behandlung seiner Leiden durch 'Logotherapie' wiederentdeckt worden. Es wäre nicht überraschend, wenn früher oder später Psychologen oder Sozialwissenschaftler die klassische Analyse noetischer Existenz als die angemessene theoretische Basis für die Psychopathologie des 'Zeitalters' entdecken würden. (146; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Vernunft, Tod, metaxy, daimonion, Leidenschaft, Existenzgier,

Kurzinhalt: athanatizein, Vernunft - Leidenschaft, Puppenspieler (helkein - anthelkein), Prozeß des Unsterblich-Werdens, hen, nous - apeiron, superbia vitae, libido dominandi

Textausschnitt: III. Leben und Tod
45/6 Das Leben der Vernunft im klassischen Sinn ist Existenz in der Spannung zwischen Leben und Tod. Der Begriff Spannung soll das Bewußtsein für dieses eigentümliche 'Zwischen' der Existenz schärfen. Mit 'Zwischen'1 übersetze ich den Begriff des metaxy, den Platon im Symposion und im Philebos entwickelt hat. (147; Fs)
46/6 Der Mensch erfährt sich als ein Wesen, das über seine menschliche Unvollkommenheit hinaus nach der Vollkommenheit des göttlichen Grundes strebt, der ihn anziehend bewegt. Indem der geistige Mensch, der daimonios aner, auf der Suche nach dem Grund in Bewegung ist, bewegt er sich irgendwo zwischen Wissen und Nichtwissen (metaxy sophias kai amathias). 'Das ganze Reich des Geistigen (daimonion) ist in der Tat in der Mitte zwischen (metaxy) Gott und Mensch' (Symp. 202a). Das Zwischen (metaxy) ist also nicht ein leerer Raum zwischen den Polen der Spannung, sondern das 'Reich des Geistigen'. Es ist die Realität, in der 'Götter und Menschen miteinander verkehren' (202-203), das wechselseitige Partizipieren (methexis, metalepsis) von menschlicher in göttlicher und von göttlicher in menschlicher Realität. (147; Fs)
47/6 Das metaxy symbolisiert die Erfahrung der noetischen Suche als einen Übergang der Seele von Sterblichkeit zu Unsterblichkeit. In der Sprache des Sokrates im Phaidon ist richtiges Philosophieren die Einübung in den Tod (melete thanatou), die der psyche die Fähigkeit verleiht, im Tod ihren göttlichen, unsterblichen und weisen Zustand in Wahrheit (alethos, 81 a) zu erreichen. In der Sprache des Aristoteles ist noetisches Philosophieren die Übung, unsterblich zu werden (athanatizein, NE 1177b 33). 'So ein Leben jedoch ist mehr als nur menschlich; es kann vom Menschen nicht gelebt werden, insofern er Mensch ist, sondern nur kraft des Göttlichen (theion), das in ihm ist[...] Wenn also der nous im Vergleich zum Menschen göttlich ist, dann ist das noetische Leben gottlich im Vergleich zu menschlichem Leben' (NE 1177b 27 ff.). Auf Grund der gottlichen Präsenz, die der Unruhe ihre Richtung gibt, wird die Entfaltung des noetischen Bewußtseins als ein Prozeß des Unsterblich-Werdens erfahren. Mit ihrer Entdeckung des Menschen als eines zoon noun echon haben die klassischen Philosophen entdeckt, daß der Mensch mehr ist als ein thnetos, ein Sterblicher: Er ist das unvollendete Wesen, das sich von der Unvollkommenheit des Todes in diesem Leben zu der Vollkommenheit des Lebens im Tode bewegt. (147f; Fs)
48/6 Historisch ist die Erfahrung, in der Entfaltung des rationalen Bewußtseins unsterblich zu werden, das Sturmzentrum gewesen - und sie ist es noch -, von dem Mißverständnisse, irrefuhrende Fehldeutungen und wütende Angriffe ausgegangen sind. (148; Fs)
49/6 Wenn der Mensch im metaxy existiert, in der Spannung 'zwischen Mensch und Gott', dann zerstört jede Auffassung des Menschen als eines weltimmanenten Wesens den Sinn von Existenz, weil sie den Menschen seines spezifischen Wesens beraubt. Andrerseits dürfen die Pole der Spannung nicht zu Objekten vergegenständlicht werden, die unabhangig sind von der Spannung, in der sie als ihre Pole erfahren werden. Diese Mißdeutungen konnen die Form elementarer logischer Fehler annehmen, wie die oben zurückgewiesene Umformung des zusammenfassenden Symbols zoon noun echon in eine Nominaldefinition. Oder sie können, detaillierter ausgeführt, die körperliche Existenz des Menschen fur den Zweck mißbrauchen, die metaleptische Spannung durch Kausalerklärung auf die organischen und anorganischen Seinsschichten zu reduzieren, in denen die Spannung fundiert ist. (148; Fs)
50/6 Oder man kann, da die Entdeckung des nous und die Symbolisierung des metaxy Tatsachen in der Geschichte der Menschheit sind, versuchen, die Symbole, die durch die Spannung hervorgebracht worden sind, psychologisch als Projektionen einer immanenten Seele zu erklären. Die Urheber dieser Mißdeutungen können ferner ihre Absicht offen erklären durch eine derjenigen direkten Attacken auf die noetische Struktur der Existenz, von denen ich representative Beispiele angeführt habe. Welchen Grad an Ausführlichkeit und bewußter Absicht auch immer sie haben mogen: die Deformationen des menschlichen Pols der Spannung zu einem weltimmanenten Gegenstand sind Attacken auf das Leben der Vernunft, eine aspernatio rationis im stoischen Sinn. Sie sind psychopathologische Phanomene. Da die gröbste Sorte von Fehldeutungen, durch welche die neuzeitliche Periode ideologischen Denkens beherrscht wird, mittlerweile notorisch geworden ist, erübrigt es sich, mehr darüber zu sagen. (148f; Fs)
51/6 Viel subtiler ist die Entstellung, die die klassische Analyse noetischer Existenzordnung durch eine restriktive Konzentration auf den Konflikt zwischen der Vernunft und den Leidenschaften erfahren hat. Diese Entstellung hat nun schon eine mehr als tausendjahrige Geschichte. Sogar die Stoiker waren bestürzt, als sich bei ihrem Versuch einer Psychopathologie herausstellte, daß auch ein Ubermaß an Leidenschaft das Syndrom geistiger Krankheit nicht in befriedigender Weise erklären konnte. Auf den Leidenschaften als der einzigen Quelle der Unordnung herumzureiten, führte zu der albernen Sackgasse, die Horaz satirisch dargestellt hatte. Und überdies konnte keine Art der Nachgiebigkeit gegenüber den Leidenschaften die Ablehnung der Vernunft im Namen der Vernunft erklären, die Chrysipp beunruhigt hatte. Da war hinter den Leidenschaften eine ratselhafte Kraft am Werk, die die noetische Ordnung der Existenz störte und sich in der agnoia ptoiodes manifestierte. Die Ursache dieses Rätsels war und ist die Isolierung sowohl der Vernunft wie der Leidenschaften aus ihrem Kontext in der Spannung zwischen Leben und Tod. (149; Fs)
52/6 In den Nomoi hat Platon den Mythos vom Puppenspieler entwickelt, der die menschlichen Puppen an verschiedenen Metallschnüren zieht, an der goldenen Schnur der Vernunft und an den weniger edlen Schnüren der Leidenschaften. Man konnte und kann auf diesen Mythos verweisen, um das Wechselspiel der Anziehungskräfte in der menschlichen Existenz zu verstehen, aber man darf das kosmische Drama nicht vergessen, in dem dieses Wechselspiel stattfindet. Die Zugkraft (helkein) der Vernunft und die ihr entgegenwirkenden Zugkräfte (anthelkein) der Leidenschaften sind nur zu wirklich, aber es sind Bewegungen, die die psyche erfährt in ihrem Zustand der Eingeschlossenheit in einen sterblichen Körper. Der Grund, warum der Mensch mehr der einen als der anderen Kraft folgen sollte, kann nicht in der 'Psychodynamik' des Puppenspiels noch in irgendwelchen moralischen Normen gefunden werden, sondern in der potentiellen Unsterblichkeit, die durch die göttliche Präsenz im metaxy als Möglichkeit angeboten wird. (149f; Fs)
53/6 In der klassischen Erfahrung noetischer Existenz ist der Mensch frei, sich entweder auf den Prozeß des Unsterblich-Werdens einzulassen, indem er der Zugkraft des gottlichen nous folgt, oder den Tod zu wählen, indem er der entgegenwirkenden Zugkraft der Leidenschaften folgt. Die psyche des Menschen ist das Schlachtfeld der Entscheidung zwischen den Kräften von Leben und Tod. Das Leben ist nichts Gegebenes. Der Gott der Nomoi kann es nur anbieten durch die Offenbarung seiner Gegenwart. Das Leben zu gewinnen erfordert die Mitwirkung des Menschen. (150; Fs)
54/6 Wenn Leben und Tod als die bewegenden Kräfte hinter der Vernunft und den Leidenschaften sichtbar geworden sind, so wird eine weitergehende Analyse des metaxy erforderlich. Platon hat diese im Philebos gegeben, indem er das Mysterium des Seins als Existenz zwischen (metaxy) den Polen des 'Einen' (hen) und des 'Unbegrenzten' (apeiron) symbolisierte (16d-e). Das Eine ist der göttliche Grund (aitia), der als die gestaltende Kraft in allen Dingen präsent ist, gleichzusetzen mit Weisheit und Vernunft (sophia kai nous) (30 b-c). Das Unbegrenzte ist das apeiron Anaximanders, der kosmische Grund, aus dem die Dinge ins Sein (genesis) hervorgebracht werden und in das hinein sie auch wieder vergehen (phthora), 'denn sie zahlen einander Bußgeld für ihr Unrecht (adikia) nach der Anordnung der Zeit' (B 1). (150f; Fs)
55/6 Hinter den Leidenschaften ist die Existenzgier am Werk, die aus der Tiefe des kosmischen Grundes kommt (d. h. das Unrecht, auf das das Gesetz des Kosmos die Strafe des Todes in der Zeit gesetzt hat). In christlicher Psychologie ist aus dieser apeirontischen Existenzgier die superbia vitae geworden, oder die libido dominandi, die für die Theologen als Definition der Erbsünde gilt. Der Konflikt zwischen Vernunft und Leidenschaften erhält also seinen spezifischen Charakter durch das Partizipieren der psyche im metaxy, dessen Pole apeiron und nous sind. In der psyche des Menschen erreicht die Spannung in der Realität den Status des Bewußtseins. Die Folgen für den Sinn menschlicher Existenz hat Platon im Timaios dargelegt: (151; Fs)
'Wenn nun ein Mensch sich seinen Begierden (epithymia) und seinen ehrgeizigen Wunschen (philonikia) überläßt und ihnen zügellos frönt, dann werden notwendigerweise all seine Gedanken (dogmata) sterblich und folglich er selber, soweit dies überhaupt möglich ist, ganz und gar sterblich, weil er seinen sterblichen Teil genährt hat. Wenn er aber mit Eifer seine Liebe zur Erkenntnis und zur wahren Weisheit gepflegt hat und wenn er vor allem seine Fähigkeit geübt hat, unsterbliche und göttliche Dinge zu denken, dann wird er in dem Maße, in dem er die Wahrheit berührt, notwendigerweise unsterblich werden, soweit es für die menschliche Natur möglich ist, an der Unsterblichkeit teilzuhaben.' (90 a-b) (151; Fs)
56/6 Und doch: auch wenn ein Mensch 'sterblich wird', kann er seiner Existenz als eines zoon noun echon nicht entrinnen. Selbst wenn er die Vernunft zurückweist, muß diese Zurückweisung die Form der Vernunft annehmen, will er nicht Stimmungen wie Niedergeschlagenheit, taedium vitae, akedia und so weiter verfallen. Je stärker er seiner sterblichmachenden libido dominandi nachgibt, umsomehr muß der Tod, den er wirkt, in das Bild des Lebens gekleidet werden. Deshalb erfordert eine radikale, voll bewußte aspernatio rationis, wie sie in den Ideologien der Neuzeit zu finden ist, eine ebenso radikale Symbolisierung in Form eines rationalen Systems, wenn möglich eines Systems der 'Wissenschaft' im Hegelschen Sinn. (151f; Fs)
57/6 Tatsächlich haben die radikalen Systeme der Neuzeit, besonders die geschichts-philosophischen, beträchtlich zur Klärung des Problems beigetragen, weil ihr Zweck schon im 18. Jahrhundert festgestellt und kritisiert worden ist. In seiner Vorlesung uber Universalgeschichte (1789) erklärte Schiller, der Zweck einer progressivistischen Geschichtsphilosophie sei, eine imaginäre Unsterblichkeit zu erlangen durch Partizipation am imaginären Sinn der Geschichte. Der Sinn einer Universalgeschichte, die einem Reich der Vernunft entgegengeht, ersetze den Sinn der Existenz, der mit dem Verlust des Glaubens an die Unsterblichkeit der Person verlorengegangen war. Aber schon fünf Jahre vorher hatte Kant bemerkt, daß Partizipation am Sinn der Geschichte kein Ersatz für den Sinn der individuellen Existenz ist, weil sie auf das Problem des individuellen Todes eines Menschen in der Zeit keine Antwort gibt.2 Heute, fast zweihundert Jahre danach, ist die Bemerkung Kants eine erschütternde Neuigkeit für osteuropäische Marxisten geworden, die entdeckt haben, daß der Glaube an das kommunistische Dogma im Angesicht des Todes kein großer Trost ist. (152; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Dialektik, Eristik, Platon, Hegel, Magie,

Kurzinhalt: apeiron (Tiefe) - nous (Höhe), Freud, Jung, Archetyp, Unbewusste, Hegel: Umwandlung der Spannung in Immanenz, egophanischen Revolte, Merleau-Ponty, eristische Phantasie, Revision

Textausschnitt: 58/6 An der eben zitierten Stelle des Philebos hat Platon die theoretischen Implikationen des Problems verdeutlicht, indem er analytische Begriffe schuf, die noch heute in Gebrauch oder vielmehr Mißbrauch sind. Der Mensch existiert in der Spannung zwischen apeirontischer Tiefe und noetischer Höhe. Das apeiron und der nous reichen bis in seine psyche und er hat Anteil an ihnen, aber er ist weder mit dem einen noch mit dem anderen identisch, und er verfügt auch nicht über sie. Dieser Bereich der metaleptischen Realität ist die eigentliche Domäne des menschlichen Denkens, seines Suchens, Lernens und Lehrens (skopein, manthanein, didaskein). Sich innerhalb des metaxy zu bewegen, es nach allen Richtungen zu erforschen, für sich selbst die Orientierung zu finden aus der Perspektive, die dem Menschen durch seine Stellung in der Realität gegeben ist, das ist die eigentliche Aufgabe des Philosophen. (152f; Fs)
59/6 Um diese Bewegung des Denkens oder der Erörterung (logos) innerhalb des metaxy zu bezeichnen, verwendet Platon den Ausdruck 'Dialektik' (17 a). Da das menschliche Bewußtsein sich aber auch bewußt ist, an den Polen der metaleptischen Spannung teilzuhaben (d, h. am apeiron und am nous) und das Begehren nach Wissen dazu neigt, uber die Grenzen partizipatorischen Wissens hinauszukommen, wird es Denker geben - 'diejenigen, die bei den Menschen unserer Zeit als weise angesehen werden' - die dazu neigen, sich die 'Inmitten'-Realität (ta mesa) entkommen zu lassen (ekpheugein) in ihrem libidinösen Drang nach kognitiver Herrschaft über das hen oder das apeiron. Zur Bezeichnung dieses Typs spekulativen Denkens benutzt Platon den Ausdruck 'Eristik' (17 a). (153; Fs)
60/6 Auch hier haben die radikalen Bewußtseinsdeformationen der Moderne wesentlich dazu beigetragen, Platons Problemstellung zu verstehen, indem sie Anschauungsunterricht in Eristik lieferten. In Symbolen wie dem Marxschen Sein, das das Bewußtsein determiniert, oder in dem Freudschen Symbol der Libido, das den erklärten Zweck hat, die Autorität des Acheron gegen die Autorität der Vernunft zu mobilisieren1, werden Phänomene im metaxy, von wirtschaftlicher oder psychologischer Natur, vorschnell mit der apeirontischen Tiefe identifiziert. Als Symbol dieser Revolte erscheint ferner das Unbewußte in so verschiedenartigen Zusammenhängen wie Freuds Psychoanalyse, Bretons Surrealismus oder Jungs Psychologie eines kollektiven Unbewußten, in der Symbole, die vom Menschen erfunden wurden, um seine Erfahrungen im metaxy auszudrücken, in apeirontische Archetypen verwandelt werden. (153f; Fs)
61/6 Am instruktivsten jedoch ist Hegel. Denn als kenntnisreicher und gewissenhafter Denker führt er sich verpflichtet, seine Deformation der noetischen Erfahrung der klassischen Philosophen mit entsprechenden Belegstellen zu untermauern. Es gibt eine Stelle in der aristotelischen Metaphysik, die man mißverstehen kann, wenn man sie um jeden Preis mißverstehen will, weil sie von der überschwänglichen Freude durchdrungen ist, für einen Augenblick mit göttlicher Unsterblichkeit in Berührung zu kommen, wenn im Akt kognitiver Partizipation der göttliche nous berührt wird (oder erfaßt wird, thigganein). Hegel fügt diese Passage (Met. 1072b 18-31) als Appendix seiner Enzyklopadie an und weist durch diese strategische Plazierung auf die zentrale Bedeutung hin, die sie für ihn hat. (154; Fs)
62/6 Der entscheidende Satz in der Passage ist folgender: 'Denken (nous) denkt sich selbst durch Partizipieren (metalepsis) am Gegenstand des Denkens (noeton). Denn Gegenstand des Denkens wird es dadurch, daß es berührt und gedacht wird (thinganon, noon), so daß Denken (nous) und Gedachtes (noeton) dasselbe sind' (Met. 1072b 20 ff.). Im aristotelischen Kontext artikuliert dieser Satz das dynamische Verhältnis zwischen Identität und Verschiedenheit des Erkennenden und des Erkannten im Akt der noetischen Partizipation, ungeachtet der Freude momentaner Identität mit dem Göttlichen. Liest man jedoch diesen Satz im Kontext der Enzyklopadie, so drückt er den Beginn eines philosophischen Unternehmens aus, das durch Hegel zu seinem erfolgreichen Abschluß gebracht worden ist. Denn in der Konzeption Hegels beginnt die Philosophie als 'Liebe zur Weisheit' im klassischen Sinn und bewegt sich von diesem unvollkommenen Zustand auf ihre Erfüllung hin im Hegelschen System als 'wirklichem Wissen'. Von der klassischen Teilhabe am göttlichen nous schreitet sie durch den dialektischen Fortschritt des 'Geistes' in der Geschichte voran zur Identifizierung mit dem nous im Bewußtsein, das sich selbst reflektiert. Die Spannung zum Grund der eigenen Existenz, von Hegel als ein Zustand der 'Zerissenheit' oder 'Entfremdung' betrachtet, soll durch einen Zustand der 'Versöhnung' ersetzt werden, wenn der göttliche Grund in der Welt fleischgeworden ist durch die Konstruktion des Hegelschen Systems. Das metaxy ist in Immanenz umgewandelt worden. Diese spekulative Magie ('Zauberworte', 'Zauberkraft'), durch die der Denker den göttlichen Grund in seinen Besitz bringt, ist das, was Platon 'Eristik' genannt hat. Hegel seinerseits nennt es 'Dialektik'. Auf diese Weise ist die Bedeutung der Ausdrücke in ihr Gegenteil verkehrt worden. (154f; Fs)
63/6 Darüberhinaus führt Hegel als erstrangiger Denker mit den paulinischen Symbolen des göttlichen pneuma und der 'Tiefe Gottes' (1 Kor. 2:6-13) die gleichen Kunststucke auf wie mit dem nous des Aristoteles. Wieder rückt er seine Umkehrung in eine strategische Position: Auf der letzten Seite der Phänomenologie zieht er das göttliche pneuma in das metaxy, indem er sein System als die erschöpfende Offenbarung der Tiefe darstellt, die von Christus und Paulus zwar intendiert, aber nur teilweise erreicht worden war. (155; Fs)
64/6 In einem Aufwasch uberträgt er die Autorität sowohl der Vernunft wie der Offenbarung auf sein System und auf sich als seinen Schöpfer. Die libidinöse Stoßkraft, die in dieser egophanischen Revolte gegen die theophanische Realität steckt, wird manifest in seiner Überzeugung, daß die Konstruktion des Systems durch ihn das Äquivalent des Nichtkombattanten für den Tod des Kombattanten auf dem Schlachtfeld der Revolution darstellt. Und aus seinen Kommentaren zu Napoleon geht er gar als der Große Mann der Weltgeschichte hervor, der der franzosischen Revolution den Sinn gegeben hat, der von dem Empereur verfehlt wurde. (155; Fs)
65/6 Der imperiale Stil, von Hegel zur Perfektion entwickelt, ist ganz allgemein charakteristisch für die egophanische Revolute der Neuzeit gegen die Vernunft in ihren verschiedenen ideologischen Arten und Unterarten. Uber die individuellen Falle existentieller Unordnung hinaus wird dieser Stil eine gesellschaftliche Groteske, wenn sich im Lauf der Zeit die gesellschaftliche Bühne mit kleinen Empereurs füllt, von denen jeder den Anspruch erhebt, im Besitz der einen und einzigen Wahrheit zu sein. Und dieser Stil wird mörderisch, wenn einige von ihnen sich selbst ernst genug nehmen, den Massenmord all derer zu betreiben, die es wagen, anderer Meinung zu sein. (155f; Fs)
66/6 Als instruktives Beispiel, an dem man den Übergang von intellektuellem Imperialismus zur Befürwortung des Massenmordes in alien wohlüberlegten Details studieren kann, empfehle im Maurice Merleau-Ponty's Humanisme et Terreur (1947). Man muß annehmen, daß die allgemeine gesellschaftliche Situation im ganzen eher dazu beitragt, diesen Stil auszubreiten als ihn wieder in Vergessenheit geraten zu lassen. Diese Entwicklung in Richtung auf ein ebenso groteskes wie mörderisches Massenphänomen ist dadurch bestimmt, daß sie ihren Ursprung in der Zerstörung des Lebens der Vernunft im metaxy hat. Am Fall Hegels - und man sollte nicht vergessen, daß nur ein sachlich kompetenter Denker von der Statur Hegels ein solches Meisterstuck vollbringen konnte - kann man beobachten, wie das Bewußtsein des Menschen von seiner Spannung zum göttlichen Grund durch die 'Zauberworte' des Systems in einen 'dialektischen' Prozeß innerhalb eines imaginären 'Bewußtseins' verwandelt wird, das unter die Kontrolle des spekulativen Denkers gebracht werden kann. Da aber 'dialektisches Bewußtsein' nicht das Bewußtsein konkreter Menschen ist, sondern ein symbolischer Ausdruck, der in der Realität den Status der eristischen Phantasie einer libidinös gestörten psyche hat, besitzt das System nicht die Autorität der Vernunft, die es zu usurpieren versucht. (156; Fs)
67/6 Sobald der göttliche nous menschlicher Konstruktion unterworfen wird, ist Gott tatsachlich tot. Was stattdessen ins Leben getreten ist, ist der imperiale Appeal, den das System auf die libido dominandi ausübt. Dieser Appeal ist nicht mit irgendeinem speziellen System verknüpft (etwa dem Hegels oder Comte's), sondern mit der Form des Systems als solcher und ihrer außerordentlichen Flexibilität. Denn die Vernunft kann sich in eristischer Weise mit jedem beliebigen Weltinhalt verbinden, sei es Klasse, Rasse oder Nation; sei es eine Mittelklasse, Arbeiterklasse, Technokratenklasse oder gleich die ganze Dritte Welt; oder Leidenschaften wie Gewinnsucht, Macht und Sex; oder Wissenschaften wie Physik, Biologie, Soziologie, Psychologie. Die Liste erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Man kann sogar sagen, daß die Anziehungskraft eines speziellen Systems weniger in den Lehren seines Schöpfers liegt als in der Möglichkeit, an ihnen unter dem Titel 'Revision' herumzubasteln, wahrend der imperiale Stil absoluter Wahrheit aufrechterhalten wird. (156f; Fs)
68/6 Im Ablauf dieser libidinösen Groteske läßt sich jedoch eine gewisse Ordnung feststellen. Sie wird sichtbar, wenn die eristische Phantasie dem Druck der Realität ausgesetzt wird. Da der Sinn von Existenz in noetischer Spannung im Prozeß des Unsterblich-Werdens besteht, wird der sterblich-machende Druck der apeirontischen Tiefe in wachsendem Maße spürbar, wenn der nous durch die eristische Verbindung erfolgreich deformiert worden ist. Deshalb kann man in der Deutung der Existenz, die man modern nennt, eine Akzentverschiebung feststellen von der überschwänglichen aspernatio rationis im Namen der Vernunft, die dem 18. Jahrhundert seinen Namen gegeben hat, hin zu der zeitgenossischen Beschäftigung mit Existenz unter den Stichworten von abgründiger Tiefe, Tod und Angst. (157; Fs)
69/6 Da ferner die eristische Phantasie die Vernunft mit einem bestimmten Weltinhalt verbindet, wird die Wahrheit des Systems fragwurdig, wenn das Wissen von dem Weltinhalt über den Zustand hinaus fortschreitet, in dem der eristische Denker es in seine Konstruktion eingebaut hat. Daher entwickeln alle epigonischen Anhänger eines Systems die wohlbekannte Vielfalt von Kunstgriffen, die das jeweilige System gegen den unvermeintlichen Konflikt mit der Realität abschirmen sollen. Da gibt es den eben erwahnten Kunstgriff der 'Revision', der oft benutzt wird, um die Glaubwürdigkeit des Systems zu erhalten, obwohl er andrerseits auch zu Meinungsverschiedenheiten unter den Anhängern fuhren kann und zu zornigen Neudefinitionen orthodoxer und abweichlerischer Positionen. (157f; Fs)
70/6 Dann gibt es das grundsatzliche Tabu auf Fragen, die die Voraussetzungen der eristischen Verschmelzung betreffen, wie es von Marx ausdrücklich gefordert und von den Anhängern der Marxschen Spielart der Eristik befolgt wird. Dann die altehrwurdige Taktik, von vernichtender Kritik einfach keine Kenntnis zu nehmen, und das weniger ehrwürdige Verfahren, den Kritiker personlich zu diffamieren. Und wo schließlich die Anhänger eines Systems die Regierungsgewalt errungen haben, können sie dem Druck der Realität Widerstand leisten, indem sie die Andersdenkenden einsperren oder töten, oder indem sie kurzerhand eine physische Mauer um das Territorium ziehen, das unter ihrer Herrschaft steht. (158; Fs)
71/6 All dies mag sich wie eine Selbstverständlichkeit anhören, und ist es auch, soweit es die Fakten betrifft. Nicht so selbstverständlich ist wahrscheinlich, daß ich soeben mit dem Vokabular der klassischen Einsichten in die Spannung der Existenz den gesellschaftlichen Prozeß einer geistigen Krankheit in ihrem geschichtlichen Ablauf beschrieben habe, eine kinesis im thukydideischen Sinn. Sowohl hinsichtlich ihrer Natur als ihres Verlaufs kann man die moderne kinesis verstehen, wenn man die Kategorien benutzt, die von den klassischen Philosophen bei der Analyse des metaxy entwickelt worden sind. Und umgekehrt wird die Gültigkeit der klassischen Analyse durch die Phänomene bestätigt, die man empirisch als Phänomene des Konflikts zwischen einer eristischen Phantasie und der noetischen Struktur der Realität beobachten kann. (158; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Struktur, psyche, Widerstand, Schema

Kurzinhalt: klassische Autoren: Artikulation der Struktur noetischen Bewusstseins, Exegese des Widerstands, Schema d. menschlichen Angelegenheiten

Textausschnitt: () ... hat sie doch als erste die Struktur der Suche selbst artikuliert: Der Unruhe, die für das Fragen eine Antwort bereithält, des göttlichen nous, der die Suche in Gang setzt, der Freude des Partizipierens, das sich selbst durchsichtig wird, wenn der Mensch auf die Theophanie antwortet, und der Existenz, die geistig durchsichtig wird für ihren Sinn als einer Bewegung im metaxy von Sterblichkeit zu Unsterblichkeit.
()
Ohne Zweifel wurden wahre Einsichten bezüglich der Vernunft als ordnender Kraft in der Existenz gewonnen, aber sie konnten nur gewonnen werden als Exegese des Widerstands der Philosophen gegenüber der personlichen und gesellschaftlichen Unordnung der Zeit, die sie zu überwältigen drohte.
()
Die vorliegende Untersuchung ist offenkundig ein Akt des Widerstands in engem Zusammenhang mit dem klassischen Versuch.
()
Prinzip der Vollständigkeit: ...
Prinzip der Organisation und der Fundierung: ...
Prinzip der metaxy-Realität:

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Partizipation, Sein, Unwissenheit, Symbol; Symbole: Klärung d. Momente des Seinsfeldes; Erkennbares - Unerkennbares

Kurzinhalt: Die Partizipation am Sein jedoch ist nicht eine Episode im Leben des Menschen, sondern nimmt seine gesamte Existenz in Anspruch, denn seine Partizipation ist seine Existenz selbst.

Textausschnitt: 1/2 "Gott und Mensch, Welt und Gesellschaft bilden eine ursprüngliche Gemeinschaft des Seins. Die Gemeinschaft mit ihrer Vierer-Struktur ist ein Datum menschlicher Erfahrung - und ist es auch wiederum nicht. Sie ist ein Datum von Erfahrung, insofern sie dem Menschen kraft seiner Partizipation am Geheimnis ihres Seins ist. Sie ist kein Datum von Erfahrung, insofern sie nicht nach Art eines Objektes der Außenwelt gegeben ist, sondern nur in der Perspektive der Partizipation an ihr erkannt werden kann. (28; Fs)

2/2 Die Perspektive der Partizipation muß in der ganzen Fülle ihrer beunruhigenden Natur verstanden werden. Sie bedeutet nicht, daß der Mensch, mehr oder minder günstig in der Landschaft des Seins plaziert, sich nur umzuschauen und zu Protokoll zu nehmen braucht, was er sieht, soweit er sehen kann. Eine derartige Metapher - oder ähnliche Variationen über das Thema Grenzen menschlichen Wissens - würde den paradoxen Charakter der Situation zerstören. Sie würde auf einen autarken Betrachter deuten, der im Besitz wie im Bewußtsein seiner Fähigkeiten, der Mittelpunkt eines - wenngleich begrenzten - Seinshorizontes ist. Doch der Mensch ist kein auf sich selbst gestellter Betrachter. Er ist ein Schauspieler, der im Drama des Seins eine Rolle spielt und durch das Faktum seiner Existenz verbunden ist, sie zu spielen, ohne zu wissen, worin sie besteht. Es ist verwirrend genug, wenn jemand sich durch Zufall in einer Situation findet, in der er nicht genau weiß, was gespielt wird und wie er sich zu verhalten hat, um nicht alles zu verderben; doch mit etwas Glück und Geschick wird er sich herauswinden und in die weniger verwirrende Routine des Alltags zurückkehren. (28; Fs)

3/2 Die Partizipation am Sein jedoch ist nicht eine Episode im Leben des Menschen, sondern nimmt seine gesamte Existenz in Anspruch, denn seine Partizipation ist seine Existenz selbst. Weder gibt es einen Blickpunkt außerhalb der Existenz, von dem aus ihr Sinn erkannt und planmäßiges Verhalten entworfen werden könnte, noch eine Insel der Seligen, auf die sich der Mensch zurückziehen kann, um sein Ich wiederzufinden. Die Rolle der Existenz muß in der Ungewißheit ihres Sinnes gespielt werden, als ein Abenteuer der Entscheidung auf der Grenze von Freiheit und Notwendigkeit. (28f; Fs)

4/2 Das Spiel ist ebenso unbekannt wie die Rolle. Ja schlimmer noch: der Schauspieler weiß nicht mit Sicherheit, wer er selber ist. An diesem Punkt kann die Metapher des Spiels, wird sie nicht mit Vorsicht verwendet, in die Irre führen. Die Metapher ist gerechtfertigt, vielleicht sogar notwendig, insofern sie die Einsicht vermittelt, daß die Partizipation des Menschen am Sein nicht blind erfolgt, sondern durch sein Bewußtsein erhellt ist. (29; Fs)

5/2 Es gibt eine Erfahrung der Partizipation, eine reflektive Spannung der Existenz, deren Sinnstrahlung sich auffangen läßt in dem Satz: Der Mensch, in seiner Existenz, partizipiert am Sein. Doch dieser Sinn verkehrt sich in Unsinn, wenn man vergißt, daß Subjekt und Prädikat dieses Satzes Ausdrücke sind, die eine Spannung der Existenz artikulieren, aber nicht Begriffe sind, die Objekte bezeichnen. Es gibt nicht so etwas wie einen 'Menschen', der am 'Sein' partizipiert, so als wäre das Sein ein Unternehmen, von dem er auch ebensogut Abstand nehmen könnte; vielmehr gibt es ein 'Etwas', einen Teil des Seins, fähig, sich selbst als solchen zu erfahren und darüber hinaus auch fähig, Sprache zu benutzen und dieses erfahrende Bewußtsein mit dem Wort 'Mensch' zu belegen. Dieses Nennen beim Namen ist ein fundamentaler Beschwörungsakt, ein Akt des Hervorrufens, in dem dieser Teil des Seins als ein unterscheidbarer Partner in der Gemeinschaft des Seins konstituiert wird. (29f; Fs)

6/2 Dennoch, so fundamental dieser Akt der Beschwörung auch ist - denn er bildet für all das, was der Mensch im Laufe der Geschichte über sich lernen kann, die Grundlage - so ist er doch kein Akt der Erkenntnis. Die sokratische Ironie des Nichtwissens ist zum Paradigma für das Wissen um den blinden Fleck im Zentrum alles menschlichen Wissens über den Menschen geworden. Im Zentrum seiner Existenz ist sich der Mensch selbst unbekannt und muß es bleiben, denn der Teil des Seins, der sich selbst Mensch nennt, könnte nur dann voll erkannt werden, wenn die Gemeinschaft des Seins wie auch ihr Drama in der Zeit vollständig bekannt wären. Die Partnerschaft des Menschen im Sein ist das Wesen seiner Existenz, und dieses Wesen hängt von dem Ganzen ab, von dem die Existenz ein Teil ist. Die Kenntnis des Ganzen ist jedoch infolge der Identität des Wissenden mit dem Partner ausgeschlossen, und das Nichtwissen vom Ganzen schließt wesentliches Wissen vom Teil aus. Diese Situation der Unwissenheit hinsichtlich des wesentlichen Kerns der Existenz ist mehr als nur verwirrend: sie ist zutiefst beunruhigend, denn aus der Tiefe dieser letzten Unwissenheit steigt die Existenzangst empor. (30; Fs)

7/2 Die letzte wesentliche Unwissenheit ist freilich keine völlige Unwissenheit. Der Mensch vermag beträchtliches Wissen über die Ordnung des Seins zu gewinnen, und der nicht geringste Teil dieses Wissens ist die Unterscheidung zwischen dem Erkennbaren und dem Unerkennbaren. Zu dieser Leistung kommt es allerdmgs erst spät in dem lang sich hinziehenden Prozeß von Erfahrung und Symbolisierung, die beide Gegenstand der vorliegenden Studie bilden. Die Sorge des Menschen über den Sinn seiner Existenz im Feld des Seins bleibt nicht aufgestaut in den Qualen der Angst, sondern vermag sich in der Schaffung von Symbolen Luft zu machen, die das Ziel haben, die Beziehungen und Spannungen zwischen den unterscheidbaren Momenten des Seinsfeldes einsichtig zu machen. (30; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Symbolisierung, Sein, Partizipation, Vergänglichkeit, Hierarchie, Verpflichtung

Kurzinhalt: Symbolisierung der Seinserfahrung: 1. Konsubstantialität, 2. Bleiben u. Vergehen, Leben - Tod, Einstimmung in das Sein, 3. Deutung in Symbolen

Textausschnitt: () Der erste dieser typischen Züge ist das Vorherrschen der Partizipationserfahrung. Was der Mensch auch immer sein mag, er weiß, daß er selbst ein Teil des Seins ist. Der große Strom des Seins, in dem er dahinfließt,
()
Der zweite typische Zug ist das absorbierende Interesse am Bleiben und Vergehen ...
()
Unter diesem Gesichtspunkt weist das Sein Züge einer Hierarchie auf, die von der ephemeren Existenz des Menschen bis zur ewigen Dauer der Götter reicht. Die Erfahrung dieser Hierarchie liefert ein wichtiges Stück des Wissens über die Ordnung des Seins
()
In unserem unterscheidbaren Abgegrenztsem als existierende Wesen erfahren wir den Tod; in unserer Partnerschaft am Sein erfahren wir das Leben. Doch hier stoßen wir schon wieder an die Grenzen, die durch unsere Perspektive der Partizipation gesetzt sind, denn Dauer und Vergehen sind Kategorien des Seins bzw. der Existenz, wie sie uns aus der Perspektive unserer Existenz erscheinen; sobald wir sie zu objektivieren suchen, verlieren wir das Wenige, das wir haben. Versuchen wir das Mysterium des Vergehens zu erforschen, so als wäre der Tod ein Gegenstand, so finden wir nichts als das Nichts
()
Einstimmung wird deshalb ein Zustand der Existenz sein, in dem diese auf das hört, was dauerhaft ist im Sein, in dem sie sich eine Bewußtseinsspannung für ihre Teiloffenbarungen in den Ordnungen von Gesellschaft und Welt erhält, in dem sie aufmerksam den stillen Stimmen des Gewissens und der Gnade in menschlicher Existenz selbst lauscht.
()
Wir werden in die Existenz aufgenommen und aus ihr entlassen, ohne das Warum und das Wie zu kennen, aber während wir in ihr sind, wissen wir, daß wir aus dem Sein stammen, zu dem wir zurückkehren. Aus diesem Wissen erwächst die Erfahrung der Verpflichtung, denn wenn dieses Sein, das unserer teilweisen Führung in der Existenz anvertraut ist, solange sie dauert und vergeht, auch durch Einstimmung gewonnen werden kann, so kann man es doch durch ihr schuldhaftes Verfehlen verlieren.
()
Der dritte typische Zug im Symbolisierungsprozeß ist der Versuch, die im wesentlichen unerkennbare Ordnung des Seins soweit als möglich durch die Schaffung von Symbolen verstehbar zu machen, von Symbolen, die das Unbekannte durch Analogie mit dem wirklich oder nur vermutlich Gewußten deuten.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Symbolisierungsformen, Mikrokosmos, Makroanthropos, Philosophie, Theologie

Kurzinhalt: Philosophie: Zusammenbruch des kosmologisch symbolisierten Seins, transzendentes Sein - Seele, 'Zeit der Unruhen', Israel: außerhalb des historischen 'Gesetzes',

Textausschnitt: () zwei grundlegende Symbolisierungsformen erwähnen, die große geschichtliche Perioden charakterisieren. Die eine ist die Symbolisierung der Gesellschaft und ihrer Ordnung als ein Analogon des Kosmos und dessen Ordnung; die andere ist die Symbolisierung der gesellschaftlichen Ordnung durch die Analogie mit der Ordnung einer menschlichen Existenz, die gut auf das Sein eingestimmt ist.
()
wenn der Kosmos also nicht die Quelle dauerhafter Ordnung in der menschlichen Existenz ist, wo ist die Quelle der Ordnung zu finden? Angesichts dieser Frage tendiert die Symbolisierung dahin, sich auf etwas Beständigeres als die sichtbar existierende Welt zu verlagern - nämlich auf das unsichtbar existierende Sein jenseits allen greifbar existierenden Seins. Dieses unsichtbare göttliche Sein, das alles Sein in der Welt und die Welt selbst transzendiert, kann nur als eine Bewegung in der Seele des Menschen erfahren werden; und daher wird die Seele, sofern sie durch Einstimmung auf den unsichtbaren Gott geordnet ist, zum Modell der Ordnung,
()
Es wäre allerdings unangebracht, dieses typische Zusammentreffen zu einem historischen 'Gesetz' zu verallgemeinern, denn in den Details gäbe es Schwierigkeiten. Das Fehlen einer solchen Änderung beim Zusammenbruch der babylonischen Gesellschaft

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Symbol, Analogie, Repräsentation, Celsus, Toleranz, Grenze, Polytheismus, Monotheismus

Kurzinhalt: Verschiedenheit der Symbolisierung, Duldung v. widersprechenden Symbolen, Repräsentationen: Verschmelzung, Wechsel, polytheismus - immantent Monotheismus

Textausschnitt: () Ein weiterer typischer Zug in den frühen Stadien des Symbolisierungsprozesses ist das menschliche Bewußtsein vom analogischen Charakter seiner Symbole.
()
In diesem Netz wechselseitiger Erhellung werden unvermeidlich konkurrierende und widersprechende Symbole auftreten. Solche Konkurrenzen und Konflikte werden über lange Zeiträume hinweg von den Menschen, die sie produzieren, mit Gleichmut hingenommen
()
Verschmelzung von verschiedenen Repräsentationen ... all das zeigt, daß die Verschiedenheit der Symbolisierungen von einem lebendigen Bewußtsein von der Gleichheit jener Wahrheit begleitet, wird, auf die sich der Mensch mit Hilfe seiner vielfältigen Symbole bezieht.
()
Die frühe Toleranz entspringt dem Bewußtsein, daß die Seinsordnung analogisch auf mehr als nur eine Weise repräsentiert werden kann. Jedes konkrete Symbol ist wahr, insofern es die Wahrheit anvisiert, aber keines ist vollständig wahr, insofern die Wahrheit über das Sein sich wesentlich dem menschlichen Zugriff entzieht.
()
Diese Toleranz wird freilich an ihre Grenzen stoßen, wenn das Bewußtsein des analogischen Charakters der Symbolisierung von dem Problem angezogen wird, in welchem Maße die Symbole ihrem Zweck entsprechen die Seinsordnung transparent zu machen. Der Symbole sind viele, doch das Sein ist nur eines.
()
daß die strikte Trennung zwischen Polytheismus und Monotheismus, nahegelegt durch die logische Unvereinbarkeit des Einen und des Vielen, in Wirklichkeit gar nicht existiert. Denn das freie Spiel der Phantasie mit einer Vielzahl von Symbolen ist nur darum möglich, weil

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Symbol, Analogie, Toleranzgrenze, Transzendenz, periagogé, Gnade, Erwählung, Volk Gottes

Kurzinhalt: theogonische Spekulation, Hesiod, Konstantin; Bruch mit Toleranz; Kluft: göttliche - irdische Existenz d. Erfahrung d. Transzendenz, Verrat am Sein, qualitativer Sprung, Gnade, auserwähltes Volk

Textausschnitt: () Mit dem politischen Summodeismus und der theogonischen Spekulation erreichen wir die Toleranzgrenze hinsichtlich rivalisierender Symbolisierungen.
()
Der Bruch mit der frühen Toleranz resultiert nicht aus rationaler Reflektion über die Inadäquanz pluralistischer Symbolisierung ..., sondern aus der tiefen Einsicht, daß keine Symbolisierung durch Analoga existentieller Ordnung in der Welt auch nur andeutungsweise dem göttlichen Partner gemäß ist,
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Nur wenn die Kluft in der Seinshierarchie, welche die göttliche von der irdischen Existenz trennt, empfunden wird, nur wenn die erschaffende, ordnende und erhaltende Quelle des Seins in ihrer absoluten Transzendenz über das greifbar existente Sein hinaus erfahren wird, wird jegliche analogische Symbolisierung als wesentlich inadäquat, ja geradezu unziemlich verstanden werden.
()
Der Schauder vor einem Fall vom Sein ins Nichts gibt den Anstoß zu einer Intoleranz, die nicht länger bereit ist, zwischen stärkeren und schwächeren Göttern zu unterscheiden, sondern den wahren Gott den falschen Göttern entgegenstellt. Dieser Schauder veranlaßte Platon dazu, den Terminus 'Theologie' zu schaffen
()
Existenz ist Partnerschaft in der Gemeinschaft des Seins; und die Entdeckung, daß die Partizipation unvollkommen ist, daß die Existenz mangels richtiger Einstimmung auf die Seinsordnung falsch behandelt wurde, das Gewahrwerden der Gefahr eines Abfalls vom Sein löst in der Tat einen Schauder aus, der eine radikale Neuorientierung der Existenz erzwingt. Die Symbole verlieren nicht nur den Zauber ihrer Transparenz für die unsichtbare Ordnung und werden undurchsichtig, es verblassen auch die Teilordnungen der weltlichen Existenz...
()
Er wird die Erfahrung eines Sich-Umkehrens machen, der platonischen periagogé, einer Umwendung zur wahren Quelle des Seins. () Die vollkommene Einstimmung auf das Sein durch Umwendung ist nicht eine Steigerung auf dem bisherigen Niveau, sondern ein qualitativer Sprung. Wenn diese Umwendung eine Gesellschaft befällt, wird die konvertierte Gemeinschaft sich als verschieden von allen anderen Gesellschaften erfahren, die diesen Sprung nicht vollzogen haben.
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Ferner wird die Umwendung nicht als das Ergebnis menschlichen Handelns erfahren, sondern als Passion, als Antwort auf eine Offenbarung göttlichen Seins, auf einen Akt der Gnade, eine Erwählung zu ausdrücklicher Partnerschaft mit Gott. Die Gemeinschaft wird - wie im Falle Israel - ein auserwähltes Volk werden, ein besonderes Volk, ein Volk Gottes.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: periagogé, Gnade, Erwählung, Volk Gottes,

Kurzinhalt: dualistische Struktur der Existenz, theologia: civilis - supranaturalis; Alterswerk Platons: Bereitschaft zum Kompromiss,

Textausschnitt: () Infolgedessen enthebt die ausdrückliche Partnerschaft mit Gott eine Gesellschaft der Ebene der profanen Existenz und konstituiert sie als Repräsentantin der civitas Dei in historischer Existenz.
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Nichtsdestoweniger ist der Sprung aufwärts im Sein kein Sprung, der über die Existenz hinausträgt. Die ausdrückliche Partnerschaft mit Gott hebt keineswegs die Partnerschaft in der Gemeinschaft des Seins auf, die nach wie vor das Sein in weltlicher Existenz einschließt.
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... Spannungen, Reibungen und Balancen zwischen den beiden Ebenen der Einstimmung, eine dualistische Struktur der Existenz, die sich in Symbolpaaren ausdrückt, etwa von theologia civilis und theologia supranaturalis, von temporaler und spiritualer Macht, von säkularem Staat und der Kirche.
()
Die Intoleranz, inspiriert durch die Liebe zum Sein, wird durch eine neue Toleranz ausbalanciert, die von der Liebe zur Existenz inspiriert ist und von Respekt vor den gewundenen Wegen, auf denen der Mensch sich geschichtlich der wahren Ordnung des Seins nähert. In den Epinomis spricht Platon das letzte Wort seiner Weisheit - daß jeder Mythos seine Wahrheit hat.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Seinssprung, Geschichte, Kompaktheit

Kurzinhalt: Substanz der Geschichte: Ringen um die Wahrheit der Ordnung;

Textausschnitt: () Der Seinssprung, das epochale Ereignis, das die Kompaktheit des frühen kosmologischen Mythos bricht und die Ordnung des Menschen unmittelbar unter Gott stellt, ereignet sich - dies muß anerkannt werden - zweimal in der Geschichte der Menschheit, ungefähr zur gleichen Zeit, im Nahen Osten und in den benachbarten Zivilisationen der Ägäis.
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Jede Gesellschaft ist zum Überleben in der Welt organisiert, ebenso aber auch zur Partnerschaft in der Ordnung des Seins, die ihren Ursprung im welttranszendenten göttlichen Sein hat ... Dieses Ringen um die Wahrheit der Ordnung ist die Substanz der Geschichte ...
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... weder die Dimension noch die Begrenzungen des Menschen sind explizit bekannt, solange sie nicht erfahren wurden und die Erfahrung nicht die Ordnung menschlicher Existenz artikuliert hat. Das gilt besonders für die historische Dimension der menschlichen Natur. Obwohl sie eine wesentliche Komponente des Menschen darstellt, erhebt sich ihre Präsenz erst mit dem Seinssprung ins Bewußtsein.
()
Soviel wir auch über Menschheit und Geschichte reden, so als wären sie Objekte der Wissenschaft - es sind in Wirklichkeit nur die konkreten Gesellschaften gegeben, deren Mitglieder sich kraft des Seinssprungs in historischer Form erfahren.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Seinssprung, Manifestation, Phänomen, Problem

Kurzinhalt: 4 Phänomene, die sich aus dem Seinssprung ergeben: Vergangenheit, Zukunft, Parallelität

Textausschnitt: 1 Ereignet sich der Seinssprung, so verwandelt er die Abfolge zeitlich vorangehender Gesellschaften in eine Vergangenheit der Menschheit.
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2 Mit der Entdeckung ihrer Vergangenheit hat die Menschheit nicht etwa das Ende ihrer Geschichte erreicht, sondern ist sich des offenen Horizonts ihrer Zukunft bewußt geworden.
()
3 Vielzahl paralleler Fälle
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4 Die parallelen Ereignisse sind nicht gleichrangig

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Seinssprung, Geschichte, Vollendung, Mysterium, Order and History

Kurzinhalt: Probleme, die in den Phänomenen d. Seinssprungs gründen; Fortschritt - Sinn d. Geschichte, Abwertung d. Vergangenheit, Offenbarung u. Hören

Textausschnitt: Auch die Mysterien und Probleme, die in den phänomenalen Manifestationen gründen, lassen sich auf eine kleine Zahl von Haupttypen reduzieren:
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1 Da sich der Seinssprung tatsächlich ereignet und durch die Menschheit als historisch zu höheren Formen der Existenz in Wahrheit fortschreitend endeckt wird, wird die Beziehung zwischen diesem verstehbaren Fortschreiten der Menschheit und dem Sinn konkreter menschlicher Existenz problematisch.
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Folglich gibt der Sinn der Geschichte nicht die Antwort auf die Frage nach dem Sinn im menschlichen Leben. Vom Fortschritt in der Geschichte werden wir auf den Fortschritt der Pilger zur gnadenhaften Vollendung im Tode zurückverwiesen. Die Bestimmung des Menschen liegt nicht in der Zukunft, sondern in der Ewigkeit. ... Die Relation zwischen persönlicher Vollendung und der Partnerschaft in Vollendung der Menschheit ist ein Mysterium.
()
2 wenn Israel im Reiche Gottes seine Freiheit erlangt, wird die pharaonische Ordnung zum Haus der Knechtschaft. Auf dieselbe Weise degradieren auch die hellenischen Dichter und Philosophen von Hesiod bis Platon die Vergangenheit; durch den Seinssprung zur aletheia, zur Wahrheit der Existenz, wird der alte Mythos zum pseudos ...
()
4 Eine Analyse, die kritisch sein will, muß die Tatsache anerkennen, daß die Wahrheit über die Seinsordnung aus der Ordnung der Geschichte hervorgeht. Der Logos der Geschichte selbst gibt uns die Instrumente für die kritische Prüfung und für die Bestimmung der Rangordnung der autoritativen Strukturen an die Hand. Denn ohne den Seinssprung,

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Seinssprung, Israel, Antike, Moderne, Geschichtstheologie, Panaitios, Poseidonius, Auserwähltheit

Kurzinhalt: Problem aufeinanderfolgender und paralleler Seinssprünge, Neuheit. Dentdeckung u. Widerstand, Israel: Universalität - Auserwähltheit

Textausschnitt: () In Israel ergaben sich die Geschichtsprobleme mit der Entstehung des Auserwählten Volkes in Opposition zur Pharaonischen Ordnung. Sie fanden innerhalb Israels ihre Fortsetzung im Widerstand der Propheten gegen das Gesetz sowie im Seinssprung bei Deutero-Jesaja, ... Lediglich gegen Ende taucht bei Deutero-Jesaja etwas wie eine theoretische Behandlung des Problems auf: eine Theologie der Geschichte, in der die Welt, Israel und die Erlösung als die aufeinanderfolgenden Akte göttlicher Schöpfung und Offenbarung konstruiert werden.
()
In Hellas, mit seinen verschiedenartigen Übergängen vom Mythos zur Philosophie wurde zuerst der alte Mythos als falsch von der neuen Wahrheit der mythischen Spekulation Hesiods abgesetzt; dann wurden sowohl der alte Mythos als auch die Spekulation Hesiods als falsch im Vergleich mit der Wahrheit der Philosophie erkannt; bis schließlich Platon das neue Konzept theologischer Typen entwickelte, an denen der Grad von Wahrheit und Unwahrheit in der Darstellung der Beziehung des Menschen zu Gott zu messen war.
()
Die Neuheit der Entdeckungen, der Widerstand einer feindlichen Umwelt, die regionale Isolierung in verhältnismäßig kleinen Gemeinschaften, der Kontrast zwischen der repräsentativen Bedeutung der Wahrheit und ihrer geringen sozialen Auswirkung ... all das schuf eine Situation, in der Entdeckerfreude und Wahrheitseifer den Mühen Gehör zu finden und dem Kampf gegen die Trägheit menschlicher Natur erlagen. In der Bitterkeit dieses Kampfs ums Dasein mußte der Akzent stärker auf den Unwahrheitscharakter der Vergangenheit als auf ihren Charakter einer Vorbereitung auf die neue differenzierte Wahrheit fallen.
()
daß der Bruch mit der kosmologischen Ordnung als solcher nicht so radikal wie der emotionale Schock massiv war, den schon der teilweise Bruch auslöste. In Israel erkannte man nur allmählich, daß die Ordnung menschlicher Existenz unter Gott in der Tat eine universale Ordnung der Menschheit war und deshalb nicht adäquat durch die Konstituierung eines Auserwählten Volkes auf einem bestimmten Territorium repräsentiert werden konnte.
()
In Hellas fand Platons Verständnis der historischen Epoche, die durch die Philosophie geschaffen worden war, seine Grenze durch den Mythos der kosmischen Zyklen.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Paulus, Christentum, Gesetz, Israel, Sünde, Gesetz

Kurzinhalt: entscheidenden Änderung: Erscheinen Christi; Gesetz als Bedingung für d. Glauben; 3 Stufen bei Paulus,

Textausschnitt: () Zu einer entscheidenden Änderung in dieser Situation kam es durch das Erscheinen Christi. In den Briefen von Paulus, besonders im Brief an die Römer, stoßen wir zum ersten Mal auf ein tiefgreifendes Verständnis der wechselseitigen Teilnahme des Menschen am Vordringen der Menschheit zur Wahrheit und der Menschheit an der Wahrheit von jedermanns Existenz. Das Gesetz Israels und der Juden ist für Paulus keineswegs eine bloße Vergangenheit, die nunmehr durch den Glauben ersetzt wird, sondern gerade die Bedingung für die Ausdehnung der göttlichen Gnade durch Christus. Denn Gnade wird nun auch auf den Sünder ausgedehnt; nur wenn der Mensch sich seiner Existenz in der Unwahrheit der Sünde bewußt ist, nur wenn er seines Todes gewahr wird, befindet er sich auf dem Weg zum Leben; und dieses Bewußtsein des Todes in der Sünde wird geweckt, wenn sich der Mensch außerstande sieht, das Gesetz zu erfüllen.
()
Dem Höhepunkt der Offenbarung, dem Eintritt Gottes in die Geschichte durch die opferbereite Annahme menschlicher Gestalt, folgte eine plötzliche Luminosität des spirituellen Lebens des Menschen. Drei Stufen werden von Paulus unterschieden:
(1) Die dunkle Existenz vor dem Gewahrwerden der Unwahrheit der Existenz. 'Ich lebte einst ohne Gesetz (nomos)' Röm. 7,9). (60; Fs)
(2) Das Bewußtsein der Existenz in Unwahrheit. 'Sobald aber das Gesetz (entole) kam, lebte die Sünde auf und ich verfiel dem Tode' (7,9-10).
(3) Die Wiedererweckung durch den Glauben. 'Denn das Gesetz des Geistes, der das Leben in Christus Jesus gibt, hat mich befreit vom Gesetz der Sünde des Todes' (8,2).

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Paulus, Prädestination, Gesetz, Sünde, 'Rechtfertigung, Torah, Bund

Kurzinhalt: Probleme aus der paulinischen Einsicht; Dämonismus des Fleisches; Differenzierung de. Erfahrung der Rechtfertigung; Nebeneinander verschiedener Ordnungen (Mysterium)

Textausschnitt: () Die Paulinische Einsicht wirft Probleme auf, die in den Briefen sichtbar, aber nicht bis in alle Konsequenzen durchdacht werden. Während die drei Stufen zeitlich aufeinanderfolgen, heben sie sich doch nicht gegenseitig auf.
()
In seiner Analyse des geistigen Prozesses beschäftigte er sich mit den Motiven der Fortdauer des Gesetzesgehorsams und des ihm korrespondierenden Widerstandes gegen den Glauben. Er fand die Motive im Dämonismus des Fleisches, das glaubt, es könne die eigene Erlösung durch Werke, durch die Einhaltung des Gesetzes, bewirken, und darum die Erlösung durch göttliche Gnade [charis] zurückweist.
()
Wenn Paulus den geistigen Prozeß interpretiert, insbesondere die Beziehung zwischen Gesetz und Sünde, so ergeben sich seine Einsichten aus der Erfahrung seines Glaubens an Christus. Nur im Rückblick, aus der Sicht des einmal erreichten Glaubens, offenbart sich das Alte Gesetz als Führer zum Neuen Gesetz des Geistes; nur wenn sich die Erfahrung der Rechtfertigung durch den Glauben differenziert hat, wird der Gesetzesgehorsam jene differenzierte Bedeutung einer 'Rechtfertigung durch Werke' annehmen, die sie in den Paulinischen Briefen besitzt. Für die Menschen, die ungebrochen in der jüdischen Tradition weiterleben, existieren Probleme dieser Art jedoch nicht. In der kompakten Ordnung des Auserwählten Volkes ist die Torah nicht vom Bund zu trennen; und der Bund ist ein bedingungsloser Akt göttlicher Gnade
()
Das Auserwähltsein Israels basiert nicht auf der Befolgung des Gesetzes, sondern - was Paulus offensichtlich nicht zur Kenntnis nahm - auf dem Akt göttlicher Gnade. Die 'Söhne Gottes' sind schon 'die von Yahweh Erlösten' und brauchen daher zu ihrer Erlösung keinen Sohn Gottes.
()
Daher ist der Widerstand gegen repräsentative Fortschritte der Wahrheit sowie die Fortdauer kompakt geordneter Gesellschaften Seite an Seite mit differenzierteren Ordnungen, ein Teil des Mysteriums der Menschheit, das sich in der Geschichte entfaltet.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Pontifex Maximus Scaevola, theologia tripertita

Kurzinhalt: Hellenen, Römer: sensitiver für die Probleme koexistenter Ordnungen; Konstantin, Theodosius,

Textausschnitt: () Wir können nur das Pattern zweier Ordnungen zur Kenntnis nehmen, die gleichzeitig in derselben Gesellschaft maßgeblich sind und von einer Gruppe philosophischer Herrscher zusammengehalten werden, die in der Öffentlichkeit weiterhin den Kult des Volkes praktizieren.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Seinssprung, 18. Jahrhundert, Bossuet, Voltaire, Spengler

Kurzinhalt: Frage der vielfachen und parallelen Seinssprünge - Ausweitung des historischen Horizontes, praeparatio evangelica, Augustinische Konstruktion, Lösungsversuche

Textausschnitt: () Die Frage der vielfachen und parallelen Seinssprünge stellte sich ein zweites Mal mit der Ausweitung des historischen Horizontes - eine Periode, die im 18. Jahrhundert begann und bis in unsere Gegenwart hineinreicht.
()
Den wuchtigen Schlag gegen die Augustinische Konstruktion wie sie von Bossuet repräsentiert wurde, führte Voltaire 1756 in seinem Essai sur l'histoire generale.
()
das Problem der Menschheit und ihrer Geschichte, weit davon entfernt, durch ein Anwachsen der Zahl der untersuchten Zivilisationen ins Blickfeld zu rücken, verschwindet, wenn keine von ihnen als konstitutiv für die Menschheit kraft des Bewußtseins repräsentativer Humanität anerkannt wird, d. h. kraft ihrer eigenen Existenz in historischer Form. Und die Gnosis des Fortschritts zur Vernunft der Bourgeoisie des 18. Jahrhunderts, die Voltaire an die Stelle der Augustinischen historia sacra zu setzen suchte, konnte zur Interpretation der Phänomene nur unter der Bedingung verwendet werden, daß niemand die fundamentale Frage, wo und wie der Symbolismus einer historischen Menschheit entstanden war, aufwerfen würde.
()
Das Werk einer Revision konnte, zum zweiten, vom Standpunkt der historia sacra aus in Angriff genommen werden. Repräsentative Geschichte konnte über die jüdisch-christliche Heilsgeschichte hinaus ausgedehnt werden, indem man die Teilhabe aller menschlichen Gesellschaften an der Entfaltung des Logos in der Zeit nachweist. Dies wurde von Hegel unternommen.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: historia sacra, Revision, Hegel, atman, brohma, Upanischaden,

Kurzinhalt: Hegel: Offenbarung -> Logos d. Philosphie (Gnosis), Hegelschen Gnosis - Upanishaden, Buddha - Marx, Kompaktheit in die Kompaktheit des Mythos

Textausschnitt: () Das Werk einer Revision konnte, zum zweiten, vom Standpunkt der historia sacra aus in Angriff genommen werden. Repräsentative Geschichte konnte über die jüdisch-christliche Heilsgeschichte hinaus ausgedehnt werden, indem man die Teilhabe aller menschlichen Gesellschaften an der Entfaltung des Logos in der Zeit nachweist.
()
Der schwerwiegende Mangel des Unternehmens und die Ursache seines Scheiterns war der Versuch Hegels, den Logos der Offenbarung auf den Logos der Philosophie zu reduzieren, und den Logos der Philosophie auf die Dialektik des Bewußtseins.
()
Als Betäubungsmittel, das den 'Fortschritt' ermöglichte, dienten die berühmten Identifikationen, die die Spannung zwischen Transzendenz und Immanenz reduzierten: Die Inkarnation war nicht mehr das Mysterium des göttlichen Eintritts in die Geschichte, sondern die Erscheinung der Identität von Gott und Mensch als das Bewußtsein einer Wahrheit in der Welt; Gott und Mensch verschmolzen miteinander im Geist, Offenbarung und Vernunft in der Entfaltung der Idee; Vernunft wurde wirklich, und Wirklichkeit war darum vernünftig.
()
Quelle der Doppeldeutigkeit in der Erfahrung des Bewußtseins, des Subjekts, als der Substanz des Seins. Denn hinsichtlich dieser Erfahrung besteht eine enge Verwandtschaft zwischen der Hegelschen Gnosis und der Spekulation der Upanishaden über die Identität des atman, des Selbst (Bewußtsein, Subjekt) und dem brohma, der überpersönlichen und überweltlichen Realität. Die Operationen mit dem Geist, der ontologisch Gott und Mensch wie auch die Identität der beiden ist, gehört zu einem Spekulationstyp im Medium des kosmologischen Mythos ...
()
Gnosis ist eine spekulative Bewegung innerhalb der Form des Mythos; und die moderne Gnosis ist, wie die Hegelianischen Identifikationen zeigen, ein Rückfall aus der Differenzierung in die prähistorische Kompaktheit des Mythos.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: historia sacra, Revision, Jaspers, Toynbee, Achsenzeit, Geschichtsphilosophie

Kurzinhalt: parallele Heilsgeschichten, Rangunterschiede, Lessings Nathan, Clemens von Alexandria

Textausschnitt: () Es gibt nicht so etwas wie eine nicht-westliche Geschichtsphilosophie. Denn eine Geschichtsphilosophie kann nur dort entstehen, wo Menschheit durch ihre Existenz in der Präsenz unter Gott historisch geworden ist.
()
Denn wenn die Gesellschaften Chinas und Indiens auch zum Bewußtsein eines universalen Menschseins gelangt sind, so hat doch allein die jüdisch-christliche Antwort auf die Offenbarung historisches Bewußtsein geschaffen. Das Programm einer für alle Menschen gültigen Universalgeschichte kann, wenn es durchdacht ist, nur eines von zwei Dingen bedeuten:
()
Fassen wir zusammen: Das Problem vielfältiger und paralleler Seinssprünge läßt sich theoretisch nicht mit der Resignation des 18. Jahrhunderts und der Weisheit von Lessings Nathan lösen.
()
Bei der Behandlung der großen Frage des Eurozentrismus ist es daher ratsam, zwischen seinen phänomenalen und seinen philosophischen Aspekten zu unterscheiden.
()
Die Philosophie von Ordnung und Geschichte ist ein westlicher Symbolismus, weil die westliche Gesellschaft ihre historische Form vom Christentum empfangen hat. Und die Väter des frühen Christentums vermochten diesen Symbolismus zu schaffen, weil sie bei der Artikulation ihrer eigenen Existenzweise auf die israelitischen und hellenistischen Quellen zurückgreifen konnten. Clemens von Alexandria sprach genau dies aus, als er schrieb:

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Max Weber, Epigonentum, Historismus, Klassenkampf, Wille zur Macht, Libido, Zweckrationalität

Kurzinhalt: Stilbruch 1830er, 4 Figuren von Weltrang: Marx, Nietzsche, Freud, Weber; gemeinsame Züge dieser Denker: Perspektive reduzierter Menschlichkeit, Maske, Abneigung gegen den Bürger

Textausschnitt: Die Größe Max Webers
I.

1/4 In der deutschen Geschichte des Geistes ereignet sich, in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts, ein Stilbruch. Vor ihm liegt die Zeit des Idealismus in der Philosophie, der Klassik und Romantik in der Literatur, die mit dem Tod Hegels (1831) und Goethes (1832) endet. Sie kann von ihren geistigen Leistungen her als sinnhafte Periode verstanden und chronologisch umgrenzt werden. Nach ihm beginnt eine Zeit, die so wenig sinnhafte Kontur hat, daß sie kaum als verstehbare Periode des Geistes deutlich wird. Zwar gibt es auch für diese Zeit Kategorien - wir sprechen von der 48er Zeit, von der Zeit der Reichsgründung, von der Wilhelminischen Zeit -, aber sie orientieren sich an den politischen Ereignissen, an dem sinnhaft Äußeren des Machthandelns. Es fehlt an geistiger Erhellung von innen und an Selbstverständnis. Nicht daß die Zeit arm wäre an bedeutenden Leistungen in den Naturwissenschaften, den positiven Geschichtswissenschaften oder in der Erkenntnistheorie - aber im ganzen ist sie negativ gezeichnet als eine des Epigonentums, des Historismus und Relativismus. Und politisch mündet die ominöse Negativität in die Katastrophe des Ersten Weltkrieges, die wieder gefolgt ist von den noch größeren Katastrophen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges. Die Zeit, so will es scheinen, hat kein Antlitz, das vom Geist geprägt wäre. (78; Fs)
2/4 Oder will es nur so scheinen?
Denn gerade in dieser Zeit ohne greifbaren Charakter hat Deutschland vier Figuren von Weltrang hervorgebracht: Karl Marx (1818-1883), Friedrich Nietzsche (1844-1900), Sigmund Freud (1856-1939) und Max Weber (1864-1920). (78; Fs)

3/4 Vier Figuren von Weltrang - das ist nicht gerade wenig. Und es wäre seltsam, wenn aus einer Gesellschaft innerhalb von fünfzig Jahren vier Männer von überragender Statur hervorgingen, ohne daß ihr Auftreten der Ausdruck einer sinnhaft charakterisierbaren Situation wäre. Fragen wir darum: Sind an der denkerischen Haltung dieser Männer nicht Züge zu erkennen, die allen wesenhaft gemeinsam wären? Geben die vier Großen der undurchsichtigen verschwommenen, epigonischen Zeit nicht eine Signatur, durch die sie zu einer verstehbaren Periode des Geistes würde?
Die Frage ist zu bejahen, denn ihr Denken läßt in der Tat gemeinsame Züge erkennen. (79; Fs)

4/4 Vor allem sind sie einig darüber, daß der Mensch und sein Handeln aus der Perspektive der Macht, des Kampfes und des Trieblebens zu verstehen sind. Ihr Interesse konzentriert sich auf die Schicht der Existenz, die in der klassischen und christlichen Ethik unter den Titel der passiones, der concupiscentiae, der libidines fiel; die von Hobbes zur Natur des Menschen erklärt worden war; und die jetzt, nach der Zerstörung der klassischen Ethik durch den deutschen Idealismus, im Klima der Verlassenheit von Vernunft und Geist sozial dominant wird. Ein solcher Versuch, den Menschen aus der Perspektive reduzierter Menschlichkeit zu deuten, erfordert neue Symbole. Die vier Denker werden darum zu Sprachschöpfern und propagieren ein neues Reich der Ausdrücke, das mit ökumenischem Erfolg die Sprache der Philosophie verdrängt: Marx den Klassenkampf, Nietzsche den Willen zur Macht, Freud die Libido, Max Weber die Zweckrationalität des Handelns als die Ananke der Politik und Geschichte. - (79; Fs)

5/4 Zum zweiten: Ihnen allen ist das Bemühen gemeinsam, die Werte als Masken für Interessen, Kampf und Triebleben zu enthüllen. Das Unternehmen der Demaskierung wieder erfordert zwei Serien von Ausdrücken, deren Korrelation bis heute wenig beachtet wird. Erstens bedarf es der Symbole, durch die Vernunft und Geist zu Masken der Triebsphäre werden. Wir hören darum von der Ideologie, die klassen- und situationsbedingt sei; von der Kultur als dem Überbau über den Produktionsverhältnissen; von der ethischen Begründung des Handelns als einer Rationalisierung von Wünschen und Interessen; und vom Geist als der Sublimierung der Triebe. Korrelativ zu der ersten muß jedoch die zweite Serie entwickelt werden, die bestimmt ist, die rationale Sprache der Güter- und Tugendlehre in Ethik und Politik zu verdrängen. Ich spreche von der Praseologie [sic] der Werte, der Werturteile jenseits rationaler Prüfung, der wertbeziehenden Methode und der wertfreien Wissenschaft. Ohne die gewollte Undurchsichtigkeit dieser zweiten Serie von Symbolen gäbe es nichts zu enthüllen. Denn in der Sprache der Philosophie sind die Motivationen des Handelns durch die Leidenschaften ebenso durchsichtig wie die Orientierung des Handelns durch Liebe zum göttlichen Sein.- (79f; Fs)

6/4 Zum dritten: Ihnen allen ist gemeinsam die Abneigung - man darf sagen: der Haß - gegen den Bürger in seinen Spielarten vom Finanz- und Industriebürger bis zum kleinen Spießbürger, sowie gegen die bürgerlich-verklemmte Eigentums- und Sexualmoral. Und diesem Haß wieder korrespondiert ein Aristokratismus der Haltung, der sich gegen die geistige und intellektuelle, und damit sittliche Verrottung der Zeit auflehnt. (80; Fs)

7/4 Wenn aber die angedeuteten Züge als gemeinsame zu erkennen sind, warum werden die vier Männer nicht als die Figuren erkannt und anerkannt, die der Zeit ihre Signatur geben? Warum sprechen wir nicht von einer Periode, die, durch sie charakterisiert, der Periode des deutschen Idealismus, der Klassik und Romantik folgt? Oder genauer: Warum fehlt uns der sprachliche Ausdruck zur Bezeichnung einer Periode, die zweifellos erkennbare Charakteristika hat? (80; Fs)

8/4 Die Antwort ist im Anti-Rationalismus der sprachlichen Neuschöpfungen zu suchen. Zwar sind die gemeinsamen Züge - die Konzentration auf die sozial dominant gewordene Sphäre der concupiscentiae, die Abneigung gegen die verhüllend-undurchsichtigen Werte, und der Aristokratismus der Haltung - als Reaktion auf den Verfall der Zeit zu erkennen, aber das reaktive Verhalten aus dem Geist der Platonischen andreia findet nicht die ihm angemessene Sprache - die Zeit ist so tief verrottet, daß sie auch die Erfahrung der Vernunft und des Geistes und deren Symbolik diskreditiert hat. (80f; Fs)

9/4 Der geistig-reaktiven Haltung, die wir in jedem der vier Fälle finden, korrespondiert darum keine gemeinsame Sprache, in der die Gemeinschaft der Haltung artikuliert und mitgeteilt werden könnte. Jeder entwickelt eine Sondersprache als Ausdruck seiner spezifischen Reaktion und vergrößert dadurch die Sprachverwirrung, die durch den Verlust der philosophischen Sprache entstanden war und nur durch ihre Wiederherstellung behoben werden konnte. Da der Sumpf der Zeit auch die sprachlichen Mittel der Kritik in sich hinabgesogen hatte, war die Zeit stärker als die Stärksten, die versuchten ihr Widerstand zu leisten. Das reaktive Verhalten wird infolgedessen eigentlich zwittrig: Es will die philosophisch-kritische Distanz zur Zeit herstellen, aber zur Durchführung der Intention fehlt es an der philosophischen Distanz; es will den Kampf gegen den Verfall der Zeit führen, aber es muß ihn in der Sprache des Verfalls führen. Der Zwittrigkeit dieser distanzlosen Distanz dürfte der Zug von aggressiver Selbstgewißheit und Selbst-Darstellung entspringen, der uns bei den vier kämpferischen Denkern gegen die Zeit heute als merkwürdig berührt. Keiner von ihnen scheint von Mißtrauen gegen sich selbst und sein Werk geplagt gewesen zu sein - von jener Malaise des Mißtrauens, die den souveränen Denker auszeichnet. (81; Fs)

10/4 Die reaktive Haltung ohne geistige Artikulation bedingt die Sondersprachen und diese wieder machen die Leistung der vier Denker gedanklich undurchsichtig. Weder können die gemeinsamen Züge in der Sprache eines von ihnen dargestellt werden - wir können nicht das Werk der jeweils anderen in der Sprache von Marx, Nietzsche, Freud oder Max Weber verständlich machen -, noch wird das Werk jedes einzelnen von ihnen transparent, wenn wir uns zur Deutung seiner eigenen Sprache bedienen. Die Pluralität der privaten Sprachen des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts mußte erst durch die Wiederherstellung der öffentlichen Sprache des Philosophierens überwunden werden, um die gemeinsamen Züge der Verfallszeit und der Auflehnung gegen sie für die Vernunft verständlich zu machen. Mit der Wiederherstellung der Gemeinsprache aber klärt sich das Periodenproblem der Zeit, die keine besaß, insoferne als es wieder möglich wird, den Verfall der Zeit aus der Distanz der Vernunft und des Geistes kritisch zu bewältigen. Durch die neue Situation, in der wir die Dominanz der Macht, des Kampfes und des Trieblebens nicht mehr in ihrem eigenen Vokabular hinnehmen müssen, konstituiert sich eine neue Periode. Von ihr rückblickend wird die Zeit des Verfalls und der reaktiven Haltungen ihrerseits zu einer verstehbaren Periode des Geistes. (81f; Fs)

11/4 Eingangs wurde von dem Stilbruch in der deutschen Geschichte des Geistes gesprochen. Abschließend sei dieser Punkt noch einmal berührt, um einem möglichen Mißverständnis vorzubeugen. Denn der Stilbruch darf nicht als ein Bruch in der Kontinuität des Geistes und seiner Geschichte verstanden werden. In der sinnhaft verständlichen, glanzvollen Periode des deutschen Idealismus, der Klassik und Romantik wird die undurchsichtige, nur schwer charakterisierbare Zeit, die nachfolgt, vorbereitet. Auch die Zeit des Glanzes war daher vielleicht nicht ganz so glanzvoll, wie sie dem Bürgertum der Nachzeit auch heute noch erscheint. Aber diese Frage können wir hier nicht mehr als andeuten. Wir haben uns mit der Periode der vier Großen zu befassen, und mit der Stellung Max Webers in ihr. (82; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Realitätserfahrung, immanent, imago Dei u. hominis, Entmenschung, Ewigkeit -> Spiel, Friktion

Kurzinhalt: Stilbruch 1830er, Realitätsakzent auf dem immanenten Sein, Ausfüllung d. Leerstelle mit Symbolen d. 2. Realität, ästhetisches Spiel, Masken d. Transzendenz, Bruchstellen zw. Scheinrealität und Wirklichkeit

Textausschnitt: 12/4 Charakterisieren wir die Periode näher.

Wir bemerken in ihr eine merkwürdige Verlagerung des Akzentes in der Vorstellung von dem, was Realität ist. Die Realität der Vernunft und des Geistes, die sich in den noetischen und pneumatischen Erfahrungen erschließt, verblaßt; und von ihr weg verlagert sich der Akzent auf die Erfahrung von der Welt der Dinge in raum-zeitlicher Existenz. Das hat verschiedenartige Folgen - teils bedenkliche, teils erfreuliche. Bedenkliche in der Periode selbst, insoferne als alle Realität, die nicht die Seinsweise weltimmanent existierender Dinge hat, zu Nicht-Realität absinkt; erfreuliche für uns in der neuen Situation des Philosophierens, insoferne als die energische Beschränkung des Ausdrucks Existenz auf den Seinsmodus weltimmanenter Dinge durchaus in der Richtung exakter Begriffsbildung liegt und daher angenommen werden sollte. Wir gewinnen dadurch die Freiheit, von den Bereichen der Vernunft und des Geistes mit Präzision als von nicht-existenter Realität zu sprechen. Jedenfalls scheint uns diese Ausdrucksweise sachlich klarer als der Versuch Heideggers, den Ausdruck Existenz für das transzendierende Dasein des Menschen in Anspruch zu nehmen und weiter mit dem Problem der Geschichtlichkeit zu verbinden, denn dieser Versuch eines Kompromisses wird weder den innerweltlich existierenden Dingen, noch unseren Erfahrungen von Transzendenz, noch der Geschichte gerecht. (83; Fs)

13/4 Aber bleiben wir bei unserer Periode. In ihr verlagert sich der Realitätsakzent auf immanentes Sein und für diesen Bereich monopolisiert sie die Ausdrücke Wissenschaft und Erfahrung; Erfahrungswissenschaft wird zur Wissenschaft von weltimmanenten Dingen. Was dagegen die nicht-existente Realität von Vernunft und Geist betrifft, so werden die Symbole der Philosophie und der Offenbarung, in denen sich die Erfahrungen von Transzendenz auslegen, undurchsichtig für ihren Erfahrungsgehalt; und die wachsende Undurchsichtigkeit wieder ist bedingt durch Atrophie der Erfahrung im Sinne des Versagens des meditativen Interesses und der Energie zur Artikulierung der nicht-existenten Realitätsbereiche. Es gibt keine lebendige Meditation mehr und die Sprache der Vernunft und des Geistes verdunkelt sich daher zu den berühmten Werturteilen, die von der Position innerweltlicher Existenz gesehen keine Basis in kritischer Erfahrung haben. Die episteme im klassischen Sinne ist tot. (83f; Fs)

14/4 Aber wenn auch das Leben des Geistes zu aufgeklärter Vernunft, zu bürgerlicher Moral und zu liberalen oder nicht-liberalen Weltanschauungen absinkt, und wenn auch die Symbole der Transzendenz schwere Deformationen ihrer Bedeutung erleiden und diskreditiert werden, so ändert sich durch diese Vorgänge nichts an der Seinsordnung selbst. Auch wenn Hegel, Marx und Nietzsche Gott noch so gründlich ermorden und für tot erklären, so bleibt göttliches Sein ewig und der Mensch hat weiter mit seinem Leben fertig zu werden, das im Zeichen der Kreatur und des Todes steht. Wenn konkupiszente Phantasie die Akzente der Realität verlagert, dann überlagert sie die Realität mit einem falschen Bild. Von diesem Phantasiebild sprechen wir als der zweiten Realität. Und wenn der Mensch in dieser zweiten Realität zu leben, wenn er sich aus der imago Dei in eine imago hominis zu verwandeln sucht, dann ergeben sich Konflikte mit der ersten Realität, deren Ordnung weiter besteht. Charakteristisch für die Periode sind daher die Phänomene der Friktion zwischen zweiter und erster Realität - wenn sie auch in ihren Anfängen weiter zurückgehen. Für uns sind vor allem die Friktionen von Interesse, die an der Bruchstelle zum diskreditierten und für nicht-real erklärten Bereich der nicht-existenten Realität der Vernunft und des Geistes auftreten. Ich zähle einige dieser Phänomene auf: (84; Fs)

(1) Da die nicht-existente Realität nicht abgeschafft werden kann, muß die Leerstelle, die im Gefolge ihrer Diskreditierung entsteht, durch Symboliken der zweiten Realität aufgefüllt werden. Unter anderen Phänomenen dienen diesem Bedürfnis die innerweltlichen Apokalypsen der Geschichte, die von Kant, Condorcet, Comte und Marx geschaffen wurden. Da die neuen Geschichtsbilder ihren Ursprung in der innerweltlichen Konkupiszenz des Handelns haben, gehören zu ihnen auch wesentlich der progressive und revolutionäre Aktivismus sowie das revolutionäre Bewußtsein. (84f; Fs)

(2) Mit dem Absinken nicht-existenter Realität zu Nicht-Realität entsteht das Phänomen der Desillusionierung, sowie das Gefühl der Verpflichtung, das Leben ohne Illusionen der Transzendenz zu führen. Die Leugnung des Geistes bringt das Leiden an der Gottverlassenheit hervor. Denken wir an das Leiden Nietzsches, der am Beispiel Pascals erfahren hat, was Glaube heißt, aber sich seiner Disziplin nicht unterwerfen wollte. (85; Fs)

(3) Die Leugnung der nicht-existenten Realität des Transzendierens zu göttlichem Sein zerstört die imago Dei. Der Mensch wird entmenscht. Das Leiden an der Sinnlosigkeit eines gottverlassenen Daseins führt zu Ausbrüchen konkupiszenter Phantasie, zu der Groteske der Schöpfung eines 'neuen Menschen' - des Übermenschen bei Marx und Nietzsche. (85; Fs)

(4) Da Aussagen über das Mysterium des Seinsgrundes nicht mehr als Exegese noetischer und pneumatischer Erfahrung auftreten dürfen, werden sie bei Nietzsche zu Masken des weltimmanenten 'tiefen Geistes'. Die Suche nach dem Sinn des Lebens degeneriert zu ästhetischen Operationen mit Symbolen der Transzendenz, zu einem Spiel mit Masken von unverbindlicher Verbindlichkeit. Über den Fall Nietzsches hinaus wäre im allgemeinen zu sagen: Die innerweltlichen Phänomene von Macht, Kampf, Trieben, Klasse, Nation und Rasse werden mit dem Sinn nicht-existenter Realität beladen und dadurch zu Masken der Transzendenz. Wir bemerken als charakteristisch das Phänomen eines die Transzendenzproblematik aufnehmenden, verzweifelten Ja-sagens zum innerweltlichen Spiel des Lebens, das mit einem Sinn belastet wird, den es in der Tat nicht hat. Nietzsche formuliert diese Belastung in einem brillanten Diktum. Er spricht von dem lebensbejahenden Menschen, 'der sich nicht nur mit dem, was war und ist, abgefunden und vertragen gelernt hat, sondern es so wie es war und ist wieder haben will, in alle Ewigkeit hinaus, unersättlich da capo rufend, nicht nur zu sich, sondern zum ganzen Stück und zum Schauspiele, und nicht nur zu einem Schauspiele, sondern im Grunde zu dem, der gerade dieses Schauspiel nötig hat - und nötig macht: weil er immer wieder sich nötig hat - und nötig macht - Wie? Und dies wäre nicht - circulus vitiosus deus'?' Die göttliche Ewigkeit wird in ein immerwährendes, sich wiederholendes Spiel der Immanenz transponiert. Die Verborgenheit des Grundes wird zur Oberfläche des Spiels und in die Verborgenheit rückt der Mensch, der es spielt. Aber ist er noch Mensch? Denn 'alles was tief ist, liebt die Maske'; und die Gegensätze und Widersprüche der Masken sind 'die rechte Verkleidung für die Scham eines Gottes'. In der Tat: circulus vitiosus deus. Das Spiel der Masken, das der Gott-Mensch Nietzsches spielt, tritt an die Stelle von Platons 'ernstem Spiel' des Lebens. (85f; Fs)

Kommentar (vom 07/12/2008): Gehört zu diesem Spiel nicht auch in einem weiten Sinn das Wittgenstein'sche Spiel dazu und all das Bemühen den Strom des "Neuen" im Fluss zu halten?

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Weber, Illusionslosigkeit, Rakete, Höhlengleichnis, Verantwortungsethiker, Gesinnungsethiker

Kurzinhalt: Weber: keine Ideologie; Erschöpfung und Zusammenbruch, keine Ausflüchte, aber auch keine Erlösung in der Offenheit zur Transzendenz, Todsünden der Distanzlosigkeit

Textausschnitt: () Die Realitäten der Industriegesellschaft und ihres Rationalismus, der Massengesellschaft und ihrer rationalen Verwaltung durch Bürokratien, werden zu einem Tunnel immanenten Geschehens, aus dem niemand entkommen kann. Und es gibt kein Entkommen, weil die Praxis des Lebens keine Dimension der vita contemplativa hat. Das Leben der Vernunft ist zur Nicht-Realität abgesunken ...
()
Für Weber gibt es keinen 'Übermenschen', keine 'Illusion'. Sein Vokabular besteht aus Ausdrücken wie 'Entzauberung der Welt', 'Entgöttlichung'; seine Schriften sind geprägt von der Resignation, daß die großen Zeiten der Offenheit des Geistes und der Prophetie vorüber sind, daß wir nicht mehr in einer Zeit der Prophetie leben ...
()
Fassen wir die Charakterisierung zusammen: Für Weber ist - im Unterschied zu anderen - das radikale Ernstnehmen der innerweltlichen Situation charakteristisch. Weber erlaubt sich keine Ausflüchte aus der Ananke des Handelns in der Welt. Trotzdem - oder gerade deshalb - leidet er an der falschen Haltung ...
()
Die letzte Sinnlosigkeit, die Kants 'Befremden' erregte, kann nur gelöst werden durch die Offenheit für Transzendenz als der Sinnöffnung des Lebens. Sie liegt nicht in der Welt.
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'Irgendwann finde ich schon ein Loch, aus dem ich wieder in die Höhe sause.' Das ist die Symbolik des Aktivisten, der in der Nacht sitzt, aber als Aktivist wie eine Rakete durch ein Loch aus der Höhle wieder in die Höhe saust. Man betrachte daneben das platonische Höhlengleichnis
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Er versteht, worum es geht, aber ihm selber ist es aus einer letzten Unmöglichkeit versagt, die Verschlossenheit zu durchbrechen und wieder in die Transzendenz-Offenheit zurückzukehren. Man könnte dies für die gesamte Problematik der Gesinnung des Verantwortungsethikers durchführen.
()
Lassen Sie mich abschließend auf noch einen Punkt hinweisen: Da Weber durchaus ein transzendenzbewußter Mensch war - wenn auch nicht offen dafür und nicht artikuliert in seiner Sprache, mußte er als Wissenschaftler alles das, was an Sinngehalt von der Transzendenzerfahrung, von der Symbolk der Vernunft und des Geistes her interpretiert werden sollte, in innerweltliche Typen umsetzen, d. h, er mußte aus innerweltlichen Sozialprozessen Idealtypen bilden, in denen sich die Ordnung auf den Geist und die Vernunft hin reflektiert. In diesem Zusammenhang ist auch die Bedeutung seines prachtvollen Abschnittes über das Naturrecht zu sehen.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Äquivalenz, Symbol, Wert, Riten, Mythen, Philosophie der Geschichte

Kurzinhalt: Konstante in d. Geschichte: Mensch auf der Suche nach seiner menschlichen Natur und ihrer Ordnung; Äquivalenz von Erfahrungen und Symbolen

Textausschnitt: () Was in der Geschichte der Menschheit unverändert bleibt, sind nicht die Symbole, sondern das ist der Mensch auf der Suche nach seiner menschlichen Natur und ihrer Ordnung. Obwohl dieser Sachverhalt klar und einfach formuliert werden kann, hat er weitreichende Konsequenzen. Denn eine vergleichende Untersuchung, die sich nicht darauf beschränkt, die Symbole als Phänomene zu registrieren, sondern zu den Konstanten der sie hervorbringenden Erfahrung vordringt, kann ja nur an Hand von Symbolen durchgeführt werden, die ihrerseits wiederum von den Konstanten hervorgebracht wurden, ...
()
Das Studium von Symbolen ist ein reflektives Fragen , das die Suche nach der Wahrheit existentieller Ordnung zum Gegenstand hat. Wenn es einmal voll entwickelt ist, wird es zu dem werden, was man traditionell eine Philosophie der Geschichte nennt. ... Das Bestreben, eine Theorie von 'Werten' durch eine Theorie von 'Äquivalenzen' zu ersetzen, markiert den Punkt, an dem das vergleichende Studium von Symbolen dazu gekommen ist, sich zu verstehen als Suche nach der Suche.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Erfahrung, Symbol, scotosis, Dogmatomachie, 'Zeitalter'

Kurzinhalt: terra incognita, deformierte Existenz; Annahme: "kategorial" richtige Ordnung, Symbol: Verlust der Transparenz zur Erfahrung, 1750 - 1950: dogmatische Ideologien; Philosoph: aus Höhle zum Licht

Textausschnitt: () ... was der Philosoph, der sich in diesem Feld bewegt, sieht oder nicht sieht, was er versteht oder nicht versteht, und ob er sich überhaupt in ihm zurechtfindet, hängt von der Art und Weise ab, in der seine eigene Existenz geformt ist durch geistige Disziplin in Offenheit gegenüber der Realität oder deformiert durch unkritische Übernahme von Auffassungen, welche die Realität der unmittelbaren Erfahrung verdunkeln.
()
Geschichte ist nicht ein stetig fließender Strom von Existenz in Wahrheit, sondern sie wird unterbrochen durch Perioden oder sozusagen durchsetzt von Schichten deformierter Existenz. Eine solche Periode oder Schicht von Deformation kann nun auf einen Menschen einen so massiven Druck ausüben, daß er ihm nachgibt und folglich sich selbst deformiert, indem er deformierte Existenz als Muster für wahre Existenz nimmt. Und der Philosoph, ...
()
Die deformierten Bereiche des Feldes bekommen den Status wahrer Realität, während die Bereiche wahrer Existenz durch die Bilderwelt der Deformation verdunkelt werden. Das Ergebnis können wir eine scotosis der Wahrheit nennen. ... Die Symboliken, die durch noetische und pneumatische Erfahrungen in Altertum und Mittelalter hervorgebracht worden waren, hatten ihre Transparenz für die ihnen zugrundeliegende Realität verloren, existentieller Glaube war zum Fürwahrhalten von Lehrmeinungen vertrocknet.
()
Dadurch, daß unser hypothetischer Philosoph das Merkmal des Zeitalters als Merkmal seiner eigenen Existenz übernommen hat, nimmt er an eben dem Akt von Anpassung teil, den ein Philosoph, der seinen Namen verdient, um jeden Preis vermeiden muß. Denn 'Zeitalter' sind sehr schlecht ausgestattet mit Bewußtsein und geistiger Ordnung, sie sind das gesellschaftliche und geschichtliche Feld deformierter Existenz, die, wenn sie einmal der Kontrolle des Bewußtseins entglitten ist, dazu neigt, die Autorität existentieller Ordnung zu usurpieren,

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Existenz, metaxy, Partizipation an Realität, Realität der Symboe?, konstante Struktur?, Selbstreflexion

Kurzinhalt: Konstante in Geschichte: Struktur der Existenz; Struktur des Zwischen, Sprache der Spannung, Grundaussagen über die Existenz, Reflexion auf sich selbst - Subjektivismus,

Textausschnitt: () Existenz hat die Struktur des Zwischen, des platonischen metaxy, und wenn irgendetwas in der Geschichte der Menschheit konstant bleibt, dann ist es die Sprache der Spannung zwischen Leben und Tod, Unsterblichkeit und Sterblichkeit, Vollkommenheit und Unvollkommenheit, Zeit und Ewigkeit; zwischen Ordnung und Unordnung, Wahrheit und Unwahrheit, Sinn und Sinnlosigkeit der Existenz; zwischen amor Dei und amor sui ...
()
Wenn wir diese zusammengehörenden Symbolpaare aufspalten und die Pole der Spannung als unabhängige Gegenstände hypostasieren, zerstören wir die existentielle Realität, ...
()
Was in der Geschichte der Menschheit , d. h. in der zeitlichen Dimension der Existenz konstant bleibt, ist die Struktur der Existenz selbst. Und im Hinblick auf diese konstante Struktur können in der Tat gewisse Aussagen gemacht werden. An erster Stelle steht die grundlegende Aussage: (106f; Fs)
(1) Der Mensch partizipiert am Prozeß der Realität.
(2) Der Mensch hat Bewußtsein von der Realität als einem Prozeß, ...
(3) Indem er mit Bewußtsein partizipiert, kann der Mensch Symbole hervorbringen, ...
(4) Der Mensch weiß, daß die Symbole, die er hervorbringt, Teil der Realität sind, die sie symbolisieren: ...
(5) Realität ist nichts Gegebenes, das man von einem Standpunkt außerhalb ihrer selbst beobachten könnte, ...
(6) Die Erfahrung der Realität kann nie total sein, sondern sie hat perspektivischen Charakter.
(7) Die Erkenntnis der Realität, die durch die Symbole vermittelt wird, kann nie zu einem endgültigen Besitz der Wahrheit werden,
()
Diese Konfrontation mit einem erkennenden Bewußtsein, dessen Erkennnen in sich selbst eingeschlossen ist, führt notwendigerweise zu folgenden Fragen: Können wir wirklich von einer konstanten Struktur der Existenz sprechen und annehmen, daß die Aussagen, die wir gemacht haben, diese Struktur adäquat ausdrücken? Sind nicht die verwendeten Symbole zugegebenermaßen Bestandteil der Struktur, die sie ausdrücken sollen? Gibt es, losgelöst von der Metaphorik dieser Aussagen, überhaupt eine solche Struktur?
()
Die Existenz des Menschen im metaxy von Unvollkommenheit und Vollkommenheit, Zeit und Ewigkeit, Sterblichkeit und Unsterblichkeit ist tatsächlich kein Gegenstand der Sinneswahrnehmung, und die Aussagen eines Bewußtseins, das über seine eigene Partizipationsstruktur reflektiert, sind in der Tat ein Akt der Reflexion auf sich selbst. Aus dieser Lage der Dinge folgt jedoch nicht, daß wir damit in 'Subjektivität' verfallen. Denn der Prozeß der Selbstreflexion, durch den das Bewußtsein für sich selbst durchsichtig wird, ist weder ein Flug der Phantasie, noch sind Symbole, die durch diesen Prozeß hervorgebracht werden, etwa nur noch eine weitere Ideologie oder ein weiterer Entwurf einer 'Zweiten Realität'. Der Akt der Selbstreflexion ist real. Er ist erkennbar auf eine weniger reflektierte Partizipationserfahrung bezogen und auf ihre weniger differenzierte Symbolisierung. Und die Aussagen, die durch diesen Akt hervorgebracht werden, sind erkennbar Äquivalente für die Symbole, die als unbefriedigend erkannt worden waren und deren Mangel an Differenzierung den Akt der Selbstreflexion motiviert hatte. Deshalb können die Aussagen, die aus einem solchen Prozeß der Selbstreflexion hervorgegangen sind, auch objektiv überprüft werden,

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Selbstreflextion, Wahrheitskriterium, logos, methexis, Aletheia, metaxy

Kurzinhalt: äquivalente Symbolisierungen: Symbolik des Partizipierens (Parmenides, Heraklit, Thomas, Hegel)

Textausschnitt: () Das Wahrheitskriterium ist - zugespitzt formuliert - der Mangel an Originalität in diesen Aussagen.
()
Es genügt, an einige äquivalente Symbolisierungen des zentralen Problems zu erinnern, d. h. an die Symbolisierung der Partizipationserfahrung und der Identität und Nicht-Identität des Erkennenden mit dem Erkannten, die sich aus dieser Erfahrung ergibt.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Äquivalenz, Tiefe, Seele, verdunkelte Symbole, renovatio, 'Tod', 'Auferstehung', philomythos, philosophos

Kurzinhalt: Wahrheitskriterium, Äquivalenz: Symbole, Erfahrung; Schicht "unter" der Erfahrung, Vorsokratiker -> Tiefe d. Seele,

Textausschnitt: An erster Stelle muß der Fehler vermieden werden, Erfahrung als ein Absolutum zu hypostasieren. Wenn wir Symbole trotz ihrer Unterschiede als äquivalent auffassen, weil sie, wie wir sagten, erkennbar durch denselben Typus von Erfahrung hervorgebracht wurden, dann droht die Erfahrung der Fixpunkt bei unserer Suche nach Konstanten in der Geschichte zu werden. Diese Lösung des Problems wäre verführerisch, leider aber ist sie unhaltbar. Denn diese konstante Erfahrung müßte artikuliert werden, um als solche identifiziert werden zu können, und sobald sie artikuliert ist, wäre das Ergebnis ein Symbol, das beansprucht, nicht dem Schicksal ausgeliefert zu sein, nichts als eine weitere, historisch äquivalente Wahrheit darzustellen. ... Die Konstante, die es rechtfertigt, von äquivalenten Erfahrungen zu sprechen, muß eine Schicht tiefer gesucht werden als in der Schicht von äquivalenten Erfahrungen, die äquivalente Symbole hervorbringen.
()
Diese tiefere Schicht ist in der Tat von Denkern wahrgenommen worden, welche sorgfältig diejenigen Prozesse beobachteten, durch die sie zu differenzierteren Erfahrungen gelangten, welche dann wiederum differenziertere Symbole hervorbrachten, als sie zu ihrer Zeit verbreitet waren. In noch kompakter Form ist diese Tiefe gegenwärtig in den Aussagen der Vorsokratiker über die Identität von Sein und Denken und die Identität des logos der Rede mit dem logos des Seins. Auf einer höheren Differenzierungsstufe hat die Beobachtung des Prozesses Heraklit, Aischylos und Platon dazu veranlaßt, das Symbol einer 'Tiefe' der Seele zu entwickeln, aus der eine neue Wahrheit der Realität zu bewußter Erfahrung heraufgeholt werden kann. Und ihr Symbol der 'Tiefe' ist über eine lange Kette von Äquivalenten als Einsicht bewahrt worden bis hin zu den zeitgenössischen Tiefenpsychologien und den Psychologien des Unbewußten. Diese Tiefe der Seele wird jedoch von den hellenischen Denkern als eine Tiefe erfahren, die jenseits aller artikulierbaren Erfahrung liegt.
()
Ein Abstieg in die Tiefe wird notwendig, wenn das Licht der Wahrheit trübe geworden ist, und die Symbole allmählich ihre Glaubwürdigkeit verlieren; wenn die Nacht auf die Symbole herabsinkt, deren Zeit abgelaufen ist, muß man zu der Nacht der Tiefe zurückkehren, die von Wahrheit hell erleuchtet ist für den Menschen, der bereit ist, nach ihr zu suchen.
()
Die Rückkehr aus der Tiefe mit einer neu erfahrenen Wahrheit wird dann symbolisiert als renovatio in dem doppelten Sinn von Erneuerung der Wahrheit und Erneuerung des Menschen. Der neue Mensch kann die Erneuerung der Realität und der Wahrheit mit solcher Intensität erfahren, daß nur die Symbole 'Tod' und 'Auferstehung' sie adäquat ausdrücken können.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Seele, psyche, Realität, Bewusstsein, Primärerfahrung, Timaios

Kurzinhalt: Grundsätze über die Erkundung in der Tiefe, psyche - Bewußtsein, Realität; Ergebnisse aus den Erkundungen in d. Tiefe -> Verbindung mit primären Symbolen, Vergleich mit ursprüngl. Erfahrung

Textausschnitt: () Das Ergebnis dieser Erkundung in der Tiefe kann in Sätzen wie den folgenden ausgedrückt werden:
Es gibt eine psyche, die tiefer hinabreicht als das Bewußtsein, und es gibt eine Realität, die tiefer hinabreicht als die Realität, die wir erfahren, aber es gibt kein Bewußtsein, das unter unser Bewußtsein hinabreicht.
Oder:
()
Wir erfahren psyche als Bewußtsein, das in die Tiefe der eigenen Realität hinabsteigen kann, und die Tiefe der psyche als Realität, die zum Bewußtsein emporsteigen kann, aber wir erfahren keinen anderen Inhalt der Tiefe als den, der in unser Bewußtsein eingetreten ist.
Oder:
()
Mit Bewußtsein erfahren wir psyche als eine Realität die über die Grenzen des Bewußtseins hinausreicht. Der Bereich 'jenseits' dieser Grenzen ist von derselben Natur, wie die Realität des Bewußtseins. Diese zwei Bereiche sind zudem ein Kontinuum psychischer Realität, in dem der Mensch sich bewegen kann durch die aktiven und passiven Prozesse, die als 'Abstieg' und 'Aufstieg' symbolisiert werden.
Analytisch kann man über Aussagen dieser Art nicht hinausgehen ... Dennoch vermittelt die Erkundung in der Tiefe Ergebnisse, die darüber hinausführen, wenn man die Einsicht, die in den genannten Aussagen zum Ausdruck kommt, mit der substantiellen Wahrheit der Realität vergleicht und verbindet, die im Bewußtsein gegenwärtig ist. Das in der ursprünglichen Erfahrung gegebene Realitätsfeld ist die Gemeinschaft von Gott und Mensch, von Welt und Gesellschaft. () wird er die Realität der Tiefe nicht mit irgendeinem der Partner in der Gemeinschaft identifizieren, sondern mit der zugrundeliegenden Realität, die sie zu Partnern in einer gemeinsamen Ordnung macht, d. h. mit der Substanz des Kosmos. Dies war Platons Antwort auf diese Frage im Timaios.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: anima mundi, kosmos, psyche, eikos mythos, Timaios, Symbol 'Tiefe'

Kurzinhalt: anima mundi: philosophischer Mythos, pistis; Ende des Weges: erste Einsicht der Suche; Äquivalenz zw. alter und neuer Wahrheit, circulus vitiosus

Textausschnitt: Die anima mundi ist ein philosophischer Mythos: Dieser artikuliert weder die Erfahrung des primär gegebenen Feldes, noch die Erfahrung der psyche, sondern er ist das Ergebnis einer imaginativen Verschmelzung von Einsichten, die getrennt voneinander durch diese zwei Typen von Erfahrung gewonnen worden sind.
()
das Vertrauen in die zugrundeliegende Einheit der Realität, in die Kohärenz, Dauerhaftigkeit und Konstanz ihrer Struktur, ihrer Ordnung und ihrer Erkennbarkeit, dieses Vertrauen wird das Hervorbringen von Bildern inspirieren, welche die geordnete Ganzheit ausdrücken, wie sie in der Tiefe empfunden wird. Das wichtigste dieser Bilder ist das Symbol kosmos selbst, dessen Entwicklung in der Geschichte mit der des Symbols psyche parallel läuft.
()
Denn die Tiefe ist weder ein 'Objekt', das inhaltlich beschrieben werden könnte, noch ist sie ein leeres Areal, gut geeignet als Schuttabladeplatz für das psycho-analytische Unbewußte; sie ist auch nicht der Sitz einer Autorität, den ein Denker okkupieren kann, der mit Donnerstimme ein System etablieren will; und schließlich ist sie auch nicht die Art von Dunkelheit, die dem Denken die Qualität 'tiefsinnig' oder 'unergründlich' im gewöhnlichen Sinn verleiht.
()
Daß die Suche das Ende ihres Weges erreicht hat, ist die erste Einsicht, die sich aus dem Weg hinab ergibt. Es ist da eine Tiefe unterhalb des Bewußtseins, aber nicht eine Tiefe unterhalb der Tiefe in unendlichem Regreß. Da aber die Tiefe keine andere Wahrheit als die äquivalenten Erfahrungen des primär gegebenen Realitätsfeldes hervorbringt, müssen wir die Suche nach einer substantiellen Konstante der Geschichte, die nicht den Status eines Äquivalents hätte, als Irrweg aufgeben.
()
daß die psyche des Menschen einen Realitätsbereich darstellt, dessen Struktur sich kontinuierlich von der Tiefe bis zu den Manifestationen des Bewußtseins erstreckt. Es gibt weder ein autonomes Bewußtsein noch eine autonome Tiefe, sondern nur ein Bewußtsein in kontinuierlichem Zusammenhang mit seiner eigenen Tiefe.
()
Wir werden uns des Prozesses in der Tiefe dadurch bewußt, daß eine Wahrheit auftritt, die auf eine neue Weise differenziert ist, die aber gleichzeitig erkennbar äquivalent ist mit der kompakteren Wahrheit, die sie ersetzen soll.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Anamnesis

Titel: Anamnesis

Stichwort: Aufgage der Geschichte des Geistes; Husserl, Transzendenzerfahrung, Katharis, purificatio

Kurzinhalt: hat die Aufgabe, jede geschichtlich geistige Position bis zu dem Punkt zu durchdringen, an dem sie in sich selbst ruht

Textausschnitt: Eine nicht-mißbräuchliche Geschichte des Geistes hat die Aufgabe, jede geschichtlich geistige Position bis zu dem Punkt zu durchdringen, an dem sie in sich selbst ruht, d. h. in dem sie in den Transzendenzerfahrungen des betreffenden Denkers verwurzelt ist.
()
... die geistig-geschichtliche Gestalt des andern bis zu ihrem Transzendenzpunkt zu durchdringen und in solcher Durchdringung die eigene Ausformung der Transzendenzerfahrung zu schulen und zu klären.
()
Das geistesgeschichtliche Verstehen ist eine Katharis, eine purificatio im mystischen Sinn, mit dem persönlichen Ziel der illuminatio und der unio mystica

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Anamnesis

Titel: Anamnesis

Stichwort: Meditation Descartes, contemptus mundi

Kurzinhalt: Transzendenzerfahrung in der Meditation zum Instrument der Versicherung der Weltobjektivität

Textausschnitt: Der klassische christliche Denker will in der Meditation die Welt nicht erkennen, und darum ist ihm ihre Objektivität kein erkenntnistheoretisches Problem. Descartes befindet sich in der geistesgeschichtlichen Position, die Welt erkennen zu wollen, ohne darum aufzuhören, christlicher Denker zu sein, und darum kann er einerseits die christliche Meditation vollziehen und andererseits eben diese Meditation mit ihrer Epoché der Welt benützen, um sich vom 'archimedischen Punkt' des Transzendenzerlebnisses aus dann wieder auch der Realität der vorher in der Meditation annihilierten Welt zu versichern. ... Ich würde also das Neue an Descartes dahin formulieren, daß das Sentiment [sic] des contemptus mundi dem Sentiment des Weltinteresses gewichen ist und daß darum, aus der Sorge um die Episteme, die Transzendenzerfahrung in der Meditation zum Instrument der Versicherung der Weltobjektivität wird.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Anamnesis

Titel: Anamnesis

Stichwort: Ego cogitans Descartes'; Husserls Interpretation

Kurzinhalt: das Ego als anima animi; Husserls Fehldeutung von Descartes;

Textausschnitt: Was Husserl nicht gesehen hat, ist die dritte Bedeutung des Ego, welche die beiden ersten fundiert, das Ego als die anima animi im augustinischen Sinn, deren intentio nicht auf die cogitata, sondern auf die Transzendenz geht. In der dritten Bedeutung, der anima animi, hat der Prozeß der Meditation seinen primären Sinn; in der Transzendenz der augustinischen intentio ist das Ich simultan seiner selbst und Gottes
()
Die Grenze, über die er nicht hinauskommt, ist die fundierende Subjektivität des Ego: Woher das Ego seine Funktion, aus der Subjektivität die Objektivität der Welt zu fundieren, bekommt, bleibt nicht nur ungeklärt, sondern wird unvermeidlich gar nicht berührt. An die Stelle der höheren Fundierung in der Transzendenzerfahrung tritt die Fundierung in der innerweltlichen Partikularität einer von Descartes gestifteten erkenntnistheoretischen Problematik.
()
Was ein Denker im Rahmen einer bedeutenden, historisch fixierten Problematik leisten kann, ohne originär in die Fundamentalprobleme des Philosophierens zu steigen, hat er gewiß überwältigend geleistet.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Anamnesis

Titel: Anamnesis

Stichwort: Analyse des inneren Zeitbewußtseins; 'Strömen' als ist ein Grenzphänomen

Kurzinhalt: Bewußtseinsstrom, William James, Husserl; Grenzerfahrung des 'Fließens'; Noema und Hyle; Verwechslung zw. Spekulation und Deskription; Transzendenz nicht selbst Bewußtseinsdatum

Textausschnitt: () Ein Zeitbewußtsein ohne Gegenstandsbewußtsein kann wohl nicht beschrieben werden; und der Gedanke drängt sich auf, daß das, was bei Gelegenheit der Tonwahrnehmung beschrieben wird, nicht das Zeitbewußtsein ist, sondern eben das Bewußtsein der Tonwahrnehmung in seiner gegenständlichen Struktur, ...
()
daß man auf die sinnliche Sphäre rekurrieren muß, um das 'Flüchtige' in einem Bewußtsein, in dem es im übrigen keineswegs nur flüchtig zugeht, scharf bewußt zu machen. Das Interesse am 'Fließen' ist das Primäre. Nur von dieser Determinante im Sentiment her ist es zu verstehen, daß das Bewußtsein thematisch auf das Problem seines Flüchtigkeitspunktes konzentriert wird, während es doch eben die Funktion des menschlichen Bewußtseins ist, sich von diesem Flüchtigkeitspunkt zu entfernen, nicht zu fließen, sondern die raum- und zeitlose Welt von Bedeutung, Sinn und seelischer Ordnung zu entwickeln. Die Wendung zum Flüchtigkeitspunkt führt nicht zu einem genaueren Verständnis des Bewußtseins- und Zeitproblems im ganzen, sondern nur zur Einsicht in die Verwurzelung der Bewußtseinswelt in der Leibsphäre. William James, ...
()
Die Zuwendung der Aufmerksamkeit zum Phänomen des 'Strömens' hat in der Geschichte des Denkens im 19. Jahrhundert eine ähnliche Bedeutung wie andere Zuwendungen zur Sphäre der Vitalkräfte, wie Darwinismus, Marxismus und Psychoanalyse. Jede dieser Zuwendungen hat ihr gutes Recht, ...
()
Nicht das Zeitbewußtsein wird im Strom, sondern die Erfahrung des Stroms wird im Bewußtsein - das selbst nicht strömt - konstituiert.
()
Bei den Analysen der sinnlichen Wahrnehmung handelt es sich um den Grenzübergang von der 'Gestalt' der Wahrnehmung zu ihren fundierenden Elementen; diese Elemente aber sind selbst nicht Gestalt, sind nicht Wahrnehmungen, sondern können innerhalb des Bewußtseins nur auftreten als spekulative Gebilde - im übrigen durchaus legitim gebildet -, als Formel für das Hypokeimenon der einfachsten, noch strukturierten Bewußtsemsinhalte.
()
Die Spekulation über den Bewußtseinsstrom kann für die Meditation substituieren, weil auch sie zur Transzendenz führt; beide Prozesse haben die Funktion, das Bewußtsein zu transzendieren, der eine in den Leib, der andere in den Weltgrund; beide Prozesse führen zu einem 'Flüchtigkeitspunkt' in dem Sinn, daß die Transzendenz nicht selbst Bewußtseinsdatum sein kann, sondern daß die Prozesse nur bis zur Grenze ruhren und die instantane Grenzerfahrung ermöglichen, die empirisch wenige Sekunden dauern mag.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Anamnesis

Titel: Anamnesis

Stichwort: Bewusstsein als Kraftzentrum; 'Erhelltseins'; bewusstseinstranszendente Prozesse, Schöpfungsmythus

Kurzinhalt: Ich, Wille als Kraftzentrum (Energiequantum) , Bewusstsein von Vergangenheit u. Zukunft; Erinnerung, finite Erfahrung als Modell einer bewusstseinstranszendenten; Mythos als finites Symbol

Textausschnitt: () Das 'Strömen' ist ein Grenzphänomen; das Bewußtsein als Ganzes strömt nicht. ... Und es ist mir zweifelhaft, ob das Bewußtsein überhaupt die Form des Ich hat oder ob nicht vielmehr das Ich ein Phänomen im Bewußtsein ist. Man braucht die psychoanalytischen Untersuchungen über das Ich und das Es keineswegs in ihren Resultaten zu akzeptieren, um anzuerkennen, daß Freud hier gewisse Grundverhältnisse des Seelenlebens in ihren allgemeinen Zügen richtig gesehen hat.
()
Der positive Ansatzpunkt für die Beschreibung der Struktur des Bewußtseins dürfte im Phänomen der Aufmerksamkeit und der Zuwendung von Aufmerksamkeit zu suchen sein. Das Bewußtsein scheint ein Kraftzentrum zu haben, dessen Energie in die verschiedenen Dimensionen des Bewußtseins gerichtet werden kann, um Prozesse der Konstitution in Gang zu bringen. Diese Energie ist offenbar finit,
()
Dieses Kraftzentrum, was immer seine Natur sei, befindet sich in einem Prozeß, und zwar in einem Prozeß, der nicht von außen zu beobachten ist, wie eine Gestirnbewegung oder der Zerfall eines Kristalls, sondern den Charakter des inneren 'Erhelltseins' hat; d. h. er läuft nicht blind, sondern ist in seinen inneren Dimensionen von Vergangenheit und Zukunft erlebbar. Das Problem von Vergangenheit und Zukunft als Bewußtseinsdimensionen ist wohl zu unterscheiden von der 'äußeren' Vergangenheit und Zukunft.
()
das Mißverständnis, daß es ein Zeitproblem 'an sich' gebe, losgelöst vom Prozeß einer Substanz. Ich erinnere nicht etwas, was 'in der Vergangenheit' liegt, sondern weil ich unter dem Titel 'Erinnerung' - manchmal unter dem Energieeinsatz meiner Aufmerksamkeit, manchmal in weniger durchsichtigen Prozessen von sogenannten 'freien Assoziationen' etc. - meinen abgelaufenen Bewußtseinsprozeß präsent haben kann, habe ich Vergangenheit. Und ich projektiere nicht 'in die Zukunft',
()
Da bewußtseinstranszendente Prozesse nicht von innen erfahrbar sind und da zur Bezeichnung ihrer Strukturen keine Symbole zur Verfügung stehen als die bei Gelegenheit von anderen finiten Erfahrungen entwickelten, ergeben sich Ausdruckskonflikte, die - wenn nicht die einzige - so doch die wichtigste Wurzel der Mythenbildung sind. Ein Mythensymbol ist ein finites Symbol, das für einen transfiniten Prozeß 'transparent' sein soll.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Anamnesis

Titel: Anamnesis

Stichwort: Bewusstsein, Platon: Politeia , Nomos, Problem des adäquaten Mythos

Kurzinhalt: "Bewusster" Mythos, 'Nebenmenschen', Gleichheitsmythen, monosomatische und monopneumatische Konzeption der Menschheit, berith Israel, Entsinnlichung des Mythos durch den Rationalismus

Textausschnitt: () Der Qualitätsunterschied der Mythen zeigt sich ferner daran, daß der erste Mythos emotional fast indifferent ist, während das Marionettensymbol in der Darstellung Platos die 'Schauer' der Transzendenz, das 'Numinose' im Sinne Rudolf Ottos, erregt.
()
Daß das Bewußtsein überhaupt Erfahrung vom Nebenmenschen als Nebenbewußtsein hat, ist kein Problem, sondern ein Erfahrungsfaktum, von dem man ausgehen, hinter das man aber nicht zurückgehen kann. Transzendenzfähigkeit ist ein Fundamentalcharakter des Bewußtseins, ebenso wie 'die Erhellung; sie ist das Vorgegebene.
()
Wir können also sagen: Die umfassendste Prozeßsymbolik, in der das Du als Nebenmensch erfaßt wird, ist die monosomatische und monopneumatische Konzeption der Menschheit, wie sie typisch in der israelitischen Genesis gegeben ist; innerhalb dieser umfassenden Symbolik, ... finden wir dann die Mythen der partikulären Gemeinschaft, die das Menschenbild mehr oder weniger scharf differenzieren, wieder typisch repräsentiert durch die israelitische berith - die Finitisierung der Gemeinschaft in der Partnerschaft mit Gott zum 'auserwählten Volk'.
()
Einen besonderen Aspekt gewinnt dieses Problem im Zusammenhang mit der Tendenz zur Entsinnlichung des Mythos durch den Rationalismus in der westlichen Welt. ... Die Menschen hören natürlich nicht auf. Transzendenzerlebnisse zu haben, aber diese Erfahrungen bleiben stecken im Seelischen des Schauers und der Angst; sie können nicht für die Schöpfung einer Symbolordnung produktiv werden, in der die transfiniten, nicht von innen erfahrbaren Prozesse in der Transparenz des Mythos faßbar gemacht werden. Die gesellschaftsdynamisch wichtigsten Symptome sind die 'Bewegungen' unserer Zeit, zum Teil mit deutlich orgiastischem Einschlag, und die 'großen Kriege':

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Anamnesis

Titel: Anamnesis

Stichwort: Prozeßtheologie, Metaphysik

Kurzinhalt: Interpretation d. Welt als den immanenten Prozeß einer göttlichen Substanz -> einzig sinnvolle systematische Philosophie, Schelling,

Textausschnitt: () In der Prozeßtheologie handelt es sich um die Entwicklung eines Symbolsystems, welches die Beziehungen zwischen dem Bewußtsein, den bewußtseinstranszendenten innerweltlichen Seinsklassen und dem welttranszendenten Seinsgrund in der Sprache eines immanent verstandenen Prozesses ausdrücken soll. Ich bin geneigt zu glauben, daß der prozeßtheologische Versuch, und in seiner Erweiterung: eine Metaphysik, welche das Transzendenzsystem der Welt als den immanenten Prozeß einer göttlichen Substanz interpretiert, die einzig sinnvolle systematische Philosophie ist, weil in ihr zumindest der Versuch gemacht wird, die bewußtseinstranszendente Weltordnung in einer 'verstehbaren' Sprache zu interpretieren, während jede ontologisch anders fundierte Metaphysik zur Unmöglichkeit, die Transzendenz immanent zu verstehen, noch den Widersinn fügt, sie in 'unverständlicher', d.h. nicht an der einzig 'von innen' zugänglichen Erfahrung des Bewußtseinsprozesses orientierter Sprache zu interpretieren.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Anamnesis

Titel: Anamnesis

Stichwort: Krisis, Thanatos, Eros, Dike

Kurzinhalt: Neuanfang aus Krise; 5., 17. Jahrhundert; Unterschied zw. Plato u. Transzendentalphilosophie: Transparenz wird Schein;

Textausschnitt: () Die erste große Krisis, die sich im vollen Lichte der Geschichte abspielte, war die des 5. Jahrhunderts v. Chr., die zur Reaktion in der platonischen Neuschöpfung führte. Der geschichtlich dauernde Wert dieser Reaktion liegt darin, daß Plato die geistige Weite hatte, die ihn befähigte, eine neue geistige Welt - basiert auf die Grunderfahrungen von Thanatos, Eros und Dike - an die Stelle der sterbenden hellenischen Polis-Welt zu setzen; ...
()
daß nicht nur traditionelle Symbolsysteme aufgelöst, sondern daß gleichzeitig auch die Erfahrungs- und Problembereiche, zu deren Ausdruck sie dienten, aus dem Kreis philosophischer Besinnung ausgeschlossen werden. Daß die Transparenz der 'Schein' wird, ist das Schicksal der Symbole in der Geschichte des Geistes; daß die Realität, die sie durchscheinen lassen, wenn nicht geradezu geleugnet, so doch als Motiv des Philosophierens abgelehnt wird, ist ein desperater Schritt, eine Bankrotterklärung der Philosophie.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Apostasie

Titel: Apostasie

Stichwort: Inkubationszeit (zw. Joachim von Fiora / Flora - Luther)

Kurzinhalt: ... die Suche nach einer Natur des Menschen jenseits des Streits der Konfessionen, die sich in dem Versuch ausdrückte, die stoische Idee der Natur als Grundlage für Spekulationen über das Naturgesetz zu verwenden

Textausschnitt: 7b Die Zeit zwischen Joachim von Flora und Luther, das heißt die Zeit von den ersten Regungen des Epochenbewusstseins bis zum Ausbruch der Massenbewegungen auf europäischer Ebene könnte man als eine Periode der gesellschaftlichen Inkubation charakterisieren. Die tatsächliche, mit der Reformation einsetzende Auflösung der mittelalterlichen Institutionen schuf die neuen gesellschaftlichen Fakten einer Pluralität sowohl von Kirchen wie auch von souveränen Staaten. Dieses neue Feld von gesellschaftlichen Fakten wurde nun zu dem Material, mit dem sich die Bewegung der Ideen auseinander zusetzen hatte. In den beiden vorhergehenden Teilen dieser Studie über Unordnung und Stabilisierung* befassten wir uns mit der Periode der Verwirrung und der Festigung, die dem großen Ausbruch folgte. Beginnend mit der Formierung der Kampffronten in der Reformation und Gegenreformation, über die Interventionskriege bis zur Stabilisierung der religiösen Streitfrage durch die Toleranzidee und der weltlichen Streitfrage durch die Idee des geschlossenen souveränen Staates analysierten wir den Rhythmus dieser Periode. Das Nettoergebnis war die wachsende Einsicht, dass die institutionelle Einheit der Christenheit unwiederbringlich zerbrochen war und dass die Pluralität der parochialen Institutionen, die das vielfältige Feld der innerweltlichen gesellschaftlichen Kräfte zum Ausdruck brachte, zur feststehenden Tatsache geworden war. Mit dem Frieden von Utrecht im Jahre 1713 war das Gleichgewicht der Mächte als die politische Verfassung der westlichen Welt akzeptiert worden; das Nachglühen der mittelalterlichen Spannung zwischen dem Reich und den von ihm sich trennenden Staaten erlosch mit dem großen Verzicht Habsburgs und Frankreichs, Europa durch die Kontrolle Spaniens beherrschen zu wollen. (Fs)

8a Die Ausschaltung von Kirche und Reich als öffentliche Mächte wurde durch das Wachstum neuer Gemeinschaftssubstanzen** begleitet, die in ihrer Funktion dahin tendierten, die sich auflösende Substanz der christlichen Menschheit zu ersetzen. Innerhalb der souveränen Nationalstaaten wuchs die Intensität des Nationalbewusstseins merklich an. Die englische Revolution des siebzehnten Jahrhunderts enthüllte erstmals die Stärke des neuen dämonischen Parochialismus. Sie enthüllte beides - sowohl den Glauben an die Nation als das Auserwählte Volk als auch den universalistischen Anspruch, dass die parochiale nationale Zivilisation die Zivilisation schlechthin darstelle. Auf internationaler Ebene konnten wir eine Mannigfaltigkeit von Ideen beobachten, die mit der neuen Situation klarzukommen suchten: eine Idee der Menschheit auf der Grundlage der Annahme einer für alle gleichen menschlichen Natur; eine Idee der Christianitas als die zivilisatorische Einheit des Westens in Opposition zu nichtwestlichen Zivilisationen; Ideen hinsichtlich der Beziehungen zwischen den christlichen Republiken sowie Ideen, die interzivilisatorische Beziehungen betrafen. Und schließlich: die Suche nach einer Natur des Menschen jenseits des Streits der Konfessionen, die sich in dem Versuch ausdrückte, die stoische Idee der Natur als Grundlage für Spekulationen über das Naturgesetz zu verwenden. Die von den mathematisierten Wissenschaften der äußeren Welt entwickelte Idee der Natur beeinflusste die Interpretation des Menschen, und die neue Psychologie der Leidenschaften wurde herangezogen, die generische Natur des Menschen zu bestimmen (Fs)

9a Die Entwicklung zu einer neuen Ordnung der Substanzen hatte damit eine beträchtliche Spannbreite und Dynamik. Nichtsdestoweniger finden wir vor 1700 keine umfassende, die konstituierenden Faktoren der neuen Situation berücksichtigende Interpretation des Menschen in Gesellschaft und Geschichte. Bei diesen Faktoren handelt es sich um den Zusammenbruch der Kirche als der universalen Institution der christlichen Menschheit, die Pluralität der souveränen Staaten als oberste politische Einheiten, die Entdeckung der Neuen Welt und bessere Kenntnisse über die asiatischen Zivilisationen, die Idee einer nichtchristlichen Natur des Menschen als Grundlage für Spekulationen über Recht und Ethik, den Dämonismus der parochialen, nationalen Gemeinschaften sowie die Idee der Leidenschaften als motivierende Kräfte im Menschen. Erst nach 1700 machte sich die kumulative Wirkung dieser verschiedenen Faktoren in dem akuten Bewusstsein bemerkbar, dass insgesamt eine Epoche zu ihrem Ende gekommen war und die neue Situation eine ungeheure Anstrengung der Interpretation erforderte, um für die Existenz des Menschen in Gesellschaft und Geschichte einen Sinn wiederzuerlangen, der den verlorenen Sinn der christlichen Existenz ersetzen konnte. (Fs)

10a Dieses Problem ist in der Tat von einer solchen Größe, dass es auch heute noch nicht in seinem ganzen Ausmaß erkennbar ist. Im achtzehnten Jahrhundert stoßen wir jedoch zumindest auf ein erstes klares Bewusstsein seiner Konturen und auf erste Anstrengungen nach der Formulierung eines neuen Verständnisses. Vielleicht können wir uns ihm am besten nähern, wenn wir die Gründe prüfen, die Voltaire dazu bewegten, für seine Gastgeberin und Freundin, die Marquise du Châtelet-Lorraine, seinen Essai sur les moeurs zu schreiben. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Abraham, Melchisedek; Identifikation des Gottes Melchisedeks mit Jahwe; Durchbruch zum Seinssprung (leap of being); Bund-Erfahrung

Kurzinhalt: The order in which Abram truly lives from now on has been transformed from the Canaan of the Baal to the domain of Yahweh. The symbol of bondage has become the symbol of freedom.

Textausschnitt: 12/7 The story thus partly indicates explicitly, partly implies, an intricate system of relations between the various political groups of Canaan which can hardly function properly without divine sanctions accepted in common by the groups of the region. The assumption of a common divinity as the guardian of political compacts, a baal berith in Hebrew, will perhaps explain the appearance of the priest-king of Jerusalem, after the battle. He is introduced as bringing forth bread and wine in his capacity as "priest of El Elyon." And he extends his blessing to Abram in the following verses: (191; Fs)
Blessed be Abram by El Elyon,
The maker of the heavens and the earth!
And blessed be El Elyon,
Who delivered your enemies into your hands!

13/7 The god invoked by Melchizedek is distinguished by his name from the Israelite Yahweh or Elohim; but otherwise we receive no information about his nature. The English translations as "the highest God," while correct, are equally uninformative.1 But here again the Ugaritic discoveries come to our aid. The Canaanites had indeed a highest god, the storm-god Hadad, briefly referred to as the Baal, the king or lord of the gods; and one of the standard epithets of this Baal was Al'iyan, "the One who Prevails." The supremacy of the Baal as the highest divinity in the Canaanite pantheon was established very early, at the latest in the fifteenth century B.C.2 This Baal must be the El Elyon of the temple-state of Jerusalem who, through his priest-king Melchizedek, extends blessings and, for his service of delivering enemies into the hands of the people who recognize him, receives tithes after a successful war. (191f; Fs)

14/7 Among those who recognize the Canaanite Baal is Abram. Nevertheless, while ready to let the Baal have his share of the war loot, Abram reserves his allegiance beyond this point. Subsequent to the Melchizedek episode (Gen.14:18-20) the King of Sodom offers to share the loot with Abram (21); but Abram rejects the offer, which must be supposed to have been generous, in violent, almost insulting language: (192; Fs)

I raise my hand to Yahweh, El Elyon,
the maker of the heavens and the earth:
If from a thread to a shoe-lace, if I take aught that is yours. [...]!
You shall not say: "I have made Abram rich."
Not for me -
Only what the young men have eaten,
and the portion of the men who went with me, Aner, Eshcol, and Mamre, -
Let them take their portion.

15/7 It is a dramatic speech; an outburst, holding back on the verge of a betrayal, lapsing into silences to cover what already has been half said. It reveals more than the resentment of a proud nomad of being made rich by the generosity of a king-if this feeling plays an important role at all. For behind the overt rejection of the King's offer there lies the rejection of Melchizedek and his El Elyon. When Abram raises his hand to Yahweh, he pointedly arrogates the Baal's epithet for his own God. By Yahweh he swears his unfinished oath not to take anything of the King's possessions. His professed unwillingness to be made rich by the King, is in reality an indignant refusal to be made rich by the King's Baal. Yahweh is the god who delivers enemies into Abram's hands, not the god of Melchizedek; Yahweh blesses Abram, not the Baal of Jerusalem; and not to the El Elyon who watches over the relations between political allies in Canaan will Abram owe his prosperity, but to Yahweh alone. Hence, Abram reduces the King's offer to the payment of an ascetic expense account. (192; Fs) (notabene)

16/7 Any doubt about the intention of the story will be dispelled by a glance at its context. When Abram indignantly refuses to become rich with the blessing of the Baal, we may justly wonder how he ever will prosper in a political order under the protection of El Elyon. The concern will dissolve when we read the opening verse of Genesis 15: (192; Fs)
After what just has been related, the word of Yahweh came to Abram in a vision:
Fear not, Abram,
I am your shield,
Your reward shall be rich. (193; Fs)

17/7 In the further course of the chapter Yahweh makes a berith with Abram (15:18), promising the dominion of Canaan for his descendants (15: 18-21) when the guilt of the Amorites is full (15:16). The meaning of Genesis 14 is clarified by this sequel beyond a doubt. Abram is in the difficult situation of the Exodus. Pragmatically he has left the former home in Chaldea, but in Canaan he has settled in an environment whose understanding of human and social order does not substantially differ from the Mesopotamian. He is still a foreigner, dependent for his status on his berith-masters, the Amorites, whose principal occupation in the spiritual order of things seems to be the accumulation of guilt, and he must accept the system of order under the Baal after a fashion. Spiritually he is profoundly disturbed. The Exodus from Chaldea shows that he no longer can live contentedly in the world of cosmological experiences and symbols, but his movements in the new world that opened to him when his soul opened toward God lack yet in assurance. On the one hand, he makes concessions to the Baal-and he must, if he wants to survive; on the other hand, the new God has taken possession of him strongly enough to strain his soul and to cause, in a critical situation, the outburst of Genesis 14:22-24. The tension between god and God is severe indeed, especially since the nature of the new God and the strength of his assistance are not certain at all. The transfer of the El Elyon from the Baal of Jerusalem to Yahweh leaves in doubt whether Yahweh is God or only a highest god in rivalry with others. Moreover, while Abram rejects riches that come to him under the sanction of the Baal, he is not averse to prosperity; he does not want to be ruined for Yahweh. Hence, he must have gone home from the dramatic scene full of sorrows. He certainly has not made friends by his outburst. Will Yahweh now protect him against the possible consequences? And will he compensate him for the riches renounced? In this critical hour of his life the "word of Yahweh" comes to him with comfort for every disquieting aspect of the situation: (1) The generally assuaging "Fear not"; (2) the "I am your shield" in political difficulties; and (3) the promise "Your reward shall be rich" in compensation for the economic loss. (193; Fs) (notabene)

18/7 The comforts and promises of Genesis 15 subtly dissolve the tenseness of Genesis 14. A masterpiece is the transformation of the berith symbol. In Genesis 14 Abram is in bondage through his involvement in the Canaanite system of political compacts. He lives under baals both human and divine: the Amorites are his berith-masters (baal berith)[eg: Gen. 14:13] in political relations, and the Baal of Jerusalem is the guardian of the political berith. In Genesis 15 the decisive step of liberation occurs, when Yahweh makes his berith with Abram. The worldly situation, to be sure, remains what it is for the time being; but spiritually the bondage is broken with the change of berith-masters. The order in which Abram truly lives from now on has been transformed from the Canaan of the Baal to the domain of Yahweh. The symbol of bondage has become the symbol of freedom. On this occasion, furthermore, the peculiar nature of a berith with Yahweh reveals itself. In the mundane situation of Abram, as we said, nothing has changed. The new domain of Yahweh is not yet the political order of a people in Canaan; at the moment it does not extend beyond the soul of Abram. It is an order that originates in a man through the inrush of divine reality into his soul and from this point of origin expands into a social body in history.3 At the time of its inception it is no more than the life of a man who trusts in God; but this new existence, founded on the leap in being, is pregnant with future. In the case of Abram's experience this "future" is not yet understood as the eternity under whose judgment man exists in his present. To be sure, Yahweh's berith is already the flash of eternity into time; but the true nature of this "future" as transcendence is still veiled by the sensuous analogues of a glorious future in historical time. Abram receives the promises of numerous descendants and their political success in the dominion of Canaan. In this sense the experience of Abram is "futuristic." It is a component in the berith which lasts throughout Israelite into Judaic history and issues into the apocalypses. Nevertheless, the lack of differentiation must not be seen as an imperfection only. For, as has been discussed previously, compact experiences contain the bond of compactness that holds the undifferentiated elements togetherthe bond that all too frequently is lost in the process of differentiation. While the promises of the berith still veil the meaning of transcendence, they at least preserve the awareness that eternity reaches indeed into the process of history, even though the operation of transcendent perfection through the mundane process is a paradox that cannot be solved through Canaans or Utopias of one kind or another. (194f; Fs) (notabene)

19/7 Genesis 14 and 15 together are a precious document. They describe the situation in which the berith experience originates in opposition to the cosmological order of Canaanite civilization, as well as the content of the experience itself. The philological and archaeological questions of trustworthiness and date of the story will now appear in a different light. For clearly we are not interested in either the date of literary fixation or the reliability of the story, but in the authenticity of the experience that is communicated by means of the story, as well as in the probable date of the situation in which the experience originated. As far as the authenticity is concerned, the problem is not too difficult, for nobody can describe an experience unless he has had it, either originally or through imaginative re-enactment. The writers to whom we owe the literary fixation certainly had the experience through re-enactment; and the masterly articulation of its meaning through the dramatic high points of the story proves that they were intimately familiar with it. The answer to the question of who had the experience originally will have to rely on the common-sense argument that religious personalities who have such experiences, and are able to submit to their authority, do not grow on trees. The spiritual sensitiveness of the man who opened his soul to the word of Yahweh, the trust and fortitude required to make this word the order of existence in opposition to the world, and the creative imagination used in transforming the symbol of civilizational bondage into the symbol of divine liberation-that combination is one of the great and rare events in the history of mankind. And this event bears the name of Abram. As far as the date of the event is concerned we have nothing to rely on but the Biblical tradition which places it in the pre-Egyptian period of Hebrew settlements in Canaan, that is, in the second millennium B.C. The date, therefore, must be accepted. (195; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Lied der Debora (Deboralied); Zeugnis des früheren Jahweglaubens; Iasrael politische geeint unter Jahwe

Kurzinhalt: It is the only document extant which conveys a coherent picture of Yahwist Israel in its pristine form; Unterschied Jahwes zu Enlil und maat

Textausschnitt: 39/7 The Deborah Song is unencumbered by interpretations and redactions of the later historical schools; and it is so early that it has not yet suffered from Israelite-Canaanite syncretism. It is the only document extant which conveys a coherent picture of Yahwist Israel in its pristine form. Hence, in its every detail it is of immeasurable value for the historian who wants to distinguish between early Israelite ideas and later developments, between original Israelite ideas and Canaanite accretions. The main characteristics of this early order as they become visible in the song are the following: (204; Fs)
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... For if there was no permanent organization, and if the improvisation in case of an emergency functioned as haphazardly as the Deborah Song reveals, "Israel" never can have "conquered" Canaan; the component tribes can only have slowly infiltrated, in a process made possible by the disintegration of Egyptian power in the area. While the infiltration was not entirely peaceable, it can have involved only minor clashes of clans and tribes with local enemies, not any major conflict with the Canaanites that could have been met only by the organized forces of the whole Confederacy. There was no political organization because no military effort on a national scale had been necessary. As a consequence, the Yahweh of the Confederacy can hardly have been a war god.
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... The Deborah Song can hardly be considered an accidental piece of poetry accidentally preserved. It must be understood as celebrating the great event in which Israel for the first time experienced itself as a people united in political action under Yahwh. ...
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... And what revealed itself as Yahweh in the real storm was not a cosmic storm but the zidekoth Yahweh (Judg. 5:11), literally: the righteousnesses of Yahweh. The meaning of the term can only be conjectured as the righteous acts of the god by which he established just order among men. Yahweh was a god who revealed himself in historical action as the creator of true order. This conception, now, seems to be not too far from the Egyptian maat of both the god and the mediating Pharaoh. But again, the righteousness of Yahweh had a different complexion because there was no human mediator who would transform the cosmic into social order. One of the oddities not only of the Deborah Song but of the Book of Judges in general is the absence of a term for the human functionaries of political order in time of crisis. The designation of Deborah as a shophet, a judge, is probably anachronistic, for the term shophet belongs to the Deuteronomist redactions. But Deborah at least owes her public influence to her recognizable spiritual authority as a prophetess, a nebijah (4:4). For Barak, however, the war leader, there is no term at all to designate his function. The charismatic leadership, on which the action of the Confederacy in war depended, obviously was not conceived as an analogue of cosmic order in society that would require appropriate expression through symbols. Hence, in spite of its brevity, the Deborah Song unmistakably reveals Israel's break with the cosmological civilizations.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Debora; Jahwes heiliger Krieg; Unterschied zu Islam; eg. Zwei-Schwerter-Theorie bei Debora

Kurzinhalt: Kriterien des heiligen Krieges; kein Eroberungskrieg; zwei Richtungen des heiligen Krieges; Vorausnahme der Spannung im Königtum

Textausschnitt: 46/7 The beginning of the ritual is missing in the account; and some features that are known from other contexts are omitted. At the opening of the account the army stands ready to go into battle. But the moment when the am Yahweh stood ready for battle had to be preceded by a number of preparatory steps. There had to be a declaration, not of war against the enemy but of a state of emergency to the people, through prophetic authorities who issued a call for war. Then a charismatic leader had to be incited to action, as was Barak by Deborah; and the leader had to have sufficient authority to summon the people to action through messengers, ... After the defeat of the enemy in battle, the holy war came to a conclusion through the ritual of the cherem, the ban. Since Yahweh had won the war, the loot was his; all gold and silver went into the treasury of the god; all living beings, human and animal, were slaughtered in his honor. (207f; Fs)
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... For the holy war, as described in the Deborah Song, was an institution loaded with experiential difficulties and obscurities. The wars of Yahweh were fundamentally defensive wars-at least, there is not a single instance of an aggressive holy war recorded. The people were conceived as being at peace, politically in a passive condition, and not bent on using war as an instrument of national expansion and consolidation. Israel itself did not conduct these wars at all; Yahweh conducted them for his people. They had no implication of missionary violence being used for the expansion of Yahweh's territory or the mundane success of his people, as in the holy wars of Islam. Yahweh, as we have said, was not primarily a war god but came to the assistance of his people, as in the Sisera case, only when it was endangered by oppression and aggression. In particular, Yahweh did not fight against other gods; and in fact, no gods of other peoples are even mentioned in the song. This peculiar passivity, and the relegation of all military activity to Yahweh, was, however, at the time still quite compatible with a lusty participation in war when the occasion arose. In Judges 5:23, the town of Meroz, situated close to the battlefield, was roundly cursed for nonparticipation: (208f; Fs)
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49/7 In fact, the history of Israel has followed both of these courses. And we venture to say that the recognition of this double course is the key to the understanding of Israelite history. The improvised organization of defensive wars under charismatic leaders proved inadequate against the rising pressure of foreign powers after the Philistine invasion. The improvisations had to be replaced by the permanent kingship. But as soon as the monarchy was organized, the potential tensions that could be discerned in the Deborah Song became actual. In the situation described by the song, the prophetess and the war leader co-operated in the organization of the war. The prophetess mobilized and crystallized the sentiments of the people (today we should say, the public opinion) by her songs; and the war leader let himself be induced to assume his function. The prophetess ...

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Leap in being; Problem des Todes und der Unsterblichkeit bei den Griechen und Israeliten; Hades, Sheol, Saul

Kurzinhalt: in Hellas, the understanding of the psyche as an immortal substance ... In Israel a parallel development was barred ... Israel: Unvereinbarkeit zwischen Gott und Mensch zur Zeit von Saul

Textausschnitt: 28/8 The leap in being, the experience of divine being as world-transcendent, is inseparable from the understanding of man as human. The personal soul as the sensorium of transcendence must develop parallel with the understanding of a transcendent God. Now, wherever the leap in being occurs experientially, the articulation of the experience has to grapple with the mystery of death and immortality. Men are mortal; and what is immortal is divine. This holds true for both Greeks and Israelites. Into this clean ontological division, however, does never quite fit the postexistence of man. In the Homeric epic, afterlife is the existence of the psyche, of the life-force, as an eidolon, a shadow in Hades; and in the same manner, Israelite afterlife is a shadowy, ghostlike existence in Sheol. In neither case is it an existence that would bring ultimate perfection to the order of the human personality. From this initial situation was developed, in Hellas, the understanding of the psyche as an immortal substance, ... In Israel a parallel development was barred by the early, even if imperfect, understanding of the true nature of a universal, transcendent God. The dead were elohim, and no man was supposed to be an elohim. Genesis 3:22-24
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29/8 The incompatibility of human and divine status seems to have been realized fully for the first time by Saul. Since the dead were elohim, and since the belief that they were continued unshaken, these gods had to be relegated by means of a royal ordinance to a kind of public subconscious. Ancestor worship, the myth of a heros eponymos, and above all the evocation of such gods as rival authorities to Yahweh had to be suppressed. As a consequence the understanding of a personal soul, of its internal order through divine guidance, and of its perfection through grace in death that will heal the imperfection of mundane existence, could not develop. The relation to Yahweh, precarious in this life, was completely broken by death; what was not achieved in life was never achieved. A pathetic expression of this plight was the psalm of Hezekiah (late eighth century) by which the King thanked Yahweh for recovery from a sickness (Isa. 38: 18-19) (236f; Fs)
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30/8 Throughout the history of the Kingdom the question of the soul remained in this submersion of a "public subconscious," and even the prophets were unable to deal with it. Only in the time of Ezekiel (late sixth century), the first step toward a solution became noticeable, from the side of ethics, in the hesitant admission of personal responsibility and retribution according to a man's merit (Ezek. 14, 18, and 33). But even the break with the principle of collective responsibility did not break the impasse of experience with regard to the order of the soul and its salvation. Only under Persian influence, in the third century, did the rigid position weaken and could the idea of immortality enter the Jewish orbit. (236; Fs)
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31/8 The state of suspension in which the issue of the soul remained in Israelite history had curious consequences in the realm of symbols. On the one hand, it favored the advance of historical realism. On the other hand, it prevented the development of philosophy. (236f; Fs)
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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Israel: historischer Realismus, Philosophie; Elohim -> Gemeinschaft mit Jahwe; Erlöser, redeemer

Kurzinhalt: ... it favored the advance of historical realism. On the other hand, it prevented the development of philosophy; die Idee des Erlösers

Textausschnitt: 31/8 The state of suspension in which the issue of the soul remained in Israelite history had curious consequences in the realm of symbols. On the one hand, it favored the advance of historical realism. On the other hand, it prevented the development of philosophy. (236f; Fs) (notabene)
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32/8 With regard to historical realism, the suppression of the ghost-elohim eliminated the ancestor myth as a constitutive form from the public sphere. This, to be sure, does not mean that ancestor-worship or even hero-worship were unknown to the Hebrew tribes. A sufficient number of traces of such cults have survived in the Bible (and been confirmed by archaeological discoveries) to prove that the Hebrew clans, before they came within the range of Yahwist religiousness, were constituted by their ancestor cults just as any Hellenic genos. (...) Nevertheless, while the ancestors and heroes were elohim on the popular level of Israelite religion, they never became mythological figures on the Yahwist level on which the narrative moves. On the contrary, those who had already disappeared behind the veil of the myth in pre-Mosaic times, such as the Jacob-el, or Joseph-el, of the Egyptian lists of Canaanite place names, were recovered as historical figures. Certainly Jacob, perhaps Joseph, and probably others of whom no records are preserved were transfigured from historical chieftains into mythical ancestors and then restored to their former status much in the manner in which a modern, critical historian recaptures pragmatic events from the myth. As a result, the Israelites developed a symbolic form without parallel in other civilizations, that is, the
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34/8 On the lower, popular level, however, the community of the living with the dead, that is, the substance of continuous social order among men, was maintained through the cults of clan ancestors and national heroes, as well as by the faith in their help as advisers and avengers. Though the historians did their best to erase all traditions of this faith, numerous passages have escaped which manifest the belief in the "fathers" or the "people" to whom in death a man is gathered. From this popular, living experience a prophetic spirit could break through to the insight that the community of the elohim to whom man was assembled in death was the community with the divine father himself. While dodging the issue of the ancestral elohim and their status, a prayer of Trito-Isaiah transferred their function in the human community to God in person (Isa. 63:16): (238; Fs) (notabene)
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35/8 Yahweh in this prayer takes the place of the redeemer-that is, of the goel, the close relative and avenger under clan law-since the function no longer is fulfilled by the elohim of Abraham and Jacob. And Yahweh can help, as he did in the days of Moses, through the presence of his roach, his spirit, with the shepherds of his people. Searchingly the prophet asks (Isa. 63:11 ff.): (238; Fs)
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36/8 One senses the animosity against the ancestral elohim of the pre-Mosaic age. The author of the prayer struggled to escape from their atmosphere and to understand the presence of the one and only Elohim through his roach, in history. And, partially at least, his endeavors were successful. To be sure, Yahweh was still the God of Israel, not of mankind; and the issue of the soul was not clarified at all; but at least the questions had been sharpened in such a manner that from an apparently desperate situation emerged the vision of a solution. Opinion is divided whether the prayer was written immediately after the return to Jerusalem in 538 or during the conflict with the Persians in the fourth century B.C. At any rate, Israel was in a politically difficult time. No help was to be expected from man, either from men in this world or from men gathered to their fathers. Moreover, the feeling still prevailed that divine help had to come to society in its worldly existence; only help to the people in its historical straits was of interest, not help to the individual soul. From such negations, shutting out the conceivable alternatives, arose the idea of the God who would return as our Redeemer into history in order to rectify a condition of man beyond hope. (239; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Klärung der Partizipation am Sein

Kurzinhalt: 1 Partizipationserfahrung, Konsubstantialität, 2 Interesse am Bleiben und Vergehen, Hierarchie, 3 Ausdruck in Symbolen; Symbolisierung als Mikrokosmos und Makrokosmos

Textausschnitt: Der erste dieser typischen Züge ist das Vorherrschen der Partizipationserfahrung. Was der Mensch auch immer sein mag, er weiß, daß er selbst ein Teil des Seins ist. Der große Strom des Seins, in dem er dahinfließt, während dieser durch ihn durchfließt, ist derselbe Strom, zu dem alles andere gehört, das in sein Blickfeld treibt. Die Gemeinschaft des Seins wird so intim erfahren, daß die Konsubstantialität der Partner die Getrenntheit der Substanzen in den Hintergrund drängt.
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Der zweite typische Zug ist das absorbierende Interesse am Bleiben und Vergehen (das heißt an Dauer und Vergänglichkeit) der Partner in der Gemeinschaft des Seins.
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Unter diesem Gesichtspunkt weist das Sein Züge einer Hierarchie auf, die von der ephemeren Existenz des Menschen bis zur ewigen Dauer der Götter reicht. Die Erfahrung dieser Hierarchie liefert ein wichtiges Stück des Wissens über die Ordnung des Seins,
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Der dritte typische Zug im Symbolisierungsprozeß ist der Versuch, die im wesentlichen unerkennbare Ordnung des Seins soweit als möglich durch die Schaffung von Symbolen verstehbar zu machen, von Symbolen, die das Unbekannte durch Analogie mit dem wirklich oder nur vermutlich Gewußten deuten.
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Der dritte typische Zug im Symbolisierungsprozeß ist der Versuch, die im wesentlichen unerkennbare Ordnung des Seins soweit als möglich durch die Schaffung von Symbolen verstehbar zu machen, von Symbolen, die das Unbekannte durch Analogie mit dem wirklich oder nur vermutlich Gewußten deuten.
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... zwei grundlegende Symbolisierungsformen erwähnen, die große geschichtliche Perioden charakterisieren. Die eine ist die Symbolisierung der Gesellschaft und ihrer Ordnung als ein Analogon des Kosmos und dessen Ordnung; die andere ist die Symbolisierung der gesellschaftlichen Ordnung durch die Analogie mit der Ordnung einer menschlichen Existenz, die gut auf das Sein eingestimmt ist. In der ersten Form wird die Gesellschaft als ein Mikrokosmos symbolisiert, in der zweiten als ein Makroanthropos.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Ordnung, Vorderasien; Israel (Gegenwart unter Gott), Griechenland (unsichtbares Maß alles Seienden) -> vom kompakten Mythos zu differenzierten Formen v. Geschichte

Kurzinhalt: From the beginning, therefore, a study of order and its symbolization is burdened with the problem of a mankind which unfolds an order of its own in time, though it is not itself a concrete society.

Textausschnitt: PART ONE - The Cosmological Order of the Ancient Near East

1/1 The societies of the ancient Near East were ordered in the form of the cosmological myth. By the time of Alexander, however, mankind had moved, through Israel, to existence in the present under God and, through Hellas, to existence in love of the unseen measure of all being. And this movement beyond existence in an embracing cosmic order entailed a progress from the compact form of the myth to the differentiated forms of history and philosophy. From the beginning, therefore, a study of order and its symbolization is burdened with the problem of a mankind which unfolds an order of its own in time, though it is not itself a concrete society. (13; Fs)

2/1 The order of mankind beyond the order of society furthermore unfolds in space insofar as the same type of symbolic form occurs simultaneously in several societies. The very title of this first part of the study, "The Cosmological Order of the Ancient Near East," raises the question: whose order is supposed to be the subject of inquiry? For the ancient Near East is not a single organized society with a continuous history, but comprises a number of civilizations with parallel histories. Moreover, while in the civilization of the Nile Valley one can legitimately speak of a continuity of "Egypt" in spite of the interruptions of imperial order through domestic troubles and foreign invasions, in Mesopotamia the mere names of the Sumerian, Babylonian, and Assyrian empires indicate a plurality of political organizations by different peoples. And yet we have spoken, not only of the "Ancient Near East" as the subject of cosmological order, but even of a "mankind" that expressed its mode of existence by means of the cosmological myth. Such language implies that a group of societies with separate histories can be treated for our purposes as if they were a single unit in history, and even that the symbols developed to express a concrete order can be abstracted from the society of their origin and attributed to mankind at large. (13f; Fs)

3/1 The problem of mankind has not been raised in order to be resolved on this occasion of its first appearance. It will be with us throughout the course of the study. For the present, the awareness of its existence is sufficient as a basis for the following empirical observation which has a direct bearing on the organization of materials in Part I. (14; Fs)

4/1 It is a matter of empirical knowledge that the cosmological myth arises in a certain number of civilizations without apparent mutual influences. The question, to be sure, has been raised whether the Mesopotamian and Egyptian civilizations, neighbors in time and space, did not influence one another, or have a common origin that would explain the parallel features in their political culture. "Whatever the outcome of a hitherto inconclusive debate will be, the question itself will appear less pressing, if one considers that the same type of symbols occurs in the China of the Chou dynasty, as well as in the Andean civilizations, where Babylonian or Egyptian influences are improbable. The state of empirical knowledge makes it advisable, therefore, to treat the cosmological myth as a typical phenomenon in the history of mankind rather than as a symbolic form peculiar to the order of Babylon, or Egypt, or China. Still less is it advisable to indulge in speculations about "cultural diffusion" of the cosmological myth from a hypothetical center of its first creation. (14; Fs)

5/1 The cosmological myth, as far as we know, is generally the first symbolic form created by societies when they rise above the level of tribal organization. Nevertheless, the several instances of its appearance are sufficiently variegated to allow the distinction of unmistakably Mesopotamian, Egyptian, and Chinese styles of the myth. Moreover, it is highly probable, though not conclusively demonstrable, that the differences of style have something to do with the potentiality of the various civilizations for the unfolding of experiences which ultimately result in the leap in being. In the area of the ancient Near East, the Mesopotamian empires proved most barren in this respect, while the sequence of Egyptian empires showed a remarkable but abortive development. The break-through was achieved only among the peoples of the Syriac civilization, through Israel. Hence, the varieties within the general type of cosmological myth must not be neglected. (14; Fs)

6/1 In order to do justice to the various aspects of the problem, the historical materials will be organized in Part I in the following manner: Chapter 1 will deal with the Mesopotamian empires, because the rigidity of Mesopotamian symbols, with their negligible traces of differentiating experiences, is most suitable to the elaboration of the typical elements in the cosmological myth. Chapter 2, on the Achaemenian Empire, will deal with the modifications of the type under the impact of Zoroastrianism. Egypt will be treated in Chapter 3, because its indigenous development of experiences and symbols tended to break the form of the cosmological myth. This arrangement will provide for the type as well as for the varieties, and it will illuminate the progress of man through the sequence of civilizations.1 (14f; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Suche nach der richtigen Balance der Existenz, Abraham

Kurzinhalt: Genesis: Baum der Erkenntnis, Göttersöhne und Menschentöchter, Turm zu Babel; after the three great revolts and falls a chastened man, Abram..., Psalm 8

Textausschnitt: From the three accounts man emerges as a creature in the likeness of God, specifically heightened above all other creatures through his knowledge of, and freedom for, good and evil. He has difficulties in finding the right balance of his existence, and is overbearingly inclined to reach out toward the divinity of which he is only an image. He is thrown back to an understanding of his condition by the consciousness of death, of his human passing compared with divine lasting; he is made aware of the precariousness and weakness of his existence by overpowering natural catastrophes; and the diversification of mankind into peoples teaches him that there is no "One World" of humanity which rivals heaven, but only a humble adjustment of every society in its allotted space and time to the majesty of cosmic order.
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With a splendid dramatic grip on his sources the author of Genesis welds the three accounts into a spiritual history of man. After the three great revolts and falls a chastened man, Abram, is called forth by the Lord to leave Babylon to settle in a new country and found the nation in whom all nations of the earth shall be blessed

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Mythos von Adapa u. Ea im Licht von Genesis; Adam

Kurzinhalt: Grund der Vertreibung aus dem Paradies: spiritueller Abfall vom Sein

Textausschnitt: Perhaps this mystery can be solved through recourse to a similar oddity in the myth of Genesis. When man is expelled from Eden he is thereby prevented from tasting of the tree of life. But why is the expulsion so important? What difference does it make whether the approach to the tree of life is cut off by a physical barrier or by an injunction not to touch its fruit? Does it make only the difference between a hedonistic, vegetative life and hard work? In Genesis there is an answer: The "death" that was set as punishment on the transgression is not mortality, the passing of existence, but the spiritual fall from being. The Adapa myth, now,
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From such obscurity we emerge into light again with the consequences of Adapa's rejection of the food and water of life. Anu dismisses him graciously to the long-lasting, glorious dominion of Eridu. The hero who rejects eternal life is the ruler who creates and maintains order among men. Was Anu's offer perhaps a temptation?

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Hammurabi; keine geschichtliche Zeit im kosmischen Mythos Mesopotamiens

Kurzinhalt: Parallele zwischen himmlischer u. menschl. Ordnung, the spatial organization of the empire reflects the spatial organization of the cosmos

Textausschnitt: The construction is the same as in the inscription of Lugalzaggisi, but it has become more elaborate. There is the clear parallelism between the creation of order, the foundation of Babylon under the lordship of Marduk in the heavens, and the creation of the earthly realm of Babylon under the lordship of Hammurabi.
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A political organization exists in time, and as a recognizable unit originates in time. In the cosmological style of symbolization, however, there is no flow of historical time articulated by an originating event. The foundation of a government is rather conceived as an event in the cosmic order of the gods, of which the earthly event is the analogous expression. What today we would call the category of historical time is symbolized by origination in a cosmic decree.
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While in time the political process is a reflection of the cosmogonic process, the spatial organization of the empire reflects the spatial organization of the cosmos. The spatial order of the universe is determined by the revolutions of the main celestial bodies from east to west, creating the system of the four cardinal points, of the four corners of the world, and of the four corresponding regions.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Kosmische Symbolisierung: mythischer Ausdruck der Erfahrung d. Partizipation

Kurzinhalt: Cosmological symbolization: mythical expression of the participation, experienced as real, of the order of society in the divine being that also orders the cosmos

Textausschnitt: Cosmological symbolization is neither a theory nor an allegory. It is the mythical expression of the participation, experienced as real, of the order of society in the divine being that also orders the cosmos. To be sure, the cosmos and the political cosmion remain separate existences, but one stream of creative and ordering being flows through them so massively that, as we have seen, the god is the owner of a temple, while its priest and ruler is only its tenant farmer ... It is with justification, then, that one can speak of the Babylonian idea of a cosmos ordered as a state, and that cosmos and empire are in substance one entity.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Nabel der Welt, omphalos, Verbindung zw. Den Welten; Babylon: Tor der Götter, Jakob: Beth-el

Kurzinhalt: Nabel in Griechenland, Babylon, Israel, Rom, China; point at which the stream of being flows from the cosmos into the empire, Roman milestone

Textausschnitt: Such unity, comprehending the separate existences as parts, necessitates the creation of a symbol that will express the point of physical connection between the two separate parts, the point at which the stream of being flows from the cosmos into the empire. A style of symbolization, once a nucleus is formed and accepted, by its inner logic requires the creation of further symbols. The symbol just indicated as a requirement wherever political order is symbolized cosmologically may be called by the Greek name omphalos, meaning the navel of the world, at which transcendent forces of being flow into social order.
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Finally, in order to stress the typical appearance of the omphalos in cosmological civilizations, there should be recalled the Chinese symbol of a chung kuo, of a central domain and seat of the king. The chung kuo was surrounded by the feudal states of lesser dignity, which in their turn were surrounded by the barbarian tribes.
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In Babylonian civilization the symbol occurred, as we have seen, in the preamble to the Code of Hammurabi. There Babylon became surpassing in the world when it was established "in the midst of the world" as an everlasting kingdom; and the name Bab-ilani meant indeed Gate of the Gods.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Mythologisches Grundsystem: Zeit. Raum, Herrschaft, omphalos; Zodiak, Zahl 12, Bodin

Kurzinhalt: a central set of symbols. This nucleus is surrounded by a wealth of auxiliary symbols; Reduktion des Zodiak von 15 auf 12; Bedeutung der Zahl 12: Israel, Ptolemäus ...

Textausschnitt: The mythical expressions of time, space, and substance of dominion, together with the omphalos, form a central set of symbols. This nucleus is surrounded by a wealth of auxiliary symbols, held together among themselves and united with the principal four by their common origin in the Sumero-Babylonian astronomic system.
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This reduction of the zodiac to the dodekaoros is a feat of astronomical rationalization under the influence of the number twelve. The number itself, and its importance, results from the occurrence of twelve full moons within the solar year, so that the division of the year into twelve lunar months inevitably suggests itself.
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And, still in the Jewish tradition, one should not forget the twelve apostles of Christ. In Hellas there is to be found a similar penchant for the number twelve in ordering the tribes.
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These were the beginnings of an astrological geography which reached its full development in the Tetrabiblos of Ptolemy in the second century A.D. In Ptolemy's work astrological causality was extended from the regions to their inhabitants.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Israel, Ijob, Paulus: Stufen des Übergangs vom Mythos zum transzendenten Gott

Kurzinhalt: Rationlisierung des Mythos, A world that is empty of gods begins to cast its shadow over the mood of man; Paulus, Brief an Galater, Römer

Textausschnitt: Better than in the Babylonian sources themselves can stages in the struggle for rationalization be discerned in the traditions of Israel.
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In search of his God, as the last verses show, Job moves to the four quarters like a Babylonian king or Chinese emperor, but the search in space no longer reveals a divine presence because the earth is no longer the analogue of the divine sky. A world that is empty of gods begins to cast its shadow over the mood of man ...
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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Bedeutung der Rationalisierung der Götterweilt für die Politik in Babylon und Assur

Kurzinhalt: every center of power, however small and insignificant it may be, has a tendency to posit itself as an absolute entity in the world

Textausschnitt: In the practice of politics the rationalization of the forces of being, as yet undifferentiated into "religious" and "political" forces, is the condition of empire-building. The world of politics is essentially polytheistic in the sense that every center of power, however small and insignificant it may be, has a tendency to posit itself as an absolute entity in the world, regardless of the simultaneous existence of other centers which deem themselves equally absolute. Hence, an empire-builder faces the ineluctable task of inventing a hierarchy of forces which permits the welding of formerly independent units into one political cosmion.
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The internal coherence and fighting strength of an empire, furthermore, depended on the degree to which the rationalization of symbols could be translated into techniques of governmental centralization.
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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Definition: kosmologische Symbolisierung im strengen Sinne

Kurzinhalt: may be defined as the symbolization of political order by means of cosmic analogies; wechselseitige Durchdringung zw. Kosmos und Welt: typisch für Mesopotamien, nicht für China: teh

Textausschnitt: Cosmological symbolization in a strict sense may be defined as the symbolization of political order by means of cosmic analogies. The life of man and society is experienced as ordered by the same forces of being which order the cosmos, and cosmic analogies both express this knowledge and integrate social into cosmic order.
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Moreover, the relations between heaven and earth were so intimate that the separateness of their existences was all but blurred. The empire was part of the cosmos, but the cosmos was an empire of which the dominion of man was a subdivision. There was one order embracing the world and society that could be understood either cosmologically or politically.
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The mutuality of analogical illumination, and especially the conception of the world as a political order, is peculiar to Mesopotamia; it is not characteristic of all cosmological civilizations. In Chinese civilization, for instance,

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Mesopotamian, China, Makene: verschiedene Eignung für the "leap in being"

Kurzinhalt: Verschränkung in Mesopotamian; mehr Freiraum in China (Konfuzius),

Textausschnitt: In comparing the three cases-the Mesopotamian, the Chinese, and the Mycenaean-we can perhaps touch (though certainly not solve) one of the obscurest problems in the intellectual history of mankind; that is, the aptitude of various civilizations for development in the direction of the "leap in being."
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The simpler cosmological symbolism in China left sufficient freedom in the human sphere to allow, in the breakdown of the Chou dynasty, for a conception of social order as dependent, not on the son of heaven alone, but on councillors and an administration formed by the spirit of Confucius. This was a step in the anthropological direction, but not a complete breakthrough. The intermediate position of Confucianism is reflected in the debate on the question whether Confucianism was a "religion."
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In the Homeric case the cosmological symbolism did break down, probably because the Doric invasion and the geographical dislocation of populations caused a much deeper disturbance than the ordinary Times of Trouble in other civilizations. The gods were no longer bound to the structure of the cosmos, and when the discovery of the soul occurred in Hellenic civilization, man found himself in his immediacy under a transcendent God.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Zoroastrismus; Dualismus, Monotheismus

Kurzinhalt: "leap in being," requires a monistic symbolism; Dualismus: a speculative extrapolation of a world-immanent conflict of substantially the same type that in China has produced the yin-yang symbolism

Textausschnitt: it will be sufficient to dispel an unclearness that originates in the conventional designation of Zoroastrianism as a dualistic religion. Religions can be classified as dualistic or monistic only at the risk of destroying by the numerical nomenclature the experiential differences which require either a dualistic or a monotheistic symbolism for their expression. The conversion, on the one hand, which results in the previously discussed "leap in being," requires a monistic symbolism for expressing the differentiating experience of world-transcendent divine being. Within the logic of conversion it is inadmissible to symbolize the mystery of iniquity by a second divinity. The experience, on the other hand, that can be adequately expressed by a dualism of good and evil forces must be sufficiently compact to comprehend in an undifferentiated state the experience of the world-immanent tension between good and evil. A dualistic theology, while it may carry monotheistic overtones, is by principle a speculative extrapolation of a world-immanent conflict of substantially the same type that in China has produced the yin-yang symbolism. Because of this world-immanent component the experience that expresses itself adequately in a dualism of divinities or principles can, in variegated historical circumstances, absorb the conflicts of the age and become the originating experience of political theologies which identify their own cause with cosmic truth and the enemy with cosmic evil.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: "Song of the Harper"; Problem der Form einer Gesellschaft; Vergleich: Ägypten - China: Konfuzius

Kurzinhalt: Krise in Ägypten in der 1. Zwischenzeit führt nicht zu einer Öffnung in der Transzendenz (Hedonismus); Unterschied zw. Institution u. Erfahrung der Ordnung

Textausschnitt: The neglect of the pyramids, which stood there worn with age for everybody to see, as well as the plundering and destruction of minor tombs, must have made a deep impression. When the symbols of eternity were themselves passing away, the attempt to build eternity materially into this world must have appeared convincingly futile.
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The "Song of the Harper" does not flower into an opening of the soul toward transcendent divinity, but flattens into hedonism and skepticism. This peculiar phenomenon, the corrosion of the Pharonic symbolism to a breaking point never quite reached, will illuminate the problem of civilizational form raised by Frankfort.
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"Form," as previously suggested, results from the interpenetration of institutions and experiences of order. The institutions, to be sure, may break down under economic stresses, or through changes in the distribution of power, but when the afflicted society recaptures its strength for self-organization, the new institutions will belong to the same formal type as the old ones, unless there has also occurred a revolutionary change in the experience of order. ... The problem of "form" can be clarified theoretically, and its phenomena be made intelligible, through the use of the principles which govern the compactness and differentiation of the experiences of order. The three principles, as they have emerged in the course of this study, can be formulated in the following manner:
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Hence, the "form" of a society is at the same time the mode of its participation in the adumbrated world-historic process that extends indefinitely into the future. Beyond the primitive level, the earliest civilizations known, like the Egyptian, are ideed exposed to the same institutional vicissitudes as the later ones, ut since the compact experience of order does not break under the stress of institutional disasters, the actual changes of institutional order occur, with a peculiar quality of subduedness, within a cosmological form that remains stable. Hence, while the formal differences between civilizations are correctly observed by Frankfort, the language of "static" and "dynamic" types must be replaced by descriptions that will determine its form for each case of a concrete society by relating it to the supra-civilizational process in which the compact experiences of order differentiate.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Vergleich: China - Ägyten; Rolle d. Konfuzius.Tao, Ming, teh

Kurzinhalt: Nevertheless, the authority of the sage was of the same cosmological type as the authority of the Son of Heaven

Textausschnitt: In both the Chinese and Egyptian cases, therefore, a "static" cosmological form prevails in a history of approximately three thousand years, with the Chinese Son of Heaven corresponding to the Pharaoh as the mediator between cosmic-divine order and society. The parallel goes even so far that in the Chinese Time of Troubles, in certain variants of Taoism, experiences and attitudes appear which resemble those of the "Song of the Harper."
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However, in Chinese civilization there also occurred, in Confucianism, an experiential break with the cosmological order. The order of society, which hitherto had depended on the Son of Heaven alone, now depended, in rivalry with him, on the sage who participated in the order of the cosmos.
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In the realm of symbols the new experience of the autonomous person and his will to order became manifest in the transfer of imperial qualifications to the sage. The tao and the teh, ... Thus the sage was no longer the member of a society which only as a whole received its order through mediation of the ruler. He himself had access to the tao that ordered world and society, and thereby he became a potential ruler and a rival to the Son of Heaven in mediating the tao-an idea which, as far as we know, never occurred to an Egyptian.
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This transfer of royal symbols to the sage, however, illuminates the limitations of Confucianism as a new ordering force in society. To be sure, the autonomy of the personality, independent of the authority of society, had been gained through the immediate relation between man and cosmic tao. Nevertheless, the authority of the sage was of the same cosmological type as the authority of the Son of Heaven. The differentiation of experience did not advance, as with Plato, to the development of a new theology in opposition to the beliefs prevalent in the community; it did not become radically transcendental.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Zusammenfassung über den Verlauf einer Zivilisation

Kurzinhalt: Geschichte wird nicht klar durch Klassifikation der empirischen Phänomene; Zivilisation als Partizipation an der Ordnung des Seins

Textausschnitt: In conclusion, it can be said that the debate about types of civilizational courses will remain inconclusive as long as it is conducted on the level of construction of empirical types. The intelligible order of history cannot be found through classification of phenomena; it must be sought through a theoretical analysis of institutions and experiences of order, as well as of the form that results from their interpenetration. The ultimate constants of history cannot be determined by forming type concepts of phenomenal regularities, for historical regularities are no more than manifestations of the constants of human nature in their range of compactness and differentiation. Moreover, ... A civilization is the form in which a society participates, in its historically unique way, in the supracivilizational, universal drama of approximation to the right order of existence through increasingly differentiated attunement with the order of being.
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The preceding theoretical reflections should, however, in no way deprecate the search for the phenomenally typical in the course of civilizations. For inevitably we must start from the phenomenal regularities in order to arrive at the constants of human nature, as well as at the structural differentiation of the constant range of experiences; that is, at the dynamics of human nature that we call history.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Zusammenfassung: Toynbee - Frankfort

Kurzinhalt: Toynbee is right when ... Frankfort is right when

Textausschnitt: Hence, Toynbee is right when he senses an experiential climate, pregnant with new religious possibilities, but is wrong when he speculates on the actual presence of such a religion; Frankfort is right when he insists that no religious revolution occurred, but he stretches his point when he treats the changes of experiential structure as insignificant in comparison with the millennial lasting of Egyptian "form."

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Kurz: Eigenart der ägyptischen Kultur

Kurzinhalt: sudden birth, experiences which point beyond the limits of cosmology, Egypt has produced neither epics like the Mesopotamian Gilgamesh or Enuma elish

Textausschnitt: The Egyptians experienced the order of their society as part of cosmic order. The expression of the experience in symbols belongs, therefore, to the same general type as the Mesopotamian. Nevertheless, from the interpenetration of experiences and institutions there resulted a civilizational form, unique in all of its principal aspects. The form is peculiar because of its sudden birth, which must be considered a flashlike outburst of creativity even if we generously accord a century or more to this "flash" for bringing the form into definitely recognizable existence. Furthermore, the form is peculiar because of several elements of structure which distinguish it from the Mesopotamian, and for that matter from the form of any other cosmological civilization. And, finally, it is peculiar because within it occurs a rich differentiation of experiences which point beyond the limits of cosmology and are interpreted, therefore,

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Entfremdung und die Struktur des Zwischen

Kurzinhalt: Zustand von Drogensucht oder Fernsehabhängigkeit, von hedonistischer Betäubung oder Aufspaltung des metaxy -> Drogensucht oder Fernsehabhängigkeit ... Leiden an der Sinnlosigkeit der Existenz oder Schwelgen in jeder Art von Divertissement

Textausschnitt: Existenz hat die Struktur des Zwischen, des platonischen metaxy, und wenn irgendetwas in der Geschichte der Menschheit konstant bleibt, dann ist es die Sprache der Spannung zwischen Leben und Tod, Unsterblichkeit und Sterblichkeit, Vollkommenheit und Unvollkommenheit, Zeit und Ewigkeit; zwischen Ordnung und Unordnung, Wahrheit und Unwahrheit, Sinn und Sinnlosigkeit der Existenz; zwischen amor Dei und amor sui, l'âme ouverte und l'âme dose; zwischen den Tugenden der Offenheit gegenüber dem Seinsgrund, wie Glaube, Hoffnung und Liebe, und den Verirrungen der Abkapselung und des Sich-Verschließens wie Hybris und Revolte; zwischen den Stimmungen von Freude und Verzweiflung; und schließlich zwischen Entfremdung in der doppelten Bedeutung der Entfremdung von der Welt und der Entfremdung von Gott.
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Wenn wir diese zusammengehörenden Symbolpaare aufspalten und die Pole der Spannung als unabhängige Gegenstände hypostasieren, zerstören wir die existentielle Realität, wie sie von denen erfahren wurde, die diese Spannungssymboliken geschaffen haben. Wir erleiden einen Verlust an Bewußtsein und Geist; wir deformieren unsere menschliche Natur und reduzieren uns selbst auf einen Zustand stiller Verzweiflung oder aktivistischer Anpassung an die 'Zeit', einen Zustand von Drogensucht oder Fernsehabhängigkeit, von hedonistischer Betäubung oder mörderischem Besitz der Wahrheit, von Leiden an der Sinnlosigkeit der Existenz oder Schwelgen in jeder Art von Divertissement (im Sinn Pascals), das als ein 'Wert' Ersatz für die verlorene Realität verspricht. In der Sprache Heraklits und Platons: Das Leben im Traum verdrängt das wache Leben.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Vernunft (Erfahrung d. klassischen Philosophie 7); Psychopathologie 2; Heraklit (kosmos koinon - idios), Aischylos, Platon, Cicero, Chrysipp; existentielle Unordnung (apostrophe - epistrophe); Angst, agnoia, Rationalisierung; Tusculanae Disputationes

Kurzinhalt: 'Diese Veränderung (des Geistes) und dieses Sich-Entfernen von sich selbst geschieht auf keine andere Weise als durch eine vorsätzliche Abwendung (apostrophe) vom logos.'... Ein Mensch ist völlig rasend ... , wenn er unwissend ist (agnoian echon) im ...

Textausschnitt: 32/6 Die Phänomene existentieller Unordnung durch das Sichverschließen gegenüber dem Seinsgrund waren schon mindestens ein Jahrhundert vor den klassischen Philosophen beobachtet und artikuliert worden. Heraklit hatte unterschieden zwischen Menschen, die in der einen und gemeinsamen Welt (koinos kosmos) des logos leben, der das gemeinsame Band der Menschheit ist (homologia), und den Menschen, die in den verschiedenen Privatwelten (idios kosmos) ihrer Leidenschaft und ihrer Einbildung leben, zwischen den Menschen, die ein waches Leben führen, und den Schlafwandlern, die ihre Träume für Wirklichkeit ansehen (B 89). (140f; Fs)

33/6 Und Aischylos hatte die Prometheische Revolte gegen den göttlichen Grund als eine Krankheit oder Wahnsinn (nosos, nosema) diagnostiziert. Platon benutzte dann in der Politeia sowohl die herakliteischen wie die aischyleischen Symbole, um den Zustand von Einklang mit- und Sich-Verschließen gegen den Grund als Zustand existentieller Ordnung und Unordnung zu charakterisieren. Und doch bedurfte es der erschütternden Erfahrungen der ökumenischen Reichsbildungen, und in ihrem Gefolge der existentiellen Desorientierung als Massenphänomen, um die Verbindung zwischen Vernunft und existentieller Ordnung in Begriffen festlegen zu können. Erst die Stoiker prägten die Ausdrücke oikeiosis und allotriosis, ins Lateinische übersetzt als conciliatio und alienatio, um zwischen den beiden existentiellen Zuständen zu unterscheiden, die das Leben der Vernunft ermöglichen bzw. Störungen der psyche bedingen. (141; Fs)

34/6 In den Tusculanae Disputationes referiert Cicero die grundlegenden stoischen Formulierungen: Wie es Krankheiten des Körpers gibt, gibt es auch Krankheiten des Geistes (morbi animorum); diese Krankheiten sind im allgemeinen durch eine Verwirrung des Geistes auf Grund verkehrter Meinungen verursacht (pravarum opinionum conturbatio), die in einen Zustand der Verderbtheit mündet (corruptio opinionum); die Krankheiten dieses Typs können nur auf Grund einer Zurückweisung der Vernunft (ex aspernatione rationis) entstehen; deshalb können Krankheiten des Geistes im Unterschied zu denen des Körpers nie ohne eigene Schuld auftreten (sine culpa); und da diese Schuld nur beim Menschen - weil er Vernunft hat -möglich ist, kommen diese Krankheiten bei Tieren nicht vor.1 (141; Fs)

35/6 Die Analyse, die hinter solchen Formeln steckt, kann aus einer Passage von Chrysipp erschlossen werden: 'Diese Veränderung (des Geistes) und dieses Sich-Entfernen von sich selbst geschieht auf keine andere Weise als durch eine vorsätzliche Abwendung (apostrophe) vom logos.'2. Die apostrophe ist die Bewegung, die der Richtung nach der periagoge oder epistrophe Platons entgegengesetzt ist. Indem der Mensch sich vom Grund abwendet, wendet er sich von seinem eigenen Selbst ab. Entfremdung ist also ein Sich-Entfernen von der menschlichen Natur, die durch die Spannung zum Grund konstituiert wird. (141f; Fs)

36/6 Darüberhinaus treten in diesem Zusammenhang die ersten Versuche auf, die Erfahrung von 'Angst' auszudrücken. Ciceros anxietas in den Tusculanae Disputationes ist in ihrer Bedeutung zu unbestimmt, um uneingeschränkt mit der modernen 'Angst' gleichgesetzt werden zu können. Sie bezeichnet vielleicht nur einen Geisteszustand, der sich unvernünftigen Befürchtungen überläßt.3 Aber Äußerungen, die Chrysipp zugeschrieben werden, machen klar, daß Angst als eine Spielart von Unwissenheit verstanden wird (agnoia). Ein Mensch ist völlig rasend, wird an der betreffenden Stelle gesagt, wenn er unwissend ist (agnoian echon) im Hinblick auf sein Selbst und das, was für sein Selbst von Belang ist. Diese Unwissenheit ist das Laster, das der Tugend wahrer Einsicht (phronesis) entgegengesetzt ist. Sie muß als ein existentieller Zustand charakterisiert werden, in dem die Begierden sich ohne Kontrolle und ohne Steuerung entwickeln, ein Zustand aufgeregter Unsicherheit und überreizter Leidenschaften, ein Zustand von Panik oder Schrecken, weil die Existenz ihre Richtung verloren hat. Diese Beschreibung wird in dem Ausdruck agnoia ptoiodes zusammengefaßt als der stoischen 'Definition' von Wahnsinn (mania).4 Dem zoon noun echon entspricht als sein pathologisches Gegenstück das zoon agnoian echon. (142; Fs)

37/6 Die Erforschung des pathologischen Gegentyps durch die Stoiker präzisiert den Sinn noetischer Existenz. Der kritische Punkt, der beachtet werden sollte, ist der Umstand, daß agnoia, Unwissenheit, als kennzeichnendes Merkmal sowohl im Zustand von Gesundheit (sanitas) als auch von Krankheit (insania) auftritt. Die fragende Unruhe, wie ich die Anfangsphase der noetischen Erfahrung neutral genannt habe, kann entweder der Anziehungskraft des Grundes folgen und sich zu noetischem Bewußtsein entfalten, oder sie kann sich vom Grund abkehren und anderen Anziehungskräften folgen. Die pathologische Entgleisung ereignet sich also in der Phase fragender Unruhe, in der Haltung des Menschen gegenüber der Spannungsstruktur seiner Existenz, und nicht auf den darauf aufbauenden Ebenen, auf denen die Entgleisung dann offenkundig wird in der Diskrepanz zwischen einem gutgeordneten Leben und einer Existenz ohne Orientierung, oder der Diskrepanz zwischen rationaler Artikulation der Realität und den in nicht geringerem Maße artikulierten 'verkehrten Meinungen', den pravae opiniones. (142f; Fs)

38/6 Natürlich ziehen die offenkundigen Symptome der Desorientierung die Aufmerksamkeit in erster Linie auf sich. Aus den Tusculanae Disputationes kann man eine lange Liste von Syndromen zusammenstellen, die ganz modern klingt: rastloses Geldverdienen, Streben nach gesellschaftlichem Prestige, Schürzenjägerei, übermäßiges Essen, Hang zu Delikatessen und Naschereien, Zechen, Reizbarkeit, Ängstlichkeit, Ruhmsucht, Starrsinn, Unnachgiebigkeit und Ängste vor dem Kontakt mit anderen Menschen wie Weiberhaß oder allgemeine Menschenfeindlichkeit. Obwohl eine Symptomatologie dieser Art nützlich ist als Annäherung auf dem Niveau des gesunden Menschenverstands, ist sie jedoch analytisch nicht präzis genug. Denn es gibt nichts auszusetzen an den Leidenschaften als solchen, noch am Genuß von äußeren Gütern und denen des Körpers, noch an gelegentlichen Nachgiebigkeiten oder Exzessen. (143; Fs)

39/6 Wenn die Trennungslinien nicht genauer gezogen werden, wird man zu der Situation kommen, die Horaz in Satiren II 3 lächerlich gemacht hat. Deswegen unterscheidet Cicero sorgfältig zwischen akuten Äußerungen von Leidenschaften und Gewohnheiten, die chronisch geworden sind, zum Beispiel zwischen angor und anxietas, ira und iracundia. Und die Gewohnheitsbildung muß so gravierend sein, daß sie das Gleichgewicht der rationalen Ordnung der Existenz stört; sie muß auf eine Zurückweisung der Vernunft, auf eine aspernatio rationis hinauslaufen. Dieses letztere Kriterium steht in Zusammenhang mit einer früheren Stelle bei Chrysipp, wo er sich mit dem Menschen beschäftigt, der Argumenten nicht zugänglich ist, weil er seine Nachgiebigkeit gegenüber den Leidenschaften als ein ganz und gar rationales Verhalten ansieht. Das Phänomen rationalen Argumentierens zu dem Zweck, die Flucht aus der noetisch geordneten Existenz zu verteidigen, beeindruckte Chrysipp so stark, daß er annahm, der logos selbst könne korrumpiert werden. Poseidonios konnte nichts anderes tun, als diesen Irrtum zurückzuweisen und zu der Kraft in der menschlichen Existenz zurückzukehren, welche die Leidenschaften als Mittel benutzen kann, aus der noeti-schen Spannung zu fliehen, und gleichzeitig die Vernunft als Mittel, diese Flucht zu rechtfertigen.5 (143f; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Autobiographische Reflexionen

Titel: Autobiographische Reflexionen

Stichwort: Entfremdung, Psychopathologie der Stoiker, Hegel, Entwicklung von Systemen

Kurzinhalt: Zustand der Abkehr vom eigenen Selbst, Man kann nicht gegen Gott revoltieren, ohne gleichzeitig gegen die Vernunft zu revoltieren

Textausschnitt: Mit Ordnung ist die erfahrene Struktur der Realität sowie die Einstimmung des Menschen auf eine Ordnung gemeint, die nicht von ihm selbst geschaffen ist - d. h. der Kosmos.
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Die Kategorisierung dieser Erfahrungen von Unordnung erfolgte dagegen ziemlich spät. Der Begriff der Entfremdung (allotriosis) wurde, soweit ich weiß, zuerst von den Stoikern geschaffen und später von Plotin ausgiebig verwendet. In der Psychopathologie der Stoiker bedeutet allotriosis einen Zustand der Abkehr vom eigenen Selbst, das durch die Spannung zum göttlichen Grund der Existenz konstituiert wird. Insofern als der göttliche Grund der Existenz in der Philosophie der Klassik und der Stoa der logos oder die Quelle der Ordnung in dieser Welt ist, stellt die Abkehr vom eigenen Selbst, das durch diese ordnende Kraft entsteht, eine Abkehr von der Vernunft in der Existenz dar. Das Ergebnis ist dann, daß die Vernunft, die der Mensch trotz allem besitzt, darauf verwendet wird, das Leben im Zustand der Entfremdung zu rechtfertigen.
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Die Kategorien der Stoiker können auf moderne Phänomene der Ideologie übertragen werden, in denen der Zustand der Entfremdung weitaus häufiger als der Zustand der Existenz in Spannung zum Grund als Erfahrungsbasis für das Verstehen der Realität genutzt wird. ... Man kann nicht gegen Gott revoltieren, ohne gleichzeitig gegen die Vernunft zu revoltieren, und umgekehrt. Diese Interpretationen der Realität auf der Basis einer deformierten Existenz, welche nicht mehr offen gegen den Grund ist und deswegen die Erfahrung des Grundes aus jeglicher Betrachung der Realität ausklammern muß, hat einige typische Phänomene zur Folge.
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Das wichtigste dieser Phänomene ist natürlich die Entwicklung von Systemen.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Autobiographische Reflexionen

Titel: Autobiographische Reflexionen

Stichwort: Entfremdung - Musil, Doderer (Apperzeptionsverweigerung); Begriff: zweite Realität; Hegel (Sinneswahrnehmung)

Kurzinhalt: ... das formale Frageverbot; Diagnose: welcher Teil der Realität ausgespart wird, Beschränkung der Auffassung vom Bewußtsein auf die Wahrnehmung von Gegenständen der äußeren Realität

Textausschnitt: 14/22 Von beträchtlicher Hilfe bei dem Versuch, die Prozesse der Deformation zu verstehen, waren die Beobachtungen der großen österreichischen Schriftsteller, insbesondere Albert Paris Güterslohs, Robert Musils und Heimito von Doderers. Sie prägten den Begriff zweite Realität, um die Auffassung von Realität zu beschreiben, die Menschen in einem Zustand der Entfremdung entwickeln. Oberstes Merkmal dieses Entfremdungszustands, der durch die von der Erfahrung der Realität klar zu unterscheidenden Phantasiewelten der zweiten Realität aufrechterhalten wird, ist das, was Doderer die Apperzeptionsverweigerung nannte. Der Begriff tritt in der Erzählung Die Dämonen auf, und ich freue mich jedesmal darüber, daß Doderer ihn bei der Erörterung bestimmter sexueller Verirrungen einführte. Formal wird der Begriff Apperzeptionsverweigerung in der Vorbemerkung zu dem Kapitel 'Die dicken Damen' entwickelt. Es geht um dicke Damen, für die einer der Helden eine besondere Vorliebe hat. (119; Fs)

15/22 Die Weigerung der Apperzeption ist für mich zu einem der zentralen Begriffe im Verständnis ideologischer Verirrungen und Deformationen geworden. Sie tritt in verschiedenen Varianten in Erscheinung, von denen die historisch interessanteste das formale Frageverbot ist, so wie es Comte und Marx forderten. Wenn jemand die ideologische Doktrin durch Fragen nach dem göttlichen Grund der Realität in Frage stellt, so wird er von Comte darüber aufgeklart, daß er keine eitlen Fragen ('questions oiseuses') stellen soll, und von Marx bekommt er zu hören, daß er schweigen und ein 'sozialistischer Mensch' werden soll ('Denke nicht, frage mich nicht'). (119; Fs)

16/22 Diese Haltung - Fragen bezüglich der eigenen Prämissen nicht zuzulassen, Fragen, die sofort das System zum Einsturz bringen würden - stellt die generelle Taktik dar, mit der Ideologen Diskussionen führen. In den zahlreichen Gesprächen beispielsweise mit Hegelianern bin ich regelmäßig an dem Punkt angelangt, wo es galt, die Prämissen der entfremdeten Existenz in Frage zu stellen, die Hegels Gedankengebäude zugrundeliegen. Jedesmal, wenn dieser Punkt erreicht ist, werde ich von dem betreffenden Hegelianer darüber aufgeklärt, daß ich Hegel nicht verstehe und daß ich ihn auch nur verstehen könne, wenn ich seine Prämissen akzeptiere ohne sie in Frage zu stellen. Begreift man das Frageverbot als wichtigste Strategie in allen ideologisch geführten Debatten, dann hat man zumindest ein wichtiges Kriterium zur Diagnose von Ideologien ermittelt: der Zweck der Diagnose besteht darin, zu bestimmen, welcher Teil der Realität ausgespart wurde, damit die Konstruktion eines trügerischen Systems möglich wird. Welcher Bereich der Realität ausgeklammert wird, kann sehr unterschiedlich sein, stets muß jedoch die Erfahrung der Spannung des Menschen zum göttlichen Grund ausgeklammert werden. (119f; Fs)

17/22 Hat man erst einmal erkannt, daß die Erfahrung der existentiellen Spannung die entscheidende Erfahrung ist, die ein Ideologe auszuklammern hat, wenn er seine eigene Entfremdung zum obligatorischen Zustand für jedermann erheben will, dann rückt das Problem des Bewußtseins dieser Spannung ins Zentrum der philosophischen Reflexion. Das Verstehen sowohl der klassischen als auch der christlichen Philosophie sowie der ideologischen Deformierungen der Existenz setzen das Verstehen des Bewußtseins in der Fülle seiner Dimensionen voraus. Charakteristisch für das, was man 'moderne Auffassung des Bewußtseins' nennen könnte, ist die Anlehnung an das Modell der Sinneswahrnehmung von Objekten der äußeren Realität. Diese Beschränkung der Auffassung vom Bewußtsein auf die Wahrnehmung von Gegenständen der äußeren Realität wird im 19. Jahrhunden zum mehr oder weniger versteckten Kunstgriff beim Entwurf von Systemen. (120; Fs)

18/22 Selbst im Herzstück der Hegel'schen Philosophie, in der Phänomenologie, läßt sich feststellen, daß er mit der Sinneswahrnehmung beginnt und auf dieser Basis alle komplizieneren Strukturen des Bewußtseins entwickelt. Der Fall ist bemerkenswert, weil Hegel einer der größten Kenner der Philosophiegeschichte war; selbstverständlich wußte er, daß die Primärerfahrungen des Bewußtseins, wie sie in den Arbeiten der klassischen Philosophen beschrieben werden, nichts mit Sinneswahrnehmungen zu tun haben, sondern mit der Erfahrung von Strukturen (beispielsweise mathematischer Strukturen) sowie mit der Erfahrung des Hinwendens zum göttlichen Grund der Existenz, was durch das Ziehen eben dieses Grundes ausgelöst wird. (120; Fs)

19/22 Ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, daß ein Mann mit so großem historischen Wissen wie Hegel absichtlich die unmittelbaren Erfahrungen des Bewußtseins ignoriene und sie durch die hochabstrakten, historisch sehr späten Modelle der Wahrnehmung von Objekten in der externen Welt ersetzte, um ein System glaubwürdig zu machen, das nur den eigenen Zustand der Entfremdung zum Ausdruck bringt. Mir ist keine Stelle bei Hegel bekannt, an der er über die eigene Technik des Betruges reflektierte. Diese Technik wurde jedoch deutlich im Werk von Marx, und zwar in den Pariser Manuskripten von 1844. (121; Fs)

20/22 Wenn die Erfahrung von Objekten in der äußeren Welt zur allgemeinen Struktur des Bewußtseins verabsolutiert wird, dann werden automatisch alle geistigen und intellektuellen Phänomene ausgeklammert, die mit den Erfahrungen des göttlichen Grunds verknüpft sind. Da sie jedoch nicht völlig negiert werden können - da sie trotz allem die Geschichte des Menschen ausmachen -, müssen sie zu Aussagen über eine transzendente Realität verformt werden. Diese Deformation der von den Philosophen und Propheten geschaffenen Symbole stellt eines der entscheidendsten Phänomene in der Geschichte der Menschheit dar. In der scholastischen Philosophie stoßen wir bis bereits auf einen hohen Grad an Deformation, der im Übergang zur modernen Metaphysik durch Descartes verfestigt wird und schließlich durch die ideologischen Denker in Form einer Art zweiter Orthodoxie fortgeführt wird. Daß propositionale Metaphysik eine Deformation der Philosophie darstellt, die von den doktrinären Ideologien beständig fongeführt wird, gehön meiner Meinung nach zu den wichtigeren Entdeckungen, die ich im Rahmen meiner Arbeiten gemacht habe. (121; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Ägypten als auserwähltes Volk; der göttliche Pharao; Gott als manifest in Tieren

Kurzinhalt: Egypt is the chosen people of god; Pharao: Manifestation Gottes, doch nicht selbst Gott; Menes, Horus, Anubis; Pharao, Christen: Inkarnation

Textausschnitt: The leap in being toward more perfect attunement with transcendent divinity is not actually taken, but it is vibrating as a possibility in the hymn. Egypt, by grace of Atum, is in the world but not of it; it is closed against the evil of Set, it is open and hearkens to the force of good in Horus. Within the compactness of cosmological experience, and under the veils of polytheistic language, Egypt is the chosen people of god.
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Through the god-king Egyptian society is hearkening in openness to the right order of Atum and Horus; the possession of the Pharaoh secures existence within the world without falling a prey to the evils of the world; without a Pharaoh not only the country will fall into political disorder, but the people will fall from the justice of divine being. Understood in this sense the hymn to Atum reveals the structure of the experiences which lived in the Pharaonic order. It must be considered one of the most important documents for the study of Egyptian civilizational form and the secret of its millennial stability.
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When the god chooses Egypt, he does not reveal himself directly to the people, or enter into a covenant with them, but is present with the people through his manifestation in their ruler. We must now approach the most puzzling aspect of Pharaonic symbolism, the divinity of the king. Divine kingship is a rare phenomenon. ... A divine king is not a god who has assumed human form, but a man in whom a god manifests himself. The god remains distinctly in his own sphere of existence and only extends his substance into the ruler, as it were.
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The Pharaoh thus is not a god but the manifestation of one; by virtue of the divine presence in him, the king is the mediator of divine ordering help to man, though not for all men but for the Egyptian people only.
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It is not certain whether the god is manifest in the species, or in an individual animal, or in the individual animal as a representative of the species. Frankfort concludes ... In animal nature the species outweighs the individual. Hence-as we should formulate it-in the animal species, with its unchanging constancy through the generations, man senses a higher degree of participation in being than his own; the animal species, outlasting the existence of individual man, approaches the lasting of the world and the gods.
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The idea that the divine should be manifest in the species is suggestive. ... The structure of a society, however, differs from that of an animal species in so far as a society gains existence through institutional articulation among a multitude of men and the creation of a representative. ... If we realize the compactness of the experience of order that is implied in such symbols- the firm integration of man in society, the dependence of a sense of order in his own life on the unbroken stability of social order-we can better understand why the Egyptian 'form' proved so tenaciously resistant to differentiating experiences and a reorientation of human existence toward transcendent divinity. And we also get an inkling of the scandal which Christianity must have been for men emerging from cosmological civilizations, if we consider that not a king was the god incarnate but an ordinary man of low social status who represented nobody but nevertheless was claimed by his followers to be the representative mediator and sufferer for mankind.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Ägyptische Religion, Johannes

Kurzinhalt: Joh 1:6-7; Unterschied zw. ägyptischer und biblischer Logos-Theologie

Textausschnitt: The creation of the world by the word of Ptah reminded Breasted [eg: sic] of the divine word that created the world in Genesis, and of the Logos speculation of St. John. Ever since, the Memphite Theology has remained the pride of Egyptologists. Egyptian thought, they maintained, showed itself from the very beginning on the spiritual and moral level of the Hebrews and of St. John; and by its search for a first principle of order, as well as by the discovery of the principle in a creative, divine intelligence, it gained the intellectual level of the Greeks. While undeniably there is a core of truth in such reflections, they require some critical qualification in order to become tenable; for as they stand they are all too obviously on the defensive against progressivist notions of history in so far as they argue in substance: Anybody who still believes that the beginnings of human civilization are 'primitive,' and that only with Israel and Hellas do we rise to a level of serious interest for Western man, should consider the achievement that speaks from the oldest extant document in human history. (94; Fs)
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99/3 Against that argument must be held that it makes sense only if the idea of a progress with regard to 'doctrines' be accepted at all. If, however, we replace the principle of progress in the history of ideas by the principle of compactness and differentiation with regard to experiences, there is nothing extraordinary about the appearance of particular ideas and techniques of thought in an ancient civilization. The Egyptian Logos speculation should cause no surprise, since differentiations of this kind are possible within every civilizational form. It would be surprising only if 'a man had appeared, sent by God, whose name was John: who came for the purpose of witnessing, to bear testimony to the Light, so that all men might believe by means of him' (John 1:6-7). For that would not have been a matter of speculation within the form of the myth, but an experiential break with the cosmological form and an opening of the soul toward transcendence. The Logos of the Memphite Theology created a world that was consubstantial with Egypt; but the Logos of John created a world with a mankind immediate under God. The Johannine Logos would have broken the Pharaonic mediation; it could not have unified and founded Egypt, but would have destroyed its order. Breasted, we may say, has rightly seen the parallel speculations on the level of 'doctrine'; but since life is not a matter of doctrine, they do not touch the form, or essence, of a civilization. As far as the experiences of order are concerned, the parallel cannot be maintained. (94f; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Decline; 'Dispute of a Man, Who Contemplates Suicide, with His Soul.'; Konsubstantialität

Kurzinhalt: Isolation eines geistigen Menschen in der Zeit einer moralischen disorder; die geistige Gemeinschaft ist zerstört

Textausschnitt: To whom can I speak today?
One's fellows are evil;
The friends of today do not love.
To whom can I speak today?
Faces have disappeared:
Every man has a downcast face toward his fellow.
To whom can I speak today?
A man should arouse wrath by his evil character,
But he stirs everyone to laughter, in spite of the wickedness of his sin.
To whom can I speak today?
There are no righteous;
The land is left to those who do wrong.
To whom can I speak today?
The sin that afflicts the land,
It has no end.
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... The impasse which precedes a suicide is caused by the impossibility of spiritual and moral life in community with others. That is not a matter of discomforts and dangers as they are inevitable in a time of social upheaval; it is rather a question of the moral disintegration of the people with whom one is compelled to live. The essence of the misery is formulated in the line 'Every man has a downcast face toward his fellow.' The community of the spirit (or, for Egypt, we should say, of the maat) is destroyed. The fellow man casts down his eyes so that you will not read in them the deal he has made with evil and know that he has become a conniver. The isolation of the spiritual man among contemporaries who have committed moral suicide lets death appear as the friend who opens the gate from the prison of life. ... It is not a mere escape from an unbearable situation but the way to redeeming action. In the beyond, the man will be a living god who can help in repairing the evils of society by punishing criminals, restoring worship and offerings in the temples, and effectively appealing to the god.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Ägypten; messianische Hoffnung

Kurzinhalt: From the depth of the misery will then arise the hope for a messianic ruler who by his personal qualities will bring happier days

Textausschnitt: The pointed question makes the Pharaoh responsible for the disorder; when men misbehave, they still execute the will of the ruler. The character of the individual Pharaoh, thus, becomes the condition of domestic peace. From the depth of the misery will then arise the hope for a messianic ruler who by his personal qualities will bring happier days, as we find it expressed in the "Prophecies of Neferrohu," from the beginning of the reign of Amenemhet I (2000-1970 B.C.) (103; Fs)

Then it is that a king will come,

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Echnaton: gegen Amon; Pharao als Mittler zwischen Gott und Mensch

Kurzinhalt: The revolt of Akhenaton against the Amon of Thebes has a complex structure; dennoch: kein Monotheismus

Textausschnitt: The revolt of Akhenaton against the Amon of Thebes has a complex structure. It is both institutional and spiritual, both revolutionary and reactionary. The institutional aspects are easy to grasp
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In spite of its universalist and egalitarian aspects, however, the hymn is neither monotheistic, nor does it proclaim a redeemer god for all men. The creation of the Aton is more radical than any of the preceding attempts to arrive at an understanding of the nature of divinity, but it still lies within the range of the polytheistic myth ... Akhenaton proceeded by excluding other gods, in particular, the hated Amon. But his very zeal in eradicating the name of Amon from the inscriptions, thereby to destroy his effectiveness magically, shows that the Amon was a reality for him that had to be taken into account. Moreover, ...
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The position of the Pharaoh as the exclusive mediator between god and man was re-established with a vengeance. The personal religiousness of the people, which had been growing ever since the First Intermediate Period, was to be diverted to the Pharaoh as the god on earth. At least that is what Akhenaton attempted. The Osiris cult was severely repressed. The inscriptions from the tombs of the officials reveal the new emphasis on the monopoly of divine radiation that was held by the administration under the king. In the tomb of Tutu, a high court official under the regime, the king is described as the son of Aton, living in truth, coming forth from the rays of the sun-god, and established by him as the ruler over the circuit of Aton. The god endows the king with his own eternity and makes him to his likeness; the king is the emanation of the god. Aton is in heaven, but his rays are on earth; and the king, being the son of the rays, is the god's instrument in working his designs on earth. ... The king is "living in the truth" of the god as the god's truth lives in him; and the official executes this truth, and is able to do so, in so far as the king's ka lives in him. The substance of the god, his maat, thus percolates through the realm and ultimately reaches the subjects. But the subject has no access to the Aton directly. When the Aton rises in the world he embraces his beloved son Akhenaton; and the royal son, through his rule and administration, returns the world to the god as his offering. The subject can participate in the circulation of divine substance only through obedience to the Pharaoh.
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The beauty of the hymns to Aton, the "modern" atmosphere of individualism, of intellectual excitement, of realism in art, of humanization of the court ceremonial, and of a general civilizational nervousness, have been a temptation to find in the reforms of Akhenaton more than they contain. To be sure, ...

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Israel: Rückblick auf Ägypten u. Mesopotamien u. Ausblick: Moses - Exodus (Ramses); Wüste

Kurzinhalt: the attraction of the divine magnet was not strong enough to orient the soul toward transcendent being

Textausschnitt: 1/4 The compact experience of cosmological order proved to be tenacious. Neither the rise and fall of Mesopotamian empires nor the repeated crises of imperial Egypt could break the faith in a divine-cosmic order of which society was a part. To be sure, the contrast between the lasting of cosmic and the passing of social order did not remain unobserved, but the observation did not penetrate the soul decisively and, consequently, did not lead to new insights concerning the true order of being and existence. ...
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... Man, in his desire for a new freedom, seemed on the verge of opening his soul toward a transcendent God; and the new religiousness, indeed, achieved a surprising feat of monotheistic speculation. Nevertheless, even in the Amon Hymns, the attraction of the divine magnet was not strong enough to orient the soul toward transcendent being. The Egyptian poets could not break the bond of Pharaonic order and become the founders of a new community under God.
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And yet, it was their age in which the bond was broken. The Amon Hymns were created under Dynasty XIX, ca. 1320-1205 B.C. And this was the dynasty under which, according to recent trends of conjecture, occurred the Exodus of Israel from Egypt. Ramses II is supposed to be the Pharaoh of the oppression, his successor Merneptah 1225-1215) the Pharaoh of the Exodus. While such precise suppositions may be doubtful, the thirteenth century B.C. in general was probably the age of Moses. At the time when the Egyptians themselves strained their cosmological symbolism to the limits without being able to break the bonds of its compactness, Moses led his people from bondage under Pharaoh to freedom under God.
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... the desert was only a station on the way, not the goal; for in the desert the tribes found their God. They entered into a covenant with him, and thereby became his people. As a new type of people, formed by God, Israel conquered the promised land. The memory of Israel preserved the otherwise unimportant story, because the irruption of the spirit transfigured the pragmatic event into a drama of the soul and the acts of the drama into symbols of divine liberation.
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When the spirit bloweth, society in cosmological form becomes Sheol, the realm of death; but when we undertake the Exodus and wander into the world, in order to found a new society elsewhere, we discover the world as the Desert. The flight leads nowhere, until we stop in order to find our bearings beyond the world. When the world has become Desert, man is at last in the solitude in which he can hear thunderingly the voice of the spirit that with its urgent whispering has already driven and rescued him from Sheol. In the Desert God spoke to the leader and his tribes; in the Desert, by listening to the voice, by accepting its offer, and by submitting to its command, they at last reached life and became the people chosen by God.
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When the spirit bloweth, society in cosmological form becomes Sheol, the realm of death; but when we undertake the Exodus and wander into the world, in order to found a new society elsewhere, we discover the world as the Desert. The flight leads nowhere, until we stop in order to find our bearings beyond the world. When the world has become Desert, man is at last in the solitude in which he can hear thunderingly the voice of the spirit that with its urgent whispering has already driven and rescued him from Sheol. In the Desert God spoke to the leader and his tribes; in the Desert, by listening to the voice, by accepting its offer, and by submitting to its command, they at last reached life and became the people chosen by God.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Israel: Geschichte in einem pragmatischen Sinn u. als bezogen auf den Willen Gottes

Kurzinhalt: Precision with regard to the pragmatic details of time, location, ...will be much less important than precision with regard to the will of God on the particular occasion; Old Testament, AT

Textausschnitt: Nevertheless, the events are not experienced in a pragmatic context of means and ends, as actions leading to results in the intramundane realm of political power, but as acts of obedience to, or defection from, a revealed will of God. They are experienced by souls who struggle for their attunement with transcendent being, who find the meaning of individual and social actions in their transfusion with the plans of God for man. When experienced in this manner, the course of events becomes sacred history, while the single events become paradigms of God's way with man in this world. Now, the criteria of truth applying to paradigmatic events in this sense cannot be the same as those applying to pragmatic events. For an event, if experienced in its relation to the will of God, will be truthfully related if its essence as a paradigm is carefully elaborated. Precision with regard to the pragmatic details of time, location, participating persons, their actions and speeches will be much less important than precision with regard to the will of God on the particular occasion, as well as to the points of agreement, or disagreement, of human action with the divine will. Moreover, an original account, once it has entered the stream of oral tradition, can be submitted to reworking for the purpose of improving the paradigmatic essence; stories can be dramatically pointed up, if necessary through imaginative detail; and the meaning of speeches can be made more luminous through paraenetic interpolations. A pragmatic historian, to be sure, would regret such transformations as a falsification of sources, but the writer of sacred history will understand them as an increase of truth.
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Reflection on this bewildering complex of successively superimposed meanings should make it clear that paradigmatic and pragmatic histories are not rivals. Israelite history was not written in order to confuse pragmatic historians ... For the truth which Israel carried would have died with the generation of the discoverers, unless it had been expressed in communicable symbols. The constitution of Israel as a carrier of the truth, as an identifiable and enduring social body in history, could be achieved only through the creation of a paradigmatic record which narrated (1) the events surrounding the discovery of the truth, and (2) the course of Israelite history, with repeated revisions, as a confirmation of the truth. This record is the Old Testament. Precisely when its dubiousness as a pragmatic record is recognized, the narrative reveals its function in creating a people in politics and history.
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Hence, there is an intimate connection between the paradigmatic narrative of the Old Testament and the very existence of Israel, though it is not the connection that exists between a narrative and the events which it relates. The nature of this elusive relationship will become clearer if one remembers that no problem of this nature did arise in the treatment of Mesopotamian or Egyptian history. ... . Israel alone had history as an inner form, while the other societies existed in the form of the cosmological myth. History, we therefore conclude, is a symbolic form of existence, of the same class as the cosmological form; and the paradigmatic narrative is, in the historical form, the equivalent of the myth in the cosmological form. Hence it will be necessary to distinguish between political societies according to their form of existence: the Egyptian society existed in cosmological, the Israelite in historical form.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Spengler and Toynbee; Grundfehler; Geschichte als Form der Existenz wird nicht anerkannt

Kurzinhalt: while in fact religious founders were concerned with the ordering of human souls and, if successful, founded communities

Textausschnitt: Both Spengler and Toynbee are burdened with the remnants of certain humanistic traditions, more specifically in their late liberal-bourgeois form, according to which civilizations are mystical entities producing cultural phenomena such as myths and religions, arts and sciences. Neither of the two thinkers has accepted the principle that experiences of order, as well as their symbolic expressions, are not products of a civilization but its constitutive forms. They still live in the intellectual climate in which "religious founders" were busy with founding "religions," while in fact they were concerned with the ordering of human souls and, if successful, founded communities of men who lived under the order discovered as true. If, however, the Israelite discovery of history as a form of existence is disregarded, then the form is rejected in which a society exists under God. The conception of history as a sequence of civilizational cycles suffers from the Eclipse of God, as a Jewish thinker has recently called this spiritual defect. Spengler and Toynbee return, indeed, to the Sheol of civilizations, from which Moses had led his people into the freedom of history.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Apostasie

Titel: Apostasie

Stichwort: Definition: Säkularisierung (säkulaisierte Geschichte); Marquise du Chatelet, Bossuet, Voltaire

Kurzinhalt: Als Säkularisierung beabsichtigen wir jene Haltung zu bezeichnen, mit der die Geschichte, einschließlich der christlich religiösen Phänomene, als eine innerweltliche Kette von menschlichen Ereignissen aufgefasst wird, während ...

Textausschnitt: b. Säkularisierte Geschichte

12a Durch den Appell an ein profanes Prinzip der Universalität forderten die Notizen der Marquise du Châtelet die christliche Universalität offen heraus. Die Bemerkung über die relative Bedeutung Israels brachte Geschichte und Theologie in einen Gegensatz. "Geschichte" ist hier ein vom Plan der Vorsehung unabhängiger Bereich; ihr Sinn und ihre Ordnung - sollte es sie geben - können nicht vom Drama des Falls und der Erlösung abgeleitet werden. Das Volk Israels mag zwar im Heilsdrama eine einzigartige Bedeutung gehabt haben, es hat aber wenig Bedeutung auf einem Gebiet, dessen Struktur durch den Aufstieg und Fall der politischen Mächte bestimmt wird. Dieser Aspekt der Bemerkung wäre für sich noch nicht revolutionär gewesen. Bossuet hätte der Marquise in diesem Punkt gar zugestimmt und darauf bestanden, dass er genau deswegen Israel nicht in Teil III über die Geschichte der Reiche, sondern in der Suite de la religion abgehandelt habe. Die Bemerkung nahm erst dort revolutionäre Züge an, wo sie implizierte, dass die Heilsgeschichte, die "Theologie", unwichtig sei und die Profangeschichte ein Monopol besitze, die Bedeutung von Völkern und Ereignissen zu bestimmen. Das Zentrum der Universalität war von der heiligen auf die weltliche Ebene verlagert worden, und diese Verlagerung gab der Sache jene Wendung, die implizierte, dass die Geschichtskonstruktion in Zukunft nicht dem religiösen Drama unterzuordnen sei, sondern das Christentum als ein Ereignis in der Geschichte zu betrachten sein würde. Durch diese Verlagerung des Interpretationszentrums verschwand der Dualismus zwischen Heils- und Profangeschichte. Profangeschichte ist nur so lange profan als die Heilsgeschichte als absoluter Bezugsrahmen akzeptiert wird. Gibt man diese Position auf, so fließen die beiden Geschichten auf der Ebene einer säkularisierten Geschichte ineinander. Als Säkularisierung beabsichtigen wir jene Haltung zu bezeichnen, mit der die Geschichte, einschließlich der christlich religiösen Phänomene, als eine innerweltliche Kette von menschlichen Ereignissen aufgefasst wird, während gleichzeitig der christliche Glaube an eine allgemeingültige Ordnung der menschlichen Geschichte beibehalten wird. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Psalm 136; Weltgeschichte; Erschaffung der Welt als erster Akt der Geschichte

Kurzinhalt: To this conception the term "worldhistory" can be applied in the pregnant sense of a process that is worldcreation and history at the same time

Textausschnitt: The drama of divine creation moves through the three great acts: the creation of the world, the rescue from Egypt, and the conquest of Canaan. Each of the three acts wrests meaning from the meaningless: the world emerges from Nothing, Israel from the Sheol of Egypt, and the promised land from the Desert. The acts thus interpret one another as works of divine creation and as the historical stages in which a realm of meaning grows: In history God continues his work of creation, and the creation of the world is the first event in history. To this conception the term "worldhistory" can be applied in the pregnant sense of a process that is worldcreation and history at the same time.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Deuteronomium 26:4b-9

Kurzinhalt: Ausdehnung der Geschichte von der Grunderfahrung aus

Textausschnitt: ... it shows how the meanings of history ramify from an experiential nucleus. In order to be brought out of Egypt, Israel first had to come into it. If God reveals himself as the savior in a concrete historical situation, the prehistory of the situation comes into view. The Exodus expands into Patriarchal history.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Weltgeschichte: Sinn, Bedeutung; Genesis, Erschaffung der Welt

Kurzinhalt: worldhistory is meaningful in so far as it reveals the ordering will of God in every stage of the process; Creation and Exodus, thus, are successive phases in the unfolding of the order of being

Textausschnitt: The construction of world-history unfolds the meaning that radiates from the motivating centers of experience. And since it is the will of God, and his way with man that is experienced in the concrete situation, worldhistory is meaningful in so far as it reveals the ordering will of God in every stage of the process, including the creation of the world itself ... He is the Creator, the Lord of Justice, and the Savior. These are the three fundamental aspects of divine being, as they become visible in the Israelite construction of world-history. They become something like a "theology" when they are brought into focus in the work of Deutero-Isaiah; and they remain the fundamental modes in which God is experienced in Christianity.
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11/5 The experience of existence under God unfolds into the meaning of world-history; and the emergence of meaningful order from an ambiance of lesser meaning supplies the subject matter for the Biblical narrative. ... The Biblical narrative is built around the great cases of emergence, and gains its dramatic movement in detail as the story of recessions from, and returns to, levels of meaning already achieved.
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Genesis establishes the dramatic pattern of emergence and recession of meaningful order. It opens with the creation of the world, culminating in the creation of man; and it follows the account of the original emergence of order with the story of the great recession from the Fall to the Tower of Babel. A second level of meaning emerges with Abraham's migration from the Chaldaean city of Ur, with a way station in Haran, to Canaan. That is the first Exodus by which the imperial civilizations of the Near East in general receive their stigma as environments of lesser meaning. ... Creation and Exodus, thus, are successive phases in the unfolding of the order of being; but the rhythm of emergence and recession was to be beaten twice in Genesis, and the order of being is not yet completed. Genesis is clearly the prelude to the main event whose story is told in Exodus, Numbers, and Joshua-that is, to the second Exodus, the wandering in the Desert, and the conquest of Canaan. Only with the main event, with the constitution of Israel as a people through the Covenant and its settlement in the promised land, the historical present is reached from which the ray of meaning falls over Genesis.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Israel: Spannung zwischen Auserwählung und Menschheit; Zwiespältigkeit der Landname

Kurzinhalt: Kanaa: Übersetzung eines transzendenten Zieles in die Geschichte; universalistische Tendenz bei den Propheten;

Textausschnitt: In Galatians 3:7-9, St. Paul could interpret his apostolate among the nations outside Israel as the fulfillment of Yahweh's promise to Abraham; and contemporary with St. Paul, Philo Judaeus interpreted the prayer of the Jewish High Priest as the representative prayer for mankind to God. The ability or inability of the various branches of the Jewish community to cope with the problem of its own representative character has affected the course of history to our time, as will be seen presently. For the moment it must be observed that Genesis, as a survey of the past from which emerges the Israelite historical present, fulfills two important tasks. On the one hand, it separates the sacred line of the godly carriers of meaning from the rest of mankind. That is the line of Adam, Seth, Noah, Shem, Abraham, Isaac, Jacob, and the twelve ancestors of the tribes of Israel. On the other hand, it must pay some attention to the mankind from which the sacred line has separated. That task is discharged in Genesis 10, in form of a survey of the nations that have descended from Noah after the Flood and peopled the earth.
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It was this establishment of a kingdom which inevitably produced the conflict between the Israel that was a peculiar people under the kingship of God, and the Israel that had a king like the other nations. Whether the kingship was pragmatically successful, through assimilation to the prevalent style of governmental organization, foreign politics, and cultural relations with the neighbors, as it was under Solomon and the Omride dynasty in the Northern Kingdom; or whether it was unsuccessful, and ultimately brought disaster on Israel through hopeless resistance against stronger empires, the Prophets were always right in their opposition. For Israel had reversed the Exodus and re-entered the Sheol of civilizations. Hence, the pattern of recession and repentant return still runs through Samuel and Kings but no longer with the ease of Judges, for it is increasingly overshadowed by the awareness that the Kingdom on principle is a recession, while the carriership of meaning, running parallel with it, is being transferred to the Prophets. Moreover, the literary organization of the great historical work can no longer cope successfully with the problem of crisis. To be sure,
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The retrospective interpretation from the rabbinical position makes it clear that the disturbing factor in the Israelite historical form had been the ambiguity of Canaan, that is, the translation of a transcendent aim into a historical fait accompli. With the conquest of Canaan, Israelite history, according to its own original conception, had come to its end; and the aftermath could only be the repetitious, indefinite ripple of defection and repentance that filled the pages of Judges. From this rippling rhythm the historical form was regained, not by the Kingdom, but through the elaboration of the universalist potentialities of Yahwism by the Prophets. The separation of the sacred line from the rest of mankind an enterprise that had run into the impasse of a nation among others would have ended ignominiously with the political catastrophy, unless the Yahwism of the Prophets had made possible the genesis of a community under God that no longer had to reside in Canaan at all cost. Still, the new Jewish community, which succeeded to the Hebrews of the Patriarchal Age and the Israel of the Confederacy and the Kingdom, had to travel a hard way until it could rejoin the mankind from which it had separated, so that the divine promise to Abraham would be fulfilled. And not the whole of the community was successful in ascending to this further level of meaning. For,
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The representative separation of the sacred line through divine choice petered out into a communal separatism, which induced the intellectuals of the Roman Empire to attribute to the community an odium generis humani. What had begun as the carriership of truth for mankind, ended with a charge of hatred of mankind. As the other and, indeed, successful branch, emerged the Jewish movement that could divest itself not only of the territorial aspirations for a Canaan, but also of the ethnic heritage of Judaism. It became able, as a consequence, to absorb Hellenistic culture, as well as the proselytizing movement and the apocalyptic fervor, and to merge it with the Law and the Prophets. With the emergence of the Jewish movement that is called Christianity, Jews and Greeks, Syrians and Egyptians, Romans and Africans could fuse in one mankind under God. In Christianity the separation bore its fruit when the sacred line rejoined mankind.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Berechtigung der Deutung der Symbole Israels unter dem Gesichtspunkt der Geschichte

Kurzinhalt: kein Begriff "Geschichte" in Israel aufgrund der Kompaktheit; ...because the idea of history has its origin in the Covenant ...

Textausschnitt: 29/6 Throughout this part we have spoken of history as the Israelite form of existence, of a historical present created by the Covenant, and of an Israelite historiography, while ignoring the fact that the Hebrew language has no word that could be translated as "history." This is a serious matter, for apparently we have violated the first principle of hermeneutics-that the meaning of a text must be established through interpretation of the linguistic corpus. It is impermissible to "put an interpretation on" a literary work through anachronistic use of modern vocabulary without equivalents in the text itself. Hence, two questions will demand an answer: (1) How can the use of the term "history" be justified in an analysis of Israelite symbols? and (2) what did the Israelite authors do, expressed in their own language, when they wrote what we call "history"? (162f; Fs)
30/6 The justification demanded by the first question will rely on the principle of compactness and differentiation. The Israelite thinkers did not indeed differentiate the idea of history to the point of developing a theoretical vocabulary. Nevertheless, with due precautions, the modern vocabulary may be used without destroying the meaning of Israelite symbols, because the idea of history has its origin in the Covenant. The compact Mosaic symbolism of communal existence under the will of God as revealed through his instructions has in continuity, through the course of Israelite, Jewish, and Christian history, undergone a process of articulation from which resulted, among others, the idea of history. After three millenniums of defections and returns, of reforms, renaissances, and revisions, of Christian gains and modern losses of substance, we are still living in the historical present of the Covenant. Moreover, the work of the Israelite historiographers is still going on, although, due to theoretical differentiation, the techniques have changed. For Israel has become mankind; and the accretion of the Instructions has become the revision of principles. (163; Fs) (notabene)
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1/6 The use of such terms as "history," "historical present," and "historiography," however, is more than justified in an analysis of Israelite symbols-it is a matter of theoretical necessity. For if the differentiated vocabulary were rejected, there would be no instruments for critical analysis and interpretation. Confined to the use of the Hebrew symbols, our understanding would be locked up in the very compactness which, in Israelite history, has led into the disastrous impasses previously discussed. Nevertheless, while we cannot dispense with modern theoretical vocabulary, extreme caution is necessary in its use,

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Hauptthemen der israelitischen Geschichtsschreibung: Instruktionen, Fruchtbarkeit

Kurzinhalt: Hence, the historiographer will be, first of all, concerned with the divine instructions (toroth) that furnish the measure for human conduct;

Textausschnitt: The subject-matter of Israelite historiography, as we have seen, is world-history in the pregnant sense of a report on the emergence of divinely willed order in world and society through the creative and covenanting acts of God. If for the moment the brief introductory account of the Creation, as well as its bearing on the further happenings, is set aside, one can say that the vastly preponderant bulk of the report is concerned with the human drama of obedience to, and defection from, the will of God. Hence, the historiographer will be, first of all, concerned with the divine instructions (toroth) that furnish the measure for human conduct and its appraisal

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: toldoth; Genealogie: Spannung zw. Menschheit - heiligem Rest; Chronik; Adam, Sem

Kurzinhalt: Die Menschheit blieb gebunden an die hl. "Linie" - der hl. Rest an die Rückkehrer aus dem Exil, die das "Landvolk" nicht als legitime Nachfoler sahen

Textausschnitt: Mankind is conceived as a clan, deriving its community bond from a common ancestor. History, under this aspect, becomes an account of the generations (toldoth) of man descending from Adam, down to the time of the writer. The idea, with some of its connotations, can be discerned in the opening of Chronicles.
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The register of Chronicles illuminates the various uses to which the genealogies can be put, as well as the tension that must develop between the clan idea and the idea of mankind. The symbol of the toldoth applies to the whole course of Israelite history. As the phases of application can be distinguished, in chronological order:
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the main purpose of guaranteeing the purity of the "holy seed." For the register is rigidly constructed on the principle of separating the main line of mankind from the side lines. A series of names on the main line is enumerated until a point is reached where the heads of side lines appear; at this point the main line is interrupted, the side lines are disposed of, and then the enumeration returns to the main line. The descendants of Adam, for instance, are enumerated down to Shem, Ham, and Japheth; then the descendants of Japheth and Ham, as well as the side lines of Shem are disposed of; and then the register returns to the enumeration of the main line from Shem to Abraham; and so forth. The procedure of recapturing the main line again and again from the mass of lesser mankind is an impressive prelude to the recapturing that is now in the offing when the men who returned from the Exile will separate as the "remnant," as the "children of captivity" (Ezra 8:35), from the "adversaries," the "people of the land" (amha-aretz, Ezra 4:1-4), that is, from the Israelites who had remained in the country when the others were carried off into captivity. (166f; Fs)
39/6 Up to this point the analysis renders the following result. The historiographic symbol of the toldoth had for its basis the genealogies of the clans united in the Israelite Confederacy. The genealogy, then, became the symbol for expressing the unity of groups which by their substance were no clans at all. The dominant experience in the creation of such groups was the Covenant at Mount Sinai, which constituted something like an amphictyonic league of formerly separate clans, under the name of Israel. The community originating in the Covenant was, then, submitted to genealogical work; and as a consequence the original clans, as well as others which joined them at a later time, as for instance Judah, were constructed as tribes descending from a common ancestor Jacob-Israel. The Covenant, however, was a divine revelation of true order valid for all mankind, made to a particular group at a particular time. Hence, there could be, and historically there was, differentiated from it both the idea of a mankind under one God and the idea of a nucleus of true believers. Again both ideas were submitted to genealogical work. The idea of mankind was cast in the form of a genealogy going back to Adam; the nucleus of the true believers became a "remnant" that kept a genealogical record of the "holy seed." In both instances the genealogical work was more than an innocuous formality. The idea of mankind could never be understood in its fullness, in spite of the arduous endeavors of the prophets, because through the genealogical form it remained closely linked to the idea of a genealogically separated sacred line. And the idea of a nucleus of true believers rendered, under the genealogical influence, the grotesque result of the postexilic synoecism: That a numerically small group of exiles returned to Jerusalem and excommunicated the am-ha-aretz, that is, the people of Israel settled in its promised land. The people of Israel had to wait for its historical revenge until from the am-ha-aretz there arose Jesus and Christianity. (167; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: toldoth, Generationen, Adam; Schöpfung und co-operative Mit-Schöpfung

Kurzinhalt: kein genealogischer Aufstiege, sondern Fortsetzung der Schöpfung in der Ebenbildlichkeit Gottes; co-operative obedience

Textausschnitt: 44/6 With the linguistic structure of the text before him, the reader will not doubt that the toldoth of Adam continue the toldoth of heavens and earth. The authors intended the meanings of creation and procreation to merge in a co-operative process; the order of being is meant to arise from the creative initiative of God and the procreative response of the creation. Hence, what is trustworthy about the registers is not the genealogical ascent from the presently living to some remote ancestor but the generative descent from God-generative understood in the double meaning of creative-procreative. . The adam that was created by God with the procreative response of ad and adamah continues to generate himself in the likeness of God ...
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Hence, the process of world-history reaches its highest level with the divine choice of individuals and groups for special instruction and the trusting response of the chosen individuals and groups. The special relationship between God and man is formalized through the covenants. The covenant, the berith, must therefore be ranked with toroth and toldoth as the third great symbol used in the expression of Israelite historical thought.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: berith, Bund als Struktur der Geschichte; Mathäus

Kurzinhalt: covenant: it is justifiable to speak of a conscious speculation on periods of history: from Adam to Noah ...

Textausschnitt: ... In a similar manner we find at the institutional basis in the case of the berith, the federal agreements between nomad clans and between nomads and agricultural settled groups, and in alliances in foreign relations. The form of the berith then is employed for symbolizing the relation between Yahweh and Israel, as it was established at Mount Sinai. And on the Great Berith that constitutes the Israelite historical present, finally, is superimposed the use of the symbol for historiographic purposes.
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In a similar manner we find at the institutional basis in the case of the berith, the federal agreements between nomad clans and between nomads and agricultural settled groups, and in alliances in foreign relations. The form of the berith then is employed for symbolizing the relation between Yahweh and Israel, as it was established at Mount Sinai. And on the Great Berith that constitutes the Israelite historical present, finally, is superimposed the use of the symbol for historiographic purposes.
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49/6 In view of the superimposition of the covenant symbol on the historical narrative, with its accentuation of the epochs, it is justifiable to speak of a conscious speculation on periods of history. There are the four periods already mentioned, from Adam to Noah, from Noah to Abraham, from Abraham to Moses, and from Moses onward.
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The berith and the toldoth were both used for the symbolization of the historical periods. If there should be any doubt about the speculative intention as the primary motive in the arrangement of the narrative, it will be dispelled by the use that was still made of this symbolism in early Christian historiography. For the Gospel of St. Matthew ...

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Motivation d. Geschichtsschreibers; Rekurs auf die Erfahrung; "subject matter" of history

Kurzinhalt: Einheit von Mythos, "bewusstem" (eg) Mythos und Geschichte; meaning which can be ascertained only by recourse to the experiential motivations of the form

Textausschnitt: 54/6 The historiographic work, thus, contains genuine myths, genuine history, and the strange intertwinings of history, myth, and enactment of the myth that we find in the affair of the Deuteronomy. The three types of content are blended into a new type of story that is neither myth nor pragmatic history but the previously analysed "world-history" with its experiential nucleus in the historical present constituted by Moses and the Covenant, and its elaboration through speculations on the origins of being and the periods of world-history. The "narrative" thus has absorbed variegated types of materials and transformed them according to its own principle of construction. It is a symbolic form sui generis. Hence, when now again we raise the question concerning the "subject matter" of the narrative, we are forced to the conclusion that it has no "subject matter," but a meaning which can be ascertained only by recourse to the experiential motivations of the form. (175f; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Dialektik von Bund (Moses) und Monarchie; Kirche - Staat

Kurzinhalt: the creation of the community substance through Moses and the Covenant, and the the political organization for successful pragmatic existence

Textausschnitt: Once the structure is recognized, its meaning is apparent. The cause of the difficulties is the compact experience of order. We have referred to the two focuses of Israelite history, that is, the creation of the community substance through Moses and the Covenant, and the the political organization for successful pragmatic existence through the monarchy. These were the two focuses which in the later, Christian development differentiated into sacred and profane history, into Church and State. In Israelite history the differentiation, while never quite achieved, very noticeably began; and in the course of the attempts to break the initial compactness of order occurred the curious reversals in the hierarchy of the focuses. In the situation of the "conquest," under the threat of extinction at the hands of the Philistines, the organization of the people under a monarchy was understood as the fulfillment of the task imposed by the Covenant. But as soon as the monarchy was established, and had adjusted itself to the internal and external exigencies of politics, it became obvious that the new social order did not correspond to the intentions of the Covenant at all. Hence, only with the reaction to the monarchy began the intense interest in Moses and the Instructions which ultimately caused the Kingdom to appear as a great aberration. The foundation of the monarchy, thus, became an ambivalent event in both the history and historiography of Israel. Without the monarchy, the Israel of the confederacy might have disappeared without leaving much of a trace in history; with the monarchy, it survived but betrayed the Mosaic Instructions. Without

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Hypothek - Kompaktheit; Propheten, Königtum, Landnahme, Jesus - Bergpredigt

Kurzinhalt: Doppelte Kritik der Propheten (Schwierigkeit der Sozialkritik vom Standpunkt der Siedler); Siedler - Nomaden,

Textausschnitt: 64/6 The nature of Israelite compactness has previously been defined as "a perpetual mortgage of the world-immanent, concrete event on the transcendent truth that on its occasion was revealed." ... The agricultural settlement in Canaan had familiarized the people with the necessity of treating the agricultural fertility gods with proper respect; and the new power position of the monarchy had compelled respect, as well as official cult establishments, for foreign gods as a matter of diplomatic necessity. Hence, the Prophets, when they voiced the dissatisfaction with the new order, were in a peculiar position. They certainly had plenty of targets to attack. But the attack had to be made in the name of something; and wherever they looked for a basis from which to launch the attack, they found that the basis was already encumbered with a mortgage that had to be removed in its turn. (180f; Fs)
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66/6 The retreat to nomad civilization, however, was difficult for more than one reason. In the first place, the people at large had no intention of returning to nomad existence. As a matter of fact, nomad life had become so distant to the settlers in Canaan that only a few traces of its memory are left in the Bible, ... The ethics of nomad life, thus, could not be held up with any hope of success in opposition to the mores of the Kingdom. One could not undo the history of Israel and return to the desert. Worse, however, was that the Yahwism of the desert period apparently did not provide the spiritual symbols that could be evoked authoritatively against the evils of the time. What the exact nature of the difficulty was we do not know, as the original symbols of the Mosaic period cannot be disengaged with certainty from the context created by the postprophetic redactions. But we do know that it required the efforts of a whole galaxy of Prophets to differentiate the spiritual meaning of Yahwism from a symbolism that enclosed it compactly in the ordering instructions for an association of nomad clans. And once these efforts had achieved a certain measure of success, the oppositional character of Prophetism had become doubly futile. For, pragmatically, the opposition had lost its target with the destruction of the Kingdoms; and, spiritually, it became obvious that the existence or nonexistence of a Kingdom of Israel was irrelevant for the fundamental problems of a life in righteousness before the Lord. (181f; Fs)
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68/6 The relationship between the life of the spirit and life in the world is the problem that lies unresolved at the bottom of the Israelite difficulties. Let us hasten to say that the problem by its nature is not capable of a solution valid for all times. Balances that work for a while can be found and have been found. But habituation, institutionalization, and ritualization inevitably, by their finiteness, degenerate sooner or later into a captivity of the spirit that is infinite; and then the time has come for the spirit to break a balance that has become demonic imprisonment. Hence, no criticism is implied when the problem is characterized as unresolved. But precisely because the problem is unsolvable on principle, an inestimable importance attaches to its historically specific states of irresolution. In the Israelite case, the problem is unresolved in so far as it is on the point of emergence from the compactness of the Mosaic period into the Prophetic differentiation. And the foundation of the Kingdom was, furthermore, the specific crisis that revealed the demonic derailment of the Mosaic foundation. Here we witness the interplay of experiences in the struggle of the spirit for its freedom from encasement in a particular social organization. That struggle of truly world-historic importance has, by its experiential phases, determined the unique structure of the Biblical narrative as a literary work. (183; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Erwartung des Messias, Erlöser, Christentum als Skandal: Rückkehr des transzendenten Gottes in die Welt

Kurzinhalt: erst Entdivinisierung, dann Rückkehr des transzendenten Gottes in die Welt

Textausschnitt: 37/8 With regard to the form a return of God into history would assume, the prayer is silent. And one should not read more into Trito-Isaiah than can actually be found there. Nevertheless, there is enough in the prayer to suggest the experiential mood in which men were receptive for the appearance of God on earth and to become the followers of the Christ. To be sure, there was a host of other symbols approximating the godman which would make the appearance of Christ intelligible to the civilizationally mixed humanity of the Roman Empire: there were Egyptian Pharaohs, Hellenistic god-kings, and Jewish expectations of a Davidic Messiah. Still, none of them contained the specific ingredient that made Christianity a scandal, the ingredient to be found in Trito-Isaiah: the return of the world-transcendent God into a cosmos which had become nondivine, and into a history which had become human. This gulf between God and the world, inherent in Yahwism from the Mosaic age, could be bridged through the Israelite centuries by the survivals of cosmological symbols, by the Canaanite agricultural gods, and by ancestor cults; but when the terrible implications of this separation of God from the world had been realized through the work of the prophets, and when the intramundane, political disasters had brought home the anguish of life in a god-forsaken world, the time was ripe for the return of God into a history from which the divine forces had been eliminated so drastically. (239f; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Israels: Hinderungsgründe für eine Entwicklung der Philosophie

Kurzinhalt: Israel: Gott nicht als das unsichtbare Maß des Seele im Sinne Platos;

Textausschnitt: 38/8 With regard to philosophy, one must say that its development in the Hellenic sense was prevented by the irresolution concerning the status of the soul. The philia reaching out toward the sophon presupposes a personalized soul: the soul must have disengaged itself sufficiently from the substance of particular human groups to experience its community with other men as established through the common participation in the divine Nous. As long as the spiritual life of the soul is so diffuse that its status under God can be experienced only compactly, through the mediation of clans and tribes, the personal love of God cannot become the ordering center of the soul. In Israel the spirit of God, the ruach of Yahweh, is present with the community and with individuals in their capacity as representatives of the community, but it is not present as the ordering force in the soul of every man, as the Nous of the mystic philosophers or the Logos of Christ is present in every member of the Mystical Body, creating by its presence the homonoia, the likemindedness of the community. Only when man, while living with his fellow men in the community of the spirit, has a personal destiny in relation to God can the spiritual eroticism of the soul achieve the self-interpretation which Plato called philosophy. In Israelite history a comparable development was impossible for the previously discussed reasons. When the soul has no destiny, when the relation of man with God is broken through death, even a revelation of the world-transcendent divinity as personal and intense as the Mosaic (more personal and intense than ever befell a Hellenic philosopher) will be blunted by the intramundane compactness of the tribe. The God of Israel revealed himself in his wrath and his grace; he caused the joy of loyal obedience as well as the anguish of disobedience, triumph of victory as well as despair of forsakenness; he manifested himself in natural phenomena as well as in his messengers in human shape; he spoke audibly, distinctly, and at great length to the men of his choice; he was a will and he gave a law-but he was not the unseen Measure of the soul in the Platonic sense. A Prophet can hear and communicate the word of God, but he is neither a Philosopher nor a Saint. (240f; Fs)
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No Platonic "practice of dying" developed in Israel. Still, the leap in being, when it created historical present as the existence of a people under the will of God, had also sharpened the sensitiveness for individual humanity. Perhaps because the soul had no destiny beyond death, triumph and defeat in life were experienced with a poignancy hitherto unknown to man.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Symbol: Saul - Samuel, wesentlich für Geschichte

Kurzinhalt: Erfahrungsgrundlage für die Spannung zwischen Königtum und Jahwe-Königtum

Textausschnitt: 47/8 The antiroyalist version of Saul's kingship has created one of the most important symbolisms of Western politics. Through the reception of the Bible into the Scripture of Christianity the relation between Samuel and Saul has become the paradigm of spiritual control over temporal rulership. From the first stirrings of theocratic consciousness in Lucifer of Cagliari and St. Ambrose, in the conflicts of the fourth century A.D., to the end of Christian imperial culture,
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This is the experiential area in which the theocratic symbolism is rooted. For the idea of theocratic order is not a "doctrine" invented by some thinker at a definite point of time but a symbol which articulates the experienced tension between divine and human constitution of society. As long as Israel was a confederacy, resting on the social organization of the Hebrew clans, the tension could become active only in the rare instances of charismatic leadership in an emergency, and that precisely was the situation in which the tension would dissolve before it could harden into a serious problem of order. When the emergency situation crystallized into the routine of permanent organization, even only locally, as in the case of Gideon's attempted dynasty, the outcome was disaster. Now, however, the Israelite theopolity was supplemented by a permanent kingship of national scope; and therefore, the question had to arise whether Israel, by the acquisition of a king like all the nations, had not become a nation like all the nations? whether Israel had ceased to be the chosen people of Yahweh? And if this should be the case, how could kingship be brought into accord with the exigencies of a theopolity?

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Psalmen; kein Ausdruck persönlicher Frömmigkeit; 2 Missverständniss

Kurzinhalt: ... but derive from hymns, liturgies, prayers, and oracles to be used in the cult of the pre-exilic monarchy

Textausschnitt: 48/9 The discovery that the Psalms are not original expressions of personal or collective piety written in postexilic or perhaps even post-Maccabaean times, but derive from hymns, liturgies, prayers, and oracles to be used in the cult of the pre-exilic monarchy, is one of the important events, perhaps the most important one, in the Old Testament study of the twentieth century. While the discovery has by now been almost generally accepted, the exploration of details, far from being concluded, furnishes occasion for wide disagreements. Moreover, the symbols of the Psalms and their "patterns" were found to have radiated over the forms of both the prophetic literature and the historical narrative, so that the interpretation of the Old Testament as a whole is faced with entirely new problems.
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49/9 Of the reasons why the nature of the Psalms has remained obscure for so long, two have been especially noted: (283; Fs)
(1) The first one ...
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The obstacle to an adequate understanding of the Psalms was the Zeitgeist of the nineteenth century, with its individualism in "poetry" and "religion." Romanticism and Pietism conspired to obscure the generic and cultic nature of the Psalms.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Psalm: Ungenügen der formkritischen und kultfunktionalen Methode (Gunkel, Mowinckel)

Kurzinhalt: Von der Klassifizierung nach literarischen Kriterien zum Sitz im Leben; Linee, Mendel; Kritik an Mowinckel: auch der Kult muss hinterfragt werden auf die Struktur der Ordnung

Textausschnitt: The classification thus proceeded under the assumption that to every type constructed by the form-critical method, there corresponded unequivocally a setting which had motivated this particular literary form. In the practice of analysis, however, difficulties were encountered from both terms of the relation. On the one hand, the types did not form a simple catalogue - the system was complicated by the classification of numerous Psalms under more than one head, as well as by the construction of subtypes and mixed forms. On the other hand, Gunkel had no well-founded theory about what constituted a setting in life - hence, the assignment of settings had no more critical weight than could be gained from the types themselves in combination with a few general notions about the course of Israelite religious history. A considerable degree of arbitrariness and uncertainty attached to Gunkel's work because of its character as a botanical classification in the manner of a Linnaean system. Since this analogy was drawn by Gunkel himself, we may be allowed to draw it out and formulate the task that had become obvious as the advance from Linné to the genetics of Mendel and Weismann.
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At the time when Mowinckel's conception was in formation, the comparative materials from Babylon and Egypt had increased substantially, and in addition he had experienced the influence of the Danish anthropologist Vilem Groenbech. The idea of a unique spiritual history of Israel began to be overshadowed by the recognition of the close resemblance between the institutions and cults of Israel and those of the neighboring civilizations. As far as the interpretation of the Psalter was concerned, Mowinckel saw that a considerable number of Psalms became intelligible if they were understood as connected with an Israelite New Year festival of the same type as the Babylonian, which had become better known recently, ...
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56/9 While Mowinckel's cult-functional conception was a definite improvement on Gunkel's form-critical method, it still suffered from the same weaknesses, though to a lesser degree. To be sure, Mowinckel had penetrated from the "botanical" surface of literary forms to the "genetic" depth of the cult that motivates the form. Nevertheless, the cult itself has a function in the order of society, and while it is a distinguishable unit, it is not an ultimate object in a critical science of order. Unless one penetrates beyond the cult into the order of which it is a function, the botanical superficialism with its theoretical weaknesses will repeat itself on the level of a cult-functional study of the Psalms. The difficulty of Mowinckel's position has become apparent in the continuing debate about his assumption of an Israelite New Year festival with a ritual enthronement of Yahweh, for the existence of the festival, which explains the Psalms, is inferred from the Psalms it is supposed to explain. This circle cannot be broken through reference to other sources that would unequivocally attest the existence of the festival, since ... The position can be strengthened and the circle broken only through the theoretical argument that the assumed enthronement festival belongs essentially to a complex of symbols which is characteristic for a certain type of order, and that an order of this type is present in Israel because other parts of the characteristic complex of symbols can be found in the Old Testament beyond a doubt.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Psal, Königspsalmen: Kontrast zwischen universalem Ansprüchen und politischer Realität; von Rad

Kurzinhalt: Psalmen als Ausdruck einer kosmologischen Ordnung; aber: die historische Form der Existenz Israels unter Gott wird durch die kosmologische Ordnung nicht aufgehoben

Textausschnitt: We can approach the nature of the difficulty through an occasional remark of one of the finest Old Testament scholars of our time, Gerhard von Rad, who declared himself puzzled by the universal claims of the Imperial Psalms. To be sure, he accepted the cultic interpretation of the Psalms, and he used the new methods himself in his studies on the Hexateuchal form, but he nevertheless found the cosmological symbolism of the imperial type somewhat ridiculous under the conditions of the small Kingdom of Judah. The remark illuminates a situation which must be negatively characterized through the absence of a philosophy of symbolic forms. The question raised by von Rad would be justified if the imperial symbolism were a program of world dominion in pragmatic politics; it will dissolve once it is recognized that we are dealing with the experience of cosmic order as the source of social order and with the articulation of that experience in the language of the cosmological myth. In a given instance, the language of the myth is motivated by the experience of order; it has nothing to do with the size or success of the social unit which uses the language. I want to stress that ...
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65/9 The consequences become painfully apparent when the description of "phenomena" extends beyond primitive cultures and cosmological civilizations to the existence of the Chosen People in its truly historical form under God. A study like Pedersen's Israel, for instance, will impress the reader by its magnificent array of comparative materials as much as by its regrettable historical flatness. To be sure, the "cult patterns" of cosmological civilizations can be found in Israel, too, for the good reason that Israel "wanted a King like the other nations." And since a king is the symbolic mediator between cosmic and social order, and not perhaps a ruler whom one can have with or without "ideology," his appearance in Israel was accompanied by the appearance of cosmological symbols of mediation and restoration of order. Nevertheless, it was Israel that wanted a king; and its historical form of existence, though seriously affected, was not abolished by the cosmological admixture. Hence, the heavy accent in recent literature on "divine kingship," "ideology," and "cult patterns" leaves the uneasy impression of more than a temporary neglect of the truly unique Israelite problems of existence in the presence of God: The neglect seems due, at least in part, to a genuine distortion of Israelite order as a consequence of its insufficient philosophical penetration. (292; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Deutsche Gelehrte gegen Mythisierung; von Rad, Kraus, Alt

Kurzinhalt: that another, specifically Israelite cult dominated the order; the cult-functional method was thus used by von Rad to show the existence of a cult which had its place in the context of the Sinaitic revelation

Textausschnitt: 68/9 In order to answer this question in the negative, it had first to be shown that an orbit of historical form existed indeed in the cult of Israel; that the cosmological symbolism was not as pervasive in the cult of the monarchy as the Scandinavian accents made it look; but that another, specifically Israelite cult dominated the order. And the existence of such a cult was proven with a high degree of probability indeed by the studies of Gerhard von Rad, when he demonstrated the character of the Sinai pericope (Exod. 19-24) as a cult legend and, furthermore, showed that its form was used in the construction of Deuteronomy. Moreover, Psalms 50 and 81 were found to contain elements (the Sinaitic appearance of Yahweh, the pronouncement of the Decalogue) that would be explained best by the assumption of a "Covenant Festival" at which Psalms of this type had a cultic function. Mowinckel's cult-functional method was thus used by von Rad to show the existence of a cult which had its place not in the ritual re-creation of cosmic order, divine and royal, but in the context of the Sinaitic revelation. (293f; Fs)
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... For first, the historical symbol of the Covenant enters, without impairment of meaning, into the cosmological form of cultic renewal; while second, the tradition of the historical event is couched in the form of a cult legend which no longer permits a reconstruction of the course of events in terms of pragmatic history; and third, the form of the cult legend, which has absorbed the historical events, is applied to the organization of a literary work like Deuteronomy which poses quite difficult formal problems of its own. (294f; Fs)
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72/9 With the prophetic institution of kingship secured, the attack could be undertaken. The kingship in Jerusalem as the point of irruption for the oriental symbolism, as well as the massiveness of the irruption, were acknowledged. The question now was "how far these mythical elements became subordinate to the main statements of the royal cult, or how far they preserved themselves as components in their own right" - a question to be answered in favor of the first alternative. Alt found it difficult to believe that "the supposedly general oriental divine kingship" should have been received into the Israelite order unless it had been transformed (umgebildet) so far that ...

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Lösung der Schwierigkeiten der deutschen Schule: Kraus, Alt; Einsicht von Wensinck

Kurzinhalt: insight that the symbolic forms of the cosmological empires and of Israel are not mutually exclusive

Textausschnitt: 75/9 In order to overcome the impasse, we must abandon all attempts to harmonize the text. Both the historical and cosmological symbols must be accepted at their face value as the expressions of the corresponding experiences of order; and it must be recognized, consequently, that the Davidic Empire, as well as its Israelite and Judaite successor states, were built on conflicting experiences of order. How such a composite order can function at all is not a question of the "subordination" of one set of symbols to the other one through the interpretative skill of contemporary Old Testament scholars, but of the balance of the conflicting experiences in the Israelite society from the tenth to the sixth centuries B.C. The history of Israel must be examined if we want to know whether the motivations of action, originating in the conflicting experiences whose coexistence is conclusively proven by the symbols, were held in such balance that the order remained stable. Only the actions of individuals or groups can indicate the relative vigor of the experiences, as well as the corresponding strength or loss of substance of the symbols.
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77/9 Our own position with regard to the various issues has been intimated on the occasion of their emergence. We shall now bring the scattered remarks into focus by recalling an early study by Wensinck on the subject of cosmological symbolism. Wensinck had seen that each New Year is a memorial and repetition of Creation. Order is not an eternal status of things, but a transition from chaos to cosmos in time. Once created, order requires attention to its precarious existence, or it will relapse into chaos. In the New Year festivals are concentrated the cults which restore order under all its aspects: The order of the world under the rule of the creator god;- the renewal of the cycle of vegetation; the foundation and restoration of the Temple; the coronation of the King and the periodic restoration of his ordering power. The drama of transition from chaos to cosmos, which draws its primary symbols from the vegetation cycles, is therefore a form that can be applied wherever a problem of order is at stake. As the principal examples of its application in the Old Testament Wensinck enumerates the story of Creation, the Exodus from Egypt and the passing through the Red Sea, the wandering in the Desert and the conquest of Canaan, the Babylonian captivity and the return from the Exile, the prophetic visions of a destruction of the world and its renewal through Yahweh. More subtly he finds the form applied to the prophetic writings with their sequence of prophecies of doom and blessedness, as well as to the figure of the Suffering Servant who emerges in triumph from humiliation. And the prophetic application of the form, finally, inspires Wensinck to the definition that "eschatology is in reality cosmology applied to the future." (298f; Fs) (notabene)
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78/9 While the formulations of Wensinck were frequently unprecise, his vision was admirable. From his study we can reap the enduring insight that the symbolic forms of the cosmological empires and of Israel are not mutually exclusive. Although each of the great forms has an organizing center of experience of its own, they are parts of a continuum in so far as they are linked by the identity of the order of being and existence which man experiences, on the scale of compactness and differentiation, in the course of history. Neither does the cosmological form become senseless when the organizing center of symbolization has shifted to the experience of God's revelation to man, nor does the history of the Chosen People become senseless with the advent of Christ. The ritual renewal of order, one of the symbolic elements developed within the cosmological civilizations, for instance, runs through the history of mankind from the Babylonian New Year festival, through Josiah's renewal of the Berith and the sacramental renewal of the sacrifice of Christ, to Machiavelli's ritornar ai principaj, because the fall from the order of being, and the return to it, is a fundamental problem in human existence. Once the adequate expression for an experience of order has been developed within the cosmological form, it does not disappear from history when divine revelation becomes the organizing center of symbolic form. For within the historical form created we must distinguish between the area of experience which is more immediately affected by revelation and the much larger area which remains relatively unaffected. The relation between God and man requires new symbols for its adequate expression, such as the dabar (the word of God), the nabi (the revealer of the word), the berith (the covenant), the da'ath (the knowledge of God), and so forth. But the conditions of existence in the world, such as the celestial and vegetational cycles, birth and death, the rhythm of the generations, the work to sustain life, the necessity of governmental organization, remain what they were and do not require new symbolization. A large part of the cosmological symbolism will therefore be received into the historical form, though that transmission without transformation is liable to produce tensions within the new symbolic form. We have noted the conflicts of this type in the tension between Sinai Covenant and David Covenant. (299f; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Schlussfolgerung: der weltliche Höhepunk - Eschatologie aus Kosmologie; Wensinck; Bund Sinais u. Davids

Kurzinhalt: Order is not an eternal status of things, but a transition from chaos to cosmos in time; symbolische Form und jene Israels schließen sich nicht aus; Kompaktheit; Ordnung des Bundes nicht zuständig für alle Lagen des Lebens

Textausschnitt: ... Wensinck had seen that each New Year is a memorial and repetition of Creation. Order is not an eternal status of things, but a transition from chaos to cosmos in time. Once created, order requires attention to its precarious existence, or it will relapse into chaos. In the New Year festivals are concentrated the cults which restore order under all its aspects: The order of the world under the rule of the creator god;- the renewal of the cycle of vegetation; the foundation and restoration of the Temple; the coronation of the King and the periodic restoration of his ordering power. The drama of transition from chaos to cosmos, which draws its primary symbols from the vegetation cycles, is therefore a form that can be applied wherever a problem of order is at stake. As the principal examples of its application in the Old Testament Wensinck enumerates the story of Creation, the Exodus from Egypt and ... finally, inspires Wensinck to the definition that "eschatology is in reality cosmology applied to the future." (298f; Fs) (notabene)
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78/9 While the formulations of Wensinck were frequently unprecise, his vision was admirable. From his study we can reap the enduring insight that the symbolic forms of the cosmological empires and of Israel are not mutually exclusive. Although each of the great forms has an organizing center of experience of its own, they are parts of a continuum in so far as they are linked by the identity of the order of being and existence which man experiences, on the scale of compactness and differentiation, in the course of history. Neither does the cosmological form become senseless when the organizing center of symbolization has shifted to the experience of God's revelation to man, nor does the history of the Chosen People become senseless with the advent of Christ. The ritual renewal of order, one of the symbolic elements developed within the cosmological civilizations, for instance, runs through the history of mankind from the Babylonian New Year festival, through Josiah's renewal of the Berith and the sacramental renewal of the sacrifice of Christ, to Machiavelli's ritornar ai principaj, because the fall from the order of being, and the return to it, is a fundamental problem in human existence. Once the adequate expression for an experience of order has been developed within the cosmological form, it does not disappear from history when divine revelation becomes the organizing center of symbolic form. For within the historical form created we must distinguish between the area of experience which is more immediately affected by revelation and the much larger area which remains relatively unaffected. The relation between God and man requires new symbols for its adequate expression, such as the dabar (the word of God), the nabi (the revealer of the word), the berith (the covenant), the da'ath (the knowledge of God), and so forth. But the conditions of existence in the world, such as the celestial and vegetational cycles, birth and death, the rhythm of the generations, the work to sustain life, the necessity of governmental organization, remain what they were and do not require new symbolization. A large part of the cosmological symbolism will therefore be received into the historical form, though that transmission without transformation is liable to produce tensions within the new symbolic form. We have noted the conflicts of this type in the tension between Sinai Covenant and David Covenant. (299f; Fs) (notabene)
79/9 In the light of these observations, the irruption of the "oriental myth" into the "order of Israel" will appear more intelligible and less disturbing than it does in the debate on the Psalms. We must realize that ...
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80/9 This problem of the vacuum left by the Covenant must not be glossed over by the language of a genuinely Israelite order that emanated from the Sinai Covenant, and of foreign elements that entered with David's kingship. For such a distinction, perhaps motivated by theological or "religious" concerns, implies that the Covenant provided a complete order for a society. The conditions of existence in the world, which in fact were sorely disregarded in the Covenant order, would then be considered factors of reality which can be changed in such a manner that the existence of a society under the Covenant, and nothing but the Covenant, will become historically possible. If

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: die imperiale Ordnung, David als Mittler ähnlich einem ägyptischen Pharao

Kurzinhalt: Amalgam von der Ordnung Israels mit kosmologischen Symbolen; Psalm 2, 19; Yahweh had become the summus deus of a cosmological empire, while Israel had merged into an empire people under a Pharaonic mediator from the house of David

Textausschnitt: 85/9 The symbolism of the imperial order is an amalgamate of Yahwist with cosmological symbols drawn from the Canaanite environment, as well as from the neighboring imperial orders. With regard to the principal source of Israelite imperial institutions, liturgies, and coronation rituals, opinions are shifting, parallel with the increasing knowledge of the surrounding civilizations, from Babylonian and Egyptian to Ugaritic. More recently the understandable enthusiasm for Ugaritic sources has encountered the warning of Gray:
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96/9 While the assignment of precise dates to the single Psalms is impossible except in rare instances, the general assumption will be justified that the time of the imperial Yahweh was a period of heightened receptiveness for the hymn literature of the neighboring imperial civilizations. The results of the foreign influences were sometimes unusual. Psalm 19, for instance,
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97/9 Yahweh had become the summus deus of a cosmological empire, while Israel had merged into an empire people under a Pharaonic mediator from the house of David.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Unterschied zw. Griechenland und Israel: Philosophie - Gesetz (Hosea, Plato); Israels "Gesetz" als Antwort auf die Krise der Gesellschaft (Moses)

Kurzinhalt: (Hosea) he found the root of the evil in the "want of knowledge" concerning matters divine. Up to this point his analysis was literally the same as Plato's Republic, das Bundesbuch

Textausschnitt: 27/10 In the crisis of the ninth century begins the Israelite concern with the codification of the law in written form. Probably the oldest code extant is the brief collection of commands in the Yahwist (J) account of the Sinaitic legislation, in Exodus 34:17-26. Not much later but considerably more extensive is the Elohist (E) code of Exodus 20:23-23:19, commonly designated as the Book of the Covenant ...
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30/10 When the covenant and the law are broken, then the people have no knowledge; and a people without knowledge of the order of God will perish, as 4:14 formulates it succinctly: "A people without insight must come to ruin." The passages in their aggregate characterize a society in spiritual and moral confusion; and in grieving over the state of confusion they develop a technical vocabulary for its description. Men are in a state of ignorance. But it is not an ordinary ignorance, in the sense of not knowing what never was learned. For the children of Israel have heard a good deal of the God whom they now do not know. The ignorance is a forgetfulness. And since God is a being not to be forgotten involuntarily, the want of knowledge is a rejection of God. (326f; Fs)
31/10 In order to appraise the meaning of Hosea's prophecies, we have to recall what appeared in the section on "The Struggle for Empire" as the difference between the Israelite and Hellenic types of symbolization. The idea of the psyche, we said, could not be fully developed in Israel because the problem of immortality remained unsolved. Life eternal was understood as a divine property; afterlife would have elevated man to the rank of the Elohim; and a plurality of elohim was excluded by the radical leap in being of the Mosaic experience. As a consequence, the eroticism of the soul that is the essence of philosophy could not unfold; and the idea of human perfection could not break the idea of a Chosen People in righteous existence under God in history. Instead of philosophy, there developed the construction of patriarchal history, a specific kind of humanism, and ultimately the apocalyptic hope for divine intervention in history. (327; Fs) (notabene)
32/10 The prophecies of Hosea reveal the limitations imposed by the initial compactness of Israelite experiences. The prophet tried to describe a society in crisis, and he found the root of the evil in the "want of knowledge" concerning matters divine. Up to this point his analysis was literally the same as Plato's in the Republic. Plato, as Hosea, diagnosed the evil as an ignorance of the soul, an agnoia concerning the nature of God. But Plato could proceed from his insight to an analysis of the right order of the soul through its attunement to the unseen measure. And he even developed the concept of "theology," in order to speak in technical language of true and false conceptions of divinity. Under the condition of the more compact experiences and symbols in Israel, Hosea could not find the answer to his problems in the attunement of the soul to the divine measure, but had to seek it in a renewed conformity of human conduct to the measure as revealed in the "word" and the "law" of God. Not the advance toward philosophy but the return to the covenant and the law was the Israelite response to the challenge of the crisis. (327; Fs) (notabene)
33/10 If the new concern about the covenant and the law is understood as the response to a crisis of mundane existence, functionally of the same type as the response through philosophy in Hellas, certain problems of Israelite history will become more intelligible. Before the ninth century we hear little of Moses and his work. To be sure,

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Psalmen - messianische Hoffnung -> Hebräerbrief

Kurzinhalt: The author of Hebrews returned to the original "I will be his father, and he shall be my son" of II Samuel 7:14, as well ...

Textausschnitt: Our selection of examples not only maps out the topics of imperial symbolism but also conveys the future development with which they abound. For the imperial Psalms were included in the hymnbook of the Second Temple, not as souvenirs of a dead past, but as the expression of Messianic hope. As the Davidic Empire had emerged from Israel and gained a life of its own, so from the Davidic Empire emerged the symbol of the Lord's Anointed, of Yahweh's Messiah, with a life of its own. The fading memories of the mundane climax could be filled with new substance from the eschatological hopes for a spiritual savior king who would deliver Israel forever from the tribulations by its enemies. To be sure, as Martin Buber has seen rightly,
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100/9 The imperial symbolism flickered for the last time in the Messianic hopes of the Solomon Psalms. Then it was extinguished by the theology of the Epistle to the Hebrews. The author of Hebrews returned to the original "I will be his father, and he shall be my son" of II Samuel 7:14, as well as to the related passage in Psalm 2:7, but he eliminated the institutional implications of the Nathan vision. The Son of God, the Messiah of Yahweh, was no longer the head of a Judaite clan; and the cosmic god no longer presided over a mundane empire. The house of David had been transformed into the house of God the Father, to be built with man as the material, by the Son. (310; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Apostasie

Titel: Apostasie

Stichwort: Rom: Bedeutung; Kategorie der Quantität als Standard

Kurzinhalt: Ein Angriff auf die Bedeutung Roms war deshalb ein Angriff auf die Engführung der drei zivilisatorischen Stimmen der Antike, die der westlichen Zivilisation des Mittelalters gelang ...

Textausschnitt: c. Die Bedeutung Roms
13a Die zweite Bemerkung bezüglich der relativen Bedeutung Russlands und Roms war ähnlich revolutionär wie die erste, insofern sie die Kategorie der Quantität als Standard einführte und dabei die Funktion Roms als einen konstituierenden Faktor der westlichen Universalität in Frage stellte. Die Bedeutung Roms war nie eine Frage seiner Größe gewesen. Die westliche Zivilisation, so wie sie aus dem Mittelalter hervorging, beruhte auf dem einzigartigen und prekären Gleichgewicht zwischen den Elementen der in sie eingeflossenen antiken Zivilisationen: dem hellenischen Rationalismus, dem subjektiven Spiritualismus Israels und der Ordnung römischer Jurisdiktion, welche sowohl die persönliche Willensäußerung wie auch die öffentlichen Ämter lenkte. Die koine der hellenistischen Zivilisation, die Universalität des römischen Imperium und der Katholizismus der Kirche verschmolzen mit dem christlichen imperialen Mittelalter auf einer neuen ethnischen Grundlage. In ihren Transformationen erkennen wir sie als den scholastischen Intellektualismus und die weltlichen und geistigen Ordnungen der westlichen Menschheit. Das Bindeglied zwischen den beiden Welten - der antiken und der mittelalterlichen - ist die Kirche: In der römischen Periode wuchs die Kirche mit dem Reich und dessen hellenistischer Zivilisation zusammen, während im Mittelalter die weltliche Ordnung der Königreiche der Barbaren mit der geistigen und zivilisatorischen Tradition der Kirche zusammenwuchs. Und der Kirche war diese Verknüpfung zwischen den beiden Welten dadurch möglich, weil sie nicht nur ihren eigenen spirituellen Katholizismus ins Mittelalter hineinführte, sondern auch den universalen Anspruch der imperialen Ordnung Roms übermittelte, indem sie den Kaiser des Westens in die doppelte Leitung der christlichen Menschheit einbezog. (Fs)

14a Ein Angriff auf die Bedeutung Roms war deshalb ein Angriff auf die Engführung* der drei zivilisatorischen Stimmen der Antike, die der westlichen Zivilisation des Mittelalters gelang. Dieser erstaunliche Kontrapunkt von drei Zivilisationen mit einer sie aufnehmenden vierten ist das charakteristische Merkmal, durch das sich die westliche Zivilisation von allen anderen Zivilisationen der Menschheit unterscheidet. Er ist die Quelle ihres Reichtums und ihrer Weite, wodurch sie den anderen Zivilisationen objektiv überlegen ist. Die Vereinigung von Spiritualismus und Rationalismus ist die Quelle ihrer Dynamik, und die Verschmelzung der drei Universalismen der Antike ist die Quelle des imperialen Pathos des Europäismus. Aber es ist auch Quelle der Gefahr, der keine andere Zivilisation in gleicher Weise ausgesetzt ist, der Gefahr nämlich, dass die einzelnen Kräfte ihrem eigenen Impuls folgen könnten, falls die wundersame Balance an irgendeinem Punkt gestört würde. Solche Störungen könnten von außen durch historische Veränderungen der Machtverhältnisse hervorgerufen werden. Die Abschließung des zivilisatorischen, geistigen und politischen Kosmion wie auch des Mythos seiner Universalität vermag die öffentlichen Sentiments nur so lange zu dominieren, wie sich die Pluralität anderer Welten nicht zu stark dem Geist aufprägt. In der römischen Periode konnte das Sentiment der Universalität durch eine großartige Außerachtlassung hinsichtlich des Sassaniden-Reichs aufrechterhalten werden - und einer noch größeren Außerachtlassung hinsichtlich der ferneren Teile des eurasischen Kontinents und Afrika. Das ganze Mittelalter hindurch konnte das Sentiment durch den Expansionismus der Kreuzzüge gegen den Islam aufrechterhalten werden, was die Mohammedaner in die Position einer vorübergehenden Störung von Ungläubigen versetzte, die letztendlich überwunden werden würde. Doch mit dem Vordringen der Türken und Mongolen, mit der Entdeckung Amerikas, mit dem erweiterten Wissen über China und Indien und dem Aufstieg Russlands würde sich unvermeidlich ein Unbehagen in das Sentiment der mittelalterlichen Universalität einschleichen. Wenn die Existenz der Menschheit in der Geschichte überhaupt eine universelle Bedeutung haben sollte, so würde diese auf etwas anderem beruhen als auf dem durch die sich auflösenden Institutionen der Kirche und des Reichs gelieferten Mythos. Die Bemerkung der Marquise du Châtelet löste natürlich keine Revolution aus, sondern nahm die Existenz einer Revolution zur Kenntnis, die in der Tat stattgefunden hatte. Eine intelligente Frau vermochte mit der Unschuld eines Kindes, das den Kaiser ohne Kleider sah, zu formulieren, was sich die größten Geister des siebzehnten Jahrhunderts nur besorgt einzugestehen gewagt hätten. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Dekalog; Unterteilung

Kurzinhalt: Jahwist, Elohist; die verschiedenen Dekaloge

Textausschnitt: ... The complete decalogue consists of the following passages: 20: 23-26; 22:29-30; 23:10-19. For purposes of identification we shall call this further decalogue the second Elohist Decalogue. (330; Fs)
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... The existence of such widely differing versions of what purports to be the original ten "words of Yahweh" raises the issue of a decalogic form that could be filled with varying contents. We assume (for nothing can be proven in the matter) that the decalogue had been devised originally as a form that would accommodate the essentials of Yahwist order in a series of points easily countable by the fingers. And such a form, once it had been created, could be used to accommodate "words" on various levels of concretization. Rules concerning the cult or the calendar of festivals, rules concerning the Yahwist order under changing economic and social conditions, rules governing specific subject matters of civil or criminal law, and so forthall of them were potential material to be cast in decalogic form, if the desire for systematic collection should arise. And if the form was actually used for the purpose, a series of decalogues would then form a code of legal rules in the spirit of the original, theopolitical Decalogue. (330f; Fs) (notabene)
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But we shall not venture into these areas of controversy. For our purpose the clearly recognizable decalogues are sufficient to allow the conclusion that a corpus of mishpatim, organized by subject matter in decalogues, had been assembled by some priestly group in the ninth century.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Israel: Ursprung in Moses; Moses: leap in being, Gott seines Vaters, Kindheit Flucht (Exodus 2)

Kurzinhalt: Moses has its origin in the leap in being; J, E, and P sources: an independent origin which defies dating;

Textausschnitt: 45/12 "By a prophet Yahweh brought Israel up from Egypt." The order of Israel has its origin in Moses; and the order in the soul of Moses has its origin in the leap in being, that is, in his response to a divine revelation. Two principal sources for the understanding of the Mosaic experience are extant. The first is the prologue to the revelation, in Exodus 2; the second is the account of the revelation itself, in the thornbush episode of Exodus 3:1-4:17. (402; Fs) (notabene)
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... The fact that Yahweh was a well-known divinity is important, however, only in so far as it attests the continuity of symbols; it has no bearing on the contents of the revelation. God, when he revealed himself to Moses, could be identified by him as a familiar divinity; and especially he could be so identified by the Hebrews whom Moses had to bring up from Egypt, or they would hardly have followed him. Nevertheless, while the continuity of the symbol could engender trust, the Yahweh of Moses was God in the mode of his revelation to Moses; no pre-Mosaic Yahweh has anything to do with the constitution of Israel as the Son of God in history. Hence, we must also exclude all speculations which try to reduce Yahweh to the primitivity that befits a god of the second millennium B.C. in the progressive order of things-whether he was, for instance, a "mountain god" (because he appeared on Mount Sinai), or a "fire god,"

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Anamnesis

Titel: Anamnesis

Stichwort: Politische Wissenschaft als noetische noetische Interpretation von Gesellschaft und Geschichte

Kurzinhalt: Der Kern der Politischen Wissenschaft ist eine noetische Interpretation ...; Versuchen wir, dieses eigentümliche Verhältnis in seinen Hauptzügen zu charakterisieren: ...

Textausschnitt: Der Kern der Politischen Wissenschaft ist eine noetische Interpretation von Mensch, Gesellschaft und Geschichte, die gegenüber der Ordnungskonzeption der Gesellschaft, in der sie sich jeweils ereignet, mit dem Anspruch kritischen Ordnungswissens auftritt. Die Politische Wissenschaft im Sinne noetischen Ordnungswissens findet sich also - zum Unterschied von Wissenschaften, die Phänomene der Außenwelt untersuchen - in der besonderen Situation, daß die Politische Realität, die ihr 'Gegenstand' sein soll, selbst durch ein Wissen, das sich auf den gleichen 'Gegenstand' richtet, strukturiert ist. (283f; Fs)
5/13 Versuchen wir, dieses eigentümliche Verhältnis in seinen Hauptzügen zu charakterisieren: (284; Fs)
(1) Wer immer noetisch-kritisch die Ordnung von Mensch, Gesellschaft und Geschichte zu interpretieren versucht, findet im Zeitpunkt seines Versuches das Feld schon von anderer Seite besetzt. Denn für jede Gesellschaft ist das Selbstverständnis ihrer Ordnung konstitutiv; und darum bringt jede uns bekannte Gesellschaft in der Geschichte Symbole hervor - mythische, revelatorische, apokalyptische, gnostische, theologische, ideologische usw. -, durch die sie ihre Erfahrung von Ordnung ausdrückt. Diese Akte des Selbstverständnisses, die sich in der politischen Realität vorfinden, nenne ich die nicht-noetischen Interpretationen. (284; Fs)
(2) Für das Verhältnis ist ferner seine historische Dimension charakteristisch. Die nicht-noetischen Interpretationen gehen in der Geschichte der Menschheit den noetischen um Jahrtausende voraus. Der früheste bekannte Fall einer noetischen Interpretation - es ist der Fall, an den alle späteren anknüpfen - ereignet sich im Kontext des hellenischen Philosophierens; und ebendort hat die noetische Interpretation den Namen der Politischen Wissenschaft, der episteme politike, empfangen. Die nicht-noetischen Interpretationen gehen jedoch den noetischen nicht nur zeitlich voraus, sondern sie bleiben auch nach deren Auftreten die Form gesellschaftlichen Selbstverständnisses, auf die der noetische Versuch jeweils stößt. Gesellschaften, deren konstitutives Selbstverständnis noetisch wäre, gibt es nicht. Diese Eigentümlichkeit des Verhältnisses regt die Vermutung an, daß aus einem noch näher zu untersuchenden Grund die noetischen Interpretationen zwar als Korrektiv oder als Additiv zu den nicht-noetischen fungieren, diese aber nicht ersetzen können. (284; Fs)
(3) Eine noetische Interpretation entsteht nicht unabhängig von der Ordnungskonzeption der Gesellschaft, in der sie auftritt, sondern in kritischer Auseinandersetzung mit ihr. Wo immer die Noese sich regt, steht sie in einem Spannungsverhältnis zum Selbstverständnis der Gesellschaft.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Anamnesis

Titel: Anamnesis

Stichwort: DAS BEWUSSTSEIN VOM GRUND; noetische Analyse; Aristoteles, zetesis, nous, metalepsis

Kurzinhalt: Bewusstsein als Ort der Erfahrung der Ordnung; viele Interpretationen: Ausdruck der einen Frage nach dem Grund; Suche als wissendes Fragen o. fragendes Wissen

Textausschnitt: Das Bewußtsein konkreter Menschen ist der Ort, an dem Ordnung erfahren wird; und von diesem Erfahrungszentrum konkret-menschlicher Ordnung strahlen die Interpretationen gesellschaftlicher Ordnung aus, die noetischen wie die nicht-noetischen.
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Noetische wie nicht-noetische Interpretationen legen die Erfahrung von Ordnung für die Gesellschaft aus. Beide Typen sowie ihre Varianten erheben den Anspruch, ihre Interpretation sei die einzig wahre.
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14/13 In der Erfahrung und Sprache des Aristoteles findet sich der Mensch in einem Zustand der Unwissenheit (agnoia, amathia) betreffend den Ordnungsgrund (aition, arche) seiner Existenz. ... Das unruhige Suchen (zetesis) nach dem Grund alles Seins (arche) ist in die zwei Komponenten des Begehrens oder Greifens (oregesthai) nach dem Ziel und des Erkennens (noein) zu zerlegen, und entsprechend das Ziel (telos) selbst in die Komponenten des Begehrten (orekton) und des Erkannten (noeton) (1072a 26 ss). (288f; Fs)
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15/13 Da das Suchen nicht blindes Begehren ist, sondern die Komponente des Erkennens enthält, können wir es als wissendes Fragen und fragendes Wissen charakterisieren. ... Ohne die kinesis des Angezogen-Werdens vom Grund gäbe es kein Begehren nach ihm; ohne das Begehren kein Fragen in Verwirrung; ohne das Fragen in Verwirrung kein Wissen vom Nichtwissen. Es gäbe keine nicht-wissende Angst, aus der sich das Fragen nach dem Grund erhebt, wenn nicht schon die Angst das Wissen des Menschen um seine Existenz aus einem Seinsgrund, der nicht der Mensch selbst ist, wäre. (289; Fs) (notabene)
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17/13 Die Exegese des noetischen Begehrens nach dem Grund und des Angezogen-Werdens von ihm überbaut Aristoteles mit dem Symbol der Partizipation (metalepsis) zweier Nous genannter Entitäten aneinander (1972b 20ss). Unter nous versteht er ...

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Anamnesis

Titel: Anamnesis

Stichwort: noetische Exegese, Mythos, kosmische Primärerfahrung

Kurzinhalt: ohne kosmische Primärerfahrung bliebe die noetische Exegese eine biographische Kuriosität;

Textausschnitt: 18/13 Mit den Symbolen der Synonymität, der Genesis und der wechselseitigen Partizipation der zwei Nous Entitäten dringt der Mythos in die Exegese ein. Was hat dieses Eindringen zu bedeuten? (290; Fs)
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19/13 Die noetische Exegese ereignet sich nicht in einem Vakuum, sondern bringt historisch die Spannung zum Grund als das Ordnungszentrum zu differenziertem Bewußtsein, gegenüber einem Vor-Wissen vom Menschen und seiner Ordnung, das aus der kompakten Primärerfahrung vom Kosmos und deren Ausdruck im Mythos stammt. Sie ist ein differenzierendes Korrektiv am kompakteren Vor-Wissen, aber sie ersetzt es nicht. Unser Ordnungswissen bleibt primär mythisch, auch nachdem die noetische Erfahrung den Bereich des Bewußtseins differenziert und die noetische Exegese seinen Logos explizit gemacht hat. Unsere Denkgewohnheiten sind jedoch so wenig kritisch, daß ...
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20/13 Das gleiche wie für die philosophische Erfahrung von der Natur gilt für die Präsenz unter Gott, wie ein Prophet sie pneumatisch als sein Wesen erfährt. Der Satz, daß die erkannte Natur nicht nur die Natur des Menschen sei, der konkret die Erfahrung von seinem Wesen macht, sondern die aller Menschen, setzt die Prämisse voraus, daß alle Menschen qua Menschen wesensgleich sind, gleichgültig ob sie ihre Menschwesentlichkeit in differenzierter Bewußtseinshelle erfahren oder nicht. Das Wissen der Prämisse aber stammt nicht aus der konkreten Wesenserfahrung des jeweiligen Noetikers oder Pneumatikers, sondern aus der kosmischen Primärerfahrung, in der die Dinge schon partizipierend als das erfahren werden, was sie sind - die Menschen als Menschen und die Götter als Götter -, auch wenn wir nicht allzu genau wissen, was sie nun eigentlich sind. Ohne die Prämisse wären die noetischen Erfahrungen eine biographische Kuriosität;

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Anamnesis

Titel: Anamnesis

Stichwort: Aristoteles, metalepsis: noetische Erfahrung, mysterien (Phaidon. Bakchen ); Partizipieren als Phänomen d. Vergangenheit

Kurzinhalt: Problem der Vergegenständlichung durch Noese; Problem des Partizipieren: Verhältnis Wissen -> Gegenstand: Relation zwischen Wahrheitsstufen des Partizipierens

Textausschnitt: Dem Platonisch-Aristotelischen Philosophieren liegt nicht nur der Mythos der Primärerfahrung voraus, sondern auch die Symbolik einer, wahrscheinlich sehr differenzierten, pneumatischen Erfahrung vom Göttlichen. Wenn die klassische Noese den Logos des Bewußtseins zu optimaler Klarheit bringt, legt sie den Logos eines Realitätsbereiches aus, den Platon als Initiation in die Mysterien identifiziert. Der 'Bakchos', der im zitierten Diktum sowohl der Gott ist wie auch der dem Gott anverwandelte Mensch, wird bei Aristoteles zum 'Nous', der sowohl der göttliche ist, wie auch der menschliche, der am göttlichen partizipiert. Auch löst sich die Identität des Realitätsbereiches nicht auf, wenn wir, die Mythensymbolik noch weiter zurückschiebend, seinen Logos zur Klarheit bringen und an die Stelle von 'Bakchos' oder 'Nous' den Grund (aition) setzen.
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(6) Die 'Vergegenständlichung' bezieht sich also nicht auf das Partizipieren selbst, sondern auf die Wahrheitsdifferenz, die sich im Prozeß des begehrenden Suchens nach Einsicht in das richtige Verhältnis zum Grund ergibt. Wenn ein Jeremias das Volk tadelt, weil es 'falsche Götter' hat, dann schwankt er zwischen den beiden Annahmen, daß die falschen Götter Nicht-Götter seien (Wahrheitsfrage) und daß sie zwar falsch aber doch Götter seien (Partizipationsfrage). Auch das Partizipieren geringerer Durchsichtigkeit ist noch Partizipieren; und die noetische Bewußtseinshelle der Spannung zum Grund ist nicht mehr als Partizipieren. Es gibt keinen archimedischen Punkt, von dem her Partizipieren selbst zum Gegenstand werden könnte. (293; Fs)
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(8) Das Absinken eines Partizipierens geringerer Wahrheit zu einem Phänomen der Vergangenheit spielt sich im Bewußtsein konkreter Menschen ab, die Wahrheit suchen und sie finden. Das Bewußtsein, daß aus diesem Prozeß ein 'neuer Mensch' hervorgeht, ist alt, wenn auch das Bedürfnis, den Prozeß zu beschreiben, erst spät in der Geschichte die Symbolform der Autobiographie als literarische Gattung hervortreibt. Der Ursprungsort der Geschichte ist menschliches Bewußtsein, das eine Phase seines Suchens nach der Wahrheit vom Grund in die Distanz der Vergangenheit rückt. Da das Suchen sich jedoch in Gesellschaft abspielt - denn die Ausgangssituation kann immer nur ein tradierter Wissensstand sein, der als unbefriedigend empfunden wird -, erzeugt das persönliche Geschichtsfeld ein soziales. Für die Strukturierung eines solchen Feldes durch neues Partizipationswissen sind die menschlichen Typen charakteristisch, die Platon im Symposion entwickelt hat. Den Menschen des mythischen Partizipationswissens nennt er in der Sprache der Epiker den Sterblichen (thnetos), der den unsterblichen Göttern gegenübersteht. Den neuen Menschen, der in der erotischen Spannung zu seinem Seinsgrund lebt, nennt er den daimonios aner, d. h.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Society: organized for survival and for partnership in the order of being; difficutly: philosophy of history

Kurzinhalt: history: struggle for the truth of order; primary, secondary field of order;

Textausschnitt: 3/I The primary field of order is the single society of human beings, organized for action to maintain itself in existence. If, however, the human species were nothing but a manifold of such agglomerations, all of them displaying the same type of order under the compulsion of instinct as do insect societies, there would be no history. Human existence in society has history because it has a dimension of spirit and freedom beyond mere animal existence, because social order is an attunement of man with the order of being, and because this order can be understood by man and realized in society with increasing approximations to its truth. Every society is organized for survival in the world and, at the same time, for partnership in the order of being that has its origin in world-transcendent divine Being; it has to cope with the problems of its pragmatic existence and, at the same time, it is concerned with the truth of its order. This struggle for the truth of order is the very substance of history; and insofar as advances toward the truth are achieved by the societies indeed as they succeed one another in time, the single society transcends itself and becomes a partner in the common endeavor of mankind. Beyond the primary field of order there extends a secondary field, open toward the future, in which mankind is constituted as the subject of order in history. Hence,

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Geschichtsphilosophie (4 Schwierigkeiten); Seinssprung: Ermöglichung der Geschichte

Kurzinhalt: ... mankind, which is so blandly assumed to have history, is not an object of finite experience;

Textausschnitt: 5/I The anthropological and epistemological situation just adumbrated is the abysmal source of difficulties for a philosophy of history. For mankind, which is so blandly assumed to have history, is not an object of finite experience. However much we talk about mankind and history as if they were objects of science, all that is really given are the concrete societies whose members experience themselves in historical form by virtue of the leap in being. When such a center, luminous with truth about the order of being and its origin in God, springs up in the sequence of human societies, the light of the discovery radiates over the sequence and transforms it into the history of mankind in which the leap in being has occurred. The truth, to be sure, is not an illusion; and neither is the discovery in retrospect of a history of mankind. But if the philosopher accepts the truth, as he does when he makes history and its order the subject of his inquiry, he must also face the spiritual mysteries and theoretical problems that originate with the phenomenal manifestations of the generic-unique nature of man. And above all, he must face the phenomena themselves. (69; Fs) (notabene)

6/I The principal phenomena that cause the difficulties are four in number:
(1) The leap in being, when it occurs, transforms the succession of societies preceding in time into a past of mankind.

(2) The leap in being, while it gains a new truth about order, neither gains all of the truth, nor establishes an ultimate order of mankind. The struggle for the truth of order continues on the new historical level. Repetitions of the leap in being will correct the initial insight and supplement it with new discoveries; and the order of human existence, however profoundly affected by the new truth, remains the order of a plurality of concrete societies. With the discovery of its past, mankind has not come to the end of its history, but has become conscious of the open horizon of its future.

(3) The initial leap in being, the break with the order of the myth, occurs in a plurality of parallel instances, in Israel and Hellas, in China and India, in each instance followed by its own indigenous history of repetitions on the new level of existence.

(4) The parallel leaps in being differ widely with regard to the radicalism of their break with the cosmological myth, as well as with regard to the comprehensiveness and penetration of their advance toward the truth about the order of being. The parallel occurrences are not of equal rank.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Konstanz der menschlichen Natur; Seinssprung (leap in being) -> Gegenwart unter Gott

Kurzinhalt: the leap in being entails the obligations to communicate and to listen

Textausschnitt: The discernible stages of increasing truth of existence are not caused by "changes in the nature of man" that would disrupt the unity of mankind and dissolve it into a series of different species. The very idea of a history of mankind presupposes that constancy of nature; and the reality of that constancy is attested beyond a doubt by the experiences of the leap in being, by the experience of a transition from untruth to truth of existence in which the same man is the "old man" before, and the "new man" after, he has suffered the infusion of divine Being. Hence, the play of order is always enacted, not before the future, but before God; the order of human existence is in the present under God even at the times when the consciousness of that present has not yet disengaged itself from the compactness of the myth.
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... For precisely because the problem of order is the same for all men at all times, and because nothing less is at stake than the existence in truth under God, does every newly differentiated insight into the truth of order become everyman's concern. The leap in being entails the obligations to communicate and to listen. Revelation and response are not a man's private affair; for the revelation comes to one man for all men, and in his response he is the representative of mankind. And since the response is representative it endows the recipient of revelation, in relation to his fellow men, with the authority of the prophet. (72; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Kriterium der Geschichte

Kurzinhalt: Why did we start with Israel in the first place and not rather with India or China?

Textausschnitt: Why do we not proceed from Israel to China or India? Why do we proceed laterally in time at all? Why do we not rather follow the Augustinian example and develop a Judaeo-Christian historia sacra to the exclusion of Hellenic philosophy? Moreover, one could ask: Why do we not stop with Israel? And most radically: Why did we start with Israel in the first place and not rather with India or China? Are we not indulging a "Western prejudice" in the choice of the starting point and the mode of procedure? (72f; Fs) (notabene)

11/I Whatever the answers to these questions will be - and only the execution of the study on Order and History as a whole can give them - it will have become clear that a philosophy of history cannot be an amiable record of memorabilia, in the hope that the passions that have caused phenomena of the past to survive in the memory of mankind were judicious in their choice. It must be a critical study of the authoritative structure in the history of mankind. Neither can the authoritative communications of truth about order, as they have sprung up in the course of history, be sympathetically accepted on an equal footing - for that would submerge us in the evils of historicism, in skepticism and relativism; nor can they be rejected by the standards of an ultimate truth, whether such ultimacy be attributed to a truth of the past or a new one discovered by ourselves - for such absolutism would involve us in the gnostic fallacy of declaring the end of history. A study that wants to be critical must take seriously the fact that the truth about the order of being emerges in the order of history. The Logos of history itself provides the instruments for the critical testing and ranking of the authoritative structure. For without the leap in being that brings God and man into their mutual presence, without the creation of history as the inner form of existence in opposition to the cosmological form of order, there would be no problem of a history of mankind; and without the discovery of the logos in the psyche and the world, without the creation of philosophical existence, the problem of history would not be a problem of philosophy. Hence, the manifold of authorities must be critically measured, and their relative rank can be determined, by the degrees of approximation to the clarity of historical consciousness and of penetration to the order of the psyche and the world. (73; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Konflikt zw.: Vertretern der neuen Wahrheit und den beharrenden Kräften

Kurzinhalt: The conflict between the representative advance of truth and the empirical societies was still so burning that

Textausschnitt: 14/I The phenomena in which originate the problems of a history of mankind had become visible, and a good deal of the problems, too. In Israel it was understood that the Chosen People as constituted by the Sinaitic Berith would not live in its Canaan happily ever after, but that an arduous process of history had begun on the level of revelation. Of this process, the phases of the law, the prophets, and the salvation from the exile had been lived through already, and no end was in sight. In Hellas, correspondingly, the phases of the old myth of the people, of the speculative myth of the poets, and of the truth of the philosophers had already been lived through and distinguished. Moreover, in both Israel and Hellas, it was fully understood that these events were not local conflicts in the competition for social power, but that in the war for the truth of human existence the affairs of mankind were representatively transacted. Nevertheless, there were factors present that limited the penetration of the problems. The recency of the discoveries, the resistance of a hostile environment, the regional isolation in relatively small communities, the contrast between the representative importance of the truth and the insignificant social effect, the continued worldly domination of the compactly ordered societies that were a past of untruth in the spirit of solitary individuals and their small groups of followers - created a situation in which the joy of discovery and the fervor of truth were overcome by the effort of communication, by the struggle against the sluggishness of human nature. And in the bitterness of this struggle for survival the accents would fall more heavily on the character of the past as an untruth than on its character as a preparation for the emergence of a new, differentiated truth. The conflict between the representative advance of truth and the empirical societies was still so burning that the character of the resisting societies as members of the represented mankind, and their historical function as the matrix of the new truth, could not yet be clearly discerned. A deeper penetration of the problems was furthermore handicapped by the fact that the break with the cosmological order was not quite as radical as the emotional impact of even the partial break was massive. In Israel, it was only slowly realized that the order of human existence under God was indeed a universal order of mankind and, therefore, could not be adequately represented by the constitution of a Chosen People on a definite territory. And when the insight was gained at last, the people broke asunder in the two equally vehement responses of the withdrawal into the shell of Judaism and the explosive expansion of Christianity. In Hellas Plato's understanding of the historical epoch created by philosophy was limited in both his experience and symbolization by the myth of the cosmic cycles. And, finally, the insufficient empirical knowledge of the historical process at large must not be underrated as a limiting factor. In the construction of Poseidonius, for instance, must be noted not only the limitation through the cosmological myth which induced him to place the results of the leap in being into a Golden Age (in the Hesiodian manner, at the beginning of cosmic history), but also the lack of precise knowledge about Egyptian and Israelite history, about the relative time positions of the Egyptian cosmological order and the appearance of Moses, which allowed him to make Moses the representative of a primordial knowledge in rebellion against its deterioration. (75f; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Paulus, Römerbrief, Sünde; 3 Stufen der Existenz

Kurzinhalt: this consciousness of death in sin is awakened when man finds himself unable to fulfil the law

Textausschnitt: 15/I A decisive change in this situation was brought about through the appearance of Christ. In the letters of Saint Paul, especially in the Epistle to the Romans, we find for the first time a profound understanding of the mutual involvement of man in the advance of mankind toward truth and of mankind in the truth of everyman's existence. The Law of Israel and the Jews is for Saint Paul not a mere past now superseded by Faith, but the very condition for the extension of divine grace through Christ. For grace is extended to the sinner; only when man is conscious of his existence in the untruth of sin, only when he is aware of his death, is he on the way toward the life; and this consciousness of death in sin is awakened when man finds himself unable to fulfil the law. "I had not known sin, but for the law: for I had not known lust except the law had said, Thou shalt not covet" (Rom. 7:7). "Wherefore the law was our schoolmaster [paidagogos] to bring us unto Christ, that we might be justified by faith. But after that faith is come, we are no longer under a schoolmaster" (Gal. 3:24-25). The climax of revelation, the, entrance of God into history through the sacrificial assumption of human form, is followed by a sudden luminosity of man's spiritual life. Three stages are distinguished by Saint Paul: (76f; Fs) (notabene)
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(1) The opaque existence before the awakening to the untruth of existence. "For I was alive without law [nomos] once" (Rom. 7:9)
(2) The consciousness of existence in untruth. "When the commandment [entole] came, sin revived, and I died" (7:9)
(3) The resuscitation through faith. "For the law of the Spirit of life in Christ Jesus hath made me free from the law of sin and death" (8:2).
These generically human stages of the spiritual process are at the same time the historically unique phases through which mankind grows, by the inscrutable order of creation, toward the illumination of existence through faith (Romans passim and 1:18-32; 2:14-16; 8:18-25). From the natural order of Hellenes and barbarians, through the old law of the Chosen People, mankind advances toward self-comprehension in the new law of the Christians. (77; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Moses, Propheten: prophetische Revolte; conflict between the Yahweh of Moses and the cosmic-divine civilization of Egypt

Kurzinhalt: why we hear so little about Moses in the period from the Deborah Song to the end of the Davidic Empire; Moses could provide the background of legitimacy for prophetic action

Textausschnitt: 7/12 () It would then become intelligible why we hear so little about Moses in the period from the Deborah Song to the end of the Davidic Empire. If Israel experienced itself as a people under the order of Yahweh, the mediatory function of Moses in bringing the people into existence under its God could indeed have only secondary importance for the symbolization of Israelite order. While traditions of Moses and his work were preserved, they entered the foreground of symbolism only through the prophetic revolt in the crisis of the ninth century. When the Yahwist order was endangered, visibly to everybody, by the Omride policy of alliances, and when the spiritual responsibility passed from the organs of government to the prophets, the appeal to Moses could provide the background of legitimacy for prophetic action. An effective imitatio Mosis, however, required a paradigmatic prophet and lawgiver who could be imitated. That is the situation, as we have suggested in the preceding chapter, from which ultimately grew the Deuteronomic original prophet, giver of the Torah, and historian of the history which he had made. (384; Fs) (notabene)
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8/12 If we regard the Deuteronomic myth as the end of an evolution that begins in the ninth century with the prophetic imitatio Mosis, the body of traditions in which Moses appears with the characteristics of a nabi will become suspect as legendary formation of the prophetic period. A further stratum of form will have to be removed before we can find the historical substance. A few examples will illuminate the problems that arise from the prophetic legend. (384; Fs)
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9/12 ... The story of the audiences makes good sense, however, if we ascribe it to the prophetic legend. For in the Moses facing the Pharaoh and calling on him to obey the will of Yahweh, we can recognize the paradigm of the prophet facing the king of Israel.
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10/12
(2) In the story of the negotiations between Moses and the Pharaoh there are embedded numerous sub-legends which equally betray their prophetic origin. Moses and Aaron appear, for instance, as magicians; and in Exodus 7:8-13 they try to impress the Pharaoh with portents.
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(2) In the story of the negotiations between Moses and the Pharaoh there are embedded numerous sub-legends which equally betray their prophetic origin. Moses and Aaron appear, for instance, as magicians; and in Exodus 7:8-13 they try to impress the Pharaoh with portents.
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12/12 The darkness over Egypt is the darkness of its gods, while the light over Israel is the light of Yahweh. And the slaying of the first-born, while it inflicts misery on man and beast, is - in a manner yet to be clarified - a judgment of God on the gods. Through the various layers of form we always penetrate to the same historical substance, that is, to the conflict between the Yahweh of Moses and the cosmic-divine civilization of Egypt. (386f; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Moses, Propheten: Pascha (Passah and Mazzoth); Rolle des Königs -> Moses (verschiedene Traditionen)

Kurzinhalt: these festival rites were brought by the immigrant tribes with them to Egypt, and could supply the form elements for expressing the historical experience of rescue

Textausschnitt: 13/12 The historical substance, especially in Exodus 1-15, finally, has been molded by the form of a cult legend which can be traced to the vernal New Year festivals of Passah and Mazzoth. Almost certainly these festival rites were brought by the immigrant tribes with them to Egypt, and could supply the form elements for expressing the historical experience of rescue from a great danger in terms of the victory of the divine forces of fertility and order over the dark forces of death and disorder.
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14/12 An element of the cult that is of special importance for our purpose has been discerned by Ivan Engnell in the legend, that is, the role of the king in the fertility rite. The characteristics of the king have been transferred to the Moses ... () "Moses is indeed the saviour-Messiah, leading the 'exodus' of his people - its 'exodus' to the Paesah celebration!" He overcomes the god's enemies in a ritual combat, represented by the plagues of Egypt. "And that combat culminates in the victory over Pharaoh who is, in his turn, a parallel figure to Kingu, the Accadian personification of the 'counter-king,' the shar puhi, Pharaoh who, exactly like Kingu, is not killed but-according to Rabbinic tradition-kept prisoner in the Red Sea (Sheol, the Underworld) during fifty days in order to be placed, immortal as he is, at the gates of Hades for ever." (387f; Fs)

15/12 The figure of Moses, thus, has been molded by more than one form. From the Paschal Legend stem the elements which place Moses in the role of the savior-king who overcomes the forces of chaos. In so far as this legend could attract variegated materials in the course of elaboration, there have entered the form elements of the prophet who opposes the King. And, finally, his figure has been overlaid by the Deuteronomic myth. (388; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Sohn Gottes, Moses (Leap in being: nabi, legislator, historian)

Kurzinhalt: clash between the Yahwist experience of Moses and the cosmological order of the Egyptian empire; in the man in whose soul occurred the leap in being

Textausschnitt: 16/12 Through the analysis of forms, both of the Torah and of prophetic legends, we have penetrated to the common historical substance. It proves to be the clash between the Yahwist experience of Moses and the cosmological order of the Egyptian empire. From the result falls a new light on the difficulties which beset a critical understanding of Moses. Since the clash between the two orders, as well as its issue into the actual constitution of a people under the order that had its origin in the soul of Moses, was a unique event in history, general categories do not apply to Moses, on principle, but can be used only as approximations with careful qualifications. There was something of the nabi in the man in whose soul occurred the leap in being when he heard the word of Yahweh; () And, finally, while he was a spiritual founder he did not found "a religion," but a people in the present under God. Hence, in order to characterize adequately the essence of the Mosaic person and work, we are forced back from the type concepts to the symbols by which the unknown authors of the respective sections of the Biblical narrative tried to express the unique essence of the issue in continuity with their traditions. That essence is contained in the formula: Yahweh brought Israel, through Moses, up from Egypt. And we must look for the symbols in which the meaning of the terse formula is made explicit.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Sohn Gottes; Erstgeborener (Exodus 4:21); Rettung am Schilfmeer

Kurzinhalt: there is no reason why the formula should not be dated in the Mosaic period; the Egyptian ruler has been spiritually demoted and must surrender his position as Son of God to Israel

Textausschnitt: (21) Yahweh said to Moses:
As you go to turn toward Egypt, see:
All the portents, which I lay in your hand, you will do before Pharaoh,
but I shall strengthen his heart, that he will not let the people go.
(22) Then you will say to Pharaoh:
Thus Yahweh has said:
My son, my first-born, is Israel;
(23) I said to you: "Let my son go, that he may serve me";
and you refused to let him go;
So now I shall slay your son, your first-born.
()
20/12 Relevant for our present purpose, however, are 4:22-23, since the motifs assembled in them concern the historical substance. The conflict between the Yahwist experience and the pharaonic order is brought on a formula as simple as it is perfect. We remember the Pyramid Text in which the Pharaoh is greeted by the gods:
This is my son, my first-born;
and we find now opposed to it in 4:22 the new formula: My son, my first-born, is Israel. (390; Fs) (notabene)

21/12 In adapting the Egyptian symbol to the new experience the same method is followed as in the Abram episode of Genesis 14, where the symbols of the berith and the bawl-berith are transferred from the Canaanite El-Elyon to the god of Abram. The argument with regard to the date of both experience and symbol used on that occasion will also apply to the present problem. Experience and symbol fit the situation of the conflict with Egypt; there is no reason why the formula should not be dated in the Mosaic period, or why its authorship should not be ascribed to Moses himself. (390; Fs) (notabene)
()
... In the course of the retardations it becomes, furthermore, increasingly clear that the Exodus is not an affair of Israel alone, but that the Pharaoh is fatally involved in the reordering of relations between God and Man. The emigration of Israel means more than the loss of a working force; the Egyptian ruler has been spiritually demoted and must surrender his position as Son of God to Israel. Yahweh demands Israel for his service, but he commands the Pharaoh to recognize the new order; he reminds the ruler, through Moses, that he could efface the Egyptians from the earth, but that he wants to spare them (9:16):
()
23/12 Still, there is a rest of resistance. When Israel has gone, the Pharaoh and his advisers reconsider. They go in pursuit with their army to bring the people back. And Yahweh has to enforce the new order with symbolic finality through the miracle of the Red Sea:

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Sohn Gottes, Erstgeborener: (kein Individuum, Gruppe; Widerstand gegen diese Rolle; Moses: Name (Buber)

Kurzinhalt: There never would have been a first-born son of Yahweh if the God had had to rely on the people alone; if there was a clash between the orders of Israel and Egypt, it had its origin in an experience of Moses

Textausschnitt: 24/12 When now we take a closer look at the new Son of God, as he emerges from the darkness of Egypt into the light of the new dispensation in history, we find him an odd creature. He is, first of all, not an individual human being but a social group; he has, furthermore, not the least desire to be a son of God; and finally, he expresses his disgust with, and resistance to, the new role so outspokenly that we begin to wonder what conceivable meaning the phrase "Son of God" could have when applied to an obstreperous bundle of humanity that hardly can be called even a people. When, () There never would have been a first-born son of Yahweh if the God had had to rely on the people alone; there never would have been an Israel without the leadership of Moses. If there was a clash between the orders of Israel and Egypt, it had its origin in an experience of Moses. (392; Fs)

25/12 The transformation of the indifferent and recalcitrant Hebrew clans into the Israel of Yahweh must have taken some time, as well as the efforts of a strong personality. It presupposes the existence of the man who could bring the people into the present under God because he had entered into it himself. Moreover, the formula of Israel as the Son of God could hardly have been intelligible and effective, unless the people had been penetrated with Egyptian civilization to a certain degree; and its creation, in particular, points to a man who lived so intensely as an Egyptian that he could conceive it in its full weight as the abrogation of Pharaonic order. (392f; Fs) (notabene)
()
... With regard to the date of entrance we have no opinion of our own to offer; with regard to the exodus we prefer the latest date, under Dynasty XIX, for reasons that will be set forth in the present chapter.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Herodot, Thukydides; Berechtigung bei den Griechen (Israel) von Geschichte zu reden; historia

Kurzinhalt: it proved to be legitimate to speak of history inasmuch as the Israelite symbolism contained compactly the meanings that later ... were differentiated and expressed

Textausschnitt: 45/1 Before the conception of the historical course itself can be analyzed, however, a preliminary question must be solved. () In a critical study of experiences of order and their symbolization, however, no symbols can be taken for granted, even though they are used in accordance with contemporary conventions. Hence, before proceeding further it must be ascertained whether we can speak of history in the present context at all. (115; Fs)

46/1 The term history, although it derives from the Greek historia, does not have in its modern usage the classic meaning. When Herodotus speaks of historiai he means his inquiries into a subject matter, somewhat arbitrarily accepted today as historical. And Toynbee stresses on occasion that in his title A Study of History, the study rather than the history renders the classic historia. Thucydides, furthermore, did not give the History of the Peloponnesian War the title under which the work is known today. Rather, he was interested, as just indicated, in a type study of the kinesis, of the great movement or convulsion of Hellenic society, and whether this study is history in the modern sense is precisely the issue that must be explored. These observations will be sufficient to show that the Hellenic symbolism raises the same problems as the Israelite "historical narrative." In the Israelite case we had to distinguish between the historiographic symbols appearing in the text, on the one hand, and the terminology that had to be employed in the interpretation of the symbolic form, on the other hand. And among the historiographic symbols developed by the creators of the narrative, there was no term that could be considered the Hebrew equivalent of history. Our usage had to be justified, therefore, through appeal to the categories of compactness and differentiation,-and it proved to be legitimate to speak of history inasmuch as the Israelite symbolism contained compactly the meanings that later, in the orbit of Christian experiences, were differentiated and expressed by the new symbol. The same argument will apply to the Hellenic case. While the meaning of history that has been created through Christianity is not to be found in the classic memory, the later problems are nevertheless contained in the less differentiated historical consciousness of a Herodotus or Thucydides, or in Plato's conspectus of the historical cycle of order. That the argument is indeed valid in the Hellenic case, to be sure, can be proven only through the analysis of the literary sources itself. For the moment we must anticipate the proof. (115f; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Sohn Gottes (Moses -David - Menschheit), Imperial Psalms; Psalm 18 Hebräerbrief; Gesalbte, Messias

Kurzinhalt: ... was deformed, when the Israel that already was the Son of God acquired a second Son of God as its ruler; recall of Isaiah 63:11, that links Jesus with Moses

Textausschnitt: 33/12 In order to understand the issue, we must first realize that the evolution toward the Davidic Son of God was one of the possibilities inherent in the Mosaic conflict with Pharaonic order. The exodus of the Hebrew clans, as we have stressed, was more than a national liberation in the romantic sense. The Egyptian ruler did not have to set them free because of some principle of national self-determination, but in order to let them change their subjection to the service of Yahweh; he had to recognize Yahweh as the God who issued the command. The divine-cosmic order of Egypt was abrogated; and the release of Israel implied the recognition of Yahweh's historical order in which the new Son of God held first place. The god of Moses was the God not of Israel only but of mankind; when Moses led his people into the desert, the result was not two peoples in political co-existence under different gods but one historical dispensation with its center in the Chosen People. In spite of appearances, that new spiritual order established by Moses was not abolished by the Davidic kingship. The Yahwist order of history in the Mosaic sense, as well as the relations between Yahweh and his people remained intact, when Israel, under the pressure of necessities, had to acquire a king like the other nations. One can speak of no more than a deformation of the original theopolity through the intrusion of a royal Son of God into the system of symbols. (396f; Fs)

The royal Son of God, far from destroying the order of Moses, served the unfolding of the universalism which it contained in its compactness. (397; Fs) (notabene)

34/12 The continuity of experiences and their symbolic expression, from the Mosaic foundation to the Messianic unfolding, will become clearer when we compare the conclusion of Psalm 18 with a passage from Hebrews 13:20: (397f; Fs)

35/12 The Anointed of Yahweh, who first was the King of Judah and then the Messiah of the Prophets, has ultimately become the Christ in his glory for ever and ever. And from Christ a ray of light falls back over the past to illuminate Moses. For among the various allusions to the Old Testament in the passage just quoted there is one, the recall of Isaiah 63:11, that links Jesus with Moses: Jesus is the shepherd of the flock who is brought up out of the sea with his people. He is "the one who is drawn up" from the dead by God; and at the same time "the one who draws up" his people by working in them, as the divine instrument, what is pleasing to God. Through the tortuous ways of the Messianic symbolism the characteristics of Moses in the dynamics of divine order have now become the characteristics of Jesus; and conversely the characteristics of the Son of God are those of Moses. (398; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Moses: Prefiguration - Sohn Gottes; Moses (als Gott) - Aaron; Tod Moses

Kurzinhalt: ... prefigured, but did not figurate himself, the Son of God; between the compactness of the Egyptian and the lucidity of the Christian order

Textausschnitt: 36/12 The unique position of Moses has resisted classification by type concepts, as well as articulation through the symbols of the Biblical tradition. He moves in a peculiar empty space between the old Pharaonic and the new collective sons of God, between the Egyptian empire and the Israelite theopolity. On the obscurities surrounding the position of Moses now falls a flood rather than a ray of light, if we recognize in him the man who, in the order of revelation, prefigured, but did not figurate himself, the Son of God. It is the compactness of this intermediate position which resists articulation and makes it impossible, even in symbols of his own time, to answer the question: Who was Moses? (398; Fs) (notabene)

37/12 Once we have become aware of the problem, however, we can search the Biblical text for attempts to overcome the difficulty and to break through, however imperfectly, to a symbolization of the man who stands between the compactness of the Egyptian and the lucidity of the Christian order. One or two passages suggest themselves, more or less clearly, as such attempts. (398; Fs)
()
40/12 A second version of the episode, in Exodus 6:28-7:5, is pointed even more clearly toward the conflict between Moses and the Pharaonic order. Again Moses pleads his "uncircumcised lips" as the obstacle to successful negotiation (6:30), but this time Yahweh answers:
See, I give you to Pharaoh as a god,
And Aaron your brother shall be your revealer [nabi-prophet].
The language of the passage must not be mistaken for genuine symbolization which authentically expresses an experience of transcendence. Moses is not ontologically, but only metaphorically, a god. In spite of its inadequacies as a symbol, however, the language admirably expresses the feeling that Moses, while not God, is something more than man. In an undefinable manner the presence of God has become historical through Moses. (399; Fs) (notabene)
41/12 Another text, finally, cannot be omitted, though it resists conclusive interpretation, because its position in the narrative marks it especially relevant to the present complex of problems. It is the night episode of Exodus 4:24-26: (400; Fs)
()
... In the parallel construction the night episode, in which Moses was almost killed, would correspond to the Red Sea disaster, in which the Pharaonic order was actually engulfed. Perhaps it was the Egyptian in Moses, the old Son of God, who rose for the last time and had to be "killed" in order to establish the new Son of God. From the last temptation, in which the Pharaoh was submerged, rose Moses to victory. The action of Zipporah would then have to be understood as the assurance of the sonship of the people through the mother of the people. The collective element of the sonship needed a special guaranty. (400f; Fs)
()
43/12 Moses was barred from common humanity by his suffering of the solitude with God. As he had lived by the command of his God, he died by his command. The extraordinary destiny provided for him found its last symbol in the tradition of his death, on Pisgah, overlooking the promised land he was not permitted to enter: (401; Fs) (notabene)
Thus died Moses, the servant of Yahweh,
in the land of Moab, at the command of Yahweh,
and he buried him,
in the vale in the land of Moab, toward Beth-Peor, and no man knows his burial-place to this day.
44/12 The Hebrew text says literally that Moses died "at the mouth of Yahweh," a figure of speech which usually means "at the command." Perhaps the trope was used on this occasion intentionally: The man with the uncircumcised lips found his freedom at last at the lips of God. (402; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Moses: Donrbusch (Seneh - Sinai), Ich bin der ich bin (I am who I am -ehyeh asher ehyeh)

Kurzinhalt: The drama of the revelation is organized as a sequence of clearly distinguishable scenes (5):; when the consciousness of the divine will has reached the clarity of revelation, the historical action has begun

Textausschnitt: What remains, that is, the body of text comprising 3:1-14 and 4:10-12, is again a spiritual drama of the first rank, though we do not know whether it was written by the same hand as Exodus 2.

50/12 The drama of the revelation is organized as a sequence of clearly distinguishable scenes:
(1) Exodus 3:1-3: Moses, while tending the flocks of his father-inlaw, comes to the Horeb, the Mountain of God: (405; Fs)
()
(2) Exodus 3:4: The divine presence has brought itself to the attention of Moses by arousing in general the awareness of his senses. It now makes itself a presence meant for him personally: (406; Fs
()
(4) Exodus 3:7-10: To see God is to die. Moses has hidden his face from the terrifying sensual presence, and he listens, with his soul, to whatever the voice has to say. () The command could be rejected only by a man who could never hear it; the man who can hear cannot reject, because he has ontologically entered the will of God, as the will of God has entered him. When the consciousness of the divine will has reached the clarity of revelation, the historical action has begun. (406f; Fs) (notabene)
()
(5) Exodus 3:11-14 and 4:10-12: When the command strikes Moses it cannot be rejected, but it can be received with misgivings about his human ability to accomplish the apparently impossible. Who is he to persuade Pharaoh and bring Israel out of Egypt (3:11)? And how can he explain to the prospective people that the god of their fathers, who has taken his good time to hear their cries from bondage, is the God, who now will indeed help them (Exod. 3:13)? Such misgivings are overcome when the god of the fathers reveals his true nature through the self-interpretation of his name, "Yahweh." The interpretation is part of the action that has begun in Moses with the revelation, () The people thus will break the bondage of Egypt and enter the present under God, once they have responded to the revelation of God's presence with them. The mutual presence of God and Moses in the thornbush dialogue will then have expanded into the mutual presence of God and his people, through the Berith, in history. (407; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Dornbusch: Ich bin der ich bin ( I AM WHO I AM; ehyeh ) ; Metaphysik von Exodus; Tetragramm (Thomas)

Kurzinhalt: primacy of the divine esse, in opposition to the Platonic primacy of the divine bonum; if there is no metaphysics in Exodus, there is a metaphyics of Exodus

Textausschnitt: 52/12 The thornbush dialogue could be written only by a man who had an intimate knowledge of the spiritual events of divine revelation and human response. He was a prophetic mind of the first rank; and the fact that in the composition J and E sources were used allows us to place him at the earliest in the eighth century B.C. The question will have to be raised whether a work so distinctly prophetic in form contains a historical substance that can be assumed to go back in an unbroken tradition to the time of Moses. And in particular, we must ask whether the exegesis of the divine name as I AM WHO I AM can have had Moses as its author. Since these questions are today obscured by an immense controversy which, first, is not always too clear in the statement of the issues and, second, is all too frequently biased by progressive ideology, we must briefly clarify what in our opinion the nature of the problem is. (408; Fs) (notabene)

53/12 We must realize first of all that we are dealing with a revelation presumably received by Moses, and nothing but that revelation; and second, that with regard to the contents of the revelation we have no source but the episode just analyzed. Hence, the rich etymological debate concerning the name of Yahweh, with its variegated conjectures, some more plausible than others but none conclusive, must be excluded as irrelevant to our problem. The narrative itself does not refer to any meaning attached to the name of Yahweh that could have influenced the contents of the revelation. On the contrary,
()
54/12 As far as the autonomous meaning is concerned, a formidable issue is injected into the controversy through the fact that since the time of the Patres, the divine self-interpretation (Ego sum, qui sum) has been the basis of Christian speculation on the nature of God. The primacy of the divine esse, in opposition to the Platonic primacy of the divine bonum, is so distinctively the great issue of Christian philosophy with regard to the essence of God that it has been justly called the philosophy of Exodus. The assumption now that the member of a nomad people in the thirteenth century B.C., or earlier, should have coined a formula which contains a metaphysics of being is preposterous to the enlightened, and too much even for more conservative historians. Oesterley and Robinson, for instance, say: (408f; Fs)
()
56/12 The passages are illuminating for several reasons. In the first place, the authors take it for granted that nothing extraordinary can happen in history; no unique personality, even if God so wills it, can break the "stage of development." They can make their assumption, second, because they remain unaware that the revelation creates history as the inner form of human existence in the present under God and therefore inevitably must be a break with the "stage of development," at whatever time it occurs. The "development" would be no less broken if the break occurred a few centuries later. And third, since they are not aware of the nature of revelation as a "break," as the leap in being, they both confuse the exegesis of the name, which in fact is an explication of the experience of divine presence, with an etymology of the name "Yahweh." Obviously, the issue cannot be successfully treated on this rather low level of methodical precision. (409f; Fs) (notabene)
()
... we cannot deny that the Christian interpretation is well founded on the text. While we cannot escape the dilemma either by doubting the text or by moving it down a few centuries, a solution suggests itself if we consider a distinction made by Gilson: (410; Fs)
One can, of course, not maintain that the text of Exodus bestowed a metaphysical definition of God on mankind. Still, if there is no metaphysics in Exodus, there is a metaphyics of Exodus.
()
58/12 Gilson's distinction applies to a concrete case, in effect, our principle of evolution from compactness to differentiation. While the Exodus passage is not a metaphysical proposition, it contains in its compactness the meaning differentiated by the Christian philosophers. (410; Fs) (notabene)
59/12 Once we have recognized the exegesis of the thornbush episode as a compact symbolism in need of explication, not only will the philosophical interpretation appear well founded, but the labors of analysis bestowed by Christian thinkers on the episode in general can be accepted as an important aid for the understanding of the symbol. We shall use for this purpose the summary of the problem given by St. Thomas in the Summa Theologiae. Thomas considers the HE WHO IS the most proper name of God for three reasons: ...
()
60/12 If now we place the issue of the "philosophical proposition" in the context of the Thomist analysis, the ehyeh will no longer appear as an incomprehensible philosophical outburst, but rather as an effort to articulate a compact experience of divine presence so as to express the essential omnipresence with man of a substantially hidden God. The "I will be with you," we may say, does not reveal the substance of God but the frontier of his presence with man; and precisely when the frontier of divine presence has become luminous through revelation, man will become sensitive to the abyss extending beyond into the incommunicable substance of the Tetragrammaton. As a matter of fact, the revelation of the thornbush episode, once the divine presence had become an historical experience of the people through the Berith, had no noteworthy sequel in the history of Israelite symbols and certainly no philosophical consequences. The unrevealed depth, however, that was implied in the revelation, has caused the name of God to become the unpronounceable Tetragrammaton YHWH. Philosophy can touch no more than the being of the substance whose order flows through the world. (411; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Dornbusch, Moses (ehyeh asher ehyeh; Historizität); Hoses (Lo-ammi); Amon; Offenbarung - Spannung: Verborgenheit (Gegenwart)

Kurzinhalt: the crucial question whether the ehyeh asher ehyeh can be atributed to Moses himself; God reveals himself as the one who is present as the helper

Textausschnitt: 62/12 The revelation of the hidden God, through Moses, reveals his presence with his people; revelation and historical constitution of the people are inseparable. There is extant an interesting text, in the prophecies of Hosea, which proves beyond a doubt that this was indeed the sense in which the Israelites themselves understood the formulas of the thornbush episode. Hosea, as we have seen, diagnosed the "forgetfulness" of the people about their God and his instructions as the symptom of impending disaster. The God and the people who had been brought historically into their mutual presence through the revelations from seneh and sinai could separate again. The God who had disclosed himself as present could also withdraw; and then he would be no longer the "I will be with you," and the people would be no longer "My people." The prophet knew that the separation was already in process and would be consummated by disaster in pragmatic history, unless the people returned and remembered their God. As in the revelation to Moses the divine knowledge had embraced the actual constitution of Israel in historical time, so the revelation to Hosea embraced the actual dissolution of the people, accompanied by the external destruction of the Northern Kingdom. In order now to bring the divine foreknowledge to the knowledge of the people, Hosea chose the method of giving his son a symbolic name (1:9): (412; Fs) (notabene)
And he [Yahweh] said:
Call his name Lo-ammi [not-my-people];
for you are not my people [Io-ammi];
and I not I-am [lo-ehyeh] to you.
()
64/12 The structure and date of the symbol have been clarified sufficiently to prepare the crucial question whether the ehyeh asher ehyeh can be atributed to Moses himself. An affirmative answer can be based on the close relation between the thornbush symbol and the Amon Hymns of Dynasty XIX (ca. 1320-1205 B.C.). We shall briefly establish the parallel: (412f; Fs) (notabene)
()
... the ehyeh has the meaning "I will be with you"; and the Chicago translation justly paraphrases the ehyeh in 4:12 as "I will help you" - though the paraphrase destroys the structure of the text. The meaning that God will be present as the helper, furthermore, is confirmed by the instruction to Moses to tell the people: "Ehyeh has sent me to you" (3:14). The passage would have to be paraphrased: "The one who is present as your helper has sent me to you." In the light of this meaning, supported by the prophecy of Hosea, must be understood the central ehyeh asher ehyeh, usually translated as I AM WHO I AM. Unless we introduce extraneous "philosophical" categories, the text can only mean that God reveals himself as the one who is present as the helper. While the God himself is hidden (the first ehyeh) and, therefore, must reveal himself, he will be manifest whenever, and in whatever form, he chooses (the second ehyeh). (413; Fs) (notabene)

66/12 The parallel between the Yahwist and the Amon symbols is clear enough not to require elaboration. The tension between the hidden depth in God and his manifestations has been transposed, by the thornbush episode, from the form of cosmological myth to the form of revealed presence in history. Such a transposition could well have been the decisive work of Moses, if we consider the fundamental issue of his existence as it has emerged from the previous analysis, that is, the conflict between the orders of Yahweh and the Egyptian empire. It is highly probable that the revelation of the new order was couched in symbols which clearly abrogated the order of the Egyptian gods as it was understood at the time. It would be the same type of symbolic opposition that we could observe in the Abram episode of Genesis 14. The revelation could break with the cosmological experience, but it could not be communicable unless it continued the symbols while changing their meaning. The God of Moses had to make himself intelligible to his people, not only as the God of the fathers, but also as the God of the new historical dispensation in opposition to the Amon of the empire. Hence, we are inclined to attribute the symbolism of the thornbush episode to Moses; and since the Egyptian texts which supply the continuity are later than the Amarna period, a date for Moses will have to be assumed in the thirteenth century B.C. (414; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Sinai; Konstitution Israels, Übergang: Ordnung d. Existenz - Geschichte,

Kurzinhalt: The gift of revelation requires acceptance in order to become the form of historical existence; order of existence -> historical: through the human response to revelation

Textausschnitt: ... The Sinaitic foundation, finally, occurs no more in a historical vacuum than does the thornbush episode, but opposes its new order to the symbols of the Egyptian empire. Hence, we shall again pay careful attention to parallels with, and differences from, the cosmological form. (415; Fs)
()
70/12 The divine presence assures man that he can fulfill a command he feels beyond his human powers; and the fulfillment is the "token" of the presence. In the concrete case: Moses can fulfill his mission because God will be present with him; and the actual fulfillment, the service of the people at the mountain, will be the "token" of the presence. Since in historical time the "token" lies in the future, the end that in eternity is joined to the beginning through the knowledge of God can be joined in the human sphere only through the responsive trust of man in the presence of God. There is no revelation to Moses as a historical event, unless through the experience of revelation Moses becomes the servant of Yahweh; and no people will be brought forth from Egypt, unless in the act of leaving Egypt it enters the service of Yahweh at the mountain. The gift of revelation requires acceptance in order to become the form of historical existence. (417; Fs) (notabene)
()
71/12 The Exodus, as it extends between the revelations from seneh and sinai, is the historical drama kat'exochen in so far as it brings the order of existence into historical form through the human response to revelation. Moses must accept the leadership of his people, as well as the mission to Pharaoh; the Pharaoh must be made willing to let the people go; the people must be induced to leave and to enter the service of Yahweh. At every stage of the drama the performance can break down if the proper response is not forthcoming; and it comes forth, indeed, only with reluctance, hesitations, retardations, and even with resistance that must be broken. The very substance of the drama is the molding of human action into the action known by God; and the main stages in overcoming the resistance of man determine, therefore, the literary construction of the Exodus story. The great individual protagonists are Moses and the Pharaoh, the creator of the new and the defender of the old order. Their stories are organized so as to balance each other. In the first story, God has to overcome the resistance of Moses; in the second one, Moses, who is set as "a god to Pharaoh," has to overcome the resistance of the Egyptian ruler.
()
... History, in the sense of the perpetual task to regain the order under God from the pressure of mundane existence, has only begun. (417f; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Berith (Bund), Konstitution Israels; Sinai - eg: Auferstehung; die drei Abschnitte vom Bundesschluss (essen trinken)

Kurzinhalt: constitution of Israel as the people under God through the Berith

Textausschnitt: 72/12 The last act of the drama is the constitution of Israel as the people under God through the Berith. The problems of literary stratification in this part of the narrative resemble those of the thornbush episode,
()
73/12 The whole action of the Covenant, thus, is clearly organized on this level of the narrative as, first, the revelation of the meaning of the Berith and its acceptance by the people; second, the cultic act of the Berith; and third, the proclamation of the rules which constitute the people as a theopolity. (419; Fs)
()
... today a matter of controversy whether the Berith was concluded on the basis of the Decalogue, or whether the Decalogue was issued on the basis of the Berith.
()
76/12 With regard to historical reliability and date of the drama, one cannot go beyond probabilities. After the spiritual biography of Moses in Exodus 2, and the thornbush episode, we encounter now for the third time a brilliant author of the "middle stratum." We do not know who he was or whether the three pieces were written by one or more persons. We can only say that the authors must have been men of great spiritual sensitiveness, who were able to capture in paradigmatic dramas the essence of Moses' person and work. From the anaylsis of the component sources we know, furthermore, that they used the J and E materials, or - more cautiously - the traditions which also found their way into the work of the J and E historians. About the tradition of the meaning which the unknown authors superimposed on the materials, however, we know nothing. And with regard to historical reliability we can say only that on the one hand, the dramas of the "middle stratum" contain nothing that would be historically impossible while on the other hand, they let emerge a Moses of convincing stature. (421; Fs)
77/12 We shall now deal with the three scenes of the Berith drama in their sequence.
()
82/12 That was all. And the paucity of information should cause no surprise, for the establishment of order in the present under God is an event not in literature but in the souls of men. "And they beheld God, and ate and drank" is the perfect formula for an event in which divine order becomes established in history, while externally happens nothing at all. (423f; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Dekalog (3 Teile), Decalogue, Moses

Kurzinhalt: it certainly is animated by the insight that right order will somehow grow in a community when the attunement to the hidden divine being is not disturbed by human selfassertion

Textausschnitt: 84/12 The meaning of the Decalogue is determined by its own contents, as well as by the context of the drama which begins with the Message of Exodus 19:4-6. The Berith has been concluded, and Israel is accepted as the royal domain of Yahweh the King. Hence, the Decalogue is not a catechism of religious and moral precepts, but a proclamation of the God-King laying down the fundamental rules for the order of the new domain. It opens with a declaration of the authority from which the commands emanate: (425; Fs)
()
86/12 The first group of three or, with the subdivisions of the second one, of five commandments deals with the relation between God and man. The commandments contain no "monotheistic doctrine"; they rather prohibit fallacious conduct that would obscure the nature of the God who has revealed himself as the ehyeh asher ehyeh. Yahweh is the hidden God who manifests himself in the form, and at the times, of his choice. He must not be made manifest through images of human device, because his nature as the hidden God would be obscured - and man cannot obscure the nature of God through symbolic action without affecting the order of his relation with God. Moreover, behind all attempts to image God in the likeness of anything within the visible cosmos, even though the attempts are apparently harmless, there lurks the desire to bring God within the reach of man. ...
()
87/12 The third group of five commandments is self-explanatory. The commandments transfer the rules of internal clan solidarity to the new social body of the people of Israel. The injunctions protect the basic goods of life, marriage, property, and social honor. And the last commandment again penetrates to the source of disturbance when it prohibits the cherishing of covetous sentiments, of envy, which ultimately might break out in the specific disturbances. (427; Fs)

The two groups of injunctions are skillfully linked by the positive commandments of the middle group. The order of a people lives not only in the here and now of man's right relations with God and fellow man but in the rhythms of the people's existence in time. The articulation of order in time, through both the divine rhythm of the holy day and the human rhythm of the generations, must be honored. The command to remember the divine rhythm (4) concludes the commandments concerning the relation with God; and the commandment to honor the human rhythm (5) opens the commandments concerning the relation with fellow man. (427; Fs)

88/12 Clearly, the Decalogue is not an accidental collection of "religious" and "moral" precepts, but a magnificent construction, with a firm grip on the essentials of human existence in society under God. While the compact symbol offers an explicit "philosophy of order" no more than the thornbush episode offered a "philosophy of being," it certainly is animated by the insight that right order will somehow grow in a community when the attunement to the hidden divine being is not disturbed by human selfassertion. Since it does not issue positive rules, either cultic or moral, the field remains wide open, in both respects, for civilizational growth. Nevertheless, the Decalogue restrains and directs the growth by its injunctions against rebellious existence. It is framed by the firm blocks of the first and tenth commandments with their injunctions against the antitheistic rebellion of pride and the antihuman rebellion of envy. Between the two protective dams, in the middle, can move the order of the people through the rhythm of time. Through the articulation of the divine will into the commandments of the Decalogue Moses, indeed, has given Israel its constitution as the people under God in historical existence. (427; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Propheten - historischer Moses: 4 Punkte; Implikationen der Erfahrung Gottes erfordern neue Symbole

Kurzinhalt: keine Propheten ohne Moses - kein Moses ohne Propheten;past and present in a continuum of living tension between time and eternity; the most serious problems of the prophets, however, ...: new symbols

Textausschnitt: 1/13 Without the revelations from the Thornbush to Moses and from the Sinai to the people, there would have been no messengers of the Covenant; but without the messengers we would probably know little about Moses and the events of his time. The great question of the "historical Moses," which agitates the moderns, must be considered of secondary importance compared with the real issue, that is, the prophetic effort to regain, for the Chosen People, a presence under God that was on the point of being lost. It was in order to re-establish its meaning, as constituted by the Sinaitic events, that unknown authors elaborated such traditions as were preserved in cult legends, poems, and prose accounts into the paradigmatically heightened dramas that we have studied in the preceding Chapter. From those scenes of the "middle stratum" of the Biblical narrative emerges the Moses who lived, in historical continuity, in the medium of prophetic experience in Israel. The Moses of the prophets is not a figure of the past through whose mediation Israel was established once for all as the people under Yahweh the King, but the first of a line of prophets who in the present, under the revelatory word of Yahweh, continued to bring Israel up from Egypt into existence under God. (428; Fs) (notabene)

2/13 If we distinguish, thus, between the "historical" and the living Moses and, furthermore, define the prophetic experience as the medium of his life, the problems of the prophetic movement, from the crisis of the ninth to the exile of the sixth century, will come more clearly into focus: (428; Fs)

(1) When prophetic authors recalled the work of Moses and heightened it paradigmatically in dramatic scenes, their work was not an end in itself. It served the purpose of awakening the consciousness of the Chosen People for the mode of its existence in historical form. The people had to be reminded, first, of its origin in the response of the fathers to Yahweh's revelation through Moses and, second, of the fact that its continued existence depended on its continued response to Yahweh's revelation through the prophets.

(2) The prophetic blending of past and present in a continuum of living tension between time and eternity, however, has its dangers. For precisely when the defection of the people has reached such proportions that repeated, energetic reminders of the conditions of existence in historical form become necessary, the recall of the past may have effects as unexpected as they are undesired. We have studied such an unwanted effect in the chapter on the Deuteronomic Torah, when we traced the line that led from the recall of the origins to the Myth of Moses. Far from resulting in a new response of the people to the living word of Yahweh as pronounced by the messengers, the prophetic effort derailed into a constitution for the Kingdom of Judah which pretended to emanate from the "historical" Moses. The past that was meant to be revitalized in a continuous present now became really a dead past; and the living word to which the heart was supposed to respond became the body of the law to which the conduct could conform. (429; Fs) (notabene)

... As a consequence, the struggle of the prophets for the historical form of Israel had to cope with two evils at the same time: On the one hand, the prophets had to bring Israel back from its defections to Canaanite and Mesopotamian gods, to the obedience of Yahweh; on the other hand, when in the first respect they were successful, they had to convert Israel from its chauvinism and reliance on external performance, to a communal life in the spirit of the Covenant. (429; Fs) (notabene)

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(4) The most serious problems of the prophets, however, arose from the very nature of their work, that is, from their effort to clarify the meaning of existence in historical form. When the revelations of the Mosaic period were studied and relived by men of such spiritual sensitivity as the authors of the thornbush episode and the Berith drama must have been, implications of the experience would unfold which required symbolizations of a new type. The universalist implications, for instance, which could be suppressed on the popular level by the fierceness of collective existence, had to loom large in the souls of solitary spiritualists tortured by the sorrow about the destiny of the Chosen People. When the syncretistic defections raised the question in what sense Israel could still be regarded by Yahweh as "My People," the possibility of God's choosing another people had to be considered. Moreover, when the rising danger from the neighboring empires had to be interpreted as divine castigations, the foreign peoples became instruments of Yahweh in the execution of a historical plan; and consequently the features of Yahweh as the universal God of mankind became increasingly marked. The appearance of prophetic personalities, succeeding one another through the generations in opposition to the people, furthermore, had to raise the problem of personal existence under Yahweh, in his spirit, independent of Israel's collective existence. If Israel as a people was doomed, could not a remnant, consisting perhaps of the followers of the prophets, escape and be saved for a better future? Could the people of God not contract into a group of spiritual personalities in free association under God? Should those who were willing to walk humbly with their God suffer the fate of the defectors? Was Israel really identical with the "historical" people? The implications, unfolding in such questions, would raise the ultimate issue: Had the Kingdom of God, of necessity, to assume the form of a political Israel; and if that question should be answered in the negative, had it, of necessity, to assume the form of a politically organized people at all? If Israel relegated Moses and the Covenant to a dead past by transforming them into a constitutional myth, the prophets were about to relegate Israel to a dead past by transforming the Kingdom of God into something which, at the time, was no more than the shooting lights of a new dawn on the horizon. (430; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Jeremia, Hosea, Amos, Jesaia - Dekalog; Konflikt zweier Ordnungen (auch: Sokrates, Plato)

Kurzinhalt: Disorder in Israel thus was measured by the comprehensive order of the Decalogue

Textausschnitt: 8/13 The passages from the Temple Address furnish valuable information on the sense in which admonitions of the prophets must be read. The categories so frequently used by modern historians when they speak of the ethics, or politics, or religion, or theology of the prophets may have their taxonomic uses, but they are anachronistic when applied to the prophets' intention, because the Israelite symbolism has its own logic: When the prophets raise problems of order, they refer them, through extensive interpretation, to the decalogic constitution.
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... 14/13 Disorder in Israel thus was measured by the comprehensive order of the Decalogue. As far as persons were concerned, the rich and the poor, the king and the priests, the sage and the false prophets were equally judged by the standard of antidivine or antihuman self-assertiveness () Was Israel identical with the Kingdom of Judah, organized under the Torah as interpreted by the King, his officers and priests; or was it identical with an entirely different community that lived under the Decalogue as interpreted by Jeremiah? (433f; Fs)
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18/13 The trial of the prophet and the mutual death sentences when the order of God is about to disengage itself from the order of man form an aggregate of symbols that recurs, at a distance of two centuries, in the Hellas of Socrates and Plato. Now the philosopher represents the order of the God of Delphi; the "priests and prophets" reappear as the sophistic intellectuals and politicians in the role of the accusers; there is again the strong minority of the "people" who vote against the death sentence; and there is Plato, who, in his dialogues, continues the trial and makes it clear that the gods had condemned Athens when Athens had condemned Socrates. The comparison should make us aware that we are dealing not with contingent events but with essential processes of experience and symbolization. Parallels of this kind are neither historical curiosities, nor do they suggest mysterious laws of history. They rather show that the relation between transcendent and mundane order, when it reaches the level of conscious experience in prophets or philosophers, will become articulate in closely related symbols; and when the men in whose experience the problem lives become a force in community life, the responses again will be so closely related that the pattern of action will become a symbolic play, acting out the drama of revelation. (436; Fs) (notabene)
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19/13 The drama, as it was acted out at the end of the seventh century by Jeremiah and his antagonists, originated in the prophetic experience of the conflict between the historical order of society and the divinely revealed order. Fortunately there is extant, in Isaiah's account of his first revelation, an autobiographical report of the type of experience which unfolds, when it enters the stream of communal life, into the drama of Jeremiah and his trial. In Isaiah 6:1-5 we read: (436; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: die Botschaft: Israel - Bund - Annahme - Gebote; Klärung in der Zeit der Krise; 3 Argumente

Kurzinhalt: Berith drama: it unfolded in a sequence of three distinct acts; crisis: motive given for an inquiry into the precise meaning of existence under God

Textausschnitt: 60/13 To be Israel meant to exist in continuity with the action of the Berith drama. In the first act of this drama, in the Message of Exodus 19:4-6, Yahweh had promised to make Israel his own possession (segullah) among all peoples, the royal domain of his immediate servants (mamlekheth kohanim), and a holy nation (goy gadosh), on the condition that the people hear his voice and keep his covenant. The cosmicdivine order of Egypt was to be superseded by a new order of history under the world-transcendent God who had revealed himself from Sinai. In the realm of symbols, the royal domain as the divine center of order in the cosmological empire was accordingly transformed into the Chosen People, the holy omphalos of world-history. Only when the Message had been accepted, followed the second act, the ritual conclusion of the Berith between God and the people that now had become "his people." And in pursuance of the Berith, finally, Yahweh proclaimed the Decalogue as the fundamental law of the people's order. The meaning of the drama, though it unfolded in a sequence of three distinct acts, was one and indivisible; no part of it could be removed without affecting the whole. ... This chain of meaning running through the acts in which Israel gained its existence in historical form had not been made explicit, however, in the traditions of the events. It had remained indeed so deeply embedded in the accounts of the events themselves that even in the extant form the narrative is unclear on the point whether the Berith precedes the Decalogue, or the Decalogue the Berith. Only in the crisis of Israel, when the continuity of its existence as the goy gadosh had been made problematic by the empirical conduct of people, ruling class, and court, as observed by the prophets, was the experiential motive given for an inquiry into the precise meaning of existence under God. (458f; Fs)
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61/13 The prophets tried to save the order of Israel through clarification of its meaning. We followed this struggle, in the reverse order of the Berith drama, through Decalogue and Covenant, because the empirical observation of conduct in violation of the commandments furnished in fact the motive of inquiry. Under the impact of this inquiry, as we have seen, the symbols of the Berith drama disintegrated, because their compactness of meaning proved inadequate to express the differentiated experiences of the prophets. The normative and existential issues of the Decalogue had to be distinguished, as far as the lack of a philosophical vocabulary permitted the distinction; and a catalogue of virtues, describing the existential order, was developed. This new table of virtues, ...
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62/13 When the prophetic critique of symbols reached the center of revelation, it was no longer possible to restrict the argument to specific issues of misconduct. The chain of meaning contained in the Berith drama burst at once in violent articulation. The constitution of being as a whole, with the origin of its order in God, was at stake. The magnitude of the conflicts can better be understood by first listing the three sets of arguments which had to be taken into account at once: (460; Fs)

(1) When the prophets measured the empirical conduct of Israel by the symbols of the Berith drama, they could observe that the people neither heard the voice nor kept the covenant of Yahweh. They knew that the Decalogue had become a matter of legal and cultic observance in violation of the spirit, and that the Covenant had been broken. In this situation of disorder on the human side, when the people no longer fulfilled their obligations under the Covenant, the question imposed itself whether the divine partner was still bound by his promise. Was the Message still valid? Was Israel still the Chosen People in the Sinaitic dispensation of history? These were the questions suggested by the contractual symbolism of the Berith. (460; Fs) (notabene)
(2) As soon, however, as the prophets raised them, the abyss of revelation and faith proved incommensurate with the logic of contract. For the substance of the Covenant was provided not by the meeting of the minds of equal partners but by the revelation of God as the source of order in man, society, and history. The set of legal argument concerning conclusion, violation, and dissolution of an agreement had to be supplemented by a second set of argument concerned with the substance of revelation and its consequences. On the level of substantive order, the God who had revealed himself and made the choice could not be assumed either to have deceived the people with false promises or to have deceived himself about the qualities of the human partner. Moreover, the revealed will of God to create a new order of history could not be assumed to be stultified by the opposing will of the human subject of order. The revelation of God, once it had entered the reality of history, could not be thrown out of history by a human decision to ignore it. (460f; Fs)
62/13/3
(3) This second train of reflections, conducted in the certainty of prophetic faith, of the knowledge of God, however, encountered the incontrovertible facts of Israel's misconduct, the empirically observed symptoms of the crisis of order which motivated the prophetic struggle: that revelation could be ignored, that faith could be abandoned, that the covenant could be broken, that the Chosen People even did not care to be chosen, and that it was on the point of being annihilated by imperial powers who were no more paragons of virtue than was Israel. (461; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Wahre, falsche Propheten: Prophezeiung nicht als Vorhersage; Dialektik der Widerspenstigen (stubborn of heart)

Kurzinhalt: prophecies: senseless if they are understood as flat predictions of future events, the prophetic concern is not with future events but with the existential order in the present

Textausschnitt: ... The symbolism of the thornbush episode, in which Yahweh revealed himself to Moses as the I AM WHO I AM, has been brought by the prophetic faith close to unfolding the metaphysics of being contained in it. When the prophets struggle with the meaning of the Message, the principles of a philosophy of history become at least discernible, though they do not achieve conceptual articulation. (461; Fs) (notabene)

64/13 In the first place, the prophets penetrated what in modern terminology may be called the dialectics of divine foreknowledge and human decision. On the side of divine foreknowledge they knew: God had chosen Israel as the holy nation of the new order; since God did not use the method of trial and error, the revealed order had to be realized; whatever Israel did, it had to remain the Chosen People. On the side of human decision they knew: The empirical Israel did not realize the revealed order; and a terrible disaster, amounting to extinction, was impending in pragmatic politics. In the face of this conflict between revealed and empirical order, the prophets spoke the word of Yahweh in the dual symbolism of the prophecies of punishment and salvation. The prophecies of the terrible day were intended to induce the change of heart that would avert the punishment; and the prophecies of ultimate salvation held out the future that would follow the concrete change of heart. The prophecies will become senseless if they are understood as flat predictions of future events, without any bearing on the attunement of human to divine order through the change of heart. This proposition, that the prophecies will become senseless unless they are understood as the alternatives hinging on the change of heart, is valid, however, only on the level of prophetic existence. The literal, or fundamentalist, understanding of prophecy as flat information about the future acquires a sinister and even deadly sense if it is the deliberate misunderstanding by the people of whom the change of heart is demanded. For the dialectics of divinely foreknown and humanly realized order is not merely a "theoretical problem," but the ontologically real struggle for order conducted in every man's existence. Moreover, it is the struggle for the order in society conducted among the men who take sides for or against the attunement to divine order. And in this struggle no holds are barred on the side of the resisters. Precisely because the prophetic concern is not with future events but with the existential order in the present, the prophecies will be understood by the people to whom they are addressed as literal information about the future. The stubborn of heart are clever dialecticians themselves; they know quite as well as the prophets that the will of God, expressed in his choice, cannot be stultified by the people. Hence, they will pretend not to hear the existential appeal in the prophecy of disaster; for if they do not hear it, they not only need not respond to the appeal, but can construe the prophecy as an insult to God and his choice, and gain the right to persecute and martyrize the "prophet of doom." (461f; Fs) (notabene)

65/13 The prophecy of salvation, in its turn, lends itself so easily to the not-hearing of the appeal, that its misuse for evading the issue of existential order had become the prosperous business of the "false prophets," against whom Jeremiah conducted his lifelong campaign. The authentic prophets were forced, as a consequence, to lay their accents in public on the prophecy of disaster, thus exposing themselves even more to the fate of the "prophet of doom" who blasphemously attacks the revealed order, as in the case of Jeremiah. And Isaiah, in his endeavor to prevent the misuse of his words, apparently went even so far as to entrust his prophecies of salvation to a circle of disciples, to be kept secret for the time being. (462f; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Jesai: Berufung; Offenbarung - Reinigung; Frage: Verhältnis des alten Israel zum neuen?

Kurzinhalt: revelation: not a piece of information, but the beginning of a purification; is the old Covenant not dead when the people with whom it was made has died

Textausschnitt: 21/13 The contents of the revelation (6:6-13) is, therefore, not a piece of information, but the beginning of a purification. The revelation will indeed be of no avail when even the human instrument is unclean. Hence, the seraphim touch the lips of Isaiah with a red-hot stone, so that his guilt will be removed (6:6-7). Only when the instrument of transmission for divine being is cleansed can Isaiah hear the divine voice itself and put himself in its presence as Moses did in the thornbush revelation (6:8). And from the voice he receives the terrifying order to tell "this people" (6:9): (437; Fs)
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23/13 If we pursue Isaiah's revelation to this point, however, the question must be asked: What has this new Israel to do with the old one? The continuity seems to be broken by an epoch as incisive as the Sinaitic revelation. Is the old Covenant not dead when the people with whom it was made has died? And is "Israel" not about to become the name of whatever human society lives in historical form, in the presence under God? We seem to have reached the limits of the Covenant symbol. (438; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Propheten - Dekalog, Seele: Mangel eines positiven Vokabulars; Jeremiah

Kurzinhalt: difference between Israelite Revelation and Hellenic Philosophy: A positive articulation of the existential issue; Covenant: on tablets had to give way to the Covenant written in the heart

Textausschnitt: 24/13 Since the Decalogue was accepted as Israel's fundamental law, the prophetic criticism not only could but had to judge the people's conduct by its standards. Nevertheless, while the complaints, reproaches, and admonitions of the prophets construed reprehensible conduct as violation of the Commandments, obviously more was at stake than an interpretation of legal rules.... While the appeal to decalogic standards lent authority to prophetic criticism, it obscured rather than clarified the real issue: that the prophets judged conduct in terms of its compatibility not with a fundamental law but with the right order of the soul. (438f; Fs)
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... A positive articulation of the existential issue would have required the experience of the soul and its right order through orientation toward the invisible God; and that experience never in Israelite history clearly is differentiated from the compact collectivism of the people's existence - not even in the prophetic age, and certainly not in the age that formed the Decalogue. Hence, at a time when a theory of the psyche and a theology would have been required to unfold the meanings implied in the Sinaitic legislation, the prophets were badly handicapped by the want of a positive vocabulary. They had at their disposition neither a theory of the aretai in the Platonic-Aristotelian sense so that they could have opposed character to conduct in human relations, nor a theory of faith, hope, and love in the Heraclitian sense so that they could have opposed the inversion of the soul toward God to ritual observance of his commandments. In particular, the lack of a differentiated theology must have been a tremendous obstacle to a proper articulation of the prophetic intentions: When reading the story of Jeremiah's squabbles with the Judaite refugees in Egypt (Jer. 44), one wonders whether the Israelite common man, and even more so the common woman, had ever really understood why they should have no other gods besides Yahweh; and one begins to wonder whether the prophets had ever been able to make the reasons clear to them. The famous defections from Yahweh to Canaanite and Mesopotamian gods will appear in a new light if one considers that the people at large probably never had understood a Commandment whose spiritual meaning had remained inarticulate. (439; Fs) (notabene)

26/13 The insight that existence under God means love, humility, and righteousness of action rather than legality of conduct was the great achievement of the prophets in the history of Israelite order. Even though their effort to disengage the existential issue from the decalogic form did not lead to expressions of ultimate, theoretical clarity, the symbols used in their pronouncements leave no doubt about the intended meaning: The normative component of the decalogic constitution was a source of evil in as much as it endowed the institutions and conduct of the people, which derived through interpretation from the Decalogue, with the authority of divinely willed order, however much the actual institutions perverted the will of God. Moreover, the prophets recognized that any letter, as it externalized the spirit, was in danger of becoming a dead letter, and that consequently the Covenant written on tablets had to give way to the Covenant written in the heart. (440; Fs) (notabene)

27/13 A few representative examples will illustrate the prophets' struggle with the variegated phenomena of externalization, their inquiry into its motives, their search for a language that would positively express the right order of the soul in openness toward God, and their ultimate vision of a Covenant that would preclude the danger of externalization. (440; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Jeremia: Problem der Argumentation (goldener Tempel)

Kurzinhalt: not that Yahweh was the true God because of somebody's discovery that images of gods; the true reasons of defection: Vorzug -> devine force in the world to the transcendent God

Textausschnitt: 30/13 The argument, to be sure, is not insincere, but it certainly is devious. Jeremiah knew, of course, that the alien gods were false gods because Yahweh had revealed himself as the true God, and not that Yahweh was the true God because of somebody's discovery that images of gods were no more than pieces of woodwork; and he knew, furthermore, quite well that the carving of a god was prohibited precisely because it was not as innocuous an action as carpentering a piece of furniture. Moreover, as early as the eighth century, Hosea had said of the Bull of Samaria (8:6): (441; Fs)
A workman made it;
and it is not God.
Hence, by the time of Jeremiah the argument must have been a prophetic staple that impressed nobody, because it was too obviously wrong. More than once must he have heard the answer to his expostulations which he puts himself in the mouth of the people (2:25):

31/13 The true reasons of defection did not escape Jeremiah: The people went after alien gods, there could be no doubt, because it loved them; it preferred the manifestations of divine force within the world to the world-transcendent, invisible God. With grief he noted the unheard-of spectacle of a nation abandoning its gods (2:11-12): (441; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Propheten (Hosea, Jeremia, Jesaia): Grundklage 1; Ontologie der Propheten

Kurzinhalt: God-given faculties of mind and body - the people, however, no more lived in the tension of temporal and spiritual order; comparable to the Platonic vision of the Agathon; the prophets' ontology

Textausschnitt: 33/13 The deviousness of the Jeremiah texts thus veils the insight that Israel's defections had something to do with the construction of the theopolity as an embodiment of the Kingdom of God in a concrete people with its institutions, and that they would cease only with the theopolity under the Covenant itself. In the history of prophetism from the eighth century to the fall of Jerusalem we must distinguish, therefore, between (1) the prophets' complaints about Israel's misconduct and (2) the varying degree of their awareness that admonitions were not only hopeless, but perhaps even pointless. We shall first deal with the complaints. (442; Fs)

34/13 The complaints, though variegated in form, were remarkably constant with regard to substance. Every prophet from Amos and Hosea to Jeremiah recognized the symptoms of the trouble. That substance we find most clearly expressed in Hosea's plain indictment (8:4): (442; Fs)
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The kings and gods of the people, thus, were the representative symptoms of Israel's fall.
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... we may say, the people could well have answered that the prophets had no respect for the beauty of God's creation, that they did not permit man to unfold his God-given faculties of mind and body, and that they could not distinguish between pride and joy of life. And the countercharges would have been justified indeed-if the people had been able to articulate such charges at all. The people, however, no more lived in the tension of temporal and spiritual order () And the prophets' attempt to clarify the meaning of the Sinaitic revelation was therefore as right in rejecting the mythical form of the people's order as it was wrong in rejecting the order of mundane existence together with the mythical form. (444; Fs) (notabene)
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41/13 The juxtapositions of rejection and demand make it clear that the prophets wanted to overcome the externalization of existence; and the texts reveal the remarkable degree of success their efforts achieved: They disengaged the existential issue from the theopolitical merger of divine and human order; they recognized the formation of the soul through knowledge (Hosea) and fear (Isaiah) of God; and they developed a language to articulate their discoveries. They were handicapped, to be sure, by their inability to break through to philosophy, but the part of their work we are examining at present runs parallel, without a doubt, to the discovery of the aretai in Helles. Nevertheless, the rejections of the mundane order remain as an oddity. The prophets apparently were not only unable to see, but not even interested in finding, a way from the formation of the soul to institutions and customs they could consider compatible with the knowledge and fear of God. The attitude of the prophets is tantalizing in that it seems to violate common sense. (446f; Fs) (notabene)
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45/13 The analysis of the passages by Gerhard von Rad has shown that Isaiah resumed the traditions of the war ritual, long dormant in his time, and transformed them strangely. He cast himself in the role of the nabi, of the time of Judges and the early Kingdom, who sanctioned the Holy War. These wars of the Confederacy, we recall, were defensiv. Since they were conducted for the Chosen People, on principle, by Yahweh himself, trust in Yahweh and his help was a condition of membership in the fighting forces. Moreover, victory was achieved by the numinous terror cast by Yahweh into the ranks of the enemy. Now as long as this confidence was coupled with the people's fierce lust to fight, everything went as well as the fortunes of war would permit. (448; Fs)
46/13 When, however, as we anticipated, confidence assumed the form of a prophetic demand to remain passive, to sit still and let Yahweh do the fighting, and to rely on the numinous panic to discomfit the enemy, difficulties had to arise from the conflict between the demand and the exigencies of mundane existence. That conflict became real in the case of Isaiah. The prophet demanded the "House of David," i.e., the King and his court, not to trust in the army or the Egyptian auxiliaries, but to "consult Yahweh," i.e., Isaiah. And what he offered as advice was trust in the roach of Yahweh that lived in him. (448f; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Jesai (Verhalten im Krieg): Rad -> Ritual des hl. Krieges; Prophet (Elia - Vater) als "Rüstung" Gottes

Kurzinhalt:

Textausschnitt: 43/13 During the wars with Israel and Syria of 734, ...
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45/13 The analysis of the passages by Gerhard von Rad has shown that Isaiah resumed the traditions of the war ritual, long dormant in his time, and transformed them strangely. He cast himself in the role of the nabi, of the time of Judges and the early Kingdom, who sanctioned the Holy War. These wars of the Confederacy, we recall, were defensiv. Since they were conducted for the Chosen People, on principle, by Yahweh himself, trust in Yahweh and his help was a condition of membership in the fighting forces. Moreover, victory was achieved by the numinous terror cast by Yahweh into the ranks of the enemy. Now as long as this confidence was coupled with the people's fierce lust to fight, everything went as well as the fortunes of war would permit. (448; Fs)
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45/13 The analysis of the passages by Gerhard von Rad has shown that Isaiah resumed the traditions of the war ritual, long dormant in his time, and transformed them strangely. He cast himself in the role of the nabi, of the time of Judges and the early Kingdom, who sanctioned the Holy War. These wars of the Confederacy, we recall, were defensiv. Since they were conducted for the Chosen People, on principle, by Yahweh himself, trust in Yahweh and his help was a condition of membership in the fighting forces. Moreover, victory was achieved by the numinous terror cast by Yahweh into the ranks of the enemy. Now as long as this confidence was coupled with the people's fierce lust to fight, everything went as well as the fortunes of war would permit. (448; Fs)
46/13 When, however, as we anticipated, confidence assumed the form of a prophetic demand to remain passive, to sit still and let Yahweh do the fighting, and to rely on the numinous panic to discomfit the enemy, difficulties had to arise from the conflict between the demand and the exigencies of mundane existence. That conflict became real in the case of Isaiah. The prophet demanded the "House of David," i.e., the King and his court, not to trust in the army or the Egyptian auxiliaries, but to "consult Yahweh," i.e., Isaiah. And what he offered as advice was trust in the roach of Yahweh that lived in him. (448f; Fs) (notabene)

47/13 The Isaiah prophecies require for their full understanding the consideration of earlier and later texts concerning warfare. The advice to replace the army by the ruach of God living in the prophet, incredible as it may sound at first hearing, will make sense of a sort, if we remember the old appellation: "My father, my father! the chariots of Israel and its horsemen!" (II Kings 2:12). The meaning of the cry emitted by Elisha when Elijah was taken to heaven in a fiery chariot remains unclear on the basis of this text alone - one can only say that at least as early as the ninth century (the formula may be much older) "my father," i.e., the prophet, was considered the true armor of Israel. The implications unfold, however, when the cry recurs on occasion of the death of Elisha in II Kings 13: 14-19: The prophet was lying in his last illness, and King Jehoash (804-768 B.C.) came to see him. It was a time of war with the Syrians of Damascus. The King in his sorrow addressed the prophet with the words "My father, my father!" and so forth; and Elisha responded to what he must have understood as an appeal to his function as "the chariots and horsemen of Israel," by guiding the King's hand in acts of sympathetic magic that were to ensure the victory over Syria. The scene serves as an introduction to the actual victories reported in 13:25. (449; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Jesaia, Rad (hl. Krieg, "utilitarian component"), Konflikt: kompakte Ordnung - historische Existenz; metastasis

Kurzinhalt: Rad: "spiritualization" of the Holy War; Isaiah ... has tried the impossible: the leap in being a leap out of existence into a divinely transfigured world beyond the laws of mundane existence

Textausschnitt: 48/13 These are the texts. How to categorize their meaning is a thorny problem. We shall first consider the comments of Gerhard von Rad. In the case of Isaiah, von Rad speaks of a "spiritualization" of the ritual of the Holy War. The works of Yahweh in history have, as a whole, become the God's Holy War for Zion in the eschatological sense (Isa. 5,12,19) , a war which requires no human synergism, especially no military action. And Prophetism has become the successor to the old institution of the war ritual so completely that the prophet and his charisma have replaced the defense by armed force. That is a correct description as far as it goes - but it does not touch the crucial question how the prophetic charisma can be considered by anybody an effective substitute for weapons on the battlefield. The ontological question of the ruach of Yahweh,
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49/13 The comments of von Rad, while not conclusive, point toward the magic complexion of the Isaianic experience as the source of the difficulty. The efficacious trust of Isaiah seems to lie somewhere between the sympathetic magic of the Elisha legend and the utilitarian flattening of faith in Chronicles. On the one hand,
()
Isaiah's counsel does not originate in an ethics of nonviolence; it is not calculated to lose the war in order to gain something more important than earthly victory but on the contrary to win the war by means more certain than an army. In the counsel of Isaiah, we may say, the element of faith in a transcendent God (which is also contained in the compactness of magic) has differentiated so far that a practice of sympathetic magic, as in the Elisha legend, has become impossible; and the sensitiveness for the gulf between divine plan and human action has even become so acute that all pragmatic assistance in the execution of the plan is considered a display of distrust. And yet, an aura of magic undeniably surrounds the counsel: () That knowledge of the divine plan casts its paralyzing spell on the necessity of action in the world; for if the concrete human action will achieve nothing but what God intends to do himself, it may be indeed considered a distrustful officiousness on the part of man. This is a subtlety of experience beyond magic in the ordinary sense. What can be observed here in the making rather reminds of the later phenomena of Gnosis. With regard to the more immediate setting of the experience one may say: The infusion of society with cosmic-divine order through the cult and myth of the cosmological empires has become, in Israel, the cultic presence of the Kingdom of God in the annual festivals; and it now becomes, in the prophetism of Isaiah, a pragmatically effective presence in the history of the Chosen People. The knowable divine plan, that requires for its embodiment in pragmatic history nothing but the unbounded trust of the "House of Judah," is the cosmic-divine order of the empires, in an ultimate transformation through the medium of Israelite historical existence. (450ff; Fs)

50/13 The conflict between the compact experience of order, of the cosmological type, with the historical form of existence creates the Isaianic problem. In the Introduction to this volume we have explained that the leap in being is not a leap out of existence; the autonomous order of this world remains what it is, even when the one world-transcendent God is revealed as the ultimate source of order in the world, as well as in man, society, and history. Isaiah, we may say, has tried the impossible: to make the leap in being a leap out of existence into a divinely transfigured world beyond the laws of mundane existence. The cultic restoration of cosmic divine order becomes the transfiguration of the world in history when carried into the historical form of existence. To be sure, this peculiar transformation is not a matter of necessity, perhaps inherent in the logic of experience and symbols. The transformation is due to the element of "knowledge" concerning the divine plan. And this "knowledge" seems to ...

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Jesaia - metastasis; Transformation: Pro futero, praesente, praeterito; Apokalypse: Transformation der Realität; Gnosis

Kurzinhalt: metastatic experiences, of metastatic faith, metastatic symbols; this metastatic faith in the conception of the theopolity as the Kingdom of God

Textausschnitt: 51/13 No technical terms exist for describing the state of the psyche in which the experience of cosmic rhythms, in the medium of historical form, gives birth to the vision of a world that will change its nature without ceasing to be the world in which we live concretely. I shall introduce, therefore, the term metastasis to signify the change in the constitution of being envisaged by the prophets. And I shall speak of metastatic experiences, of metastatic faith, hope, will, vision, and action, and of metastatic symbols which express these experiences. (452; Fs)

52/13 The constitution of being is what it is, and cannot be affected by human fancies. Hence, the metastatic denial of the order of mundane existence is neither a true proposition in philosophy, nor a program of action that could be executed. The will to transform reality into something which by essence it is not is the rebellion against the nature of things as ordained by God. And while the rebellion has become sublime in Isaiah's trust that God himself will change the order of the world and let Judah win its victories without battle, the danger of derailment in various directions is obvious. This metastatic faith, now, though it became articulate in the prophets, did not originate with them but was inherent, from the very beginnings of the Mosaic foundation, in the conception of the theopolity as the Kingdom of God incarnate in a concrete people and its institutions. It could rest dormant or remain comparatively innocuous, deeply embedded as it was in the compactness of early experiences and symbols, for centuries, but it had to become virulent when under the pressure of historical events it became obvious that the reality of Israel was not exactly a Kingdom of God and showed no inclination to become one. The growing realization of the conflict aroused a whole series of attempts to bring the obstreperous reality of the world, through metastatic imagination and action, to conformity with the demands of the Kingdom. These operations can best be classified by the time dimension, as symbolic actions concerning the future, the present, and the past of true order: (453; Fs) (notabene)
(1) Pro futero: ...
a. Israel will suffer punishment at the hands of Yahweh, because ...
b. Israel will emerge from its present and future miseries into a true Kingdom of God,
()
(2) Pro praesente:
a. The Kingdom of God will be forced into the present reality through myth and constitutional enactment, as in the Deuteronomic Torah.
b. The Kingdom of God will be forced into the present reality through metastatic trust, as in the Isaiah case.

(3) Pro praeterito: Reality will be metastically transformed in retrospect through the rewriting of history, as in the case of the Chronicler. (454; Fs)

53/13 In the variety of symbolic forms is recognizable the common substance of the metastatic will to transform reality by means of eschatological, mythical, or historiographic phantasy, or by perverting faith into an instrument of pragmatic action. This metastatic component became so predominant in the complex phenomenon of prophetism that in late Judaism it created its specific symbolic form in the apocalyptic literature. As the decline of Israel and Judah was accompanied by the forms of prophetism, so the Judaism of the new imperial age was accompanied by the symbolism of the apocalypse. Moreover, the recognition of the metastatic experience is of importance for the understanding not only of Israelite and Jewish order but of the history of Western Civilization to this day. While in the main development of Christianity, to be sure, the metastatic symbols were transformed into the eschatological events beyond history, so that the order of the world regained its autonomy, the continuum of metastatic movements has never been broken. It massively surrounds, rivals, and penetrates Christianity in Gnosis and Marcionism, () Throughout the Middle Ages, the Church was occupied with the struggle against heresies of a metastatic complexion; and with the Reformation this underground stream has come to the surface again in a massive floodfirst, in the left wing of the sectarian movements and then in the secular political creed movements which purport to exact the metastasis by revolutionary action. (454; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Metastase, metastatische Erfahrung (Hosea); neue Welt: nur durch Gott

Kurzinhalt: the change cannot be brought about by human action, not even by a will to believe; real issue, that is, the reordering of human existence through the knowledge

Textausschnitt: () No list of grievances, however long and formidable, adds up to an ontological denial of the conditions of existence in the world. The enigmatic factor, which caused this additional effect, is now found in the metastatic experience. Precisely, however, when this experience is recognized as the missing factor in the field of variegated motivations, it becomes no more than one component in the complex effort of the prophets to clarify the existential issue under the concrete conditions of Israelite order in the eighth and seventh centuries B.C. The nature of this further problem, that is, of the relation between the metastatic experience and the existential issue, will become apparent if we consider the above-mentioned text, Hosea 2:14-23 (Engl. vers.). (455; Fs)
55/13 Drawing out his beautiful symbolism of the faithless wife who returns to her husband, Hosea develops a typical apocalyptic vision of the future (2:16): (455; Fs)
()
56/13 The constitution of being is transfigured into a state of perfection, the world we know has given way to a new world through an act of divine grace. And Hosea not only is conscious of a new act of creation that will surpass the Creation and Covenant of the old order, but also finds the language for it (2:18): (456; Fs)
()
The metastasis, thus, affects the whole creation, but it will specifically change the relation between man and God (2:19-20): (456; Fs)
()
57/13 The metastatic yearning of the prophet expresses itself starkly in the vision of a transfigured world. The yearning, however, does not obscure his knowledge that the change cannot be brought about by human action, not even by a will to believe; and the vision expands, therefore, to include a divine act of grace that will bestow ultimate order on the world. Surrounding it with the metastatic symbols, Hosea, finally, articulates the real issue, that is, the reordering of human existence through the knowledge (da'ath) of God.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Metastase, metastatische Erfahrung (Jeremia, Herz, neuer Bund);

Kurzinhalt: The hearts have now become the Tablets on which the Commandments were written,

Textausschnitt: 58/13 When now we return to Jeremiah, we find that the differentiation of the existential issue has remarkably advanced beyond Hosea. In Jeremiah 31:29-30 we read: (456f; Fs)
()
The collectivism of existence, while not completely broken, is at least seriously shaken by a conception of personal responsibility and punishment that was further developed by Ezekiel (Ezek.18). And even when the people still appears as a body, the metaphors stress the personal state of order, as in Jeremiah 17:1: (457; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Propheten: Transzendenz - Welt; die Widersacher müssen die Sprache des Heils sprechen

Kurzinhalt: ontological distinctions between the worldtranscendent God and the world; punishment and salvation: one symbolism -> experience of the conflict

Textausschnitt: 66/13 The prophets thus forced the dialectics of order into articulation over the wide range of ontological distinctions between the worldtranscendent God and the world, the tension between divinely willed and humanly realized order, the types of existence in faith and defection, the existential appeal and the stubbornness of heart, the dual symbolism of the prophecies of punishment and salvation, the fundamentalist device of literal misunderstanding, the exploitation of the device by the "false prophets," the suffering of persecution and martyrdom, and the prophetic device to protect and preserve the truth of salvation through schools of disciples who became the carriers of the secret. The range of articulation from ontological distinctions to the physical conflict between the prophets and their enemies suggests that with the entrance of revelation into history a new order has been established indeed. For even those who reject it cannot create an alternative order, but are forced to create its semblance by perverting the symbols of revelation and prophetism. Even perdition must speak the language of salvation. We recall the profound prophecy of Hosea 13:9: "That will be to your destruction, O Israel, that it is with me you find your help." (463; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Geschichtsphilosophie (history of philosophy); Israel: Weiterführung der Schöpfung (Hegel, Nietzsche)

Kurzinhalt: fundamentals of a philosophy of history; historical form: presupposes the existence of the world-transcendent God and the historical fact of his revelation; Israel: the expansion of divine creation

Textausschnitt: (eg Kartei: Geschichte: Existenz unter Gott)

68/13 On several occasions we have spoken of the ontological distinctions implied in the prophetic concern with the order of history. The distinctions themselves, as well as the mode of their implication, require our attention because on the one hand, these questions touch the fundamentals of a philosophy of history, whereas on the other hand, in our contemporary state of intellectual confusion their fundamental character is rarely understood. (464; Fs)

69/13 The prophets had no doubts about the ontological presuppositions of their problem of order: Without the God who "knows" his people and the prophet who "knows" God, there would be no Chosen People, no defection from the commandments, no breaking of the Covenant, no crisis of Israel, no prophetic call to return, and no suspense between destruction and salvation. Existence in historical form presupposes the existence of the world-transcendent God, as well as the historical fact of his revelation. This presupposition, embedded in the prophetic da'ath, did not require articulation at the time because the prophets' environment did not yet contain philosophical atheism among its variegated phenomena of defection from order. Nevertheless, although in the absence of articulate doubt the corresponding positive articulation was unnecessary, the issue was fiercely alive in the contents of prophecy. For the prophets lived concretely as members of a people called Israel, which experienced its order, in historical continuity, as constituted by the Sinaitic revelation. While they anticipated disasters for the empirical humanity surrounding them, they never doubted for a moment that the dispensation of history created by the Message would continue, whatever "remnant" of Israel or "offshoot" from the House of Jesse would be its empirical carrier in the future. History, once it has become ontologically real through revelation, carries with it the irreversible direction from compact existence in cosmological form toward the Kingdom of God. "Israel" is not the empirical human beings who may or may not keep the Covenant, but the expansion of divine creation into the order of man and society. No amount of empirical defections can touch the constitution of being as it unfolds in the light of revelation. Man can close the eye of his soul to its light; and he can engage in the futility of rebellion; but he cannot abolish the order by which his conduct will be judged. (464f; Fs) (notabene)

70/13 Modern symbolic expressions of the crisis, as Hegel's dictum "God is dead" or Nietzsche's even stronger "He has been murdered," which betray the degree to which their authors were impressed by massive events of their time, would have been inconceivable to the prophets - to say nothing of the rebellious fantasy of having the order of history originate in the will of ideological planners left and right. If the prophets, in their despair over Israel, indulged in metastatic dreams, in which the tension of historical order was abolished by a divine act of grace, at least they did not indulge in metastatic nightmares, in which the opus was performed by human acts of revolution. The prophets could suffer with God under the defection of Israel, but they could not doubt the order of history under the revealed will of God. And since they could not doubt, they were spared the intellectual confusion about the meaning of history. They knew that history meant existence in the order of being as it had become visible through revelation. One could not go back of revelation and play existence in cosmic-divine order, after the worldtranscendent God had revealed himself. One could not pretend to live in another order of being than the one illuminated by revelation. And least of all could one think of going beyond revelation replacing the constitution of being with a man-made substitute. Man exists within the order of being; and there is no history outside the historical form under revelation. In the surrounding darkness of Israel's defection and impending political destruction - darker perhaps than the contemporary earthwide revolt against God - the prophets were burdened with the mystery of how the promises of the Message could prevail in the turmoil. They were burdened with this mystery by their faith; and history continued indeed by the word of God spoken through the prophets. There are times, when the divinely willed order is humanly realized nowhere but in the faith of solitary sufferers. (465; Fs) (notabene)

71/13 Their faith in the time of crisis forced the prophets to oppose the order of society and to find the order of their existence in the word spoken by Yahweh. Suffering in solitude meant suffering, in communion with God, under the disorder of a community to which the prophet did not cease to belong. (465; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Jeremia (Berufung, Familie, Grundstück): Heil und Strafe; omphalos: vom Volk -> Propheten (Sohn Gottes)

Kurzinhalt: crisis: forced the prophets to oppose the order of society and to find the order of their existence in the word spoken by Yahweh; The Chosen People had been replaced by the chosen man; The prophet is the Son of God

Textausschnitt: notabene: 75/13: The sonship of God, moving from the Pharaoh to Israel, and from the people to its Davidic king, has at last reached the Prophet.

71/13 Their faith in the time of crisis forced the prophets to oppose the order of society and to find the order of their existence in the word spoken by Yahweh. Suffering in solitude meant suffering, in communion with God, under the disorder of a community to which the prophet did not cease to belong. (465; Fs) (notabene; Trostbuch)
72/13 The participation in the conflict reached its extreme when Jeremiah enacted in his life the crisis of Israel. Both disaster and salvation, the dual symbolism held together by the existential appeal, were acted out by him at the command of Yahweh: (465f; Fs)

(1) Jeremiah remained without family because the divine word had come to him, saying: "You shall not take a wife, neither shall you have sons and daughters in this place" (16:2). For children and parents would die of starvation, unlamented and unburied (16:3-5); the voice of gladness and the voice of joy, the voice of the bridegroom and the voice of the bride, would be banished from this place "before your eyes, and in your days" (16:9). The disintegration of Israel's order had reached the point where the first of the toroth, the "Be fruitful, and multiply," was suspended; the people was to be destroyed physically, through breaking the chain of the toldoth. (466; Fs) (notabene; Trostbuch)
(2) And yet, life will continue "in this place." For the word came also to Jeremiah ordering him, as the next of kin, to buy a field at Anathoth from a relative (32:7-8). The prophet obeyed and ordered Baruch to place the deed of purchase, together with a copy, in an earthen jar, "so that they may last many days." "For thus says Yahweh of the hosts, the God of Israel: Yet again shall there be bought houses and fields and vineyards in this land" (32:15 ). (466; Fs)
()
73/13 The oracles reveal a new structure in the field of historical forces. The prophet had to act out the fate of Israel in his own life, because the holy omphalos of history had contracted from the Chosen People into his personal existence. In the world-historic crisis, involving the goyim together with Judah, he had become the City of God above the doomed cities of the land, not to be overcome either by the "kingdoms of the north" or by the people and government of Judah. He was the sole representative of divine order; and whatever the inscrutable will of God might hold for the future, the meaning of the present was determined by the Word that was spoken from the divine-human omphalos in Jeremiah. The Chosen People had been replaced by the chosen man. (466f; Fs) (notabene)

75/13 The prophet is the Son of God. The child is formed by God in the mother's womb. Even before his formation he is "known" by God; and before his birth he is consecrated for the God's service as the prophet to the nations. The language is borrowed from the royal symbolism of the cosmological empires - it closely resembles an inscription of Assurbanipal, the ruler of Assur and overlord of Judah in the time of Jeremiah's youth. As the Assyrian ruler, the prophet is ordained for his service by the God from distant times before the time of the world; and the "distant times" of the Assyrian inscription now blend into the eternity of the divine will that had been revealed in the Message from Sinai. The will of God is not stultified after all by the recalcitrant people, but continues, with historical effectiveness, in the ordination of Jeremiah from eternity. The sonship of God, moving from the Pharaoh to Israel, and from the people to its Davidic king, has at last reached the Prophet. While this is by far not yet the Christian revelation that only God can be the Son of God - the mystery expressed in Trinitarian theology and the Christology - it is a long step toward the insight that the order from eternity is not incarnate in a people and its rulers in pragmatic history. The transfer of the royal symbolism to the institutional outcast Jeremiah is a decisive advance in the clarification of the Messianic problem that will occupy us presently; and the consequences make themselves felt, only a few decades later, in the prophecies of Deutero-Isaiah. (467; Fs) (notabene)
()
.. Now, when the prophets move ever more distinctly into the position of preservers and restorers of order, their self-understanding can be increased through Mosaic symbols, while the figure of Moses becomes more intelligible through the prophetic effort at self-understanding. In particular, the vicissitudes of the Ebed-Yahweh symbol will illuminate the process in which the meaning of authority emanating from God becomes clarified. The original Ebed-Yahweh is Moses (Josh. 1:1), and in his succession the symbol applies to Joshua ...

78/13
(3) In the third oracle the divine authority is actually transferred to Jeremiah. Yahweh stretches forth his hand and, touching the prophet's mouth, he says (1:20): (469; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Jeremia: Jahwe: universaler Gott der Geschichte - der Prophet als sein Sprecher; das messianische Problem

Kurzinhalt: Messianic problem; constant concern of the prophets: the historical order under a universal God; Who will be the carrier of historical order in the future?

Textausschnitt: 79/13 The experience of Yahweh as the universal God of history, and of the speaker of his word as a "prophet to the nations," has become fully articulate only in Jeremiah, but it was present even in Amos, the first in the line of the solitary prophets whose sayings are extant. In Amos 9:7 we read: (470; Fs)
()
80/13 A more drastic ranking of the nations with Israel and of Israel with the nations is hardly conceivable than through the suggestion that the divine choice for the Exodus was not restricted to the goy gadosh. Such freedom from bondage as the nations achieved, they also were granted by Yahweh; and with the Exodus from bondage they accepted, as did Israel, the law of Yahweh, though in the restricted form of a commandment to recognize the fellow-humanity among themselves in their conduct. Hence, they fall under Yahweh's judgment, like Israel, when they grossly violate the rules of humane conduct in their quarrels, as Amos casuistically details in his prophecies against the nations (Amos 1:32:3). This constancy of the prophetic problem from Amos to Jeremiah, and even to Ezekiel, has resulted in a distinct literary form - if the term may be used for spoken words and their tradition - which is still discernible even in the secondary, postexilic organization of the prophetic books. In this form must be distinguished
(1) the types of oracles which enter into larger complexes of meaning,
(2) the variety of meaningful combinations of the basic types, and
(3) the superimposed order of the collections. (470; Fs)
()
83/13 From the middle of the eighth century B.C. to the fall of Jerusalem, the historical order under a universal God is the constant concern of the prophets - that much is confirmed by the pervasiveness of the literary form just described. This general problem, though, is no more than the background for the prophets' specific concern with the fate of Israel on the suddenly enlarged world scene. For the recognition, in Amos, that Yahweh is the God of the nations as much as of the Chosen People does not abolish the peculiar status of Israel as the center from which radiates the order of history. While the concrete terms of the Message will no longer apply to the recalcitrant people, its intention is not invalidated by the defection of the empirical Israel; and that intention can be realized only if the intended historical order has an omphalos. For the order of society and history participates in the order of God only in as much as the universal, transcendent God is experienced as such in the faith of men who order their existence in the light of their faith and thereby become the representative center of society and history. If the Kingdoms of Israel and Judah are doomed, the question becomes ever more burning: Who will be the carrier of historical order in the future? If it is no longer the people and the king of Judah, who then will be "Israel"? What kind of "people" under what kind of "king" will emerge from the imminent destruction as the new Israel under the new Covenant? Since in the prophetic occupation with such questions the figure of a ruler more satisfactory than the contemporary Davidic Kings looms large, the whole complex of questions has come to be called, by a historiographic convention, the "Messianic problem." (471f; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Das messianische Problem; Spannung: König

Kurzinhalt: Messianic problem; tension between prophet and king

Textausschnitt: 84/13 The term "Messianic problem," which originates in Christian exegetic interests, is justified in so far as the Christian symbolism of the Messiah has indeed unfolded in continuity with the prophetic symbolism developed in the articulation of these questions. It is misleading, however, ...
()
85/13 Hence, in the crisis of Israel the prophets were interested not in a Messiah but in the conduct of their kings; and when the conduct seemed to accelerate rather than to avert the disaster, they became interested in the type of ruler who would succeed the Davidic Anointed of Yahweh, as soon as some semblance of organization would rise again from the "remnant" left by the storm of history. (473; Fs)
()
88/13 Once the image of the ruler has become articulate, it can be converted into a standard by which the conduct of the concrete ruler is to be measured. This possibility, which also exists in cosmological civilizations, acquires a peculiar importance in Israel because the kingship was syncretistic in the sense that a rulership in cosmological form had to find its place in the theopolity created by the Sinaitic revelation. And the combination of the two forms was achieved, as we have seen, through the prophetic institution of David and his house by a word of Yahweh which declared the king to be his son. ... Through the history of the monarchy runs, from its beginnings, the theocratic tension between prophet and king - from Samuel and Saul, through Nathan and David, to Elijah and Ahab, and to the revolt against the Omrides. And this theocratic tension in the royal institution forms the never-to-be-forgotten background for the concern of the great prophets, since the middle of the eighth century B.C., with the figure of the King. (474; Fs)
89/13 In the prophetic occupation with the problem three phases can be distinguished:
(1) an institutional phase, represented by Amos and Hosea;
(2) a metastatic phase, represented by Isaiah; and
(3) an existential phase, represented by Jeremiah. (474; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Spannung: Prophet - König -> 3 Phasen ((Hosea, Amos - Isaia - Jeremia)

Kurzinhalt: institutional, metastatic, existential phase

Textausschnitt: 89/13 In the prophetic occupation with the problem three phases can be distinguished:
(1) an institutional phase, represented by Amos and Hosea;
(2) a metastatic phase, represented by Isaiah; and
(3) an existential phase, represented by Jeremiah. (474; Fs)

90/13 In the first phase, when the great prophets began to express the crisis of Israel in the alternatives of disaster and salvation, the criticism of the present order was no more than supplemented by the evocation of a future perfect order. The faith in a cultic restoration of the present order was broken, to be sure, when the restored order of the future was separated from the present state of things by an abyss of destruction. But the future was conceived as an institutional order, not so very different from the present one, minus its imperfections. When Israel had to be destroyed because of the misconduct of the people and the king, the end would be a restoration of the survivors under a king after the model held up by Yahweh in the oracle of David. With regard to the people, Amos 9:8 envisages the survival of a "remnant" as the ethnic nucleus for the future: (474f; Fs)
()
91/13 With regard to institutions, the threats of destruction in Amos 9:9-10 are followed by the promise that "the fallen tabernacle of David" will be raised again from the ruins (9:11). With regard to the general state of things, the concluding oracles (9:13-15) envisage the fortunes of Israel restored, with the countryside flourishing and the cities rebuilt. And Hosea, finally, completes the picture with the oracle (Hos. 3:4-5): (475; Fs)
()
92/13 In Amos and Hosea, the cosmological form still exerted a strong influence on their conception of the process of history. Although their alternatives of disaster and salvation went beyond the restoration of order through the cult, they substantially did no more than break the cosmic rhythm down to a sequence of disorder and order in historical time. With Isaiah, the younger contemporary of Hosea, begins the insight that one cannot advance from the cycle, in which institutions are restored through the cult, to the irreversible emergence of ultimate order in history without radically recasting the symbols. When the ebb and flood of cosmic order becomes the darkness and light of successive periods in history, new expressions for the dynamics of order, not yet provided in the compactness of cosmological symbols, must be differentiated. With Isaiah the experience of metastasis, of the substantive transfiguration of order, that was inchoately present even in Amos and Hosea, enters the prophetic concern with Israel's rulership. The motivations of Isaiah's experience, as well as its evolution in the course of about four decades following the call of ca. 740/34, are still discernible in the sequence of prophecies which at present form the text of Isaiah 6-12. (475f; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Struktur v Deutero-Jesaia, neuer Maßstab: nicht die Satzung vom Sinai, sondern Erwartung des Erlösers

Kurzinhalt: structure of Deutero-Isaiah; from the order of the Chosen People under the Sinaitic Berith to an order under the Redeemer God

Textausschnitt: 123/13 The main organization of the work is easily to be discerned, because the incisions are marked by the position of the Servant Songs. The major subdivisions are:
(1) A Prologue (Isa. 40-41);
(2) a First Part (Isa. 42-48, barring the dubious Isa. 47);
(3) a Second Part (Isa. 49-53); and
(4) an Epilogue (Isa. 54-55).
The Prologue sets forth the message of salvation and its implications. The First Part, beginning with the First Song, deals with the salvation of Israel. It culminates in the exhortation to the exiles to leave Babylon and to let the news of the redemption spread to the ends of the earth (Isa. 48:20-22). The spreading of the news of Israel's redemption forms the transition to the Second Part, beginning with the Second Song. The process of salvation now expands to the nations and culminates, in the Fourth Song, in the recognition of the Servant as the representative Sufferer by the kings of the gentiles. The hymns of the Epilogue, finally, envisage the process of salvation as completed for Israel (Isa. 54) and the nations (Isa. 55). A redeemed mankind will surround Jerusalem, in response to the Holy One of Israel. (498; Fs)
()
124/13 The composition itself emerges from the substance of the revelation; and this substance is to be found in the opening oracle of the book (Isa. 40:1-2): (498; Fs)
Comfort, O comfort my people -
says your God-
Speak to the heart of Jerusalem,
and call to her:
That her time of service is ended,
that her guilt is paid in full,
That she has received from Yahweh,
double for all her sins.
The oracle marks an epoch in the history of prophetism inasmuch as it breaks with the classic form of the great prophets from Amos to Jeremiah and creates a new symbolic form. In the first place, it is not a "word of Yahweh" spoken to the prophet, and through him, but a divine command of which the recipient is informed by heavenly voices. And to the mediation of the command in heaven there corresponds, second, a new mediating function of the prophet. For the hearer of the heavenly voices is no longer the mouth through which Yahweh warns his people to return to order, but the mediator of a message which supersedes the alternatives of punishment and salvation hinging on the existential appeal. (498f; Fs)
125/13 The meaning of this new type of prophecy will best be clarified through the elimination of suggestive misunderstandings: (499; Fs)
()
Hence, suffering and salvation are both present, but they have changed their complexion, as we may say provisionally, in as much as they are no longer "alternatives" linked by the appeal. (499; Fs) (notabene)
(2) Is the new complexion of suffering and salvation, then, due to the disappearance of the appeal? This assumption would be the second misunderstanding. For the salvation announced by Deutero-Isaiah is not a divine act that transfigures the order of Israel and mankind, but a revelation of God as the Redeemer. And since the revelation requires human response, the prophet has to appeal very energetically to the people not to reject the message of salvation (Isa. 44:22: ) (499; Fs)
I have blotted out, as a vapor, your transgressions,
and, as a cloud, your sins;
Return to me, for I have redeemed you.
And the appeal is resumed in the Epilogue (Isa. 55:6)
Seek Yahweh while he may be found, call upon him while he is near!
Hence, the appeal has disappeared no more than the alternatives, though it also has changed its complexion. For the whole question of the people's conduct lies now in the past: Israel has suffered for its defection, and it has been forgiven. The appeal is therefore no longer concerned with conduct as measured by the Sinaitic legislation, but with the acceptance of God the Redeemer. (500; Fs) (notabene)
(3) The form elements of the classic prophetic symbolism thus are all present, though in a different mode. Moreover, through the elimination of the misunderstandings, the cause of the change has been traced to the shift of the prophet's interest from the order of the Chosen People under the Sinaitic Berith to an order under the Redeemer God. The character of this new order is flashlike illuminated by the prophet's use of the berith symbol. In Isa. 42:6 the Servant is appointed as "a berith to the people, as a light to the nations." And more elaborately, in Isaiah 55:3-5, the prophet lets God say: (500; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: !!! Linie: kosmologische Ordnung -> Deutero-Jesaia

Kurzinhalt: Exodus of Israel from itself -> toward the order of redemption

Textausschnitt: 126/13 The type of the new prophecy has now been sufficiently clarified to be placed in the history of Israelite order. From the imperial order in cosmological form emerged, through the Mosaic leap in being, the Chosen People in historical form. The meaning of existence in the present under God was differentiated from the rhythmic attunement to divine-cosmic order through the cult of the empire. The theopolity, supplemented by kingship for survival in pragmatic history, however, still suffered under the compactness of its order. The order of the spirit had not yet differentiated from the order of the people's institutions and mores. First, in his attempt to clarify the mystery of the tension, Isaiah split the time of history into the compactly unregenerate present, and a quite as compactly transfigured future, of the concrete society. Through Jeremiah this unregenerate present then gained its existential meaning, in as much as the prophet's participation in divine suffering became the omphalos of Israelite order beyond the concrete society. And through Deutero-Isaiah, finally, there emerged from existential suffering the experience of redemption in the present, right here and now. The movement that we called the Exodus of Israel from itself, the movement from the order of the concrete society toward the order of redemption was thus completed. The term "completion" must be properly understood. It means that the order of being has revealed its mystery of redemption as the flower of suffering. It does not mean, however, that the vision of the mystery is the reality of redemption in history: The participation of man in divine suffering has yet to encounter the participation of God in human suffering. (501; Fs) (notabene)
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127/13 The work lives in the new dispensation which it proclaims; and inversely, the process of salvation moves through the work. The action begins with the first oracle, when a heavenly voice announces that Israel's sins are forgiven (40:1-2). In ever-widening circles of revelation the theme then moves through the heavenly hierarchy. A remoter voice calls that the glory (kabhod) of Yahweh will be revealed to all flesh (40:3-5); and a still remoter one antiphonally calls that all flesh is grass, and will wither like grass, but the word of our God will stand forever (40:6-8). The higher ranks now enter. A commander's voice orders the heralds of good news to let it be known in Jerusalem and the cities of Judah that Yahweh the Lord is coming with might "Behold Your God!" (40:9-11. A teacher's voice follows

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Leitmotiv: Gott als goel - Erlöser Israels; Schöpfung -Heil; Exil, Kyros

Kurzinhalt: the creation of the world is continued into the creation of salvation; why should the liberation be experienced as an epoch in world-history? The new Israel is the covenant and light to the nations

Textausschnitt: (1) The dominant motif of the work is the revelation of God as the goel of Israel, as the Redeemer (Isa. 41:14; 43:14; 44:6, 24; 48:17; 49:7; 54:5). The revelation marks so decisive an epoch in history that the whole past moves into the category of the "former things" to which now the "new things" can be opposed (43:16-19): (502; Fs)
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With a recall of the toldoth of heaven and earth (Gen. 2:4 ff.), the creation of the world is continued into the creation of salvation. To the three phases of world-history in the pregnant sense, then, correspond the names of God as the bore, the Creator of the world (40:28), of Israel (4315), and of salvation (45:8). In this last capacity God also is the Redeemer (goel), the Holy One, and the King of Israel (43:14-15). (503; Fs) (notabene)
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Such admonitions would surely become more convincing when the oppressive flesh of Babylon showed symptoms of withering like the grass. The appearance of Cyrus must have been a relief beyond our full comprehension, not because of the political liberation, but because it proved the reality of God and his power over the flesh. One can still sense this relief in 45:1:
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137/13 In his pride of empire man apes God. This part of the truth contained in the Sinaitic revelation had remained veiled as long as the Chosen People under God was surrounded by longeval, politically and militarily effective empires. The fall of Assyria, Lydia, and Babylon within less than a century had brought it home that all flesh indeed withered like grass. And from the succession of imperial disasters, from the empirical crumbling of cosmic-divine order, emerged the insight that above the vicissitudes of empire "the word of our God shall stand forever" (40:8). This insight, however, establishes indeed a new aeon of history. For the God who has revealed himself as the first and the last, by blowing his breath on the flesh, is now revealed as the God of all mankind. The flesh that has aped God and withered for its guilt is the same flesh that now will see the kabhod of Yahweh revealed (40:5). Moreover, Israel as a concrete society in pragmatic history has perished together with the empires. Hence, the Israel that rises from the storm that has blown over all of mankind is no longer the self-contained Chosen People but the people to whom the revelation has come first to be communicated to the nations. It has to emigrate from its own concrete order just as the empire peoples had to emigrate from theirs. The new Israel is the covenant and light to the nations (49:6), the Servant of Yahweh through whom God will make his salvation reach to the end of the earth (49:6). (506; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Deutero-Jesaia: Aufgabe des Gottesknechtes; 1. Lied vom Gottesknecht

Kurzinhalt: the news of Redemption must be spread over the whole earth

Textausschnitt: The task of the Servant is clear: From the center of its reception in Israel, the news of Redemption must be spread over the whole earth. The execution of the task, however, will encounter difficulties. For Israel as a society had been smashed into the leaderless population around Jerusalem, the exiles in Babylon, and the refugees scattered in all directions. Who will listen to these pitiable remnants of a people to which nobody listened even when it was a power of moderate size? A century later, when Herodotus traveled through the Syrian and Palestinian area, apparently he never even heard of such peoples as Israel or Judah, or of a city named Jerusalem. Moreover, while Babylon had fallen, her empire was replaced by the Persians, to be followed by Macedonians and Romans. The power of empire had not disappeared with a prophet's experience of its withering like grass under the breath of Yahweh. (506f; Fs)
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139/13 And, finally, even if some sort of Israel should be reorganized in its old homestead, how many members of this people had indeed experienced the liberation from Babylon as the redemption from empire for all mankind? Hence, the task will be a laborious one; it will bring ridicule, humiliation, persecution, and suffering to the men who undertake it under such unauspicious circumstances. The empirical Israel will hardly embark on the missionary enterprise, for the people itself has not yet accepted the message of salvation. The prophet, at best surrounded by a group of like-minded disciples, will therefore move into the position of a Jeremiah, who enacts the destiny of the Servant as Israel's representative. And such a task, finally, will not be executed by the prophet within his lifetime; it will require the labors of generations of successors. The Servant will thus be a new type in the history of order, a type created by the prophet in Israel and for Israel, to be figurated by others until the task is accomplished. This situation of the prophet must be realized if one wishes to understand the movement of the Servant symbol in his work from Israel the Servant of Yahweh, to the prophet himself as Israel's representative, and further on to the indeterminate successor who will complete the task that has to be left unfinished by the prophet. (507; Fs)
140/13 When the Prologue announcing the work of Redemption has come to its end, the Servant is presented by God to the heavenly audience (42:1-4): (507; Fs)
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141/13 The royal symbolism of the First Song encloses the figure so completely in its armor that nobody can tell whether Israel is meant or the prophet as its representative. The immediately following oracle (42:5-9) gives the Servant his place in the theology of history. The God who has created the world and mankind now sets the Servant as "a covenant to the people, and a light to the nations," to open blind eyes and bring the prisoners out of the dungeon. That a blindness and prison of the spirit is meant is shown by 42:16-17, where the darkness will be made light, and the rugged places plain, and only those will be turned back who still trust in idols. Before this can be accomplished through the Servant's gentle action, however, the Servant himself must cease to be deaf and blind. For at the present (42:19),

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Autor: Voegelin, Eric

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Stichwort: Deutero-Jesaia, 2. Lied vom Gottesknecht; der Prophet als Reräsentat d. Geschichte

Kurzinhalt: Second Song, redemption has been experienced by the prophet for Israel; the even greater task of becoming the light to the nations

Textausschnitt: 143/13 With the victory of Cyrus and the impending return to Jerusalem the redemption of Israel is accomplished (48:20): "Say: 'Redeemed has Yahweh his Servant Jacob."' This does not mean, however, as the sequel shows, that the empirical Israel has accepted the message of salvation. It means that redemption has been experienced by the prophet for Israel, as its representative. Israel has become the perfected one, because in its midst the revelation has found response in at least one man. For the Servant who has been destined in heaven in God's time now enters historical time in the prophet's own person as the speaker of the Second Song (49:1-6): (508f; Fs)
Hearken, you coast-lands, to me,
and give attention, you peoples afar!
Yahweh has called me from the womb,
before my birth he gave me my name;
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The model of Jeremiah as the lord of history in royal form makes itself strongly felt in this Second Song. Israel has contracted into the Servant, who tries to move the empirical Israel - apparently in vain. But in spite of his temporary failure in the cause of Yahweh, God has assigned to him the even greater task of becoming the light to the nations. The cause of the failure to convince the people is set forth in the following text. Yahweh has indeed extended to the downtrodden Israel -"despised by men, abhorred by nations, the slave of rulers" (49:7)- his promise of salvation (49:7b) (509f; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Deutero-Jesaia, 3. Lied vom Gottesknecht;

Kurzinhalt: The task of the Servant is fulfilled when every man has become a limmud of God, as the prophet is now

Textausschnitt: 147/13 In the Third Song the prophet characterizes his status as that of a limmud, of "one who is taught," of a disciple. Martin Buber has strongly stressed the fact that only in the context of Isaiah does the word limmudim appear with the meaning of "disciples." In Isaiah 8:16 the prophet binds up the testimony, and seals the instruction, "in the heart of my disciples"; and in Isaiah 50:4 his successor speaks with the tongue of the limmudim. Has the instruction sealed in the heart of Isaiah's disciples broken forth at this late hour in a member of the circle? And does the second Isaiah indeed speak with the tongue of a disciple of his master? The observation is astute and the assumption tempting, for Deutero-Isaiah uses indeed the language of the master and prophesies the advent of the kabhod of Yahweh. Nevertheless, I think Buber's assumption must be qualified. The passage Isaiah 8:16 is not quite clear in its content. The phrase "my disciples" may refer to the disciples of Isaiah, but the "my" may also refer to God: The prophet is perhaps ordered to seal the message in the hearts of God's disciples, who, to be sure, are at the same time Isaiah's disciples. And that also seems to be the meaning of limmudim in Isaiah 50:4, where the prophet presents himself as the man who is endowed by God with the disciples' tongue, as the man who morning by morning hears God as disciples do. Moreover, this conception of the limmud as the man who is taught by Yahweh pervades the work of Deutero-Isaiah. In the Prologue it is one of the attributes of God that he is not "taught" by anybody with regard to mishpat and da'ath (40: 14). God is the untaught teacher who says of himself (48:17): (511; Fs)
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148/13 And in the Epilogue Israel is promised: "All your sons shall be limmudim of Yahweh" (54:3). The task of the Servant is fulfilled when every man has become a limmud of God, as the prophet is now. That is not to deny that the conception originates with Isaiah. But a disciple of Isaiah is at the same time a disciple of God; and the essence of discipleship, the being taught by God, must be stressed in order to avoid even the shadow of a "sociological" transmission of a message within a circle. (511; Fs) (notabene)
149/13 The prophet as the limmud is the man who has a word for the weary, however adverse the circumstances may be. And the pathos of his own existence is obedience in adversity. He does not rebel or turn backward (probably aimed at the questioning and complaining of Jeremiah); he will not be confounded by ill-treatment of his person; but trusting in God will he continue to speak with a disciples' tongue what he has been taught by God. (512; Fs) (notabene)
150/13 The prophetic autolouange of the Third Song is followed by prophetic action. Isaiah 50:10 is an exhortation to the weary, and 50:11 a prophecy of dire fate to the wicked. Isaiah 51:1-52:12 is a chain of oracles and hymns which resume the leitmotifs and elaborate them.

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Autor: Voegelin, Eric

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Stichwort: Deutero-Jesaia, 4. Lied vom Gottesknecht; Linie zu Lukas u d Apostelgeschichte

Kurzinhalt: God presents the Servant as their representative sufferer to the kings and the nations; about the effectiveness of the prophet's vision in the history of Judaism almost nothing is known for the next five centuries

Textausschnitt: 151/13 In the Second and Third Songs the prophet is the speaker; in the First and Fourth Songs it is God. The Exodus that is now to be undertaken leads into the future, beyond the time of the prophet and his work. The time of salvation which entered the time of the prophet runs beyond it toward fulfillment. In the First Song, God presented the Servant to the heavenly audience and revealed his intention of salvation; in the Fourth Song, God presents the Servant as their representative sufferer to the kings and the nations, so that all can accept him and be saved. The God who is first and last has the first and last words in the drama of salvation that reaches from heaven to earth. (513; Fs)
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152/13 In the first part of the Song, God presents the Servant as the exalted ruler over mankind (Isa. 52:1;-15; the second and third lines of 52:14 are placed after 53:2):
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The presentation is answered by a chorus which consists of the kings and the nations, and perhaps also of the prophet's own people. We can speak of it as a chorus of mankind. They at last believe what they have been told about the Servant and his representative suffering (53:1-9): (513; Fs)
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153/13 The unbelievable tale that now is believed, the mystery of representative suffering, is handed over from marveling mankind to heavenly voices which reflect (53:10): (514; Fs)
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And from the heavenly voices the theme is finally taken over by God himself (53:11-12): (514; Fs)
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154/13 The Exodus from the cosmic-divine order of empire is completed. The Servant who suffers many a death to live, who is humiliated to be exalted, who bears the guilt of the many to see them saved as his offspring, is the King above the kings, the representative of divine above imperial order. And the history of Israel as the people under God is consummated in the vision of the unknown genius, for as the representative sufferer Israel has gone beyond itself and become the light of salvation to mankind. (515; Fs)
155/13 About the effectiveness of the prophet's vision in the history of Judaism almost nothing is known for the next five centuries. A trace here and there in the apocalyptic literature reveals that there are "wise among the people who bring understanding to the many" (Dan. 11:33) in the tradition of Deutero-Isaiah. And such discoveries as the Zadokite fragment and the Dead Sea scrolls prove that movements related to this tradition must have been much stronger than the canonical and rabbinical literature would let us suspect. These movements break to the historical surface again in Christianity. A prayer of such intenseness as the Nunc dimittis of Luke 2:29-34 cannot be explained as a literary reminiscence; it belongs to a living tradition of Deutero-Isaiah. And the preoccupation with the problem of the Suffering Servant is attested by the story of Acts 8: The Ethiopian eunuch of the queen, sitting on his cart and reading Isaiah, ponders on the passage: "Like a sheep he was led away to the slaughter." He inquires of Philip: "Tell me, of whom is the prophet speaking? of himself, or of someone else?" Then Philip began, reports the historian of the Apostles, and starting from this passage he told him the good news about Jesus." (515; E03, 28.05.2003)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Spannung: Prophet - König -> 3 Phasen: Jesaia (Berufung): Bruch mit d. institutionellen Ordnung; Immanuel

Kurzinhalt: The first of the distinctive Isaianic symbols is the Lord, who sits on his throne "high and exalted, Ahaz; The historical metastasis of the world ... requires the responsive change of heart

Textausschnitt: 93/13 The first of the distinctive Isaianic symbols is the Lord, who sits on his throne "high and exalted," while the skirt of his robe fills the Temple. Yahweh is the thrice-holy King above the earth, while at the same time "the fullness of the whole earth is his kabhod," his glory or divine substance (6:1-5). The symbolism of the Trisagion passage is of cultic origin, but Isaiah employs it to express the presence of the divine kabhod over all the earth throughout the time of history. And from this ever-present kabhod derives the Isaianic dynamics of history. For the kabhod can become the substance of order in society and history only when men let themselves be penetrated by it through faith; order depends on the human response to the kabbod. The historical metastasis of the world, as distinguished from the cultic restoration, into the realm of God the King requires the responsive change of heart. Moreover, this knowledge of historical dynamics comes to Isaiah (and through him), because in the vision of the call he responds to the revelation of the kabhod by volunteering as the messenger of Yahweh to his people (6:8). The metastasis has actually begun in his person and is to expand through the prophecies that Isaiah will address to Israel, though the message will be effectively heard only after the terrible disasters caused by the stubbornness of the people (6:9-13). (476; Fs)

94/13 How Isaiah's understanding of his call developed through the next five to ten years, we do not know. As the text stands, the account of the call is the preface to his great political intervention, to his appeal to King Ahaz in the hour of danger to place his trust in Yahweh rather than in military preparations for the clash with the Northern Kingdom and Syria. The Davidic institution of the Anointed of Yahweh still has so much weight with Isaiah, at least at this time, that he re-enacts the encounter Prophet-King even now, when the King is to be drawn beyond the institution into transfiguration. The metastasis that has begun in the prophet can gain its social dimension of order in Israel only through co-operation of the "Man who rules over man," of the King of Judah. The trust of the King will transfigure the order of history, so that not only will the imminent disaster be averted, but the kabbod will actually fill the order of Israel forever (7:1-9). But the King responds to the appeal with eloquent silence, and the prophet is forced to offer him a "sign" of his choice to confirm the truth of the oracle (7:10-11). This time the King politely declines, for the acceptance of a "sign" would commit him and perhaps interfere with his more earthy plans for the defense of Jerusalem (7:12). With the King's refusal to have anything to do with Isaiah's appeal, the attempt to operate the metastasis through the present ruler has come to its end. At this juncture, Isaiah turns from the present to the future, without abandoning the conception of order through kingship. At the command of Yahweh he gives the King the "sign," though he does not want it, but it is a "sign" concerning Ahaz' successor in the kingship. "The young woman," says the oracle, presumably the queen, is about to bear a son. She will call him immanu-el, With-us-God - a symbolic name that spins out the theme of Isaiah's call, of the "Fullness of the whole earth -his kabhod." This child, in whom the kabhod of God will be "with us," is the future King, who knows to refuse evil and to choose good. But by the time he will be able to make the choice, the country will have been devastated by wars so thoroughly that it has reverted from an agricultural to a pastoral economy, thanks to the present King, who refuses good and chooses evil (7:13-17). The scene between the Prophet and the King closes with this threat and this promise. (476f; Fs) (notabene)

95/13 About the sequel to the encounter between Prophet and King again we know nothing. Nevertheless, since the following text 7:18-8:10 brings a series of oracles which elaborate the Immanuel prophecy, we can surmise that Isaiah's situation must have become difficult: When a prophet, perhaps accompanied by a group of disciples, proclaims in public that he is waiting for an Immanuel to replace the reigning King, his activity can be construed as incitement to rebellion. Some friction of this kind must have developed indeed, for in 8:11 Yahweh has to grasp his prophet's hand strongly so that he will not give in to the ways of the people. () Difficulties of this kind must be assumed as the background for Isaiah's immediately following resolve to withhold his prophecies of a metastatic ruler from the public and to entrust them as a secret to his disciples (limmudim) (8:16). In the meanwhile, waiting for the coming of the kabhod, Isaiah and his children would "remain as signs and wonders in Israel from Yahweh of the hosts" (8:17-18). The remnant of Israel, as the bearer of the sealed message, thus has become historically present in Isaiah, his children, and his disciples. (477f; Fs) (notabene)
96/13 The message itself, "the testimony bound up, and the instruction sealed," is contained in the prophecy of the Prince of Peace (9 :1-6), beginning with the lines: (478; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Jesaia: Fürst der Friedens (Prince of Piece); Interpretation Jes 9 u 11, kabhod, Immanuel

Kurzinhalt: The kabhod has penetrated the structure of the world indeed, and the metastasis is complete; Ahaz -> Immanuel -> Prince of Peace -> remnant on whom the ruach has descended

Textausschnitt: 96/13 The message itself, "the testimony bound up, and the instruction sealed," is contained in the prophecy of the Prince of Peace (9 :1-6), beginning with the lines: (478; Fs)
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97/13 This prophecy must be treated with caution, for its text is so terse that under pressure it will easily render any meaning desired. What can be asserted safely is the continuity with the Immanuel oracle: The child is still a ruler on the throne of David and over his Kingdom,
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A stem, or stump, of the dynasty, thus, will survive the disaster; and from this Davidic remnant, as from the people's remnant the new Israel, its new ruler will spring forth. And he is the ruler not because he has refused evil and chosen good like Immanuel but because the spirit, the ruach, of God has descended upon him (11:2): (479f; Fs)
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99/13 With this endowment he will be the King after the model of David, in fear of Yahweh and in righteousness, but yet something more than a David, for he will judge not by what he sees and hears, but by true justice and fairness (11:3-5 ). The kabhod has penetrated the structure of the world indeed, and the metastasis is complete: (480; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Jesaia: innerhalb 2er Generation (Amos, Hosea) kultische Restauration ->metastatische Vision; keine Propheten nach Jesaia u. Micha; Deutero-Jesaia, Trito-Jesaia

Kurzinhalt: Iin the Egyptian crisis the cosmological form was not broken; the metastatic faith of the prophet precluded fulfillment through any pragmatic establishment

Textausschnitt: 102/13 When the metastatic experience had been explored to its limits by Isaiah, prophetism had arrived at an existential impasse. While Amos and Hosea could still envisage a restoration of the Kingdom after the Davidic model, Isaiah had thoroughly eliminated the cultic tension of institutional order from the sequence of darkness and light; within two generations, the pressure of historical form had driven the cultic symbolism against the blank wall of the metastatic vision. The prophet's situation was no longer that of an Egyptian sage in the breakdown of empire between the Old and Middle Kingdoms. Since in the Egyptian crisis the cosmological form was not broken, the expectation of a Savior-Pharaoh - "Ameni, the triumphant, his name," "the son of a woman from the land of Nubia" - could be fulfilled through the re-establishment of imperial order. The metastatic faith of the prophet, on the contrary, precluded fulfillment through any pragmatic establishment. Once the faith in the metastasis of social and cosmic order through an act of God had achieved the rigidity of full articulation, there was nothing one could do but sit down and wait for the miracle to happen. If it did not happen - and it has not happened to this day - the prophet would die while waiting; and if he had formed a group of disciples, who would transmit his faith to future disciples, generations might pass before the experience of their passing would become a motive of sufficient strength to reexamine the validity of what had become an article of faith. (481; Fs) (notabene)

103/13 Hence, it was perhaps not merely a question of suppression by the new regime under Manasseh that no prophets appeared in the generation following Isaiah and Micah. Moreover, an abeyance of prophetism as a consequence of the metastatic impasse is suggested by the peculiar structure of the Book of Isaiah. In the collection that goes in the Bible under the name of "Isaiah" one can distinguish between the Isaianic prophecies proper (Isa. 1-35) with its appendixes (Isa. 36-39); the prophecies of the anonymous Deutero-Isaiah (Isa. 40-55), to be dated in the middle of the sixth century B.C.; and a collection of later oracles, of various unknown authorship, usually called the Trito-Isaiah (Isa. 56-66). If it is assumed that the three parts of the collection were not assembled by accident but that they represent the body of traditions preserved by a prophetic circle which in continuity derived from Isaiah and his disciples, there would be a gap of about a century and a half in the tradition between Isaiah himself and the Anonymous of the sixth century. If it be further assumed that the gap is not due to the accidental loss of the sayings of one or more great prophets but that indeed no prophet of note arose within the Isaianic circle during this time, the long silence would indicate the sterility of waiting for the metastasis. And finally, it is even doubtful whether the mere waiting and the lapse of time would have furnished a sufficient motive for the re-examination of symbols. For when prophecy is at last resumed in Deutero-Isaiah, the symbols of the anonymous prophet bear the imprint not only of the Isaianic tradition but distinctly of the work of Jeremiah. (481f; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Jeremia: jenseits der metastatischen Vision Jesaias; prophetische Existenz als Fortsetzung der geschichtlichen Existenz

Kurzinhalt: Jeremiah indeed returned from the metastatic vision of the future to the experience of the untransfigured present; the word of the prophet is not spoken to the wind...; prophetic existence as the continuation of order in history

Textausschnitt: eg: weiter unten: ... "Das Wort, das durch den Propheten spricht, ist selbst geschichtliche Realität ...

104/13 In Jeremiah we have to look for the experiences which advanced the understanding of order beyond the metastatic visions of Isaiah. As the first motive must be noted the lapse of time, though its effect is difficult to gauge. Between the calls of Isaiah and Jeremiah more than a hundred years had passed. That was time enough for a prophetic personality which did not belong to the inner circle of Isaiah's disciples, but rather formed itself through the study of Hosea, to relax the tension of gazing into a future which never became present. For the order of being is the order in which man participates through his existence while it lasts; and the consciousness of passing, the presence of death in life, is the great corrective for futuristic dreams - though it may require a strong personality to break such dreams, once they have become a social power in the form of accepted creeds. The fundamental concern of man is with the attunement of his existence, in the present tense, to the order of being. And Jeremiah indeed returned from the metastatic vision of the future to the experience of the untransfigured present. In this return, however, he did not have to break altogether with Isaiah. For his great predecessor, in spite of the extreme articulation of his experience in the symbols of the metastatic ruler, had achieved a solid advance, never to be abandoned, in the understanding of order: that the order of society in history is reconstituted in fact through the men who challenge the disorder of the surrounding society with the order they experience as living in themselves. The word of the prophet is not spoken to the wind, it is not futile or impotent, if it does not reform the society which he loves because it has given him birth. The Word that speaks through him is itself historical reality and forms the order of a new community wherever it is heard. In Isaiah, his sons and disciples, the "remnant" of Israel, which had been the contents of prophecies of salvation, had become the reality of salvation. The prophetic word about the future became historical present in the men who spoke and preserved it in community. And while the Israel that was pragmatically organized as the Kingdom of Judah went the way of all organizations, their governments, and kings in history, the Word spoken by the prophets and preserved by the communities which heard it, still forms the "remnant" of Israel in the present. This insight into the meaning of prophetic existence as the continuation of order in history, when its realization in the pragmatic order of a people is in crisis, was the heritage from Isaiah to be increased by Jeremiah. (482f; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Das "messianische Problem" von Hosea, Amos -> Jesaia -> Jeremia (existentielle Phase); neue Form des Prophetismus

Kurzinhalt: This is the third, the existential, phase in the prophetic occupation with the "Messianic problem; in Jeremiah the human personality had broken the compactness of collective existence

Textausschnitt: 105/13 Isaiah had received the "Messianic problem" from Amos and Hosea in its institutional form of an Israel under a king after the model of David. In his own experience of order the institutional form was preserved, even though it was now burdened with the metastatic act of trust he demanded of King Ahaz. When the King had the good sense not to make experiments in transfiguration, Isaiah neither abandoned the institutional form nor the metastatic will, but the metastasis had to be drawn out into the formation of a remnant by the prophet himself and its completion through the future appearance of a ruler. Moreover, in so far as being the carrier of the secret concerning the future ruler was the essence of the remnant, its formation had the characteristics of a first step toward the complete metastasis - in this respect the procedure of Isaiah foreshadows the later types of metastasis by "installment." If the problem of order was to be restored to its concreteness, Jeremiah had to reverse the futuristic projection of Isaiah and to bring the King back into the present. This he did, as we have seen, when in the oracles of his call he transferred the royal symbolism to himself. The order of Israel was complete in the present again, though contracted into the existence of the Jeremiah who enacted the fate of the people while carrying the burden of the Anointed. This is the third, the existential, phase in the prophetic occupation with the "Messianic problem." (483f; Fs) (notabene)

106/13 The effort that went into this achievement must have been enormous. In order to see it in its true proportions, it should be recalled that this tour de force of recapturing the present was conducted within the limits which the compactness of the prophetic experience set to Jeremiah as much as to Amos, Hosea, or Isaiah. The prophetic symbolism, we remember, derived from the rites of defeat and victory in the New Year's festivals; () but to become aware that the problems of order did not revolve around the empirical Israel and its institutions but around the man who suffered concretely under the disorder. Hence, the greatness of Jeremiah's achievement does not become manifest in the general body of his oracles which run true to a standardized form, but in the oracles of his call, in the enactment of Israel's fate, in the Temple Address and the trial. Above all, however, it must be sought in his creation of a new form of prophetic expression: What is new in his extant work are the pieces of spiritual autobiography, in which the problems of prophetic existence, the concentration of order in the man who speaks the word of God, become articulate. The great motive that had animated the prophetic criticism of conduct and commendation of the virtues had at last been traced to its source in the concern with the order of personal existence under God. In Jeremiah the human personality had broken the compactness of collective existence and recognized itself as the authoritative source of order in society. (484f; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Jeremia; seine Person als Schlachtfeld d. Geschichtsordnung; Frage um Gottes Gerechtigkeit; Frage - Abkehr

Kurzinhalt: his personality as the battlefield of order and disorder in history; the justice of God was at stake; what is the suffering of Jeremiah, compared with the suffering of God?

Textausschnitt: 107/13 The type of experiences which forced Jeremiah back on himself and into the recognition of his personality as the battlefield of order and disorder in history, can be gathered from the notice about a conspiracy against his life (18:18): (485; Fs) (notabene)
()
The motive of the plot was Jeremiah's assumption of personal authority under God, which invalidated the people's traditional sources of authority in the priests, the wise, and the prophets (the "false prophets" of Jeremiah); and its purpose was to silence the word emanating from the new authority. In this danger Jeremiah turned to Yahweh with the question:
()
Moreover, the justice of God was at stake. In the vengeful wishes of Jeremiah was involved, as the text has shown, the torturing question of repayment for good and evil. To be sure, Israel deserved punishment for its sins, but how should order ever be restored if the punishment of the wicked was visited on Israel collectively and engulfed the good?
()
God knows that the prophet suffers for his sake: Jeremiah cannot join the company of the sportive and make merry with them, because the hand of God is on him and forces him to sit alone (15:16-17)- Why then is his pain unceasing, and his wound incurable? Will God be to him like a treacherous brook, like waters that are not sure? (15: 18). To such questioning Yahweh answers (15: 19): (486; Fs) (notabene)
If you turn back, I shall take you back,
and before my face shall you stand;
and if you bring forth the precious from the vile,
as my mouth shall you be.

109/13 There is no answer to the questions: The questioning itself is the defection, from which Jeremiah must return to the presence of God; only when, through the return from questioning, he has brought forth the precious from the vile will he be the speaker of God's word. The prophet has to live with the mystery of iniquity. But that is not easy: "My grief is incurable, my heart is sick within me" (8: 18). (487; Fs)
()
111/13 What is the suffering of Jeremiah, compared with the suffering of God? Prophetic existence is participation in the suffering of God. Beyond this insight gained by Jeremiah for his own person lies its application to everyman's existence. The prophet's secretary Baruch apparently was inclined sympathetically to experience the same sorrows as his master. When he had finished writing the words of Jeremiah, at his dictation, in a book, he must have complained often enough (45:3): (488; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Gute Zusammenfassung über die Erfahrung der frühen Propheten (Amos, Hosea, Jesaia, Micha)

Kurzinhalt: discrepancy: actual order of the Kingdoms and the order intended by the Message from Sinai

Textausschnitt: 112/13 The problem of Israelite order was seen by the prophets, from the middle of the eighth century B.C. to the fall of Jerusalem in 586, in the discrepancy between the actual order of the Kingdoms and the order intended by the Message from Sinai. The discrepancy was intensely experienced as a defection from true order; only an immediate return could prevent the imminent divine punishment. And the expectation of disaster near at hand translated itself into the urgency of the call to return. The early prophets - Amos, Hosea, Isaiah, Micah - who had this intense experience, however, found no symptoms of a serious return in their environment; and at the same time they had to watch the disaster advancing in the form of the Assyrian invasion and the fall of the Kingdom of Israel. Hence, within the two generations of the early prophets, their call to return changed its complexion in as much as the expectation to see the institutions and mores of the concrete society reformed gave way to the faith in a metastasis of order after the present concrete society had been swallowed up by the darkness of a catastrophe. When the problem of order had gained this metastatic complexion, the prophets responded to it by developing the two distinct positions represented by Isaiah and Jeremiah: (487f; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Jesaia (der Rest als neues Zenturm)- Jeremia (er selbst als Zentrum); Exodus Israels von sich selbst

Kurzinhalt: Jeremiah: prophet to the nations; terminus ad quem: problems of order beyond the existence of a concrete society and its institutions; the third procreative act of divine order in history: The Exodus of Israel from itself

Textausschnitt: (1) Isaiah engaged in the supreme effort of a political intervention which, if successful, was supposed to be the beginning of the metastatic order. When the King of Judah did not respond to the appeal, the prophet formed his group of disciples as the remnant of Israel beyond the present concrete society;
()
(2) A century later, Jeremiah was called to be the prophet to the nations. By the Message from Sinai Israel had been constituted as the holy center of all mankind, but the order of the Covenant and the Decalogue pertained only to the Israelite society; no order had been provided for the nations as a society of mankind. The blows of history had brought it home to Israel that there existed a mankind outside the Sinaitic order. The Philistine danger () If the Message from Sinai had revealed the order of history, obviously the wording of its intention could not be the last word in the history of order. This problem, recognized even by Amos, became fully articulate in Jeremiah's expansion of his prophetic concern from Israel to the Near Eastern oekumene. While "Israel" remained the holy center, the society under the new Message embraced the "nations"; and since both Israel and the nations were at the moment in a state of disorder, the center of order had contracted into the person of Jeremiah. (489f; Fs)

113/13 What the two responses have in common will come into view if their difference is characterized by the relative position of the time and space factors in their symbolization of order. Isaiah, after his experience with Ahaz, moved away from the concrete order of Israel into a future in which the true order of the "remnant" would become the center of a world society living in metastatic peace. Jeremiah moved spatially beyond the order of Israel into the contemporary disorder of Israel and the nations at war and expected it to give way in the future to the order of Yahweh which at the moment was concentrated in himself. Both prophets, thus, had in common the tendency to move away from the order of the concrete Israelite society toward an indeterminate goal. (490; Fs)

115/13 The fact must be accepted that the questions can find no answer. The terminus ad quem of the movement is not a concrete society with a recognizable order. If the concern of the prophets with this apparently negative goal makes sense nevertheless, it must have been motivated by the insight, though unclear and insufficiently articulate, that there are problems of order beyond the existence of a concrete society and its institutions. The metastatic experience of Isaiah, which hitherto has been considered under the aspect of a sterile withdrawal from the realities of Israel's order, will appear in a new light if it is considered as an experience of the gulf between true order and the order realized concretely by any society, even Israel. And Jeremiah's experience of the tension between the two orders, his suffering participation in the divine suffering, is even articulate enough to make it certain that the prophet had at least a glimpse of the terrible truth: that the existence of a concrete society in a definite form will not resolve the problem of order in history, that no Chosen People in any form will be the ultimate omphalos of the true order of mankind. When Abram emigrated from Ur of the Chaldaeans, the Exodus from imperial civilization had begun. When Israel was brought forth from Egypt, by Yahweh and Moses his servant, and constituted as the people under God, the Exodus had reached the form of a people's theopolitical existence in rivalry with the cosmological form. With Isaiah's and Jeremiah's movement away from the concrete Israel begins the anguish of the third procreative act of divine order in history: The Exodus of Israel from itself. (491; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Deutero-Jesaia; Gottesknecht -> erste Hinführung

Kurzinhalt: Deutero-Isaiah, 4 Servant Songs; Exodus of Israel from itself; the drama as a whole is a unit of meaning. The Exodus has happened in the soul of the author

Textausschnitt: 116/13 The anguish of this last Exodus was lived through by the unknown prophet who by a modern convention is designated as Deutero-Isaiah, because he is the author of Isaiah 40-55. Since nothing is known about him except what can be inferred from his work, biographical preliminaries are not only unnecessary but hazardous, because they would prejudge the interpretation of the text. Even to speak of these Isaiah chapters as a "work" with an "author" involves commitments with regard to a series of much debated questions. This debate itself must remain outside the range of our study; but the commitments have to be set forth: (491f; Fs)
()
... If the assumption is correct, both the component oracles and the chains will have to be dated in the years between Cyrus' conquest of Lydia in 546 B.C. and his conquest of Babylon in 538 B.C.
()
(3) The chapters Isaiah 49-55 still have the structure of chains of briefer oracles and songs, but the tone has changed. Cyrus has disappeared, together with the hopes set in him; and other sources of disappointment make themselves felt. The oracles of this later part probably were spoken and written during an indeterminate number of years after the fall of Babylon. (492; Fs)
(4) In Deutero-Isaiah are embedded the four Servant Songs distinguished by Duhm: Isaiah 42:1-4; 49:1-6; 50:4-9; and 52:13-53:12. We assume that the songs have the same author as their context but that they represent the last phase of the prophet's work. (492; Fs)
()
(6) We assume the prophet to have been a member of a circle which derived through the generations from the immediate disciples of Isaiah. In his self-understanding the prophet was one of Isaiah's limmudim entrusted with the secret of salvation. (492; Fs)
117/13 These commitments must not be understood as assertions with a claim to certainty. They formulate probabilities as they are emerging from the exploration of details and the improvement of methods in the course of the last half century. (493; Fs)
()
118/13 The text of Isaiah 40-55 is an accomplished literary composition sui generis which expresses certain experiences by means of the symbolic language developed in classical prophetism from Amos to Jeremiah. In the experiences expressed, clusters of motives can be distinguished. A first one is furnished by the historical events: the exile, the liberation through Cyrus, the fall of Babylon, and the vicissitudes of empire in general. A second cluster stems from the heritage of the great predecessors: the contraction of Israel into the solitary suffering of the prophet, the message to a mankind that embraces both Israel and the nations, and above all the Isaianic secret of the kabhod that will fill the earth. A third cluster, finally, is formed by the motives to which the author himself refers as the "new things": the message of salvation; the self-revelation of God in three stages as the Creator of the world, as the Lord and Judge of history, and as the Redeemer (goel); the consciousness that the present is the epoch between the second and third stages; the suffering of the second stage as the way to redemption; redemption as the existential response to the third revelation of God as the Savior and Redeemer; the role of Israel as the representative sufferer for mankind on the way to the response; and the climax in Isaiah 52:13.-53:12, in the recognition of the Servant as the representative sufferer. (494; Fs)

119/13 While the distinction and classification of the motivating experiences is so amply supported by pieces of a meditative nature that the results are reasonably certain, the book as a whole is not a treatise in oratio directa on definite "doctrines." It is a symbolic drama which does not permit the separation of a contents from the manner of its presentation. Moreover, while the single motives can be distinguished, they have merged in the comprehensive experience of the movement that we have briefly characterized as the Exodus of Israel from itself. The text does not consist of a series of symbols expressing successive states of experience, so that it would be left to the reader to reconstruct from them a spiritual biography of the author. The construction is done by the author himself, to whom the movement is given as completed in the retrospect of his work. Beyond the component symbols, the drama as a whole is a unit of meaning. The Exodus has happened in the soul of the author, and his work is the symbol of a historical event. (494f; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Israel and Revelation

Titel: Israel and Revelation

Stichwort: Deuter-Jesaia: unangemessenes Herangehen; Unterschied in der Ordnung: Israel - Griechenland; Offenbarung - Wirkweise

Kurzinhalt: the methods most frequently used in its interpretation must be considered inadequate:; Who is the Suffering Servant?; When man is in search of God, as in Hellas... - when God is in search of man ...

Textausschnitt: 120/13 If this is the nature of the work, the methods most frequently used in its interpretation must be considered inadequate: (495; Fs)

(1) The drama, to be sure, is autobiographical in substance, but the evolution of experience is mediated by the author's interpretation in retrospect. Hence, ... Any attempt to go beyond the drama and to reconstruct the author as a "historical" person is therefore not only hazardous but contributes nothing to the understanding of the work. (495; Fs)

(2) The meaning of the drama cannot be found by tearing an important symbol out of its context and treating it as if it were a piece of somewhat enigmatic information. There exists a library of studies on the question "Who is the Suffering Servant?" Is he the author himself, or some other suffering personage, or does the symbol prophetically envisage Christ - or is he no individual at all but Israel, and if that should be the case is he the empirical or the ideal Israel, and is he the whole of Israel or a remnant? Such attempts to understand the Deutero-Isaianic work through solving the puzzle of the Servant is, on principle, not different from an attempt to understand an Aeschylean tragedy by means of a study on the question "Who is Prometheus" or "Who is Zeus?" () If such studies can be undertaken in the case of Deutero-Isaiah nevertheless with at least a measure of sense, the reason must be sought in the difference between the Israelite historical and the Hellenic mythical form of order. The Aeschylean tragedy moves, in search of order, from its compact expression in the polytheistic myth toward the Logos of the psyche; the Deutero-Isaianic drama moves from the compact revelation from Sinai toward the Logos of God. From Aeschylus the movement goes toward the Platonic Vision of the Agathon; from Deutero-Isaiah it goes toward the Incarnation of the Logos. When man is in search of God, as in Hellas, the wisdom gained remains generically human; when God is in search of man, as in Israel, the responsive recipient of revelation becomes historically unique. Since the human experience of revelation is an event in the history constituted by revelation, historicity attaches to the recipient of revelation, to the very historicity of Christ. As a consequence, the question "Who is the Servant?" is not as outlandish in an Israelite context as a comparable question with regard to an Hellenic literary text would be. Nevertheless, while these reflections will cast some light on the difference between the Logoi of philosophy and revelation, and while they will make intelligible the tendency to search for the historical figure behind the symbol of the Suffering Servant, they do not justify the procedure. Isaiah 40-55 remains a literary composition; and the symbols must be read as expressions of the author's evolving experience, even though what he tries to communicate is an insight concerning the revelation of God in history. (495f; Fs)

121/13 The various errors of interpretation, of which we have just adumbrated the two most important types, can be avoided only if one penetrates to their root in the multiplicity of time levels running through the work: (496; Fs)
(1) The experience of the author evolves and matures over a period of perhaps ten or more years. Hence, there runs through the work the time of the experience from its inception to its completion. The temptation is great, therefore, to isolate this level and to use the clues of the text for a reconstruction of the "historical" course of the experience. This attempt, however, is bound to fail, as we have indicated, because the time of the experience has been absorbed into the structure of the work. The author's own reconstruction bars this possibility. (496; Fs)
(2) The experience is inseparable from its expression in symbolic form. In so far as the component oracles and songs originate at various points of time in the course of the experience, the same argument applies to them as to the time of the experience itself. The text as a whole, however, is not a series of oracles in chronological order. It is a composition in which the single pieces, regardless of the time of their origin, are placed in such a manner that they express the meaning of the experience as it has accumulated during its course. The compositorial work is itself part of the process in which the meaning of the experience is clarified; the revelation is received by the author completely only in the act of composition. Hence, the work is not the account of an experience that lies in the past, but the revelation itself at the moment of its supreme aliveness. From the human side, the time of the composition is the time which accumulates, the time in which one grows old and matures, the durée in the Bergsonian sense; from the divine side, it is the present under God in eternity. This is the time level to which in the literature on the subject practically no attention is given. (496f; Fs) (notabene)

(3) The human response is an event in the history constituted by revelation. With the response begins the divine work of salvation, spreading through communication in space and time from the responsive human center. Since the symbols of the work picture the process of salvation, there is running through the work the time of salvation. And this time of salvation is not the inner time of a work of fiction, but the real time of the order of revelation in history. Hence, the symbols of the work, first, touch on the past history of revelation; they furthermore are concerned with the present revelation as received by the author, with the "new things" in the light of which the "former things" become a past of revelation; and they finally envisage the process of salvation as completed in the future through earthwide acceptance of the message that is received by the author, and communicated by his work, in the present. The time of salvation thus absorbs both the time of the experience and the time of the composition in so far as the historical process of the "new things" has its beginning in the experience of the author and continues in the composition of the work which communicates the revelation. This nature of the work as an event in the history of salvation, as the beginning of a process which in its symbols is imaged as extending into the future, is the inexhaustible source of difficulties for the interpreter. For there can hardly be a doubt that the Servant who dies in the Fourth Song is the same man who speaks of his call and his fate, in the first person, as the prophet in the Second and Third Songs. And is it not against common sense that a man gives an account of his death, as well as of its effects in the process of salvation? Such common-sense arguments have indeed become the basis for the assumption that the Fourth Song was written by a member of the circle after the death of the prophet who wrote the other three songs, and a fortiori that the work as a whole (if it is a literary unit at all) could not have been written by the prophet to whom certain parts of it may be conceded. (497f; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Gegenüberstellung: Geschichte -> kosmologische Form - Israel - Griechenland; Mosaic - philosophic leap in being

Kurzinhalt: the Hellenic conception of the cycle of history is a new symbolic form; Mosaic leap in being; Egyptian empires never developed the conception of a society with a beginning and end in historical time

Textausschnitt: 48/1 The symbolism of a cyclical decline and restoration of order is peculiar to societies in cosmological form. In the earlier volume Israel and Revelation we studied the symbolism of the New Year Festivals, of the cult acts that annually heal the defections from, and revitalize the order of, society, with the implication of repeating the original cosmogonic act that has brought forth order from chaos. These periodic acts of restoration also betray a consciousness of history,- but far from articulating it, they are rather calculated to prevent the experience of the decline of a society from reaching the level of consciousness. The time of history in which a society experiences the vicissitudes of its order down to exhaustion and ultimate dissolution is annulled through the magic of cultic repristination. What we call today the historical course of Egyptian society was not a course for the Egyptians, but a rhythmical repetition of cosmogony in the imperially organized humanity that existed at the center of the cosmos. The prolonged disturbances and revolts, for instance between the Old and the Middle Kingdoms, were not epochs of history from which order in new form could arise, but simply disruptions of the cosmological form to be borne with nothing but the hope that the same type of order would ultimately be somehow restored. It required the Mosaic leap in being to break this compact experience of order and to differentiate the new truth of existence in historical form, in the present under God. The new understanding of order, it is true, could not abolish the rise and fall of societies in pragmatic history; and the experience of the decline of order, which in the cosmological form could be expressed and, at the same time, contained and annulled through cultic restorations, now had to search for new modes of adequate articulation. Such new expression was found in Isaiah's metastatic faith in the imminent transfiguration of the world that would abolish the cycle of defection and return,- and when the impasse of this faith became clear, the problem of transhistorical, eschatological events began to differentiate from the historical phases of order and disorder that correspondingly became the world-immanent structure of events. With regard to the evolution of symbols we could draw, therefore, the lines from the cosmological rhythms of order to the phases of history, from cosmology to eschatology, and from the cultic restoration to the historical metastasis of order. (116f; Fs) (notabene)

49/1 The question then arises how the structure of the Hellenic symbolism is related to the problems of order just recalled. And with regard to that issue it must be recognized above all that the Hellenic conception of the cycle of history is a new symbolic form. Nothing comparable is to be found either in the Near Eastern societies in cosmological form, or in Israel in historical form. For the Mesopotamian and Egyptian empires never developed the conception of a society with a beginning and end in historical time, but remained compactly bound in the experience of cosmic divine order and of the participation of the respective societies in its rhythm. And the Israel that existed as the Chosen People under God, while it had a beginning in historical time, could have no end because the divine will, which had created Israel as the omphalos of salvation for all mankind, was irreversible and remained unchanged beyond both the rhythms of the cosmos and the phases of history. While the Hellenic symbolism, thus, belongs neither to the cosmological nor the Israelite historical type, it seems to partake of both of these forms,- and this apparently intermediate structure has indeed motivated the divergent opinions that, on the one hand, the Greeks had no genuine idea of history at all but fundamentally expressed themselves in the symbolism of eternal return, and that, on the other hand, the Greeks were the creators of historiography, that in particular Herodotus was the Father of History and the work of Thucydides one of the greatest histories ever written. Such indulgences of opinion can be avoided only if the analysis goes beyond the surface of disparate characteristics and penetrates to the motivating center of the symbolism. (116f; Fs)

50/1 This motivating center can be circumscribed through comparisons with the Israelite motivating experiences and their articulation. The Hellenic consciousness of history is motivated by the experience of a crisis; the society itself, as well as the course of its order, is constituted in retrospect from its end. The Israelite consciousness of history is motivated by the experience of a divine revelation,- the society is constituted through the response to revelation, and from this beginning it projects its existence into the open horizon of time. The Hellenic consciousness arrives, through the understanding of disorder, at the understanding of true order - that is the process for which Aeschylus has found the formula of wisdom through suffering; the Israelite consciousness begins, through the Message and Decalogue from Sinai, with the knowledge of true order. The Mosaic and prophetic leap in being creates the society in which it occurs in historical form for the future; the philosophic leap in being discovers the historical form, and with it the past, of the society in which it occurs. Such contrapuntal formulations will bring into focus the essential difference between the historical forms that are developed respectively by Revelation and Philosophy. The word, the dabai, immediately and fully reveals the spiritual order of existence, as well as its origin in transcendent-divine being, but leaves it to the prophet to discover the immutability and recalcitrance of the world-immanent structure of being; the philosopher's love of wisdom slowly dissolves the compactness of cosmic order until it has become the order of world-immanent being beyond which is sensed, though never revealed, the unseen transcendent measure. (118; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Positivismus: Gründe, Folgen, theoretisches Problem d. P.; Unterordnung der Theorie unter die Methode; Materialhuberei

Kurzinhalt: ... daß eine Erforschung der Wirklichkeit nur dann wissenschaftlichen Charakter habe, wenn sie die Methoden der Naturwissenschaft anwendet; die zweite Annahme ist die eigentliche Gefahrenquelle, ...

Textausschnitt: 2. Die zerstörende Wirkung des Positivismus

20a Die Bewegung der theoretischen Erneuerung ist weder in ihrem Umfang noch in ihren Leistungen allgemein bekannt. Und wenn dies auch nicht die Gelegenheit für eine Beschreibung ist (die, wenn sie angemessen sein sollte, zu erheblichem Umfang anwachsen müßte), so muß doch einiges über ihre Ursachen und Ziele gesagt werden, und die Fragen zu beantworten, die sich dem Leser der folgenden Untersuchungen aufdrängen werden. (Fs)

20b Wenn die Prinzipien der politischen Wissenschaft wiederhergestellt werden sollen, so ist damit impliziert, daß das Bewußtsein der Prinzipien verloren gegangen ist. Die Bewegung der theoretischen Erneuerung ist in der Tat als eine Genesung von der Zerstörung der Wissenschaft durch den Positivismus, der für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts charakteristisch war, zu verstehen. Die zerstörende Wirkung des Positivismus hat ihre Ursache in den folgenden zwei Grundannahmen:

20c (1) Die glänzende Entfaltung der Naturwissenschaften war, neben anderen Faktoren, mitverantwortlich für die Annahme, daß die Methoden der mathematisierenden Wissenschaften von der Außenwelt durch besondere Leistungsfähigkeit ausgezeichnet seien, und daß die anderen Wissenschaften ähnliche Erfolge erzielen würden, wenn sie dem Beispiel folgten. Dieser Glaube für sich allein wäre eine harmlose Idiosynkrasie gewesen; er hätte sein natürliches Ende gefunden, sobald die enthusiastischen Bewunderer der Mustermethode versucht hätten, sie auf ihre eigene Wissenschaft anzuwenden, und wenn die erwarteten Erfolge ausgeblieben wären. (Fs)

(2) Der Glaube wurde jedoch gefährlich, weil er sich mit der zweiten Annahme verband, daß die naturwissenschaftlichen Methoden ein Kriterium für theoretische Relevanz lieferten. Erst aus der Verbindung der beiden Annahmen ergab sich die bekannte Reihe der Behauptungen: daß eine Erforschung der Wirklichkeit nur dann wissenschaftlichen Charakter habe, wenn sie die Methoden der Naturwissenschaft anwendet; daß die Probleme, die in anderen als naturwissenschaftlichen Termini ausgedrückt werden müssen, Scheinprobleme seien; daß im besonderen metaphysische Fragen, auf die eine Antwort mit den Mitteln der Wissenschaften von Phänomenen der Außenwelt nicht möglich ist, nicht gestellt werden dürften; daß Seinsbereiche, die der Erforschung mit naturwissenschaftlichen Methoden unzugänglich sind, irrelevant seien; und, in äußerster Konsequenz, daß Seinsbereiche dieser Art nicht existierten. (21; Fs)

21b Die zweite Annahme ist die eigentliche Gefahrenquelle, insofern als sie die Theorie der Methode unterordnet und damit den Sinn der Wissenschaft verkehrt. Sie ist der Schlüssel zum Verständnis der positivistischen Destruktion; und sie hat noch bei weitem nicht die Beachtung gefunden, die sie verdient. (Fs) (notabene)

22a Wissenschaft ist die Suche nach der Nahrheit betreffend das Wesen der verschiedenen Seinsbereiche. Wissenschaftlich relevant ist daher alles, was zum Erfolg dieser Suche beiträgt. Tatsachen sind insofern relevant, als ihre Kenntnis zur Erkenntnis des Wesens beiträgt, während Methoden insofern adäquat sind, als sie mit Erfolg als Mittel zu diesem Zweck angewendet werden können. Verschiedene Gegenstände der Untersuchung erfordern verschiedene Methoden. Ein Staatswissenschaftler, der sich mit den Problemen der platonischen Politeia beschäftigt, wird nicht viel Verwendung für mathematische Methoden haben; ein Biologe, der eine Zellstruktur untersucht, wird nicht viel Verwendung für die Methoden der klassischen Philologie oder die Prinzipien der Hermeneutik haben. Diese Aussagen sind trivial - aber die Mißachtung trivialer Wahrheiten dieser Klasse ist eines der typischen Merkmale der positivistischen Haltung, und darum ist es gelegentlich nötig, das Selbstverständliche breitzutreten. Es mag vielleicht ein Trost sein, daß Mißachtung dieser Art ein permanentes Problem in der Geschichte der Wissenschaft ist; schon Aristoteles mußte gewisse Charaktere seiner Zeit daran erinnern, daß ein "gebildeter Mann" in einer Abhandlung über Politik nicht die Exaktheit des mathematischen Typus erwarten wird. (Fs)

22b Wenn nicht die Adäquanz einer Methode an ihrer Brauchbarkeit für den Zweck der Wissenschaft gemessen wird, sondern umgekehrt die Verwendung einer bestimmen Methode zum Kriterium des Wissenschaftscharakters einer Untersuchung gemacht wird, dann ist der Sinn der Wissenschaft als wahrheitsgemäßer Aussage über die Struktur der Wirklichkeit, als der theoretischen Orientierung des Menschen in seiner Welt, und als des großen Werkzeugs, mit dessen Hilfe der Mensch zum Verständnis seiner eigenen Stellung im All gelangt, verloren. Wissenschaft geht von der vorwissenschaftlichen Existenz des Menschen aus; von seiner Teilnahme an der Welt mit seinem Leib, seiner Seele, seinem Intellekt und seinem Geist; von seinem ursprünglichen Griff in alle Seinsbereiche, der ihm dadurch gesichert ist, daß seine eigene Natur ihrer aller Abriß ist. Und von dieser ursprünglich kognitiven Teilnahme, noch stürmisch getrübt durch Leidenschaft, steigt der beschwerliche Weg an, die methodos, zur leidenschaftslosen Schau der Seinsordnung in der theoretischen Haltung. Die Frage, ob im konkreten Fall der eingeschlagene Weg der richtige war, kann jedoch nur entschieden werden im Rückblick vom leidenschaftslos erkennenden Ende zu seinem noch leidenschafterfüllten Anfang. Wenn die Methode das anfangs nur trübe Geschaute zu wesenhafter Klarheit gebracht hat, dann war sie adäquat; wenn sie diesen Zweck nicht erfüllt hat, oder wenn sie auch nur zu wesenhafter Klarheit etwas gebracht hat, woran wir ursprünglich konkret nicht interessiert waren, darin war sie inadäquat. Wenn wir z. B. in unserer vorwissenschaftlichen Teilnahme an der Ordnung einer Gesellschaft, in unseren vorwissenschaftlichen Erlebnissen von Recht und Unrecht, von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, den Wunsch empfinden sollten, zum theoretischen Verständnis der Quelle der Ordnung und ihrer Geltung vorzudringen, dann werden wir vielleicht im Verfolg unserer Bemühungen die Theorie entwickeln, daß die Gerechtigkeit der Ordnung unter Menschen von ihrer Teilnahme am platonischen agathon, oder dem aristotelischen nous, oder dem stoischen logos oder der thomistischen ratio aeterna abhängt. Und wenn auch, aus diesem oder jenem Grunde, keine der Theorien uns völlig befriedigt, so wissen wir doch, daß wir auf der Suche nach einer Antwort dieser Art sind. Wenn uns der Weg jedoch zu der Erkenntnis führt, daß die Ordnung der Gesellschaft durch nichts bestimmt wird als durch Furcht und Willen zur Macht, dann wissen wir, daß wir irgendwo im Zuge der Untersuchung das Wesentliche des Problems verloren haben - wie immer wertvoll das Ergebnis auch zur Klärung anderer Aspekte der Sozialordnung sein mag. Im Rückblick von der Antwort auf die Frage erkennen wir daher, daß die Methoden einer Psychologie der Motive für die Klärung dieses Problems nicht adäquat sind, und daß es in diesem Falle besser wäre, sich auf die Methoden der metaphysischen Spekulation und theologischen Symbolisierung zu verlassen. (Fs)

24a Die Unterordnung der theoretischen Relevanz unter die Methode verkehrt prinzipiell den Sinn der Wissenschaft. Und der Sinn wird verkehrt, gleichgültig welche Methode im Einzelfall als Modell genommen wird. Das Prinzip der Verkehrung muß sorgfältig von seinen zahlreichen Erscheinungsformen unterschieden werden, denn ohne diese Unterscheidung ist es kaum möglich, die historische Erscheinung des Positivismus in ihrem Wesen und Umfang zu verstehen; daß diese Unterscheidung nicht gemacht wird, ist wahrscheinlich der Grund dafür, daß eine zureichende Studie dieser bedeutsamen Phase westlicher Geistesgeschichte bis heute noch nicht vorliegt. Wenn auch eine solche Studie hier nicht gegeben werden kann, so müssen doch die Hauptlinien, denen sie zu folgen hätte, herausgearbeitet werden, um die Mannigfaltigkeit der positivistischen Phänomene in den Blick zu bringen. (Fs)

24b Die Analyse würde falsch ansetzen, wenn der Positivismus als die Doktrin dieses oder jenes hervorragenden positivistischen Denkers definiert würde - etwa als das Comte'sche System. Die Spezialform der Verkehrung würde das Prinzip verwischen; und verwandte Phänomene könnten nicht als solche erkannt werden, weil auf der Ebene der Doktrinen die Anhänger verschiedener Mustermethoden sich bekämpfen. Es empfiehlt sich daher, von dem Eindruck auszugehen, den das Newton'sche System auf westliche Intellektuelle wie Voltaire gemacht hat. Diese Erschütterung sollte als das emotionale Zentrum betrachtet werden, von dem das Prinzip der Verkehrung, wie auch der Sonderfall des Modells der Physik, unabhängig voneinander oder in Verbindung, ausstrahlen konnten; und die Wirkungen sollten verfolgt werden, welche Form auch immer sie annehmen mögen. Dieses Verfahren empfiehlt sich vor allem deshalb, weil der Versuch, die Methoden der mathematischen Physik im strengen Sinne auf die Sozialwissenschaften zu übertragen, kaum jemals unternommen worden ist, aus dem guten Grund, weil er allzu offensichtlich fehlschlagen würde. Die Idee, ein "Gesetz" der sozialen Phänomene zu finden, das in seiner Funktion dem Gravitationsgesetz in der Newton'schen Physik entspräche, ist nie über die Stufe verworrenen Geredes in der napoleonischen Ara hinausgekommen. Zu Comtes Zeit hatte sich die Idee schon zum "Gesetz" der drei Phasen beruhigt, d. h. sie war zu einem Stück falscher Spekulation über den Sinn der Geschichte geworden, das sich selbst als die Entdeckung eines empirischen Gesetzes interpretierte. Charakteristisch für die frühe Aufspaltung des Problems ist das Schicksal des Ausdrucks physique sociale. Comte wollte ihn für seine positivistische Spekulation verwenden; aber seine Absicht wurde dadurch vereitelt, daß Quételet sich den Ausdruck für seine eigenen statistischen Untersuchungen aneignete. Das Gebiet der sozialen Phänomene, die in der Tat der Quantifizierung zugänglich sind, begann sich von jenem anderen Gebiet zu scheiden, in dem die spielerische Nachahmung der Physik ein Zeitvertreib für Dilettanten in beiden Wissenschaften ist. Wenn also der Positivismus im strengen Sinne ausgelegt wird, nämlich als Entwicklung der Sozialwissenschaft durch den Gebrauch mathematisierender Methoden, dann könnte man zu dem Schluß gelangen, daß es Positivismus niemals gegeben hat; faßt man ihn dagegen als die Absicht auf, die Sozialwissenschaften "wissenschaftlich" zu machen durch den Gebrauch von Methoden, die denjenigen, welche die Wissenschaften von den Phänomenen der Außenwelt anwenden, möglichst ähnlich sind, dann werden die Ergebnisse dieser Absicht (wenn auch nicht beabsichtigt) sehr mannigfaltig sein. (Fs)

26a Das theoretische Problem des Positivismus mußte mit einiger Sorgfalt formuliert werden. Seine einzelnen Erscheinungsformen bedürfen nur kurzer Aufzählung, nachdem die sie verbindende Einheit klar erfaßt wurde. Wird die Methode als Kriterium der Wissenschaftlichkeit angewendet, so wird damit die theoretische Relevanz aufgehoben. In der Folge werden alle sich auf Tatsachen beziehenden Urteile ohne Rücksicht auf ihre Relevanz zur Würde der Wissenschaftlichkeit erhoben, soferne sie sich durch korrekte Anwendung einer Methode ergeben. Da das Meer von Tatsachen unerschöpflich ist, wird eine ungeheuere Ausdehnung der Wissenschaft, im soziologischen Sinne, möglich; zahllose szientistische Techniker finden Beschäftigung und produzieren phantastische Massen von irrelevantem Wissen durch enorme Forschungsprojekte, deren interessantestes Merkmal ihre quantifizierbaren Kosten sind. Man gerät leicht in Versuchung, sich diese üppigen Blüten des späten Positivismus näher zu besehen und einige Erwägungen über den Hain des Akademos anzustellen, in dem sie sich entfalten; aber die Askese des Theoretikers will uns solche Gärtnerfreuden nicht gestatten. Hier geht es um das Prinzip, daß alle Tatsachen gleichwertig sind - wie es gelegentlich formuliert wurde -, wenn sie nur auf dem Wege der Methode sichergestellt wurden. Die Anhäufung irrelevanter Fakten erfordert jedoch nicht unbedingt die Anwendung statistischer Methoden; sie kann ebensowohl unter dem Deckmantel kritischer Methoden auf dem Gebiete der politischen Geschichte, der Beschreibung von Institutionen, der Ideengeschichte oder in den verschiedenen Zweigen der Sprachwissenschaft stattfinden. Die Anhäufung theoretisch nicht ausgewerteter und vielleicht nicht auswertbarer Fakten, dieser Auswuchs, für den in Deutschland das Wort Materialhuberei geprägt wurde, ist also die erste der Erscheinungsformen des Positivismus; und wegen ihrer Allgegenwart ist sie von viel größerer Bedeutung als gewisse reizvolle Kuriositäten wie z. B. die Einheitswissenschaft. (Fs)

27a Größere Forschungsunternehmen, die nichts als irrelevantes Material enthalten, kommen jedoch, wenn überhaupt, so doch sehr selten vor. Selbst im ungünstigsten Falle wird sich hie und da eine relevante Seite finden, und Gold mag in ihnen verborgen sein, das darauf wartet, eines Tages von einem Gelehrten, der seinen Wert erkennt, entdeckt zu werden. Ein Fall völliger Irrelevanz ist so gut wie unmöglich, weil das Phänomen des Positivismus sich in einer Kultur mit theoretischen Traditionen ereignet; und auch die umfangreichste und wertloseste Materialsammlung hängt noch an einem Faden, der sie mit der Tradition verbindet. Auch dem hartgesottensten Positivisten wird es kaum gelingen, ein völlig wertloses Buch über das amerikanische Verfassungsrecht zu schreiben, solange er sich mit einiger Gewissenhaftigkeit an die Argumentlinien und die Präzedenzfälle hält, die in den Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes vorgegeben sind. Wenn das Buch auch ein trockener Bericht sein mag und die Argumente der Richter (die nicht immer die besten Theoretiker sind) nicht auf eine kritische Theorie der Politik und des Rechtes bezogen werden, wird das Material zur Unterwerfung zumindest unter sein eigenes Relevanzsystem zwingen. (Fs)

28a Viel tieferen Schaden als die leicht erkennbare Anhäufung von Trivialitäten hat die zweite Erscheinungsform des Positivismus, die Anwendung unzulänglicher theoretischer Prinzipien auf relevantes Material, angerichtet. Hoch angesehene Forscher haben ihre Gelehrsamkeit auf die Auswertung historischer Stoffe gewandt und doch ein gut Teil ihrer Mühe vertan, weil ihre Auswahl- und Interpretationsprinzipien, ohne solide theoretische Grundlage, sich aus dem Zeitgeist, aus politischen Neigungen oder aus persönlichen Idiosynkrasien herleiteten. Zu den Werken dieser Klasse zählen die Geschichten der griechischen Philosophie, die aus den Quellen in erster Linie einen "Beitrag" zur Entwicklung der westlichen Wissenschaft herauszogen; die Abhandlungen über Platon, die in ihm einen Vorläufer neukantischer Logik oder, je nach der politischen Zeitmode, einen Konstitutionellen, einen Utopisten, Sozialisten oder Faschisten entdeckten; die Geschichten der politischen Ideen, die Politik im Sinne des westlichen Konstitutionalismus definierten und dann nur wenig politische Theorie im Mittelalter entdecken konnten; oder die andere Variante, die im Mittelalter einen erheblichen "Beitrag" zur Verfassungslehre der Neuzeit fand, jedoch völlig die politischen Sektenbewegungen außer acht ließ, die in der Zeit der Reformation an die institutionelle Oberfläche durchbrachen; oder ein Riesenunternehmen wie Gierkes Genossenschaftsrecht, das erheblich entwertet wurde durch die Überzeugung seines Autors, die Geschichte des politischen und rechtlichen Denkens bewege sich schicksalhaft auf seine eigene Theorie der Realperson als ihren Höhepunkt zu. In Fällen dieser Art entstand der Schaden nicht durch Anhäufung wertlosen Materials; im Gegenteil, die Werke dieser Klasse sind häufig unentbehrlich gerade wegen ihrer zuverlässigen Tatsacheninformationen (bibliographische Angaben, kritische Feststellung der Texte etc.). Der Schaden entstand vielmehr durch die Interpretation. Der Inhalt einer Quelle z. B. mag korrekt wiedergegeben sein, soweit er wiedergegeben wird, und doch kann der Bericht ein völlig falsches Bild zeichnen, weil er wesentliche Teile ausläßt; und er läßt sie aus, weil die unkritischen Interpretationsprinzipien es nicht zulassen, sie als wesentlich zu erkennen. Unkritische Meinungen (doxai im platonischen Sinne) sind kein Ersatz für Theorie. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Positivismus; "Werturteil" - Tatsachenurteil; "wertfreie" politische Wissenschaft, Ausschaltung d. Werturteile; Ethik. Politik (nicht mehr): Wissenschaft von der Ordnung, in der das menschliche Wesen seine maximale Aktualisierung erreicht

Kurzinhalt: Der Ausdruck "Werturteil" ist an sich sinnlos; er empfängt seinen Sinn nur aus einer Situation, in der er den Tatsachenurteilen gegenübergestellt wird; und diese Situation wurde durch das positivistische Dogma geschaffen, nur Tatsachenurteile ...

Textausschnitt: 29a Die dritte Erscheinungsform des Positivismus war die Entwicklung der Methodologie, vor allem während des Halbjahrhunderts 1870-1920 Diese Bewegung war insoferne eine Phase des Positivismus, als sie die Verkehrung der Relevanz durch den Übergang von der Theorie zur Methode zum Prinzip erhob. Gleichzeitig jedoch trug sie zur Überwindung des Positivismus bei, indem sie die Relevanz der Methode verallgemeinerte und dadurch das Verständnis der spezifischen Adäquanz verschiedener Methoden für verschiedene Wissenschaften wiedergewann. Denker wie z. B. Husserl oder Cassirer waren, was ihre Geschichtsphilosophie anbelangt, noch Positivisten der Comte'schen Richtung; aber Husserls Kritik des Psychologismus und Cassirers Philosophie der symbolischen Formen waren bemerkenswerte Schritte auf dem Wege zur Wiederherstellung der theoretischen Relevanz. Die Bewegung als Ganzes ist also viel zu verwickelt, um Verallgemeinerungen ohne sorgfältige und eingehende Qualifikationen zu gestatten. Ein Problem der Methodologie kann und muß jedoch herausgehoben werden, weil es von besonderer Bedeutung für die Zerstörung der Wissenschaft war, nämlich der Versuch, die politische Wissenschaft (und die Sozialwissenschaften im allgemeinen) durch rigorose Ausschaltung aller "Werturteile" "objektiv" zu machen. (Fs)

30a Um über diesen Punkt Klarheit zu erlangen, muß man sich vor allem vergegenwärtigen, daß die Bezeichnungen "Werturteil" und "wertfreie Wissenschaft" vor der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht- zum philosophischen Vokabular zählten. Der Ausdruck "Werturteil" ist an sich sinnlos; er empfängt seinen Sinn nur aus einer Situation, in der er den Tatsachenurteilen gegenübergestellt wird; und diese Situation wurde durch das positivistische Dogma geschaffen, nur Tatsachenurteile betreffend die phänomenale Welt seien "objektiv", während Urteile über die richtige Ordnung von Mensch und Gesellschaft "subjektiv" seien. Nur Urteile der ersten Art könnten als "wissenschaftlich" gelten, während die der zweiten Art persönliche Vorzugsakte und Entscheidungen ausdrückten, die einer kritischen Verifizierung nicht fähig und darum ohne objektive Gültigkeit seien. Diese Einteilung der Urteile war jedoch sinnvoll nur, solange das positivistische Dogma grundsätzlich anerkannt wurde; und es konnte nur von Denkern anerkannt werden, die mit der klassischen und christlichen Wissenschaft vom Menschen nicht vertraut waren. Denn weder die klassische noch die christliche Ethik und Politik enthalten "Werturteile"; sie arbeiten vielmehr empirisch und kritisch die Ordnungsprobleme durch, die sich aus der philosophischen Anthropologie als einem Teil der allgemeinen Ontologie herleiten. Erst als die Ontologie als Wissenschaft verlorengegangen war und in der Folge die Ethik und Politik nicht mehr als Wissenschaft von der Ordnung, in der das menschliche Wesen seine maximale Aktualisierung erreicht, aufgefaßt werden konnten, fiel dieser Wissensbereich unter den Verdacht subjektiver, unkritischer Meinung. (Fs) (notabene)

31a Insoferne die Methodologen das positivistische Dogma anerkannten, trugen sie ihr Teil zur Zerstörung der Wissenschaft bei. Zugleich aber versuchten sie energisch, die Geschichts- und Sozialwissenschaften aus der Mißachtung wieder herauszuholen, ich die sie infolge ihres zerstörten Zustandes nicht ganz ohne Grund geraten waren. Denn wenn die episteme zerstört ist, hören die Menschen nicht auf, über Politik zu reden, aber sie müssen sich dann der Form der doxa bedienen. Und in der Form der doxa wurden eben die "Werturteile" ausgesprochen, die das Bedenken der Methodologen erregten. Der Versuch der Methodologen, den Sozialwissenschaften durch die Ausschaltung des unkritischen Meinens der Zeit wieder Geltung zu verschaffen, hat also immerhin das Bewußtsein kritischer Maßstäbe wachgerufen, wenn ihm auch die Wiederbegründung einer Ordnungswissenschaft nicht gelungen ist. Die Theorie der Werturteile wie auch der Versuch, eine "wertfreie" Wissenschaft zu begründen, wirkten sich daher ambivalent aus. Insoferne als der Angriff auf Werturteile ein Angriff auf die unkritischen Meinungen war, die unter dem Decknhantel der politischen Wissenschaft auftraten, hatte er die heilsame Wirkung einer theoretischen Säuberung. Insoferne als unter den Begriff von Werturteilen die Gesamtheit der klassischen und christlichen Metaphysik und vor allem die philosophische Anthropologie subsumiert wurden, konnte der Angriff zu nichts Geringerem als dem Eingeständnis führen, daß es eine Wissenschaft von menschlicher und sozialer Ordnung nicht gebe. (Fs)

32a Die Mannigfaltigkeit der Versuche hat heute, da die großen methodologischen Kämpfe abgeflaut sind, im einzelnen an Interesse verloren. Im allgemeinen waren die Versuche von dem Prinzip geleitet, die "Werte" aus der Wissenschaft zu entfernen und ihnen den Status fragloser Axiome oder Hypothesen zuzuschreiben. So wurden z. B. unter der Annahme, der "Staat" sei ein Wert, die politische Geschichte und die politische Wissenschaft als "objektiv" legitimiert, soweit sie Beweggründe, Handlungen und Bedingungen erforschten, die Einfluß auf die Schaffung, Erhaltung und Vernichtung von Staaten hatten. Es liegt auf der Hand, daß dieses Prinzip zu dubiosen Ergebnissen führen mußte, wenn die Wahl des legitimierenden Wertes in das Ermessen des Wissenschaftlers gestellt wurde. Denn wenn die Wissenschaft als die Erforschung von Tatsachen in Beziehung auf einen Wert definiert wird, dann gibt es ebenso viele Arten politischer Geschichte und politischer Wissenschaft als es Gelehrte mit verschiedenen Ideen darüber, was wertvoll ist, gibt. Die Tatsachen, die als relevant gelten, weil sie auf die Werte eines Fortschrittsgläubigen bezogen werden können, sind nicht die gleichen Tatsachen, die ein Konservativer als relevant ansieht; und die für einen Vertreter der freien Wirtschaft relevanten Fakten sind nicht notwendig relevant für einen Marxisten. Weder die äußerste Sorgfalt, die konkrete Arbeit "wertfrei" zu halten, noch die gewissenhafteste Beobachtung kritischer Methoden bei der Feststellung von Tatsachen und Kausalbeziehungen, konnte das Absinken der historischen und politischen Wissenschaften in den Sumpf des Relativismus verhindern. Es wurde sogar die Ansicht vertreten - sie fand weite Zustimmung -, daß jede Generation die Geschichte neu schreiben müsse, weil die "Werte", die die Auswahl der Probleme und Stoffe bestimmen, sich wandeln. Wenn die unvermeidliche Verwirrung nicht noch größer war als sie tatsächlich wurde, muß der Grund wiederum in dem Einfluß einer Kulturtradition gesucht werden, welche die Vielgestaltigkeit unkritischer Meinungen in ihren Rahmen zwang. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Max Weber: wertfreie Wissenschaft; "Verantwortungsethik", Dämonie, Gesinnungsethik, Religionssoziologie

Kurzinhalt: ... ob die dämonischen Werte nicht vielleicht gerade deshalb dämonisch seien, weil sie "gesinnungsethischen", nicht "verantwortungsethischen" Charakter haben?

Textausschnitt: Aus 36a: Als Musterbeispiel der "Gesinnungsethik" verstand er eine, nicht gerade glücklich definierte, christliche "überweltliche" Moral; die Frage, ob die dämonischen Werte nicht vielleicht gerade deshalb dämonisch seien, weil sie "gesinnungsethischen", nicht "verantwortungsethischen" Charakter haben, weil sie sich den Charakter göttlichen Auftrags für einen menschlichen Wunschtraum anmaßten - dieses Problem hat Weber nie berührt.
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33a Was die politische Wissenschaft betrifft, so gelangte die Bewegung der Methodologie in der Person und dem Werk Max Webers zu ihrem immanent-logischen Abschluß. Eine ausführliche Charakterisierung kann in diesem Zusammenhang nicht unternommen werden. Nur einige der Züge, die ihn als Denker zwischen Abschluß und Neubeginn kennzeichnen, sollen aufgezeigt werden. (Fs)


33b Wertfreie Wissenschaft bedeutete für Weber die Erforschung von Ursachen und Wirkungen, die Konstruktion von Idealtypen des Handelns und der Institutionen, und insbesondere die Konstruktion typischer Kausalbeziehungen. Eine solche Wissenschaft wäre nicht in der Lage, jemandem zu sagen, ob er ein Wirtschaftsliberaler oder ein Sozialist, ein konstitutioneller Demokrat oder ein marxistischer Revolutionär sein solle, aber sie könnte ihm sagen, welche Folgen es hätte, wenn er die von ihm bevorzugten Werte in die politische Praxis umsetzen wollte. Auf der einen Seite standen also die "Werte" politischer Ordnung, jenseits kritischer Wertung; auf der anderen Seite eine Wissenschaft von der Struktur der sozialen Wirklichkeit, die als technisches Wissen von einem Politiker verwertet werden konnte. Indem Weber die Frage einet "wertfreien" Wissenschaft bis zu diesem pragmatischen Punkt zuspitzte, hob er die Debatte wieder über die methodologischen Streitigkeiten hinaus auf die Ebene theoretischer Relevanz. Es verlangte ihn nach der Wissenschaft, weil er Klarheit über die Welt suchte, an der er leidenschaftlich teilnahm; es drängte ihn wieder zum Wesentlichen. Seine Wahrheitssuche kam jedoch über die Ebene des pragmatischen Handelns nicht hinaus. Denn in dem intellektuellen Klima der methodologischen Debatte mußten die "Werte" als fraglos hingenommen werden und die Suche konnte nicht bis zur Betrachtung der Ordnung vordringen. Die ratio der Wissenschaft erstreckte sich für Weber nicht auf die Prinzipien, sondern nur auf die Kausalität des Handelns. (Fs)

34a Die neue Empfindlichkeit für theoretische Relevanz konnte sich darum nur in der Schöpfung der Kategorien von "Verantwortung', und "Dämonie" in der Politik ausdrücken. Weber erkannte die "Werte" als das,, was sie waren, nämlich als ordnende Ideen für das politische Handeln, aber er verlieh ihnen den Status "dämonischer" Entscheidungen jenseits des rationalen Arguments. Die Wissenschaft konnte mit der Dämonie der Politik nur fertig werden, indem sie den Politikern die Augen für die Folgen ihrer Handlungen öffnete und indem sie an ihr Verantwortungsgefühl appellierte. Diese "Verantwortungsethik" Webers ist durchaus nicht gering zu achten. Sie zielte darauf ab, den revolutionären Eifer verbohrter politischer Intellektueller, vor allem nach 1918, zu dämpfen; sie versuchte ihnen klarzumachen, daß Ideale weder die Mittel noch die Folgen von Handlungen rechtfertigen, daß Handlung in Schuld verstrickt, und daß die Verantwortung für politische Folgen voll und ganz auf dem ruht, der sich zu ihrer Ursache macht. Darüber hinaus enthüllte sie, durch ihre Diagnose als "dämonisch", den irrationalen Charakter der fraglosen "Werte" und stellte fest, daß die Politik der Zeit in der Tat zu einem Feld dämonischer Unordnung geworden war. Die glatte Geschmeidigkeit, mit der dieser Aspekt des Weber'schen Werkes von denen, die er angeht, ignoriert wurde und noch wird, ist der beste Beweis für seine Wichtigkeit. (Fs)

35a Hätte Weber lediglich aufgedeckt, daß eine "wertfreie" politische Wissenschaft keine Ordnungswissenschaft ist und daß "Werte" dämonische Entscheidungen sind, so könnte die Größe seines Werkes (die mehr geahnt als begriffen wird) bezweifelt werden. Sein Aufstieg zum Wesen hätte dort Halt gemacht, wo der Seitenweg abzweigt, der heute "Existenzialismus" genannt wird - ein Ausweg für die Ratlosen, der in der jüngsten Vergangenheit durch das Werk Sartres internationale Mode wurde. Weber ging jedoch sehr viel weiter - wenn auch der Interpret seines Werkes sich in der schwierigen Lage befindet, daß er die positive Leistung aus den intellektuellen Konflikten und Widersprüchen, in die Weber sich verwickelt hat, herauslösen muß. (Fs)

35b Das Abtasten des soeben beschriebenen Problems einer wertfreien Wissenschaft nötigt zu mehr als einer Frage. Webers Auffassung der Wissenschaft implizierte z. B., daß eine soziale Beziehung zwischen Wissenschaftler und Politiker bestehe, wie sie in der Institution einer Universität lebendig wird, wenn der Wissenschaftler als Lehrer seine Studenten, die zukünftigen homines politici, über die Struktur der politischen Wirklichkeit unterweist. Nun mag die Frage gestellt werden: was ist der Zweck dieser Unterweisung? Webers Wissenschaft ließ ja angeblich die politischen Werte der Studenten unangetastet, da Werte jenseits der Wissenschaft lägen. Da sie sich nicht auf politische Prinzipien erstreckte, konnte die Wissenschaft nicht jene der Studenten formen. Konnte sie aber vielleicht indirekt die Studenten anregen, ihre Werte zu revidieren, wenn sie gewahr würden, welch ungeahnte und vielleicht unerwünschte Konsequenzen ihre politischen Ideen in der Praxis hätten? In diesem Fall aber dürften die Werte der Studenten nicht als so dämonisch fixiert angenommen werden, daß ein Aufruf zum Urteilen nicht mehr möglich wäre. Und was könnte ein Urteil, durch das ein Wert dem andern Wert vorgezogen würde, anderes sein als ein Werturteil? Waren also rationale Werturteile doch möglich? Das Lehren einer wertfreien politischen Wissenschaft an einer Universität wäre ein sinnloses Unterfangen, wenn es nicht drauf abzielte, die Werte der Studenten dadurch zu beeinflussen, daß ihnen ein objektives Wissen von der politischen Wirklichkeit vermittelt wird. In seiner Eigenschaft als der große Lehrer strafte Weber die Ideen Lügen, die er über die Werte als dämonische Entscheidungen entwickelt hatte. (Fs)

36a Inwieweit Webers Methode des Lehrens wirksam werden konnte, ist eine andere Frage. Denn erstens war sie ein Lehren auf indirekte Weise, da Weber eine eindeutige Darlegung positiver Ordnungsprinzipien vermied; und zweitens hätte selbst das Lehren durch direkte Erörterung der Prinzipien nicht wirksam werden können, wenn der Student in seiner Stellungnahme tatsächlich dämonisch fixiert war. Weber als Erzieher konnte nur an das Gefühl einer letzten Scheu (an die aristotelische aidos) im Studenten appellieren, um ihn zu rationalen Überlegungen zu bewegen. Wie aber, wenn der Student ein solches Gefühl gar nicht hatte? Wenn der Appell an seinen Verantwortungsgeist ihm nur Unbehagen verursachte, ohne einen Gesinnungswandel herbeizuführen? Oder wenn der Appell nicht einmal Unbehagen auslöste, sondern nur den Hörer bewegte, auf das zurückzufallen, was Weber "Gesinnungsethik" nannte, nämlich auf die These, sein Glaube enthielte in sich die eigene Rechtfertigung, so daß die Folgen nicht zählten, wenn die Absicht der Handlung richtig war? Diese Frage hat Weber ebenfalls nicht geklärt. Als Musterbeispiel der "Gesinnungsethik" verstand er eine, nicht gerade glücklich definierte, christliche "überweltliche" Moral; die Frage, ob die dämonischen Werte nicht vielleicht gerade deshalb dämonisch seien, weil sie "gesinnungsethischen", nicht "verantwortungsethischen" Charakter haben, weil sie sich den Charakter göttlichen Auftrags für einen menschlichen Wunschtraum anmaßten - dieses Problem hat Weber nie berührt. Eine Diskussion solcher Fragen wäre nur auf der Ebene der philosophischen Anthropologie möglich gewesen, vor der Weber zurückscheute. Wenn er aber auch vor einer Diskussion zurückschreckte, so hatte er sich doch durch die bloße Tatsache seines Unternehmens entschieden, in die rationale Auseinandersetzung mit den Werten einzutreten. (Fs) (notabene)

37a Der Konflikt der ratio mit den fraglosen Werten politischer Intellektueller hatte seinen Ursprung im Unternehmen einer objektiven Wissenschaft von der Politik. Die ursprüngliche Konzeption einer wertfreien Wissenschaft löste sich auf. Für die Methodologen vor Max Weber konnte eine historische und soziale Wissenschaft wertfrei sein, weil ihr Objekt durch die "wertbeziehende Methode" konstituiert wurde; innerhalb des so konstituierten Bereiches sollte dann der Wissenschaftler ohne Werturteile arbeiten. Weber sah, daß es in der Politik seiner Zeit eine Vielzahl widerstreitender "Werte" gab; jeder von ihnen konnte verwendet werden, um ein "Objekt" zu konstituieren. Das Ergebnis war dann der schon erwähnte Relativismus. Die politische Wissenschaft wurde zu einer Apologie dubioser Vorstellungen politischer Intellektueller herabgewürdigt: Wie vermied nun Weber eine solche Degradierung (denn er vermied sie in der Tat)? Wenn keiner der sich widerstreitenden Werte für ihn den Bereich der Wissenschaft konstituierte, wenn er sich seine Integrität gegenüber den politischen Werten des Tages bewahrte, welches waren dann die Werte, die seine Wissenschaft begründeten? Eine erschöpfende Antwort auf diese Fragen würde über den Rahmen der vorliegenden Studie hinausgehen. Nur das Prinzip seines Verfahrens soll veranschaulicht werden. (Fs)

38a Die "Objektivität", soweit Webers Wissenschaft sie aufweist, konnte sich nur von den authentischen Ordnungsprinzipien, wie sie in der Menschheitsgeschichte entdeckt und erarbeitet waren, herleiten. Da in der geistigen Situation Webers die Existenz einer Ordnungswissenschaft nicht zugegeben werden konnte, mußte ihr Inhalt (oder soviel davon wie möglich) dadurch eingeführt werden, daß man die historischen Ausdrücke, die er gefunden hatte, als Tatsachen und Kausalfaktoren in der Geschichte anerkannte. Während Weber als Methodologe der wertfreien Wissenschaft bekannte, er verfüge über keine Beweise gegen einen politischen Intellektuellen, der sich "dämonisch" dem Marxismus als dem von ihm erwählten Wert verschrieben hatte, untersuchte er als empirischer Soziologe die protestantische Ethik und demonstrierte, daß religiöse Überzeugungen in der Entwicklung des Kapitalismus eine ausschlaggebende Rolle gespielt haben, und nicht etwa umgekehrt die Wirtschaftsethik durch die Produktionsverhältnisse bestimmt war. Auf den vorangegangenen Seiten wurde wiederholt betont, daß die methodische Willkür nicht in völlige Irrelevanz wissenschaftlichen Arbeitens ausartete, weil der Drück theoretischer Traditionen ein ausschlaggebender Faktor in der Auswahl des Materials und der Probleme blieb. Dieser Druck, könnte man sagen, wurde von Weber zu einem Prinzip erhoben. Die drei Bände seiner Religionssoziologie z. B. warfen gewaltige Massen mehr oder weniger klar gesehener Wahrheiten über die menschliche und soziale Ordnung in die Debatte über die Struktur der Realität. Dadurch, daß er die unbestreitbare Tatsache herausstellte, daß Wahrheiten über die Ordnung - und nicht etwa nur Macht und Reichtum oder Furcht und Täuschung - Faktoren in der Ordnung der Realität sind, konnte ansatzweise so etwas wie eine Rationalität der Wissenschaft zurückgewonnen werden, wenn die Prinzipien auch nur durch die Hintertüre des "Glaubens", an dem sich das Handeln orientiert, Einlaß fanden und darum nur indirekt in Konflikt mit Webers "Werten" der Zeit geraten konnten. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Max Weber: Standard d. Objektivität; Ordnungswahrheiten als historische Tatsachen; Mittelalter - Religionssoziologie

Kurzinhalt: Man kann sich kaum ernsthaft mit dem Studium des mittelalterlichen Christentums befassen, ohne unter seinen "Werten" den Glauben an eine rationale Wissenschaft von der menschlichen und sozialen Ordnung und vor allem vom Naturrecht zu entdecken. Ja ...

Textausschnitt: 39a Weber kümmerte sich nicht um die theoretischen Schwierigkeiten, in die sein Vorgehen ihn verwickelte. Wenn die "objektive" Untersuchung historischer Prozesse z. B. ergab, daß die materialistische Geschichtsauffassung falsch war, dann gab es offenbar einen Standard der Objektivität, nach dem die Konstitution des Gegenstandes der Wissenschaft durch die "Beziehung" von Tatsachen und Problemen auf den "Wert" eines Marxisten nicht zulässig war; oder - um es ohne methodologischen Jargon zu sagen - ein Gelehrter durfte nicht Marxist sein. Wenn, aber die kritische Objektivität es einem Wissenschaftler verbot, Marxist zu sein, konnte dann überhaupt irgend jemand Marxist sein, ohne die Rationalität aufzugeben, zu der er als verantwortlicher Mensch verpflichtet war? Auf solche Fragen finden sich in Webers Werk keine Antworten. Die Zeit war noch nicht gekommen, in der man klipp und klar hätte aussprechen dürfen, der "historische Materialismus" sei nicht eine Theorie; sondern eine Verfälschung der Geschichte, oder ein "materialistischer" Interpret der Politik sei ein Ignorant. der die Elemente der Wissenschaft nicht beherrsche. Als zweite Komponente in der "Dämonie" der Werte beginnt sich, von Weber nicht als solche erkannt, eine kräftige Portion von Unwissenheit herauszustellen; und der politische Intellektuelle, der "dämonisch" die Entscheidung für seinen Wert trifft, nimmt bedenklich die Gestalt eines größenwahnsinnigen Ignoranten an. Es scheint fast, daß "Dämonie" eine Eigenschaft ist, die ein Mensch im umgekehrten Verhältnis zum Radius seines relevanten Wissens besitzt. (Fs)

40a Der gesamte Ideenkomplex - von "Werten", "Wertbeziehung", "Werturteilen" und "wertfreier Wissenschaft" -schien in Auflösung begriffen zu sein. Weber hatte eine "Objektivität" der Wissenschaft wiedergewonnen, die sich offensichtlich nicht mehr in das Schema der methodologischen Debatte einfügte. Und trotzdem. konnten nicht einmal seine religionssoziologischen Studien ihn bewegen, den entscheidenden Schritt auf eine Ordnungswissenschaft hin zu tun. Der letzte Grund seines Zögerns, wenn nicht seiner Furcht, bleibt undurchsichtig im Werk; aber der Punkt, an dem er Halt machte, ist klar erkennbar. Seine religionssoziologischen Studien haben, abgesehen von anderen Gründen, immer als eine tour de forte Bewunderung hervorgerufen. Die Fülle des Materials, das er in diesen umfangreichen Studien über den Protestantismus, den Konfuzianismus, den Taoismus, den Hinduismus, Buddhismus, Jainismus und das Judentum, die noch durch eine Abhandlung über den Islam vervollständigt werden sollten, verarbeitete, ist in der Tat achtunggebietend. Angesichts einer so gewaltigen Leistung ist vielleicht nicht genügend beachtet worden, daß die Reihe dieser Untersuchungen ihren Gesamtton von einem bezeichnenden Verzicht empfängt - von dem Verzicht auf das vorreformatorische Christentum. Der Grund für diese Auslassung dürfte durch die folgende Überlegung klar werden: Man kann sich kaum ernsthaft mit dem Studium des mittelalterlichen Christentums befassen, ohne unter seinen "Werten" den Glauben an eine rationale Wissenschaft von der menschlichen und sozialen Ordnung und vor allem vom Naturrecht zu entdecken. Ja noch mehr: Diese Wissenschaft war nicht nur eine Sache des "Glaubens", daß sie geschaffen werden könnte, sie war in der Tat als ein Werk der Vernunft durchgearbeitet vorhanden. Hier wäre Weber auf das Faktum der Ordnungswissenschaft gestoßen, ebenso wie er darauf gestoßen wäre, wenn er sich ernsthaft mit der griechischen Philosophie befaßt hätte. Webers Bereitschaft, Ordnungswahrheiten als historische Tatsachen einzuführen, machte halt vor der griechischen und der mittelalterlichen Metaphysik. Um die politische Wissenschaft eines Platon, Aristoteles oder Thomas zu "Werten" unter anderen herabzuwürdigen, hätte ein gewissenhafter Gelehrter erst zeigen müssen, daß ihr Anspruch auf Wissenschaftscharakter unbegründet sei. Und dieser Versuch, wenn er unternommen wird, überwindet sich selbst: denn wenn der Kritiker soweit in die Metaphysik eingedrungen ist, daß seine Kritik Gewicht hat, ist er selbst Metaphysiker geworden. Der Angriff auf die Metaphysik kann mit gutem Gewissen nur dann gewagt werden, wenn man ihn von der sicheren Distanz unvollständigen Wissens her unternimmt. Der Horizont von Webers empirischer Soziologie .war außerordentlich weit; um so deutlicher werden in seiner Vorsicht, ihrem entscheidenden Kern zu nahe zu kommen, die positivistischen Schranken sichtbar. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Max Weber: Zweideutigkeit d. Werkes; Beachtung d. positivistischen Tabus; Weber (das gelobte Land) - Nietzsche

Kurzinhalt: Max Webers Werk kann als ein Versuch bezeichnet werden, die politische Wissenschaft aus der Verstrickung in die Irrelevanz der Methode zu befreien und ihr wieder zu theoretischer Ordnung zu verhelfen. Die neue Theorie, um die er sich bemühte, konnte ...

Textausschnitt: 41a Das Ergebnis von Webers Werk war zweideutig. Er hatte das Prinzip einer wertfreien Wissenschaft ad absurdum geführt. Ihr Programm, den Gegenstand der Wissenschaft durch "Wertbeziehung" zu begründen, konnte nur unter der Bedingung verwirklicht werden, daß ein Gelehrter gewillt war, sich für einen bestimmten "Wert" als Bezugspunkt zu entscheiden. Weigerte sich der Wissenschaftler aber, sich für einen "Wert" zu entscheiden, stellte er alle "Werte" gleich (wie Weber es tat), und machte er sie sogar zu sozialen Tatsachen unter anderen - dann konnten die zum Objekt gewordenen "Werte" nicht mehr das Objekt der Wissenschaft konstituieren. Diese Abschaffung der "Werte" als Konstituenten der 'Wissenschaft führte zu einer theoretisch unhaltbaren Situation, denn das Objekt der Wissenschaft hat ja schließlich doch eine "Konstitution", und zwar durch das Wesen, auf das wir uns in unserer Wahrheitssuche hinbewegen. Da aber das positivistische Üel die Anerkennung einer Wissenschaft vom Wesen, einer echten episteme, nicht zuließ, mußten die Ordnungsprinzipien als historische Fakten eingeführt werden. Als Weber das große Gebäude seiner "Soziologie" (d. h. der positivistischen Flucht vor der Ordnungswissenschaft) errichtete, behandelte er keineswegs alle "Werte" als gleich. Er legte nicht eine wertlose Sammlung von Nichtigkeiten an, sondern wählte sinnvoll die Phänomene, die in der Menschheitsgeschichte "wichtig" waren; er konnte sehr wohl zwischen Hochkulturen und Nebenentwicklungen, zwischen "Weltreligionen" und unbedeutenden religiösen Phänomenen, unterscheiden. Wenn ihm auch ein durchdachtes Prinzip der Theoretisierung fehlte, so ließ er sich doch nicht von "Werten" leiten, sondern von der auctoritas majorum und von seinem eigenen Gefühl für das Bedeutende. (Fs)

42a Max Webers Werk kann als ein Versuch bezeichnet werden, die politische Wissenschaft aus der Verstrickung in die Irrelevanz der Methode zu befreien und ihr wieder zu theoretischer Ordnung zu verhelfen. Die neue Theorie, um die er sich bemühte, konnte jedoch nicht klare Gestalt finden, weil er mit peinlicher Genauigkeit das positivistische Tabu gegenüber der Metaphysik beachtete. Durch Webers Bemühungen um theoretische Klarheit wurde jedoch etwas anderes klar. Durch sein ganzes Werk hindurch kämpfte er um die Gestaltung seiner Theorie durch die Konstruktion von "Typen". Die verschiedenen Phasen, durch die der Kampf hindurch ging, können hier nicht behandelt werden. In der letzten Phase verwandte er Typen "rationalen Handelns" als Standardtypen und konstruierte dann weitere Typen der Abweichungen vom Standard der Rationalität. Dieses Verfahren war dadurch motiviert, daß Weber die Geschichte als eine Entwicklung zur Rationalität und seine eigene Zeit als den Höhepunkt der "rationalen Selbstbestimmung" des Menschen verstand. In verschiedenen Graden der Vollständigkeit führte er diesen Gedanken aus für die Wirtschaftsgeschichte, die politische Geschichte und die Religionsgeschichte und sehr erschöpfend für die Musikgeschichte. Die Grundkonzeption leitete sich offensichtlich von Comtes Geschichtsphilosophie her; und Webers eigene Geschichtsdeutung könnte zu Recht als das letzte der großen positivistischen Systeme verstanden werden. Bei Webers Durchführung des Themas wird jedoch ein neues Motiv vernehmbar. Für Comte war der Gang der Menschheit von der Theologie über die Metaphysik zur Rationalität der positiven Wissenschaft eine eindeutig progressive Entwicklung; für Weber war er ein Prozeß der Entzauberung und Entgöttlichung der Welt. Durch den Unterton seines Bedauerns über das Schwinden des göttlichen Zaubers aus der Welt, durch sein resigniertes Anerkennen des Rationalismus als eines Schicksals, das zwar zu tragen aber nicht zu wünschen sei, durch die gelegentliche Klage darüber, daß seine Seele religiös unmusikalisch sei, verriet er seine Bruderschaft im Leiden Nietzsches - wenn auch, trotz seiner Konfession, seine Seele ausreichend religiös musikalisch war, um nicht Nietzsche in dessen tragische Revolte zu folgen. Er wußte, wonach es ihn verlangte, aber er konnte nicht dahin gelangen; er sah das gelobte Land, aber er durfte es nicht betreten. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Max Weber; Restauration d. Wissenschaft d. Politik; moderner Irrationalismus; Wandlungen im religiösen Erleben

Kurzinhalt: Was Weber in der Nachfolge Comtes als modernen Rationalismus auffaßte, müßte neu interpretiert werden als moderner Irrationalismus

Textausschnitt: 4. Die Restauration von der Wissenschaft der Politik

44a Mit Max Webers Werk war der Positivismus zu seinem inneren Abschluß gekommen, und die Richtung begann sich abzuzeichnen, in der eine Erneuerung der politischen Wissenschaft sich bewegen würde. Die Korrelation zwischen dem konstituierenden "Wert" und der konstituierten "wertfreien" Wissenschaft war zusammengebrochen; die "Werturteile" hatten wieder in die Wissenschaft zurückgefunden in der Form des Glaubens, an dem sich das Handeln orientiert und dadurch die Einheiten der Sozialordnung schafft. Die letzte Bastion war Webers Überzeugung, die Geschichte bewege sich auf einen Typus der Rationalität zu, der Religion und Metaphysik in das Reich des "Irrationalen" verbanne. Und diese Bastion war nicht allzu stark, sobald man sich klar wurde, daß niemand verpflichtet war, sich in ihr zu verschanzen; man konnte ihr den Rücken kehren und die Rationalität der Metaphysik und im besonderen der philosophischen Anthropologie neu entdecken, d. h. jener Wissenschaftsbereiche, von denen Max Weber sich geflissentlich ferngehalten hat. (Fs)

44b Das Rezept ist jedoch einfacher als seine Anwendung. Denn Wissenschaft ist nicht die einsame Leistung dieses oder jenes Forschers; sie ist ein kooperatives Unternehmen. Wirksame Arbeit ist nur im Rahmen einer Tradition geistiger Kultur möglich. Wenn die Wissenschaft so völlig ruiniert ist, wie dies um 1900 der Fall war, dann ist die Wiedergewinnung theoretischer Grundlagen schon für sich eine beträchtliche Aufgabe, ganz zu schweigen von der Materialmasse, die neu bearbeitet werden muß, um die Relevanzordnung der Tatsachen und Probleme wiederherzustellen. Ferner dürfen die menschlichen Schwierigkeiten nicht unterschätzt werden: die Entwicklung neuer, der Konvention zuwiderlaufender Ideen wird unvermeidlich auf den Widerstand der Umgebung stoßen. Ein Beispiel möge die Natur dieser verschiedenen Schwierigkeiten verständlich machen. (Fs) (notabene)

45a Wie soeben dargelegt wurde, verstand Weber Geschichte noch als ein Wachsen der Rationalität im positivistischen Sinne. Von einer Ordnungswissenschaft her gesehen ist jedoch der Ausschluß der scientia prima aus dem Bereich der Vernunft nicht ein Wachsen, sondern ein Rückgang der Rationalität. Was Weber in der Nachfolge Comtes als modernen Rationalismus auffaßte, müßte neu interpretiert werden als moderner Irrationalismus. Schon diese Umkehrung allgemein akzeptierter Wortbedeutungen würde auf Widerstand stoßen. Aber eine Neuinterpretation könnte an diesem Punkt nicht Halt machen. Die Ablehnung hoch entwickelter Wissenschaften und der Rückzug auf eine niedrigere Rationalitätsstufe hat erlebnismäßig tiefgehende Motive. Eine genauere Untersuchung würde gewisse Wandlungen im religiösen Erleben als die tiefste Ursache für das Widerstreben enthüllen, die ratio von Ontologie und philosophischer Anthropologie anzuerkennen; und in der Tat begann in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die Erforschung des Sozialismus als religioser Bewegung, eine Erforschung, die sich später zum umfassenden Studium totalitärer Bewegungen als neuer Mythen oder Religionen ausweitete. Die Untersuchung würde darüber hinaus zu dem allgemeinen Problem der Beziehungen zwischen Rationalitätstypen und Typen religiöser Erfahrung führen. Manche religiöse Erfahrungen würden als höher, andere als niedriger zu klassifizieren sein nach dem Maßstab des Rationalitätsgrades, den sie in der Interpretation der Wirklichkeit zulassen. Die religiösen Erfahrungen der griechischen Philosophie und des Christentums würden hoch zu werten sein, weil sie die Entfaltung der Metaphysik zulassen; die religiösen Erfahrungen von Comte und Marx würden als niedrig eingestuft werden, weil sie die metaphysische Fragestellung verbieten. Solche Erwägungen würden das positivistische Bild der Entwicklung von einer frühen religiösen oder theologischen Phase der Menschheit bis zur Höhe der positiven Wissenschaft radikal umstoßen. Nicht nur würde die Linie der Entwicklung, zumindest für die Neuzeit, von einer höheren zu einer niedrigeren Stufe der Rationalität verlaufen, sondern darüber hinaus müßte dieser Abstieg der ratio als die Folge geistigen Rückschrittes aufgefaßt werden. Damit würde eine Deutung westlicher Geschichte, die in Jahrhunderten entstanden war, revolutioniert werden. Und eine Revolution solchen Ausmaßes würde auf die Opposition "progressiver" Elemente stoßen, die sich plötzlich in der Lage rückschrittlicher Irrationalisten befänden. (Fs) (notabene)

46a Die Möglichkeiten einer Neuinterpretation des Rationalismus sowie der positivistischen Geschichtsauffassung wurden im Modus des Konjunktivs formuliert, um den prekären, hypothetischen Charakter einer Erneuerung der politischen Wissenschaft um die Jahrhundertwende anzudeuten. Ideen dieser Art waren im Umlauf; aber von der Gewißheit, daß es mit der Lage der Wissenschaft nicht zum Besten bestellt war, bis zu der genauen Erkenntnis der Natur des Übels war ein weiter Weg zurückzulegen; und ebenso weit war der Weg von ersten Mutmaßungen über die einzuschlagende Richtung bis zur Erreichung des Ziels. Eine große Zahl von Vorbedingungen mußten erfüllt sein, ehe die konjunktivischen Erwägungen in die Form indikativischer Aktion übertragen werden konnten. Das Verständnis für die Ontologie wie auch die rein handwerksmäßige Technik des Philosophierens mußten neu erworben, und vor allem mußte die philosophische Anthropologie wieder als Wissenschaft neu begründet werden. Mit Hilfe der wiedergewonnenen Maßstäbe wurde es dann möglich, in sachlicher Hinsicht die Irrationalität der positivistischen Position im einzelnen präzis zu beschreiben. Zu diesem Zweck mußten die Werke der führenden positivistischen Denker sorgfältig analysiert werden, um den entscheidenden Punkt ihrer Ablehnung rationaler Argumente genau festzustellen; man mußte z. B. die Stellen in den Werken von Comte und Marx aufzeigen, an denen diese Denker die Gültigkeit der metaphysischen Fragestellung anerkannten, sich aber weigerten, sich ihr zu beugen, weil sie dadurch ihr irrationales Meinen und ihre Absichten gefährdet hätten. Wenn die Untersuchung weiter bis zu den Motiven des Irrationalismus vordrang, mußte das positivistische Denken, wiederum auf Grund der Quellen, als eine Variante des Theologisierens genauer bestimmt werden; und schließlich mußten die zugrunde liegenden religiösen Erlebnisse diagnostiziert werden. Diese Diagnose wieder konnte nur dann erfolgreich durchgeführt werden, wenn eine allgemeine Theorie religiöser Phänomene so weit ausgearbeitet war, daß sie die Subsumierung der konkreten Fälle unter Typen gestattete. Die allgemeine These betreffend den Zusammenhang zwischen Rationalitätsgraden und religiösen Erfahrungen, ferner auch der Vergleich mit griechischen und christlichen Beispielen, erforderten ein erneutes Studium der griechischen Philosophie, welches den Zusammenhang zwischen der Entfaltung der griechischen Metaphysik und den religiösen Erfahrungen der Philosophen, die sie entwickelt haben, herausstellte; und ein erneutes Studium der mittelalterlichen Philosophie mußte den entsprechenden Zusammenhang für den Fall des Christentums feststellen. Darüber hinaus mußten die charakteristischen Unterschiede von griechischer und christlicher Metaphysik aufgezeigt werden, die den Unterschieden der religiösen Erfahrung zugeschrieben werden konnten. Und erst nachdem alle diese vorbereitenden Studien durchgeführt, nachdem die Begriffe für die Behandlung der Probleme konstruiert und die Urteile durch die Quellen gestützt waren, konnte man sich der abschließenden Aufgabe zuwenden, die Ordnung der Geschichte, in welche diese mannigfaltigen Phänomene sich eingliedern ließen, theoretisch verständlich zu machen. (Fs) (notabene)

48a Die Aufgabe der Erneuerung ist tatsächlich unternommen worden; und heute ist sie soweit gediehen, daß zumindest die Grundlagen für eine neue Ordnungswissenschaft gelegt sind. Eine eingehende Schilderung des weitgespannten Unternehmens geht über den hier vorgesehenen Rahmen hinaus - sie müßte zu einer umfassenden Geschichte der Wissenschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts anwachsen. Die folgenden Untersuchungen über das Repräsentationsproblem haben den Zweck, den Leser mit dieser Bewegung sowie auch mit der Verheißung, die sie für die Erneuerung der politischen Wissenschaft bedeutet, bekannt zu machen. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Zusammenfassung: deskriptive (konstitutionelle) - existentielle Repräsentation

Kurzinhalt: .. daß eine politische Gesellschaft existent wird, wenn sie sich artikuliert und einen Repräsentanten hervorbringt

Textausschnitt: 9. Zusammenfassung

77b Die Analyse der Repräsentation auf dieser Ebene ist erschöpft. Die Zusammenfassung ihrer Ergebnisse kann kurz gehalten werden. (Fs)

77c Wir haben der Reihe nach die Repräsentation im deskriptiven und im existentiellen Sinne behandelt. Der Übergang vom ersten Typus zum zweiten war deshalb nötig, weil die bloße Beschreibung der äußeren Realisierung einer politischen Gesellschaft die fundamentale Frage ihrer Existenz nicht berührte. Die Frage nach den Bedingungen der Existenz führte sodann zu den Problemen der Artikulierung sowie zum Verständnis der engen Beziehung zwischen den Typen der Artikulierung und der Repräsentation. Das Resultat dieser Analyse läßt sich in der Definition ausdrücken, daß eine politische Gesellschaft existent wird, wenn sie sich artikuliert und einen Repräsentanten hervorbringt. Wird diese Definition akzeptiert, so ergibt sich, daß der deskriptive Typus repräsentativer Institutionen nur die äußere Realisierung eines speziellen Artikulations- und Repräsentationstypus umfaßt. In der kritischen Wissenschaft wird es daher ratsam sein, den Gebrauch des Ausdrucks "Repräsentation" auf seinen existentiellen Sinn zu beschränken. Nur wenn sein Gebrauch auf diese Weise eingeschränkt wird, wird die Artikulierung der Gesellschaft als das existentiell alles beherrschende Problem deutlich sichtbar, und nur dann werden die sehr speziellen historischen Bedingungen verständlich, unter denen sich die gemeinhin als solche bezeichneten repräsentativen Institutionen entwickeln können. Es wurde bereits angedeutet, daß sie nur in der griechisch-römischen und in der westlichen Kultur auftreten; und die Bedingung ihrer Entwicklung wurde vorläufig als der Prozeß formuliert, in dem sich das Individuum zur vertretbaren Einheit artikuliert. Im Lauf der Analyse tauchten ferner eine Reihe von Problemen auf, die zunächst nicht weiter verfolgt werden konnten - wie z. B. das Symbol "Volk", Fortescues intencio populi mit ihren immanentistischen Implikationen, und die Beziehung eines geschlossenen Reiches zur spiritualen Repräsentation des Menschen in der Kirche. Diese nur kurz gestreiften Probleme werden im weiteren Verlauf der Untersuchungen wieder aufgegriffen werden. (Fs) (notabene)

78a Die adäquate Begriffsdifferenzierung erwies sich jedoch als von nicht ausschließlich theoretischem Interesse. Die ungenügende Unterscheidung zwischen elementaren und existentiellen Problemen war als Tatsache in der politischen Realität zu beobachten. Als Realitätsfaktor wirft diese Konfusion ein Sonderproblem auf. Der Anspruch, daß unter dem Symbol "Repräsentation" nur ein Sonderfall von Artikulierung verstanden werden dürfte, ist ein Symptom von politischem und kulturellem Provinzialismus. Und provinzielle Engstirnigkeiten dieser Art können, wenn sie die Struktur der Realität verdunkeln, gefährlich werden. Hauriou gab nachdrücklich zu verstehen, daß Repräsentation im deskriptiven Sinn keine Sicherheit gegen existentielle Auflösung und Neuartikulierung einer Gesellschaft gewährleistet. Wenn ein Repräsentant seine existentielle Aufgabe nicht erfüllt, wird ihn keine konstitutionelle Legalität seiner Stellung retten können; wenn eine schöpferische Minorität, um mit Toynbee zu sprechen, zu einer herrschenden Minorität geworden ist, gerät sie in die Gefahr, durch eine neue schöpferische Minorität verdrängt zu werden. Die Vernachlässigung dieses Problems hat in der Praxis in unserer Zeit bedeutsam zu den inneren Umwälzungen in den westlichen politischen Gesellschaften beigetragen, wie auch zu deren gewaltigen Auswirkungen auf der internationalen Ebene. (Fs)

79a Die Außenpolitik der westlichen Demokratien ist an den internationalen Wirren mitschuldig durch ihr aufrichtiges, aber naives Bemühen, die Übel der Welt zu heilen durch die Ausdehnung repräsentativer Institutionen im deskriptiven Sinn auf Länder, denen die existentiellen Voraussetzungen für sein Funktionieren noch fehlen. Diese Politik läßt sich nicht aus den Schwächen einzelner Staatsmänner erklären - obwohl auch solche Schwächen deutlich erkennbar sind. Sie ist vielmehr symptomatisch für einen Widerstand, der Realität ins Gesicht zu sehen, der in den Gefühlen und Meinungen unserer zeitgenössischen westlichen Gesellschaften tief verwurzelt ist. Nur weil diese Schwächen Symptome eines Massenphänomens sind, kann man mit Recht von einer Krise der westlichen Zivilisation sprechen. Die Ursachen dieser Erscheinung werden im Verlauf der folgenden Untersuchung ausführlich behandelt werden; ihre kritische Erforschung setzt aber ein genaues Wissen um die Beziehungen zwischen Theorie und Wirklichkeit voraus. Wir müssen daher die Beschreibung der theoretischen Situation, die zu Beginn dieses Kapitels unvollständig geblieben war, wieder aufnehmen. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation und Wahrheit 1; Symbolik der Gesellschaft und Wahrheit der Theorie; ein Theoretiker als außerhalb der sozilane Realität?

Kurzinhalt: Die Symbole, in denen eine Gesellschaft den Sinn ihrer Existenz aussagt, wollen wahr sein. Wenn nun der Theoretiker zu einer anderen Aussage gelangt, so gelangt er damit zu einer anderen Wahrheit betreffend den Sinn der menschlichen Existenz in der ...

Textausschnitt: II. Repräsentation und Wahrheit

1. Die Symbolik der Gesellschaft und die Wahrheit der Theorie

81a Bei ihrem ersten Ansatz hielt sich die Analyse an die aristotelische Methode einer Untersuchung von Sprachsymbolen, wie sie in der politischen Wirklichkeit vorkommen, in der Hoffnung, daß dieses Verfahren der Klärung zu kritisch haltbaren Begriffen führen würde. Die Gesellschaft war ein sinnerfülltes Kosmion, von innen her erhellt durch seine Selbstinterpretation. Da nun diese kleine sinnhaltige Welt eben der Gegenstand war, den die politische Wissenschaft zu erforschen hatte, schien die Methode, die von den in der Wirklichkeit vorhandenen Symbolen ausgeht, zumindest den Gegenstand sicherzustellen. (Fs)

81b Die Sicherstellung des Gegenstandes ist aber nicht mehr als der erste Schritt in der Untersuchung, und ehe wir uns weiter vorwagen, muß festegestellt werden, ob überhaupt ein Weg vorhanden ist und wohin dieser führt. Eine Anzahl von Annahmen wurden gemacht, die nicht ohne nähere Begründung hingenommen werden können. Es wurde vorausgesetzt, daß man von sozialer Realität sprechen könne und von einem Theoretiker, der sie erforsche, von kritischer Klärung und theoretischen Zusammenhängen, von Symbolen der Theorie, die aber nicht identisch mit den in der Wirklichkeit vorhandenen Symbolen zu sein schienen, und von Begriffen, die sich einerseits auf die Wirklichkeit bezogen, andererseits ihre Bedeutung von der Wirklichkeit, durch die mysteriöse Methode der kritischen Klärung, herleiteten. Eine ganze Reihe von Fragen drängt sich auf. Ist es möglich, daß ein Theoretiker eine Person außerhalb der sozialen Realität ist, oder ist er nicht vielmehr ein Teil von ihr? Und wenn er der Realität angehören sollte, in welchem Sinne kann diese dann sein Objekt sein? Und wie geht er eigentlich bei einer Klärung der in der Realität vorhandenen Symbole vor? Wenn er lediglich Unterscheidungen einführt, Äquivokationen beseitigt, aus zu allgemein gehaltenen Urteilen den richtigen Kern herausschält, Symbole und Sätze logisch widerspruchsfrei macht und dergleichen mehr, wäre dann nicht jeder, der an der Selbstinterpretation der Gesellschaft Anteil hat, zumindest ein Amateur-Theoretiker, und wäre Theorie im strengen Sinne mehr als eine besser durchdachte Selbstinterpretation? Oder besitzt der Theoretiker vielleicht eigene Interpretationskriterien, an denen er die Selbstinterpretation der Gesellschaft mißt? Und bedeutet Klärung, daß er à propos der in der Wirklichkeit vorhandenen Symbole eine Interpretation von überlegener Qualität entwickelt? Doch wenn dies der Fall wäre, entstünde dann nicht ein Konflikt zwischen zwei verschiedenen Interpretationen? (Fs)

82a Die Symbole, in denen eine Gesellschaft den Sinn ihrer Existenz aussagt, wollen wahr sein. Wenn nun der Theoretiker zu einer anderen Aussage gelangt, so gelangt er damit zu einer anderen Wahrheit betreffend den Sinn der menschlichen Existenz in der Gesellschaft. Und dann erhebt sich die Frage: Was ist diese Wahrheit, die der Theoretiker repräsentiert, diese Wahrheit, die ihm die Maßstäbe an die Hand gibt, nach denen er die von der Gesellschaft repräsentierte Wahrheit zu messen vermag? Aus welcher Quelle fließt diese Wahrheit, die offenbar in kritischem Gegensatz zur Gesellschaft entwickelt wird? Und wenn die vom Theoretiker repräsentierte Wahrheit nicht mit der von der Gesellschaft repräsentierten Wahrheit übereinstimmt, wie soll sich dann die eine aus der anderen entwickelt haben durch die so harmlos scheinende Methode der kritischen Klärung? (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation und Wahrheit 2; Gesellschaft als Repräsentant kosmischer Ordnung; Achaemeniden, Darius I.; Brief des Kuyuk Khan an Papst Innozenz IV; Dschingis-Khan

Kurzinhalt: Die vom Theoretiker vertretene Wahrheit wurde einer von der Gesellschaft vertretenen entgegengesetzt. Ist diese Gegenüberstellung sinnvoll? Gibt es wirklich so etwas wie Repräsentation der Wahrheit in den politischen Gesellschaften?

Textausschnitt: 2. Die Gesellschaft als Repräsentant kosmischer Ordnung

83a Gewiß können diese Fragen nicht alle auf einmal beantwortet werden. Ihre Aufzählung sollte jedoch erkennen lassen, wie verwickelt die theoretische Situation ist. Die Analyse wird sich zweckmäßigerweise auf den Punkt konzentrieren, an dem die Fragen unserem Thema am nächsten kommen, d. h. auf die Fragen betreffend den Wahrheitskonflikt. Die vom Theoretiker vertretene Wahrheit wurde einer von der Gesellschaft vertretenen entgegengesetzt. Ist diese Gegenüberstellung sinnvoll? Gibt es wirklich so etwas wie Repräsentation der Wahrheit in den politischen Gesellschaften? Wenn dies der Fall sein sollte, dann wäre das Repräsentationsproblem durch die Repräsentation im existentiellen Sinne nicht erschöpft. Dann würde zu unterscheiden sein zwischen der Repräsentation einer Gesellschaft durch ihre existentiellen Repräsentanten, und einer zweiten Relation, in welcher die Gesellschaft selbst etwas, das über sie hinausgeht, eine transzendente Wirklichkeit, repräsentiert. Ist eine solche Relation in den historischen Gesellschaften konkret vorhanden? (Fs)

84b Man stößt in der Tat auf sie, in der Geschichte der größeren, über Stammeseinheiten hinausgehenden Gesellschaften bis zurück zu ihren Anfängen. Alle frühen Reiche des Nahen wie des Fernen Ostens faßten sich als Repräsentanten einer transzendenten Ordnung, der Ordnung des Kosmos auf, und einige unter ihnen verstanden diese Ordnung als eine "Wahrheit". Ob man sich den frühesten chinesischen Quellen im Shu-ching oder den ägyptischen, babylonischen, assyrischen oder persischen Inschriften zuwendet, überall wird die Ordnung des Reiches als Repräsentation der kosmischen Ordnung in dem Medium der menschlichen Gesellschaft interpretiert. Das Reich ist ein kosmisches Analogon, ein Mikrokosmos als Spiegel des allumfassenden Makrokosmos. Herrschaft wird zur Aufgabe, die Gesellschaftsordnung in Einklang mit der kosmischen Ordnung zu bringen. Das Territorium des Reiches repräsentiert analogisch die Welt mit ihren vier Himmelsrichtungen; die großen Zeremonien des Reiches repräsentieren den Rhythmus des Kosmos; Feste und Opferfeiern sind eine kosmische Liturgie, eine symbolische Teilnahme des Kosmion am Kosmos; und der Herrscher selbst repräsentiert die Gesellschaft, weil er auf Erden die transzendente Macht repräsentiert, die die kosmische Ordnung aufrechthält. Der Ausdruck "Kosmion" gewinnt damit die zusätzliche Bedeutungskomponente des Repräsentanten des Kosmos. (Fs) (notabene)

84a Ein Ordnungsunternehmen dieser Art stößt auf den Widerstand innerer und äußerer Feinde; der Herrscher kann in seiner menschlichen Begrenzung durch äußere Umstände oder durch eigene schlechte Führung Rückschläge erleiden, die zu inneren Umwälzungen und äußeren Niederlagen führen. Die Erfahrungen des Widerstandes sind nun die Gelegenheiten, bei denen der Sinn der Wahrheit deutlicher in den Blick kommt. Insofern als die Gesellschaftsordnung nicht automatisch existiert, sondern begründet, bewahrt und verteidigt werden muß, gelten alle, die sich auf der Seite der Ordnung befinden, als Repräsentanten der Wahrheit, während ihre Feinde die Unordnung und Unwahrheit repräsentieren. (Fs)

84b Diese Stufe der Selbstinterpretation eines Reiches wurde von den Achaemeniden erreicht. Die Inschrift von Behistun, die die Großtaten Darius I. verherrlicht, bezeichnet den König als Sieger, weil er als rechtschaffenes Werkzeug Ormuzds handelte. Er "war kein Böser noch ein Lügner", weder er noch seine Familie huldigten Ahriman, der Lüge, sondern sie waren "rechtliche Herrscher"1. Was jedoch die Feinde anbetrifft, so versichert uns die Inschrift, daß "die Lüge sie rebellisch machte, so daß sie das Volk hintergingen. Daher übergab Ormuzd sie in meine Hände"2. Die Ausdehnung des Reiches und die Unterwerfung seiner Feinde werden in dieser Vorstellungswelt zur Errichtung eines irdischen Friedensreiches durch den König, der als Repräsentant des göttlichen Herrn der Weisheit handelt. Darüber hinaus verästelt sich die Auffassung bis in das Ethos des politischen Verhaltens. Die Rebellen gegen die Wahrheit sind zwar als solche vor allem erkennbar an ihrem Widerstand gegen den König, aber außerdem sind sie als die Repräsentanten der Lüge erkenntlich an der Lügenpropaganda, die sie verbreiten, um das Volk irrezuführen. Dem König hingegen obliegt die Pflicht, sich in seinen Äußerungen genauestens an die Wahrheit zu halten. Die Inschrift von Behistun enthält folgenden eindrucksvollen Passus: "Durch Ormuzds Gnade war es mir vergönnt, noch viele Dinge zu tun, die nicht hier eingemeißelt sind. Sie wurden nicht erwähnt, damit dem zukünftigen Leser meine Taten nicht allzu groß erscheinen mögen, so daß er sie nicht glauben, sondern für Lügen halten würde."3 Nicht die geringste Übertreibung ist dem Repräsentanten der Wahrheit gestattet, er muß im Gegenteil seine Taten verkleinern. (Fs)

86a Angesichts eines so betont tugendhaften Verhaltens beginnt man sich zu fragen, was wohl die Gegenseite sagen würde, wenn sie die Möglichkeit hätte, sich zu äußern. Es wäre interessant zu wissen, welcher Art Höflichkeiten ausgetauscht würden, wenn zwei oder mehr solcher Repräsentanten der Wahrheit in Wettbewerb um die Errichtung der einen wahren Ordnung der Menschheit träten. Es liegt in der Natur der Sache, daß ein solcher Zusammenstoß sich nur selten ereignet, aber immerhin gibt es einen lehrreichen Fall im Verlauf der Mongolenzüge, die im 13. Jahrhundert das Westreich auszulöschen drohten. Sowohl der Papst als auch der König von Frankreich schickten damals Gesandte an den mongolischen Hof, welche die Absichten der gefährlichen Eroberer erkunden und ganz allgemein Verbindungen anknüpfen sollten. Die Noten, die den Gesandten mitgegeben wurden, wie auch ihre persönlichen Vorstellungen müssen wohl Klagen über die mongolischen Greueltaten in Osteuropa enthalten haben, ferner Kommentare betreffend die Unsittlichkeit solchen Verhaltens, insbesondere wenn die Opfer Christen waren, und sogar die Forderung, die Mongolen sollten die Taufe empfangen und sich der Autorität des Papstes unterwerfen. Die Mongolen erwiesen sich jedoch als Meister der politischen Theologie. In einem erhaltenen Brief des Kuyuk Khan an Papst Innozenz IV4. werden die Vorstellungen der Gesandten genauestens beantwortet. Eine Stelle daraus lautet: (Fs)

Ihr habt gesagt, es wäre gut, daß ich die Taufe empfange; du hast es mich selbst wissen lassen, und hast mir die Bitte geschickt.
Diese deine Bitte habe ich nicht zur Kenntnis genommen.
Ein anderer Punkt: Ihr habt uns die Worte geschickt, "Ihr habt die Reiche der Magyaren und der Christen insgesamt genommen; darüber verwundere ich mich. Sagt uns, was haben diese für eine Schuld?"
Auch diese deine Worte haben wir nicht zur Kenntnis genommen. (Fs)

(Um jedoch jeglichen Anschein zu vermeiden, als würden wir diesen Punkt stillschweigend übergehen, antworten wir euch folgendes):
Den Befehl Gottes haben Dschingis-Khan und der Kha-Khan alle beide geschickt, um sie kund zu machen.
Aber dem Befehl Gottes haben sie nicht geglaubt.
Sie, von denen dein Wort, haben sogar großen Rat gehalten. Sie zeigten sich hochfahrend und töteten unsere Gesandten. Der ewige Gott hat in diesen Reichen die Männer getötet und vernichtet.
Wie könnte jemand, nur aus eigener Kraft, ohne den Befehl Gottes, töten, wie könnte er nehmen? (Fs)

Und wenn du sagst: "Ich bin Christ, ich bete Gott an, ich verachte die andern",
Wie weißt du, wem Gott vergibt, und wem er Barmherzigkeit zuwendet? Wie weißt du es, daß du solche Worte sprichst? (Fs)

Aus der Kraft Gottes
wurden alle Reiche vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang uns verliehen.
Ohne den Befehl Gottes,
Wie könnte einer irgend etwas tun?
Jetzt müßt ihr aufrichtigen Herzens sagen:
"Wir wollen untertan sein,
wir geben unsere Kraft."
Du in Person, an der Spitze der Könige, alle zusammen, ohne Ausnahme, kommt uns Dienst und Huldigung zu bringen; dann werden wir eure Unterwerfung anerkennen. Und wenn ihr dem Befehl Gottes nicht gehorcht
und unserem Befehl zuwiderhandelt,
dann wissen wir euch unseren Feind. (Fs)

Das tun wir euch kund;
wenn ihr zuwiderhandelt,
was wissen dann wir?
Gott weiß es.5 (Fs)
88a Diese Begegnung zwischen Wahrheit und Wahrheit hat vertrauten Klang. Und er wird noch vertrauter, wenn einige Folgerungen der mongolischen Rechtstheorie berücksichtigt werden. Der Auftrag Gottes, auf den sich die Errichtung des Mongolenreiches gründete, ist in den Edikten des Kuyuk Khan und des Mangu Khan erhalten: (Fs)

Im Auf trag des lebendigen Gottes
sagt Dschingis-Khan, der süße und ehrwürdige Sohn Gottes:
Gott ist hoch über allem, Er, Er selbst, der unsterbliche Gott, Und auf Erden ist Dschingis-Khan der einzige Herr.6

89a Das Reich, in dem Dschingis-Khan der Herr ist, existiert de jure, selbst wenn es de facto noch nicht verwirklicht ist. Kraft des Gottesauftrags sind alle menschlichen Gesellschaften Teile des Mongolenreiches, selbst wenn sie noch nicht erobert sind. Die tatsächliche Expansion des Reiches erfolgt nach einem genau festgelegten Rechtsverfahren. Gesellschaften, die an der Reihe sind, in das Reich eingegliedert zu werden, müssen durch Gesandte von dem Auftrag Gottes in Kenntnis gesetzt und zur Unterwerfung aufgefordert werden. Wenn sie sich weigern oder etwa die Gesandten töten, dann sind sie Rebellen und es werden militärische Sanktionen gegen sie verhängt. Das Mongolenreich hat somit nach seiner eigenen Rechtsordnung niemals einen Krieg geführt, sondern lediglich Strafexpeditionen gegen rebellische Untertanen des Reiches unternommen.7 (Fs) (notabene)

89b Es wird jetzt wohl klar geworden sein, daß die Inschriften von Behistun und die Mongolenbefehle nicht als Kuriositäten aus einer weit zurückliegenden Vergangenheit zu betrachten sind, sondern als Beispiele eines politischen Ordnungsprinzips, das zu jeder Zeit, und besonders in unserer eigenen, auftreten kann. Das Selbstverständnis einer Gesellschaft als Repräsentant kosmischer Ordnung rührt aus dem Zeitalter der kosmologischen Reiche, in dem es erstmals greifbar wird, ist aber nicht auf dieses beschränkt. Die kosmologische Repräsentation lebt nicht nur in den kaiserlichen Symbolen des westlichen Mittelalters oder kontinuierlich bis in das China des zwanzigsten Jahrhunderts weiter. Ihr Prinzip ist auch dort erkennbar, wo die zu repräsentierende Wahrheit auf ganz andere Weise symbolisiert wird. In der Marx'schen Dialektik zum Beispiel wird die Wahrheit der kosmischen Ordnung durch die Wahrheit einer historisch immanenten Ordnung ersetzt. Dennoch ist die kommunistische Bewegung der Repräsentant dieser auf andere Weise symbolisierten Wahrheit in dem selben Sinn, in dem ein Mongolenkhan der Repräsentant der im Auftrag Gottes enthaltenen Wahrheit war, und das Bewußtsein dieser Repräsentation führt zu der gleichen politischen und juristischen Konstruktion wie in den anderen Fällen imperialer Repräsentation der Wahrheit. Ihre Ordnung ist im Einklang mit der Wahrheit der Geschichte; ihr Ziel ist die Etablierung eines Reiches der Freiheit und des Friedens; die Gegner widersetzen sich der Wahrheit der Geschichte und werden letztlich besiegt werden; kein Land kann sich legitim mit der Sowjetunion im Krieg befinden, sondern muß Repräsentant des Unwahren in der Geschichte sein oder, nach heutigem Sprachgebrauch, ein Aggressor; und die Opfer werden nicht erobert, sondern von ihren Unterdrückern und damit von der Unwahrheit ihrer Existenz befreit. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation und Wahrheit 3; kosmologische Reiche; Herausforderung der kosmologischen Wahrheit -> Achsenzeit

Kurzinhalt: Ist der Zusammenstoß von Reichen der einzige Prüfstein der Wahrheit, so daß das Recht auf der Seite der siegreichen Macht liegen muß? Das bloße Aufwerfen dieser Fragen ist schon zum Teil ihre Beantwortung ...

Textausschnitt: 3. Die Herausforderung an die imperiale Wahrheit


90a Politische Gesellschaften als Repräsentanten der Wahrheit kommen also tatsächlich in der Geschichte vor. Doch sobald diese Tatsache erkannt ist, drängen sich neue Fragen auf. Sind alle politischen Gesellschaften monadische Wesenheiten, welche die Universalität der Wahrheit durch ihren universalen Reichsanspruch ausdrücken? Kann der Monadismus einer solchen Repräsentation nicht dadurch zerstört werden, daß man die Gültigkeit der Wahrheit in jedem Fall in Frage stellt? Ist der Zusammenstoß von Reichen der einzige Prüfstein der Wahrheit, so daß das Recht auf der Seite der siegreichen Macht liegen muß? Das bloße Aufwerfen dieser Fragen ist schon zum Teil ihre Beantwortung, da durch die Fragestellung der Zauber der monadischen Repräsentation gebrochen wird. Durch unser Fragen haben wir uns selbst zum Repräsentanten der Wahrheit erhoben, in deren Namen wir fragen, wenn auch Wesen und Ursprung dieser Wahrheit noch nicht deutlich erkennbar sind. An diesem Punkt beginnen jedoch die Schwierigkeiten. Das Herausfordern imperialer Wahrheit und die Etablierung der herausfordernden theoretischen Wahrheit sind eine komplexe Angelegenheit, die genauere Untersuchung erfordert. (Fs) (notabene)

91a Die Entdeckung der Wahrheit, die befähigt ist, die Wahrheit der kosmologischen Reiche herauszufordern, ist selbst ein historisches Ereignis größeren Ausmaßes. Es ist ein Prozeß, der sich über etwa fünf Jahrhunderte in der Menschheitsgeschichte erstreckt, grob gerechnet von 800 bis 300 v. Chr. Er vollzieht sich zur gleichen Zeit in den verschiedenen Kulturen, jedoch ohne daß eine gegenseitige Beeinflussung zu erkennen wäre. In China ist es das Zeitalter des Konfuzius und des Lao-tse sowie der anderen Philosophenschulen, in Indien das Zeitalter der Upanischaden und des Buddha, in Persien das der Zoroasterlehre, in Israel das der Propheten, in Hellas das der Philosophen und der Tragödie. Als besonders charakteristische Phase in diesem sich lange hinziehenden Prozeß mag die Periode um 500 v. Chr. angesehen werden, als Heraklit, Buddha und Konfuzius zu gleicher Zeit lebten. Dieses gleichzeitige Hervorbrechen der Wahrheit der mystischen Philosophen und Propheten hat, seitdem es durch die Erweiterung des historischen Horizonts im 18. und 19. Jahrhundert voll erkennbar wurde, das Interesse der Historiker und Philosophen auf sich gezogen. Manche neigen dazu, in ihm die entscheidende Epoche der Menschheitsgeschichte zu sehen. Karl Jaspers bezeichnete es in einer Studie über Ursprung und Ziel der Geschichte als die Achsenzeit der menschlichen Geschichte, als das eine große Zeitalter, das für die gesamte Menschheit relevant sei zum Unterschied vom Zeitalter Christi, das, wie er annimmt, nur für die Christen relevant sei.1 Und in dem klassischen Meisterwerk zeitgenössischer Gesellschaftsphilosophie, Les deux sources de la morale et de la religion, schuf Henri Bergson die Begriffe einer geschlossenen und einer offenen Gesellschaft, um die beiden sozialen Zustände in der Menschheitsentwicklung zu charakterisieren, die durch diese Epoche markiert wurden.2 Nicht mehr als diese knappe Andeutung ist zur allgemeinen Orientierung über das Problem möglich; wir müssen uns der besonderen Form zuwenden, die dieser Ausbruch im Westen angenommen hat. Denn nur im Abendland hat dieser Ausbruch infolge besonderer historischer Umstände, die in anderen Kulturen nicht vorhanden waren, seinen Höhepunkt in der Begründung der Philosophie im griechischen Sinne und insbesondere einer Theorie der Politik erreicht. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation und Wahrheit 4; Platon: Polis -> Mensch großgeschrieben (man writ large); Entsprechung: Gesellschaft - Typus von Mensch (Athen - Sophist)

Kurzinhalt: ... Prinzip besagt es, daß jede Gesellschaft in ihrer Ordnung den Typus der Menschen reflektiert, aus denen sie sich zusammensetzt: ... [Theoretiker] ... wird es eine seiner ersten ... Aufgabe[n] sein, den Menschentypus zu ermitteln, der sich ...

Textausschnitt: 4. Polis writ large1

93a Der Satz Platons, daß die Polis der großgeschriebene Mensch sei, ist wohl allgemein bekannt.3 Die Formel, darf man sagen, ist das Glaubensbekenntnis des neuen Zeitalters. Zwar ist sie Platons erstes Wort in der Sache und bei weitem nicht sein letztes. Aber wenn das Prinzip auch durch die Einführung anderer eingeschränkt werden muß, und wenn auch der kosmologischen Interpretation und der Wahrheit, die in ihr steckt, Zugeständnisse gemacht werden müssen, so ist es dennoch das dynamische Lebenszentrum der neuen Theorie. Der Keil dieses Prinzips muß immer wieder in die Idee getrieben werden, daß die Gesellschaft nichts repräsentiere als kosmische Wahrheit, heute noch genau so wie zur Zeit Platons. Eine existente politische Gesellschaft muß ein geordnetes Kosmion sein, aber nicht auf Kosten des Menschen; sie soll nicht nur ein Mikrokosmos sein, sondern auch ein Makroanthropos. Dieses Prinzip Platons werden wir in der Folge kurz das anthropologische Prinzip nennen. (Fs)

93b Zwei Aspekte dieses Prinzips müssen auseinandergehalten werden. Unter dem ersten Aspekt ist es ein allgemeines Prinzip zur Interpretation der Gesellschaft. Unter dem zweiten ist es ein Instrument der Sozialkritik. (Fs)

93c Als allgemeines Prinzip besagt es, daß jede Gesellschaft in ihrer Ordnung den Typus der Menschen reflektiert, aus denen sie sich zusammensetzt: kosmologische Reiche z. B. bestehen aus Menschen, welche die Wahrheit ihrer Existenz als Harmonie mit dem Kosmos erfahren. Es handelt sich um ein heuristisches Prinzip erster Ordnung; denn wenn der Theoretiker eine politische Gesellschaft zu verstehen sucht, wird es eine seiner ersten, wenn nicht die erste Aufgabe sein, den Menschentypus zu ermitteln, der sich in der Ordnung dieser konkreten Gesellschaft ausdrückt. Platon verwandte sein Prinzip unter diesem ersten Aspekt, als er die Athenische Gesellschaft, in der er lebte, als den großgeschriebenen Sophisten bezeichnete und die Besonderheiten der Athenischen Ordnung auf den gesellschaftlich vorherrschenden Typus des Sophisten zurückführte.4 Er verwandte es ferner im gleichen Sinne, als er seine Polis der Idee als paradigmatische Konstruktion einer Sozialordnung entwickelte, in der sein philosophischer Menschentypus Ausdruck finden sollte.5 Schließlich verwandte er es, wiederum unter diesem ersten Aspekt, als er in Politeia VIII-IX die Veränderungen der politischen Ordnung als Ausdruck der Veränderungen im gesellschaftlich vorherrschenden Menschentypus interpretierte.6 (Fs) (notabene)

94a Untrennbar mit diesem ersten Aspekt verbunden ist die Verwendung des Prinzips als Instrument der Geseltschaftskritik. Daß Unterschiede in der Sozialordnung überhaupt als Unterschiede menschlicher Typen in den Blick kommen, ist der Entdeckung der Ordnung der menschlichen Psyche zuzuschreiben und dem Wunsch, die richtige Ordnung in der Gesellschaft des Entdeckers Gestalt werden zu lassen. Nun wird eine Wahrheit niemals im leeren Raum entdeckt, sie ist vielmehr ein Differenzierungsakt in einem dichtbesetzten Feld von Meinungen; und wenn die Entdeckung die Wahrheit der menschlichen Existenz betrifft, so wird sie die Umwelt auf breiter Front in ihren festesten Überzeugungen erschüttern. Sobald der Entdecker sie mitteilt, um Zustimmung wirbt, zu überzeugen versucht, wird er unvermeidlich auf Widerstand stoßen, der, wie im Falle des Sokrates, tödlich werden kann. So wie in den kosmologischen Reichen der Feind als Repräsentant der Lüge entdeckt wird, so wird jetzt durch die Erfahrung des Widerstandes und Konflikts der Gegner als Repräsentant des Unwahren, des Falschen, des Pseudos7 in Sachen der Seele entdeckt. Darum entwickelt Platon seine Typen nicht als einen Katalog menschlicher Varianten, sondern unterscheidet sie als den einen Typus des wahren Menschentums von den mehreren Typen der seelischen Unordnung. Der Typ des wahren Menschen ist der Philosoph, während der Sophist zum Prototyp der Unordnung wird.8 (Fs) (notabene)

95a Die Identifizierung des wahren Typus mit dem Philosophen muß wohl verstanden werden, da heute seine Bedeutung durch modernistische Vorurteile verdunkelt wird. Heute, im Rückblick auf die Geschichte der Philosophie, ist Platons Philosophie zu einer von vielen geworden. Es war jedoch nicht die Absicht Platons, mit seiner Theorie eine Philosophie vom Menschen zu entwickeln. Platon befaßte sich konkret mit der Erforschung der menschlichen Seele, und die wahre Ordnung der Seele erwies sich als abhängig von der Philosophie im strengen Sinne, von der Liebe zum göttlichen sophon.9 Dieser Sinn war noch lebendig bei Augustinus, wenn er den griechischen philosophos als den amator sapientiae in sein Latein übertrug.10 Die Wahrheit der Seele sollte durch ihre liebende Hinwendung zum sophon erreicht werden. Die wahre Ordnung des Menschen liegt also in einer Seelenkonstitution durch gewisse Erfahrungen, die so stark vorherrschen, daß sie den Charakter formen. Die wahre Seelenordnung in diesem Sinne liefert den Maßstab für das Messen und Klassifizieren der empirischen Mannigfaltigkeiten menschlicher Typen wie auch der Gesellschaftsordnungen, in denen sie Ausdruck finden. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation und Wahrheit 5; Theorie: Sinn der Existenz (Aristoteles, spoudaios); Ethik: typologische Studie des spoudaios; Theorie - Leugnung; thanatos, eros und dike; Liebe, Hoffnung und Glaube (Heraklit, Paulus)

Kurzinhalt: Theorie ist ... , den Sinn der Existenz durch die Auslegung einer bestimmten Klasse von Erfahrungen zu gewinnen... Eine theoretische Debatte kann also nur unter spoudaioi im aristotelischen Sinne geführt werden. Die Theorie hat kein Argument gegen ...

Textausschnitt: 5. Repräsentation und Artikulierung der Gesellschaft

96a Damit wäre der entscheidende Punkt erreicht, an dem die Bedeutung von "Theorie" sichtbar wird. Theorie ist nicht ein beliebiges Meinen über die menschliche Existenz in Gesellschaft; sie ist vielmehr ein Versuch, den Sinn der Existenz durch die Auslegung einer bestimmten Klasse von Erfahrungen zu gewinnen. Ihr Argument ist nicht willkürlich, sondern leitet seine Gültigkeit von dem Aggregat von Erfahrungen her, auf das sie sich ständig zur empirischen Kontrolle beziehen muß. Aristoteles war der erste Denker, der dies als Bedingung des Theoretisierens über den Menschen erkannte. Er prägte einen Ausdruck für den Menschen, dessen Charakter von dem Aggregat der betreffenden Erfahrungen geformt ist, und nannte ihn den spoudaios, den reifen Mann. Der spoudaios ist der Mann, der die Möglichkeiten der menschlichen Natur im höchsten Grade aktualisiert hat, dem es zur Gewohnheit geworden ist, seinen Charakter ganz auf die Aktualisierung der dianoetischen und ethischen Tugenden hin zu formen, der Mann, der auf der Höhe seiner Entwicklung fähig ist zum bios theoretikos. Die Wissenschaft der Ethik im aristotelischen Sinne ist daher eine typologische Studie des spoudaios. Darüber hinaus war sich Aristoteles der praktischen Folgen einer solchen Theorie vom Menschen voll bewußt. Erstens kann nicht jedermann Theorie entwickeln. Der Theoretiker muß zwar nicht selbst ein Paragon der Tugend sein, er muß aber zumindest die Fähigkeit besitzen, die Erfahrungen, die in der Theorie expliziert werden, im Geiste nachzuerleben; und diese Fähigkeit kann nur unter bestimmten Bedingungen entwickelt werden. Es muß die Neigung zur theoretischen Arbeit vorhanden sein; ferner die wirtschaftliche Basis, die den Aufwand jahrelanger Arbeit für Studien dieser Art gestattet; und schließlich ein gesellschaftliches Milieu, das den Menschen, wenn er sich diesem Studium hingibt, nicht unterdrückt. Zweitens ist Theorie als die Auslegung gewisser Erfahrungen nur für solche Menschen verständlich, in denen die Auslegung gleichgeartete Erlebnisse wachruft, welche dann die empirische Basis für eine Nachprüfung des Wahrheitsgehalts der Theorie liefern. Denn wenn theoretische Darlegung die entsprechenden Erlebnisse nicht zumindest bis zu einem gewissen Grad aktiviert, wird sie den Eindruck leeren Geredes erwecken oder sie wird als irrelevanter Ausdruck subjektiver Meinungen abgelehnt werden. Eine theoretische Debatte kann also nur unter spoudaioi im aristotelischen Sinne geführt werden. Die Theorie hat kein Argument gegen einen Menschen, der sich in der Tat außerstande fühlt oder zumindest behauptet, er fühle sich außerstande, die Erfahrung nachzuerleben. Historisch wird daher die Entdeckung theoretischer Wahrheit in der sozialen Umwelt keineswegs sicher Zustimmung finden. Aristoteles machte sich hierüber keine Illusionen. In der Politik VII-VIII versuchte er, gleich Platon, eine paradigmatische Sozialordnung zu konstruieren, in welcher sich die Wahrheit des spoudaios ausdrücken sollte; aber gleichzeitig hielt er doch an der Ansicht fest, daß in keiner der hellenischen Poleis seiner Zeit auch nur hundert Menschen lebten, die imstande wären, die Führungsschicht einer solchen Gesellschaft zu bilden, so daß es völlig aussichtslos wäre, einen Versuch der Verwirklichung zu unternehmen. Sozialpraktisch scheint die Theorie also in eine Sackgasse zu führen. (Fs) (notabene)

98a Eine Untersuchung der genannten Erfahrungen ist in diesem Zusammenhang unmöglich. Das Gebiet ist so ausgedehnt, daß auch ein ausführlicher Überblick nur eine peinliche Unzulänglichkeit bliebe. Nur eine knappe Aufzählung kann gegeben werden, um die historischen Kenntnisse aufzufrischen. Zu der schon erwähnten Liebe zum sophon mögen nun die Varianten des platonischen Eros zum kalon und zum agathon hinzugefügt werden sowie die platonische dike, die Tugend der rechten Über- und Unterordnung der Seelenkräfte, die den Gegensatz zur sophistischen polypragmosyne bildet. Zweitens muß die Erfahrung des thanatos, des Todes, mit einbezogen werden als die kathartische Erfahrung der Seele, die das menschliche Verhalten abklärt, indem sie es in die längste aller langfristigen Perspektiven, die des Todes, stellt. Unter dem Aspekt des Todes wird für Platon das Leben des philosophischen Menschen zur Praxis des Sterbens; die Seelen der Philosophen sind tote Seelen - im Sinne des Gorgias; und wenn der Philosoph als Repräsentant der Wahrheit spricht, tut er dies mit der Autorität des Todes über die Kurzsichtigkeit des Lebens. Den drei fundamentalen Kräften von thanatos, eros und dike sollten - immer noch innerhalb der platonischen Rangfolge - die Erfahrungen angereiht werden, in welchen die innere Dimension der Seele in ihrer Höhe und Tiefe gegeben ist. Die Höhendimension führt durch den mystischen Aufstieg, die via negativa, der Grenze der Transzendenz entgegen - das Thema des Symposion. Die Tiefendimension wird durch den anamnetischen Abstieg ins Unbewußte erforscht, in jene Tiefe, aus der die "wahren logoi" des Timaios und des Kritias heraufgeholt werden. (Fs)

99a Die Entdeckung und Erforschung dieser Erfahrungen begann Jahrhunderte vor Platon und wurde nach ihm weitergeführt. So hat beispielsweise das platonische Hinabsteigen in die Tiefe der Seele Erfahrungen differenziert, die durch Heraklit und Aischylos erforscht wurden; und der Name des Heraklit erinnert uns daran, daß der Epheser bereits die Dreiheit von Liebe, Hoffnung und Glaube entdeckt hatte, welche in der Dreiheit von Erfahrungen bei Paulus wieder auftritt. Für seine via negativa konnte Platon auf die Mysterien zurückgreifen sowie auch auf die Beschreibung des Weges zur Wahrheit, die Parmenides in seinem Lehrgedicht gegeben hatte. Ferner sollte als dem platonischen Bereich nahestehend noch die aristotelische philia erwähnt werden, der Erlebniskern wahrer Gemeinschaft zwischen reifen Menschen; und diese aristotelische Liebe zum noetischen Selbst greift ihrerseits wieder zurück auf die heraklitische Gemeinschaft der Menschheit im Logos. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation und Wahrheit 6; Platon: Autorität der theoretischen Wahrheit: Psyche als Ort der Transzendenz; periagoge; Theologie

Kurzinhalt: ... im Gegensatz zur protagoräischen "Der Mensch ist das Maß; Xenophanes : universale Idee vom Menschen durch die Erfahrung der universalen Transzendenz.

Textausschnitt: 6. Die Autorität der theoretischen Wahrheit

99b So kurz und unvollständig diese Andeutungen auch sind, sollten sie doch ausreichen, um an die Erfahrungstypen zu erinnern, welche der Theorie im platonisch-aristotelischen Sinne als Basis dienen. Wir müssen jetzt weiter feststellen, wann sie zu Trägern einer Wahrheit über die menschliche Existenz, im Wettstreit mit der Wahrheit der älteren Mythen, wurden und wann der Theoretiker, als Repräsentant dieser Wahrheit, imstande war, seine eigene Autorität der gesellschaftlichen entgegenzustellen. (Fs)

100a Die Antwort auf diese Frage muß in der Natur der aufgezählten Erfahrungen gesucht werden. Die Entdeckung der neuen Wahrheit ist nicht eine Bereicherung des psychologischen Wissens im immanentistischen Sinne; man müßte vielmehr sagen, daß die Psyche selbst als ein neues Zentrum im Menschen entdeckt wird, in welchem er sich als aufgeschlossen für transzendente Realität erfährt. Ferner wird dieses Zentrum nicht so entdeckt, als ob es ein von jeher präsentes Objekt wäre, das lediglich der Aufmerksamkeit entgangen war. Vielmehr muß die Psyche als der Bereich, in welchem Transzendenz erfahren wird, aus einer kompakteren Struktur der Seele herausdifferenziert, entwickelt und benannt werden. Wenn man das Problem der Kompaktheit und Differenzierung einklammert, so könnte man beinahe sagen, daß vor der Entdeckung der Psyche der Mensch keine Seele besaß. Es handelt sich um eine Entdeckung, die ihr Erfahrungsmaterial zusammen mit seiner Auslegung schafft. Das Aufgeschlossensein der Seele wird erfahren durch das Öffnen der Seele selbst. Dieses Öffnen, das ebensosehr Aktion wie Passion ist, verdanken wir dem Genius der mystischen Philosophen. (Fs) (notabene)

100b Diese Erfahrungen werden zur Quelle einer neuen Autorität, denn durch das Öffnen der Seele findet sich der Philosoph in einer neuen Beziehung zu Gott. Nicht nur entdeckt er seine eigene Psyche als das Instrument der Erfahrung von Transzendenz, sondern zugleich auch die Gottheit in ihrer radikalen nichtmenschlichen Transzendenz. Die Differenzierung der Psyche ist daher nicht zu trennen von einer neuen Wahrheit über Gott. Die wahre Ordnung der Seele kann zum Maßstab für menschliche Typen wie auch Typen der Gesellschaftsordnung werden, weil sie die Wahrheit über menschliche Existenz an der Grenze der Transzendenz repräsentiert. Der Sinn des anthropologischen Prinzips muß daher qualifiziert werden durch die Einsicht, daß nicht eine willkürliche Idee vom Menschen als einem weit-immanenten Wesen zum Instrument gesellschaftlicher Kritik wird, sondern die Idee des Menschen, der seine wahre Natur entdeckt hat durch die Entdeckung seiner wahren Beziehung zu Gott. Das neue Maß, das für die Gesellschaftskritik gefunden wird, ist nicht der Mensch schlechthin, sondern der Mensch, sofern er durch die Differenzierung seiner Psyche zum Repräsentanten der göttlichen Wahrheit geworden ist. (Fs) (notabene)

100b Diese Erfahrungen werden zur Quelle einer neuen Autorität, denn durch das Öffnen der Seele findet sich der Philosoph in einer neuen Beziehung zu Gott. Nicht nur entdeckt er seine eigene Psyche als das Instrument der Erfahrung von Transzendenz, sondern zugleich auch die Gottheit in ihrer radikalen nichtmenschlichen Transzendenz. Die Differenzierung der Psyche ist daher nicht zu trennen von einer neuen Wahrheit über Gott. Die wahre Ordnung der Seele kann zum Maßstab für menschliche Typen wie auch Typen der Gesellschaftsordnung werden, weil sie die Wahrheit über menschliche Existenz an der Grenze der Transzendenz repräsentiert. Der Sinn des anthropologischen Prinzips muß daher qualifiziert werden durch die Einsicht, daß nicht eine willkürliche Idee vom Menschen als einem weit-immanenten Wesen zum Instrument gesellschaftlicher Kritik wird, sondern die Idee des Menschen, der seine wahre Natur entdeckt hat durch die Entdeckung seiner wahren Beziehung zu Gott. Das neue Maß, das für die Gesellschaftskritik gefunden wird, ist nicht der Mensch schlechthin, sondern der Mensch, sofern er durch die Differenzierung seiner Psyche zum Repräsentanten der göttlichen Wahrheit geworden ist. (Fs) (notabene)

101a Um der theoretischen Interpretation der Gesellschaft zu dienen, muß daher das anthropologische Prinzip durch ein zweites Prinzip ergänzt werden. Platon handelte gemäß dieser Einsicht, als er seine Formel "Gott ist das Maß" im Gegensatz zur protagoräischen "Der Mensch ist das Maß" schuf. Mit der Formulierung dieses Prinzips zog Platon die Summe einer langen Vorgeschichte. Schon sein Vorfahre Solon war auf der Suche nach jener Wahrheit gewesen, die den Parteien Athens autoritativ auferlegt werden könnte, und seufzend hatte er gestanden: "Es ist schwer, das unsichtbare Maß des rechten Urteils zu kennen; und doch birgt es allein die rechte Begrenzung aller Dinge." Als Staatsmann lebte Solon in der Spannung zwischen dem unsichtbaren Maß und der Notwendigkeit, es in der Eunomie der Gesellschaft Fleisch werden zu lassen; denn einerseits sprach er: "Der Sinn der Unsterblichen ist den Menschen verborgen", andererseits aber: "Auf Geheiß der Götter habe ich getan, was ich tat." Heraklit, der immer als der große Schatten hinter den Gedanken Platons steht, drang dann tiefer in die zum unsichtbaren Maß führenden Erfahrungen ein. Er erkannte dessen allesbeherrschende Gültigkeit: "Die unsichtbare Harmonie ist besser (oder: größer, mächtiger) als die sichtbare." Aber die unsichtbare Harmonie ist schwer zu erlangen und kann überhaupt nur erlangt werden, wenn die Seele von einem erwartungsvollen Drängen auf das rechte Ziel zu erfaßt ist: "Wenn ihr nicht hofft, werdet ihr das Ungehoffte nicht finden, denn es ist schwer zu finden und der Weg zu ihm nahezu ungangbar." Ferner: "Durch Unglauben (apistie) entgeht einem die Erkenntnis des Göttlichen(?)." Schließlich hat Platon die Kritik des Xenophanes an der unstatthaften Symbolisierung der Götter aufgenommen. Solange die Menschen Götter nach ihrem Bilde schaffen-dies ist das Argument des Xenophanes-, muß die wahre Natur des einen Gottes, der "der Größte unter Göttern und Menschen ist und an Körper und Geist den Sterblichen nicht gleicht", verborgen bleiben. Und nur wenn dieser eine Gott in seiner gestaltlosen Transzendenz als derselbe Gott für jeden Menschen erkannt wird, wird die Natur aller Menschen als gleich zu erkennen sein kraft der Gleichheit ihrer Beziehung zur transzendenten Gottheit. Von allen früh-griechischen Denkern hatte Xenophanes wohl die klarste Einsicht in die Konstitution einer universalen Idee vom Menschen durch die Erfahrung der universalen Transzendenz. (Fs) (notabene)

103b Die Wahrheit des Menschen und die Wahrheit Gottes sind unlösbar eines. Der Mensch wird in der Wahrheit seiner Existenz sein, wenn er seine Psyche der Wahrheit Gottes geöffnet hat; und die Wahrheit Gottes wird in der Geschichte offenbar werden, wenn sie die menschliche Psyche zur Empfänglichkeit für das unsichtbare Maß geformt hat. Das ist das große Thema der Politeia Platons. In den Mittelpunkt des Dialoges stellt Platon das Höhlengleichnis mit seiner Beschreibung der periagoge, der Umkehr, der Abwendung von der Unwahrheit der menschlichen Existenz, wie sie in der sophistischen Gesellschaft Athens herrschte, und der Hinwendung zur Wahrheit der Idee. Weiter war nach Platons Dafürhalten der beste Weg zur Sicherung der existentiellen Wahrheit eine angemessene Erziehung von früher Kindheit an. Aus diesem Grunde forderte er in Politeia II, daß unstatthafte Symbolisierungen der Götter, wie sie sich bei den Dichtern fanden, aus der Jugenderziehung auszuschalten und durch gebührende Symbole zu ersetzen seien. In diesem Zusammenhang entwickelte er das technische Vokabular zur Behandlung solcher Probleme. Um von den verschiedenen Symbolisierungstypen sprechen zu können, prägte er den Ausdruck "Theologie" und nannte sie Typen der Theologie, typoi peri theologias. Im gleichen Zusammenhang stellte Platon ferner die gnoseologische Komponente des Problems heraus. Wenn die Seele in ihrer Jugend dem falschen Typus der Theologie ausgesetzt ist, wird sie in ihrem entscheidenden Punkt, dort wo sie von der Natur Gottes weiß, irregeleitet werden. Sie wird der "Erzlüge", dem alethos pseudos, einer Fehlkonzeption über die Götter zum Opfer fallen. Diese Lüge ist nicht eine Alltagslüge, für die es mildernde Umstände geben mag. Sie ist die Grundlüge der "Ignoranz, der agnoia, im Bereich der Seele". Wendet man nun die platonische Terminologie an, so könnte man sagen, daß in einer theoretischen Interpretation der Gesellschaft das anthropologische Prinzip das theologische als sein Korrelat erfordert. Die Gültigkeit der von Platon und Aristoteles entwickelten Maßstäbe beruht auf der Vorstellung von einem Menschen, der das Maß der Gesellschaft sein kann, weil Gott das Maß seiner Seele ist. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation und Wahrheit 7; Der repräsentative Charakter der Tragödie; Wirksamkeit der theoretischen Wahrheit; Aischylos

Kurzinhalt: Wunder einer Generation, welche die Verantwortung, die Wahrheit der Seele zu repräsentieren, individuell erfahren hatte

Textausschnitt: 7. Der repräsentative Charakter der Tragödie

104a Der Theoretiker ist der Repräsentant einer neuen Wahrheit, die mit der durch die Gesellschaft vertretene Wahrheit im Wettstreit liegt. Soviel steht fest. Es bleibt aber, wie es scheint, noch die Schwierigkeit übrig, daß die neue Wahrheit wenig Aussicht hat, sozial wirksam zu werden und die Gesellschaft nach ihrem Bilde zu gestalten, die Schwierigkeit der sozialpraktischen Sackgasse der Theorie. (Fs)

105a Diese Schwierigkeit existiert jedoch in Wirklichkeit nicht. Ihr Schein wurde durch Platons Enttäuschung über Athen hervorgerufen. Die Polis seiner Zeit war in der Tat zu keiner großen geistigen Reform mehr fähig - aber die Polis war nicht immer so steril gewesen, wie sie wirkt, wenn sich die Aufmerksamkeit auf ihren Widerstand gegen Sokrates und Platon konzentriert. Die platonisch-aristotelische Ausarbeitung der neuen Wahrheit stand am Ende einer langen Geschichte. Sie war das Werk athenischer Denker, die ihre theoretische Generalisierung wohl kaum ohne die vorhergehende Praxis der athenischen Politik erreicht hätten. Die paradigmatischen Konstruktionen des Platon und Aristoteles wären ihren Zeitgenossen als kuriose Phantasiegebilde erschienen, wenn das Athen von Marathon und die Tragödie nicht die lebendige Erinnerung einer ephemeren Repräsentanz der neuen Wahrheit gewesen wären. Hier hatte sich für eine goldene Stunde der Geschichte das Wunder einer bis hinunter zum Einzelbürger als repräsentierbarer Einheit artikulierten politischen Gesellschaft ereignet - das Wunder einer Generation, welche die Verantwortung, die Wahrheit der Seele zu repräsentieren, individuell erfahren hatte und dieser Erfahrung durch die Tragödie als öffentlichem Kult Ausdruck verlieh. Wir müssen eine solche Tragödie untersuchen, um den neuen Repräsentationstypus zu verstehen; diesem Zweck dient am besten Aischylos mit den Schutzflehenden. (Fs)

105b Die Handlung der Schutzflehenden dreht sich um ein Rechtsproblem und dessen Lösung durch politische Aktion. Die Töchter des Danaos kommen auf ihrer Flucht aus Ägypten mit ihrem Vater nach Argos, weil die Söhne des Aigyptos sie zu einer nicht gewünschten Heirat zwingen wollen. In Argos, der Heimat ihrer Ahnfrau Io, hoffen sie Asyl zu finden. Pelasgos, der König von Argos, tritt auf und der Fall wird ihm von den Flüchtlingen vorgetragen. Sofort erkennt er das Dilemma: entweder muß er das Asyl verweigern, die Schutzflehenden den schon nahenden ägyptischen Verfolgern überlassen und damit die Rache des Zeus auf sich ziehen, oder er wird in einen Krieg mit den Ägyptern verwickelt, der im besten Fall für seine Polis eine kostspielige Angelegenheit sein wird. Er stellt die Alternative fest: "Ohne Schaden weiß ich nicht, wie ich euch helfen soll. Und dennoch ist es wiederum nicht ratsam, über solches Schutzflehen hinwegzugehen." Offen beschreibt er seinen Zustand als den verwirrter Unentschlossenheit. Seine Seele ist von der Furcht ergriffen, "zu handeln oder nicht zu handeln und hinzunehmen, was das Schicksal bringt". (Fs)

106a Die Entscheidung ist nicht leicht. Nach dem Gesetz, dem nomos ihres Landes, haben die unglücklichen Mädchen kein Recht, sich den Ägyptern, die sie zur Ehe begehren, zu verweigern; aber sie erinnern den König daran, daß es eine höhere Gerechtigkeit, die dike, gibt, daß die Ehe ihnen zuwider und daß Zeus der Gott der Schutzflehenden ist. Einerseits wird der König ermahnt, Dike bei der Entscheidung des Falles zur Verbündeten zu nehmen; andererseits muß er die Interessen der argivischen Polis berücksichtigen. Wenn er seine Stadt in einen Krieg verwickelt, wird man ihm vorwerfen, daß er Ausländern auf Kosten seines Landes hilft; wenn er die Schutzflehenden im Stich läßt, werden seine Kinder und sein Haus Maß für Maß für die Verletzung der Dike bezahlen müssen. Ernsthaft bedenkt er: "Tiefer, rettender Rat ist nötig, wie eines Tauchers, der in die Tiefe hinabsteigt mit scharfem Blick, ohne sich verwirren zu lassen." Wir werden an das heraklitische "Tiefenwissen" erinnert, an die Vorstellung von der Seele, deren Grund nicht erreicht werden kann, weil ihr Logos zu tief ist. Die Verse des Aischylos übertragen die heraklitische Vorstellung der Tiefe in die Aktion des Hinabsteigens. (Fs)

107a An dieser Stelle tritt jedoch das Problem der konstitutionellen Regierung als komplizierender Faktor hinzu. Was die Person des Königs betrifft, so ergibt das Hinabsteigen in die Tiefe das gewünschte Urteil zugunsten der Schutzflehenden. Aber Pelasgus ist ein konstitutioneller König und nicht ein Tyrann. Das Volk, der demos, der die Last des unvermeidlichen Krieges wird tragen müssen, ist zu befragen und seine Zustimmung einzuholen. Der König verläßt die Schutzflehenden, um das Volk zusammenzurufen und den Fall der Volksversammlung, dem koinon, zu unterbreiten. Er will versuchen, sie zu überzeugen, auf daß sie der Entscheidung, die er in seiner Seele getroffen hat, zustimmen. Die Rede des Fürsten hat Erfolg: Die entsprechenden Beschlüsse, die psephismata, werden einstimmig gefaßt. Das Volk geht auf das Argument der geschmeidig gefügten Rede ein, indem es das Hinabsteigen des Königs in die Tiefe der Seele mitvollzieht. Die Peitho, das Überreden des Königs, formt die Seelen seiner Zuhörer, die bereit sind, sich formen zu lassen, und läßt die Dike des Zeus gegen die Leidenschaft obsiegen, so daß die gereifte Entscheidung die Wahrheit des Gottes repräsentiert. Der Chor faßt die Bedeutung des Ereignisses in der Zeile zusammen: "Zeus ist es, der das Ende geschehen läßt."1 (Fs)

108a Die Tragödie war ein öffentlicher Kult - und ein sehr kostspieliger. Als ihr Publikum setzte sie ein Volk voraus, das der Vorstellung mit wachem Sinn für das tua res agitur folgte. Es würde den Sinn der Handlung, des Dramas, als ein Handeln aus Gehorsam zur Dike zu erkennen und die Flucht in den leichten Ausweg als ein Nicht-Handeln anzusehen haben. Es würde die athenische Prostasia als die Organisation eines Volkes unter einem Führer verstehen müssen - in welcher der Führer versucht, die Dike des Zeus zu repräsentieren, und seine Überzeugungskraft einsetzt, um bei konkreten Entscheidungen im Volk den gleichen Seelenzustand hervorzubringen, während das Volk willens ist, einer solch überzeugenden Führung in der Repräsentation der Wahrheit zu folgen, bis zur Tat im Kampf gegen eine dämonisch ungeordnete Welt, wie sie in den Schutzflehenden durch die Agypter symbolisiert wird. Die Tragödie ist in ihrer großem Zeit eine Liturgie, in der die große Entscheidung zugunsten der Dike erneuernd wiederholt wird. Wenn auch das Publikum keine Versammlung von Helden ist, so müssen die Zuschauer doch zumindest gewillt sein, die tragische Handlung als paradigmatisch anzusehen; die heroische Seelenerforschung und das Erleiden der Folgen muß als gültiger Anruf empfunden werden; das Schicksal des Helden muß in der Seele des Zuschauers das Erschauern des eigenen Schicksals erregen. Die Bedeutung der Tragödie als öffentlicher Kult liegt in ihrem stellvertretenden Leiden.2 (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation und Wahrheit 8; Von der Tragödie (Niedergang Athens; Euripides) zur Philosophie (Sokrates, Dialog); Held der Tragödie -> "Leidensknecht"; Zusammenfassung

Kurzinhalt: ... der translatio der Wahrheit vom athenischen Volk auf Sokrates. Die Tragödie starb, weil die Bürger Athens nicht mehr durch die leidenden Helden repräsentiert werden konnten... Philosophenschulen. Die Schulen überlebten die politische Katastrophe ...

Textausschnitt: 8. Von der Tragödie zur Philosophie

109b Die Repräsentation der Wahrheit ging von den Athenern Marathons auf die Philosophen über. Als Aristophanes klagte, daß die Tragödie an der Philosophie sterbe, hatte er zumindest eine Ahnung von den tatsächlichen Vorgängen, nämlich der translatio der Wahrheit vom athenischen Volk auf Sokrates. Die Tragödie starb, weil die Bürger Athens nicht mehr durch die leidenden Helden repräsentiert werden konnten. Und das drama, die Handlung im Sinne Aischylos', fand seinen Helden in dem neuen Repräsentanten der Wahrheit, in seinem leidenden Knecht Sokrates - wenn wir das Symbol des Deutero-Jesaja verwenden dürfen. Die Tragödie als Literaturgattung wurde von dem sokratischen Dialog abgelöst. Die neue theoretische Wahrheit war ferner auch in sozialer Hinsicht nicht unwirksam. Freilich konnte Athen nicht mehr ihr Repräsentant sein. Aber Platon und Aristoteles schufen selbst den neuen Gesellschaftstypus, der zum Träger ihrer Wahrheit werden konnte, nämlich die Philosophenschulen. Die Schulen überlebten die politische Katastrophe der Polis und wurden zu gestaltenden Kräften erster Ordnung, nicht nur in der hellenistischen und römischen Gesellschaft, sondern durch die Jahrhunderte in den islamischen und westlichen Kulturen. Die Illusion des Scheiterns wird lediglich durch den überwältigenden Eindruck des athenischen Schicksals hervorgerufen. (Fs) (notabene)

110a Das Ergebnis unserer Untersuchung kann jetzt zusammengefaßt werden. (1) Zum existentiellen Sinn der Repräsentation muß der Sinn hinzugefügt werden, in dem die Gesellschaft der Repräsentant einer transzendenten Wahrheit ist. Die beiden Bedeutungen beziehen sich auf Aspekte desselben Problems, insofern als erstens der existentielle Repräsentant einer Gesellschaft deren handelnder Führer in der Repräsentation der Wahrheit ist; und als zweitens eine auf Konsens der Bürgerschaft beruhende Regierung die Artikulierung der einzelnen Bürger in solchem Ausmaß zur Voraussetzung hat, daß diese zu aktiven Teilhabern an der Repräsentation der Wahrheit durch Peitho, die Überredung, gemacht werden können. (2) Die Natur dieses vielseitigen Problems trat historisch gesehen in den Bereich reflektiven Bewußtseins durch die Entdeckung der Psyche als des Sensoriums der Transzendenz. Ihr Entdecker, der mystische Philosoph, wurde infolgedessen zum Repräsentanten der neuen Wahrheit; und die Symbole, in denen er seine Erfahrung auslegte, bildeten den Kern einer Theorie der Sozialordnung. (3) Schließlich war es möglich, in das Geheimnis der kritischen Klärung einzudringen. Genetisch stellte sie sich als die Entdeckung der Psyche sowie deren anthropologischer und theologischer Wahrheit heraus, während sie kritisch in der Messung der in der Realität vorhandenen Symbole an den Maßstäben der neuen Wahrheit bestand. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation im Römischen Reich 1; 3 Wahrheitstypen: kosmologisch, anthropologisch, soteriologisch; christlicher Typ; amicitia (philia politike; homonoia; Freundschaft: Gott - Mensch); amicitia; amor sui, amor dei; Substanz d. Geschichte

Kurzinhalt: Die kritische Autorität gegenüber der älteren Wahrheit der Gesellschaft, welche die Seele durch ihr Öffnen und ihr Hinwenden zu dem unsichtbaren Maß erlangt hatte, wurde jetzt durch die Offenbarung des Maßes selbst bestätigt.

Textausschnitt: III. Der Kampf um die Repräsentation im Römischen Reich

1. Theoretische Vorbemerkungen

112a Die vorangegangene Untersuchung hat gezeigt, daß die Probleme der Repräsentation durch die innere Artikulierung einer Gesellschaft zu historischer Existenz nicht erschöpft waren. Die Gesellschaft als Ganzes erwies sich als Repräsentant einer transzendenten Wahrheit, so daß der Begriff der Repräsentation im existentiellen Sinne durch einen Begriff der transzendenten Repräsentation ergänzt werden mußte. Auf dieser neuen Ebene der Problematik ergab sich dann eine weitere Komplikation durch die Entwicklung der Theorie als einer Wahrheit vom Menschen, die mit der von der Gesellschaft repräsentierten Wahrheit im Wettstreit lag. Aber auch diese Komplikation ist noch nicht die letzte. Das Feld wetteifernder Wahrheitstypen wird historisch erweitert durch das Erscheinen des Christentums. Alle drei Typen beteiligen sich an dem großen Kampf um das Monopol der existentiellen Repräsentation im römischen Reich. Dieser Streit soll das Thema der vorliegenden Untersuchung bilden. Ehe wir jedoch auf den Gegenstand selbst eingehen, müssen einige terminologische und allgemeine theoretische Punkte geklärt werden. Dieses Vorgehen, welches die allgemeinen Fragen ausklammert, soll lästige Abschweifungen und Erklärungen vermeiden, die sonst die eigentliche politische Studie unterbrechen müßten, wenn die Fragen akut werden. (Fs) (notabene)

112b Terminologisch wird zwischen drei Wahrheitstypen zu unterscheiden sein. Der erste dieser Typen ist die von den frühen Reichen repräsentierte Wahrheit; sie soll "kosmologische Wahrheit" genannt werden. Der zweite Wahrheitstypus erscheint in der politischen Kultur Athens, insbesondere in der Tragödie; er soll "anthropologische Wahrheit" genannt werden - wobei sich versteht, daß diese Bezeichnung den Gesamtbereich der mit der Psyche als Sensorium der Transzendenz zusammenhängenden Probleme umschließt. Der dritte Wahrheitstypus, der mit dem Christentum erscheint, soll als "soteriologische Wahrheit" bezeichnet werden. (Fs)

113a Die terminologische Unterscheidung zwischen dem zweiten und dritten Typus ist theoretisch notwendig, weil der platonisch-aristotelische Erfahrungskomplex in einem entscheidenden Punkt durch das Christentum erweitert wurde. Dieses Unterscheidungsmerkmal läßt sich vielleicht am besten herausstellen, indem wir kurz den aristotelischen Begriff der philia politike, der politischen Freundschaft, betrachten. Diese Freundschaft ist für Aristoteles die Substanz der politischen Gesellschaft. Sie besteht in der homonoia, der geistigen Übereinstimmung zwischen Menschen. Sie ist zwischen Menschen nur insofern möglich, als diese in Übereinstimmung mit dem nous, d. h. mit dem Göttlichsten in ihnen leben. Alle Menschen haben teil am nous, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität, so daß die Liebe zu ihrem noetischen Selbst den nous zu dem sie vereinigenden Band macht. Nur sofern die Menschen durch die Liebe zu ihrem noetischen Selbst einander gleich sind, ist Freundschaft möglich; die soziale Bindung zwischen Ungleichen wird schwach sein. Aufgrund dieses Arguments formulierte Aristoteles seine These, daß Freund schaft zwischen Gott und Mensch wegen ihrer radikalen Ungleichheit unmöglich sei. (Fs) (notabene)

114a Die Unmöglichkeit der philia zwischen Gott und Mensch kann als typisch für den Gesamtbereich anthropologischer Wahrheit betrachtet werden. Die Erfahrungen, die von den mystischen Philosophen in einer Theorie vom Menschen ausgelegt wurden, betonten alle die menschliche Seite der Orientierung der Seele zur Gottheit. Die Seele wendet sich einem Gott zu, der in seiner unbeweglichen Transzendenz verharrt; sie bewegt sich auf die göttliche Realität zu, trifft aber auf keine antwortende Bewegung aus dem Jenseits. Das christliche Hinneigen Gottes zur Seele in der Gnade ereignet sich nicht im Bereich dieser Erfahrungen - wenn man auch bei der Lektüre Platons das Gefühl hat, an der Schwelle eines Durchbruchs in diese neue Dimension zu stehen. Die Erfahrung einer wechselseitigen Beziehung mit Gott, der amicitia im thomistischen Sinne, der Gnade, die der Natur des Menschen eine übernatürliche Form auflegt, ist der spezifische Unterschied der christlichen Wahrheit gegenüber der anthropologischen. Die Offenbarung dieser Gnade in der Geschichte durch die Inkarnation des Logos in Christus erfüllte erkennbar die auf den Advent gerichtete Bewegung des Geistes bei den mystischen Philosophen. Die kritische Autorität gegenüber der älteren Wahrheit der Gesellschaft, welche die Seele durch ihr Öffnen und ihr Hinwenden zu dem unsichtbaren Maß erlangt hatte, wurde jetzt durch die Offenbarung des Maßes selbst bestätigt. In diesem Sinne läßt sich sagen, daß das Faktum der Offenbarung ihr Inhalt ist. (Fs) (notabene)

115a Wenn man solcherart über die Erfahrungen der mystischen Philosophen und ihre Erfüllung durch das Christentum spricht, so wird dabei eine Annahme über die Geschichte impliziert, die genauerer Darlegung bedarf. Es ist die Annahme, daß die Substanz der Geschichte in den Erfahrungen besteht, durch die der Mensch das Verständnis seiner Menschlichkeit und gleichzeitig das Verständnis ihrer Grenzen gewinnt. Philosophie und Christentum haben dem Menschen die Statur verliehen, die ihn befähigt, mit historischer Wirksamkeit die Rolle des rationalen Betrachters und pragmatischen Beherrschers einer Natur zu spielen, die ihre dämonischen Schrecken verloren hat. Mit gleicher historischer Wirksamkeit wurden der menschlichen Größe jedoch Grenzen gesetzt, insofern das Christentum alle Dämonie in die permanente Gefahr eines Abfalls vom Geist (dem Geist, der des Menschen nur durch die Gnade Gottes ist), in die Autonomie seines eigenen Selbst, zusammenballte, eines Abfalls vom amor Dei in den amor sui. Die Erkenntnis, daß der Mensch in seiner bloßen Menschlichkeit, ohne die fides caritate formata, dämonische Nichtigkeit ist, wurde vom Christentum zu jener letzten Klarheit gebracht, die traditionell als Offenbarung bezeichnet wird. (Fs) (notabene)

Kommentar (10/26/04): amor sui -> cf 1. E. Beckers causa sui; cf 2 Kierkegaard über Dämonie als Verschlossenheit in: Begriff der Angst

115b Diese Annahme über die Substanz der Geschichte zieht nun für eine Theorie von der menschlichen Existenz in der Gesellschaft Folgen nach sich, gegen deren vorbehaltlose Anerkennung unter dem Einfluß einer säkularisierten Kultur selbst namhafte Philosophen bisweilen Bedenken tragen. Wir haben z. B. gesehen, daß Karl Jaspers das Zeitalter der mystischen Philosophen als Achsenzeit der Menschheit ansah, von höherem Rang als die Zäsur des Christentums, und die letzte Klarheit über die conditio humana, die das Christentum gebracht hat, geflissentlich beiseite schob. Auch Henri Bergson hatte in der gleichen Frage Bedenken - wenn er auch in seinen letzten, von Sertillanges posthum veröffentlichten Gesprächen geneigt schien, die Konsequenz aus seiner eigenen Geschichtsphilosophie zu ziehen. Diese Konsequenz läßt sich als das Prinzip formulieren, daß eine Theorie von der menschlichen Existenz in der Gesellschaft innerhalb des Mediums von Erfahrungen, die sich historisch differenziert haben, operieren muß. Es besteht eine strenge Wechselbeziehung zwischen der Theorie von der menschlichen Existenz und der historischen Differenzierung von Erfahrungen, in welchen diese Existenz ihr Selbstverständnis erlangt hat. Weder ist es dem Theoretiker gestattet, irgendeinen Teil dieser Erfahrung, gleichgültig aus welchem Grunde, beiseite zu schieben; noch kann er seinen Standort auf einem archimedischen Punkt außerhalb der Substanz der Geschichte beziehen. Die Theorie ist durch die Geschichte im Sinne der differenzierenden Erfahrungen gebunden. Da das Höchstmaß an Differenzierung durch die griechische Philosophie und das Christentum erreicht wurde, bedeutet dies konkret, daß die Theorie sich notwendig innerhalb des historischen Horizontes klassischer und christlicher Erfahrungen bewegen muß. Ein Zurückweichen vom Höchstmaß der Differenzierung bedeutet einen theoretischen Rückschritt, der zu den Entgleisungen verschiedener Art führt, die Platon als doxa charakterisiert hat. jedesmal wenn in der modernen Geistesgeschichte eine systematische Revolte gegen das Höchstmaß an Differenzierung unternommen wurde, war das Ergebnis der Sturz in einen antichristlichen Nihilismus, in die Idee des Übermenschen in der einen oder anderen seiner Varianten - sei es der progressivistische Übermensch Condordets, der positivistische Übermensch Comtes, der materialistische Übermensch Marx' oder der dionysische Übermensch Nietzsches. Das Problem der antitheoretischen Entgleisung wird jedoch im -zweiten Teil dieser Studien eingehender behandelt werden, in der Abhandlung über die modernen politischen Massenbewegungen. Das Prinzip der Wechselbeziehung zwischen der Theorie und der maximalen Differenzierung von Erfahrungen, das die folgende Analyse beherrschen wird, dürfte für den gegenwärtigen Zweck genügend klar geworden sein. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation im Römischen Reich 2; Varro und Augustinus (Civitas Dei): Typen der Theologie

Kurzinhalt: Nach der Augustinischen Darstellung unterschied Varro drei Arten (genera) von Theologie - das genus mythicon, das genus physicon und das genus civile.2 Die mythische ist die Theologie der Dichter, die physische die der Philosophen und die zivile die ...

Textausschnitt: 2. Varro und Augustinus über die Typen der Theologie

118a Die Analyse wird wiederum nach dem aristotelischen Verfahren geführt werden. Sie wird von der Selbstinterpretation der Gesellschaft ausgehen - jedoch unter der Voraussetzung, daß Selbstinterpretation jetzt die Interpretationen durch Philosophen und Heilige miteinschließt. (Fs) (notabene)

118b Die verschiedenen Wahrheitstypen, die platonischen typoi peri theologias, die miteinander in Wettstreit traten, wurden zum Gegenstand formaler Klassifizierung. Die älteste noch erhaltene findet sich in Varros Antiquitates, einem um das Jahr 47 v. Chr. vollendeten Werk. Eine Neuklassifizierung wurde gegen Ende der Römerzeit von Augustinus in seiner Civitas Dei unternommen. Die beiden Werke sind insofern aufeinander bezogen, als die Varrosche Klassifizierung durch die Darstellung und Kritik des Augustinus erhalten geblieben ist.1 (Fs)

118c Nach der Augustinischen Darstellung unterschied Varro drei Arten (genera) von Theologie - das genus mythicon, das genus physicon und das genus civile.2 Die mythische ist die Theologie der Dichter, die physische die der Philosophen und die zivile die der Völker"3 oder, nach einer anderen Version, die der principes civitatis.4 Die griechische Terminologie wie auch die Formulierung im einzelnen deuten darauf hin, daß Varro die Klassifizierung nicht geschaffen, sondern einer griechischen, wahrscheinlich stoischen Quelle entnommen hatte. (Fs)

119a Augustinus übernahm die Varronischen Typen mit gewissen Abänderungen. Erstens übertrug er die mythische und die physische Theologie in sein Latein als fabulosa und naturalis und schuf dadurch den Ausdruck "natürliche Theologie", der bis heute im Gebrauch geblieben ist.5 Zweitens behandelte er die fabulose Theologie als Teil der zivilen wegen des kultischen Charakters der dramatischen Götterdichtung.6 Dadurch würden die Typen Varros auf die zivile und die natürliche Theologie reduziert werden. Die Reduktion ist nicht ohne Interesse, weil sie höchst wahrscheinlich über verschiedene Umwege auf den Einfluß eines Ausspruches von Antisthenes zurückzuführen ist, daß es "nach dem nomos viele Götter, nach der physis jedoch nur einen gibt". Im Gegensatz zur physis würde nomos die dichterische und politische Kultur als Menschenwerk zusammenfassen - eine Betonung des menschlichen Ursprungs heidnischer Götter, die Augustinus vermutlich angesprochen hat.7 Da schließlich das Christentum und seine übernatürliche Wahrheit in die Arten der Theologie mit ,einbegriffen werden mußte, war das Ergebnis wiederum eine Dreigliederung der Typeneinteilung in die zivile, die natürliche und die übernatürliche Theologie. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Der Gnostizismus - das Wesen der Modernität 3; Joachim v. Fiore - Augustinus; Immanentisierung (Eidos) d. Geschichte (teleologische, axiologische Komponente); "vom Humanismus zur Aufklärung"; Säkularisierung

Kurzinhalt: Das Problem eines Eidos in der Geschichte tritt erst auf, wenn die christliche transzendente Erfüllung immanentisiert wird. Eine solche immanentistische Hypostase des Eschaton ist jedoch ein theoretischer Trugschluß.

Textausschnitt: 3 Der theorethische Gehalt der neuen Symbole

167a Aus der Darstellung joachitischer Symbole, aus dem kursorischen Überblick über ihre späteren Varianten und aus ihrer Verschmelzung mit der politischen Apokalypse des Dritten Rom dürfte klar geworden sein, daß die neue Eschatologie das Gefüge der modernen Politik entscheidend beeinflußt. Sie hat eine scharf umrissene Symbolik hervorgebracht, mit deren Hilfe die westlichen politischen Gesellschaften den Sinn ihrer Existenz interpretieren; und die Anhänger der einen oder anderen Variante bestimmen die Artikulierung der Gesellschaft sowohl im Innern wie auch auf der Weltbühne. Bis zu diesem Punkt wurde jedoch die Symbolik auf der Ebene der Selbstinterpretation betrachtet und als ein historisches Phänomen beschrieben. Sie muß jetzt einer kritischen Analyse ihrer Hauptaspekte unterzogen werden, und der Grund für diese Analyse muß durch die Formulierung der theoretisch relevanten Frage gelegt werden. (Fs)

167b Die joachitische Eschatologie ist ihrem Gegenstand nach eine Spekulation über den Sinn der Geschichte. Um die spezifische Differenz zu bestimmen, muß sie der zu Joachims Zeit traditionell-christlichen Geschichtsphilosophie gegenübergestellt werden, d. h. der augustinischen Spekulation. In die traditionelle Spekulation war die jüdisch-christliche Idee von einem Ende der Geschichte im Sinne eines Zustandes der Vollkommenheit eingedrungen. Die Geschichte bewegte sich nicht mehr in Zyklen wie bei Platon und Aristoteles; sondern hatte Richtung und Ziel gewonnen. Über den jüdischen Messianismus im strengen Sinne hinaus drang dann die spezifisch christliche Geschichtsauffassung zum Begreifen des Endes als einer transzendenten Erfüllung vor. Bei seiner Ausarbeitung dieser theoretischen Einsicht unterschied Augustinus zwischen einer Profan-Geschichte, in der die Reiche entstehen und vergehen, und einer Heilsgeschichte, die in der Erscheinung Christi und der Gründung der Kirche ihren Höhepunkt erreicht. Die Heilsgeschichte baute er ferner in die transzendentale Geschichte der Civitas Dei ein, welche die Geschehnisse in der Sphäre der Engel sowie den transzendenten ewigen Sabbath miteinschließt. Nur diese transzendente Geschichte, einschließlich der irdischen Pilgerschaft der Kirche, ist auf ihre eschatologische Erfüllung hin ausgerichtet. Die Profangeschichte hingegen hat keine solche Ausrichtung. Sie ist ein Warten auf das Ende. Ihre gegenwärtige Seinsform ist die eines saeculum senescens, eines vergreisenden Zeitalters. (Fs) (notabene)

168a Zur Zeit Joachims erlebte die westliche Kultur eine starke Aufwärtsentwicklung. Und ein Zeitalter, das seine Muskeln zu spüren begann, war nicht geneigt, den augustinischen Defaitismus, was die weltliche Sphäre der Existenz anbelangt, ohne weiteres hinzunehmen. Die joachitische Spekulation war ein Versuch, dem immanenten Lauf der Geschichte einen Sinn zu verleihen, den sie in der augustinischen Konzeption nicht hatte. Zu diesem Zweck verwandte Joachim, was zur Hand war, und das war der Sinn der transzendenten Geschichte. In diesem ersten westlichen Versuch einer Immanentisierung des Sinnes der Geschichte ging der Zusammenhang mit dem Christentum nicht verloren. Das neue Zeitalter des Joachim brachte eine Steigerung der Erfüllung innerhalb der Geschichte, aber diese Steigerung wurde nicht durch einen weltimmanenten Ausbruch hervorgerufen, sondern durch einen transzendentalen Einbruch des Geistes. Der Gedanke einer radikal immanenten Erfüllung wuchs nur sehr allmählich in einem langwierigen Prozeß, den man kurz unter den Titel "vom Humanismus zur Aufklärung" bringen kann. Erst im achtzehnten Jahrhundert war mit dem Fortschrittsglauben die Steigerung des Sinngehaltes in der Geschichte zu einem völlig innerweltlichen Phänomen ohne transzendentale Einbrüche geworden. Diese zweite Phase der Immanentisierung soll "Säkularisierung" genannt werden. (Fs) (notabene)

169a Aus der joachitischen Immanentisierung ergibt sich ein theoretisches Problem, das weder im Altertum noch im orthodoxen Christentum vorkommt, nämlich das Problem eines Eidos in der Geschichte. In der hellenistischen Spekulation haben wir zwar auch ein Problem des Wesens in der Politik: die Polis hatte sowohl für Platon als für Aristoteles ein Eidos. Aber die Aktualisierung dieses Wesens wird vom Rhythmus des Aufstiegs und Niedergangs beherrscht, und die rhythmische Verkörperung und Entkörperung des Wesens in der politischen Wirklichkeit ist das Mysterium der Existenz. Es ist nicht ein zusätzliches Eidos. Die soteriologische Wahrheit des Christentums bricht dann mit dem Rhythmus der Existenz. Jenseits von temporalen Erfolgen und Mißerfolgen liegt die übernatürliche Bestimmung des Menschen, die Vollendung durch die Gnade im Jenseits. Mensch und Menschheit haben jetzt eine Erfüllung, aber sie liegt jenseits der Natur. Auch hier gibt es also kein Eidos der Geschichte, weil die eschatologische Übernatur keine Natur im philosophischen, imnhanenten Sinne ist. Das Problem eines Eidos in der Geschichte tritt erst auf, wenn die christliche transzendente Erfüllung immanentisiert wird. Eine solche immanentistische Hypostase des Eschaton ist jedoch ein theoretischer Trugschluß. Denn Dinge sind nicht Dinge, noch haben sie ein Wesen, durch willkürliche Erklärungen. Der Ablauf der Geschichte als Ganzes ist kein Gegenstand der Erfahrung; die Geschichte hat kein Eidos, weil der Ablauf der Geschichte sich in die unbekannte Zukunft erstreckt. Der Sinn der Geschichte ist also eine Illusion; und dieses illusorische Eidos wird dadurch geschaffen, daß man ein Glaubenssymbol so behandelt, als wäre es eine Aussage über einen Gegenstand immanenter Erfahrung. (Fs) (notabene)

170a Der trugschlüssige Charakter eines Eidos der Geschichte wurde prinzipiell aufgezeigt - aber die Analyse kann und muß noch einige Schritte weiter in die Einzelheiten geführt werden. Die christliche Symbolik der übernatürlichen Bestimmung besitzt eine theoretische Struktur, und diese Struktur bleibt in den Varianten der Immanentisierung erhalten. Die Heiligung des Lebens ist eine Bewegung auf ein Telos, ein Ziel zu; und das Ziel, die selige Schau, ist ein Zustand der Vollkommenheit. In der christlichen Symbolik sind also zu unterscheiden die Bewegung als ihre theologische Komponente, und ein Zustand höchsten Wertes als ihre axiologische Komponente.1 Die beiden Komponenten treten in den Varianten der Immanentisierung wieder auf; und diese können dementsprechend als Varianten klassifiziert werden, die entweder die teleologische oder die axiologische Komponente betonen oder sie beide in ihrer Symbolik kombinieren. Im ersten Falle, in dem der Nachdruck auf der Bewegung ohne Klarheit über die letzte Vollendung liegt, wird das Ergebnis die progressivistische Geschichtsauffassung sein. Das Ziel bedarf keiner Klarstellung: progressivistische Denker, wie Diderot oder d'Alembert, nehmen eine Auswahl wünschenswerter Faktoren zum Maßstab und interpretieren den Fortschritt als qualitative und quantitative Zunahme des gegenwärtigen Guten - als "the bigger and better", wie ein simplifizierendes Schlagwort es ausdrückt. Das ist eine konservative Haltung, die sogar zu einer reaktionären werden kann, wenn der ursprüngliche Maßstab nicht der wechselnden historischen Situation angepaßt wird. Im zweiten Falle, wenn der Nachdruck auf dem Zustand der Vollkommenheit, ohne Klarheit über die zu seiner Verwirklichung erforderlichen Mittel liegt, wird das Ergebnis der Utopismus sein. Er kann die Gestalt einer axiologischen Traumwelt annehmen wie in der Utopia des Thomas Morus, wenn der Denker sich noch bewußt ist, daß und weshalb sein Traum sich nicht verwirklichen läßt; oder, bei größerer theoretischer Unwissenheit, kann er die Gestalt verschiedener sozialer Idealismen annehmen, wie etwa der Abschaffung des Krieges, der ungleichen Verteilung des Eigentums, der Furcht und der Not. Schließlich kann sich die Immanentisierung auf die integrale christliche Symbolik erstrecken. Das Ergebnis wird dann die aktive Mystik eines Zustandes der Vollkommenheit sein, der durch eine revolutionäre Verklärung der menschlichen Natur erzielt werden soll, wie zum Beispiel im Marxismus. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Der Gnostizismus - das Wesen der Modernität 4a; Gnosis, gnostischer Immanentismus; Menschentyp d. Trugschlusses; Gewissheit (Sinn d. Geschichte) - Ungewissheit (Christentum; Glaube; Hebr 11.1); Übermensch; Typenskala gnost. Verhaltens

Kurzinhalt: ... welche spezifische Ungewißheit war so beunruhigend, daß sie mit dem zweifelhaften Mittel trugschlüssiger Immanentisierung überwunden werden mußte? ... Ungewißheit ist das eigentliche Wesen des Christentums.

Textausschnitt: 4. Motive des gnostischen Immanentismus

172a Die Analyse kann jetzt auf der prinzipiellen Ebene wieder aufgenommen werden. Der Versuch, ein Eidos der Geschichte zu konstruieren, muß zu der trugschlüssigen Immanentisierung des christlichen Eschaton führen. Das Erkennen des Trügerischen an diesem Versuch wirft jedoch schwierige Fragen hinsichtlich des Menschentyps auf, der sich einer solchen Täuschung hingibt. Der Trugschluß sieht ziemlich elementar aus. Darf ernsthaft angenommen werden, daß die Denker, die ihn vollzogen, nicht intelligent genug waren ihn zu durchschauen? Oder, daß sie ihn zwar durchschaut, aber aus irgendwelchen undurchsichtigen, bösen Motiven dennoch propagiert haben? Die bloße Fragestellung ergibt schon deren Verneinung. Es versteht sich von selbst, daß nicht Dummheit und Trug sieben Jahrhunderte der Geistesgeschichte zu erklären vermögen. Es muß vielmehr angenommen werden, daß in den Seelen dieser Männer ein Drang vorhanden war, der sie für diese Täuschung blind machte. (Fs) (notabene)

172a Die Natur dieses Dranges läßt sich nicht dadurch entdecken, daß man die aus ihm resultierende Fehlkonstruktion einer noch genaueren Analyse unterzieht. Die Aufmerksamkeit muß sich vielmehr auf das konzentrieren, was die Denker mit ihrer Fehlkonstruktion erreicht haben. Darüber kann nun kein Zweifel bestehen: sie erlangten eine Gewißheit über den Sinn der Geschichte und über ihren eigenen Platz in ihr - eine Gewißheit, die sie sonst nie gehabt hätten. Nun besteht ein Bedarf nach Gewißheiten dann, wenn es gilt, Ungewißheiten mit ihrer Begleiterscheinung von Angst zu überwinden. Und die nächste Frage würde dann lauten: welche spezifische Ungewißheit war so beunruhigend, daß sie mit dem zweifelhaften Mittel trugschlüssiger Immanentisierung überwunden werden mußte? Man braucht die Antwort nicht weit zu suchen. Ungewißheit ist das eigentliche Wesen des Christentums. Das Gefühl der Sicherheit in "einer Welt voller Götter" geht mit den Göttern selbst verloren. Durch die De-Divinisation der Welt wird die Kommunikation mit dem welttranszendenten Gott auf die schwache Bindung des Glaubens im Sinne von Hebr 11,1 als der Substanz der erhofften und des Beweises der urgeschauten Dinge beschränkt. Ontologisch ist die Substanz der erhofften Dinge nirgends als im Glauben zu finden; und epistemologisch gibt es für die urgeschauten Dinge keinen anderen Beweis als wiederum diesen Glauben. Das Band ist schwach in der Tat und leicht kann es reißen. Das Leben der zu Gott hin geöffneten Seele, das Warten, die Zeiten der Dürre und Mattigkeit, der Schuld und Betrübnis, der Zerknirschung und Reue, der Verlassenheit und der gläubigen Hoffnung, der stillen Regungen von Liebe und Gnade, zitternd an der Schwelle einer Gewißheit, die, wenn sie gewonnen, ein Verlust ist, - gerade die Schwerelosigkeit dieses Gewebes mag sich als zu schwere Belastung für Menschen erweisen, die auf handfesten Besitz aus sind. Die Gefahr, daß ein Zusammenbruch des Glaubens sozial relevant wird, vergrößert sich nun in dem Maße, als das Christentum im Raum der Welt Erfolg hat. Sie wird also zunehmen, wenn das Christentum - mit der nachdrücklichen Hilfe von Institutionen - einen Kulturkreis gründlich durchdringt und wenn es gleichzeitig einen inneren Prozeß der Spiritualisierung durchmacht, den Prozeß einer gesteigerten Verwirklichung seines Wesens. Je mehr Menschen in den Bannkreis des Christentums gezogen werden, desto größer wird die Zahl derer sein, die nicht die Kraft zu dem heroischen Abenteuer der Seele, das Christentum heißt, besitzen; und die Wahrscheinlichkeit eines Abfalls vom Glauben wird zunehmen, wenn der kulturelle Fortschritt in der Erziehung, der Bildung und der intellektuellen Diskussion einen immer größeren Kreis von Einzelpersonen mit dem ganzen Ernst des Christentums vertraut macht. Diese beiden Prozesse aber kennzeichnen das Hohe Mittelalter. Wir können von den historischen Einzelheiten absehen; es wird genügen, summarisch an die wachsenden städtischen Gemeinschaften mit ihrer intensiven spiritualen Kultur als die Zentren zu erinnern, von denen die Gefahr in die gesamte westliche Gesellschaft ausstrahlte. (Fs) (notabene)

174a Wenn das Verhängnis eines Abfalls vom Glauben im christlichen Sinne als Massenphänomen auftritt, werden die Folgen vom Inhalt der geistigen Kultur abhängen, auf die der Agnostiker zurückfällt. Ein Mensch kann nicht im absoluten Sinne auf sich zurückfallen; wenn er es versuchte, würde er sehr bald herausfinden, daß er in den Abgrund der Verzweiflung und des Nichts gestürzt ist. Er muß auf eine weniger differenzierte Kultur geistiger Erfahrungen zurückfallen. Der kulturelle Stand des zwölften Jahrhunderts machte es unmöglich, in den griechisch-römischen Polytheismus zurückzufallen, weil dieser als lebendige Kultur einer Gesellschaft verschwunden war. Und die verstümmelten Reste konnten kaum nochmals zum Leben erweckt werden, weil sie ihren Zauber gerade für die Menschen eingebüßt hatten, die mit dem Christentum in Berührung gekommen waren. Der Abfall konnte nur durch die Möglichkeit neuer Erfahrungen aufgefangen werden, die dem Erlebnis des Glaubens so nahe standen, daß nur ein scharfes Auge den Unterschied erkennen würde, die aber dennoch weit genug von ihm entfernt waren, um der Ungewißheit des Glaubens im strengen Sinne abzuhelfen. Solche Möglichkeiten neuer Erfahrungen boten sich in der Gnosis, die das Christentum von seinen ersten Anfängen an begleitet hat. (Fs)

175a Der Plan dieser Abhandlung gestattet es nicht, eine Beschreibung der Gnosis des Altertums oder der Geschichte ihrer Kontinuität in das westliche Mittelalter zu geben. Es mag hier die Feststellung genügen, daß die Gnosis damals eine lebendige religiöse Kultur war, auf welche die Menschen zurückfallen konnten. Der Versuch, den Sinn der Existenz zu immanentisieren, ist im Grunde ein Versuch, unsere Kenntnis der Transzendenz fester in den Griff zu bekommen, als die cognitio fidei, die Erkenntnis des Glaubens es uns gestattet. Die gnostischen Erfahrungen gewähren diesen festeren Griff, insofern als sie die Seele bis zu dem Punkte ausweiten, an welchem Gott in die menschliche Existenz hineingezogen wird. Diese Ausweitung erfordert die Beteiligung der verschiedenen menschlichen Fähigkeiten; und es ist daher möglich, eine Typenskala von gnostischen Varianten zu unterscheiden je nachdem, welche Fähigkeit bei der Bemühung, Gott in den Griff zu bekommen, vorwiegend beteiligt war. Gnosis kann vornehmlich intellektuell sein und die Form einer spekulativen Durchdringung des Mysteriums der Schöpfung und Existenz annehmen, wie beispielsweise in der kontemplativen Gnosis Hegels oder Schellings; oder sie kann vornehmlich emotional sein und die Form des Innewohnens göttlicher Wesenskraft in der menschlichen Seele annehmen, wie z. B. bei parakletischen Sektiererführern; oder sie kann vornehmlich willensmäßig sein und die Form aktivistischer Erlösung von Mensch und Gesellschaft annehmen, wie im Falle der revolutionären Aktivisten Comte, Marx oder Hitler. Die gnostischen Erfahrungen in der ganzen Skala ihrer Varianten sind der Kern der Re-Divinisation der Gesellschaft, denn die Menschen vergotten sich selbst, wenn sie solchen Erfahrungen verfallen, und setzen die massiveren Arten der Teilhabe an der Göttlichkeit an die Stelle des Glaubens im christlichen Sinne. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Der Gnostizismus - das Wesen der Modernität 4b; (aktive) Gnosis, godded man, Übermensch; Säkularismus -> Radikalisierung d. parakletischen Immanentismus; Wesen d. Moderne: Anwachsen d. Gnostizismus; Szientismus

Kurzinhalt: Und schließlich mußte, nach dem ungeheuren Aufschwung, den die Naturwissenschaften seit dem siebzehnten Jahrhundert nahmen, dieses neue Mittel der Erkenntnis, man möchte sagen unvermeidlich, zum Symbolträger der gnostischen Wahrheit werden.

Textausschnitt: 176a Das richtige Verständnis dieser Erfahrungen als des aktiven Kernes der immanentistischen Eschatologie ist notwendig, weil andernfalls die innere Logik der westlichen politischen Entwicklung vom mittelalterlichen Immanentismus über den Humanismus, die Aufklärung, den Progressivismus, Liberalismus, Positivismus zum Marxismus verdunkelt wird. Die von den verschiedenen Typen von Immanentisten entwickelten Symbole werden häufig miteinander in Konflikt geraten und die verschiedenen Typen von Gnostikern einander bekämpfen. Man kann sich leicht vorstellen, wie entrüstet ein humanistischer Liberaler sein wird, wenn man ihm sagt, sein spezieller Typ des Immanentismus sei ein Schritt auf dem Wege zum Marxismus. Es wird darum nicht überflüssig sein, sich des Prinzips zu erinnern, daß die Substanz der Geschichte auf der Ebene der Erlebnisse, nicht auf der Ebene der Ideen zu finden ist. Der Säkularismus konnte als eine Radikalisierung der früheren Formen des parakletischen Immanentismus definiert werden, weil die erlebnismäßige Vergottung des Menschen im säkularistischen Fall radikaler ist. Feuerbach und Marx z. B. interpretieren den transzendenten Gott als die Projektion des Besten im Menschen auf ein hypostatisches Jenseits. Für sie würde daher die große Wende der Geschichte eintreten, wenn der Mensch seine Projektion in sich selbst zurückholt, wenn er sich bewußt wird, daß er selbst Gott ist, wenn der Mensch infolgedessen zum Übermenschen verklärt wird. Diese Marx'sche Verklärung ist tatsächlich die äußerste Steigerung eines weniger radikalen mittelalterlichen Erlebnisses, das den Geist Gottes in den Menschen hineinzieht, Gott selbst aber in seiner Transzendenz beläßt. Der Übermensch steht am Ende eines Weges, auf dem wir Gestalten wie dem "godded man" der englischen Reformationsmystiker begegnen. Diese Betrachtungen werden ferner die an früherer Stelle ausgesprochene Warnung vor einer Charakterisierung der modernen politischen Bewegungen als neuheidnisch rechtfertigen. Gnostische Erfahrungen bestimmen eine Struktur politischer Realität, die sui generis ist. Eine Linie allmählicher Umgestaltung verbindet den mittelalterlichen mit dem heutigen Gnostizismus. Diese Umgestaltung vollzieht sich so allmählich, daß es schwer wäre zu entscheiden, ob die Phänomene der Gegenwart als christlich zu klassifizieren sind, weil sie einsichtig aus christlichen Häresien des Mittelalters erwachsen, oder ob die Phänomene des Mittelalters als antichristlich zu klassifizieren sind, weil sie einsichtig der Ursprung des modernen Antichristentums sind. Das Beste wird sein, man läßt solche Fragestellungen beiseite und erkennt das Wesen der Modernität im Anwachsen des Gnostizismus. (Fs) (notabene)

178a Die Gnosis war von Anfang an eine Begleiterscheinung des Christentums; ihre Spuren finden sich schon bei Paulus und Johannes. Die gnostische Häresie war in den frühen Jahrhunderten der große Widersacher des Christentums;- und Irenäus hat einen kritischen Überblick über die Vielzahl ihrer Varianten in seiner Schrift Adversus Haereses (um 180 n. Chr.) gegeben - einem Standardwerk über den Gegenstand, das auch heute noch für jeden, der die modernen politischen Ideen und Bewegungen verstehen will, von Nutzen sein wird. Ferner gab es neben der christlichen noch eine jüdische, eine heidnische und eine islamische Gnosis; und es ist durchaus möglich, daß der gemeinsame Ursprung all dieser Zweige der Gnosis in einem Erlebnistypus zu suchen ist, der im vorchristlichen Bereich der syrischen Kultur vorherrschte. Nirgends hat jedoch die Gnosis die Form einer Spekulation über den Sinn der welt-immanenten Geschichte angenommen, wie sie dies im Hohen Mittelalter tat; die Gnosis führt nicht aus innerer Notwendigkeit zur Fehlkonstruktion der Geschichte, die seit Joachim für die Modernität charakteristisch ist. Es muß daher in dem Streben nach Gewißheit eine weitere Komponente enthalten sein, welche die Gnosis speziell auf die Spekulation über die Geschichte hinlenkt. Diese zusätzliche Komponente ist der kulturelle Ausdehnungsdrang der westlichen Gesellschaft im Hohen Mittelalter. Es ist ein Mündigwerden auf der Suche nach einem Sinn, ein Wissen um Wachstum, das sich nicht mehr als senescens im Augustinischen Sinne interpretiert sehen will. Tatsächlich folgte die autonome Sinngebung der westlichen Kultur unmittelbar auf ihre jeweilige Expansion und Differenzierung. Das geistige Wachsen des Westens durch die Orden seit Cluny fand in der joachitischen Spekulation in dem Gedanken eines Dritten Reiches der Mönche Ausdruck; der frühe philosophische und literarische Humanismus rückte sich in Dantes und Petrarcas Idee eines Apollinischen Imperiums aus, eines Dritten Reiches geistigen Lebens, das auf die imperialen, spiritualen und temporalen Ordnungen folgt; und im Zeitalter der Vernunft entwarf Condorcet die Idee einer vereinheitlichten Menschheitskultur, in der jedermann ein französischer Intellektueller sein würde.- Auch die Sozialträger der Bewegungen wechselten mit der Differenzierung und Artikulierung der westlichen Gesellschaft. In den frühen Phasen der Modernität waren es die Bürger und Bauern, die sich gegen die Feudalgesellschaft auflehnten; in den späteren Phasen waren es die fortschrittliche Bourgeoisie, die sozialistische Arbeiterschaft und das faschistische Kleinbürgertum. Und schließlich mußte, nach dem ungeheuren Aufschwung, den die Naturwissenschaften seit dem siebzehnten Jahrhundert nahmen, dieses neue Mittel der Erkenntnis, man möchte sagen unvermeidlich, zum Symbolträger der gnostischen Wahrheit werden. In der gnostischen Spekulation des Szientismus erreichte diese Variante ihr Extrem, als der positivistische Vollender der Wissenschaft die Ära Christi durch die Ara Comtes ersetzte. Der Szientismus ist bis zum heutigen Tage eine der stärksten gnostischen Bewegungen in der westlichen Gesellschaft, und der immanentistische Stolz auf die Wissenschaft ist so stark, daß sogar jede der Einzelwissenschaften ihren spezifischen Niederschlag gefunden hat in den Varianten des Heilswissens aus der Physik, der Wirtschaftswissenschaft, Soziologie, Biologie und Psychologie. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Der Gnostizismus - das Wesen der Modernität 5; Gnosis, Scotus Eriugena; zivilisatorische Betätigung als Werk der Selbsterlösung; Pascal (divertissement); Nietzsche (Gnade Gottes); Comte: weltimmanentes Jüngstes Gericht

Kurzinhalt: Die gnostische Spekulation überwand die Ungewißheit des Glaubens dadurch, daß sie sich von der Transzendenz abwandte und den Menschen in seinem innerweltlichen Handlungsbereich mit dem Sinn einer eschatologischen Erfüllung ausstattete.

Textausschnitt: 5. Der Ablauf der Modernität

180a Diese Analyse der Komponenten in der modernen gnostischen Spekulation erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, aber sie ist weit genug geführt worden für den unmittelbaren Zweck, die Erfahrungen zu verdeutlichen, welche die politische Artikulierung der westlichen Gesellschaft unter der Symbolik des Dritten Reiches bestimmen. Es zeichnet sich das Bild einer Gesellschaft ab, die als Einheit identifizierbar und verstehbar ist kraft ihrer Entwicklung zum Repräsentanten eines historisch einmaligen Typus gnostischer Wahrheit. Folgend dem aristotelischen Verfahren ging die Analyse von der Selbstinterpretation der Gesellschaft durch die joachitische Symbolik des zwölften Jahrhunderts aus. Jetzt, da ihr Sinn durch theoretisches Verstehen geklärt worden ist, kann ein Datum für den Anfang dieser Zivilisationsströmung festgelegt werden. Ein geeignetes Datum für ihren Beginn wäre die Aktivierung der antiken Gnosis durch Scotus Eriugena im neunten Jahrhundert, da seine Werke, ebenso wie die von ihm übertragenen Werke des Dionysius Areopagita, stetig die im Untergrund wirkenden gnostischen Sekten beeinflußten, bevor sie im zwölften und dreizehnten Jahrhundert an die Oberfläche kamen. (Fs)

181b Die gnostische Spekulation überwand die Ungewißheit des Glaubens dadurch, daß sie sich von der Transzendenz abwandte und den Menschen in seinem innerweltlichen Handlungsbereich mit dem Sinn einer eschatologischen Erfüllung ausstattete. In demselben Ausmaß, in dem diese Immanentisierung erlebnismäßig voranschritt, wurde die zivilisatorische Betätigung zu einem mystischen Werk der Selbsterlösung. Die geistige Kraft der Seele, die im Christentum der Heiligung des Lebens diente, konnte jetzt abgelenkt werden auf die verlockendere, greifbarere und vor allem weitaus leichtere Schaffung eines irdischen Paradieses. Die Zivilisationsleistung wurde zu einem divertissement im Sinne Pascals, jedoch einem divertissement, das die ewige Bestimmung des Menschen dämonisch in sich einsog und selbst an die Stelle des Lebens des Geistes trat. Nietzsche drückte die Natur dieser dämonischen Diversion aufs knappste durch die Frage aus, warum ein Mensch in dem peinlichen Zustand eines Wesens leben solle, das auf die Liebe und Gnade Gottes angewiesen sei. "Liebet euch selber aus Gnade - dann habt ihr euren Gott gar nicht mehr nötig, und das ganze Drama von Sündenfall und Erlösung spielt sich in euch selber zu Ende!" Wie aber kann dieses Wunder vollbracht werden, dieses Wunder der Selbsterlösung, und wie diese Erlösung durch die Gewährung der Gnade an sich selbst? Die große historische Antwort wurde von den sich ablösenden Typen gnostischer Aktion erteilt, die die moderne Kultur zu dem gemacht haben, was sie ist. Das Wunder wurde der Reihe nach vollbracht durch die literarische und künstlerische Leistung, die dem humanistischen Intellektuellen die Unsterblichkeit des Nachruhms sicherte, durch die Zucht und den wirtschaftlichen Erfolg, der dem puritanischen Heiligen seine Erlösung gewährleistete, durch die zivilisatorischen Beiträge der Liberalen und Fortschrittler und schließlich durch die revolutionäre Aktion, die das kommunistische oder ein anderes gnostisches Millenium errichten soll. Der Gnostizismus machte also auf äußerst wirksame Weise menschliche Kräfte frei für den Aufbau einer Zivilisation, indem er auf den begeisterten Einsatz dieser Kräfte für innerweltliche Betätigung die Prämie der Erlösung setzte. Das historische Resultat war erstaunlich. Die Kräfte und Fähigkeiten des Menschen, die unter solchem Druck zum Vorschein kamen, waren an sich schon eine Offenbarung, ihr Einsatz aber auf zivilisatorischem Gebiet brachte das wahrhaft großartige Schauspiel der westlichen progressiven Gesellschaft hervor. Wie töricht die oberflächlichen Argumente auch sein mögen - der weitverbreitete Glaube, die moderne Zivilisation sei die Zivilisation schlechthin, ist durch den Augenschein gerechtfertigt; dadurch daß er den Sinn der Erlösung an sich zog, wurde der Aufstieg des Westens in der Tat zu einer Apokalypse der Zivilisation. (Fs)

181a Das ist ein langer Zyklus von tausend Jahren, lange genug, um das Nachdenken über seinen Verfall und sein Ende anzuregen. Dieses Nachdenken über die westliche Gesellschaft als einen zyklischen Ablauf, der als eine Einheit in den Blick kommt, weil er sich erkennbar seinem Ende zubewegt, hat eine der dornigsten Fragen aufgeworfen, die je einen Betrachter der westlichen Politik geplagt haben. Einerseits setzt im achtzehnten Jahrhundert ein stetiger Strom von Literatur über den Niedergang der westlichen Zivilisation ein; und gleichgültig welcherlei Bedenken man gegen dieses oder jenes besondere Argument hegen mag, so läßt sich doch nicht leugnen, daß die Theoretiker des Untergangs im allgemeinen ihren Standpunkt vertreten können. Andererseits ist für die gleiche Periode kennzeichnend eine überschäumende, expansive Vitalität in den Naturwissenschaften, in der Technik, der materiellen Beherrschung der Umwelt, in der Zunahme der Bevölkerung, der Steigerung des Lebensstandards, der Gesundheit und des Wohlstandes, in der Ausdehnung der Erziehung der Massen, dem Wachsen des sozialen Bewußtseins und des Verantwortungsgeistes; und wiederum, was immer für Bedenken man im einen oder anderen der hier angeführten Punkte haben mag, kann man doch nicht leugnen, daß auch die Progressivisten ihren Standpunkt vertreten können. Dieser Widerspruch der Interpretationen hat die vorhin angedeutete dornige Frage im Gefolge, die Frage nämlich: wieso eine Zivilisation gleichzeitig aufsteigen und verfallen kann. Eine Betrachtung dieser Frage empfiehlt sich, weil es möglich erscheint, daß die Analyse des modernen Gnostizismus zumindest eine Teillösung des Problems ergeben wird. (Fs) (notabene)

183a Auf dieses apokalyptische Schauspiel fällt jedoch ein Schatten, da die glänzende Expansion von einer Gefahr begleitet wird, die mit dem Fortschritt zusehends anwächst. Die Natur dieser Gefahr wurde offenbar in der Form, die der Gedanke der immanenten Erlösung im Gnostizismus Comtes annahm. Der Begründer des Positivismus erhob die Prämie für zivilisatorische Leistungen zur Institution, indem er der Person und den Taten des Fortschrittspioniers Unsterblichkeit im Gedächtnis der Menschheit garantierte. Es wurden Ehrengrade der Unsterblichkeit eingerichtet, wobei die höchste Ehrung in der Aufnahme der verdienstvollen Persönlichkeit in den Kalender der positivistischen Heiligen bestand. Was würde aber in einer so beschaffenen Ordnung der Dinge mit denjenigen geschehen, die lieber Anhänger Gottes als des neuen Augustus Comte sein wollten? Solche Irrgläubige, die nicht gewillt waren, ihren sozialen Beitrag nach Comte'scher Norm zu leisten, würden in die Hölle des kollektiven Vergessens verstoßen werden. Dieser Gedanke verdient Beachtung. Hier ist ein gnostischer Paraklet, der sich selbst als das weltimmanente Jüngste Gericht der Menschheit einsetzt, das über Unsterblichkeit oder Vernichtung eines jeden Menschen entscheidet. Zwar schreitet die materielle Zivilisation des Westens noch immer voran, aber auf dieser ansteigenden Zivilisationsebene zeichnet die Fortschrittssymbolik von Leistung, Nachruhm und der Streichung aus der Geschichte die Konturen jenes "Abgrundes des Vergessens" ein, in welche die göttlichen Erlöser der gnostischen Reiche ihre Opfer mit einem Genickschuß stürzen lassen. Dieses Ende des Fortschritts war in den halkyonischen Tagen gnostischen Überschwangs nicht bedacht worden. Milton entließ Adam und Eva mit "einem Paradies in sich, weit glücklicher" als das verlorene; als sie aus ihm hervorgingen, "lag die ganze Welt vor ihnen" und die "Betrachtung des happy end" machte sie froh. Wenn aber der Mensch aus der Geschichte hervorgeht mit dem gnostischen "Paradies in sich", und wenn er in die vor ihm liegende Welt eindringt, so macht die Betrachtung des durchaus nicht glücklichen Endes nur wenig froh. (Fs)

184a Der Tod des Geistes ist der Preis des Fortschritts. Nietzsche offenbarte dieses Mysterium der westlichen Apokalypse, als er verkündete, daß Gott tot und daß er ermordet worden sei. Dieser gnostische Mord wird ständig von den Menschen begangen, die Gott der Zivilisation zum Opfer bringen. Je intensiver alle menschlichen Energien in das große Unternehmen der Erlösung durch welt-immanentes Handeln geworfen werden, desto mehr entfernen sich diejenigen, die an diesem Unternehmen mitwirken, vom Leben des Geistes. Und da das Leben des Geistes die Quelle der Ordnung im Menschen und in der Gesellschaft ist, liegt gerade im Erfolg einer gnostischen Zivilisation die Ursache ihres Verfalls. (Fs)

185a Eine Zivilisation kann also in der Tat gleichzeitig im Aufstieg und Niedergang begriffen sein - aber nicht für immer. Es gibt eine Grenze, auf die sich dieser zweideutige Vorgang hinbewegt. Diese Grenze wird erreicht, wenn eine aktivistische Sekte, welche die gnostische Wahrheit repräsentiert, die Zivilisation zu einem von ihr beherrschten Reich organisiert. Der Totalitarismus als existentielle Herrschaft gnostischer Aktivisten ist die Endform der progressiven Zivilisation. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Die gnostische Revolution 5b; Hobbes: theologia civilis; Spannung: Wahrheit d. Gesellschaft (theologia civilis) - Wahrheit der Seele; Plato: Politeia -> Nomoi

Kurzinhalt: Hobbes erkannte, daß ohne eine unbestrittene Ziviltheologie öffentliche Ordnung unmöglich war; Öffnen der Seele als einer Epoche seelischer Differenzierung und der Struktur der Realität, die unverändert bleibt..

Textausschnitt: 217a Das Öffnen der Seele war ein epochales Ereignis in der Menschheitsgeschichte, weil mit der Differenzierung der Seele als des Sensoriums der Transzendenz die kritischen theoretischen Maßstäbe für die Interpretation der menschlichen Existenz in der Gesellschaft sichtbar wurden, sowie die Quelle der Autorität jener Maßstäbe. Als die Seele sich auf die transzendente Realität hin öffnete, begegnete sie einer Quelle der Ordnung, von höherem Rang als die etablierte Gesellschaftsordnung, und einer Wahrheit, die in kritischer Opposition zu jener Wahrheit stand, zu welcher die Gesellschaft durch die Symbolik ihrer Selbstinterpretation gelangt war. Ferner war das logische Korrelat zur Idee eines universalen Gottes als des Maßes der geöffneten Seele die Idee einer universalen Gemeinschaft der Menschheit, jenseits aller zivilen Gesellschaft, durch die Teilnahme aller Menschen am gemeinsamen Maß, gleichgültig ob dieses als der aristotelische nous oder der stoische oder christliche logos verstanden wird. Die Wucht solcher Entdeckungen kann leicht die Tatsache verdecken, daß die neue Klarheit über die Struktur der Realität diese Struktur selbst nicht verändert hatte. Das Öffnen der Seele kennzeichnete tatsächlich eine Epoche durch ihr Vordringen von der Kompaktheit zur Differenzierung des Erlebens, von Unklarheit zu Klarheit der Einsicht. Aber die Spannung zwischen einer Wahrheit der Gesellschaft und einer Wahrheit der Seele hatte es schon vor dieser Epoche gegeben, und das neue Verstehen der Transzendenz konnte das Bewußtsein der Spannung schärfen, sie aber nicht aus der Seinsverfassung entfernen. Die Idee eines universalen Gottes z. B. erreichte ihre spezifische Reinheit durch die mystischen Philosophen, aber ihre Existenz, eingebettet in einen kompakten kosmologischen Mythos, ist schon durch ägyptische Inschriften etwa aus dem Jahr 3000 v. Chr. zu belegen. Und da selbst zu jener frühen Zeit die Idee im Verlauf einer polemischen, kritischen Spekulation über Hierarchie und Funktion der Götter auftrat, muß schon damals die Spannung zwischen einer Wahrheit, wie sie der spekulierende Denker verstand, und der Wahrheit des überlieferten Mythos bestanden haben. Die stoische Vorstellung von einer Kosmopolis, der die Menschen kraft ihrer Teilhabe am Logos angehören (um ein anderes Beispiel zu geben), hat nicht die Existenz des Menschen in historischen Gesellschaften abgeschafft. Daher ist zu unterscheiden zwischen dem Öffnen der Seele als einer Epoche seelischer Differenzierung und der Struktur der Realität, die unverändert bleibt. (Fs) (notabene)

218a Aus dieser Unterscheidung ergibt sich für das vorliegende Problem, daß die Spannung zwischen einer differenzierten Wahrheit der Seele und der Wahrheit der Gesellschaft in der historischen Realität nicht dadurch beseitigt werden kann, daß man sich der einen oder der anderen Wahrheit entledigt. Die menschliche Existenz in natürlichen Gesellschaften bleibt was sie war, bevor sie sich auf ein jenseits der Natur liegendes Schicksal hinorientierte. Der Glaube ist die Erwartung einer übernatürlichen Perfektion des Menschen; er ist nicht diese Perfektion selbst. Das Reich Gottes ist nicht von dieser Welt; und die Kirche als der Repräsentant der civitas Dei in der Geschichte ist nicht ein Ersatz für die zivile Gesellschaft. Als Ergebnis der epochalen Differenzierung tritt nicht eine offene an die Stelle der geschlossenen Gesellschaft - um mit Bergson zu sprechen -, sondern die Symbolik wird komplizierter, entsprechend der Differenzierung der Erlebnisse. Die beiden Wahrheitstypen existieren nebeneinander, und die zwischen ihnen bestehende Spannung, die bald mehr bald weniger ins Bewußtsein tritt, wird zu einer dauernden Struktur der Zivilisation. Diese Einsicht hatte schon Platon gewonnen; in seinem Werk wird sie in der Evolution von der Politeia zu den Nomoi reflektiert. In der Politeia konstruierte er eine Polis, welche die Mahrheit der Seele unter der unmittelbaren Herrschaft mystischer Philosophen verkörpern sollte; es war ein Versuch, die Spannung dadurch aufzulösen, daß die Ordnung der Seele zur Ordnung der Gesellschaft gemacht wurde. In den Nomoi ließ er die Wahrheit der Seele im Hintergrund ihrer Offenbarung in der Politeia; die Polis der Nomoi gründete er auf Institutionen, welche die Ordnung des Kosmos widerspiegelten, während die Wahrheit der Seele durch Administratoren vermittelt wurde, die sie als Dogma empfingen. Platon selbst, der potentielle Philosophenkönig der Politeia, wurde der athenische Fremdling der Nomoi, der mithalf, Institutionen zu ersinnen, die soviel an Geist verkörperten, als mit der unverändert gebliebenen natürlichen Existenz der Gesellschaft zu vereinbaren war. (Fs) (notabene)

219a Die christlichen Kirchenväter legten nicht den Scharfsinn Platons an den Tag, als ihnen das gleiche Problem durch historische Umstände aufgezwungen wurde. Offenbar begriffen sie nicht, daß das Christentum zwar den Polytheismus verdrängen, nicht aber das Bedürfnis nach einer Ziviltheologie abschaffen konnte. Nachdem die Wahrheit der Seele die Oberhand gewonnen hatte, blieb das Vakuum zurück, das Platon mit seiner Konstruktion der Polis als ein kosmisches Analogon auszufüllen versuchte. Das Ausfüllen dieses Vakuums wurde zu einem Hauptproblem, wo immer das Christentum die vorchristliche Wahrheit einer geschlossenen Gesellschaft als lebendige Kraft auflöste, und wo immer die Kirche an der Seite eines zivilen Herrschers die existentielle Repräsentation erlangte und zusätzlich zu ihrer Repräsentation der übernatürlichen Bestimmung des Menschen auch noch die transzendente Legitimation der Gesellschaftsordnung liefern sollte. Die eine große Lösung war der byzantinische Cäsaropapismus mit seiner Tendenz, die Kirche in eine zivile Institution umzuwandeln. Gegen diese Tendenz schrieb Gelasius Ende des fünften Jahrhunderts seine Briefe und Traktate, in denen er die andere große Lösung, die der zwei im Gleichgewicht befindlichen Mächte formulierte. Dieses Gleichgewicht, funktionierte im Westen, solange das Werk der zivilisatorischen Expansion und Konsolidierung die Interessen der kirchlichen und zivilen Organisationen parallel laufen ließ. Aber die Spannung zwischen den zwei Typen der Wahrheit wurde merklich, sobald ein gewisser Grad kultureller Saturierung erreicht war. Als die Kirche im Gefolge der Cluniazensischen Reform ihre geistige Substanz neu behauptete und versuchte, sich aus ihren vielfältigen zivilen Bindungen zu lösen, war der Investiturstreit die Folge. Aber als die gnostischen Sektiererbewegungen im zwölften Jahrhundert Auftrieb erhielten, arbeitete die Kirche bei der Verfolgung der Häretiker durch die Inquisition mit der Zivilgewalt zusammen; sie neigte bei dieser Gelegenheit stark zu ihrer Funktion als Agent der theologia civilis und wurde dadurch ihrem Wesen als der Repräsentant der civitas Dei in der Geschichte untreu. Die Spannung erreicht schließlich den Zerreißpunkt, als eine Vielzahl schismatischer Kirchen und gnostischer Bewegungen miteinander in heftigen Wettstreit um die existentielle Repräsentation gerieten. Das Vakuum tat sich nun in Gestalt der religiösen Bürgerkriege auf. (Fs) (notabene)

221a Hobbes erkannte, daß ohne eine unbestrittene Ziviltheologie öffentliche Ordnung unmöglich war. Das große Verdienst von bleibendem Wert des Leviathan ist es, diesen Punkt geklärt zu haben. Eine weniger glückliche Hand hatte Hobbes, als er versuchte, das Vakuum durch die Etablierung des Christentums als der englischen Ziviltheologie auszufüllen. Er konnte sich mit diesem Gedanken tragen, da seiner Auffassung nach das Christentum, wenn richtig interpretiert, mit der Wahrheit der Gesellschaft identisch war, wie er sie in den ersten zwei Teilen seines Leviathan entwickelt hatte. Er leugnete die Existenz einer Spannung zwischen der Wahrheit der Seele und der Wahrheit der Gesellschaft. Der Inhalt der Heiligen Schrift fiel seiner Meinung nach substantiell mit der Wahrheit Hobbes' zusammen. In diesem Glauben konnte er der Idee verfallen, eine Krise von weltgeschichtlichen Ausmaßen dadurch zu lösen, daß er seinen Rat als Fachmann jedem Souverän anbot, der ihn anzunehmen gewillt war. "Ich hege einige Hoffnungen", sagte er, "daß eines Tages diese meine Schrift in die Hände eines Souveräns fallen könnte, der sie selbst überdenken wird (denn sie ist kurz und, wie ich meine, klar) ohne Zuhilfenahme eines interessierten oder mißgünstigen Interpreten; und daß er in Ausübung seiner vollen Souveränität ihre öffentliche Verbreitung fördert und auf diese Weise die Wahrheit der Spekulation für die Praxis nutzbar macht." Er fühlte sich in der Rolle eines Platon auf der Suche nach einem König, der die neue Wahrheit annehmen und das Volk in ihr unterweisen würde. (Fs)

222a Die Erziehung des Volkes war ein wesentlicher Teil seines Programmes. Hobbes verließ sich nicht auf die Unterdrückung der religiösen Bewegungen durch Regierungsgewalt; er wußte, daß öffentliche Ordnung nur echt war, wenn das Volk sie aus freiem Willen annahm, und daß die freiwillige Annahme nur dann möglich war, wenn das Volk seinen Gehorsam dem staatlichen Repräsentanten gegenüber als seine Pflicht unter dem ewigen Gesetz auffaßte. Wenn das Volk dieses Gesetz nicht kannte, würde es eine wegen Aufruhrs verhängte Strafe als "feindselige Handlung ansehen, welche es, sobald es sich stark genug fühlt, seinerseits durch feindselige Handlungen abzuwenden versucht". Er bezeichnet es daher als Pflicht des Souveräns, der Unwissenheit des Volkes durch entsprechende Unterweisung abzuhelfen. Wenn das geschähe, bestehe die Hoffnung, daß seine Prinzipien "die Verfassung, wenn nicht von außen her Gewalt verübt wird, zu einer immerwährenden machen werden". Mit diesem Gedanken der Abschaffung der Spannungen der Geschichte durch die Verbreitung einer neuen Wahrheit gibt Hobbes freilich seine eigenen gnostischen Absichten zu erkennen. Sein Versuch, die Geschichte zu einer immerwährenden Verfassung erstarren zu lassen, ist ein Fall der generellen Klasse gnostischer Versuche, die Geschichte in die unveränderliche Form eines immerwährenden Endreiches zu pressen. (Fs)

222b Der Gedanke, die Wirren der Geschichte durch die Einführung einer immerwährenden Verfassung zu lösen, war nur unter der Bedingung sinnvoll, daß die Quelle der Störungen, d. h. die Wahrheit der Seele, den Menschen nicht mehr beunruhigen würde. Hobbes vereinfachte in der Tat die Struktur der Politik, indem er die anthropologische und soteriologische Wahrheit aus ihr entfernte. Das ist ein verständlicher Wunsch für einen Menschen, der seine Ruhe haben will; gewiß wäre alles viel einfacher ohne Philosophie und Christentum. Wie aber kann man sich ihrer entledigen, ohne die Erfahrungen der Transzendenz abzuschaffen, die zur Natur des Menschen gehören? Auch zur Lösung dieses Problems fühlte sich Hobbes durchaus fähig: er verbesserte den von Gott geschaffenen Menschen und schuf einen Menschen ohne solche Erfahrungen. An diesem Punkt betreten wir jedoch die höheren Regionen der gnostischen Traumwelt. Dieses weitere Unterfangen Hobbes' muß in den größeren Zusammenhang der westlichen Krise hineingestellt werden. Und das soll die Aufgabe des letzten Kapitels sein. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Ende d Modernität 1; Wahrheit d. kosmischen Ordnung; Gnosis, Gnostizismus als theologia civilis; Kirche: Wahrheit d. Seele; Totalitarismus unserer Zeit: Zivilreligion; Kulturzyklus (adventlich, rezessiv)

Kurzinhalt: In den gnostischen Zivilisationen kehrt die Wahrheit der Seele nicht in die kompakte Form zurück, sondern wird gänzlich unterdrückt. In dieser Unterdrückung der autoritativen Quelle der Ordnung in der Seele liegt die Ursache für die kalte Grausamkeit ...

Textausschnitt: 224a Hobbes hatte das Fehlen einer theologia civilis als die Quelle der Schwierigkeiten erkannt, von denen die Ordnung Englands in der puritanischen Krise befallen war. Die verschiedenen in den Bürgerkrieg verwickelten Gruppen waren so himmelsüchtig darauf bedacht, die Gesellschaft die richtige Variante transzendenter Wahrheit repräsentieren zu lassen, daß die existentielle Ordnung in Gefahr war, unterzugehen. Es war die Gelegenheit, die Entdeckung Platons neu zu entdecken: daß eine Gesellschaft als ein geordnetes Kosmion, als ein Repräsentant kosmischer Ordnung existieren muß, um sich den Luxus zu erlauben, auch die Wahrheit der Seele zu repräsentieren. Die Repräsentation der Wahrheit der Seele im christlichen Sinne ist die Funktion der Kirche, nicht der zivilen Gesellschaft. Wenn eine Vielzahl von Kirchen und Sekten anfängt, um die Herrschaft zu kämpfen, und keine von ihnen stark genug ist, einen unbestrittenen Sieg zu erringen, kann in der Logik der Ordnung die Situation nur dadurch bewältigt werden, daß der existentielle Repräsentant die Kampfhähne zu privaten Vereinigungen innerhalb der Gesellschaft reduziert. Dieses Problem der Existenz wurde schon mehrmals berührt. Es bedarf nunmehr einer zusammenfassenden Klärung, ehe die Hobbes'sche Idee vom Menschen dargelegt und bewertet werden kann. Die Analyse wird zweckmäßigerweise von den Punkten ausgehen, die bereits gesichert sind. (Fs)

224b Das Christentum hatte das Vakuum einer entgötterten natürlichen Sphäre politischer Existenz zurückgelassen. In der konkreten Situation des spätrömischen Reiches und der frühen westlichen politischen Gründungen wurde dieses Vakuum solange zu keinem größeren Unruheherd, als der Mythos des Reiches nicht ernstlich durch die Konsolidierung von Nationalreichen beeinträchtigt wurde und als die Kirche der vorherrschende kulturelle Faktor in der Entfaltung der westlichen Gesellschaft war, so daß das Christentum faktisch als Ziviltheologie fungieren konnte. Sobald jedoch ein gewisser kultureller Sättigungsgrad erreicht war, als sich an den Höfen und in den Städten Zentren der Laienkultur bildeten, als entsprechend die Zahl der Laien in den königlichen Verwaltungen wie auch in den Stadtregierungen anstieg, zeigte sich nur zu deutlich, daß die Probleme einer Gesellschaft in historischer Existenz durch ein bloßes Warten auf das Ende der Welt keineswegs erschöpft waren. Der Aufstieg des Gnostizismus an diesem kritischen Wendepunkt erscheint jetzt in einem neuen Licht als der Anfang des Bemühens um eine westliche Ziviltheologie. Die Immanentisierung des christlichen Eschaton macht es möglich, der Gesellschaft in ihrer natürlichen Existenz einen Sinn zu verleihen, welchen das Christentum ihr versagt hatte. Und der Totalitarismus unserer Zeit muß als die letzte Station auf der gnostischen Suche nach einer Ziviltheologie verstanden werden. (Fs) (notabene)

225a Das Experimentieren mit einer Ziviltheologie war jedoch von Gefahren umwittert, die aus dem hybriden Charakter des Gnostizismus als eines Derivates des Christentums erwuchsen. Die erste dieser Gefahren wurde bereits behandelt. Sie bestand im Bestreben des Gnostizismus, die Wahrheit der Seele nicht zu ergänzen, sondern zu ersetzen. Die gnostischen Bewegungen begnügten sich nicht damit, das Vakuum der Ziviltheologie auszufüllen; sie hatten die Tendenz, das Christentum abzuschaffen. In den Anfangsphasen der Bewegung trat der Angriff noch unter dem Deckmantel eines christlichen "Spiritualismus" oder einer "Reform" auf. In den späteren Phasen wurde er jedoch mit der radikaleren Immanentisierung des Eschaton offen antichristlich. Wo immer die gnostischen Bewegungen Fuß faßten, zerstörten sie die Wahrheit der geöffneten Seele; ein ganzer Bereich differenzierter Realität, der von der Philosophie und vom Christentum erschlossen worden war, wurde zertrümmert. Und wiederum ist es nötig daran zu erinnern, daß das Vordringen des Gnostizismus nicht eine Rückkehr zum Heidentum ist. In den vorchristlichen Kulturen war die Wahrheit, die sich durch das Öffnen der Seele differenzierte, in der Form kompakter Erlebnisse präsent. In den gnostischen Zivilisationen kehrt die Wahrheit der Seele nicht in die kompakte Form zurück, sondern wird gänzlich unterdrückt. In dieser Unterdrückung der autoritativen Quelle der Ordnung in der Seele liegt die Ursache für die kalte Grausamkeit totalitärer Regierungen im Umgang mit Einzelmenschen. (Fs) (notabene)

226a Das eigentümliche Resultat der Unterdrückung durch das Wachstum des Gnostizismus in der westlichen Gesellschaft regt den Gedanken eines Kulturzyklus von welthistorischen Ausmaßen an. Die Umrisse eines Riesenzyklus zeichnen sich ab, der die Zyklen der einzelnen Zivilisationsgesellschaften überwölbt. Den Höhepunkt dieses Zyklus würde das Erscheinen Christi kennzeichnen; die vorchristlichen Hochkulturen wären sein aufsteigender, die moderne, gnostische Zivilisation sein absteigender Ast. Die vorchristlichen Hochkulturen stiegen von der Kompaktheit des Erlebens zur Differenzierung der Seele als des Sensoriums der Transzendenz auf; und im mittelmeerischen Kulturbereich gipfelte dieser Aufstieg in der maximalen Differenzierung durch die Offenbarung des Logos in der Geschichte. Sofern die vorchristlichen Kulturen sich auf dieses Maximum des Advent hin bewegen, kann ihre Dynamik "adventlich" genannt werden. In der modernen gnostischen Zivilisation wird die Tendenz zur Differenzierung rückläufig, und sofern sie vom Maximum zurückweicht, kann ihre Dynamik "rezessiv" genannt werden. Zwar hat die westliche Gesellschaft ihren eigenen Zyklus von Wachstum, Blüte und Abstieg, aber da sie die Entfaltung des Gnostizismus mit sich brachte, muß sie als der absteigende Ast des umfassenden Advent-Rezessions-Zyklus angesehen werden. (Fs) (notabene)
227a Diese Betrachtungen eröffnen eine Perspektive auf die weitere Dynamik der Zivilisation. Der moderne Gnostizismus hat seine Kraftreserven durchaus noch nicht verbraucht. Im Gegenteil, in der Variante des Marxismus breitet er seine Einflußsphäre in Asien gewaltig aus, während andere Varianten des Gnostizismus, wie der Progressivismus, Positivismus und Szientismus in neuen Gebieten unter dem Titel der "Verwestlichung" und "Entwicklung rückständiger Gebiete" Fuß fassen. Und man kann wohl sagen, daß auch in der westlichen Gesellschaft selbst seine Kraft keineswegs erlahmt ist, sondern daß unsere eigene "Verwestlichung" noch zunimmt. Angesichts dieser weltweiten Ausdehnung ist es nötig, das Selbstverständliche festzustellen: daß die menschliche Natur sich nicht ändert. Die Verschließung der Seele im modernen Gnostizismus kann die Wahrheit der Seele wie auch die Erfahrungen, die sich in Philosophie und Christentum manifestieren, unterdrücken, aber sie kann die Seele und ihre Transzendenz nicht aus der Struktur der Wirklichkeit entfernen. Daher drängt sich die Frage auf: wie lange kann eine solche Unterdrückung andauern? Und was wird geschehen, wenn anhaltender, schwerer Druck zu einer Explosion führt? Solche Fragen betreffend die Dynamik der Zukunft sind legitim, weil sie aus einer methodisch korrekten Anwendung der Theorie auf eine empirisch beobachtete Komponente zeitgenössischer Zivilisation erwachsen. Es wäre jedoch nicht legitim, sich Spekulationen über die Form, welche die Explosion annehmen wird, hinzugeben über die berechtigte Annahme hinaus, daß die Reaktion gegen den Gnostizismus genau so weltweit sein wird wie seine Expansion. Die komplizierenden Faktoren sind so zahlreich, daß Voraussagen sinnlos wären. Auch was unsere eigene westliche Gesellschaft anbelangt, läßt sich kaum mehr tun als darauf hinweisen, daß der Gnostizismus trotz seines geräuschvollen Aufstiegs das Feld durchaus nicht alleine beherrscht, daß die klassische und christliche Tradition der westlichen Gesellschaft lebt, daß die Bildung eines geistigen und intellektuellen Widerstandes gegen den Gnostizismus in all seinen Spielarten ein Faktor in unserer Gesellschaft ist, daß die Wiederherstellung einer Wissenschaft von Mensch und Gesellschaft eines der beachtlichen Ereignisse des letzten Halbjahrhunderts darstellt und rückblickend einem künftigen Betrachter vielleicht als das wichtigste Ereignis unserer Zeit erscheinen wird. Noch weniger läßt sich, aus naheliegenden Gründen, über die mutmaßliche Reaktion einer lebendigen christlichen Tradition gegen den Gnostizismus im Sowjetreich aussagen; und gar nichts darüber, wie wohl die chinesische, die hinduistische, islamische und die primitiven Zivilisationen reagieren werden, wenn sie auf die Dauer der Verheerung und Unterdrückung durch den Gnostizismus ausgesetzt sind. Nur über einen Punkt läßt sich zumindest eine begründete Vermutung anstellen, nämlich über den Zeitpunkt der Explosion. Eine objektive Zeitangabe ist auch in diesem Fall nicht möglich; aber der Gnostizismus enthält in sich einen Faktor, der gegen ihn selbst arbeitet, und dieser Faktor macht es zumindest wahrscheinlich, daß der Zeitpunkt näher ist, als man unter dem Eindruck der gnostischen Macht des Augenblicks annehmen möchte. Dieser selbstzerstörende Faktor ist die zweite Gefahr des Gnostizismus als einer Ziviltheologie. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Ende d. Modernität 2a; Gnostizismus: Missachtung der Grundsätze menschlicher Existenz (Ordnung - Traumwelt - Existenzangst); pneumopathologischer Geisteszustand;

Kurzinhalt: In jeder Gesellschaft ist somit die Neigung präsent, den Sinn der Ordnung auf das Faktum der Existenz auszudehnen, aber in vorwiegend gnostischen Gesellschaften wird diese Ausweitung zum Prinzip erhoben.

Textausschnitt: 229a Die erste Gefahr war die Zerstörung der Wahrheit der Seele. Die zweite hängt eng mit der ersten zusammen. Die Wahrheit des Gnostizismus ist, wie oben dargelegt, mit dem Defekt der Immanentisierung des christlichen Eschaton behaftet. Dieser Defekt ist nicht einfach ein theoretischer Irrtum betreffend den Sinn des Eschaton, der diesem oder jenem Denker unterlaufen wäre; er ist mehr als eine bloße Angelegenheit der Schulen. Denn auf Grund dieses Denkfehlers interpretieren gnostische Denker, Führer und ihre Anhänger eine konkrete Gesellschaft und deren Ordnung als ein Eschaton; und wenn sie ihre Fehlkonstruktion auf konkrete soziale Probleme anwenden, dann stellen sie die Struktur der immanenten Realität falsch dar. Die eschatologische Interpretation der Geschichte ergibt ein falsches Bild der Realität; und Irrtümer betreffend die Struktur der Realität haben Konsequenzen in der Praxis, wenn die falsche Konzeption zur Basis politischer Aktion gemacht wird. Im besonderen zerstört die gnostische Täuschung die älteste Weisheit der Menschheit betreffend den Rhythmus von Werden und Vergehen, der das Schicksal aller Dinge unter der Sonne ist. Der Prediger sagt: (Fs)

Jeglichem seine Stunde,
Und eine Zeit für jedes Vorhaben unter dem Himmel:
Eine geboren zu werden, und eine zu sterben.

230a Über die Begrenztheit der menschlichen Erkenntnis nachsinnend, sagt der Prediger weiter, der Geist des Menschen könne "das Werk, das Gott von Anbeginn bis zum Ende vollbringt", nicht ermessen. Was entsteht, das muß vergehen; und: das Mysterium des Seinsstroms ist undurchdringlich. Das sind die beiden großen Prinzipien, die das Dasein bestimmen. Die gnostische Spekulation über das Eidos der Geschichte ignoriert jedoch nicht nur diese Prinzipien, sondern verkehrt sie in ihr Gegenteil. Denn die Idee vom Endreich setzt eine Gesellschaft voraus, die zwar einen Anfang, aber kein Ende haben wird; und das Mysterium des Seinsstroms wird durch das spekulative Wissen um sein Ziel gelöst. Der Gnostizismus hat sozusagen die Gegenprinzipien zu den Prinzipien der Existenz hervorgebracht. Und insofern diese Prinzipien für die Massen der Gläubigen das Bild der Realität bestimmen, hat er eine Traumwelt geschaffen, die ihrerseits eine soziale Kraft erster Ordnung ist, wenn es zur Motivierung der Haltungen und Aktionen gnostischer Massen und ihrer Repräsentanten kommt. (Fs) (notabene)

230b Das Phänomen einer auf bestimmte Prinzipien gegründeten Traumwelt bedarf einiger Erläuterung. Es wäre als historisches Massenphänomen kaum möglich, wenn es nicht in tiefgehenden Erlebnissen verwurzelt wäre. Der Gnostizismus als eine gegenexistentielle Traumwelt kann vielleicht als der extreme Ausdruck allgemein menschlicher Erfahrungen zum Verständnis gebracht werden: der Erfahrungen der Existenzangst und des Dranges ihr zu entrinnen. Konkret läßt sich das Problem folgendermaßen ausdrücken: Eine Gesellschaft wird, sobald sie existent ist, ihre Ordnung als Teil der Seinsordnung interpretieren. Diese Selbstinterpretation der Gesellschaft als Spiegel der kosmischen Ordnung ist jedoch ein Teil der sozialen Wirklichkeit selbst. Die geordnete Gesellschaft zusammen mit ihrer Selbstinterpretation bleibt eine Welle im Seinsstrom; die Polis des Aischylos mit ihrer ordnenden Dike ist im Meer dämonischer Unordnung eine Insel, die sich nur mühsam im Dasein erhält. Nur die Ordnung einer existenten Gesellschaft ist verstehbar; ihre Existenz an sich ist nicht verstehbar. Die erfolgreiche Artikulierung einer Gesellschaft ist ein Faktum, das unter günstigen Umständen möglich geworden ist; und das Faktum kann durch ungünstige Umstände, wie beispielsweise durch das Auftreten einer stärkeren, erobernden Macht, zunichte gemacht werden. Die fortuna secunda et adversa ist die lächelnde, schreckliche Göttin, die über den Existenzbereich herrscht. Dieses Risiko einer recht- und grundlosen Existenz ist ein dämonisches Grauen; sogar für den Beherzten ist es schwer zu tragen; und es ist kaum erträglich für zarte Seelen, die nicht leben können ohne den Glauben, sie verdienten zu leben. Man kann daher wohl zu Recht annehmen, daß in jeder Gesellschaft mehr oder minder stark die Neigung vorhanden ist, den Sinn ihrer Ordnung auf das Faktum ihrer Existenz auszudehnen. Vor allem wenn eine Gesellschaft eine lange, ruhmreiche Geschichte aufweist, wird ihre Existenz leicht für einen wesensmäßigen Teil der Seinsordnung gehalten. Es ist unvorstellbar geworden, daß die Gesellschaft einfach zu existieren aufhören könnte. Und wenn ein großer symbolischer Schlag dröhnt, man denke an die Eroberung Roms im Jahre 410, geht ein Stöhnen durch den orbis terrarrum, daß nun das Ende der Welt gekommen sei. (Fs) (notabene)

231a In jeder Gesellschaft ist somit die Neigung präsent, den Sinn der Ordnung auf das Faktum der Existenz auszudehnen, aber in vorwiegend gnostischen Gesellschaften wird diese Ausweitung zum Prinzip erhoben. Die Verschiebung von einer Stimmung, einer trägen Indifferenz, in der Existenz als selbstverständlich erscheint, zu einem Prinzip, bestimmt nun eine neue Verhaltensweise. Im ersten Falle, dem der Stimmung, kann man von einer Neigung sprechen, sich um die Struktur der Realität nicht zu kümmern, sich ganz der Süße des Daseins hinzugeben, von einem Absinken der bürgerlichen Moral, von einer Blindheit gegenüber offensichtlichen Gefahren und einem Widerwillen, ihnen ernsthaft zu begegnen. Das wäre die Gemütsverfassung alternder, sich auflösender Gesellschaften, die nicht mehr gewillt sind, um ihre Existenz zu kämpfen. Im zweiten, gnostischen Falle ist die psychologische Situation eine ganz andere. Im Gnostizismus ist die Nichtanerkennung der Realität eine Sache des Prinzips. In diesem Falle müßte man eher von einer Neigung sprechen, sich des Risikos der Existenz bewußt zu bleiben, es gleichzeitig aber nicht als Problem in die gnostische Traumwelt aufzunehmen. Auch vermindert der Traum nicht den Verantwortungsgeist der Bürger oder die Bereitschaft, im Notfall tapfer zu kämpfen. Die Haltung der Realität gegenüber bleibt energisch und aktiv, aber weder die Realität noch die Aktion in der Realität kann scharf in Fokus gebracht werden; das Bild wird durch den gnostischen Traum getrübt. Das Ergebnis ist ein sehr komplexer, pneumopathologischer Geisteszustand, wie er in Hockers Bild des Puritaners skizziert wurde. (Fs)

232a Das Studium des Phänomens und seiner zeitgenössischen Spielarten ist jedoch schwieriger geworden, als es zu Hookers Zeit war. Im sechzehnten Jahrhundert wurden die Traumwelt und die wirkliche Welt noch terminologisch durch die christliche Symbolik der zwei Welten auseinandergehalten. Die Krankheit und ihre besondere Spielart konnte leicht diagnostiziert werden, weil der Patient sich selbst voll bewußt war, daß die neue Welt nicht die Welt war, in der er wirklich lebte. Mit der radikalen Immanentisierung wird die Traumwelt terminologisch in die reale Welt hineingeblendet. Die Besessenheit, die wirkliche Welt durch die verklärte Traumwelt zu ersetzen, ist zur Besessenheit von der einen Welt geworden, in welcher die Träumer das Vokabular der Realität, mit entsprechender Änderung seines Sinnes, gebrauchen und vom Traum sprechen, als wäre er Wirklichkeit. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Die gnostische Revolution 1; d. Fall des Puritanismus; Periodisierung der westlichen Geschichte; Hooker

Kurzinhalt: Die Vorstellung eines modernen auf das Mittelalter folgenden Zeitalters ist selbst eines der Symbole, welche die gnostische Bewegung geschaffen hat. Sie gehört in die Klasse der Symbole des Dritten Reiches.

Textausschnitt: V. Die gnostische Revolution - Der Fall des Puritanismus

1. Die Periodisierung der westlichen Geschichte

186a Die Analyse gnostischer Erfahrungen hat zu einem Begriff der Modernität geführt, der von der üblichen Bedeutung dieser Bezeichnung abweicht. Gemeinhin wird die westliche Geschichte in Perioden eingeteilt mit einem deutlichen Einschnitt um 1500, wobei die Zeit danach als die neuzeitliche Phase der westlichen Geschichte gilt. Wird jedoch die Modernität als das Wachsen des Gnostizismus definiert, das schon etwa im neunten Jahrhundert beginnt, dann wird sie zu einem Prozeß innerhalb der Entwicklung der westlichen Gesellschaft, der bis weit in deren mittelalterliche Periode zurückreicht. Es müßte daher die Konzeption einer Aufeinanderfolge von Phasen durch die von einer kontinuierlichen Evolution ersetzt werden, in deren Verlauf der moderne Gnostizismus siegreich zur Vorherrschaft über eine kulturelle Tradition aufsteigt, die von den mittelmeerischen Entdeckungen anthropologischer und soteriologischer Wahrheit herstammt. Diese neue Konzeption ist an sich lediglich ein Ausdruck des gegenwärtigen Standes der empirischen Geschichtsschreibung und bedarf daher keiner weiteren Rechtfertigung. Dennoch bleibt die Frage zu klären, ob die übliche Periodisierung nicht in einem Zusammenhang mit dem Problem des Gnostizismus steht. Denn es wäre erstaunlich, wenn ein Symbol, das in der Selbstinterpretation der westlichen Gesellschaft so weite Anerkennung gefunden hat, nicht auch in irgendeinem Zusammenhang mit dem fundamentalen Problem der Repräsentation der Wahrheit stünde. (Fs) (notabene)

187a Tatsächlich besteht ein solcher Zusammenhang. Die Vorstellung eines modernen auf das Mittelalter folgenden Zeitalters ist selbst eines der Symbole, welche die gnostische Bewegung geschaffen hat. Sie gehört in die Klasse der Symbole des Dritten Reiches. Seitdem Biondo im fünfzehnten Jahrhundert das Jahrtausend von 410, dem Fall Roms, bis zum Jahre 1410 als ein abgeschlossenes, der Vergangenheit angehörendes Zeitalter betrachtete, wurde allgemein das Symbol eines neuen, modernen Zeitalters von den sich einander ablösenden humanistischen, protestantischen und aufgeklärten Intellektuellen gebraucht, um ihrem Bewußtsein als Repräsentanten einer neuen Wahrheit Ausdruck zu verleihen. Aber gerade weil die Welt unter der Führung der Gnostiker in häufigen Abständen erneuert wird, ist es unmöglich - will man die Forderungen der Gnostiker berücksichtigen -, zu einer kritisch gerechtfertigten Periodisierung zu gelangen. Durch die immanente Logik ihrer eigenen theologischen Symbolik ist jede der gnostischen Wellen gleichermaßen berechtigt, sich selbst als die große Bewegung der Zukunft zu betrachten. Es ist keinerlei Grund vorhanden, weshalb eine moderne Periode eher mit dem Humanismus beginnen sollte als mit der Reformation, oder eher mit der Aufklärung als mit dem Marxismus. Das Problem kann also nicht auf der Ebene der gnostischen Symbolik gelöst werden. Wir müssen auf die Ebene der existentiellen Repräsentation hinabsteigen, um dort Gründe für die Periodisierung zu finden. Denn eine Epoche würde in der Tat markiert sein, wenn im Kampf um die existentielle Repräsentation ein entscheidender revolutionärer Sieg der gnostischen Bewegung über die Kräfte der westlichen Tradition zu verzeichnen wäre. Wenn die Frage auf diese Weise gestellt wird, bekommt die traditionelle Periodisierung ihren Sinn. Während keiner der Bewegungen auf Grund ihres Wahrheitsgehaltes der Vorrang gebührt, zeichnet sich in der westlichen Geschichte eine deutliche Epoche durch die Reformation ab, die als ein erfolgreicher Einbruch gnostischer Bewegungen in die westlichen Institutionen zu verstehen ist. Die Bewegungen, die bisher in einer sozialen Grenzposition existierten - geduldet, unterdrückt oder im Untergrund -, brachen in der Reformation mit unerwarteter Kraft auf breiter Front durch, mit dem Ergebnis, daß sie die Universalkirche spalteten und dann dazu übergingen, Schritt für Schritt die politischen Institutionen in den Nationalstaaten zu erobern. (Fs) (notabene)

188a Der revolutionäre Durchbruch der gnostischen Bewegung beeinflußte die existentielle Repräsentation in der gesamten westlichen Gesellschaft. Das Ereignis ist von solchem Ausmaß, daß in dieser Studie nicht einmal ein Überblick über seine allgemeinen Charakteristika versucht werden kann. Um das Verständnis zumindest einiger Grundzüge der gnostischen Revolution zu vermitteln, wird es zweckmäßig sein, die Analyse auf einen besonderen nationalen Raum und eine bestimmte Phase innerhalb desselben zu konzentrieren. Gewisse Aspekte des puritanischen Vorstoßes in die englische öffentliche Ordnung dürften der geeignetste Gegenstand für eine kurze Untersuchung sein. Die Wahl empfiehlt sich im besonderen, weil das sechzehnte Jahrhundert in England das seltene Glück hatte, in der Person des ,"judicious Hooker" einen glänzenden Beobachter der gnostischen Bewegung zu besitzen. Im Vorwort zu seiner Ecclesiastical Polity gab Hooker eine scharf gesehene Typenstudie des Puritaners sowie des psychologischen Mechanismus, mit dem die gnostischen Massenbewegungen arbeiten. Diese Ausführungen sind unschätzbar für das Verständnis der gnostischen Revolution. Unsere Analyse wird daher als erstes das Bild, das Hooker vom Puritaner gab, zusammenfassend aufzeigen. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Griechenland: keine kosmologische Form; Widerspruch: Konstiturion durch Philosophie - konkrete Verfassung (Polis usw.); Deuterojesaia

Kurzinhalt: has its place in the history of mankind neither through ... but through its articulation in the symbolic form of Philosophy; For the order of the concrete societies ... was not formed by philosophy

Textausschnitt: 2/1 But we cannot avoid beginning - and the first theoretical issue imposes itself with the very attempt to identify and delimit the subject matter we intend to unfold. The nature of the problem will become apparent as soon as we ask the critical question: To which concrete society, organized for political action in permanent form, does the language of "Greek order," of "Greek experiences of order and their symbolization" refer? Negatively one can answer that in the Greece of the classical period we find neither empires in cosmological form, as in Egypt, Babylonia, or Assyria, nor a society in historical form, as in Israel with its close relationship between political institutions and a revealed truth about order. It is less easy to say positively what we do find. In a first approach, to be sure, there can be no doubt that in Greece, as it emerges into the fuller light of history after 800 B.C., we encounter a manifold of poleis, torn by rivalries and engaged in frequent wars, sometimes in such atrocious form that it is considered a proof of humanity if only half the population of a city is massacred. But this stratum of Greek order, although it is concrete enough, certainly is not the complete structure of Greek society. The history of Greece does not dissolve into the histories of the single poleis and their wars,- and a type study of the polis order and its symbolization could not be considered an adequate treatment of Greek order. For above the order of the poleis there rises recognizably the sense of belonging to a larger, common society. This sense is operative in the creation of the name of Hellenes for the peoples of the mainland, the isles, and Ionia, as well as in such pan-Hellenic institutions as the Olympian games, beginning in 776 B.C.; it furthermore motivates the federations of poleis in leagues and it can even inspire, in an emergency, the common effort of organization that was achieved for the defense against the Persian attack. Nobody has theoretically penetrated this stratum of Greek order more deeply than Thucydides, when he recognized in the common name and the common action the proofs of existence of a Greek society. Moreover, he surmised that the sequence of migrations in ancient times, the want of permanent, undisturbed settlement, and the thinness of population had for so long delayed the genesis of a consciousness of belonging together among the ethnically and linguistically closely related local societies. Even when he has reached this level of the sense of belonging together, with its scanty institutional and symbolic expressions, however, the student of Greek order will not yet be satisfied. For the Greek experience of order (barring for the moment the fact that we don't know yet of whose order we are speaking) has its place in the history of mankind neither through its institutionalization in the poleis, nor through the "common action" that, in pragmatic history, averted the Persian conquest of the incipient Europe, but through its articulation in the symbolic form of Philosophy. A symbolism for the expression of true order was found that claimed to be scientifically valid for all men. And only when this last segment is added to the structure of Greek order will the nature of the problem appear in its due proportion: For the order of the concrete societies, of the polis institutions and their polytheistic cult symbolisms, was not formed by philosophy; and the paradigms of true order developed in the works of Plato and Aristotle never formed the institutional order of any concrete polis. (93ff; Fs)

3/1 At this juncture the problem can be only formulated. It will require the whole subsequent study to explore the relationship that actually exists between the concrete poleis in nonphilosophical form and the philosophical form without a concrete society. Nevertheless, we can relieve the suspense somewhat by a few reflections on an obvious fact: Philosophy, as an experience and symbolization of universally valid order, arises from the orbit of the polis. This phenomenon, now, is reminiscent of the Deutero-Isaianic "exodus of Israel from itself"; that is, of the process in which the universalist component in the experience of the Kingdom of God separates from the attempt to realize the Kingdom in the institutions of a concrete society. The similarity, to be sure, must not induce rash speculations that would obscure the profound differences between Israelite and Hellenic phenomena, but it suggests as relevant the further observation that the two experiences of order that arose from concrete societies without forming them became ordering forces on a world-historic scale, in both instances with explosive vehemence. Both Hellenism and Christianity must be understood, it seems, as the continued operation, on the imperial scale, of ordering forces for which Israel and Hellas, the concrete societies of their origin, had proved too narrow. And if the parallelism of imperial expansion should indeed be essentially connected with the similarity first observed, the suspicion may prove justified that the Hellenic tension and explosion has roots as deeply burrowed in time as the corresponding Israelite phenomenon. As in the case of Israel the problems of the prophets have their origin in the age of Moses, and even of Abraham, so in the case of Hellas it may prove necessary to ascend beyond the eighth century B.C., toward the pre-Hellenic phases of Greek history, in order to arrive at some clarity about the origin of the problems that mark the classical period. (95; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Griechisches Bewusstsein von Geschichte; Neugeburt im 9. Jahrhundert in Kleinasien (Homer)

Kurzinhalt: the history of Greek society extended over approximately the same period as the parallel history of Israel with its memory of Abraham's exodus from Ur of the Chaldaeans

Textausschnitt: 2. The Hellenic Consciousness of History
11/1 The historical consciousness of Hellenic society will be, first, described with regard to its extension in time, its geographical location and civilizational diversification, and the nature of its sources. The brief account of general characteristics will, then, be followed by three sections on the specific forms that the historical consciousness assumed in Herodotus, Thucydides, and Plato. These sections intend to characterize the actual range of knowledge and the principal motives of recollection; and they will furthermore adumbrate some problems of the Hellenic symbolic form. A last section will, finally, summarize the conclusions. (99f; Fs)
1. General Characteristics

12/1 With regard to depth in time, the classic memory of continuous history went back for more than a thousand years beyond the Hellenic civilization proper. Hesiod was aware of a dark Iron Age, extending from the migration storms of the twelfth century B.C. into his own time, as well as of a preceding Bronze Age. The classic memory knew, furthermore, about the invasions, and especially the Doric one, and about the emigration of mainland and island Greeks to Ionia, as the events that marked the end of Hesiod's Heroic Age with its expedition against Troy. It included the Mycenaean and Minoan civilizations. And it was even aware of the ancient populations on the mainland, the Archipelago, and in Anatolia, which had been replaced or conquered by migratory movements, back to the Achaean immigration of c. 1950B.C. Hence, if memory be accepted as a guide, the history of Greek society extended over approximately the same period as the parallel history of Israel with its memory of Abraham's exodus from Ur of the Chaldaeans. (100; Fs)

13/1 The memory of a society is not an indifferent collection of knowledge, but the experience of certain events as factors that constitute the society as it exists in history at the time of the remembering historian and philosopher. Nevertheless, not every item of knowledge, even though it has a bearing on the civilizational order, will indiscriminately extend the limits of Greek society. When, for instance, Herodotus remembers that practically all the names of the gods came to Hellas from Egypt (2.50), or that the alphabet came to Hellas from the Phoenicians (5.58), neither Egypt nor Phoenicia are thereby included in the history of Greece. The observation may sound trivial, but its methodological importance is considerable in view of the fact that the rough criteria for the identification of a society, which in other instances are provided by the power organization, are not given in the Greek case. In the absence of a permanent political organization with dominion over a definite, though perhaps expanding or contracting, territory, Greek society is indeed constituted through a consciousness of civilizational unity with fluid boundaries and varying intensity of participation. The content of the Hellenic memory is, therefore, inseparable from the historical process of its growth. A brief recollection of the dynamics of this process will be in place. (100f; Fs)

14/1 In the wake of the invasion of the twelfth century something like a cultural vacuum formed on the Greek mainland, when the carriers of Mycenaean civilization were forced in large groups, presumably including the socially and culturally ruling stratum, to emigrate to the islands and the Anatolian coastal area. In the ninth century B.C. a new Greece began to rise. The rebirth started in the poleis of Asia Minor where the "Sons of Yavan" had become the neighbors of the "Sons of Ashkenaz" (Gen. 10). In this border area of the emigration originated the Homeric epics, and from here they began to diffuse their influence over the islands and the mainland, furnishing the recovering Greeks with the consciousness of a common past. The pan-Achaean federative enterprise against Troy became the living symbol of a pan-Hellenic cultural and precariously even political bond. Moreover, since the war of men was at the same time a war of the gods, the epics furnished a common mythology wherever they spread, thus creating a counterweight to the diversification of local divinities and their cults. The function of the Homeric gods-although not the gods themselves-may be compared in this respect with the Egyptian summodeism, with its interpretation of the various sun gods of Egypt as aspects of the one god who had become politically supreme. And, finally, the language of the epics was a unifying factor inasmuch as it balanced the dialectic diversification. (101; Fs) (notabene)

15/1 From the eastern Aegean area, then, the Greek recovery expanded over the Hellenic world and, through the expansion, created it. Homer was an Anatolian or island Greek, the first of a brilliant line. The Ionian coastal cities and the neighboring islands were the meeting place of the surviving pre-Hellenic culture with Asiatic culture,- and from this focal region, the vital mixture spread over the southern semicircle of isles to the west of the Greek mainland and further to Sicily and southern Italy. From the outside this vast semicircle was hemmed in by the Lydians, Persians, and Phoenicians to the east, by the Egyptians in the south, and by the Carthaginians and Etruscans in the southwest and west. In this border circle appeared, besides Homer, the travelers and historians Hecataeus and Herodotus; the poets Alcaeus, Sappho, Callinus, and Alcman; the philosophers Thales, Anaximander, Anaximenes, Heraclitus, Xenophanes, Parmenides, Pythagoras, and Anaxagoras. Here was the frontier of contacts and conflicts with Asiatic forces that dominated Hellenic pragmatic history,- and here also must the Iliad have received the pointed interpretation, which was taken for granted by Herodotus, as the epic of the great struggle between Europe and Asia. The mainland Greeks were the last to enter this growing consciousness of the common Hellenic society in articulate form, although they were destined to have the most important role in mastering the Asiatic threat-Lacedaemon through its military strength, Athens through the outburst of intellectual and spiritual vitality that made it the Hellas in Hellas. On the margin, in time and space, moved the northern Greeks who, through Macedonia, became the hegemonic power in the conquest of Asia and the carriers of imperial Hellenism. (101f; Fs)

16/1 No strand of pragmatic history would ever have been pulled from the fabric of traditions unless there had been men who conceived the project and were able to execute it. From the problems of content we are, thus, referred back to the growth of the Hellenic consciousness of history. The consciousness was not a body of knowledge mysteriously diffused among the members of Hellenic society, but a symbolism by which historians and philosophers representatively articulated their experience of Hellenic society and the meaning of its order. Hence, before we can explore this creation of a Greek history in Hellenic retrospect any further, we must survey some of the forms that the phenomenon assumed. Our brief survey will properly begin with the Histories of Herodotus, the first Hellenic thinker who made the deliberate attempt to preserve the living traditions before time had erased them from the memory of the living. (103; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Herodot (Herodotus); Entmythologisierung der Mythen; Herodot - Aischylos

Kurzinhalt: Herodotus distrusted Homer; he was inclined to believe the Egyptians;

Textausschnitt: 2. Herodotus
17/1 The historiai were the inquiries undertaken by Herodotus with the purpose of generally preserving ta genomena, the recollections or traditions, and of specifically preserving the traditions that had a bearing on the prehistory of the great conflict between Hellenes and barbarians in the Persian Wars (1.5). At the moment we are concerned, not with the rich detail of the Histories, but with the method used by Herodotus for extracting what he considered the truth of events from his sources. Two examples will illustrate the problem. (103; Fs)

18/1 The most comprehensive source for the prehistory of the European-Asiatic conflict was Homer. But Herodotus distrusted Homer, and on several occasions doubted the correctness of his account, because he was familiar with the Asiatic versions of the same events. And he preferred to lean on the Asiatic versions when he became critical, because they had already transformed the mythical and poetic traditions of the Greeks into the new type of pragmatic account that he wanted to develop himself. The spirit of this transformation can be gathered best from the account of the Trojan War given to Herodotus by Egyptian priests. (103f; Fs)

19/1 The historian questioned the Egyptians concerning their opinion about the reliability of Homer's story in the Iliad; and he found them quite willing to set him right and to tell him how it all really happened. This is their story condensed: (104; Fs)

Helen was indeed abducted by Paris; and the Greeks really went with a great host to Troy. They demanded by a mission the return of Helen and the stolen treasure. But the Trojans swore that they had neither the woman nor her possessions but that both were in Egypt in the hands of King Proteus. The Greeks, not believing the Trojans, embarked on the long siege; and when they had conquered the city, they found that the Trojans had spoken the truth. Menelaus, then, was dispatched to Egypt and there he received back Helen and the treasure.

20/1 Herodotus was inclined to believe the Egyptians, because the Homeric story violated common sense. If Helen had really been at Troy, she would have been returned to the Achaeans. Neither Priam nor his entourage must be assumed to have been mad and to have risked their own persons, their children, and their city for the purpose that Paris might keep Helen. Even if at the beginning they had been so minded, they would soon have changed their minds when they saw the losses mounting. Moreover, Paris was not an important personage in Troy,- it is inconceivable that Hector, the older and more valiant man, should have consented to the mad policy. The only explanation is that Helen really was not there. If the Greeks did not believe them, it was the will of the gods to punish Troy for her wrongdoing (2.118-20). On this occasion Herodotus carefully distinguished between the story, which he attributed to the Egyptians, and the argument for his preference, which he claimed as his own. (104; Fs) (notabene)

21/1 The Asiatic background of the method becomes even more apparent in the opening chapters of the Histories when Herodotus reports his Persian and Phoenician sources concerning the conflict between Europe and Asia. From Persian sages he received the following story about the origin of the conflict (condensed):

The Phoenicians started the trouble. They came from the Indic Ocean and settled on the Aegean shore. There they engaged in sea trade and, on one occasion, abducted Io, the daughter of the King of Argos, and brought her to Egypt. The Asiatic misdeed was countered by the Greeks, probably Cretans, who abducted Europa, the daughter of the King of Tyre in Phoenicia. The accounts were balanced. Then the Greeks started new trouble by abducting Medea from Colchis. And two generations later it was the turn of the Asiatics, when Paris abducted Helen. Again it was a draw. But now the Greeks did something for which they were greatly to be blamed, when they countered with an armed invasion of Asia.

22/1 This time, the rationalistic reasons for the blame are given by the Persians themselves (condensed): (105; Fs)

The Persians admit that it is wrong to abduct women, but to chase after them with serious intention of revenge is foolish. A prudent man will not pursue the matter further,- for obviously such women are not abducted against their wishes. The Asiatics did not pay much attention to the abduction of their women; but the Greeks gathered a great host and destroyed the kingdom of Priam. Ever since, the Asiatics have regarded the Hellenes as their enemies.

23/1 There can hardly be a doubt that Herodotus is on the side of the Asiatic psychologists, for he points up the argument of his Persian sages by the Phoenician version of the abduction of Io. According to these worldly-wise seafarers the lady had an affair with the captain of the ship and departed with him of her own accord when she perceived herself to be with child (1.1-5). (105; Fs)

24/1 The two examples will be sufficient for our purpose. It appears that Herodotus, in order to transform his sources into history, employed and developed a method that was already widely applied in the border area of Greek and Asiatic civilizations. In the report of the Persian sages, a chronology of events was derived from a number of Greek myths,- the facts were slanted somewhat in order to serve what today we would call the "national interest"; and a reasonable history emerged through the application of common sense and elementary prudence. In the case of the Helen story that he received from the Egyptians, we see Herodotus proudly taking a hand himself at developing an argument of the Asiatic type in order to justify his preference for the Egyptian story against Homer. (105; Fs)

25/1 The method is of interest in several respects. When Herodotus took the mythoi at their face value as historical sources, a large vista of early Greek history opened, with its relations to Egypt, Phoenicia, and Crete - a vista which, on the whole, was historically true. And while the methods developed by modern historians and archaeologists for the purposes of using the myths and epics as guides to historical reality have become infinitely more cautious, subtle, and complicated, and usually will lead to widely differing results in the detail, the principle of the procedure is still the one followed by Herodotus. We still assume that a concentration of myths on a geographical site indicates historical happenings at this site-and we expect that an excavation will render important results. When Homer chooses the name Phoenix for the educator of Achilles, or the name Aegyptius for the lord who opened the assembly on Ithaca, we assume that Mycenaean civilization had connections with Phoenicia and Egypt that made the choice of such names intelligible to the hearer. And inversely when, according to the report of Herodotus, Egyptian priests had developed a long story about Helen in Egypt and built it into some place in their history, we assume that they had a rather intimate knowledge of various cycles of the Greek epic and must have been duly impressed by them. (105f; Fs)

26/1 The method, second, reveals a far-reaching destruction of the myth through a rationalist psychology. From the Herodotean texts it appears that the new psychology had its origin on the Asiatic frontier; and that would cast an interesting light on at least one of the sources of the rationalism that prevailed in Athens, in the wake of the Persian Wars, at the time when Herodotus temporarily settled in the city. By rationalist destruction is meant the development of the dispassionate coordination of means and ends as a standard of right action, inevitably in opposition to the Homeric participation in the order of Zeus and Themis as the standard. The destructiveness appears, therefore, most glaringly in Herodotus' argument against the historical reliability of Homer. The story that the Trojans did not want to surrender Helen could not be true, because nobody would have been so foolish as to ruin a city for such a cause. The profound concern of Homer with the aetiology of disorder, his subtle analysis that tried to explain precisely why such foolishness happened, were apparently lost on Herodotus. (106; Fs)

27/1 In the light of the preceding reflection, the method is, third, of interest as a symptom of the decay of Hellenic civilization. Herodotus not only knew his Homer well, but was in general one of the most widely informed and cultivated men of his age. If Herodotus could no longer understand Homer, the question imposes itself: Who could? Only one generation earlier, Aeschylus was still moving on the spiritual level of Homer; considering the fact that Herodotus was a greatly admired and popular author in Athens only a few decades later, the spiritual and intellectual decline must have been as rapid as it was terrific. The question is of further interest because of the later Platonic attacks on Homer. If the Herodotean interpretation was representative of a general trend, if more or less everybody read Homer in this manner, one part at least of the Platonic attack would have been directed not so much against Homer as against the manner in which he was misunderstood. The notion of Homer as "the educator of Hellas" will bear some closer study for the fifth and fourth centuries. (106f; Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Kriterium der Handlung: Rationalität der Macht

Kurzinhalt: Thucydides went one step further on the road of mundane rationalism, insofar as he used the rationality of power as the standard of action

Textausschnitt: 28/1 Herodotus had transformed traditions into history by using a commonsense means-end relation as the standard of selection,- and he had woven the selected actions into a pattern of history by arranging them as the genesis of the great war between Persians and Hellenes. Thucydides went one step further on the road of mundane rationalism, insofar as he used the rationality of power as the standard of action. The generally common-sensible, worldly-wise, urbane reflections of Herodotus were now replaced by a hard scrutiny of the traditions under the aspect of power politics. The advance from Herodotus to Thucydides, if an advance it can be called, reflects the hardening temper of Athenian democracy. Pragmatic rationality of action, disregarding the participation in right order, is a dangerous indulgence that may grow into an irrational force destructive of order. Ever since the Persian Wars, the danger of which the amiable work of Herodotus was a glaring symptom had grown rapidly and issued into the catastrophe of the Peloponnesian War with its suicidal effect for the whole of Hellas. The strict rationality of a struggle for power, without regard for the order of Hellenic society, had indeed become the standard of action in political practice. In conformity with the temper of his time, Thucydides wanted to interpret Greek history from its earliest times as a process that would lead up to the conflict of his own age. (107; Fs) (notabene)

29/1 In carrying out his plan Thucydides went as far back as his traditions would permit, in order to show that at no preceding time in Greek history had there been enough stability, wealth, and firmness of governmental organization to execute great power schemes, or to conduct a major war. Since Homer did not use the term Hellenes for designating Greeks collectively, Thucydides used this argument for the conclusion that Greek communities were rather small and weak, had little intercourse with each other, and certainly no occasion and ability for a collective action that would express itself in a common self-designation. And since this usage, or rather non-usage of the Hellenic name, was still to be found in Homer "who lived long after the Trojan war," the insignificant conditions must have continued well into historical times. The "ancient times" were weak because they were times of migration. Small communities, living in poverty with little equipment and few skills, were at any time ready to abandon their unfortified places under the pressure of superior numbers because they might live off the land at one place as well as at another. Since the soil was good, this policy of evasion was possible, but it also was a dire necessity because the fertility invited ever new invasions. Life at a low nomadic tribal level, without commerce, ships, or governmental organization around defensible places, was all that was possible under such conditions (1.2,-3). (107f; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Plato: neues Konzept d. Geschichte im Gs. Zu Herodot u. Thukydides)

Kurzinhalt: Herodotus and Thucydides: Both authors reconstructed Greek history in order to give a causal explanation

Textausschnitt: 33/1 While the achievement of Herodotus and Thucydides as the great collectors of traditions and creators of Hellenic historiography must in no way be diminished, the limitations of their achievement should be understood. Both authors reconstructed Greek history in order to give a causal explanation of the wars of their age. It was also possible, however, to study history for the purpose of recovering past insights into the conditions of order, with the view of breaking the apparently inevitable chain of causes that led to one war after another. From the causality of rational action, as it was understood by Thucydides, nothing could result but a power struggle to the death. Restoration of order could only come from the soul that had ordered itself by attunement to the divine measure. This entirely different conception of history was Plato's. With the same range of historical knowledge as Thucydides, he created an idea of order that would bind into a balance the very forces that Thucydides could understand only as factors in a game of war. Plato's gigantic enterprise will be explored at length in volume 3 of this study. For the present, a brief indication of his principle as it appears in the Laws will be sufficient. (109f; Fs) (notabene)

34/1 At the time of the rapid decay of the Athenian polis, the old Plato chose Crete as the scene of his last great dialogue on politics. The dialogi personae were Megillos of Lacedaemon, Clinias the Cretan, and the Athenian stranger. The choice of the interlocutors expressed the historical structure of Greek political culture. The nameless Athenian, Plato himself speaking, personified the youngest area of Greece that had grown into its intellectual and spiritual center; the Spartan stood for the political virtues and military strength of the older Doric institutions; and the Cretan represented the Minoan period. The Hellenic renaissance since Homer, the savage, primitive, disciplined warrior communities of the Doric centuries, and the mythical golden splendor of the Minoan sea empire gained life in the three venerable elders who discussed the foundation of a rejuvenated, healthy polis on the island that once had been the center of political power. (110; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Zusammenfassung: Griechisches Bewusstsein von Geschichte; Begriff Geschichte

Kurzinhalt: The term history, although it derives from the Greek historia, does not have in its modern usage the classic meaning

Textausschnitt: 5. Conclusions
37/1 The issues of the Hellenic consciousness of history can now be formulated on the basis of the sources introduced in the preceding survey. (112; Fs)

38/1 With regard to the spatial and temporal extension of the classic memory the facts are fairly clear-the sources bear out the picture that we have drawn in the section "General Characteristics." The whole extent of the Aegean area that was considered Hellenic at the time became the stage on which Greek history was enacted; and in the drama itself were included the Mycenaean and Minoan civilizations, as well as the migration events back to approximately the turn from the third to the second millennium. One should especially note the manner in which Cretan society, in spite of its apparently non-Greek language, was taken for granted as part of Greek society. Not only was there no hesitation in the matter, but the Minoan order was even accorded the rank of the origin of Greek order, with equal regard to both power and substance. This should be a warning against overrating the importance of archaeological discoveries for the problems that occupy the philosopher of order and history. That Greek history begins with the Cretans is established by the literary sources of the classical period. Archaeological discoveries can add to our knowledge of that historical course-and they do it magnificently-but the course itself exists by virtue of its creation in the memory of the Hellenic historians and philosophers. (112; Fs) (notabene)

39/1 The structural details of the memory are not altogether clear. As soon as one examines the two dominant motifs of the construction, that is, the experiences of institutionalized power and of substantive order, more closely, serious questions will arise. (112; Fs)

40/1 In the first place, considering the absence of permanent institutions for the whole of Greek society through the whole of its course, it is rather surprising that reflections on power and strategy should be a dominant motif at all. The peoples of the Aegean area apparently experienced themselves as a civilizational society of the same type and rank as the imperially organized societies of Anatolia, Iran, Mesopotamia, Syria, and Egypt. If Greek society had in fact no comparable institutions, it was at least considered a suitable candidate with a potential for having them; hence, the ephemeral or partial organizations of power in the area, as far back in time as they were discernible, became events in the history of Greek order. This motif was indeed strong enough to link such apparently unrelated phenomena as the Hellenic "common effort" of the Persian Wars, and the subsequent Athenian empire, with the Achaean expedition against Troy, and with the Cretan control of the Aegean as a series of manifestations of Greek power. And the constructive strength of the motif indicates that a Greek society above the level of the polis order was experienced with greater intensity than one would assume if the judgment were guided only by the lack of permanent institutions, or by the observation that Plato and Aristotle concentrated their efforts on a paradigm of the best polis. In search of a comparably odd structure of experience, institutionalization, and symbolization one can only fall back on that of Israel at the time of the Judges, before the pressure of surrounding powers forced the people to have a king like the other nations. The parallel, to be sure, must not be pressed, because of the lack of information on the Hellenic side-the authors of the classical period did not say all we would like to know, perhaps because their readers knew it already. Still, one should observe the curious vacuum of articulate expression in an otherwise very articulate literature, yawning between the awareness that Hellenic society, in order to exist and survive, needed a common organization of power, and the knowledge that the Hellenes were not an ethnos like the Asiatic peoples and, therefore, should not have imperial institutions like the other nations. (112f; Fs)

41/1 The objection must, then, be considered that the identification of Greek society by means of the erratic power organizations back to the Minoan is no more than the willful notion of a few isolated thinkers and has nothing to do with the real course of Greek history. This argument is hardly tenable. For the Hellenic memory was not based on written records of antiquity, accessible perhaps only to a small group of literati. In this respect we are in the Hellenic case probably on safer ground than in the Israelite, where indeed one may doubt to what extent the population at large in the Kingdoms of Israel and Judah participated in the issues ventilated by the prophets. For the art of writing, which had existed in the Minoan and Mycenaean civilizations, had disappeared, as far as we know, in the dark centuries after the Doric invasion and was recovered only through contact with the Phoenicians. When Herodotus and Thucydides wrote their histories, without a doubt they had to draw on such oral traditions as were alive in the Hellenic society at large, or on a literature of epics and hymns that had been committed to writing, however old the contents preserved in the literary forms may have been, not earlier than the introduction of the alphabet (presumably after 1000 B.C.). Hence, the classic memory of Greek history is not an archaistic reconstruction of events long forgotten by the people, but the organization of a living memory which, by its very existence, proves the continuum of Greek history to be real. (113f; Fs)

42/1 The reality of the continuum obtrudes itself especially in the Platonic construction of the divine origin of Greek order and the necessity of a return to the first omphalos. Here the second motif, the experience of substantive order and disorder, dominates the identification of Greek society. For Plato is, in the Laws, not satisfied with tracing the line of pragmatic power to its beginning, but introduces, as the ultimately decisive criterion, the substance of order and its vicissitudes in the historical course. Greek society is now identified through the epiphany of order in the rule of the Minos, and its course is understood as the exhaustion of the original substance, down to the Hellenic crisis of Plato's own present. This symbolism could never have been developed unless traditions about the Cretan as the oldest Greek order, about the close relation between Doric and Cretan order, and about the transfer of the omphalos from Crete to Delphi, had been in existence so that Plato could draw on them; and unless they had been so widely diffused and accepted that he could build them into his symbolism without appearing absurd or becoming unintelligible. (114; Fs) (notabene)

43/1 The materials used in the constructions, thus, belong to a body of traditions living among the people at large; and quite probably even the dominant motifs were already dominant on the general level of Greek conversations on power and order. Still, there remain the formal constructions themselves, the works of the concrete historians and philosophers. What motivated their creators to organize the Hellenic memory in these specific forms? (114; Fs)

44/1 With regard to the motive itself, the organizers of the classic memory were quite outspoken: it was the experience of the Hellenic crisis. Herodotus wanted to explore the antecedents of the situation in which the Hellenes found themselves involved in a death struggle with the Persians; Thucydides wanted to explore the causes of the great kinesis in which the Athenians and Lacedaemonians fought Hellas to death together with themselves; and Plato wanted to understand the disintegration of substantive order that made Athens unfit to discharge its functions as the hegemonic power of a united Hellas. Beyond this point, however, the issues become more complicated. And since they are the subject matter of the following study, I shall at present reflect only on the central issue, i.e., the conception of the historical course of a society as a cycle with a beginning and an end, as well as on its principal implications. (114f; Fs)

45/1 Before the conception of the historical course itself can be analyzed, however, a preliminary question must be solved. Up to this point we have spoken of Greek history, of the Hellenic consciousness of history, of the historical memory of the classical period, of the historical course of Greek society, of a cycle of order extending from the rule of the Minos to the exhaustion of substance in Plato's time, and so forth, taking it for granted that such language can be legitimately used in a study of Greek phenomena. In a critical study of experiences of order and their symbolization, however, no symbols can be taken for granted, even though they are used in accordance with contemporary conventions. Hence, before proceeding further it must be ascertained whether we can speak of history in the present context at all. (115; Fs)

46/1 The term history, although it derives from the Greek historia, does not have in its modern usage the classic meaning. When Herodotus speaks of historiai he means his inquiries into a subject matter, somewhat arbitrarily accepted today as historical. And Toynbee stresses on occasion that in his title A Study of History, the study rather than the history renders the classic historia. Thucydides, furthermore, did not give the History of the Peloponnesian War the title under which the work is known today. Rather, he was interested, as just indicated, in a type study of the kinesis, of the great movement or convulsion of Hellenic society, and whether this study is history in the modern sense is precisely the issue that must be explored. These observations will be sufficient to show that the Hellenic symbolism raises the same problems as the Israelite "historical narrative." In the Israelite case we had to distinguish between the historiographic symbols appearing in the text, on the one hand, and the terminology that had to be employed in the interpretation of the symbolic form, on the other hand. And among the historiographic symbols developed by the creators of the narrative, there was no term that could be considered the Hebrew equivalent of history. Our usage had to be justified, therefore, through appeal to the categories of compactness and differentiation,-and it proved to be legitimate to speak of history inasmuch as the Israelite symbolism contained compactly the meanings that later, in the orbit of Christian experiences, were differentiated and expressed by the new symbol.1 The same argument will apply to the Hellenic case. While the meaning of history that has been created through Christianity is not to be found in the classic memory, the later problems are nevertheless contained in the less differentiated historical consciousness of a Herodotus or Thucydides, or in Plato's conspectus of the historical cycle of order. That the argument is indeed valid in the Hellenic case, to be sure, can be proven only through the analysis of the literary sources itself. For the moment we must anticipate the proof. (115f; Fs)

47/1 Under the assumption that one can speak of history at all in the present context, the main issue, the experience and symbol of the historical cycle, must now be explored. (116; Fs)
48/1 The symbolism of a cyclical decline and restoration of order is peculiar to societies in cosmological form. In the earlier volume Israel and Revelation we studied the symbolism of the New Year Festivals, of the cult acts that annually heal the defections from, and revitalize the order of, society, with the implication of repeating the original cosmogonic act that has brought forth order from chaos.2 These periodic acts of restoration also betray a consciousness of history,- but far from articulating it, they are rather calculated to prevent the experience of the decline of a society from reaching the level of consciousness. The time of history in which a society experiences the vicissitudes of its order down to exhaustion and ultimate dissolution is annulled through the magic of cultic repristination.3 What we call today the historical course of Egyptian society was not a course for the Egyptians, but a rhythmical repetition of cosmogony in the imperially organized humanity that existed at the center of the cosmos. The prolonged disturbances and revolts, for instance between the Old and the Middle Kingdoms, were not epochs of history from which order in new form could arise, but simply disruptions of the cosmological form to be borne with nothing but the hope that the same type of order would ultimately be somehow restored. It required the Mosaic leap in being to break this compact experience of order and to differentiate the new truth of existence in historical form, in the present under God. The new understanding of order, it is true, could not abolish the rise and fall of societies in pragmatic history; and the experience of the decline of order, which in the cosmological form could be expressed and, at the same time, contained and annulled through cultic restorations, now had to search for new modes of adequate articulation. Such new expression was found in Isaiah's metastatic faith in the imminent transfiguration of the world that would abolish the cycle of defection and return,- and when the impasse of this faith became clear, the problem of transhistorical, eschatological events began to differentiate from the historical phases of order and disorder that correspondingly became the world-immanent structure of events. With regard to the evolution of symbols we could draw, therefore, the lines from the cosmological rhythms of order to the phases of history,4 from cosmology to eschatology,5 and from the cultic restoration to the historical metastasis of order.6 (116f; Fs) (notabene)

49/1 The question then arises how the structure of the Hellenic symbolism is related to the problems of order just recalled. And with regard to that issue it must be recognized above all that the Hellenic conception of the cycle of history is a new symbolic form. Nothing comparable is to be found either in the Near Eastern societies in cosmological form, or in Israel in historical form. For the Mesopotamian and Egyptian empires never developed the conception of a society with a beginning and end in historical time, but remained compactly bound in the experience of cosmic divine order and of the participation of the respective societies in its rhythm. And the Israel that existed as the Chosen People under God, while it had a beginning in historical time, could have no end because the divine will, which had created Israel as the omphalos of salvation for all mankind, was irreversible and remained unchanged beyond both the rhythms of the cosmos and the phases of history. While the Hellenic symbolism, thus, belongs neither to the cosmological nor the Israelite historical type, it seems to partake of both of these forms,- and this apparently intermediate structure has indeed motivated the divergent opinions that, on the one hand, the Greeks had no genuine idea of history at all but fundamentally expressed themselves in the symbolism of eternal return, and that, on the other hand, the Greeks were the creators of historiography, that in particular Herodotus was the Father of History and the work of Thucydides one of the greatest histories ever written. Such indulgences of opinion can be avoided only if the analysis goes beyond the surface of disparate characteristics and penetrates to the motivating center of the symbolism. (117f; Fs) (notabene)

50/1 This motivating center can be circumscribed through comparisons with the Israelite motivating experiences and their articulation. The Hellenic consciousness of history is motivated by the experience of a crisis; the society itself, as well as the course of its order, is constituted in retrospect from its end. The Israelite consciousness of history is motivated by the experience of a divine revelation,- the society is constituted through the response to revelation, and from this beginning it projects its existence into the open horizon of time. The Hellenic consciousness arrives, through the understanding of disorder, at the understanding of true order - that is the process for which Aeschylus has found the formula of wisdom through suffering; the Israelite consciousness begins, through the Message and Decalogue from Sinai, with the knowledge of true order. The Mosaic and prophetic leap in being creates the society in which it occurs in historical form for the future; the philosophic leap in being discovers the historical form, and with it the past, of the society in which it occurs. Such contrapuntal formulations will bring into focus the essential difference between the historical forms that are developed respectively by Revelation and Philosophy. The word, the dabai, immediately and fully reveals the spiritual order of existence, as well as its origin in transcendent-divine being, but leaves it to the prophet to discover the immutability and recalcitrance of the world-immanent structure of being; the philosopher's love of wisdom slowly dissolves the compactness of cosmic order until it has become the order of world-immanent being beyond which is sensed, though never revealed, the unseen transcendent measure. (118; Fs) (notabene)

51/1 The reality of the continuum of Greek history, an issue that apparently has been settled, is raised anew by these formulations. If the past of Greek society was indeed constituted through the classic memory and its symbolisms, in what sense was their history ever real to preclassic Greeks? Does the situation not resemble the Egyptian, in which the historical course as understood by us in retrospect of Judaeo-Christian history was never experienced as a course by the members of Egyptian society? The answer to such questions will have to be that the classic memory did not constitute a new society, as did the Mosaic response to revelation, but climaxed with its articulate consciousness the history of the old society from which it emerged. The classic memory refers us back to the order and history in which this phenomenon could occur. Once more we must stress that it occurred nowhere else. And it will be our task, therefore, to trace the growth of the final experiences and symbols through the course of the Greek society that is retrospectively identified as the field of that growth by the historians and philosophers of the Hellenic period. The following inquiry concerning the principal stages through which the final form was reached will move from the cosmological myth of the Cretan society, through the Homeric myth and the Hesiodian speculation, to the philosophers' break with the myth. (118f; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Hitler and the Germans

Titel: Hitler and the Germans

Stichwort: Nicht-Erfahrung der Transzendenz -> Entmenschlichung; imago Dei -> imago hominis; Reibung: erste - zweiter Realität

Kurzinhalt: When concupiscent fantasy shifts the accents of reality, it then superimposes a false image on reality; phenomena of friction between second and first reality

Textausschnitt: 48. Nonexperience of Transcendence Leading to Dehumanization

261a Let us characterize the period further. (Fs)

We notice that there occurs within it a remarkable shifting of the accent in the representation of what is reality. The reality of reason and spirit, which reveals itself in noetic and pneumatic experiences, fades away, and in its place the accent is transferred to the experience of the world of things in space-time existence. This has various consequences-some dubious, some gratifying. The period itself is dubious, insofar as all reality that does not have the manner of being of world-immanent existing things sinks to nonreality. The period is gratifying for us in the new situation of philosophizing, insofar as the energetic contraction of the expression "existence" to the manner of being of world-immanent things fits well into exact concept-formation and so should be adopted. In this way we gain the freedom of speaking with precision of the realms of reason and the spirit as nonexistent reality. At all events, this manner of speaking seems actually clearer than Heidegger's attempt to claim the expression "existence" for the transcending being of man and, further, to connect it with the problem of historicity, since this attempt at a compromise will not do justice to the world-immanent existing things, to our experiences of transcendence, or to history. (Fs) (notabene)

261b But let us remain with the period we are discussing. Within it, the accent of reality shifted toward immanent being, and in this period the expressions "science" and "experience" were monopolized for this realm; the science of experience became the science of world-immanent things. On the other hand, with regard to the nonexistent reality of reason and spirit, the symbols of philosophy and revelation, in which the experiences of transcendence are interpreted, became opaque for their experiential content. And this increasing opacity was further limited by the atrophy of experience in the sense of the denial of the meditative interest and of the energy for the articulation of the nonexistent realms of reality. There was no further living meditative reality, and consequently the language of reason and spirit became obscured to the point of the famous value-judgments, which from the viewpoint of world-immanent experience had no basis in critical experience. The episteme in the classical sense was dead. (Fs) (notabene)

262a Yet even if the life of the spirit sinks to the level of enlightened reason, to bourgeois morality, and to liberal or nonliberal Weltanschauungen, and even if the symbols of transcendence are subjected to serious deformations of their meaning and become discredited, nevertheless these occurrences leave the order of being itself utterly unchanged. Even if Hegel, Marx, and Nietzsche thoroughly murder God and explain him away as dead, divine being remains eternal and man must still get on with living his life sealed by his creatureliness and by death. When concupiscent fantasy shifts the accents of reality, it then superimposes a false image on reality. We speak of this fantasy image as the second reality. And when man tries to live in this second reality, when he attempts to transform himself from the imago Dei into an imago hominis, then conflicts arise with the first reality, whose order continually exists. Characteristic for the period, then, are the phenomena of friction between second and first reality-even if their very beginnings reach further back in time. For us the most interesting frictions are those that emerge at the point of fracture with the realms of the nonexistent realities of reason and spirit, which have been discredited and explained away as nonreal. I will enumerate some of these phenomena: (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Hitler and the Germans

Titel: Hitler and the Germans

Stichwort: Analyse: Reibung (friction) -> erste - zweite Realität (4 Punkte); Nietzsche

Kurzinhalt: The denial of the nonexistent reality of transcending toward divine being destroys the imago Dei. Man becomes dehumanized.

Textausschnitt: (1) Since nonexistent reality1 cannot be abolished, the empty space arising from its discrediting must be refilled with the symbolism of the second reality. Among other phenomena, this requirement is served by the world-immanent apocalypses of history created by Kant, Condorcet, Comte, and Marx. Because the new images of history originate in the world-immanent concupiscence of action, progressive and revolutionary activism belong essentially to them, along with revolutionary consciousness. (Fs)

(2) With the sinking of nonexistent reality to the status of non-reality, there arises the phenomenon of disillusionment, accompanied by the feeling of obligation to live one's life without the illusions of transcendence. The denial of the spirit produces the suffering of Godforsakenness. We can think of the suffering of Nietzsche, who had learned through Pascal's example what faith meant but did not want to submit himself to its discipline. (Fs)

(3) The denial of the nonexistent reality of transcending toward divine being destroys the imago Dei. Man becomes dehumanized. The suffering from the meaninglessness of a Godforsaken existence leads to outbreaks of concupiscent fantasy, to the grotesque creation of a "new man"-of Marx's and Nietzsche's supermen. (Fs)

(4) Since statements regarding the mystery of the ground of being must no longer emerge as exegesis of noetic and pneumatic experience, they become for Nietzsche masks of the world-immanent "deep spirit." The quest for the meaning of life degenerates to aesthetic operations with symbols of transcendence, to a game with masks of nonobligatory obligation. Going beyond the case of Nietzsche one can say in general: The world-immanent phenomena of power, conflict, instinct, class, nation, and race were laden with the meaning of nonexistent realities and thereby became masks of transcendence. We notice as characteristic the phenomenon of a despairing affirmation of the world-immanent game of life that takes up the problem of transcendence and loads this world-immanent game of life with a meaning it in fact docs not have. Nietzsche formulated this loading in a brilliant saying. He speaks of the life-affirming man, "who not only has learned to put up with and get on with what was and is, but who wants to have it again as it was and is to all eternity, insatiably calling out da capo, not only to himself but to the whole piece and play, and not only to a play, but basically to him who needs precisely this play-and who makes it necessary [...] What? And would this not be - circulus vitiosus deus?"2 The divine eternity is transposed into an everlasting, self-repeating game of immanence. The hiddenness of the ground becomes the superficiality of the game, and in the hiddenness proceeds the man who plays it. But is he still human? For "all that is deep, loves the mask," and the antithesis and contradictions of the masks are "the correct disguise for the shame of a God."3 In fact: circulus vitiosus deus. The game of the masks that Nietzsche's God-man plays takes the place of Plato's "serious play" of life. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Hitler and the Germans

Titel: Hitler and the Germans

Stichwort: Unbewältigte Vergangenheit (unmastered past); Bedeutung von Gegenwart (Präsenz unter Gott); Verlust an Sprache (Deutschland)

Kurzinhalt: The Cliche of the "Unmastered Past" versus the "Presence under God"

Textausschnitt: 5. The Cliche of the "Unmastered Past" versus the "Presence under God"
70a Let us now enter into the matter itself. I must draw up and analyze a whole series of concepts before we can treat materials objectively. The first concept is the concept of the unmastered past, about which, as you well know, there has been an extraordinary amount of discussion. When we hear the expression "the unmastered past," a series of questions immediately crops up: What does that really mean, in the first place? For whom is this past unmastered, assuming that we know at all what "mastering" means: for all, or for only a few people? Because it indeed was mastered by very many while it was still the present, since by no means did all the people who experienced the period of National Socialism cheerfully cooperate with it. Some were against it instinctively, because of tradition, etc. But some also knew precisely what was going on. That is to say, what is today the unmastered past, for people at the level of a Schramm or an Augstein, was a completely masterable present for the people who lived at that time. I mastered Hitler even before he came to power, and many others did too. So for whom is that an unmastered past? (Fs)

70b And if it is not mastered, what does that really mean-that it is not mastered as past? Again one can ask, Why should it be mastered? For it has indeed passed. And consequently if there is somehow the feeling that there is still something to master in the past, then we are coming to what I have continually pointed toward in all these examples, that we live in an unmastered present. Here is the first thesis for our analysis of the problem of the unmastered past: It really is an unmastered present. (Fs)
71a What now is the unmastered present? First, what is the present? The present can mean two things. In the first place, one can speak today of the ideologically and socially usual idea of the present as a point in the present (Gegenwartspunkt) lying between past and future. So the time of history is represented as going in a line from the past to the future through a point in the present, and from this viewpoint one understands the present. Thus contemporary events are events that occur in the year 1964; past events occurred in the year 1930. Against this linear conception of the present, which has existed only since the eighteenth century in this form as a thoroughly ideological notion, there is that other meaning of the present, in which the present is always related to the existence of man in his presence (Prsenz) under God. Insofar as - while existing and acting in immanent time - man exists under God, he has presence. And the meaning of the past and the future will become generally interpretable only when starting out from this presence. For otherwise everything would proceed irrelevantly in an external stream of time. What now does mastering the present mean? Under mastering the present there is a virtue to be understood, the virtue of placing the present of immanent time under the judgment of the presence under God. This kind of mastering, then, is a general human problem, not something of the modern era, not something for Germans only, but for everyman: to place the immanent present within the immanent process under the judgment of the presence. (Fs) (notabene)

71b These questions were clarified and formulated for the first time in classic politics, by Plato in the Politeia and in the Gorgias. To place oneself under the presence, under the presence of God, and according to that to adjudicate what one does as man and how one forms the order of one's own existence and the existence of society, that for Plato is an act of judgment. That means that man is always under judgment; hence the myths of judgment in the Gorgias and the Politeia. And because he is always under judgment, under the presence of God, in the sense of this "being-under-judgment" he must adjudicate how he acts and how others act and how this action brings about an order of society. For Plato, therefore, the judgment is above all the investigation of the not-being-present of the sophists as individual persons, and a not-being-present in the sense of the presence of the entire society insofar as it allows itself to be led and ordered-that means disordered-by sophistic ideas. So, what will be called political science arises in the critique of time in the sense of the empirically immanent society that does not place itself under the judgment in the presence of God. That is to say, the science of the order of man in society arises from the reaction against not existing in the present. We can say of Plato that he mastered the past of sophistry in a paradigmatic fashion, insofar as it reached into his time, and that he thereby mastered his own present and highlighted what the present, in the sense of this presence under God, meant. All science of politics begins with this. This mastering of the past, which is always a mastering of the present, was relatively simple in Plato's situation, for he had only to deal with the internal historical processes of the Hellenistic polis. (Fs) (notabene)

72a For us in the present situation the matter is much more complicated. We have a particular difficulty in mastering our present, since our society is dominated by different kinds of ideological principles and views-not only Marxist or National Socialist but also positivist, progressivist, secular-liberal, etc.-that erect the prevention of the mastering of the present into a principle. And this principle of prevention is already so old-it goes back at least two hundred years-that it has affected the entire Western, but particularly the German, situation and lays the greatest obstacles in the way of this very mastering, which has to be carried out again and again. So, if we wish to master the past in the sense of mastering the present, we are confronted with the task of clearing out all the ideological junk in order to make the conditio humana visible once again. (Fs) (notabene)

72b How can this be done? Again there are difficulties. For naturally one can only clear things out by becoming conscious of the presence and by having at one's disposal the expressions adequate for making it conscious. These adequate expressions are of course to be found in classical philosophy, in the whole history of Christianity, of scholasticism, etc., in humanistic philosophy up to the eighteenth century; they are absolutely the dominant ones. But under the influence of the development of the ideologies, which took over the classic and Christian vocabulary for understanding presence and reinterpreted it as an instrument for the prevention of knowledge of the presence under God, the words have simply changed their meanings. Therefore it is not easy even to speak about what is at issue here-for example, about the truth of existence, or freedom of existence under God-nor to speak about reason as the organ sensitive for the reception of transcendent being, or about the spirit, etc., for all these expressions have become ideologized. And this is an international, not only a German, problem. (Fs) (notabene)

73a However, the Western peoples are in a more favorable situation, even though all the ideological dirt has piled up there too. But still, traditionally in the institutions, in the universities, in literary works, the classic, humanistic, and Christian tradition has remained preserved in a way of which you, if you live only in Germany, can have absolutely no idea. There is such a tremendous reserve of tradition in existence, of such strength, that although these ideological phenomena certainly do emerge and are felt as phenomena of disorder and corruption in the social body, there is still enough healthy substance there to make it possible to be understood when one speaks of such things. (Fs)

73b In Germany now, for certain historical reasons, that is not the case, for the German philosophical language that we use here was first developed in the eighteenth century. The man who coined most of the German philosophical vocabulary was Christian Wolff, and after him, Kant. These were the two most important figures. Only from that time on do we have a German vocabulary for the treatment of the problems, developed during the period of the ideologies and therefore loaded from the beginning with the meanings of the Enlightenment and of Romantic gnosis. As a result, one cannot, as is possible for example in England and America or in France, still use expressions such as "intellect" or "spirit" or "reason" and assume that-at least by the educated section of the population, which is very numerous in these countries-these words will be understood as a Plato understood them, or a Saint Thomas or a Bodin, or seventeenth- and eigthteenth-century authors, or as how up to now English-speaking poets like T. S. Eliot understand them. This entire dimension of meaning, where these expressions were indeed created in order to elucidate and express the presence under God, has been essentially suppressed in the German language. So that when you are speaking of "reason" in public, it is extraordinarily difficult to get across that you mean something other than, for example, the "reason" occurring in the Critique of Pure Reason, Or if you are speaking of "spirit" that something other than what Hegel understood by "spirit" is meant, or than what after him the epigonic human sciences understood by "spirit." Or to get across that you understand by it, for example, what Aristotle or Plato understood by nous, or what was understood in the tradition of revelation by pneuma. For such things are indeed not sufficiently known to a socially relevant extent. (Fs) (notabene)

74a So these are essential complications, which in Germany are attenuated only because we still have-up to a certain level- churches as places of retreat for classic culture, too. But the churches in Germany can contribute very little to this, partly because the Protestant ones are indeed much too much linked with the formation of ideology through existentialism and the like, and the Catholic side adheres too strongly to the traditional language of theology, which is not adapted to the modern problematic. So here we have unavoidable difficulties, which we must gradually overcome. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Musen - Dichter (Pindar); Mnemosyne; Paralelle zu Israel

Kurzinhalt: The parallel with the relation of Israelite prophets to the dabai of Yahweh is obvious - with the important difference, however, that in Israel the transcendent God manifests himself through the word, while ...

Textausschnitt: 139c In a study on order and history the enigma, for which the name of Homer stands, is not the authorship of a work of literature, but the creation of a symbolism that expresses a new experience of human existence under the gods, of the nature of order and the causes of disorder, and of the historical decline and fall of a society. Who was the man, if it was only one man, who broke with the cosmological myth and created a noncosmological form of social order? The problem is adumbrated in a passage of Herodotus (2.53): (Fs) (notabene)

Whence came into being each of the gods, or whether they had all for ever existed, and what forms they had, the Hellenes did not know until the other day, so to speak. For the age of Hesiod and Homer was not more than four hundred years before my own, I believe. And they were the first to compose theogonies for the Hellenes, to give the gods their epithets, to allot them their ranks and functions, and to describe their forms. (Fs)

140a From this text two pieces of information can be extracted. In the first place, the Hellenes knew that the order of their gods was of recent origin and could not be traced beyond the age of the epics. The time span surmised by Herodotus places the event, at the earliest, in the ninth century B.C. And second, they were convinced that the myth had not grown anonymously over a long period of time, but had been created by definite persons, the poets. These facts, to be sure, do not illuminate the darkness in which the historical Homer is shrouded, but they come close enough to the enigma to allow its circumscription through the definite questions: What is a poet? What is the source of his knowledge? And by what authority does he create a new symbolism of divine and human order? (Fs) (notabene)
140b The sources that will supply the answers to these questions are surprisingly scarce. Still, they are sufficient to make recognizable a relation between the poet and a divine source of revelation that resembles the relation between the Israelite prophet and the word of Yahweh. The Iliad opens with the verse: "The wrath do thou sing, O goddess, of the Pelide Achilles"; and the Odyssey with "Tell me, O Muse, of the man of many devices." As in the prophetic texts of the Bible Yahweh and his prophet are interchangeable as the speakers of the word, the dabar, so in the epic the Muse and the singer are interchangeable as the speakers of the poem. For the rest, the Iliad is uninformative since it invokes the goddess only by the standard formula: "Tell, me now, O Muses, housed on Olympus [...] " as an authenticating opening line for a new section of the story. In the Odyssey, however, we find an interesting passage. Demodocus is introduced (8.62-64) as "the singer [aoidos] whom the Muse loved greatly, and gave him both good and evil; of his sight she deprived him, and gave him sweet song." The passage suggests a connection between blindness to the world and song, since both are given by the Muse. And the theme is resumed in a paean of Pindar (7, b) where the poet prays for inventive skill to Mnemosyne and her daughters, the Muses. "For the minds of men are blind"; they need help who, without the Muses, "seek the steep path of them that walked it by their wisdom [sophia]"-, to the poet, Pindar, the Muses have charged this "immortal labor." The terseness of the verses, as well as their fragmentary character, make it impossible to decide whether the immortal labor means Pindar's walking of the "way of wisdom" for himself, or as the helper to his blind fellow men, but the latter seems to be the more probable meaning. The Homeric and Pindaric passages together formulate the great theme of blindness and seeing that recurs in Aeschylus and Plato: Who sees the world is blind and needs the help of the Muses to gain the true sight of wisdom,- and who is blind to the world is seeing in the wisdom of sweet song. The Muses, and through them the poets, are the helpers of man who seeks to ascend from his darkness to light. (Fs) (notabene)

141a More explicit on the subject is Hesiod in the opening pages of the Theogony. A tale of the gods must begin with the Muses, for whatever the poet knows about them he has learned from the Heliconian maids. They were begotten, by Zeus on Mnemosyne, to sing to the gods about the things that are, and shall be, and were aforetime,- and to praise to men the Olympians. They sing to remember-the world to the gods, and the gods to man-and they remember in order to make forget. They are "a forgetting of ills and a rest from sorrow." For though a man's soul be troubled and his heart be distressed, when "a singer, the servant of the Muses" sings the deeds of the forebears and the blessedness of the gods, he will forget his heaviness, and the gifts of the goddesses will turn him away from his sorrows. This antinomy of remembrance and forgetting corresponds to the previous one of blindness and seeing. The sorrow of "the newly-troubled soul" will be forgotten when the truly memorable is remembered; and the tenaciously held grief and distress is a forgetfulness about the things that are preserved by true memory, by Mnemosyne. The same opposition of true and false reality recurs in the tragedy, in the Aeschylean distinction between true action in conformity with the order of Zeus and the evasive or indifferent conduct that does not even deserve the name of action,- and it is ultimately transformed by the philosophers into the tension between true Being and the turgid stream of Becoming. (Fs)

142a The Hesiodian text (99-100) refers to the singer as the servant (companion, attendant, theiapon) of the Muses; the same formula occurs in Homeric Hymns 22.19-20. More frequently he is the prophetes, the interpreter or spokesman of the gods. The term is generally applied to the interpreters of oracles at temples; Herodotus speaks of the prophets at a shrine of Dionysus (7.3) and of a prophet at Delphi (8.36-37). The "truthful seer" Teiresias is for Pindar the "prophet of Zeus" [Nem. 1.61-62). And Pindar himself, "the holy mouth of the Muses,"1 succinctly enjoins them: "Reveal [manteueo], O Muse, and prophesy shall I" (frag. 150). The parallel with the relation of Israelite prophets to the dabai of Yahweh is obvious-with the important difference, however, that in Israel the transcendent God manifests himself through the word, while in Hellas the gods are still present and visible within the world and the "word" spoken is the poet's song. The logos has no function yet in the symbolism of the prophetic poets,- only with the philosophers does it begin to replace the earlier theophanies.2 (Fs)

142b The poets sing what is memorable; and the life of man reaches its climax, even in suffering, when his action and passion is worthy to be sung. A few texts will illuminate the problem. In Iliad 6.354-58 Helen speaks of the evil fate that Zeus has brought on her and Paris "so that in days to come we shall be a song for men yet to be." In Odyssey 8.579-80 Alcinous speaks of the ruin that the gods have wrought on men at Troy "that there might be a song for those yet to be." Pindar (Nem. 6.29-31) invokes the Muses to praise the victor; for when the heroes have passed away, "songs and legends store their noble deeds." And Euripides [Troiades 1242-45) lets Hecuba, about to be carried off into slavery, reflect: Had not a god thrown us down, even beneath the earth, "we would have been unfamed, unhymned by lays, and not a song to the mortals to come." The poet himself is not exempt from the hunger for survival through his song. A fragment betrays the proud consciousness of a Sappho: "Happy in truth have made me the golden Muses-when I die I shall not be forgotten."1 (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Vergleich: Moses - Homer

Kurzinhalt: That was less than the Mosaic insight that placed the people in the present under God; but it was more inasmuch as the singers appealed to the psyche of every man singly.

Textausschnitt: 143a The Hellenes had no Message and Covenant from Sinai to create them a Chosen People in historical form. They had no Moses to lead them from the bondage of Pharaoh to the freedom of God. But they had the prophetic singers who experienced man in his immediacy under the gods; who articulated the gulf between the misery of the mortal condition and the glory of memorable deeds, between human blindness and divine wisdom; and who created the paradigms of noble action as guides for men who desired to live in Memory. That was less than the Mosaic insight that placed the people in the present under God; but it was more inasmuch as the singers appealed to the psyche of every man singly. From its very beginning the appeal went to the divine essence of order in the soul, to the immortal core. The experience of immortality, to be sure, was still bound by the cosmos as were the gods. Man could not yet, through the sanctification of life and divine grace in death, move toward the beatific vision,- but he could place himself before the gods forever by action that entered the stream of Memory through the song of their prophets.1 (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Hitler and the Germans

Titel: Hitler and the Germans

Stichwort: Wille, voluntas: im christlichen Sinne - Libido, Konkupiszenz; Schramm (Hitler)

Kurzinhalt: ... again we just do not have in modern German-in other languages we do-the expressions to differentiate between what "will" in the classical and Christian sense is, and what "will" in revolt against God is ...

Textausschnitt: 107b Now here one encounters a problem, that again we just do not have in modern German-in other languages we do-the expressions to differentiate between what "will" in the classical and Christian sense is, and what "will" in revolt against God is. In the classical and Christian sense, the will, the voluntas, is always and only the rationally ordered will. This means that wherever the power of existence (Existenzmacht) joins forces with reason and spirit, there is the "will." Where power of existence separates itself from reason and spirit, we do not speak of will, in the classic Christian vocabulary, but of concupiscentia or of libido. The expression "libido" has become very popular through psychoanalysis. But it is the general expression for existence-powerful desire that is not ordered by reason or spirit. A very large part of what is called German idealistic philosophy from Fichte up to the present must always be so understood that when the author in question speaks of will, one has to put in place of the word "will" the expression "libido." When Nietzsche speaks of the will to power, then he intends the libido; he is still aware of that. "Libido" is the Pascalian expression toward which he orients himself. (Fs)

107c That is relevant for understanding Schramm's problem when he tries to characterize Hitler as a particularly strong-willed man. There is no willpower in Hitler at all. He had absolutely no will of any recognizable kind, that is, an existence that was ordered by reason or spirit. But he did have an extraordinarily existence-intensive libido, and he maintained this up to the end. He apparently was able to do so simply because any reasonable and spiritual order was radically absent in him, and there was, so to speak, no further possibility of escape for him. So, in Hitler a radical libido, which had fully separated itself from reason and spirit. Now, that is enough on the question of libido and the loss of reality through dehumanization; but the matter goes further than this. (Fs)

108a Man remains man in full reality, even when he loses reason and spirit as those parts of reality that help him to order his existence; he does not cease to be man. And there is no point, as is still so often done, in accusing Hitler of inhumanity; it was absolute humanity in human form, only a most remarkably disordered, diseased humanity, a pneumopathological humanity. Such a man's image of reality, therefore, although defective, has not lost the form of reality; that is, he is still a man, with the full claim to make statements of order, even when the ordering force of orientation toward divine being has got lost-even then-except that he puts a pseudo-order in place of the real order. So reality and experience of reality are replaced by a false image of reality. The man, thus, no longer lives in reality, but in a false image of reality, which claims, however, to be the genuine reality. There are then, if this pneumopathic condition has occurred, two realities: the first reality, where the normally ordeied man lives, and the second reality, in which the pneumatically disturbed man now lives and which thus comes into constant conflict with the first reality. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Homer: Seele u. Leib (soma, psyche)

Kurzinhalt: ... in the language of Homer there are no words for body and soul;

Textausschnitt: 171a The word soma, which in later Greek means "body," occurs indeed but it has the meaning of "dead body," "corpse." The living human shape can only be designated by chros, skin; and chros does not mean skin in the anatomical sense (the skin or pelt that can be skinned off an animal, derma), but skin in the sense of a surface that is the bearer of color and visibility. This Homeric visibility of surface (as distinguished from our notion of bodily existence) is an immaterial, intangible quality to which unexpected things may happen. The visible shape may become invisible at the right tactical moment and reappear elsewhere, as in the case of the vanishing Paris. And then again it may expand demonically as in the appearance of Achilles when he frightens the Trojans from the body of Patroclus, with a thick golden cloud around his head and shining flames rising from the cloud, shouting with the sound of a trumpet. Such diminutions and exaltations of visible shape, however, are understood as more than human; they only occur with the help of the gods, an intermediate phenomenon as it were between normal human appearance and the occasional donning of visible shape by the immortals. The conception of a "living body" as it is familiar to us does not exist in the epics; it would presuppose the notion of an animating principle that endows the body with form, the notion of a "soul"-and there is no word for "soul" in the epics. (Fs) (notabene)

171b Again, to be sure, the word psyche, which in later Greek means "soul," is present, as is the word soma, but it signifies an organ of man rather than the organizing form of a body. Not much information can be extracted about this psyche from the epics, except that it means a life-force that leaves man in death and then leads a miserable, independent existence as the shadow, the eidolon. And since there is no conception of the soul, such phenomena as "emotions," "stirring of emotions," "thinking," cannot be conceived as functions of the psyche but must be understood (by the terms thymos and noos) as additional organs of man. The problems of man and his soul are not absent from the Homeric work, as we shall see presently,- nevertheless, this peculiar articulation of man into a bundle of organs and forces compels the poet to treat such questions by means of a symbolism that barely recognizes man as a well-circumscribed, world-immanent center of action.1 (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Homer; der Mensch als sterbliches Wesen; Definition: Held

Kurzinhalt: Only one thing is really certain even about Homeric man: He must die; the hero in the Homeric sense can be defined as the man in whose actions a more-than-human order of being becomes manifest

Textausschnitt: 172a The Homeric problems of order originate in the uncertainties concerning the nature of man. Only one thing is really certain even about Homeric man: He must die. Hence, "mortal" is the preferred synonym for man, distinguishing his nature without a doubt from that of the immortal gods. For the rest, the transhuman elements of the order of being penetrate so deeply into man or, from the other side, man is yet so imperfectly closed as a self-conscious, reflecting agent, that the status of various phenomena as human or divine must remain in doubt and, in particular, that quite frequently it will not be certain to what extent the actions of man are his actions at all. Homer's difficulties in dealing with these problems, as well as the importance of his partial solutions, can be understood only if we place ourselves in his position. If, on the contrary, we interpret the epics under the assumption that he knew already what gods and men were, his specific achievement in clarifying the nature of man and the meaning of order will be obscured. Hence, we shall approach the problem casuistically by analyzing the two main classes of action as they appear in the epics, that is, first the actions that maintain and restore order, and second the actions that disturb order. (Fs)

172b All through the epics run divine interventions that result in human decisions of public importance. A typical case is the energetic action of Odysseus, in Iliad 2, when he holds back the army that is on the point of boarding ship for home; it is an action at the behest of Athena. The cases of this type are rather frequent. Any human decision, hesitation, or resolution somewhat out of the ordinary is apt to appear as inspired by divine counsel. They are so frequent indeed that sometimes the interventions themselves become a routine; Athena is a ubiquitous lady, especially in the Odyssey, arranging the voyage of Telemachus step by step, from pushing the young man into action, to outfitting the ship and getting him on his way. On the whole, however, the interventions effectively serve the purpose of raising the otherwise irrelevant doings of man to the rank of actions that are transparent toward the order of being. Ordinary men, going about their ordinary business, are not favored in this manner; the divine appearances are bestowed on the heroes when the consequences of their action affect public order. Hence, action in this limited sense acquires the more-than-human meaning of a manifestation of divine order; and the hero in the Homeric sense can be defined as the man in whose actions a more-than-human order of being becomes manifest. The Homeric clarification of the meaning of action was continued by Aeschylus. In his Suppliants especially, Aeschylus characterized heroic action (that is the only action deserving the name, as distinguished from ordinary doings) as the decision for Dike against demonic disorder; the order of the polis, insofar as it was established and maintained by such action, represented the order of Zeus. Action at the heroic height, thus, is as much human as it is the manifestation of a divine force. And the public order of a society, insofar as at critical junctures it depends on the forthcoming of such action, is precariously maintained in being at the borderline of this meeting of human with divine forces. (Fs)

173a The aetiology of order and disorder obviously cannot be reduced to a simple formula. Are the gods who inspire, or the men who obey, responsible for heroic action? And who is responsible for a debacle when a hero did not receive a divine inspiration at the right moment-the god who played truant or the man who embarked on an unfortunate course of action by his own light? And such questions become even more pungent when actions are disruptive. What is the status of ate in Homeric ethics? On the one hand, she is blinding passion that motivates actions in violation of just order; on the other hand, she is a goddess, the oldest daughter of Zeus who, on occasion, plays a trick even on her own father. Who is responsible for misdeeds caused by ate?. A detailed answer to such questions would require a monograph. We can do no more than state the principle of Homer's position, supported by a few cases. (Fs)

173b Throughout the Iliad the poet seems to be engaged in a subtle polemic against the morality of several of his figures-and the polemic quite probably is also aimed at his social environment, which sympathized with the figures. Take the case of Achilles: From Homer's descriptions he emerges as a splendid warrior, useful to have on your side in an emergency, but as a not very appealing figure, almost a pathological case. And the poet leaves no doubt that the trouble stems from toying and tampering with fate, from misusing the divine Thetis for satisfying the hero's childish desires, and from a reluctance to shoulder the burden of humanity. The difficulties fall apart when the burden of fate and responsibility is accepted with humility. (Fs)

174a A second important instance is furnished by Agamemnon's apology to Achilles (II. 19.78-144).

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Homer, Dialektik: Blindheit - Sehen

Kurzinhalt: Is there really a time interval between blindness and seeing? Is man really at one time a passionate self, blinded, and at a later time ...

Textausschnitt: 174a A second important instance is furnished by Agamemnon's apology to Achilles (II. 19.78-144). The king casts the responsibility for his unjust action on a whole assembly of gods (Zeus, Moira, Erinys, Ate) who blinded him. But when the blindness falls from him, and he becomes seeing again, he assumes responsibility for his action and offers amends. With Homer a man's actions are his own only when he sees what he is doing; as long as he is blinded they are not his own and he is not responsible for them; but when in retrospect he sees again, then what he committed in blindness becomes his own through seeing and he compensates for his misdeeds. The analysis by means of the symbolism of "blindness" and "seeing" is of considerable interest for the later development of a theory of action. For Homer is on the way toward discovering what the philosophers will call the "true self," that is, the area in a man's soul in which he is oriented toward noetic order. When the true self dominates, then the man "sees"; and through the retroactive recognition of "blindness," the misdeed is integrated (as it were by a "conscience") into the acting self. Still, in the case of Agamemnon, the blindness remains the work of the gods; the absorption of the misdeed into the self does not yet go to the point of accepting the guilt for temporary "blindness." And in general there is no tendency toward an understanding of guilt in the Christian sense-either in Homer, or in the philosophers of the classical period who, although they develop the problem further, retain the Homeric position on principle. The continuity with regard to this problem, from Homer to the fourth century, will go far to explain the odd idea of Socrates-Plato of solving the problem of true order in the soul and society through "seeing," that is, through knowledge. (Fs) (notabene)

174a Nevertheless, the self-interpretation of Agamemnon in his apology to Achilles is perhaps not the last word of Homer in this matter. A wary psychologist will ask himself the question how "true" Agamemnon's story about his temporary blindness really is. Does a man, even in anger, not know in some corner of his mind that just now he is doing something which he ought not to do? Is there really a time interval between blindness and seeing? Is man really at one time a passionate self, blinded, and at a later time a true self horrified at the deeds of his passionate self? Homer certainly asked himself such questions. The proof is the scene of Paris in his chamber. There is the case of the elegant rotter who, in excellent self-analysis, informs Helen that his mind is obsessed by eros, and then pleasantly proceeds to act not on the "seeing" of his analysis but on the "blindness" of his passion. The case of Paris shows the simultaneity of blindness and seeing. And what happens in this case is most illuminating for Homeric as well as for Greek theory of action in general. We do not fall into the abysmally desperate situation described by Saint Paul in Romans 7, but into a refined rascality, not lacking in profoundness. (Fs)

175a The case of Paris shows that Homer knew about the mysteries of blindness and seeing. Nevertheless, it should not be taken as an expression of his own opinion in the matter. The apology of Agamemnon certainly does not mean to characterize the king as a hypocrite who tries to cover up the fact that he knew quite well what he was doing at the time and preferred to indulge in the voluptuousness of his anger.1 The case of Agamemnon must be taken at its face value as one of the various types in a psychology of action. Homer's own position should rather be inferred from the manner in which he constructs the story of the epics on principle. In both epics the story rests, as we have seen, on the careful analysis of the legal issues involved in the various actions. The public knowledge of order, of themis, of what is right, is the foundation for the actions of the heroes. Everybody knows, as a matter of public knowledge, exactly what he ought to do-and then he does something else. As an extreme case, to support this point, let us remember the old Priam, who knows quite well what is wrong but cannot wrest from himself the effort to maintain public order; he throws the responsibility on the gods and lets Troy go to destruction. The various figures of the epics, thus, are set by Homer against a background of public knowledge about what is right. They all "see" while they are "blinded"; but there are various degrees of blindness and sight, as well as a variety of relations between them. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Homer: Ätiologie der Unordnung; Götter als Urheber des Bösen? (4 Thesen)

Kurzinhalt: ... acts of wanton indulgence, due to eros and cholos, as well as of ambition "beyond the share" (hyper moron) (Od. 1.35), which break the right order ...

Textausschnitt: 175b On the basis of the preceding analysis we can venture to formulate the relation between the two epics. The Iliad, so it seems, is much richer in its exploration of the mysteries of action than the second epic. It is hardly permissible to consider the Odyssey an advance beyond the Iliad with regard to theology or religious sentiments. At most one can say that in the prologue in heaven Homer states in explicit terms the problem that occupied him all through the Iliad, i.e., the aetiology of evil. The term aetiology, hitherto used undefined, does require, and can now receive, some precision. We are using the term because it is Homer's word in dealing with his problem. The question is whether the gods are aitioi or not aitioi with regard to the evil that befalls man. The meaning of aitios (Il. 3.164) ranges, in the Homeric contexts, from "guilty" or "blameworthy" to "responsible for" or "being the cause of." When Homer speaks of men who ascribe evil to the gods, he uses the word aitioontai (Od. 1.32), with a corresponding range of meaning from "they accuse" or "blame" the gods to "they make them responsible," or see in them the "source" or "cause" of evil. The primary concern of Homer is not a vindication of the gods but the interpretation that men put on their own misconduct. The tendency of his aetiological interest can, therefore, be circumscribed by the following theses: (Fs)

1. Man is in the habit of making the gods responsible for his misdeeds, as well as for the evil consequences engendered by his misconduct. (Fs)
2. Theoretically, this habit implies the assertion that the gods are the cause of the evil that men do and suffer. This assertion is wrong. It is man, not the gods, who is responsible for evil. (Fs)
3. Practically, this habit is dangerous to social order. Misdeeds will be committed more easily if responsibility can be shifted to the gods. (Fs)
4. Historically, a civilizational order is in decline and will perish if this habit finds general social acceptance. (Fs)

177a In the present context, however, the resemblance is less important than the great difference, which is due to the fact that Homer wrote before, while Plato wrote after, the discovery of the psyche. The Homeric achievement is remarkable as a struggle for the understanding of the psyche with the rather crude symbols that we have studied. Homer astutely observed that the disorder of a society was a disorder in the soul of its component members, and especially in the soul of the ruling class. The symptoms of the disease were magnificently described by the great poet; but the true genius of the great thinker revealed itself in the creation of a tentative psychology without the aid of an adequate conceptual apparatus. Without having a term for it, he envisaged man as having a psyche with an internal organization through a center of passions and a second center of ordering and judging knowledge. He understood the tension between the two centers, as well as the tricks that passion plays on better knowledge. And he strove valiantly for the insight that ordering action is action in conformance with transcendent, divine order, while disruptive action is a fall from the divine order into the specifically human disorder. We can discern the dim outlines of the Platonic anthropology, and even of the Platonic postulate that God rather than the disorderly velleities of man should be the measure of human action. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Sympoliteia, Polis - Nationalstaat - germanische Stämme

Kurzinhalt: The strength of the gentilitian sentiment ... were the great obstacles to an evolution of the polis toward a territorial, national state; the opposite of the problem that the Germanic tribes ...

Textausschnitt: 189a The strength of the gentilitian sentiment, and its expansion from the aristocracy to the people, were the great obstacles to an evolution of the polis toward a territorial, national state. Once the gentilitian structure of the polis was fixed the possibilities for the formation of larger units were limited. The problem that faced the city-state, we may say, was the opposite of the problem that the Germanic tribes of the Migration had to solve after their conquest of large Roman provinces. The conquering Germanic tribes started with the possession of a large territory; and they had to organize, administer, and unify its population politically and culturally through centuries until the sentiment of nationhood and the forms of self-government through election and representation had evolved. The polis started with intensive self-consciousness and self-government; and it had to invent the forms that would transcend local institutions and integrate a plurality of poleis into a larger territorial unit. The basic legal form that the polis had at its disposition for this purpose was the sympoliteia, that is, the extension of citizenship to the population of the surrounding countryside or of other poleis. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Hesiod: vom Mythos zur Metaphysik

Kurzinhalt: Myth and philosophy, just as myth and revelation, are separated by the leap in being, that is ...

Textausschnitt: 195b The transition from myth to metaphysics is fraught with problems that science has not yet resolved by far. Still, one can formulate the central issue: that rational speculation, while it can be used within the symbolic forms of both myth and philosophy, is neither the one nor the other.1 Myth and philosophy, just as myth and revelation, are separated by the leap in being, that is, by the break with the compact experience of cosmic-divine order through the discovery of the transcendent-divine order. The leap in being, however, notwithstanding the radicalism of the event when it occurs, is historically prepared by a variety of modes in which the myth is loosened up and made transparent toward transcendent order. In the Egyptian form of order, the theogonic speculation of the Memphite Theology, the summodeistic speculations of the empire theologians, culminating in the symbolism of Akhenaton, as well as the personal piety of the Amon Hymns, made the cosmological myth so transparent for transcendent being that the resulting formulations could be misunderstood by historians as "monotheistic." The carrier of this advance is man inasmuch as his existence under God is real even though it is not yet illuminated by the leap in being. The desire to know the truth of order, which Aristotle recognized as natural to man, is present even where it has to struggle with the compactness of experience and its cosmological expression. In Hellas these preparatory steps toward the leap in being were taken by the "singers." Homer created the present of man, if not under God, at least under the monarchically organized Olympians, and with it the past of memorable deeds and the future of survival in song. Hesiod, to whom the symbolism of existence under the Olympian gods was already given, applied rational speculation to it in his pursuit of truth. The Hesiodian speculation, however, does not belong to the same type as the Egyptian, for the Olympian myth of Homer, to which it applied, was no longer cosmological. The decisive step toward the creation of the historical form had been taken by Homer when he transfigured the Achaean fall into the past of Hellenic society. Unlike the Egyptian speculation, which remained an event within the medium of the cosmological form, the Hesiodian work has its sequel in philosophy because it moves within the mnemosynic form of the singer,- the poems of Hesiod are a symbolism sui generis inasmuch as they establish a genuinely transitional form between myth and metaphysics. To be sure, since the compact symbols of the myth comprehend shades of experience that escape the differentiated concepts of metaphysics, while the language of metaphysics lends precision to meanings that remain inarticulate in the myth, the units of meaning cannot be amply paired off against each other. Nevertheless, the transition is an intelligible process, because the experiential substratum provided by Homer remains recognizable in its sameness through the change of symbolic forms; and this sameness is most clearly recognizable in the Hesiodian beginnings of the process when, in faltering and stumbling speculation, the symbols of the myth point searchingly toward meanings for which later generations of philosophers will develop a technical vocabulary. The Theogony represents such an incipient penetration of the Olympian myth with a speculative intention,- and an intelligible line of speculative evolution runs from these beginnings through the Ionian and Italian philosophers to Plato and Aristotle. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Hitler and the Germans

Titel: Hitler and the Germans

Stichwort: Was ist der Mensch?: Aufweisung in der Geschichte; Geist u. Vernunft als Bestimmung des Menschen; Leibniz; Existenz; zetema, theomorph

Kurzinhalt: What does it mean to exist as constituted by reason and spirit? ... that man experiences himself as a being who does not exist from himself

Textausschnitt: 85a In the series of definitions of democracy I have just given you, I have focused on the question of being human or of not being human. Now we must become clear about a number of concepts: first, What is man? and second, What are the symptoms of the falling down and the derailment of man? For they all play a big role in the decline of a society and made it possible for a type like Hitler to come to the top. The idea of man is not a question of arbitrary definitions; rather, man is discovered in quite specific historic places and in quite concrete situations. We have two such points where what man is was experienced, and from the experience of man in the concrete case, the idea of man was then generalized as binding on all men. I say this as a methodological introduction, so that you do not come up with the objection that man can be defined in one or the other way, and that human nature may be such and such but that it changes, and so on. (Fs) (notabene)

86a We are dealing here with strictly empirical questions: When was man as such discovered? and What was he discovered to be? These discoveries have taken place respectively in the Hellenic and in the Israelite societies. In the Hellenic society, man was experienced by the philosophers of the classical period as a being who is constituted by the nous, by reason. In the Israelite society man is experienced as the being to whom God speaks his word, that is, as a pneumatic being who is open to God's word. Reason and spirit are the two modes of constitution of man, which were generalized as the idea of man. We have not gone beyond these contents of the idea of man, that is, his constitution by reason and spirit. That seems to be the definitive discovery. (Fs) (notabene)

86b What does it mean to exist as constituted by reason and spirit? The experiences of reason and spirit agree on the point that man experiences himself as a being who does not exist from himself. He exists in an already given world. This world itself exists by reason of a mystery, and the name for the mystery, for the cause of this being of the world, of which man is a component, is referred to as "God." So, dependence of existence (Dasein) on the divine causation of existence (Existenz) has remained the basic question of philosophy up to today. (Fs) (notabene)

86c This was formulated by Leibniz in the classic proposition that metaphysics has to deal with two questions: Why is there something, why not nothing? and the second question, Why is the something as it is? These why-questions place at the beginning of all reflections on man what we can call, with a classic philosophical expression, the etiological problem of the existence of man and world. There is a ground of being in the sense of a first cause, a prima causa or a proton aition, to which we remain in relation philosophically through the seeking, the zetema in the Platonic sense, and pneumatically through hearing the word in the sense of revelation. (Fs) (notabene)

87a In both manners, through the seeking for the divine, the loving reaching out beyond ourselves toward the divine in the philosophical experience and the loving encounter through the word in the pneumatic experience, man participates in the divine. The concepts are methexis in Greek, participatio in Latin, participation in the divine. Insofar as man shares in the divine, insofar, that is to say, as he can experience it, man is "theomorphic," in the Greek term, or the image of God, the imago Dei, in the pneumatic sphere. The specific dignity of man is based on this, on his nature as theomorphic, as in the form and in the image of God. This is a basic complex of ideas we must start out with in order to critically investigate the defection from this complex. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Hitler and the Germans

Titel: Hitler and the Germans

Stichwort: Grunddefekt d. Menschen; Entgöttlichung als Entmenschlichung -> Verlust der Realität

Kurzinhalt: The defection at its core always takes the form of a loss of dignity;

Textausschnitt: 87b The defection at its core always takes the form of a loss of dignity. The loss of dignity comes about through the denial of the participation in the divine, that is, through the dedivinizing of man. But since it is precisely this participation in the divine, this being theomorphic, that essentially constitutes man, the dedivinizing is always followed by a dehumanizing. One cannot dedivinize one-self without dehumanizing oneself-with all the consequences of dehumanization that we shall still have to deal with. Such dedivinization is the consequence of a deliberate closing of oneself to the divine, whether to the rationally divine or the pneumatically divine, that is, the philosophical or the revelational divine. In both cases there occurs a loss of reality, insofar as this divine being, this ground of being, is indeed reality too,- and if one closes oneself to this reality, one possesses in one's range of experience less of this part of reality, this decisive part that constitutes man. (Fs) (notabene)

87c In this sense we speak of a loss of reality. Please understand that I am now giving only a series of concepts,- their application will follow. We must then employ them so that we understand what it is we are really speaking of. Thus we can speak of loss of reality through dedivinizing and dehumanizing. The typical manifestations of this loss of reality are that the reality of man is put in the place of the lost divine reality, which alone grounds the reality of man, so that in place of the ground of being as the cause of being, man as the cause of being advances to the point of exaggeration in the idea that man must be the creator of the world. We will later deal with this special German problem of rebellion, which has its roots in the Romantics. But I will here quote this one sentence of Novalis: "The world shall be as I wish it!"11 There you already have in a nutshell the whole problem of Hitler, the central problem of the dedivinizing and dehumanizing. However, with that the phenomenology of the defection from full humanity is not experienced. This is a problem that has always occupied human beings. How are these defections to be classified? How do they appear? (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Hitler and the Germans

Titel: Hitler and the Germans

Stichwort: Hesiod, Aristoteles: 3 Klassen von Menschen; "Sklave von Natur aus"; "rabble"

Kurzinhalt: So here you already have three types of men: the man who is in full possession of the nous and ... that it is extremely difficult to understand that the elite of a society can consist of a rabble. But it really does consist of a rabble.

Textausschnitt: 88a Let us first take the classical attitude toward the question, that not all men are fully man in Aristotle's terms.1 In the Nicomachean Ethics (1095b10-13) Aristotle falls back on Hesiod, that means, to the eighth century. For Hesiod, these insights still derive from what can be called commonsense experience. I will quote this passage from Hesiod, which Aristotle later develops. In the Works and Days, from verses 293 f., Hesiod classifies men into three groups: First, that man is the best, pan aristos, who himself considers or thinks through all things, who can advise himself, noese: The nous plays a part here. The second type is also good, an esthlos, who listens to the best, to the pan aristos. The one, however, who neither thinks, noe, nor listens is a useless man. (Fs)

88b So here you already have three types of men: the man who is in full possession of the nous and can advise himself, where, by nous, is meant openness toward the divine ground of being; the one who, in case of doubt, has at least enough reason to listen to him who is in full possession of it; and the one who has neither the one nor the other and therefore is a useless fellow, who can also become a dangerous fellow. (Fs)

88c The Aristotelian divisions follow this Hesiodian classification. The man in full possession of freedom is the man who has authority and lets himself be led by his own nous, by reason. Then there are the others, some who are still being educated, others who never get beyond certain educational levels, but at least are still approachable, far as they listen when a wiser man tells them what is right and t is wrong. And then there is the third class, which he called the slaves by nature. Now what are we doing with this classification? An expression such as the Aristotelian "slaves by nature" can hardly be used for our purposes, for we no longer have slavery as a formal legal institution. The Hesiodian expression of the useless man, the achreios, is not all that useful either. Aristotle's slave by nature and Hesiod's useless man belong-the latter at least partly- to a kind of social substratum, while our problem is that the useless man exists at all levels of society up to its highest ranks, including pastors, prelates, generals, industrialists, and so on. (Fs)

89a So I would suggest the neutral expression "rabble" for this. There are men who are rabble in the sense that they neither have the authority of spirit or of reason, nor are they able to respond to reason or spirit, if it emerges advising or reminding them. Here we again approach the Buttermelcher Syndrome: that it is extremely difficult to understand that the elite of a society can consist of a rabble. But it really does consist of a rabble. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Hitler and the Germans

Titel: Hitler and the Germans

Stichwort: Dummheit (Verlust der Realität); stultus, nabal, amathes

Kurzinhalt: Stupidity shall mean here that a man, because of his loss of reality, is not in a position to rightly orient his action in the world, in which he lives

Textausschnitt: 89c First, the stupidity that we have already repeatedly adduced, Stupidity shall mean here that a man, because of his loss of reality, is not in a position to rightly orient his action in the world, in which he lives. So when the central organ for guiding his action, theomorphic nature and openness toward reason and spirit, has ceased functioning, then man will act stupidly. You will remember Professor Besson spoke of Hitler as an idiot, and I said that that is not entirely unjustified, if one understands by "idiot" the stultus in the technical sense. (Fs) (notabene)

89d This phenomenon was always recognized in ancient civilizations. The fool, in Hebrew the nabal, who because of his folly, nebala, creates disorder in the society, is the man who is not a believer, in the Israelite terms of revelation. The amathes, the ionally ignorant man, is for Plato the man who just does not have the authority of reason or who cannot bow to it. The stultus for Thomas is the fool, in the same sense as the amathia of Plato and nebala of the Israelite prophets. This stultus now has suffered loss of reality and acts on the basis of a defective image of reality and thereby creates disorder. For the moment, that is all on the question of stupidity. We will have more to say about it later. (Fs) (notabene)
90a A second point is closely connected with this stupidity: If I have lost certain sectors of reality from my range of experience, I will also be lacking the language for appropriately characterizing them. That means that parallel to the loss of reality and to stupidity there is always the phenomenon of illiteracy. (Fs)

90b In statistics we speak of illiterates as persons who cannot read or write. And the word has this meaning in other languages, too. But in English, better than in German, we have worked out that a man can possibly read and write at the primary school level but still may be a totally stupid guy who cannot express himself with regard to very wide ranges of reality, especially matters of reason and the spirit, and is incapable of understanding them. Such a man is an illiterate. The question is now, can one simply introduce the word "illiteracy" into German as Illiteratentum? I would hesitate to do so and would rather use the established German word Analphabetentum, extending this expression Analphabet to stupidity and to the deficient command of language through loss of reality, in terms of the English meaning of "illiteracy." So there is illiteracy among people who are able to read and write very well, but who, as soon as it is a matter of understanding a problem of reason or of spirit, or questions about right action, of justice, are completely uncomprehending, because they do not get it. There the loss of reality can be noticed, which then also expresses itself in the deficient command of language. (Fs)

90c There is also the very interesting case of Aldous Huxley, who expressly speaks of people who can read and write as the "Alphas" and "Betas."1 They know the alphabet, but that is all. In Germany, in contrast to other Western societies, illiteracy-in this sense of the deficient command of language for the fields centrally important for action-runs through the elite. Not in the sense that all of the elite are illiterate-there are also in Germany very cultured people who have command of the German language; but the socially dominant popular literature that appears in public, including that by certain professors, is written by illiterates. In the next lecture, I shall give you a detailed analysis of illiteracy in Schramm's case. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Philosphie: Bruch mit dem Mythos, symbolische Form der Ordnung im Gegensatz zur Unordnung d. Polis

Kurzinhalt: ... it was a symbolic form that expressed definite experiences of order in opposition to the polis;

Textausschnitt: 238a Hellas did not rise above the level of the city-state, as did the Mesopotamian civilizations, through imperial unification and the development of a political summodeism, of the same symbolic type as the myth of the single city-states, but through the efforts of individuals who discovered the order of the human psyche beyond the order of the polis and articulated their discovery in the symbolic form that they called philosophy. Hence, philosophy was more than an intellectual endeavor in which certain Greek individuals excelled; it was a symbolic form that expressed definite experiences of order in opposition to the polis. The tension between the Hellas of the poets and philosophers, and the polis to which they were in opposition, was the very form of Hellenic civilization. Nevertheless, this form had something elusive in comparison with the Near Eastern empires, because the personal order of a soul through orientation toward transcendent reality could not be institutionalized but had to rely on its autonomous formation by individual human beings. And since this elusiveness of the form is the cause of the error that philosophy is an "intellectual" or "cultural" activity conducted in a vacuum, without relation to the problems of human existence in society, it becomes all the more important to stress the roots of philosophy in the order of the polis. This problem can be clarified best by a comparison between the Hellenic and the Israelite mortgage of society on the symbolic form. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Seinssprung (Leap in Being): Israel - historische Existenz eines Volkes unter Gott; Griechenland - Individuum unter Gott

Kurzinhalt: The leap in being had different results in Israel and Hellas. In Israel it assumed the form of historical existence of a people under God; in Hellas ...

Textausschnitt: 238ba The leap in being had different results in Israel and Hellas. In Israel it assumed the form of historical existence of a people under God; in Hellas it assumed the form of personal existence of individual human beings under God. If the issue be formulated in this manner, it will be apparent that the "perpetual mortgage of the world-immanent, concrete event on the transcendent truth that on its occasion was revealed," of which we had to speak in the case of Israel,1 would be less of a burden on Hellenic philosophy than on Israelite revelation. The universal validity of transcendent truth, the universality of the one God over the one mankind, could be more easily disengaged from an individual's discovery of the existence of his psyche under the gods than from the Sinaitic revelation of a people's existence under God. Nevertheless, as Israel had to carry the burden of Canaan, so philosophy had to carry the burden of the polis. For the discoveries, although made by individuals, were made by citizens of a polis; and the new order of the soul, when communicated by its discoverers and creators, inevitably was in opposition to the public order, with the implied or explicit appeal to the fellow citizens to reform their personal conduct, the mores of society, and ultimately the institutions in conformity with the new order. Hellenic philosophy became, therefore, to a considerable extent the articulation of true order of existence within the institutional framework of an Hellenic polis. That is not necessarily the great defect that moderns frequently believe it to be. For, after all, philosophy grew within the polis; and true philosophical existence is perhaps possible only in an environment resembling the culture and institutions of the polis. That, however, is a complicated question; it will occupy us at length in later volumes of this study, when we have to deal with the problems of a specifically "Christian" and "modern" philosophy; for the moment it will be sufficient to say that the question is far from settled. At any rate, the institutions of the polis were distinctly a limiting factor in the Hellenic exploration of order, down to the great constructions of paradigmatic poleis by Plato and Aristotle. (Fs)

239a The preceding reflections, in spite of their brevity and simplifications, will be sufficient as a preliminary orientation. For philosophy as a symbolic form is distinguished from myth and history by its reflective self-consciousness. What philosophy is, need not be ascertained by talking about philosophy discursively; it can, and must, be determined by entering into the speculative process in which the thinker explicates his experience of order. The philosophers' conscious break with the form of the myth occurred about 500 B.C. The individual steps taken toward a differentiated experience of the psyche, during the two centuries after Hesiod, had the cumulative result of letting the self-conscious soul emerge as the tentative source of order in competition with the myth, as well as with the aristocratic culture of the archaic polis. Ionian lyric and Milesian speculation, the revision of political aretai through Tyrtaeus and Solon, tyranny and democratization, the Orphic movement, the Pythagoreans, and the public recognition of Dionysian cults-they all had contributed to the experience of the soul and its order that now became the motivating force in the work of Xenophanes (C. 565-470), Parmenides (fl. C. 475), and Heraclitus (C. 535-475). (Fs)

239b With the exception of a few longer passages from the didactic poems of Parmenides, the work of the three mystic-philosophers is preserved only in small fragments. A reconstruction so that the single sentences could be understood in their context is impossible. We shall proceed, therefore, by selecting groups of fragments that bear upon the basic issues in the revolt against the myth and consequently illuminate the meaning of the new order. The first such group will consist of a number of fragments from Xenophanes. He was the first thinker to challenge the authority of Homer and Hesiod on principle on the ground that they accepted the myth, as well as the anthropomorphic conception of the gods, in their work.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Xenophanes; Anthropomorphismus als Irrtum im Kontext d. Mythos; Tylor -> Irrtum

Kurzinhalt: The characterization of mythical symbolization as anthropomorphic is a theoretical mistake; the problem of anthropomorphism becomes visible ... when the psyche and its self-consciousness begins to emerge

Textausschnitt: 244a Xenophanes does not simply berate the poets because they attribute disgraceful actions to the gods, but also develops a theory concerning the motives of such unseemly attributions, as well as a theory concerning the fallacy involved in them. The gods, he opines, are endowed with improper attributes because man creates gods in his image. This is the fallacy that modern sociologists call "anthropomorphism." According to Comte the history of human thought moves from anthropomorphic theology, through metaphysics, to positive science. Xenophanes must be credited with the formulation of the theory that the myth is an anthropomorphic representation of divinity, to be superseded with the advance of insight by more appropriate symbols. Since the theory has had far-reaching consequences, we must briefly examine the nature of the problem. (Fs)

244b The characterization of mythical symbolization as anthropomorphic is a theoretical mistake. In the first place, the theory would require certain elementary emendations in order to be debatable at all. Obviously, in the Greek myth the gods never were really represented as human beings. The gods were distinguished from men through their immortality; they were physiologically distinguished through their living on a special diet; and they were endowed with a variety of nonhuman qualities such as superior knowledge and strength, the ability to be invisible and to change their form; and so forth. To speak of anthropomorphic representation of gods without such qualifications is as inapposite as to find angels in a Renaissance painting represented "realistically," overlooking the minor point that the representation of human-shaped creatures floating on clouds is in itself unrealistic. As soon, however, as such emendations are made, and the meaning of anthropomorphism is properly restricted to the representation of gods as beings who on occasion assume human shape, and talk and act like men, we become aware of the fundamental theoretical problem that such partial transfer of human qualities (which does not affect the essential divinity of the gods) may have something to do with the idea that man has of himself. Is it not probable, we may ask, that human qualities are transferred to gods only as long as the spheres of the divine and human are not quite clearly set off against each other? That "anthropomorphism" is possible only as long as the idea of man is not too clearly differentiated? That "anthropomorphism" occurs only when it cannot occur at all because an idea of man that could be transferred to the gods has not yet developed? And that it tends to disappear precisely when a transferable idea of man has been formed at last? (Fs) (notabene)

245a As a matter of historical fact the problem of anthropomorphism becomes visible, as in the case of Xenophanes, when the psyche and its self-consciousness begins to emerge. That is the occasion on which thinkers discover that something is wrong with the representation of gods, even if they do not know precisely what is "unseemly." To be sure, part of the unseemliness is found in the attribution of human shape, voice, and dress to the gods; but to a much more important part, it is found in the attribution of conduct that is considered a "disgrace and reproach" among men. A new, differentiated sensitiveness of man recognizes as improper among gods what is improper among men. With the discovery of the psyche and its order as the specifically human characteristic, the gods must live up to the new standards of man. This is the problem even of Hesiod, although in his work it does not yet break through to the level of critical discussion. The story of the Theogony is, after all, the story of the elimination of the "unseemly" gods through the Titanomachia, and of the advent of the more seemly order of Zeus and his Dike. Xenophanes, through his very attack on Hesiod, continues the purifying operation on the myth that was begun by the earlier poet. Hence we may say that anthropomorphic representation of gods is experienced as embarrassing when the gods do not act as a more differentiated, sensitive man would act. Anthropomorphism appears in retrospect as a symbolization of gods that corresponds to a past phase in the self-understanding of man. The problem does not arise within any given phase of self-understanding, because in every present the symbolization of gods is in harmony with the degree of differentiation that man has reached. Xenophanes for instance, while criticizing Hesiod for his anthropomorphism, is not at all troubled by his own symbolization of god as a being that hears, sees, and thinks, and always abides in the same place. Behind the term anthropomorphism, which has become a scientistic cliche, hides the process in which the idea of man differentiates and correlatively with it the symbolization of transcendence. (Fs) (notabene)

246a Obviously, this process has a limit. It reaches its climax when the differentiation of man has advanced to the point where the nucleus of the spiritual soul, the anima animi in the Augustinian sense, is discovered. At this ineffable point of openness toward transcendent reality, at this heart of the soul where the infusion of grace is experienced, the divinity becomes ineffable, too. The god of the mystic is nameless, beyond dogmatic symbolization. At this climax of the process the problem of anthropomorphism dissolves into the new problem of the nomina Dei as analogical predicates of the ineffable ens perfectissimum. Insofar as this problem has through Saint Thomas received the technical name of analogia entis, the Xenophanic criticism of the myth, as well as the postulate of seemliness, is the first conscious, though still primitive, attempt at dealing with the analogy of being.1 (Fs) (notabene)

246b The fallacy of interpreting an earlier complex of symbols as a rational construction that would presuppose a later degree of differentiation, as we find it for the first time in Xenophanes, has remained a pattern of historical misinterpretation to this day. We must briefly consider a modern variant of the fallacy, the Animism of Tylor, because it has become a source of misunderstandings of the Hellenic history of order through the mediation of Rohde's Psyche.2 Tylor has developed the Xenophanic fallacy into a principle of historiography. "As to the religious doctrines and practices examined, these are treated as belonging to theological systems devised by human reason, without supernatural aid or revelation; in other words, as being developments of Natural Religion."3 The laudable resolve to treat symbols as historical phenomena, without regard to a transcendental source of inspiration, derailed (through a complicated chain of misunderstandings that we cannot unravel on this occasion) into the assumption that the symbolization of transcendence is a "system devised by human reason." Consistently Tylor created the figure of the "ancient savage philosopher"4 who performed the most astonishing feats of ratiocination, culminating in the doctrine of "spiritual beings." "I purpose here, under the name of Animism, to investigate the deep-lying doctrine of Spiritual Beings, which embodies the very essence of Spiritualistic as opposed to Materialistic philosophy."5 (Fs) (notabene)

247a It is hardly necessary today to elaborate on the anachronism of projecting such concepts into primitive cultures. Let us mention only that the "savage philosopher" speculates on the "difference between a living body and a dead one,"6 while even in Homer the idea of a living body does not yet exist; or, that the "Personal soul or spirit" possesses "the personal consciousness and volition of its corporeal owner,"7 while again the Homeric figures have no personal soul or consciousness, and while even in Plato the meaning of volition (the Greek language, incidentally, has no word for it) is yet so undeveloped that the problems of ethics can become conscious only on occasion of concrete decisions {prohairesis).8 (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Xenophanes - Elegie (sophie vs. Kraft); Differenzierung der Seele als sozial relevant

Kurzinhalt: The discovery of transcendence ... is not a matter of "subjective opinion; the differentiation of man, the discovery of his nature, is a source of social authori

Textausschnitt: 255a The attack on Homer and Hesiod is broadened in the elegy by the attack on the glory of panhellenic excellence. With regard to its theoretical structure, the new attack closely resembles the earlier one on the poets. The discovery of sophie is accompanied by an insight concerning the rank of the newly differentiated area of the soul; the philosopher knows that "it is not right" to judge strength higher in rank than his wisdom; the formula "it is not right," which appears on this occasion, corresponds to the earlier "it is not seemly." Theoretically the new formula suffers, therefore, from the same fallacy as the first one insofar as those who hold in honor the Olympian excellences do not actually judge them higher in rank than the Xenophanic wisdom, for the good reason that they have no knowledge of the latter. The new wisdom as a "knowledge about" the things of which Xenophanes speaks is accessible only to those who have developed it existentially as an awareness and habituation of the soul. Hence Xenophanes rightly speaks of "our wisdom" possessively, for the others, who supposedly have no proper regard for it, indeed do not possess it at all. (Fs) (notabene)

256a Knowledge and existence depend on one another; the order of being becomes visible only to those whose souls are well ordered. The correlation, which becomes an issue on occasion of the Xenophanic attacks, developed into the fundamental problem of an epistemology of political science, that is, into the problem of the double status of types of cognition as (a) cognitive functions of the mind and (b) as excellences or virtues of the soul. In Plato we shall see the problem unfolding into the insight that the "true" science of man in society is accessible only to the philosophers who have seen the Agathon. And in Aristotle we shall find the types of cognition (wisdom, science, art, prudence, and intellection) as the dianoetic excellences that enable man to lead the bios theoretikos. In Xenophanes the problem appears still in a rudimentary form, embedded in the practical act of a rebellion of "holy wisdom" against a glory that contributes nothing to the right order [eunomia) of the polis. (Fs) (notabene)

256b The practical aspects of the rebellion set a further pattern, which governed Hellenic politics down to Aristotle. The fallacy of berating people for their preferences, while in fact they live innocently in a tradition without knowledge of a preferable alternative, was more than a theoretical problem; as so frequently with fallacies of this type, there was a practical issue behind the facade of a theoretical mistake. Xenophanes was not satisfied with having gained his wisdom; he also wanted public recognition. This desire must not be understood in the cheap meaning of modern parlance. Xenophanes did not want attention for idiosyncrasies. He had discovered new areas of experience; and he knew that the differentiation of such experiences was an actualization of the common essence of man. The traditional culture of the polis had not yet risen to the new level of human civilization; but he sensed the rise as the duty of every human being individually as well as of the community in general. The qualification of the cultural tradition as a "preference" (while indeed no such preference exists) must be understood, therefore, against the background of the implied postulate that knowledge with regard to the essentials of humanity is a duty and, consequently, that ignorance in such matters is preference. (Fs) (notabene)

256c The discovery of transcendence, of intellectual and spiritual order, while occurring in the souls of individual human beings, is not a matter of "subjective opinion"; once the discovery is made, it is endowed with the quality of an authoritative appeal to every man to actualize it in his own soul; the differentiation of man, the discovery of his nature, is a source of social authority. The assertion of such authority, as well as the appeal to the ignorant to actualize the potentialities of their humanity, is a permanent factor in the dynamics of order. It is discernible as the justifying core even in such atrocious distortions as the colonization of "backward" peoples by the more "progressive" ones. While the objective authority of the appeal does not endow the prophet or discoverer from whom it emanates with a subjective right to maltreat his ignorant fellow men, there certainly is on the other side no subjective right to be ignorant. The unity of mankind is the community of the spirit. With the unfolding of the nature of man in history the men who actualize hitherto dormant potentialities in their souls live under the duty of communicating their insights to their fellow men; and on the others is incumbent the duty of living in openness to such communication.1 (Fs) (notabene)

257a This fundamental structure of the progress of mankind in history must be presupposed in the Xenophanic attack on agonal culture. The attack is not a personal affair but a type-creating event. The critique of society with the authority of the spiritual appeal remains from now on a type for the expression of political thought. The awareness of this type created by Xenophanes will help us to understand certain aspects of the Platonic work that otherwise might remain puzzling. The peculiar tension of the Republic, for instance, stems from its character as an appeal, directed to the Athenians with the spiritual authority of the philosopher. It would be an unfortunate misunderstanding to interpret this intense call for spiritual reform as a rational blueprint of an "ideal constitution." (Fs) (notabene)

257b Moreover, even the specific limitation of the Xenophanic appeal has set a type for later Hellenic politics. On principle, the appeal might be directed to mankind at large; it might transcend the limits of the polis and even of Hellas. In fact, however, both rebellion and appeal of Xenophanes accept the polis as its social field. Agonal culture comes under attack because a victory at Olympia contributes nothing to the eunomia of the polis; and inversely, the new excellence of sophia is in search of recognition not by man but by the citizen. The Xenophanic limitation of the appeal has remained typical for the later speculation on the existence of man in society. Even Plato, in spite of his concern about the spiritual reform of Hellas, did not let his institutional imagination range beyond a Hellenic federation under the hegemony of a savior-polis. And Aristotle still considered man a politikon zoon in the strict sense, that is, a being that could actualize the excellence of the bios theoretikos only as the citizen of a polis. The process of spiritual and intellectual differentiation of man was conceived as bound up with the culture of the polis to the

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Solon: doxa (Quelle der Unordnung - eunomia

Kurzinhalt: The Doxa is the source of disorder; renunciation of Doxa is the condition of right order, Eunomia; through openness toward transcendence, the passion of life is revealed as the Doxa ...

Textausschnitt: 265c Nevertheless, we are yet far from a Thucydidean causality of politics. The actions of man are still embedded in a cosmic order that is governed by the gods. Evil conduct will lead to evil results because offended Dike will have her revenge. This is the aspect of theodicy that Solon explores thoroughly in the great Prayer to the Muses (13). Grant me wealth (the Homeric olbos), he prays to the Muses, as well as good fame among men; and with wealth will come the power, for which he prays, to be "sweet to my friends, and a bitter taste to my foes." But the prayer for the excellences of a Homeric aristocrat is softened by concern for the Hesiodian Dike: "Wealth I desire to possess?but I would not have it unrighteously; for Dike always catches up." Zeus himself, through his Dike, watches over the actions of man; the works of hybris and force will arouse his wrath slowly but surely; the one will pay earlier, the other later; and if he escape himself, his guiltless children and their offspring will pay for his misdeeds. Then the poem broadens into a grandiose meditation on the delusions of man. Each of us, whether good or bad, lives engrossed in his own illusion [doxa] until he suffers. The sick hope to be healthy, and the poor to be rich; the cowards believe they are brave, and the ugly man believes himself good-looking. Each, furthermore, follows his business and hopes to gain by it?whether as a fisherman, a peasant, a craftsman, a physician, or a seer; and he will not be deterred by hard work, failure, and little profit. But the goods of comeliness and health, of success and riches, are not at the disposition of mortal action. Moira, Fate, brings good and ill to the mortals; and the gifts of the immortals must be accepted. Honest endeavor may fail, and the wicked ones may succeed. Nevertheless, this order of things is not senseless; it appears devoid of sense only if the illusionary wishes and pursuits of man are substituted for the sense of the gods. The source of senselessness is the illusion (doxa) of man. And, in particular, the striving for wealth, the highest aim of all effort, cannot be a principle of order. There is no clear end (terma) to such striving; for the richest among us are twice as eager to have more than the others,- and who could let them all have their fill? Possessions, to be sure, come from the gods; but there is a fatality attached to them, which passes along with them, from hand to hand. (Fs) (notabene)

266a In the meditative prayer of Solon, as in the elegy of Tyrtaeus, the polis asserts itself against the excellences of the old aristocracy. The citizen of a polis cannot lead the heroic life of a Homeric prince. If everybody wants to play Agamemnon or Achilles, the result will not be an aristocratic culture but a war of all against all and the destruction of the polis. In a polis heroic existence degenerates into exploitation and tyranny. The conflict becomes the occasion for a profound reconsideration of political ethics on the part of Solon. If the Athenian aristocrats use the advantages of their economic position to the full, the danger is imminent that Athens will perish and Homeric conditions will be restored, indeed. Thucydides, in his History, shrewdly discerned that the most backward regions of Hellas gave an idea of conditions in the age depicted by Homer. Solon recognized the truth of the Homeric excellences; but he also knew that the polis required a new temperance. The naive prosperity and magnificence of the hero could no longer be the Arete of man. "Many bad men are rich, many good men are poor; but we for our part shall not exchange Arete for riches; for Arete lasts forever, while possessions are in the hands now of one man, then of another" (15). The true Arete of man is distinguished as something less tangible than the possessions in which the hero finds confirmation of his worth. But wherein precisely does the newly discovered Arete consist? The religious genius of Solon reveals itself in the refusal of a positive answer. The excellence of man cannot find its fulfillment in the possession of finite goods. The goods at which man aims through his action are apparent only; they belong to the doxa of his wishes and pursuits. The true Arete consists in man's obedience to a universal order that in its fullness is known only to the gods. "It is very hard to know the unseen measure of right judgment; and yet it alone contains the right boundaries [peirata] of all things" (16). The true Arete is an act of faith in the unknown order of the gods who will see to it that the man who renounces his doxa will act in accordance with Dike. On the one hand, "The mind of the immortals is all unseen to men" (17); on the other hand, "At the behest of the gods have I done what I said" (34, 6). We are already very close to the Platonic Agathon about which nothing can be said positively, although it is the source of order in the Politeia. (Fs) (notabene)

267a The Doxa is the source of disorder; renunciation of Doxa is the condition of right order, Eunomia. When man overcomes the obsession of his Doxa and fits his action into the unseen measure of the gods, then life in community will become possible. This is the Solonic discovery. At the core of his Eunomia, as its animating experience, we find the religiousness of a life in tension between the passionate, human desire for the goods of exuberant existence and the measure imposed on such desire by the ultimately inscrutable will of the gods. Neither of the two components of life is invalidated by the other. Solon is neither a middle-class type who finds virtue in a medium situation because it fits his medium stature; nor is he a broken Titan, resigned to the frustration of his desires by Fate. He passionately loves the magnificence and exuberance of life; but he experiences it as a gift of the gods, not as an aim to be realized by crooked means against the divine order. Through openness toward transcendence, the passion of life is revealed as the Doxa that must be curbed for the sake of order. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Heraklit ("Weg der Wahrheit"), Deutero-Jesaia; vom Pathos des Ruhms zur indviduellen Seele -> vom auserwählen Volk zum Gottesknecht

Kurzinhalt: from the immortalizing pathos of the polis to the truth for the individual soul, runs parallel in time to the way, in Israelite history, from the Chosen People to the Suffering Servant of Deutero-Isaiah

Textausschnitt: 274b In his didactic poem, C. 485 B.C., the Eleatic philosopher created the symbol of the "Way of Truth" that leads man beyond the deafness and blindness of the Doxa toward his fulfillment. The Way of Truth was a "type" in the Platonic sense. This way, from the immortalizing pathos of the polis to the truth for the individual soul, runs parallel in time to the way, in Israelite history, from the Chosen People to the Suffering Servant of Deutero-Isaiah. The process in which the soul disengages itself from collective existence and achieves its attunement with transcendent-divine reality was in both instances on principle the same-with the important difference, however, that in no period of Jewish history before the appearance of Christ had the articulation of the life of the soul, as well as of the truth, reached an intensity and a precision of symbolism comparable with Hellenic of the fifth and fourth centuries B.C. Only with Jesus does the symbol of the Way of Truth appear in the Jewish orbit. But when Jesus answers the question of the apostle with his "I am the way, the truth, and the life" (John 14:6), he firmly takes the symbol away from the philosophers. From then onward the redemption of the soul goes through Christ; the component of redemption, which is still present in the compact philosophizing of Parmenides, has been revealed in its true meaning; and philosophy, the sole source of transcendent order for the polis, has become one of the two sources of order for mankind, that of Reason by the side of Revelation. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: The World of the Polis

Stichwort: Parmenides; Seele - Erfahrung der Unsterblichkeit; Plato (Timaios)

Kurzinhalt: The experience of immortality is a fundamental human experience, which historically precedes the discovery of the soul as the source of such knowledge

Textausschnitt: 277a Since an understanding of the new conception of the soul is of importance for the interpretation of Parmenides, and since the early sources are insufficient, we shall supply a later formulation, which most probably renders it accurately; it is a passage from Plato.1 In Timeaus 90A-B Plato says: (Fs)
With regard to the kind of soul which is dominant in us we should consider that God has given it to each of us as a daimon, dwelling as we said at the top of the body; and because of its affinity with Heaven it draws us away from Earth, for most truly we are a heavenly growth, not an earthly one. The Divine [to theion], indeed, has placed our head in the direction from where the soul had its first origin, as it were as its root, thus making the body upright. Now, when a man abandons himself to his desires [epithymia] and ambitions [philonikia], indulging them incontinently, all his thoughts [dogmata] of necessity become mortal, and as a consequence he must become mortal every bit, as far as that is possible, because he has nourished his mortal part. When on the contrary he has earnestly cultivated his love of knowledge and of true wisdom, when he has primarily exercised his faculty to think immortal and divine things, he will-since in that manner he is touching the truth-become immortal of necessity, as far as it is possible for human nature to participate in immortality. For incessantly he is engaged in the cult of the Divine; and since he keeps in good order [eu kekosmemenon] the daimon that lives in him he will himself become thoroughly eudaimon [blessed]. (Fs)
277b The passage articulates a conception of the soul that must be presupposed not only in the work of Parmenides, but also of Xenophanes and Heraclitus. The articulation is concise in the sense that it brings out the essentials of a doctrine of the soul but hardly goes beyond the bare essentials. Because of this conciseness, developing as it were a minimum dogma of the soul, we feel justified in introducing it at this point as an instrument for interpreting the Parmenidean poem. (Fs)
277c In the first place, the passage accentuates the connection between divinity and immortality. In archaic Greek thought, men are mortal, gods are immortal; if man becomes immortal he will attain such immortality through what is divine in him. The attribution of divinity and immortality to the soul, however, must not be understood as the futile indulgence of a "desire for immortality," perhaps as a "rationalization" in the sense of contemporary, ideologizing psychology. The experience of immortality is a fundamental human experience, which historically precedes the discovery of the soul as the source of such knowledge. Immortality is predicated of the gods long before the soul is differentiated as the subject of which also, with certain qualifications, immortality might be predicated. We might say that the experience of immortality advances from archaic opacity to the lucidity of consciousness in which it becomes clear that the divine can be experienced as immortal because the experiencing soul shares or participates (metaschesis) in the divine. This participation, however, is experienced as precarious; it is something that may increase or decrease, that may be gained or lost. Hence, the practice of the soul will either nourish the mortal or the immortal element in it. The cultivation of the immortal part through occupation of the mind with things immortal and divine is understood as a "cult" of the divine, symbolized as the daimon; and through a life of such cult practice the soul itself will become eudaimon. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

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Stichwort: Parmenides, Sein, Nous: die Wahrheit des Seins; Seinserfahrung; Ist - Nicht-Ist

Kurzinhalt: The symbol "Being" appears for the first time; that does not make "Being" a datum in the immanent sense

Textausschnitt: 279a What is the truth of being? With this question we turn from the experience of mystical transport to the philosophical articulation of the vision.1 (Fs)

279b First to be considered is the intimate connection between the content of truth and the mystical transport. Parmenides' philosophy is a speculation on the Eon, on Being. The symbol "Being" appears for the first time; and without exaggeration it can be said that with Parmenides the history of philosophy proper, as the exploration of the constitution of Being, begins. The Being of Parmenides is not an origin of sensually perceived entities (ta onta), as in Ionian speculation. It is the something that is given in the experience of the transport. Hence, its existence cannot be derived speculatively as the arche, as the beginning of the stream of experienced entities (which, as a stream, is at the same time a becoming), but is given to speculation as an immediate datum of experience. The experiential origin of Being in the mystical transport must be well understood, for otherwise the historical appearance of the new object of speculation will remain enigmatic. Parmenides has no predecessors, and his concept of Being has no prehistory.2 The historical process that results in the concept of Being does not itself move on the level of philosophical speculation; it rather is the process of the soul in which Being as absolute transcendence comes ultimately into experiential grasp. If we search for the antecedents of Parmenides, we must look, not for an earlier, more primitive philosophy of Being, but for a less differentiated experience of transcendence, as we find it for instance in the universalism of Xenophanes. (Fs) (notabene)

279c The visionary philosopher, since he has gone beyond the realm of sense perception, does not speculate on the plurality of things as given to the senses. His vision has a specific content, and in order to apperceive it he needs a specific faculty of the Soul. Parmenides called this faculty the nous: "Look with the Nous as it makes present with certainty the absent" (B 4). The Nous is discovered as the organ of cognition that will bring nonsensual, intelligible reality into the grasp of man. At this point, however, some caution is necessary; for the Nous is a rather compact symbol, and even in Aristotle it still has an amplitude of meaning from intellection to faith. In order not to read later, more differentiated meanings into the term, we should understand it strictly as the organ of the soul that brings "Being" into grasp, so that its further determination will depend on the meaning of "Being." Moreover, the Nous, while it brings Being into grasp, does not articulate its content. The content of Being is articulated by a further faculty that appears on this occasion for the first time, by the logos in the narrower sense of logical argumentation. The Nous, together with the Logos, is the Parmenidean cognitive organ for determining the nature of Being. (Fs) (notabene)

280a The revelation of the truth about Being assumes the form of a classification of the various ways of inquiry. Spinning out the metaphor of the "Way," the goddess informs Parmenides about the "ways of inquiry" that alone are thinkable. The meaning of way, of the hodos, shifts in this opening from the mystical to the logical way, foreshadowing the meaning of methodos, of the method of scientific inquiry. There are two such ways: "The one way, that Is and that Not is cannot be,3 is the path of Persuasion [peitho] which is attendant upon Truth [aletheia]. But the other path is utterly undiscernible; for, Notbeing you can neither know nor pronounce; for, what is, is the same [auto] to thinking and being" (B 2 and 3). The goddess warns Parmenides away from this second path. And then she informs him about the third path, equally to be shunned, that is, the assumption that both Being and Notbeing exist. This is the way on which "mortals wander who know nothing, the doubleheads. Perplexity guides the wandering mind in their breasts. They are borne along, deaf and blind, a bemused, undiscerning crowd, by whom Being and Notbeing is reckoned [nenomistai] the same and not the same, for whom in all things there is a way that turns upon itself" (B 6). (Fs)

280b These terse lines contain the first piece of methodical philosophizing in Western history. The truth about Being is the object of inquiry. The inquiry is conducted through (1) a logically exhaustive enumeration of theses concerning the nature of Being, and (2) the elimination of the wrong theses. In the present context we cannot go through the technical details of the process of elimination; we should merely like to draw attention to one point. The philosopher is warned against the second way (that Notbeing exists): "Restrain your thought [noema] from this way of inquiry; let not much-experienced habit force you on this way, giving reign to the unseeing eye and the droning ear and the tongue, but make your decision in the much-disputed inquiry by means of argument [logos]" (B 7). The Logos is the instrument for ascertaining the truth; and parallel with the Logos appears the source of error, that is, the habit, or custom (ethos) of "much-experience," as transmitted uncritically by ear, eye, and tongue. The commonly accepted "experience" (polypeiria) moves, on the epistemological level, into the position of the commonly accepted valuations against which the new insight asserted itself from Sappho to Xenophanes. A further shade of meaning is added to this common experience through the characterization of the third way on which Being and Notbeing are "reckoned" or "considered" (nenomistai) the same, with the implication (in the Greek term) that the nomos, the custom, is the source of confusion. This Parmenidean meaning of nomos enters as an important component into the later Sophistic concepts of physis and nomos. (Fs)

281a In the description of the one true way of inquiry into Being, there appears a peculiarity of expression that is much debated among philosophers. The reader will have noticed that in the description of the way "that Is and that Not is cannot be" the "Is" has no subject in the grammatical sense. Translators frequently supply a subject, such as "It is," or "Being is." As far as the sense of the passage is concerned the supplementing of "Being" as the grammatical subject is perfectly legitimate; and the Eon indeed appears in other passages in this function. Nevertheless, it does not appear in these preliminary formulations, and we are not satisfied with the explanation (so ready at hand in dealing with early Greek thinkers) that the good man was "clumsy" and did not quite know yet how to handle the philosophical vocabulary that he was just about to create. Rather, we suspect that there was a good reason for the hesitation to use the subject Eon and that in this hesitation the true philosophical genius of Parmenides reveals itself. For the "Being" that becomes the object of inquiry can be grasped in the mystical transport, and the area of the soul in which the object is experienced can be named Nous; but that does not make "Being" a datum in the immanent sense, a thing with a form that can be discerned by noesis. To speak of such an object, which is not an object, in propositions with subject and predicate ought to give pause. As far as the predicates of a transcendental subject are concerned, the matter has been cleared up on principle by the Thomistic analogia entis; but even the Thomistic exposition of the problem leaves the question of the subject wide open. To name the subject "God," as is done in Christian theology, is a convenience, but quite unsatisfactory in critical philosophy. With great circumspection Parmenides has resisted the temptation of calling his Being God?a temptation that must have been great in the face of the preceding Ionian and Italian speculation; and it seems that he even hesitated to call it by the name of "Being."4 That which comes into grasp through the Nous does not come into grasp in the manner of an object for discourse. The progress on the way toward the Light culminates in an experience of a supreme reality that can only be expressed in the exclamatory "Is!" When the philosopher is confronted with this overpowering reality the "Not is" becomes devoid of meaning for him. With the exclamation "Is!" we come closest to the core of the Parmenidean experience. The prepositional expressions "Being is," and "Notbeing cannot be," are already "clumsy" circumscriptions. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

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Stichwort: Parmenides; Irrtümer im Gefolge der Formulierung der Identität von Denken und Sein

Kurzinhalt: that thinking and being are the same ...; if they are generalized into logical theories applicable to propositions concerning immanent objects, fantastic consequences will ensue

Textausschnitt: 282a A clear understanding of this point is of special importance because its misunderstanding lies at the root of a good deal of Greek philosophizing for the next three generations. The experiential conviction of the "Is!," as grasped by the Nous, was expressed by Parmenides in the formulae already quoted that thinking and being are the same, that Notbeing cannot be because it cannot be thought (noem), and so forth. If such formulations are not understood as true only in the context of an inquiry into the "Is!," if they are generalized into logical theories applicable to propositions concerning immanent objects, fantastic consequences will ensue. If we assume that all that is thinkable is, we can arrive at the conclusion that error is impossible; if error refers to Notbeing, error is impossible because Notbeing does not exist-and this was indeed the theory of Antisthenes. Since the result is absurd, others may arrive at the opposite conclusion that Being is unthinkable, and only Notbeing is thinkable-as did Gorgias or Aristippus. And if the thesis that the thinkable is receives a subjective slant, we arrive at the Protagorean principle of man as the measure of things.1 The problem remains one of the unresolved components in Plato's Parmenides, and through the mediation of Plato it has co-determined Neopla-tonic speculation. The inability to achieve clearness about it still determines Aristotle's attack on the Platonic conception of ideas as forms in separate existence. (Fs) (notabene)

283a Let us now turn from the subject to the predicates of Parmenides' propositions about Being: (Fs) ...

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: The World of the Polis

Stichwort: Parmenides; Philosophie als Inkarnation der Wahrheit des Seins; das eleatische Paradox

Kurzinhalt: Philosophical speculation is an incarnation of the Truth of Being;

Textausschnitt: 285a In the speculation of Parmenides the two components, the experiential and the operational, are inseparable. What results from this combination is for Parmenides the Truth about Being as distinguished from uncritical Doxa. In the Prologue the goddess assures the philosopher that she will divulge to him the "immovable" heart of "well-rounded" Truth (B 1.29). The attributes of Truth that appear in this assurance are the same (atremes, eukyklos) that appear later as the predicates of Being (B 8.4 and 43). The result of the speculation, thus, is not only a truth about Being; it is the Truth of Being voiced through the "knowing man." In the medium of speculation the philosopher reproduces Being itself; the well-rounded sphere of Being becomes the well-rounded sphere of speculative order. Philosophical speculation is an incarnation of the Truth of Being. This hieratic compactness of philosophizing is the greatness of Parmenides. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: The World of the Polis

Stichwort: Parmenides; Doxa, Vorbemerkung

Kurzinhalt: He could not gain the Truth of Being without understanding the realm of Delusion

Textausschnitt: 285c By tradition Parmenides is accorded the place of the philosopher of Being, and this position is accentuated by opposing him to Heraclitus as the philosopher of Becoming. In fact, we do not know whether either of the two philosophers knew of the work of the other; and the traditional characterization of the two opposing types, although it is backed by the authority of Plato, is of doubtful value. To be sure, Parmenides speculated on the experience of the "Is!"; in the Eon he found the realissimum, in self-contained, homogeneous existence in the eternal Now, beyond the reality of sense-experience and custom. Moreover he understood the Ananke of this Being as the Ananke of the Logos that determined its predicates. Nevertheless, he could not have the experience of the "Is!" without the experience of the Way that must be traveled toward it; and he could not have the experience of the Way without the experience of its starting point in the world kata doxan, that is, according to the Delusion of the mortals. He could not gain the Truth of Being without understanding the realm of Delusion. Hence, the second part of his didactic poem, the part on the delusions (doxai), in the plural, of men, is quite as essential to the philosophy of Parmenides as the first part on Aletheia. (Fs)

286a The meaning of Parmenidean Doxa, as well as its relation with his Truth, is the subject of a millennial debate. The main points have been cleared up at one time or another; but with regard to the problem as a whole we still have no convincing picture. The principal reason for this state of things seems to be the fallacy that distorted the great discovery already in the immediate succession of Parmenides, that is, the latent or open equivocation between the pair of concepts Truth-Delusion in the Parmenidean sense and the pair true-false in the sense in which we speak of true or false propositions with regard to objects of immanent experience. If the philosophy of Being is a body of true propositions, runs the argument, then the doxai must be false propositions about the nature of Being. Such errors of argument can be avoided only if we ascertain the meaning of Doxa in the context of the poem itself and do not indulge in speculative guesses about the meaning that such a term must have on the basis of general usage. (Fs) (notabene)

286b In the context of the poem itself the Doxa is simply a cosmology in the Ionian sense. It is dualistic in conception, assuming Light and Night as the two principles (or forms) from whose interactions and mixtures the phenomena of the world of experience, including the world of man, arise. This cosmos has a beginning, a growth into the future, and it will have an end. The complicated details are not our concern. We are, rather, interested in the question why this cosmology-which could stand quite well for itself-is placed as the second part in a didactic poem of which the first part is called "Truth," and why it is called "Delusion." The meaning of Delusion obviously cannot be found in the content of the second part itself; it can only be found by relating this second part to the meanings of Truth in the first part. Only because the exposition of the first part is "Truth" can the content of the second part be called "Delusion." We must return to the core of this Truth, that is, to the experience of the "Is!" (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: The World of the Polis

Stichwort: Parmenides, Doxa und Wahrheit -> wahre Philosophie; Problem des Herkunft des Seins -> Plato, Timaios, Inkarnation

Kurzinhalt: Truth is the philosophy of the realissimum that we experience if we follow the way of immortalization in the soul; Delusion is the philosophy of the reality that we ...

Textausschnitt: 287a The philosopher in his transport experiences the presence of a supreme reality; we may call it, as we have done before, the realissimum. The Parmenidean argument now takes the following course: (Fs) (notabene)

(1) If what is given in the experience of the "Is!" be called Being, then whatever is not given in this experience of a homogeneous presence must be called Notbeing by definition. (Fs)
(2) If the Logos is applied to this initial situation we arrive at a body of predicates about Being; and that body will be the "Truth" about Being. (Fs)
(3) All propositions that disregard the initial situation, that draw into the orbit of speculation materials that are not to be found in the experience of the "Is!," will be compelled to treat as Being what according to the initial definition is Notbeing. All such propositions are "Delusion." (Fs)

287b The conflict of Truth and Delusion, thus, is not a conflict between true and false propositions. In fact, the Delusion is quite as true as the Truth, if by truth we mean an adequate and consistent articulation of an experience. The conflict occurs between two types of experience. Truth is the philosophy of the realissimum that we experience if we follow the way of immortalization in the soul; Delusion is the philosophy of the reality that we experience as men who live and die in a world that itself is distended in time with a beginning and an end. The characterization of this philosophy of reality as a Delusion derives its justification from the experience of a superior reality, of an immortal ground of the mortal world. The conflict goes ultimately back to the experience of the mortal and immortal component parts of the soul. (Fs) (notabene)

287c The Truth is one, the doxai are many. Nevertheless, the multiplicity of doxai does not mean that the philosophy of mortal reality is an anarchic field of flights of fancy. The experience of the world is common to all mortals, and the articulation of the experience can be more or less adequate, complete, and consistent. The part on Doxa, therefore, is not, as sometimes has been assumed, an account of the opinions of other philosophers but contains Parmenides' own cosmology. The light-goddess herself gives him the information, just as she gave him the information on Truth; and she promises to tell him of the arrangement of the world (diakosmos) as all is likely (eoikota panta) (B 8.60), so that the thought of other mortals will not surpass his account (B 8.61). This conception of a "likely" account, an account that can be more or less true, of a specifically contingent truth as compared with the strict truth of the Logos, had a momentous consequence in the history of ideas in that it was continued and elaborated in the Platonic conception of the eikos mythos, the "likely" mythos or story in the Timaeus. Especially in the late work of Plato the myth became the instrument of expression for certain areas of experience that Parmenides had assigned to the Doxa. (Fs)

288a The peculiar development from the secondary position of the Doxa in Parmenides to the primary importance of the Myth in the late work of Plato is accompanied by an enrichment of the subject matter of philosophizing on which we must dwell for a moment. Parmenides juxtaposes Being and Delusion without touching the problem that the reality as given in the "Is!" and the reality of the Delusion must somehow be ontologically connected.1 Being and Delusion are not two different worlds; they are two aspects of one world that is given in two kinds of cognitive experiences of the same human being. Parmenides, however, simply describes the delusionary cosmos. The component factors of Light and Darkness pervade it all through; and because man participates in the mixture he experiences the cosmos in its delusionary dualism. Moreover, Parmenides places the gods into the delusion. At the center of the physical cosmos is a female daimon who rules its order; and this central goddess creates the other gods, Eros as "the first of them all" (B 12 and B 13). How the Being, which apparently is not God or a god, ever came by the world of Delusion including the gods remains a mystery. This mystery becomes the concern of Plato. In his myth of the cosmos he fills the empty space in the philosophy of Parmenides with the symbol of the creator-god, of the Demiurge. The Demiurge is the mediator between Being and the cosmos; he incarnates the eternal paradigm in the world. The likely Myth provides the link between Being and the world of the likely Doxa. We may venture the generalization that the late Platonic myth is primarily the instrument for expressing the incarnation of Being?and not the incarnation of Being in the physical cosmos only, but also (and this is our special interest) in the order of society and history. The part on Plato in the present study will bring a full exposition of this problem. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: The World of the Polis

Stichwort: Parmenides: Doxa - Offenbarung; Doxa als Offenbarung der Wahrheit -> Christentum; Glaube, Pistis

Kurzinhalt: the Doxa as Revelation would be a truth beyond the Parmenidean truth of Being. This final step was taken, not within Hellenic philosophy ...

Textausschnitt: 289a We have opened our study of Parmenides with reflections on the symbolism of Way and Truth and its fulfillment in the Johannine symbolism of Christ as the Way and the Truth. Our last reflections on the evolution from Doxa to Myth open an entirely different historical perspective. The Way of Parmenides leads from the darkness of the world as experienced by mortals to the beyond of a light-vision in which man through his Nous experiences the immortal presence of the "Is!" This immortal Being is determined as to its nature by the necessity of the Logos; and the same necessity determines its cognitive articulation. It is pure logical structure, resting in itself; it has neither soul, nor will, nor creative power; and, what is most characteristic, it cannot even reveal itself but must be revealed by a light-goddess. The experience of the "Is!" as well as its logical articulation are surrounded by a symbolism of revelation through divine powers. This setting of the revelation raises interesting questions because in the revelation itself the gods are placed in the world of Delusion. What are the relations between the gods that appear in the revelation concerning Delusion and the goddess who reveals the gods as delusionary? Could it be that we, after all, do not emerge from the Doxa into the Truth of Being, but that the Truth of Being is embraced by the Doxa? Or are there non-delusionary gods beyond Being? Or is the revelation of the Truth, coming from a goddess, perhaps itself a Delusion? The poem offers no answers to such questions; we have reached the limits and the limitations of Parmenidean philosophizing. (Fs) (notabene)

289b Nevertheless, these questions, while not answered by the poem, are raised by its very structure. The revelatory setting is as much an expression of Parmenidean experiences as the content of the revelation. Hence, as a poet Parmenides has a much wider range of sensitiveness than as a philosopher of Being. This wider range must be taken into account if we want to arrive at a full understanding of the historical position of Parmenides and the secret of his effectiveness. The doxa and the revelatory Prologue, as we see, are pregnant with problems pressing toward articulation. In the evolution from the likely Doxa to the likely Myth we recognize a first step of such articulation, bridging the gap between Delusion and Truth; the Myth expands the realm of Doxa to include the incarnation of Truth. If the articulation of the Parmenidean range of problems would proceed in the same direction beyond Plato, we might anticipate an expansion of the Doxa to include the revelatory sphere itself; the Doxa as Revelation would be a truth beyond the Parmenidean truth of Being. This final step was taken, not within Hellenic philosophy, although its logic was immanent in its course, but only in the Hebrew-Christian revelation. (Fs) (notabene)

290a In Revelation the Doxa has expanded into a Truth beyond the Truth and Delusion of Parmenides. In order to arrive at this higher Truth, however, man had to discover the cognition of faith; and the way of Pistis (Faith) is not the way of the Logos that speculates on the experience of "Is!" Again, as in the analysis of Xenophanes, we are confronted with the problem of a plurality of experiences in which transcendence comes into grasp. In Faith and Revelation levels of transcendence beyond the Truth of Being become accessible? but the symbolism of Faith and Revelation retains the qualities of "likeliness" that characterized Doxa and Myth, as distinguished from the Ananke of the Logos. Revelation does not abolish the Truth of Being. Hence, with the entrance of Revelation into history we enter into the history of permanent rivalry between the two sources of Truth. It is a rivalry that occupied Jewish, Christian, and Islamic thinkers. It could express itself in the demand that the Truth of the philosopher be subordinated to revealed Truth, that philosophy should serve as the handmaid of Scripture or theology; or in the demand of allegorical interpretation of Scripture in order to conform its meaning to philosophy; or in the theory of a harmony between Faith and Reason; or in the Arabic conception of Scripture as giving to the people the same Truth in doxic form that speculation gives to the philosopher in logical form. Or, finally, the intellect could take the offensive and substitute the truth of speculation for the truth of faith, as it has happened in the modern gnostic movements of Progressivism, Hegelianism, Comtism, and Marxism. (Fs)

291a The struggle between the Ways of Truth is the fundamental issue of Western intellectual history from the blending of Hellenism and Christianity to the present. And Parmenides is the thinker who has created the "type" for this world-historic struggle through his unshakable establishment of the Way of the Logos. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Parmenides: Seele als Sensorium der Transzendenz -> Heraklit

Kurzinhalt: We can speculate about transcendent Being because the soul is a sensorium of transcendence ... Such an exploration of the soul was the work of Heraclitus

Textausschnitt: 292a The speculation of Parmenides intensely concentrates on the experience of the "Is!" The light of the Logos is focused, within the much wider revelatory range of the poem, on the one experience that relegates everything else into Notbeing. If one breaks, therefore, with the historiographic tradition of classifying Parmenides as "the philosopher of Being," and recognizes the non-logified sectors of his works as quite as essential as his logification of the "Is!," several areas of subject matter can be distinguished and arranged on a scale of diminishing logical penetration. The area of maximal penetration is the experience of the "Is!", the second area is the realm of Doxa where Parmenides recognizes the possibility of more or less "likely" symbolizations, without arriving at clearness about the criterion; the third area is the revelatory sphere of the Prologue where even the question of doxic likelihood disappears; and the fourth area (if one may call it by that name) is the ontological gap between the realms of Being and Notbeing where not even an attempt at symbolization is made. The experience of the way from darkness to light, and of the light-vision itself, has absorbed the speculative powers of Parmenides to the point of neglecting all other experiential areas as sources of cognition that would merit an equally careful speculative articulation. In particular, we noted the purely logical structure of Being, excluding not only matter but mind, will, and creativeness as well. One component of life of the soul has asserted itself with blinding force. This is the strength of Parmenides; he has fully experienced the inner dimension of the soul, as it were its height that is domed by transcendent Being. And the paradigmatic articulation of this inner dimension has become part of the philosophia perennis.1 (Fs) (notabene)

293a If, thus, we place the philosophy of Being into the wider context of Parmenides' poem, the direction becomes visible in which the further exploration of the soul was bound to advance. Being comes into grasp because the thinker has achieved consciousness of the inner dimension of his soul; with the understanding of the soul as a something that has an inner dimension, there is correlatively given the consciousness of a border of this something and of a Beyond of this border. Being is not discovered by a static man, for in the act of discovery the soul of man itself differentiates and gains consciousness of its dimension. With the Parmenidean consciousness of the way that leads toward the border of transcendence, the soul itself moves into the field of philosophical speculation. We can speculate about transcendent Being because the soul is a sensorium of transcendence. The light of Parmenides cannot be seen without a light in the soul that illuminates the way toward its border. Hence, the further advance of speculation had to be intimately bound up with a systematic exploration of the inner dimension of the soul, of the manifold of the experiential sources of knowledge that alone can authenticate speculation and raise it above mere "likelihood." Such an exploration of the soul was the work of Heraclitus. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Heraklit: göttliche - menschliche Weisheit; Seele: menschliche Weisheit als Partizipation an der göttlichen

Kurzinhalt: ... from a theomorphic conception of the soul to a truly human one; the living truth, however, is a movement of the soul in the direction of the divine sophon ...

Textausschnitt: 296a The new deliberateness and radicalism of the inquiry can perhaps be sensed most clearly in the famous fragment: "Character?to man?demon" (B 119). It is not easy to gauge the full importance of the fragment because it is isolated. In a first approach one might attribute to it as little technical meaning as possible and consider it no more than a formulation in opposition to conventional opinions about character as the inner and demon as the external factor of human fate. Even if we exert such caution, there still remains the important fact that the demon is immanentized and identified with character (ethos). If, however, we put the fragment into the context of the Pythagorean conception of the soul (a procedure that seems to us well justified), then it identifies the daimon in the Pythagorean sense with that structure of the soul that Heraclitus designates by the term ethos. This identification would imply the momentous break with the archaic inseparable connection of immortality with divinity. The soul, in order to be immortal, would not have to be a daimon; we would advance from a theomorphic conception of the soul to a truly human one. The basis for a critical, philosophical anthropology would be created.1 (Fs) (notabene)

296b We believe, indeed, that this is the great achievement of Heraclitus. And we find our interpretation supported when we place the fragment into the context of Heraclitean meanings. For even if B 119 is understood to identify daimon and ethos, we have not advanced very far as long as we do not know what Heraclitus means by ethos, and the conventional translation as "character" does not help. The needed help comes from B 78: "Human ethos has no insights, but divine has." Human ethos is distinguished from divine through the absence of insight (gnome). Hence, the term ethos must have a range of meaning beyond character; it must designate the "nature" of a being in general, whether human or divine (theion). Moreover, the difference between human and divine ethos is very considerable. The proportion is expressed in B 79: "Man is called a baby by the divinity [daimon], as a child is by man." Daimon is used in this fragment specifically in order to distinguish god and man. Beyond this point, unfortunately, we run into certain difficulties because the texts are not too well preserved. It seems that Heraclitus used of his divinity the predicate "the alone wise," as in B 32: "One, the alone wise [to sophon mounon] wants and wants not to be called by the name of Zeus." Moreover, in B 108 he considers as the distinguishing feature of his philosophizing the recognition "that the Wise is apart from all things." But in B 41 he speaks of the hen to sophon, of the One that is Wise, as "the understanding of the insight [gnome] that steers all things through all things [that is, rules the universe]." The sophon seems to designate a human wisdom concerning the gnome that rules the world.2 If we accept both fragments as they stand, the term sophon would be used of god as well as of man?with the distinction, however, that the predicate the "Alone Wise" is reserved for god. Human wisdom would then consist in the understanding that it has no wisdom of its own; human nature (ethos) is wise when it has understood the gnome that governs the cosmos as god's alone. (Fs)

297a Human and divine natures, thus, are distinguished by the "types" of wisdom, and related with each other insofar as human wisdom consists in the consciousness of a limitation in comparison with the divine. We know about the divine wisdom but we do not have it; we participate in it far enough to touch it with our understanding, but we cannot hold it as a possession. The Heraclitean experience resembles the Parmenidean. But Heraclitus does not attempt to articulate "Being" through logical explication; he is rather concerned with the relation between the two natures and their types of wisdom. On the level of logic, as a consequence, we find "contradictory" formulations that by their very contradiction express a wisdom that partakes of true wisdom without possessing it fully. Thus, in the previously quoted B 108 Heraclitus praises as the specific result of his logos (discourse), as distinguished from the logoi of all other thinkers, the insight that the "sophon is apart from all things." In B 50, on the other hand, he insists that it is wise (sophon) for all who hear his logos to agree (homologeein) that "all is one." The One that is wise is apart from all things,-but for the man who is wise all things are the One. The meaning is elucidated by another pair of contradictory fragments. In B 40 (to which we referred already in the section on Xenophanes) Heraclitus speaks of the polymathie, the "much-knowing," which does not teach "understanding"; and more specifically in B 129 he speaks of Pythagoras, who pursued scientific inquiries (historie) more than any other man, and only arrived at a wisdom (sophie) of his own, at a polymathie, a "bad art." In B 35, on the other hand, he insists that the "lover of wisdom" (philosophos) must of necessity have inquired (historein] into many things. The intention of Heraclitus comes now more clearly into view. Human wisdom is not a completed possession but a process. The participation in the divine wisdom that is apart from all things cannot be achieved through a leap beyond all things; it is the result of the occupation with these very things, ascending from the manifold to the One that is to be found in them all. The attempt may fail; and the lover of wisdom, the philosopher, may end as a polyhistor. (Fs)

298a The first appearance of the term philosopher in this context suggests the passages in the Phaedrus where Plato?undoubtedly following Heraclitus?contemplates a new term for the poets, orators, and legislators who can go beyond the written word of their compositions and prove through oral defense and elaboration that their work indeed is based on knowledge of "truth." The new term for the man of such higher knowledge should not be sophos? for that is a great name "seemly to God alone"?but the more humble and befitting philosophos (278D). And those who cannot rise beyond their compilation and composition, the patching and piecing, they by right will be called poets, orators, and lawmakers (278D-E). The Platonic opposition of the living, spoken word to the merely written?which is still a subject of debate?illuminates the Heraclitean intention, and in its turn receives light from it. Literary composition in itself seems to be fraught with danger because it engenders the illusion that "truth" or "wisdom" can be fully expressed and stored away in the work. The living truth, however, is a movement of the soul in the direction of the divine sophon, and such movement can never be banned completely into form. Hence, the work has quality only insofar as it has banned this movement so that the formulations will stimulate the corresponding movement in the soul of the reader; and the acid test of such quality is the ability of the creator to elaborate on his subject matter orally from the resources of his soul. By such free oral expression in conversation the creator will prove that he is a creator indeed, and not merely a skilled polyhistor or craftsman who has done a piece of patchwork with instruments supplied by tradition. The Heraclitean attack is primarily directed against the polyhistoric collector of facts, the Platonic primarily against the poetic, legal, and oratorical craftsmen. Both Heraclitus and Plato, however, agree that no composition can lay claim to "truth" unless it is authenticated by the movement of the psyche toward the sophon. The problem of truth now is differentiated so far that the loving movement of the soul toward the "Alone Wise" is recognized as the source of such truth as the production of the thinker or poet may have. Insofar as this recognition implies a clear distinction between the divinity of "wisdom" and the humanity of "love for wisdom," the philosophical orientation of the soul becomes the essential criterion of "true" humanity. The soul of man is a source of truth only when it is oriented toward god through the love of wisdom. In Heraclitus the idea of an order of the soul begins to form, which in Plato unfolds into the perennial principle of political science that the right order of the soul through philosophy furnishes the standards for the right order of human society. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Heraklit, Paulus: Glaube (pistis), Hoffnung (elpis)

Kurzinhalt: The language of Heraclitus is very close to the symbolism of Pauline Christianity;

Textausschnitt: 300a The language of Heraclitus is very close to the symbolism of Pauline Christianity. Love, hope, and faith are the orienting forces in the soul; the invisible attunement is hard to find unless it is hoped for; and the divine escapes being known unless we have faith. We are forcibly reminded of Heb. 11:1: "Faith is the substance of things hoped for, and the proof of things unseen." There is no reason to diminish the importance of such parallels; they should be given full weight (although this is rarely done) in appraising the length of preparation for the irruption of transcendental reality in Christianity, as well as the historical momentum that the life of the soul had gathered when it debouched into the experience of Revelation. On the other hand, the parallels should not be overrated. Heraclitus is far from being an anima naturaliter Christiana. The exploration of the soul in the Christian direction is one strand in his far-flung philosophizing; and it is deeply embedded in the experiences of infinite flux and cosmic cycles. There is no touch of Revelation in his work; the divine is hidden indeed and does not reveal itself clearly in the soul. "The Lord at Delphi neither speaks nor conceals; he rather gives a sign" (B 93). And when he manifests himself through the word, he uses the language of the oracle: "The Sibyl with raving mouth, uttering mirthless and unadorned and unscented sounds, reaches through a thousand years with her voice because it is full of the God" (B 92). The oracular form, deliberately adopted by Heraclitus as most suitable for a human utterance that is full of the God, carries his wisdom through the ages. This form is his achievement and his limit; it lies about halfway between the myth of the poets and the Platonic myth of the soul.1 (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Heraklit: Vereinigung zweier Erfahrungen von Transzendenz (Arche, Seele); Erwähnung der Seele

Kurzinhalt: two experiences of transcendence leading to the respective symbols of an arche of "things" and of a universal divinity

Textausschnitt: 306a The line that is running from Anaximander to Heraclitus is unmistakable. Nevertheless, Heraclitus is not simply a continuator of the Milesian naturalists. On occasion of our analysis of Xenophanes we distinguished between the two experiences of transcendence leading to the respective symbols of an arche of "things" and of a universal divinity. In the first of these experiences nature in its infinite flow became transparent for an origin of the flow itself; in the second of these experiences the transcendence of the soul toward the realissimum was understood as the universal characteristic of all men. The two experiences were then interpreted as pointing toward the same transcendental reality, and the identity found its expression in the formula "the One is God." This identity, still at the stage of discovery and tentative expression in Anaximander, and even in Xenophanes, is presupposed as established in Heraclitus; the Ephesian thinker takes it for granted and elaborates its speculative consequences. The cosmos now is nature in the Milesian sense and, at the same time, it is the manifestation of the invisible, universal divinity; it is a universe given to the senses and, at the same time, the "sign" of the invisible God. (Fs) (notabene)

308a The tension between the experience of the flow of "things" and the experience of a direction in the soul toward the divine "All-Wise," as well as the tension between the symbols expressing these experiences, will remain from now on, in varying degrees of consciousness, a dominant type of Hellenic speculation on order into the late work of Plato and into Aristotle. The tension did not break. Neither did the erotic orientation of the soul toward the sophon grow into an eschatological desire to escape the world; nor did the passionate participation in the flux and strife of "things" degenerate into a romantic surrender to the flux of history or to eternal recurrence. The emotional balance between the two possibilities was precarious, and in the generation of sophists after Heraclitus the strain began to show; lesser figures would break under it, but the great thinkers maintained the balance. A good deal of misinterpretation of Plato and Aristotle could be avoided if this problem were understood; and we must be aware of it now when we interpret the delicately shaded meanings of the all-too-few fragments of Heraclitus that carry his philosophy of order to the more concrete level of human destiny and political conduct. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Heraklit B 12 ("panta rhei") und andere Fragmente;

Kurzinhalt: The soul, the psyche, appears for the first time as the object of human concern.

Textausschnitt: 308b We shall start with the flux of things. Heraclitus has expressed his experience of flux in such famous sentences as: "You cannot step twice into the same river" (B 91) and "You step into the same rivers, and other and other waters will flow on" (B 12). Man participates in the flux, and the feat of stepping into the same river twice is impossible also because man has changed in the meantime and is no longer the same: "Into the same waves we step and do not step: we are it and we are not it" (B 49a). The permanent change may even become monotonous: "One day is like every other" (B 106). The aimless monotony of the flux, then, is broken through desire to participate in it, through something like an animal urge: "When they are born, they desire to live, and to meet their fate; and they leave children behind also to suffer their fate [morous]" (B 20). And this animal urge to live at the price of death has even deeper roots in the cosmic urge of the Eris (B 80) that brings all things into being. (Fs)

309a Eris and the desire to live symbolize the passion to participate in the flux, but they do not suggest a purpose. The question of the end is raised, in the most general form, in an account of Heraclitus' philosophy given by Diogenes Laertius. The reporter says: "Of the opposites that which urges toward birth [genesis] is called war and strife, and that which urges toward destruction by fire [ekpyiosis] is called homologia and peace."1 The Stoic ekpyrosis is a doubtful item in this account, but for the rest, the language sounds genuine enough to justify the assumption that Heraclitus had indeed conceived the end of being as a liberation from the war of existence and a transfiguration into the peace of the homologia. The direction toward the peace of the Logos, however, is counterbalanced by the reflection that Homer was wrong in wishing "that strife [eris] might perish from among gods and men" for then life, which is existence in strife, would disappear altogether.2 On the level of the animal and cosmic urge, death is the price that must be paid for life; on the level of the reflection on the end, life is the price that must be paid for the transfiguration in death. The tension is masterfully expressed in the symbol: "The name of the bow [bios] is life [bios], but its work is death" (B 48). (Fs)
309b Life, thus, becomes the arena for the struggle in which union with the Logos is achieved, or rather should be achieved, for not all men are willing to undertake it. "The many do not understand such things, even though they run into them; and when learning they do not experience them, though they believe they do" (B 17). "For what thought or wisdom have they? They believe the singer in the street and take the vulgar as their teacher; not knowing that 'the many are bad, and few are the good'" (B 104). The ways divide sharply. "The best choose one thing before all others: eternal fame among mortals; the many eat their fill like cattle" (B 29). And the way of the few is not easy to walk; it is a continuous struggle, as suggested by the elliptic B 85: "It is hard to fight with one's heart desire [thymos]" and nevertheless it must be done because "whatever it wishes to get, it buys at the price of the soul." The soul, the psyche, appears for the first time as the object of human concern; its well-being must be sought through the repression of desires. "For men to gain whatever they desire is not good" (B 110); and when the desires become exuberant then "Hybris must be put out, more than a fire" (B 43). The soul should burn, but with the divine fire of the cosmos: "The dry soul is wisest and best" (B 118); on the other side: "When a man gets drunk, he is led by a beardless boy; he stumbles, not knowing where he steps; for his soul is moist" (B 117); but unfortunately: "It is a delight to souls to become moist" (B 77).3 The discipline that creates and preserves the health of the soul, however, is not theoretical like the later Aristotelian; it is the discipline of a warrior and aristocrat in obedience to the War that is father and king of all things: "Gods and men honor those who are slain in battle" (B 24). The peace of the Logos can be reached only through participation in the war of existence; and there is held out the promise that "Greater fates will gain greater portions" (B25).4 (Fs)
310a A final group of fragments has most intensely absorbed the experiences that Heraclitus had with his Ephesians. "The Ephesians would do well to hang themselves, every grown man, and leave their polis to the beardless boys, for they have banned Hermodorus, the best man among them, saying: 'None of us will be the best, and if he is, he will have to be it elsewhere and among others' " (B 121). Hermodorus went to Rome and, according to tradition, his advice was taken in giving the law of the Twelve Tables. To a sensitive witness an event of this kind might well reveal the fundamental foulness of a society and open his eyes to the possibility that one man might be right and the whole people wrong. From such experience may have sprung the pointed B 39: "In Priene lives Bias, the son of Teutamas, who is of greater account [logos] than the rest," as well as the grim B 49: "One man is to me ten-thousand if he be the best." In a corrupt society there may be only one man in whose soul burns the cosmic fire, who lives in love to the divine nomos; then the situation envisaged by B 33 may arise: "It may be law [nomos] to obey the will [or: counsel] of one." In the light of this sentence must also be read B 44: "The people [demos] must fight for its law as for its walls"-with the implication that the actual people is not desirous to engage in the fight for the law that nourishes itself from the divine (B 114). (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

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Titel: The World of the Polis

Stichwort: Zusammenfassung: vom Mythos zur Philosophie (der agnostische Empiriker)

Kurzinhalt: The mystic-philosophers break with the myth because they have discovered a new source of truth in their soule.

Textausschnitt: 311a The mystic-philosophers break with the myth because they have discovered a new source of truth in their souls. The "unseemly" gods of Homer and Hesiod must pale before the invisible harmony of the transcendental realissimum; and the magnificent Homeric epic that was enacted on the two planes of gods and men must sink to the level of "poetry" when the drama of the soul with its intangible, silent movements of love, hope, and faith toward the sophon is discovered. The order of the polis cannot remain the unquestioned, ultimate order of society when an idea of man is in formation that identifies humanity with the life of the common Logos in every soul. What appears negatively as the break with the myth is positively the transition from a theomorphic symbolization of experiences to their understanding as movements of the human soul itself. The true range of humanity comes into view correlatively with the radical transcendence of the divine realissimum. It is a process that may overshoot its mark-and actually did so in the century after Heraclitus-insofar as the recognition of the invisible God may degenerate into the denial of the existence of God when visibility becomes the criterion of existence. The movements of the soul that animate the speculation of a Xenophanes, Parmenides, and Heraclitus are not everybody's affair-as Heraclitus had diagnosed rightly. The many need gods with "shapes." When the "shapes" of the gods are destroyed with social effectiveness, the many will not become mystics but agnostics. The agnostic empiricist, if we may define him historically, is an enlightened polytheist who is spiritually not strong enough for faith. (Fs)

312a The transcendental irruption that makes the generation of the mystic-philosophers an epoch in the history of mankind has profoundly affected the problem of social order up to the present because the old collective order on the less differentiated level of consciousness is under permanent judgment [krisis) by the new authority, while the new order of the spirit is socially an aristocratic achievement of charismatic individuals, of the "dry souls" who can say: "I have come to throw fire on the earth. [...] Do you believe I have come to bring peace to the earth? No, I tell you, rather division" (Luke 12:49, 51)- As a consequence, entirely new problems of social organization appear. Neither can the Hellenic manifestation (or the Christian revelation) of the spirit be removed from history because, on the human side, they are structures of the soul; nor can the problem of the Heraclitean sleepwalkers be removed from history through human agencies, however much of a fire the mystics and saints may build under them to arouse them from slumber or at least to fits of wakefulness. Social order will from now on depend on the hierarchical structure that is foreshadowed in the authoritative self-assertion of the charismatic souls ever since Hesiod and Sappho, as well as in the Heraclitean insight that it may be law to obey the counsel of one man. And in order to make this hierarchical structure effective in social practice, institutions will be required for continuing and transmitting spiritual insights, as well as the intellectual culture that is necessary for their exposition and communication, through the generations, and for mediating them to the many thorough processes of education appropriate to their receptiveness. (Fs)

312b This is the problem that was seen by Plato. In his philosopher-king he has created the symbol of the new order: that the spirit must be linked with power in order to become socially effective. And this demand is not a protective reflex under the impression of the fate of Socrates, which demonstrated that the sleepwalkers can solve their problem of order in the short run by the simple means of killing a disturbing "dry soul"; it springs from the insight of the patriot who sees the power of his polis disintegrating because it is not linked with the spirit. The work of Plato, however, the creation of the science of order under the conditions of the new epoch, did not get under way before the grandeur and catastrophe of Athens had furnished the object lesson that made it compelling and convincing. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Athen des 5. Jhdts; paradigmatische Existenz der Polis als Voraussetzung für Plato u. Aristoteles

Kurzinhalt: The Great Awakening was the feat of the Athenian people in the fifth century B.C.-with consequences for the history of mankind that have not been exhausted to this day

Textausschnitt: 315a The union between the polis and the spiritual adventure of the poets and philosophers was the civilizational form of Hellas. The potentialities of the adventure had been fully actualized, however, and perhaps were exhausted, with the generation of Heraclitus and Parmenides. The myth, the terminus a quo of the movement toward transcendence, had been disintegrated through the discovery of the soul and its authority; and a terminus ad quem a people that would live by the insights of the mystic-philosophers, had not been found. The authoritative "But I say unto you [...]" required a social response if it was not to peter out into repetitions, from time to time, by solitary individuals.1 The Heraclitean reflections on the "sleepwalkers" ominously illuminate the social impasse of the magnificent adventure. In order to become truly the form of a civilization, the tension had to be something more than an irritation of the polis by odd individuals. Something like a Great Awakening was required to create a society in wakeful response to the depth of the soul, to the new humanity in love of the sophon, discovered by the philosophers. (Fs) (notabene)

315b The Great Awakening was the feat of the Athenian people in the fifth century B.C.-with consequences for the history of mankind that have not been exhausted to this day. For without the paradigmatic existence of the Athens of Marathon, the spiritual and intellectual community substance from which the political philosophy of Plato and Aristotle nourished itself would not have existed. Only with the paradigm of such a society in historical existence could a philosophy of order for a society of mature men be developed with conviction. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Wesen der Tragödie; Bewegung der Seele im Prozess der Entscheidung

Kurzinhalt: The truth of the tragedy is action itself, that is, action on the new, differentiated level of a movement in the soul that culminates in the decision (prohairesis) ...

Textausschnitt: 321a The tragedy continues the search for truth; and Aristotle has seen rightly that there is something "general" about this truth. The action of tragedy, its drama, is neither information about particular events, nor amusing fiction. The material used for the action is drawn from the stock of myths, but the tragedy neither narrates it in the manner of the Homeric epic, with the yet unreflected intention of telling a "true" story, nor does it recast the material into speculative form in the manner of Hesiod, with the intention of opposing the new truth to the old falsehood. The tragedy from Aeschylus to Euripides is quite deliberately a play. Neither the poet nor his audience is in doubt that the action is invented, that it uses the mythical materials quite freely, rearranges them to meet exigencies of literary form, and adds numerous imaginative details. There is not even that element of reality that was attached to the older cult dances and choric lyrics, of reenacting a paradigmatic mythical event. For chorus and audience have separated; the chorus has become part of the play, acting on the stage, and the audience does not participate in the action. Only when all erroneous associations are eliminated do we arrive at the true core of the problem: The truth of the tragedy is action itself, that is, action on the new, differentiated level of a movement in the soul that culminates in the decision (prohairesis) of a mature, responsible man. The newly discovered humanity of the soul expands into the realm of action. Tragedy as a form is the study of the human soul in the process of making decisions, while the single tragedies construct conditions and experimental situations, in which a fully developed, self-conscious soul is forced into action. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Hitler and the Germans

Titel: Hitler and the Germans

Stichwort: Sprachspiel und Logik als Ausdruck des Verlustes der ersten Realität (Russel, Cervantes)

Kurzinhalt: The loss of reality expresses itself in the loss of contact of words. Words acquire their own existence; language becomes an independent reality in itself

Textausschnitt: 250b So you see that logic is in itself a closed system of relations in a given system. But if the system contains semantic errors, this is not a logical problem; rather, one is referred back to thinking. And now you have expressed the very interesting development of the divertissement-character of modern logic, for logic has nothing to do with thinking. If one is thinking, then one is no longer formally within logic, but related to empirical reality, and here it is a question of semantic problems that can be empirically resolved. Where one does not think, but only establishes objective relations between symbols, there is the area of formal logic and mathematics. That is to say, logic is no longer an instrument of thought, but an objective sphere between relation and time. Most of second reality is no longer related to first reality at all. However, the cases of Russell's paradox that occur here still have a relation to first reality insofar as they introduce thought symbols from the empirical sphere, and the mistakes are to be sought in the thought symbols. And they can then be resolved through the methods we have indicated. (Fs) (notabene)

251a Thus it pertains to the collapse of a society, when loss of reality and lack of contact with reality occur, that certain problems of the type of Russell's paradox appear as divertissement, in the sense that the playing about with paradoxes can and will become a divertissement because the intellectual contact of man with reality is interrupted. (Fs) (notabene)

Kommentar (02/15/06): Sehr interessant, die Einordnung der heute in der Phiosophie so vorherrschende Verliebtheit fr Logik und Sprache in den Zusammenhang einer Kultur eines Verlustes der Realität. Dazu zählt auch das Divertissement (Pascal) eines L'art pour L'art.

251b I have, then, cited three examples for you. The Eleatic problems, within the phenomena of the disintegration of the Greek polis in the fifth century B.C. Then these very interesting cases in Cervantes, where that disintegration again becomes acute. (There are also some interesting cases in the Middle Ages with the decline of the medieval order and the emergence of nominalism.) And then in the modern period, with the decline of the bourgeoisie, where also, after these problems had been long forgotten, they again came into question semantically in logic in the nineteenth century. Thus the conflicts between two realities, through which the problem of divertissement became a problem in terms of experience and also a social problem. (Fs) (notabene)

251c With this, we have arrived at the point where we unfortunately must break off from the question of how that appeared to Musil and Doderer. However, I must do that in the next lecture. The Man Without Qualities requires somewhat more time. (Fs)
(Tenth Lecture)

251d Certain phenomena of the second reality always emerge at times of social crises. For example, during the Eleatic period there was the collapse of the polis and the Cretan paradox; at the end of the Middle Ages, there was Cervantes' Don Quixote, and in the modern period, the example of Russell and Wittgenstein indicate that concern with the logical problems of the second reality runs parallel to symptoms of social decline. (Fs) (notabene)

252a The loss of reality expresses itself in the loss of contact of words. Words acquire their own existence; language becomes an independent reality in itself. This symptom can first be seen in the Romantic period. Father of gymnastics Jahn coined the term "Volkstums" in the first place to purify language,- it was to replace the foreign word "nationality." But later, Volkstum was understood as "the essence of a Volk." (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Aischylos, die Schutzflehenden): Ausweitung der Ordnung der Seele auf das Volk; Entscheidung nach der Ordnung der Seele (nicht mehr wie bei Homer)

Kurzinhalt: The Suppliants; the xynon of Heraclitus is institutionalized as the community of citizens in council; the decision must be reached, without such counsel, from a searching of the soul

Textausschnitt: 323c From the depth the King is supposed to bring up a decision in accordance with dike. The Chorus admonishes him to make Dike his ally (395) and assures him that Dike protects her allies powerfully (343). Beyond the order of themis with its conflicts there lies an order of dike, in the double sense of a higher law and of concrete decisions. The situation that is not covered by themis will have to be ordered by a concrete decision, a dike, of ultimate rightness. That dike beyond themis has its source in the depth of reflection into which the King is ready to descend. At this point, when the actual descent should occur, however, it becomes clear that Aeschylus has moved far beyond the situation of the solitary Heraclitus into the community of a polis whose citizens are willing to descend into the soul as a people. For the King informs the Danaides that they are not taking refuge at the hearth of his private home, but in a polis. "The common" (to koinon) of the polis is threatened by them; and "in common" (xyne) the people will have to find a solution. The King can make no promise before he has "communicated" (koinosas) with all the citizens (365-69). The xynon of Heraclitus is institutionalized as the community of citizens in council. The Chorus protests vehemently with an appeal to his absolute kingship: "You are the polis! You are the people!" (370). But Pelasgus is not a mystic-philosopher; he has a people, and energetically he tells the Chorus: "Nothing without the people [demos]" (398). He leaves the suppliants in order to assemble the people and to submit the case to the general body (koinon) of the citizens (518), and he hopes that Persuasion (peitho) will aid him (523). The speech of the King is indeed successful. The decrees extending proxenia to the suppliants are passed. "It was the Pelasgian people that willingly heard the subtle windings of the speech; but it was Zeus who brought the end to pass" (623-24). The descent into the depth was taken in common and what the people found was the Dike of Zeus. (Fs) (notabene)

324a We have assembled the main elements of the Aeschylean theory of action. The order of Themis still governs the gods, the world, and society, as in the Homeric epics. But the existence of man under the order has become difficult, insofar as themis is no longer a guide for decisions in the concrete situation. In the Homeric epic a decision could be reached either by weighing the consequences of action on the utilitarian level, or by following counsel, divine or human. That was the burden of the great, paraenetic speech of Phoenix to Achilles. With Aeschylus both possibilities are excluded. The utilitarian weighing is expressly rejected as a motive (443-54); and Aeschylus, in order to prepare the case in experimental purity, even resorts to the technique of building up sound reasons that man must reject in order to arrive at the right decision (477). And no external counsel through the helpful appearance of a Homeric god or man is available. The decision must be reached, without such counsel, from a searching of the soul. The leap in being does not assume the form of an Israelite revelation of God, but of the Dionysiac descent into man, to the depth where Dike is to be found. Not every type of conduct, therefore, is action. We can speak of action only when the decision was reached through the Dionysiac descent into the divine depth. And conversely, not every situation is tragic. We can speak of tragedy only when man is forced into the recourse to Dike. Only in that case is he faced with the dilemma expressed by the line "to act or not to act." Apparently Aeschylus considered as action only the decision in favor of Dike. A negative decision, an evasion through utilitarian calculus, or a mere insensitiveness toward the issue, would not be considered action. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Tragödie (Aischylos, Sophokles, Euripides): gesellschaftliche Voraussetzung; Peitho und Dike

Kurzinhalt: Under such conditions the social function of tragedy will become problematic; when Peitho, persuasion in this pregnant sense, is no longer socially effectivie ...

Textausschnitt: 326b With the spirit of Marathon the tragedy would have to die. The shouldering of fate would become too heavy a burden. In the full unfolding of tragedy, in the grandiose personalities of Sophocles, one can sense the exceptional character of such suffering; a solitude begins to spread around the hero that makes his suffering unrepresentative for the common man. And Euripides, as we shall see, was preoccupied already with the problem of the hero who breaks under his fate. A sense of demonic capriciousness of the gods becomes stronger than the faith in the ultimately harmonizing order of Dike. Under such conditions the social function of tragedy will become problematic and, finally, impossible. The Suppliants has its distinctive place in the history of order because the line along which the tragedy as an institution of the polis will break emerges from the action itself. Pelasgus, the King, as we have seen, has gone through the decision in his own soul; and then he must induce the same process in the soul of the citizens through his speech, re-acting his own argument and that of the Chorus before the assembly. Through Peitho (persuasion) the paradigmatic action of the hero must expand into the soul of the people, binding it to the communal purpose. In the last work of Aeschylus, the Oresteia, Peitho becomes the great instrument of the order of Zeus by which the demonic divinities of the old law, the Erinyes, are themselves bent to Dike and are transformed into the Eumenides. In the Suppliants this meaning of Peitho as the persuasion of Jovian Dike (not perhaps as psychological management) is suggested in the lines of the Chorus that the people made the decision but that "Zeus brought the end to pass" (623-24). When Peitho, persuasion in this pregnant sense, is no longer socially effective, the political order of the democracy which must rest on Dike will disintegrate and give way to the nightmarish disorder that we find described by Thucydides. The restoration of social order in the polis, when it is to rest on spirit and not on fearful subservience to power, will then require the restoration of spiritual persuasion. And this has, indeed, become one of the great themes of Platonic politics, with increasing intensity in the later works, until in the Timaeus Peitho appears as the force of the psyche that imposes order on the recalcitrant Ananke of the cosmos. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Plato contra Protagoras u. Gorgias; Urirrtümer der Sophisten (je 3 Sätze); Fragment von Gorgias

Kurzinhalt: Plato opposed his "God is the Measure" deliberately as the counterformula to Protagoras' "Man is the Measure". The abstract of the essay On Being is a priceless document because ...

Textausschnitt: 347b The very considerable extent to which the politics of Plato rests on the achievements of the sophists, and in particular of Protagoras, should not obscure, however, the decisive difference between their worlds of thought. Plato opposed his "God is the Measure" deliberately as the counterformula to Protagoras' "Man is the Measure." In sophistic thought, we may say succinctly, there was missing the link between the well-observed and classified phenomena of ethics and politics and the "invisible measure" that radiates order into the soul. The opposition to a world of thought without spiritual order was repeatedly expressed by Plato at critical junctures of his work. In particular he quoted twice, as a target for criticism, a set of agnostic, if not atheistic, propositions that may well have come from a sophistic source.1 (Fs)
(1) It seems that no gods exist;
(2) Even if they do exist, they do not care about men;
(3) Even if they care, they can be propitiated by gifts.
348a Plato opposed to them his counterpropositions that the gods do exist, that they care about men, and that they cannot be appeased by prayer and sacrifice. (Fs) (notabene)

348b We are inclined to assume sophistic origin (perhaps Protagoras' book On the Gods) for these propositions, because the pattern of argument is authenticated as sophistic through Gorgias' essay On Being, the only work of a sophist that is preserved as a whole at least in an abstract.2 For once we have an opportunity to study the organization of argument by a major sophist from a source that comes close to the original. The Gorgian tract was concerned with Parmenidean problems. It was organized into three parts defending successively the following propositions: (Fs)
(1) Nothing exists;
(2) If anything exists, it is incomprehensible;
(3) If it is comprehensible, it is incommunicable.
348c In the first part of his tract Gorgias proved the nonexistence of Being. He proceeded by demonstrating the contradictions to which the Parmenidean predicates of Being will lead. We select as representative the argument on the predicate "everlasting": (Fs)
Being cannot be everlasting because in that case it would have no beginning; what has no beginning is boundless; and what is boundless is nowhere. For if it were anywhere it would have to be surrounded by something that is greater than itself; but there is nothing that is greater than the boundless; hence the boundless is nowhere; and what is nowhere does not exist. (Fs)
Kommentar (03/03/06): Ein schnes Beispiel fr ein Argument, das seinen Ausgang nimmt von einer Konfusion zwischen der Ebene des Denkens und Imagination.

349a The abstract of the essay On Being is a priceless document because it has preserved one of the earliest, if not the very first, instance of the perennial type of enlightened philosophizing. The thinker operates on symbols that have been developed by mystic-philosophers for the expression of experiences of transcendence. He proceeds by ignoring the experiential basis, separates the symbols from this basis as if they had a meaning independent of the experience which they express, and with brilliant logic shows, what every philosopher knows, that they will lead to contradictions if they are misunderstood as propositions about objects in world-immanent experience. Gorgias applied his acumen to the Parmenidean Being; but the same type of argument could be applied to other symbols of transcendence, and the set of three propositions about the gods are probably the summary of such an argument. (Fs) (notabene)

349b If we assume the Gorgian tract to be representative of the sophistic attitude toward problems of transcendence, and if, furthermore, we define enlightenment by the type of philosophizing just characterized, we can arrive at some clearness with regard to the question whether the sophistic age can justly be labeled an age of enlightenment. We may say that the age indeed has a streak of enlightenment insofar as its representative thinkers show the same kind of insensitiveness toward experiences of transcendence that was characteristic of the Enlightenment of the eighteenth century a.d., and insofar as this insensitiveness has the same result of destroying philosophy?for philosophy by definition has its center in the experiences of transcendence. Moreover, the essentially unphilosophical character of sophistic writings may have been the most important cause of their almost complete disappearance in spite of the impressive collection and organization of materials which they must have contained. For the materials could be taken over by later writers and, stripped of the materials, the writings held no interest for philosophers. And, finally, we can understand more clearly why Plato concentrated the essence of his own philosophizing in the emphatic counterformula to the Protagorean homo-mensura. After the destruction of philosophy through the sophists, its reconstruction had to stress the Deus-mensura of the philosophers; and the new philosophy had to be clearly a "type of theology." (Fs) (notabene)

350a The great achievement of the sophists in the material organization of the sciences of education, ethics, and politics must be recognized quite as much as their decisive philosophical deficiency unless the sudden magnificent unfolding through Plato and Aristotle shall appear as a miracle beyond historical causality. The philosophic genius was Plato's very own, but the materials to which he applied his genius must have broadly pre-existed. There is preserved a remark by Aristoxenus, the pupil of Aristotle, to the effect that Plato's Republic had substantially been anticipated by the Antilogies of Protagoras.3 In this form the remark is a gross exaggeration because it ignores the philosophical difference. It must be considered one of the courtesies that Greek intellectuals extended to each other not infrequently. Nevertheless, there may be a solid core of truth in it as far as materials and their technical treatment are concerned. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Sokrates, Protagoras über Tugend; Perspektive, das rechte Maß

Kurzinhalt: Just as in spatial perspective one cannot judge true dimensions by appearances but must apply the measuring rod directly, so in the temporal distortions of goods and evils an art of measurement is required

Textausschnitt: 363b By means of such persistent prodding, urbane in form but hard in substance, Protagoras is pressured through the Socratic questions and answers on the issue of the one virtue. The result of the inquiry is the Socratic thesis that no human being errs voluntarily, or will voluntarily commit evil and dishonorable actions (345E). If he commits evil deeds he does so from ignorance of what is truly pleasant and good. The wrong things are preferred because their consequences are misjudged. Imminent evils loom larger than distant consequences, and present pleasures are overrated because of the same distortion of perspective through time. Just as in spatial perspective one cannot judge true dimensions by appearances but must apply the measuring rod directly, so in the temporal distortions of goods and evils an art of measurement is required in order to recognize the true proportions. The art of measurement (metretike techne) would do away with appearances and let the soul find rest in truth, saving our life (356D-E). To be overcome by pleasure, thus, truly means to be overcome by one's ignorance (357E). To be inferior to oneself is ignorance; to be superior to oneself is wisdom (358C). Virtue ultimately is one, the wisdom of measurement. (Fs) (notabene)

363c At this point the argument breaks off. The structure of the dialogue is completed because all the motifs are now gathered together in the Socratic conclusion. Protagoras started with the thesis that virtue can be taught; Socrates doubted the thesis?and he was right because virtues differ from each other and are not reducible to wisdom, which alone can be "taught." Moreover, the sophistic method of teaching by discourse is unfit for teaching virtue, even if it can be taught, because his very oratory prevents Protagoras from ever finding out what the virtue is that supposedly he can teach. Then, in the course of the argument, Socrates shifts to the position that virtue can be taught?and again he is right, under the condition that the different virtues are varieties of knowledge about the good. "Knowledge [episteme] is a noble and ruling thing"; it cannot be overcome by pleasures; wisdom (sophia) founded on knowledge (episteme) is the substance of all virtue (352C-D). If virtue is the art of measurement, then, and only then, is it teachable. The conclusion is hypothetical. Virtue is teachable if it is knowledge,- but is it knowledge? The question remains in suspense. Socrates professes his desire (prothymia) to clear up this further question; and he desires such ultimate clarity because he prefers Prometheus to Epimetheus, in forethinking care (prometheia) about the business of life (361C-D). The Prometheus-symbol of Protagoras is taken over in the end by Socrates. The sophist becomes the slow-witted Epimetheus who creates confusion because he cannot think ahead toward the most important part of his task; and Socrates, through his art of measurement, becomes the Promethean caretaker of man. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Parmenides -> Ideengeschichte zu den Sophiesten: der Wissende, Logos/Nous, Sein; Anaxagoras

Kurzinhalt: In the complex of Parmenidean speculation three ideas can be distinguished from which lines of meaning run through the sophistic age into the fourth century

Textausschnitt: 366b In the complex of Parmenidean speculation three ideas can be distinguished from which lines of meaning run through the sophistic age into the fourth century. The first is the idea of the "knowing man," an existential category denoting the type of man who is capable of insights concerning Being. The second is the idea of the autonomous Logos that will arrive at truth about Being independent of the manifold of deceptive appearances. The third is the idea of correlation between thinking and being, identifying that which is with what can be thought. With the first of the ideas we shall not deal specifically in the present context because the emergence of the philosopher as a new existential type is the general problem of the age, from the generation of the mystic-philosophers, through the variety of sophistic types, to the climax in Socrates and the founders of schools in his wake. Only the lines that start from the second and third of the Parmenidean ideas will be traced.1 (Fs)

367a Among the fragments of Anaxagoras there is preserved a sentence that can be considered the declaration of independence of the mind from the rest of being:

The other things contain of all a part; the Nous, however, is something unlimited [apehon] and self-ruling [autokrates], and is mixed with no other thing, but is alone for itself. (B 12)
367b The autonomy of the Nous is asserted in this sentence even more forcefully than by Parmenides. The earlier thinker's predicates of Being and Truth, "well-rounded" and "eternal," indicated a self-contained remoteness, a resting within itself; Anaxagoras, while preserving these shades of meaning, adds a quality of action, of dynamism, through the predicate "self-ruling." This increased volume of sovereignty is due to a decisive change in the ontological status of the Nous. The Parmenidean Nous was the organ of cognition for Being; the Nous of Anaxagoras has become a part of being, though its highest ranking, sovereign part. And this "finest" and "purest" among things is, furthermore, the ordering force for all other things from the universal revolution and the celestial bodies to the qualitatively differentiated manifold of all things; it is especially the ruler of everything that has psyche, the greater as well as the smaller beings; and it can exert this ordering and ruling function because it has complete knowledge (gnome) of everything, and of all things has the greatest power (B 12). (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Parmenides: Nous, Logos - Sein; Protagoras: Mensch - immanente Dinge

Kurzinhalt: The Parmenidean correlation between Nous-Logos and Being has become the correlation between man and immanent things

Textausschnitt: 36ba The procedure of Anaxagoras in solving his problem is characteristic of what may be called sophistic thinking in a technical sense. The problem of the mystic-philosopher, as well as his symbols (Nous and Being) are accepted, while the experience of transcendence, which lies at the root of the problem and motivates the creation of the symbols for its expression, is abandoned. As a consequence, the symbols of transcendence will now be used, or rather misused, in the speculation on immanent problems. A peculiar style of thinking develops that permits men who are no philosophers in the existential sense to express their opinions on problems involving the experience of transcendence with the usurped authority of the existential philosopher. This is the style of the sophistic intellectual. Whether Anaxagoras himself was guilty of such usurpation is doubtful because (1) as we shall see presently, he developed an epistemology of immanent knowledge, not relying on the Nous, and (2) the state of the fragments makes it impossible to see how the two parts of his philosophy were linked with each other. (Fs)

369a In the case of his younger contemporary Protagoras, however, the new attitude is fully developed. Of his work On Truth the famous opening sentence is preserved:
Of all things the measure is man, of the being that they are, of the not being that they are not. (B 1)

369b The Parmenidean correlation between Nous-Logos and Being has become the correlation between man and immanent things; the autonomy of the Logos in exploring the Truth about transcendent Being has become the autonomy of man in exploring his surrounding world. The consequences of this radical immanentism, as far as problems of transcendence are concerned, become tangible in the opening sentence of Protagoras' work On the Gods: (notabene)
About the gods I am not able to know either that they are, or that they are not, or what they are like in shape, the things preventing knowledge being many, such as the obscurity of the subject and that the life of man is short. (B 4)

369c The sentence does not express dogmatic atheism but rather a suspense of judgment concerning the existence of gods. This is the form in which the problem of transcendence will present itself to an immanentist who has no experience of transcendence, provided that his intellectual discipline will prevent him from falling into dogmatic negation of divine existence. Nevertheless, the line of dogmatic derailment is indicated by the odd conclusion of the sentence, which seems to assume that certainty in this obscure matter could be reached, presumably by immanent means, if life were longer. More impetuous sophists will find sooner or later that their life is long enough to arrive at a judgment, and it will be negative. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Parmenides, Zeno: Missinterpretation der Symbole der Transzendenz

Kurzinhalt: The Zenonic demonstrations imply a metaphysical misconstruction similar to that of Anaxagoras. The latter had made the Nous a being thing; Zeno construed the manifold of being

Textausschnitt: 369d In the Parmenidean experience of transcendence the Nous as its subjective term can be distinguished from the Being as its objective term. We have traced the line of immanentization from the subjective term to the Protagorean Man-the-Measure. We shall now trace the line of immanentization that runs from the objective term into sophistic thought. (Fs)

369e Parmenides had formulated three propositions about being: (1) That only Being exists; (2) that only Non-Being exists; (3) that both Being and Non-Being exist. He decided that the first proposition was the Truth, the second proposition was unthinkable, and the third proposition was the opinion of men who were fascinated by the manifold of the changing world. The Parmenidean decision must have aroused resistance because it violated the common-sense experience of the world in which we live. The resistance is presupposed in the work of Zeno of Elea, since it has the form of a demonstration that the thinker will involve himself in contradictions if he assumes that Being is not One but Many. The Attacks of Zeno consist of a series of demonstrations that, under the assumption of Being as Many, it will have to be at the same time large and small, homogeneous and heterogeneous, finite and infinite, moved and unmoved, and so forth. The brief B 4 may illustrate the type of argument: "That which moves, neither moves in the place in which it is, nor in the place in which it is not." This is probably the demonstration to which later were attached the famous Eleatic paradoxa, as, for instance, the one of Achilles and the Tortoise, or of the arrow that cannot move. (Fs)

370a The Zenonic demonstrations imply a metaphysical misconstruction similar to that of Anaxagoras. The latter had made the Nous a being thing; Zeno construed the manifold of being (ta onta) as a Being (to On) that is Many, inevitably involving himself in the paradoxa of the infinite. The Being revealed to the Nous in the Parmenidean transport is not the being of immanent experience; and, hence, Parmenides was quite right when he categorized immanent being as Not-Being. The problem of immanent being cannot be solved by construing it as a Being that is Many; the quest for its nature will rather lead toward the discovery of form, of essence, in being, as it finally did with Plato and Aristotle. Once this misconstruction had happened, however, a style of dialectical demonstration was established that could extend beyond the Zenonic range of subject matter (time, space, motion, quantity, and so forth) to ethical questions. It seems that Protagoras was the first thinker to apply antilogical reasoning to problems of justice. A tradition has it that he was the first to say that there were two contradictory arguments about everything (B 6a); and, specifically, he had the reputation of being able to make the weaker cause the stronger (B 6b). In the extant form, this specific information probably has a slanderous intention; nevertheless, it indicates the use to which the antilogical technique could be put in public pleading. (Fs) (notabene)

Kommentar (03/13/06): Cf. zu Voegelins Aufweis, dass das parmenideische Sein nicht das Sein der immanenten Erfahrung ist, Lonergans Analyse des Bewusstsein.

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Typus des konservativen Agnostikers: Protagoras, Montaigne, Bayle, and Hume; Physis

Kurzinhalt: ... the position will dissolve either into the immanentist dogmatism of the sophists of the second generation, making Physis the new source of authority, or into the restoration of the problems of transcendence

Textausschnitt: 382b If the assumption of philologists that this passage is influenced by Protagoras be accepted, it would indeed be a key to the Pro-tagorean attitude; for the chapter closes with the line from Pindar that Nomos is the king of all. The theoretical gap was perhaps not experienced too sharply because for Protagoras Nomos was still the king of human beliefs, rather than human belief the king of Nomos. In Protagoras appears, for the first time, the type of thinker who is a skeptic, or agnostic, with regard to transcendent reality and, at the same time, a conservative with regard to historical order. Since the combination of the two attitudes has caused, and is still causing, difficulties in understanding the thinker, it may be well to recall that his case is not singular. The type of the conservative skeptic recurs, toward the end of the fourth century, in the person of Pyrrho and is continued by his skeptic successors. In Western civilization it recurs, after the upheaval of the Reformation, in Montaigne, Bayle, and Hume. The difficulty of understanding the hybrid position is caused by its theoretical insufficiency; it seems unbelievable that an otherwise astute thinker should be blind to the previously characterized theoretical gap. It is all the more necessary to be clear about the strand of archaic wisdom in the conservative mind, preserving it in a time of rapid intellectual movement from derailment into revolutionary dogmatism. While such balance can be preserved in the individual case, the attitude of conservative skepticism is unstable on principle; it can be preserved only under the condition that the theoretical question of validity and its source will not be raised. A more inquisitive mind will not be satisfied with such abstinence. And as soon as the question is raised the position will dissolve either into the immanentist dogmatism of the sophists of the second generation, making Physis the new source of authority, or into the restoration of the problems of transcendence as we have seen it in the opposition of Socrates to the sophist in Plato's Protagoras. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: The World of the Polis

Titel: The World of the Polis

Stichwort: Heraklit; verschiedene Bedeutungen des Nomos (Ideengeschichte -> Physis bei den Sophisten)

Kurzinhalt: In this series of ideas are contained the following meanings of the term Nomos:
(1) Nomos as the transcendent divine order; ...

Textausschnitt: 380a The fragment distinguishes between a divine Nomos and a plurality of human Nomoi; moreover, the divine law must be assumed to be identical with the common, the xynon, which in turn is identical with the Nous. Hence, the fragment in its terseness is fraught with a whole series of ideas that can perhaps be explicated in the following manner: First, there is a common transcendent Nous which must nourish both the individual man who thinks with his nous as well as the law of the community. Second, the human law is a right law insofar as it truly nourishes itself from the divine law; but obviously it may fail to do so. Third, therefore, it may become Nomos to obey the will of one man, provided that he is a man who nourishes himself from the divine Nomos (B 33). Fourth, there is more than one polis with one human Nomos; the "human laws" exist in the plurality of the historical manifold. (Fs)

380b In this series of ideas are contained the following meanings of the term Nomos:
(1) Nomos as the transcendent divine order;
(2) Nomos as the constitutional and legal order of a polis in conformity with transcendent order-the Nomos for which a people should fight as if it were their wall (B 44);
(3) Nomoi in the plural, meaning the multitude of orders of the historically existing poleis;
(4) Nomos as the historical order of a polis, regardless of its conformity with the divine Nomos;
(5) Nomos as the order that may live in one man, a nomos empsychos-as it may appear in a nomothetes, or the Platonic philosopher-king; and
(6) Nomoi in the plural, which quite possibly carries the association of nomoi in the sense of statutes, as it had come into use since the reform of Cleisthenes, replacing the earlier thesmoi. (Fs) (notabene)

381a With the differentiation of meanings the stage is set for the inevitable problems (1) of reconciling the manifold of historically different Nomoi with the oneness of the divine Nomos, (1) of interpreting the historical Nomoi in the light of their conformance with, or deviation from, the divine Nomos, and (3) of the tension between the Nomos that lives in the philosopher and the Nomos of the surrounding society. (Fs) (notabene)

381b In the complex of meanings determined by Heraclitean speculation there is no room for an idea of Physis in opposition to Nomos. The source of order is the divine Nomos; and the human Nomos is essentially right order in the measure in which it participates in divine Nomos. Hence, when the term physis occurs in Heraclitean fragments it has no bearing on the later sophistic distinction; it rather has the meaning of the nature of a thing or a problem. The idea of Physis, of Nature as an autonomous source of order in competition with Nomos can be formed only when the idea of a transcendent divine Nomos as the source of order has atrophied; and that can happen in a theoretical context only when philosophizing in the existential sense is abandoned. (Fs) (notabene) (notabene)

381c This further stage of theorizing was reached by the middle of the fifth century, in the person of Protagoras, although Protagoras himself did not yet introduce the idea of Physis. The great sophist, as presented by Plato, professed to be a teacher of the art of politics. In order to discharge the duties of his profession effectively he had to accept the Nomos of the polis as it existed historically and to teach his pupils how to move with success in the concrete environment. His substantive ethics, as previously noted, probably did not differ much from that of Democritus, or from prevailing traditions in general. With such conservative conventionalism, however, he combined his immanentist relativism with regard to theory of knowledge. As a skeptic and agnostic, therefore, he rejected all speculation on the basis of experiences of transcendence; and, in particular, he could not allow speculation on the source of order and its validity in a transcendent divine law. The keystone of Heraclitean speculation on the Nomos, the theios nomos, was eliminated by Protagoras. The obvious theoretical gap left by this elimination, however, was not filled by him; he did not replace the transcendent source of order by an immanent source, the Physis of his sophistic successors, but left the problem wide open by simply accepting as valid order whatever (in any political civilization) men believed to be valid. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Hitler and the Germans

Titel: Hitler and the Germans

Stichwort: Gegenwart (Präsenz): 2 Bedeutungen; Plato (politische Wissenschaft): Untersuchung des Nicht-gegenwärtig-Seins der Person und Polis; unbewältigte Vergangenheit

Kurzinhalt: First, what is the present? ... For Plato, therefore, the judgment is above all the investigation of the not-being-present of the sophists as individual persons,

Textausschnitt: 71a What now is the unmastered present? First, what is the present? The present can mean two things. In the first place, one can speak today of the ideologically and socially usual idea of the present as a point in the present (Gegenwartspunkt) lying between past and future. So the time of history is represented as going in a line from the past to the future through a point in the present, and from this viewpoint one understands the present. Thus contemporary events are events that occur in the year 1964; past events occurred in the year 1930. Against this linear conception of the present, which has existed only since the eighteenth century in this form as a thoroughly ideological notion, there is that other meaning of the present, in which the present is always related to the existence of man in his presence (Prsenz) under God. Insofar as - while existing and acting in immanent time - man exists under God, he has presence. And the meaning of the past and the future will become generally interpretable only when starting out from this presence. For otherwise everything would proceed irrelevantly in an external stream of time. What now does mastering the present mean? Under mastering the present there is a virtue to be understood, the virtue of placing the present of immanent time under the judgment of the presence under God. This kind of mastering, then, is a general human problem, not something of the modern era, not something for Germans only, but for everyman: to place the immanent present within the immanent process under the judgment of the presence. (Fs) (notabene)

71b These questions were clarified and formulated for the first time in classic politics, by Plato in the Politeia and in the Gorgias. To place oneself under the presence, under the presence of God, and according to that to adjudicate what one does as man and how one forms the order of one's own existence and the existence of society, that for Plato is an act of judgment. That means that man is always under judgment; hence the myths of judgment in the Gorgias and the Politeia. And because he is always under judgment, under the presence of God, in the sense of this "being-under-judgment" he must adjudicate how he acts and how others act and how this action brings about an order of society. For Plato, therefore, the judgment is above all the investigation of the not-being-present of the sophists as individual persons, and a not-being-present in the sense of the presence of the entire society insofar as it allows itself to be led and ordered-that means disordered-by sophistic ideas. So, what will be called political science arises in the critique of time in the sense of the empirically immanent society that does not place itself under the judgment in the presence of God. That is to say, the science of the order of man in society arises from the reaction against not existing in the present. We can say of Plato that he mastered the past of sophistry in a paradigmatic fashion, insofar as it reached into his time, and that he thereby mastered his own present and highlighted what the present, in the sense of this presence under God, meant. All science of politics begins with this. This mastering of the past, which is always a mastering of the present, was relatively simple in Plato's situation, for he had only to deal with the internal historical processes of the Hellenistic polis. (Fs) (notabene)

72a For us in the present situation the matter is much more complicated. We have a particular difficulty in mastering our present, since our society is dominated by different kinds of ideological principles and views-not only Marxist or National Socialist but also positivist, progressivist, secular-liberal, etc.-that erect the prevention of the mastering of the present into a principle. And this principle of prevention is already so old-it goes back at least two hundred years-that it has affected the entire Western, but particularly the German, situation and lays the greatest obstacles in the way of this very mastering, which has to be carried out again and again. So, if we wish to master the past in the sense of mastering the present, we are confronted with the task of clearing out all the ideological junk in order to make the conditio humana visible once again. (Fs) (notabene)

72b How can this be done? Again there are difficulties. For naturally one can only clear things out by becoming conscious of the presence and by having at one's disposal the expressions adequate for making it conscious. These adequate expressions are of course to be found in classical philosophy, in the whole history of Christianity, of scholasticism, etc., in humanistic philosophy up to the eighteenth century; they are absolutely the dominant ones. But under the influence of the development of the ideologies, which took over the classic and Christian vocabulary for understanding presence and reinterpreted it as an instrument for the prevention of knowledge of the presence under God, the words have simply changed their meanings. Therefore it is not easy even to speak about what is at issue here-for example, about the truth of existence, or freedom of existence under God-nor to speak about reason as the organ sensitive for the reception of transcendent being, or about the spirit, etc., for all these expressions have become ideologized. And this is an international, not only a German, problem. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Apostasie

Titel: Apostasie

Stichwort: Voltaire - Universalgeschichte; Augustinus

Kurzinhalt: ... Schwäche aller Universal- und Weltgeschichten seit Voltaire ...: die Unmöglichkeit, einen Sinn zu finden, der auf einer größeren Weltbühne den providentiellen Sinn der westlichen Geschichte nach christlicher Interpretation ersetzen könnte

Textausschnitt: 15a Voltaire war für die Kritik der Marquise durchaus empfänglich. Die Marquise beklagte sich darüber, dass Bossuet in seiner Universalgeschichte nichts, mit Ausnahme des Universums, vergessen habe, und Voltaire unternahm es, durch den Essai die fehlenden Teile zu ergänzen. Voltaire anerkannte den Wert von Bossuets Discours für die Geschichte der Antike, wenngleich nicht ohne ernsthafte Kritik an Ungenauigkeiten und des favorisierten Israel. Er beschränkte seine Aufgabe auf die Hinzufügung von Studien über China, Indien, Persien und den Islam sowie einer Fortsetzung des Discours, beginnend mit der Zeit Karls des Großen bis Ludwig XIII. Der ergänzende Charakter des Essai impliziert die Vorstellung, dass in der Historiographie Universalität durch Vollständigkeit erreicht werden könne; und insoweit der Essai eine solche Identifikation andeutet, eröffnet er eher das Problem der Universalität, als es zu klären. Durch Vollständigkeit kann zwar eine Enzyklopädie, aber nicht automatisch eine Sinneinheit geschaffen werden. Es trifft zu: Voltaires Essai zeichnet sich in seiner endgültigen Form darin aus, dass er die erste Universalgeschichte1 ist in dem Sinn, dass er in seinem historischen Überblick die ganze zu jener Zeit bekannte Menschheit umfasst. Aber es ist auch wahr, dass er die Schwäche aller Universal- und Weltgeschichten seit Voltaire aufdeckt: die Unmöglichkeit, einen Sinn zu finden, der auf einer größeren Weltbühne den providentiellen Sinn der westlichen Geschichte nach christlicher Interpretation ersetzen könnte. Der Sinn lässt sich schon deshalb nicht erkennen, weil eine sinnvolle Konstruktion der Geschichte von einem säkularen, innerweltlichen Standpunkt aus voraussetzen würde, dass die Geschichte in ihrer Gesamtheit bekannt ist. Da aber die Geschichte nur hinsichtlich der Vergangenheit bekannt ist, muss jede säkulare Konstruktion in einer Gegenwartsperspektive des Autors resultieren. Ja selbst eine begrenzte perspektivische Konstruktion würde die empirische Existenz einer erkennbaren Struktur der Menschheitsgeschichte voraussetzen. Doch eine solche, die großen Zivilisationen der Menschheit jenseits der westlichen Zivilisation umfassende Struktur ist nicht erkennbar. Die christliche Konstruktion eines Augustinus ist deswegen wirklich universell, weil sie das "Ganze" der Geschichte in Voraussehung der Wiederkunft Christi als das Ende der Geschichte umfasst. Zerfällt dieser transzendente Universalismus unter dem Ansturm profaner Materialien, die nicht einmal andeutungsweise zur Heilsgeschichte in eine Beziehung gesetzt werden können, wird die Universalität des Sinns zum Ideal empirischer Vollständigkeit degenerieren. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Apostasie

Titel: Apostasie

Stichwort: Voltaire: innerweltliche Heilsgeschichte; corpus mysticum

Kurzinhalt: Der Historiker wählt eine partielle Sinnstruktur, erklärt sie zu einem Ganzen, und ordnet den Rest des historischen Materials mehr oder weniger geschickt um das bevorzugte Sinnzentrum an ...

Textausschnitt: b. Die innerweltliche Heilsgeschichte

20a Da die Menschheitsgeschichte, wie oben gezeigt, keine erkennbare Sinnstruktur aufweist, muss die Konstruktion von einem Kunstgriff Gebrauch machen, für den Voltaire dieses Modell aufstellte: Der Historiker wählt eine partielle Sinnstruktur, erklärt sie zu einem Ganzen, und ordnet den Rest des historischen Materials mehr oder weniger geschickt um das bevorzugte Sinnzentrum an. Die Konstruktion ist ein Derivativ der christlichen Einteilung in eine Heils- und Profangeschichte, mit dem Unterschied allerdings, dass die neue Heilsgeschichte keine transzendenten Implikationen hat. Die als heilig herausselektierte Teilgeschichte gewinnt ihre bevorzugte Stellung dadurch, dass sie als Ausdruck einer neuen innerweltlichen Religiosität dient. Das Verfahren ist rational unhaltbar, und die Konstruktionen sind kurzlebig, weil sie den sich schnell verändernden innerweltlichen Sentiments des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts dicht auf dem Fuße folgen. Nichtsdestoweniger sind sie von entscheidender Bedeutung in der Geschichte der politischen Ideen, weil sie echte Evokationen neuer Gemeinschaften sind, die dahin tendieren, das christliche corpus mysticum zu ersetzen. (Fs)

21a Bei der Analyse der Konstruktion müssen wir zwischen den Kategorien des Sinns und dem historischen Material, auf das sie angewendet werden, unterscheiden. Die Sinnkategorien sind wieder christliche Analoga. Voltaire sprach von Auslöschung, Wiedergeburt und Fortschritt des menschlichen Geistes. Auslöschung korrespondiert mit dem Fall, Wiedergeburt mit der Erlösung und Fortschritt mit dem Dritten Reich geistiger Vollkommenheit. Die in das System verarbeiteten Materialien waren das Mittelalter (Auslöschung), die Ära der beginnenden Toleranz seit Heinrich IV (Wiedergeburt) und Voltaires eigenes Zeitalter (Fortschritt). Die Kategorisierung stand nicht in Analogie zum Augustinischen saeculum senescens, sondern eher zur trinitarischen Spekulation von Joachim von Flora. Voltaire nahm die Neugliederung der Geschichte an jenem Punkt wieder auf, an dem sie die Denker des dreizehnten Jahrhunderts angesichts des orthodoxen Widerstands hatten abbrechen müssen - wenn auch mit der grundlegenden Veränderung der Substanz: Der Geist des neuen Dritten Reichs war nicht der Geist der autonomen christlichen Persönlichkeit, sondern der Geist des autonomen Intellektuellen. Während Voltaires Konstruktion zwar nicht sonderlich gründlich durchgearbeitet war, kündigten sich in ihr doch die späteren Konstruktionen des Dreiphasengesetzes von Saint Simon und von Comte an: der religiösen, metaphysischen und positiv-wissenschaftlichen Phase. Da der in die Kategorien einfließende Inhalt eine unabhängige Variable ist, kündigt sich außerdem die Möglichkeit des Einfließens neuer Materialien in das kategoriale Muster an, so wie es dann in der Tat in den marxistischen und nationalsozialistischen Konstruktionen geschah. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Apostasie

Titel: Apostasie

Stichwort: Struktur: innerweltliche Heilsgeschichte (Voltarie): 3 Konstruktionsebenen, Interpretationsregeln der historisch-politischen Konzeptionen

Kurzinhalt: Vergöttlichung der Vernunft und des Verstands zur Vergöttlichung der animalischen Grundlage der Existenz hinabbewegen

Textausschnitt: c. Die Struktur der innerweltlichen Geschichte

21b Die Einsicht in den Typus der von Voltaire geschaffenen säkularen Konstruktion erlaubt die Formulierung einiger Interpretationsregeln der historisch-politischen Konzeptionen, zu denen es in seiner Nachfolge kam. Historische Auffassungen wie die von Voltaire, Comte oder Marx dürfen nicht für bare Münze genommen werden. Ihr Anspruch, eine gültige Interpretation einer Universalgeschichte bzw. -im neunzehnten Jahrhundert - eines soziologischen "Gesetzes" zu offerieren, ist nicht haltbar. In unserer Analyse dieser Auffassungen werden wir zwischen verschiedenen Konstruktionsebenen zu unterscheiden haben. Sie enthalten, erstens, eine "These der Allgemeinheit", nämlich dass die Abfolge evolutionärer Phasen, die als "Heilsgeschichte" ausgewählt wurden, das allgemeine Muster der Menschheitsgeschichte bildet, in welches sich das gesamte empirische Material auf befriedigende Weise einpassen lässt. Während diese "These der Allgemeinheit" aus den oben genannten Gründen unvermeidlich falsch ist, behält sie doch ihre Bedeutung als ein Schlüssel für das spezielle "Modell", das "verallgemeinert" wurde, bei. Das spezielle "Modell" markiert die zweite Konstruktionsebene, in die es vorzudringen gilt. Comtes Dreiphasengesetz ist ebenso wenig ein Gesetz der Universalgeschichte wie die Marxsche wissenschaftliche Auffassung einer Evolution in Richtung Kommunismus oder Voltaires drei Phasen der Aufklärung. Die allgemeine These basiert auf einer besonderen, aber nichtsdestotrotz sinnerfülten Geschichtsstruktur, die durchaus korrekt beobachtet sein mag. So sah Voltaire den Kampf zwischen den geistigen und weltlichen Mächten zu Recht als entscheidend für das Mittelalter an, und Comtes Analyse des Mittelalters war für seine Zeit eine großartige Leistung. Beide Denker beobachteten durchaus korrekt, dass der Aufstieg des autonomen kritischen Intellekts eine Epoche der westlichen Welt markierte. Folglich kann die Modell-Konstruktion als empirische Analyse einer individuellen Phase in der Geschichte weit oben rangieren - ungeachtet der Tatsache, dass das Modell als säkulare "Heilsgeschichte" verwendet wird. Wir müssen schließlich, drittens, über das Modell hinaus die Sentiments ergründen, die seine imaginative Transformation in ein generelles Muster der Geschichte bewirken. Auf dieser Ebene gilt es, die Verlagerung des transzendenten Glaubens an den Geist Christi zum innerweltlichen Glauben Voltaires an den esprit humain zu beobachten. Wir müssen dann die Verlagerungen des innerweltlichen Glaubens von Voltaires esprit humain über Comtes Glauben an den organisierenden und technischen Verstand, bis zum Marxschen Glauben an den Proletarier als den wahren Menschen und das Proletariat als das Auserwählte Volk verfolgen; und wir müssen ferner zu den verschiedenen Glaubenshaltungen bezüglich der Auserwählten Nationen und einer Auserwählten Rasse vordringen. Von den verschiedenen Ebenen der historischen Konstruktion sind die oberen Ebenen, die das "Modell" und die "These der Allgemeinheit" enthalten, nicht viel mehr als eine ephemere dogmatische Oberfläche, unter der die grundlegenden Bewegungen der innerweltlichen religiösen Sentiments liegen, die sich von der Vergöttlichung der Vernunft und des Verstands zur Vergöttlichung der animalischen Grundlage der Existenz hinabbewegen. In einer etwas freien Anwendung von Schellings Begriff könnten wir diese grundlegende Bewegung der religiösen Sentiments als einen theogonen Prozess bezeichnen. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Apostasie

Titel: Apostasie

Stichwort: Kirche, Schuld - Anpassung an die neue Situation -> säkulare Zivilisation

Kurzinhalt: Diese neue Situation hätte von Seiten der Kirche sowohl eine freiwillige Aufgabe jener alten zivilisatorischen Elemente, ... erfordert

Textausschnitt: 33a Die schuldhaften Versäumnisse konfrontierten die Kirche mit ihrer eigenen Spiritualität. Der Aufstieg der geistigen Macht im Mittelalter beruhte nicht allein auf ihrer Spiritualität, sondern in gleicher Weise auch auf ihrer Stärke als überlegene zivilisatorische Kraft der christlichen Menschheit. Und sie vermochte diese zivilisatorische Funktion kraft ihres Erbes auszuüben, das sie durch den Kompromiss mit der römisch-hellenischen Zivilisation erworben hatte. Um das zwölfte Jahrhundert herum wurde sowohl diese Funktion wie auch das Erbe, das dessen Ausübung möglich machte, zur Quelle von Friktionen, die unvermeidlich jeden Auflösungsprozess begleiten. Nachdem, zum einen, die zivilisatorische Arbeit der Kirche bis zu dem Punkt erfolgreich gewesen war, wo sie von den wachsenden westlichen Gemeinschaften in den Städten und Reichen aus eigener Kraft fortgesetzt werden konnte, hätte diese neue Situation einen freiwilligen Rückzug der Kirche aus ihrer materiellen Position als die überragende wirtschaftliche Macht erfordert - eine Position, die früher durch ihre tatsächliche zivilisatorische Leistung zu rechtfertigen war. Doch die Kirche gab ihre wirtschaftliche und politische Position nicht freiwillig auf. Als, zum anderen, eine unabhängige, säkulare Zivilisation zu wachsen begann, musste sich zwangsläufig ein Konflikt zwischen den Inhalten dieser neuen Zivilisation und dem kirchlichen Erbe seit der Antike ergeben. Diese neue Situation hätte von Seiten der Kirche sowohl eine freiwillige Aufgabe jener alten zivilisatorischen Elemente, die sich mit der neuen westlichen Zivilisation als inkompatibel erwiesen, erfordert, wie auch einen neuen zivilisatorischen Kompromiss ähnlich dem, den die frühe Kirche mit der römisch-hellenischen Zivilisation geschlossen hatte. Und wieder zögerte die Kirche, sich angemessen und rechtzeitig anzupassen. (Fs) (notabene)
b. Die Phasen der Auflösung

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Apostasie

Titel: Apostasie

Stichwort: Kirche - 3 Phasen der Auflösung; Anglikanismus, Gallikanismus, Reformation: Giordano Bruno, Galilei; Zeitalter der historischen Wissenschaft und der höheren Kritik

Kurzinhalt: Die erste Phase umfasst den Zeitraum zwischen 1300 und 1500, die Zeit, als die Auflösung des imperium ihr kritisches Stadium erreicht hatte ...

Textausschnitt: b. Die Phasen der Auflösung
34a Diese Erfordernisse bzw. Versäumnisse der Anpassung sind die Ursachen für die Friktionen im Prozess der Auflösung. Dieser besteht im Wesentlichen aus drei Hauptphasen, die durch die jeweils vorherrschende Friktion charakterisiert sind, wobei sich Überlappungen ergeben können. Die erste Phase umfasst den Zeitraum zwischen 1300 und 1500, die Zeit, als die Auflösung des imperium ihr kritisches Stadium erreicht hatte. Die Weigerung der Kirche, ihre wirtschaftliche und finanzielle Machtposition in den einzelnen imperia abzubauen, führte zum Anglikanismus des vierzehnten, zum Gallikanismus des fünfzehnten Jahrhunderts und schließlich zur Reformation mit ihren allgemeinen Konfiszierungen von Kircheneigentum. So weit man sich in der Geschichte überhaupt auf hypothetische Propositionen einlassen kann, haben wahrscheinlich jene Gelehrten Recht, die glauben, dass die Kirche das Schisma der Reformation hätte vermeiden können, wenn sie klugerweise ihre Besitzstände, die sie dann durch Gewalt verlor, abgebaut hätte. - Die zweite Phase umspannt den Zeitraum zwischen 1500 und 1700. Es entwickelten sich Astronomie und Physik, und die heliozentrische Auffassung kollidierte mit der babylonischen Kosmologie des Alten Testaments. Es war die Zeit der causes celebres von Giordano Bruno und Galilei. Die Nachwirkungen dieses Friktionstypus zogen sich mit seinem Streit über die Evolutionsprobleme bis in das neunzehnte Jahrhundert hinein. - Die dritte Phase umfasst den Zeitraum von 1700 bis heute. Es ist das Zeitalter der historischen Wissenschaft und der höheren Kritik, mit dem Zusammenprall einer kritischen Behandlung der Heiligen Texte - der Kirchengeschichte und der Geschichte der Dogmen - auf der einen und der kirchlichen Interpretation der Glaubenswahrheit auf der anderen Seite. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Apostasie

Titel: Apostasie

Stichwort: Kirche; Symbol; Rationalismus: Sprache des Chrsitentums als Mythos

Kurzinhalt: Das Christentum wurde historisiert in dem Sinn, dass ein Universum von Symbolen ... aus der Perspektive von Kategorien gesehen wurde, die dem Zeitalter des Rationalismus entstammten ...

Textausschnitt: d. Dritte Phase: Die Autorität der Kirche und der christlichen Symbole

37a Das schwerwiegendste Problem bezüglich der geistigen Substanz des Christentums entsprang - in der dritten Phase - dem Konflikt zwischen dem christlichen Symbolismus und der rationalen, historischen Kritik an ihm. Die Symbolsprache, in der die Wahrheit des Christentums zum Ausdruck gebracht wird, entstammt hebräischen und hellenischen Quellen. Zur Zeit ihrer ursprünglichen Anwendung war die Sprache des Mythos ein präzises Instrument, die hereinbrechende transzendente Realität, ihre Inkarnation und ihr Wirken im Menschen zum Ausdruck zu bringen. Zur Zeit Christi und der darauf folgenden Jahrhunderte des frühen Christentums war diese Sprache nicht ein "Mythos", sondern die exakte Terminologie zur Bezeichnung von religiösen Phänomenen. Zum "Mythos" wurde sie erst nach dem Eindringen eines Rationalismus, der die transzendenten Bedeutungen der der sinnlichen Welt entnommenen Symbole zerstört. Im Verlauf dieser "Entgötterung" der Welt verloren die sinnlichen Symbole ihre Transparenz für die transzendente Realität; sie wurden undurchsichtig und offenbarten nicht länger die Versenkung der finiten in die transzendente Welt. Das Christentum wurde historisiert in dem Sinn, dass ein Universum von Symbolen, welches dem Zeitalter des Mythos angehörte, aus der Perspektive von Kategorien gesehen wurde, die dem Zeitalter des Rationalismus entstammten. In dieser Perspektive, wo Symbole und Dogmen in einer "buchstäblichen", entzauberten Undurchsichtigkeit von außen gesehen werden, nehmen sie die "Irrationalität" an, die sie in Konflikt mit Logik, rationaler Biologie, kritischer Geschichte und anderem mehr bringt. Für einen modernen Menschen, der außerhalb der christlichen Traditionen und Institutionen aufgewachsen ist, ist es extrem schwer, die ursprüngliche Bedeutung der alten Symbolismen zurückzugewinnen, seien sie hellenischen oder christlichen Ursprungs. Man kann freilich zu einem Verständnis des Problems gelangen, wenn man sich die Symbolismen moderner geistiger Perversionen, die genauso weit jenseits der Sphäre rationaler Kritik wie die alten Symbolismen liegen, vor Augen führt. Jeder, der irgendwann den Versuch unternommen hat, einem überzeugten Marxisten zu erklären, dass die Idee einer kommunistischen, herrschaftsfreien* Gesellschaft eine derivative Eschatologie sei und der Marxismus kein "wissenschaftlicher" Sozialismus - oder auch jeder, der irgendwann einmal versucht hat, einem fanatischem Anhänger der Idee der Weltorganisation** zu erklären, dass Begriffe wie "Weltfrieden", "friedliebende Nationen", "Aggressoren" und so weiter nicht Konzepte empirischer Politik seien, sondern Symbole einer innerweltlichen Eschatologie - wird an der Reaktion seines Opfers schnell abschätzen können, wie sinnlos es sich für einen frühen Christen anhören mochte, wenn jemand mit biologischen Gründen gegen die Inkarnation argumentierte. (Fs) (notabene)

38a In dieser historischen Situation hat die Kirche, soweit es ihre defensive Haltung betrifft, mit bewundernswerter Weisheit reagiert. Fest widerstand sie allem Hantieren an den Symbolen durch modernistische, rationale Interpretationen, die das Mysterium des transzendenten Dramas auf eine Psychologie von innerweltlichen menschlichen Erfahrungen zu reduzieren suchten. Nichts wäre durch Zugeständnisse zu gewinnen gewesen, und die in den Symbolen bewahrte geistige Substanz wäre gefährdet worden. Weniger bewundernswert war dagegen die Hilflosigkeit der Kirche beim aktiven Umgang mit dem Problem. Denn unbestreitbar existiert ein Problem, und es lässt sich nicht wie die Probleme der ersten und zweiten Phase lösen - nämlich durch eine verspätete Akzeptanz der neuen Situation. Es ist nicht unsere Aufgabe, eine Lösung anzubieten. Aber zweifellos wäre ein Teil davon eine neue christliche Philosophie der Geschichte und der mythischen Symbole, die - erstens - die neue Sinndimension verstehbar machen würde, die der historischen Existenz des Christentums aufgrund der Tatsache, dass die Kirche zwei Zivilisationen überdauert hat, zugewachsen ist. Zweitens könnten die Kategorien des Mythos als einer objektiven Sprache zum Ausdruck eines transzendenten Einbruchs verstehbar gemacht werden. Es würde sich zeigen, dass der Mythos ein adäquateres und exakteres Instrument des Ausdrucks ist als jedes rationale System von Symbolen. Insofern darf also der Mythos nicht missverstanden werden, indem man ihn wörtlich nimmt - damit würde er undurchsichtig -, noch darf er auf eine Erfahrungsebene der Psychologie reduziert werden. Offensichtlich ist dies eine Aufgabe, die eher einen neuen Thomas als einen Neo-Thomisten erfordern würde. Das Glanzstück kirchlicher Staatskunst, das bis heute keine ebenbürtige Leistung fand, lieferte der Hl. Paulus, als er die drei Gemeinschaftskräfte seiner Zeit (Heiden, Hebräer, Christen) mit den drei Gesetzen (dem Naturgesetz, dem äußeren Gesetz der Hebräer sowie dem christlichen Gesetz des Herzens) gleichsetzte.* Seine Übertragung der Trias der Kräfte auf immer höher aufsteigende Ebenen der Spiritualität machte die historische Situation für seine Zeitgenossen sinnvoll und verstehbar. Wollte man das tiefste Sentiment, das den geistigen Spannungen des Westens seit dem Mittelalter zugrunde liegt, etwas drastischer formulieren, dann könnte man sagen, dass die Träger der westlichen Zivilisation kein sinnloser Anhang zur Geschichte der Antike sein wollen. Im Gegenteil, sie wollen ihre zivilisatorische Existenz als sinnvoll zum Ausdruck bringen. Wenn die Kirche nicht imstande ist, die Hand Gottes in der Geschichte der Menschheit wahrzunehmen, werden die Menschen nicht ruhig und zufrieden bleiben, sondern nach Göttern suchen, die für ihre zivilisatorischen Anstrengungen Interesse zeigen. Die Kirche gab ihre geistige Führungsrolle insofern auf, als sie den nachmittelalterlichen Menschen, der in einer komplexen Zivilisation, die sich in ihren Horizonten von Vernunft, Natur und Geschichte grundlegend von der durch die frühe Kirche absorbierten und durchdrungenen alten Zivilisation unterscheidet, nach einem Sinn sucht, allein ließ. Angesichts dieser Preisgabe des magisterium ist es nichtig, wenn christliche Denker die superbia des modernen Menschen, der sich nicht der Autorität der Kirche beugt, beklagen. Es ist zwar immer noch genügend superbia im Menschen vorhanden, um die Anklagen zu rechtfertigen; doch weicht die Klage dem eigentlichen Punkt aus, nämlich dass der nach einer Autorität suchende Mensch diese - ohne eigenes Verschulden - in der Kirche nicht finden kann. Aus der Unzufriedenheit, sich in einem sinnlosen zivilisatorischen Prozess zu befinden, stammen die mit Voltaire einsetzenden Versuche, durch die Evokation einer neuen "Heilsgeschichte" einen Sinn neu zu konstruieren. Und mit Voltaire setzte auch der konzertierte Angriff auf die christlichen Symbole ein, sowie der Versuch, ein Bild des Menschen im Kosmos unter der Leitung innerweltlicher Vernunft zu evozieren. Wir müssen uns nun diesem hoch wirksamen Angriff, der die apostatische Bewegung innerhalb einer Generation vom Deismus eines Descartes und Locke zum Atheismus eines Holbach und La Mettrie voranbrachte, zuwenden. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Apostasie

Titel: Apostasie

Stichwort: Voltaire (Éléments de la philosophie de Newton), Vernunft, Aufklärung; Newton; Seele: caritas - gratia; fides caritate formata (christliche Symbole); cognitio fidei

Kurzinhalt: Die Seele entwickelt die Fähigkeiten der cognito fidei, der Erkenntnis mittels des Glaubens in Bezug auf Angelegenheiten, die der natürlichen Vernunft nicht zugänglich sind

Textausschnitt: 42a Was ist Vernunft? Und wann ist der Mensch aufgeklärt? Die Antworten auf diese Fragen sind gewiss nicht einfach. Vernunft bestand bei Voltaire aus keiner philosophischen Idee wie in Kants Kritik, sondern bildete einen Komplex von Sentiments und Erkenntnissen, die aus verschiedensten Quellen gesammelt worden waren. Wir können ihn nur verstehen, wenn wir uns mit den ihn konstituierenden Faktoren befassen. Einer der für unsere Zwecke besonders wichtigen Faktoren ist die Identifikation mit einer rationalen Weltsicht - und zwar mit der der Philosophie Newtons. Während seines Aufenthaltes in England war Voltaire sehr von Lockes Philosophie und Newtons Physik angetan. [...]

42b Folglich ist eine Analyse der Elements die beste Einführung in die Position Voltaires. Bevor wir in die Analyse selbst eintreten, empfiehlt es sich, das Problem der Elements in einer systematischen Form zu formulieren. Kurz gesagt handelt es sich dabei um Folgendes: Die Symbole der christlichen Lehre in Bezug auf die menschliche Seele, die transzendente Realität und ihre Beziehungen zueinander sind kein Korpus von empirisch verifizierbaren Propositionen, die nach gebührender Prüfung als wahr akzeptiert werden müssen. Sie erlangen vielmehr ihre Bedeutung als Äußerungen eines geistigen Prozesses, in welchem die Seele mit Caritas für die übernatürliche Hilfe der gratia empfänglich wird. In dieser Antwort konstituiert sich die fides caritate formata, welche die Möglichkeit eröffnet, verstehend nach dem Übernatürlichen zu greifen. Die Seele entwickelt die Fähigkeiten der cognito fidei, der Erkenntnis mittels des Glaubens in Bezug auf Angelegenheiten, die der natürlichen Vernunft nicht zugänglich sind.1 Ohne die Wirklichkeit dieses geistigen Prozesses werden Theologumenon und Anthropologie zu leeren Hülsen. Ist die Substanz erst einmal verloren gegangen, so wird die professionelle theologische Beschäftigung mit ihnen zu jenen zweifelhaften katholischen wie auch protestantischen Kontroversen des siebzehnten Jahrhunderts degenerieren, die für die breite Mehrheit der westlichen Menschheit die Scholastik zu einem Synonym für Obskurantismus* gemacht haben. Ist jedoch nicht nur die Substanz verloren, sondern darüber hinaus auch das aktive Zentrum des intellektuellen Lebens auf die Ebene unseres Wissensstands über die äußere Welt abgeglitten - dann nehmen die Symbole, die das christliche geistige Leben zum Ausdruck bringen, die zuvor diskutierte Undurchsichtigkeit an. Sie werden entweder ganz aufgegeben, weil sie irrelevant geworden sind oder sie werden - sind die Sentiments der Tradition noch stark genug - rationaler Simplifizierung, psychologischer Interpretation und utilitaristischer Rechtfertigung ausgesetzt sein. Diese letzte Position - die Undurchsichtigkeit der Symbole, verbunden mit traditioneller Verehrung für sie - ist sowohl Newtons als auch Voltaires Position. (Fs) (notabene)

44a Wenn wir uns nun den Éléments selbst zuwenden, spüren wir, dass das geistige Leben der Seele im christlichen Sinne - und mit ihm die cognitio fidei - verschwunden ist. Das Wissen um die äußere Welt, insbesondere in der Astronomie und Physik, setzt den Standard dafür, was als Wissen anerkannt werden kann. Folglich darf die Diskussion der christlichen Symbole nicht mit der Analyse eines geistigen Prozesses eröffnet werden, sondern mit einer Formel, die die Anerkennung Gottes als biographische Tatsache im Leben Newtons andeutet: "Newton war von der Existenz Gottes zutiefst überzeugt." Die Quelle der Überzeugung bleibt für den Moment im Dunklen, und der nächste Schritt ist eine Definition: "Unter diesem Satz verstand er nicht nur ein infinites, allmächtiges Wesen, ewig und Schöpfer, sondern einen Meister, der zwischen sich und seinen Geschöpfen eine Beziehung herstellte." Der Definition folgt nun der "Grund" für die Annahme, dass zwischen Gott und seinen Geschöpfen eine Beziehung besteht: "Ohne diese Beziehung ist das Wissen von einem Gott nur eine sterile Idee, die aufgrund der Hoffnung auf Straffreiheit zu Verbrechen einlädt, denn jeder raisonneur ist verderbt geboren."1 Diese einleitenden Sätze der Elements bestimmen den Stil für die neue Haltung gegenüber den christlichen Symbolen. Die Existenz Gottes war zu einer menschlichen Überzeugung geworden, die, um von Nutzen zu sein, mit einem gewissen Inhalt besetzt werden muss. Die persönliche Beziehung zwischen Gott und seinen Geschöpfen muss postuliert werden, weil sich der Rechtsverletzer sonst nicht mehr aus Angst vor Strafe abschrecken ließe. Voltaire markiert hier die Richtung, die von einem Feuer und Schwefel-Christentum zu einem utilaristischen Lust und Schmerz-Kalkül führt. Und die abschließende Bemerkung enthält eine der gelegentlich tiefen Einsichten Voltaires: dass nämlich der Mensch, der denkt (der raisonneur), verderbt ist und der Angst vor Strafe bedarf, weil sein Leben nicht mehr durch Gnade und Liebe auf die Transzendenz hin orientiert ist. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Apostasie

Titel: Apostasie

Stichwort: Gott - Seele; Voltaire (Elements); credo ut intelligam -> intelligo ut credam; Verlust: analogia entis

Kurzinhalt: Für Voltaire gibt es keine Augustinische anima animi, von der der Mensch kraft seiner intentio nach der Transzendenz ausgreift ... Wäre es nicht möglich, dass Denken, ähnlich der Schwerkraft, eine Funktion von Materie ist?

Textausschnitt: b. Gott und Seele
45a Nach Aufstellung dieser Prinzipien erfolgt die Behandlung des untergeordneten Problems logischerweise mehr oder weniger zwangsläufig. Die "Überzeugung" von der Existenz Gottes ergibt sich aus einem Denkprozess, welcher aufgrund der durch die Physik enthüllten Ordnung des Universums zu dem Schluss kommt, dass die "Vernunft" von der Existenz eines Künstlers, der es geschaffen hat, überzeugt werden muss. Das christliche credo ut intelligam, das die Substanz des Glaubens voraussetzt, wird in ein intelligo ut credam verkehrt. Die Existenz Gottes wird zum Objekt einer Hypothese mit einem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad. Weiterhin ist die Grundlage der christlichen Theologie, die analogia entis, und mit ihr die Möglichkeit der Spekulation über die Attribute Gottes, verloren gegangen. "Die Philosophie kann beweisen, dass es einen Gott gibt; aber sie ist außer Stande zu lehren, was Gott ist und was Gott tut.", usw. Der Artikel über "Gott" im Dictionnaire Philosophique ergänzt diese Position durch pragmatische Argumente hinsichtlich der Nutzlosigkeit metaphysischer Spekulation: Wenn ich wüsste, dass Gott ein Geist ist - "wäre ich dann gerechter? Wäre ich ein besserer Ehemann, Vater, Lehrmeister, Bürger?" [...] "Ich möchte kein Philosoph sein, ich möchte ein Mensch sein."1 Die Seele muss das Schicksal Gottes teilen. Der geistige Prozess, das heißt die erfahrende Realität, die durch das Symbol "Seele" bezeichnet wird, existiert nicht mehr. Für Voltaire gibt es keine Augustinische anima animi, von der der Mensch kraft seiner intentio nach der Transzendenz ausgreift. Die menschliche Persönlichkeit hat die integrierende geistige Mitte mit ihren Phänomenen Liebe, Glaube, Hoffnung, Reue, Buße, Erneuerung, Hingebung verloren. Die einzige menschliche Fähigkeit, die übrig geblieben ist, ist das Denken (le penser). Und warum müssen wir eigentlich eine Seele voraussetzen, um die Funktion des Denkens zu erklären? Wäre es nicht möglich, dass Denken, ähnlich der Schwerkraft, eine Funktion von Materie ist? "Kann dir die Vernunft allein genügend Licht geben, um zu dem Schluss zu kommen, dass du, ohne übernatürliche Hilfe, eine Seele hast?"2 Wir können eine Seele nicht erfahren, und hätten wir sie, so könnten wir nicht zu ihrem Wesen vordringen, denn "Gott hat dir Einsicht gegeben, damit du dich gut führst, aber nicht damit du in das Wesen der Dinge eindringst, die Gott geschaffen hat."3 Auf die gleiche Weise entledigt man sich der Freiheit der Seele. Ob die Seele einen freien Willen hat oder nicht, das wissen wir nicht, und es macht auch nichts aus. In der Praxis verhalten wir uns, als ob wir frei wären.4 Über diesen Punkt hinaus ist Spekulation sinnlos, denn was immer wir auch denken, "die Räder, die die Maschine des Universums antreiben, verändern sich nie."5 (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Apostasie

Titel: Apostasie

Stichwort: Voltaire: Ablehnung einer personalen Ethik; Tugend als Handel von guten Taten; Identifikation des Guten mit dem gesellschaftlich Nützlichen

Kurzinhalt: Die transzendente Konstitution der Menschheit im Pneuma Christi wurde durch den Glauben in die innerweltliche Konstitution der Menschheit durch "Mitgefühl" ersetzt

Textausschnitt: 47a Voltaires geistiger Obskurantismus machte es ihm unmöglich, eine Philosophie der Moral um die Idee der geistig integrierten Persönlichkeit zu entwickeln. Die Probleme der Ethik wurden unter dem Titel "Natürliche Religion" abgehandelt. "Ich verstehe unter natürlicher Religion die Prinzipien der Moral, die der menschlichen Spezies gemeinsam sind."1 Solche gemeinsamen Regeln sollen deswegen existieren, weil sie der biologischen Struktur des Menschen entspringen und dem Zweck dienen, das Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen. Die grundlegende Regel ist somit eine kollektivierte Version der Goldenen Regel: Man sollte andere so behandeln, wie man selbst behandelt werden möchte. Die Regel gründet sich nicht auf der Voraussetzung einer geistigen Person oder der Anerkennung der geistigen Person im Mitmenschen; sie gründet sich vielmehr auf dem Nutzen für die Gesellschaft in Übereinstimmung mit dieser Regel. "In jeder Gesellschaft bezeichnet man Tugend als das, was für die Gesellschaft nützlich ist."2 Voltaire lehnt die Legitimität einer personalen Ethik explizit ab. "Was bedeutet es mir, dass du maßvoll bist. Du befolgst damit eine Regel der Gesundheit; es wird dir so besser ergehen und ich wünsche dir alles Gute: Du besitzt Glauben und Hoffnung, und ich wünsche dir umso mehr, dass es dir gut geht: dies wird dir das ewige Leben garantieren. Deine theologischen Tugenden sind Gaben des Himmels; deine Kardinaltugenden sind ausgezeichnete Qualitäten, die dir bei deinem Verhalten helfen; aber sie sind keine Tugend mit Blick auf deine Nachbarn. Der Weltkluge wird sich selbst Gutes tun, der Tugendhafte anderen Menschen." Der Heilige ist weder gut noch schlecht; er bedeutet uns nichts. "Tugendhaftigkeit unter Menschen ist ein Handel von guten Taten; wer nicht Teil dieses Handels ist, zählt nicht."3 (Fs)

48a Diese Passagen gewähren den vielleicht klarsten Einblick sowohl in das innerweltliche religiöse Sentiment als auch in die Ideen vom Menschen und die durch sie bestimmte Moralität. Die transzendente Konstitution der Menschheit im Pneuma Christi wurde durch den Glauben in die innerweltliche Konstitution der Menschheit durch "Mitgefühl" ersetzt. In diesem Punkt befand sich Voltaire in enger Anlehnung an Newton. "Newton glaubte, dass die Disposition, mit der wir in der Gesellschaft leben müssen, die Grundlage des Naturgesetzes ist." Die Disposition des Mitgefühls im Menschen ist so allgemein wie seine anderen Instinkte. "Newton kultivierte dieses Sentiment der Humanität und übertrug es auf die Tiere." [...] "Dieses Mitgefühl, das er für die Tiere empfand, wandelte sich in echte Nächstenliebe für seine Mitmenschen. In der Tat verdient der Philosoph kaum seinen Namen, wenn er nicht die Tugend aller Tugenden - die Humanität - besitzt."1 Offensichtlich sind hier Elemente des Stoizismus und des Averroismus in den Glauben an die Humanität als einem verfeinerten biologischen Instinkt, der der Existenz des animalischen Stammes dient, eingedrungen. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Apostasie

Titel: Apostasie

Stichwort: Voltaire: Vernunft; Menschlichkeit: allgemeine Disposition im Menschen, die sich aus seiner biologischen Struktur ergibt; Verlust der geistigen Erfahrung

Kurzinhalt: Vernunft ist ein Symbol, das einen Komplex von Sentiments und Ideen kennzeichnet. Das grundlegende Sentiment ist der innerweltliche Glaube an eine Gesellschaft ...

Textausschnitt: d. Die Bedeutung der Vernunft

50a Wir sollten jedoch nicht in den Fehler verfallen, die Übel der Zukunft Voltaire anzulasten. Der Mensch kann jede Religion, sei sie transzendent oder innerweltlich, dem Zwecke von Krieg und Verfolgung gefugig machen; und Voltaire hätte seine Stimme gegen innerweltliche religiöse Verfolgungen wahrscheinlich genauso heftig erhoben wie gegen die Christen seiner Zeit. Wir müssen zu den naheliegenderen Problemen Voltaires zurückkehren. Unsere Analyse hat die Bedeutung von Vernunft* wohl einigermaßen geklärt. Vernunft ist ein Symbol, das einen Komplex von Sentiments und Ideen kennzeichnet. Das grundlegende Sentiment ist der innerweltliche Glaube an eine Gesellschaft, die ihren Zusammenhalt in Mitgefühl und Menschlichkeit findet. Menschlichkeit ist eine allgemeine Disposition im Menschen, die sich aus seiner biologischen Struktur ergibt. Im negativen Sinne ist diese Haltung durch die Abwesenheit von unmittelbaren geistigen Erfahrungen gekennzeichnet. Als Folge dieses Mangels ist der symbolische Ausdruck der geistigen Erfahrungen undurchsichtig geworden und wird dahingehend missverstanden, dass ihre Gültigkeit von ihrer Resistenz gegenüber rationaler Kritik abhängt. Das Monopol legitimer Orientierung in der Welt wird prinzipiell den Methoden der Naturwissenschaften zugesprochen. Die Überbleibsel christlicher Orientierung gegenüber der Transzendenz müssen - wie die Existenz Gottes - im Begriff einer Hypothese gerechtfertigt werden, die auf einer Naturordnung basiert, wie sie durch die Physik enthüllt wird, oder - wie der Glaube an übernatürliche Bestrafung - auf ihrem pragmatischen Nutzen. Die geistige Orientierung und die Integration der Persönlichkeit werden als Problem ignoriert, die Prinzipien der Ethik von ihren geistigen Wurzeln getrennt und die Verhaltensregeln durch den Standard gesellschaftlichen Nutzens bestimmt. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Hitler and the Germans

Titel: Hitler and the Germans

Stichwort: Erste, zweite Realität; Doderer, Musil

Kurzinhalt: The expressions "first reality" and "second reality" were coined and worked out by Doderer and are to be found throughout all his writings.

Textausschnitt: 108b The expressions "first reality" and "second reality" were coined and worked out by Doderer and are to be found throughout all his writings. They were already used by Musil in his Man without Qualities, a man who also lives in the second reality and thus comes into conflict with the first. The consequence of living in the second reality is, exactly, conflict with the first reality, which indeed is not canceled by the fact that I make for myself a false idea of it and live according to it. Now the consequences of this conflict can be classified according to the two principal categories, contemplation and practice. (Fs)

108c In contemplation, the most important manifestation of the conflict between second and first reality is the construction of a system. Since reality has not the character of a system, a system is always false; and if it claims to portray reality, it can only be maintained with the trickery of an intellectual swindle. I have already spoken on this matter with regard to the specific cases of Marx and Nietzsche,1 but it is found wherever there is a system. Since this intellectual swindle is inherent in the conflict between second and first reality and in system construction, the will to swindle naturally originates here. The man is indeed pneumopathic, he is sick in spirit, and the matter can now become complicated by the fact that he is aware of this swindle, as is very clear, for example, in Nietzsche, who speaks explicitly about this problem. He constantly suffered from the fact that he swindled, because he knew what reality was from Pascal's case. The constant debate between Nietzsche and Pascal is stimulated precisely by his recognition of genuine reality in Pascal and his knowledge of himself as having a false idea of reality and that he constantly lived in this tension between the image of the swindle he is pursuing and the reality he admires in Pascal.2 (Fs)

109a In practice, the consequence of the conflict between second and first reality is, not the intellectual swindle, but the lie. The lie becomes the indispensable method because the second reality claims to be true, and since it constantly comes into conflict with the first reality, it is necessary to lie constantly: for example, one holds that the first reality is quite a different one from what it actually is, or that the second reality is most horribly misunderstood. (Fs) (notabene)

109b The result of this conflict of the lie in the practical sphere is the phenomenon of compact honesty at an intellectually less differentiated level. While on the intellectually more highly differentiated level of contemplation Marx or Nietzsche were still aware that they were swindling, there is no longer talk about swindling at the level of the swindling petit bourgeois. Instead he simply lies, and indeed with such a good conscience that he brings about this phenomenon of compact honesty and those other phenomena we saw the last time in those passages from Karl Kraus. So compact honesty is the result that so disconcerted Kraus-when these conflicts between second and first reality occur at a relatively low intellectual level." (Fs; Ende des Kapitels)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Theorie der Politik - Theorie der Geschichte; Repräsentation (Ermöglichung des Handelns in der Geschichte); Symbole; politische Wissenschaft heute: Studium der Institutionen (Legitimation des status quo)

Kurzinhalt: Wesen der Repräsentation selbst, als der Form, durch die eine politische Gesellschaft Existenz für ihr Handeln in der Geschichte gewinnt, vordringen. Die Analyse wird weiter zur Erforschung der Symbole vordringen

Textausschnitt: 1. Theorie der Politik - Theorie der Geschichte (eü)

17a Die Existenz des Menschen in politischer Gesellschaft ist geschichtliche Existenz. Eine Theorie der Politik, wenn sie zu den Prinzipien vorstößt, muß zu einer Theorie der Geschichte werden. Die folgenden Untersuchungen über Repräsentation, über das Zentralproblem einer Theorie der Politik, werden daher über eine bloße Beschreibung der konventionell sogenannten "repräsentativen Institutionen" hinausgehen und zum Wesen der Repräsentation selbst, als der Form, durch die eine politische Gesellschaft Existenz für ihr Handeln in der Geschichte gewinnt, vordringen. Die Analyse wird weiter zur Erforschung der Symbole fortschreiten, durch die politische Gesellschaften sich selbst als Repräsentanten einer transzendenten Wahrheit interpretieren. Und im Zuge der Symbolanalyse wird sich zeigen, daß die Reihe der Selbstinterpretationen sich als die Reihe der verstehbar aufeinanderfolgenden Phasen eines historischen Prozesses theoretisieren läßt. Die Untersuchung, die als Analyse der Repräsentationsphänomene beginnt, wird, in folgerechter Entfaltung der theoretischen Implikationen, in eine Philosophie der Geschichte ausmünden. (17; Fs) (notabene)

17b Es ist heute nicht üblich, ein theoretisches Problem der Politik bis zu dem Punkt zu verfolgen, an dem die Prinzipien der Politik mit denen einer Philosophie der Geschichte zusammentreffen. Der Versuch wird jedoch weniger als eine Neuerung in der politischen Wissenschaft erscheinen, denn als eine Er-Neuerung, wenn wir bedenken, daß die beiden Gebiete, die heute getrennt behandelt werden, untrennbar verbunden waren, als die politische Wissenschaft von Platon begründet wurde. Diese integrale Theorie der Politik wurde geboren aus der Krise der hellenischen Gesellschaft. In Krisenzeiten, wenn die Ordnung einer Gesellschaft sich auflöst, werden die Grundprobleme der politischen und historischen Existenz deutlicher als in Zeiten verhältnismäßiger Stabilität. Und seit der Antike ist, wie man generell sagen darf, die Schrumpfung der politischen Wissenschaft zu einer bloßen Beschreibung und Verteidigung der jeweils bestehenden Institutionen, d. h. die Degradierung der theoretischen Politik zur ancilla der herrschenden Mächte, typisch geblieben für stabile Situationen, während der Wuchs zu ihrer Großartigkeit als der Wissenschaft von menschlicher Existenz in Gesellschaft und Geschichte den revolutionären, kritischen Epochen vorbehalten war. In der abendländischen Geschichte hat es drei solche Epochen, begleitet von großen wissenschaftlichen Schöpfungen, gegeben: die Begründung der politischen Wissenschaft, der episteme politike, durch Platon und Aristoteles entsprang der hellenischen Krise; das Werk Augustins der Krise Roms und des Christentums; und Hegels Rechts- und Geschichtsphilosophie reflektierte das erste revolutionäre Beben der westlichen Krise. Dies sind jedoch nur die Hauptepochen und die ihnen entsprechenden, großen Gründungen und Restaurationen der politischen Wissenschaft. Die Jahrhunderte, die zwischen ihnen liegen, sind gegliedert durch kleinere Epochen und sekundäre Restaurationen - man denke z. B. für die Neuzeit an den großen Versuch Bodins in der Krise des 16. Jahrhunderts. (18; Fs)

18a Unter der Wiederherstellung, der Restauration der politischen Wissenschaft, soll das Wiedererwachen des Bewußtseins der Prinzipienfragen verstanden werden, nicht etwa die Rückkehr zu den spezifischen Inhalten eines der früheren Versuche. Die politische Wissenschaft kann heute nicht durch einen neuen Platonismus, Augustinismus oder Hegelianismus wiederhergestellt werden. Gewiß, wir haben von den Vorgängern viel über die Natur der Probleme und ihre theoretische Behandlung zu lernen; aber die Geschichtlichkeit der menschlichen Existenz, d. h. die Konkretisierung des Typischen in sinnvoller Singularität, macht eine gültige Neuformulierung der Prinzipien durch bloße Rezeption des historisch Vergangenen unmöglich. Die politische Wissenschaft kann nicht durch literarische Renaissancen wieder zum Rang einer theoretischen Wissenschaft im strengen Sinn erhoben werden. Ihre Prinzipien müssen durch ein Werk der Theoretisierung wiedergewonnen werden, das von der konkreten, historischen Situation unserer Zeit ausgeht und unser heutiges empirisches Wissen in seinem vollen Umfang in Betracht zieht. (18f; Fs)

19a Wenn die Bedingungen der Aufgabe in dieser Form gestellt werden, mag ihre Lösung als hoffnungslos erscheinen angesichts der Materialmassen, die uns heute von den empirischen Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften zur Verfügung gestellt werden. Der erste Eindruck ist jedoch irreführend. Die Schwierigkeiten der Aufgabe dürfen gewiß nicht unterschätzt werden, aber ihre Lösung ist heute durch die Vorarbeiten des letzten Halbjahrhunderts in den Bereich des Möglichen gerückt. Seit nunmehr zwei Generationen sind die Wissenschaften vom Menschen und der Gesellschaft in einem Prozeß theoretischer Erneuerung begriffen. Und die Bewegung, die in ihren Anfängen langsam war, aber nach dem ersten Weltkrieg sich beschleunigte, schreitet heute mit atemberaubender Geschwindigkeit voran. Die Aufgabe nähert sich ihrer Durchrführbarkeit, weil sie durch die konvergente Theoretisierung der relevanten Materialien in den Einzelwissenschaften zu einem sehr erheblichen Teil schon durchgeführt ist. Die vorliegenden Untersuchungen über Repräsentation wollen den Leser in eine Entwicklung der politischen Wissenschaft einführen, die der breiten Öffentlichkeit noch wenig bekannt geworden ist; und sie wollen weiterhin zeigen, daß die monographische Erforschung der Probleme in der Tat so weit gediehen ist, daß die Anwendung von Resultaten auf ein theoretisches Grundproblem der Politik zumindest versucht werden kann. (19f; Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation und Existenz; politische Wissenschaft nicht als tabula rasa; Sprachsymbole: der sozialen Wirklichkeiten - d. politischen W.; Beispiel: "Reich der Freiheit" - immanentisierte Hypostase; doxa, Ideologie

Kurzinhalt: Als Aristoteles seine Ethik und seine Politik schrieb ... erfand er weder diese Termini noch verlieh er ihnen willkürliche Bedeutungen; vielmehr nahm er die Symbole, die er in seiner sozialen Umwelt vorfand, prüfte sorgfältig die Bedeutungen, die ...

Textausschnitt: 1. Repräsentation und Existenz

1. Das aristotelische Verfahren kritischer Klärung

49a Die politische Wissenschaft leidet unter einer Problematik, die in ihrer Natur als Wissenschaft vom Menschen in historischer Existenz begründet ist: der Mensch wartet für die Auslegung seines Lebens nicht auf die Wissenschaft, und wenn der Theoretiker sich mit der sozialen Realität befassen will, findet er das Feld bereits von etwas beschlagnahmt, was man als die Selbstinterpretation der Gesellschaft bezeichnen kann. Denn die menschliche Gesellschaft ist mehr als eine Tatsache oder ein Ereignis in der Außenwelt, das ein Beobachter wie ein Naturphänomen untersuchen könnte. Zwar ist ihr Außenweltcharakter eine der Komponenten ihres Seins, aber im ganzen ist sie eine kleine Welt, ein Kosmion, von innen her mit Sinn erfüllt durch die menschlichen Wesen, die sie in Kontinuität schaffen und erhalten als Modus und Bedingung ihrer Selbstverwirklichung. Das Kosmion wird erhellt durch eine hochentwickelte Symbolik, in verschiedenen Graden von Kompaktheit und Differenzierung - vom Ritus über den Mythos zur Theorie -; und die Symbole lassen seinen Sinn aufleuchten, indem sie seine innere Struktur, die Relationen zwischen seinen Gliedern und Gruppen von Gliedern sowie auch seine Existenz als Ganzes für das Mysterium der menschlichen Existenz transparent machen. Die Selbsterhellung der Gesellschaft durch Symbole ist ein integraler Bestandteil der sozialen Realität, man kann sogar sagen ihr wesentlicher Bestandteil, denn durch eine solche Symbolisierung erfahren die Menschen die Gesellschaft, deren Glieder sie sind, als mehr denn eine bloße Zufälligkeit oder Annehmlichkeit; sie erfahren sie als Teil ihres menschlichen Wesens. Und umgekehrt drücken die Symbole das Erlebnis aus, daß der Mensch voll und ganz Mensch ist kraft seiner Teilnahme an einem Ganzen, das über seine gesonderte Existenz hinausgreift, kraft seiner Teilnahme am xynon, dem Gemeinsamen, wie Heraklit es genannt hat, der erste westliche Denker, der diesen Begriff differenzierte. Jede menschliche Gesellschaft gelangt also, ohne politische Wissenschaft, zu einem Verständnis ihrer selbst durch eine Vielfalt von Symbolen, manchmal höchst differenzierten Sprachsymbolen; und solches Selbstverständnis geht historisch um Jahrtausende der politischen Wissenschaft, der politike episteme im aristotelischen Sinne, voraus. Wenn die politische Wissenschaft anhebt, steht sie also nicht vor einer tabula rasa, auf der sie ihre Begriffe einritzen könnte; sie muß von dem reichen corpus der Selbstinterpretation einer Gesellschaft ausgehen, und sie wird ihre Aufgabe auf dem Wege kritischer Klärung der gesellschaftlich präexistenten Symbole lösen müssen. Als Aristoteles seine Ethik und seine Politik schrieb, als er seine Begriffe der Polis, der Verfassung, des Bürgers, der verschiedenen Regierungsformen, der Gerechtigkeit, der Glückseligkeit etc. bildete, erfand er weder diese Termini noch verlieh er ihnen willkürliche Bedeutungen; vielmehr nahm er die Symbole, die er in seiner sozialen Umwelt vorfand, prüfte sorgfältig die Bedeutungen, die sie im Sprachgebrauch hatten, und ordnete und klärte diese Sinngehalte nach den Kriterien seiner Theorie.1 (Fs)

51a Diese Präliminarien erschöpfen zwar keineswegs die eigenartige Situation der politischen Wissenschaft, aber sie dürften zureichen für den unmittelbaren Zweck, einige theoretische Schlüsse zu ziehen, die ihrerseits wieder auf das Thema der Repräsentation angewandt werden können. (Fs)

51b Wenn der Theoretiker auf seine eigene theoretische Situation reflektiert, sieht er sich zwei Reihen von Symbolen gegenüber: den Sprachsymbolen, die als integraler Teil des sozialen Kosmion zu dessen Selbsterhellung hervorgebracht werden, und den Sprachsymbolen der politischen Wissenschaft. Die beiden Reihen sind aufeinander bezogen, insoferne als die zweite Reihe aus der ersten hervorgegangen ist durch das Verfahren, das vorläufig als kritische Klärung bezeichnet wurde. Im Verlauf dieses Verfahrens werden einige in der Realität vorfindliche Symbole aufgegeben, weil sie in der Ökonomie der Wissenschaft nicht verwendbar sind, während neue Symbole in der Theorie entwickelt werden, um die in der Realität auftretenden Symbole adäquat zu beschreiben. Wenn der Theoretiker z. B. die marxistische Idee des Reiches der Freiheit, das auf dem Wege einer kommunistischen Revolution etabliert werden soll, als die immanentisierte Hypostase eines christlichen eschatologischen Symbols beschreibt, dann ist das Symbol "Reich der Freiheit" Teil der Realität; es ist Teil der säkularen Bewegung, von der die marxistische Bewegung ein Zweig ist, während Termini wie "immanentisiert", "Hypostase" und "Eschatologie" Begriffe der politischen Wissenschaft sind. Die in der Beschreibung verwendeten Ausdrücke kommen in der Realität der marxistischen Bewegung nicht vor, während das Symbol "Reich der Freiheit" als Begriff der kritischen Wissenschaft wertlos ist. Es gibt daher weder zwei Symbolreihen mit voneinander verschiedenen Bedeutungen, noch eine einzige Symbolreihe mit zwei verschiedenen Bedeutungsreihen; sondern es gibt zwei Symbolreihen, deren Phoneme sich häufig überdecken. Ferner sind die Symbole in der Wirklichkeit in beträchtlichem Ausmaß selbst das Ergebnis von Klärungsprozessen, so daß auch hinsichtlich ihrer Bedeutung die beiden Symbolreihen sich häufig sehr nahe kommen, manchmal sogar Identität erreichen. Diese komplizierte Situation ist unvermeidlich eine reiche Quelle von Mißverständnissen. Vor allem entspringt aus ihr die Illusion, daß die in der politischen Realität verwendeten Symbole theoretische Begriffe seien. (Fs)

52a Diese verwirrende Illusion hat leider die zeitgenössische politische Wissenschaft tief unterhöhlt. Man scheut sich z. B. nicht, von einer "Vertragstheorie" oder einer "Souveränitätstheorie" oder einer "Marxistischen Geschichtstheorie" zu sprechen, obwohl es mehr als fraglich ist, daß irgendeine dieser sogenannten Theorien sich als Theorie im kritischen Sinne qualifizieren läßt; und umfangreiche Geschichten der "Politischen Theorie" handeln von Symbolen, die in ihrer Mehrzahl sehr wenig Theoretisches an sich haben. Mißverständnisse dieser Art zerstören sogar einige Errungenschaften, die schon von der politischen Wissenschaft der Antike erzielt wurden. Man nehme z. B. die sogenannte Vertragstheorie. In dieser Theorie wird die Tatsache ignoriert, daß Platon eine sehr eingehende Analyse des Vertragssymbols gegeben hat. Nicht nur hat er seinen nicht-theoretischen Charakter festgestellt, sondern auch den Erfahrungstypus, der ihm zugrunde liegt, erforscht. Darüber hinaus hat er die Bezeichnung doxa als terminus technicus für jene Klasse von Symbolen eingeführt, von der die "Vertragstheorie" ein Spezialfall ist, um sie von den Symbolen der Theorie zu unterscheiden.2 Heute gebrauchen die Theoretiker nicht mehr den terminus doxa für diesen Zweck, so daß die Unterscheidung verloren gegangen ist. Stattdessen ist das Wort "Ideologie" in Mode gekommen, das in mancher Hinsicht dem platonischen doxa verwandt ist. Aber gerade dieses Wort wurde zu einer weiteren Quelle von Mißverständnissen, weil unter dem Druck des "allgemeinen Ideologieverdachts" (Mannheim) seine Bedeutung so weit ausgedehnt wurde, daß es alle Symboltypen umfaßt, die in Urteilen über die Politik gebraucht werden, die Symbole der Theorie eingeschlossen; es gibt heute zahlreiche politische Wissenschaftler, die sogar die platonisch-aristotelische episteme eine Ideologie zu nennen bereit sind. (Fs)

53a Ein weiteres Symptom solcher Verwirrung sind gewisse Gepflogenheiten in der Diskussion. Mehr als einmal fragte mich in einer Diskussion über ein politisches Thema ein Student - und nicht immer nur ein Student -, wie ich den Faschismus oder Sozialismus oder einen anderen "ismus" dieser Ordnung definiere. Und mehr als einmal mußte ich den Fragesteller - der anscheinend im Verlauf seines Universitätsstudiums die Vorstellung gewonnen hatte, die Wissenschaft sei ein Warenhaus für lexikale Definitionen - in Erstaunen versetzen durch meine Versicherung, daß ich mich nicht verpflichtet fühle, mich auf Wortdefinitionen einzulassen, da Bewegungen vom angedeuteten Typ einschließlich ihrer Symbole Teil der Realität seien, daß nur Begriffe, nicht aber die Realität definiert werden könnten und daß es höchst zweifelhaft sei, ob die in Frage stehenden Sprachsymbole kritisch so weit geklärt werden könnten, daß sie von irgendwelchem Erkenntniswert in der Wissenschaft seien. (Fs)

54a Der Boden ist nun vorbereitet, um das Thema der Repräsentation selbst anzugehen. Die vorausgegangenen Erwägungen haben wohl verdeutlicht, daß die Aufgabe nicht ganz einfach sein kann, wenn die Untersuchung gemäß den Kriterien einer Wahrheitssuche geführt wird. Theoretische Begriffe und solche Symbole, die Teil der Realität sind, müssen sorgsam auseinandergehalten werden; beim Übergang von der Wirklichkeit zur Theorie müssen die beim Klärungsvorgang angewandten Kriterien genau definiert werden; und der Erkenntniswert der gewonnenen Begriffe muß daran geprüft werden, ob sie sich in größere theoretische Zusammenhänge einfügen lassen. Die hier umrissene Methode ist im wesentlichen das aristotelische Verfahren. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation im deskriptiven Sinn; Institutionen innerhalb eines existentiellen Rahmens; deskriptiv-elementare Ebene

Kurzinhalt: Wenn repräsentative Institutionen auf dieser Ebene theoretisiert werden, dann beziehen sich die Begriffe, die in die Konstruktion des deskriptiven Typus aufgenommen werden, auf einfache Daten der Außenwelt.

Textausschnitt: 2. Repräsentation im deskriptiven Sinn

54a Es dürfte angebracht sein, mit den elementaren Aspekten des Themas zu beginnen. Um festzulegen, was theoretisch elementar ist, wird es gut sein, sich den Anfang dieses Kapitels ins Gedächtnis zurückzurufen. Eine politische Gesellschaft wurde als ein von innen her erhelltes Kosmion charakterisiert; diese Charakteristik wurde jedoch durch die Hervorhebung des Außenweltscharakters als einer seiner Seinskomponenten qualifiziert. Das Kosmion hat seinen inneren Sinnbereich; aber dieser Bereich existiert sinnlich greifbar in der Außenwelt in menschlichen Wesen, die Körper besitzen und mit diesen Körpern an dem organischen und anorganischen Gefüge der Welt teilhaben. Eine politische Gesellschaft kann sich nicht nur auflösen durch die Zersetzung des Glaubens, der sie zu einer handelnden Einheit in der Geschichte macht; sie kann auch zerstört werden durch Zerstreuung ihrer Glieder, so daß Kommunikation zwischen ihnen physisch unmöglich wird, oder, am radikalsten, durch deren physische Ausrottung; sie kann auch ernsthaften Schaden, teilweise Zerstörung ihrer Tradition und andauernde Lähmung erleiden durch Vernichtung oder Unterdrückung der aktiven Glieder, die in jeder Gesellschaft die politisch und intellektuell herrschende Minderheit sind. Die sinnlich-äußere Existenz einer Gesellschaft in diesem Sinne ist gemeint, wenn wir - aus Gründen, die sogleich aufgezeigt werden - von dem theoretisch elementaren Aspekt unseres Themas sprechen. (Fs)

55a In der politischen Debatte, in der Presse und in der publizistischen Literatur wird von Ländern wie den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich, der Schweiz, den Niederlanden oder den Skandinavischen Königreichen gewöhnlich als von Ländern mit repräsentativen Institutionen gesprochen. In Zusammenhängen dieser Art tritt der Terminus als ein Symbol in der politischen Realität auf. Wenn jemand, der sich dieses Symbols bedient, aufgefordert würde zu erklären, was er damit meint, würde er ziemlich sicher antworten, daß die Institutionen eines Landes repräsentativen Charakter hätten, wenn die Mitglieder der gesetzgebenden Versammlung ihre Mitgliedschaft kraft Volkswahl besitzen. Wenn das Fragen auf die Exekutive ausgedehnt wird, so wird er die amerikanische Wahl eines obersten Exekutivorgans durch das Volk als repräsentativ akzeptieren, er wird aber auch dem englischen System eines Ausschusses der parlamentarischen Majorität als Ministerrat zustimmen, oder dem Schweizer System, bei dem die Exekutive durch beide Kammern in gemeinsamer Sitzung gewählt wird. Und wahrscheinlich wird er nicht finden, daß die Institution der Monarchie dem repräsentativen Charakter Abbruch tut, solange der Monarch zu seinen Handlungen die Gegenzeichnung eines verantwortlichen Ministers benötigt. Wenn der Gefragte gedrängt wird, sich etwas klarer auszudrücken über das, was er unter einer Volkswahl versteht, so wird er vor allem an die Wahl eines Repräsentanten durch alle volljährigen Personen, die in einem territorial begrenzten Wahlbezirk ansässig sind, denken; aber er wird wahrscheinlich den repräsentativen Charakter nicht absprechen, wenn Frauen vom Wahlrecht ausgeschlossen sind oder wenn, unter einem System proportionaler Repräsentation, die Wählerschaft personell und nicht territorial aufgegliedert ist. Schließlich mag er bedenken, daß Wahlen in angemessenen Perioden stattfinden sollten, und er wird von den Parteien sprechen, die im Wahlverfahren eine Organisations- und Vermittlungsfunktion hätten. (Fs)

56a Was kann der Theoretiker mit einer Antwort dieser Art in der Wissenschaft anfangen? Hat sie irgendwelchen Erkenntniswert? (Fs)

56b Offensichtlich ist die Antwort nicht als unbeachtlich abzutun. Gewiß, man muß die Existenz der angeführten Länder als gegeben annehmen, ohne allzuviel zu fragen, wodurch sie existieren oder was Existenz bedeutet. Aber wenn auch der existentielle Rahmen selbst im Schatten bleibt, so fällt doch Licht auf ein Gebiet von Institutionen innerhalb des Rahmens. Eine Anzahl von Ländern, deren Institutionen unter den angedeuteten Typus subsumiert werden können, existiert in der Tat; und wenn die Erforschung von Institutionen überhaupt relevant ist, so verweist diese Antwort zweifellos auf einen gewaltigen Bestand wissenschaftlicher Erkenntnisse. Ferner existiert dieser Wissensbestand als massive Tatsache der Wissenschaft in der Form zahlreicher monographischer Studien über die Institutionen einzelner Länder, sowie in der Form von vergleichenden Studien, die den Typus und seine Varianten herausarbeiten. Weiterhin kann über die theorezische Relevanz solcher Studien kein Zweifel bestehen, zumindest nicht prinzipiell, weil die äußere Existenz einer politischen Gesellschaft zu ihrer ontischen Struktur gehört. Wie auch immer der Relevanzgrad dieser Studien zu bewerten sein mag, wenn sie in einen größeren theoretischen Zusammenhang gestellt werden, so haben die Typen der außenweltlichen Realisierung einer Gesellschaft doch immer irgendeinen Grad von Relevanz. (Fs)

57a Wenn repräsentative Institutionen auf dieser Ebene theoretisiert werden, dann beziehen sich die Begriffe, die in die Konstruktion des deskriptiven Typus aufgenommen werden, auf einfache Daten der Außenwelt. Sie beziehen sich auf geographische Bezirke; auf Menschen, die in ihnen wohnen; auf Männer und Frauen; auf deren Alter; auf Wahlakte, die darin bestehen, daß Zeichen auf Papierstücke neben Namen, die darauf gedruckt sind, gesetzt werden; auf die Zählungsoperationen, die zur Bezeichnung anderer Menschen als Repräsentanten führen; auf das Verhalten dieser Repräsentanten in formalen Handlungen, die durch äußere Anzeichen als solche erkenntlich sind; etc. Weil die Begriffe auf dieser Ebene, insofern sie nichts mit der Selbstinterpretation einer Gesellschaft zu tun haben, unproblematisch sind, kann dieser Aspekt unseres Themas als elementar betrachtet werden; und der Typus der Repräsentation, der auf dieser Ebene entwickelt werden kann, soll darum der deskriptive Typus genannt werden. (Fs)

57b Die Relevanz der Behandlung des Themas auf der deskriptiv-elementaren Ebene wäre damit grundsätzlich festgestellt. Ihr Erkenntniswert kann jedoch nur dadurch gemessen werden, daß man den Typus in den bereits angedeuteten weiteren theoretischen Kontext hineinstellt. Der deskriptive Typus, sagten wir, wirft Licht lediglich auf ein Feld von Institutionen innerhalb eines existentiellen Rahmens, der als fraglos vorausgesetzt wird. Es müssen daher jetzt einige Fragen betreffend den Bereich aufgeworfen werden, der bisher im Schatten blieb. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Gnosis; Voegelin: Gnosis-Theorie (Walgreen Lectures); Abwendung von der Transzendenz: spezifisches Merkmal der modernen Gesellschaft; Problem d. Repräsentation; 3 Typen von Wahrheit (kosmisch, anthropologisch, soteriologisch)

Kurzinhalt: Wenn unter Rationalität das Akzeptieren der Realitätsverfassung in ihrer ganzen Tiefenstruktur bis in die Transzendenz des göttlichen Seinsgrundes verstanden wird ... dann bedeutete die Abwendung von dieser Erfahrung ... einen Verlust an Rationalität.

Textausschnitt: 12a Voegelin hatte die Einladung zu den renommierten Walgreen Lectures an der University of Chicago - im Jahre zuvor hatte sie Leo Strauss zum Thema »Naturrecht und Geschichte« gehalten - Mitte Februar 1950 erhalten. Es handelte sich um einen Zyklus von sechs Einzelvorlesungen, die sich mit einem Gegenstand aus dem Bereich der amerikanischen Institutionen befassen sollten. Aufgrund dieser inhaltlichen Vorgabe hatte Voegelin eine systematische Befassung mit der Repräsentationsproblematik vorgeschlagen und angeboten, sich dabei vor allem auf Materialien der englischen und amerikanischen Tradition zu beziehen.1 Im Herbst 1950 hatte sich der Vorsitzende der Walgreen Foundation, Jerome G. Kerwin, erneut an Voegelin gewandt. Nach der Lektüre eines kurz zuvor in der Review of Politics erschienenen Essays von Voegelin über den Marxismus2 fragte er an, ob Voegelin die Vorlesungen nicht einer philosophischen Analyse des Marxismus, der großen Herausforderung der Demokratie, widmen wolle. Mit Hinweis auf die schon weit fortgeschrittene Ausarbeitung der Vorlesungen - die ersten drei Vorlesungen lagen druckfertig vor - lehnte Voegelin ab. Er versprach jedoch, bei der Behandlung der Repäsentationsproblematik auch auf »die Entstehung der modernen politischen Massenbewegungen aus dem gnostischen Sektierertum« einzugehen, auch auf den Marxismus als »Variante des mittelalterlichen Gnostizismus«, dessen Prinzipien er einer besonderen philosophischen Analyse unterziehen würde.3 (Fs)

12b Dieser Brief Voegelins enthält einen der ersten Hinweise - vielleicht ist es sogar der erste überhaupt - auf die Gnosis-These. Allerdings ist das Gewicht, das sie in der New Science schließlich haben wird, auch jetzt noch nicht erkennbar. Daß dieses sich vermutlich sogar erst beim Schreiben der letzten der Vorlesungen bildete, lassen auch die Titel der drei der Moderne gewidmeten Vorlesungen vermuten, die Voegelin Anfang Dezember 1950 der Walgreen Foundation vorlegte: IV. The Third Realm - The Nature of Modernity; V. The People of God - the English Case; VI. The End of Modernity. Anders als später bei den Kapitelüberschriften der New Science enthalten sie noch keinen Hinweis auf Gnosis oder Gnostizismus. Dasselbe gilt für die Aufsätze, die Voegelin Ende der 40er Jahre veröffentlichte; auch in ihnen findet sich der Begriff Gnosis nur sehr vereinzelt. Das gilt selbst für den erwähnten Aufsatz über Karl Marx, der zwar mit einem »Gnostische Revolte« betitelten Abschnitt beginnt, in dem jedoch nichts darauf hindeutet, daß der Begriff der Gnosis bald zur zentralen Kategorie zur Interpretation der Moderne avancieren würde. Dasselbe gilt für zwei weitere wichtige Kapitel zur Neuzeit in der History, die Voegelin Ende der 40er Jahre abschloß4: das Machiavelli-Kapitel, in dem er nur an einer Stelle vom »Gnostizismus der politischen Intellektuellen«5 spricht, sowie das Kapitel »The People of God«. In letzterem ist zwar vom »Gnostizismus des Freien Geistes« die Rede, der sich in den »Gnostizismus der Aufgeklärten Vernunft« verwandelt; doch auch hier findet sich der Begriff nur selten,6 obwohl der Text selbst für die Argumentation von zentraler Bedeutung ist. Dazu später mehr; wenden wir uns zunächst den Walgreen Lectures zu, in deren Gesamtzusammenhang die Gnosis-These entwickelt wird. (Fs)

13a Wie angekündigt stand im Zentrum der Walgreen Lectures - ihr Obertitel lautete Truth and Representation - der Begriff der Repräsentation. Nachdem in der ersten Vorlesung die existentielle Dimension der Repräsentationsproblematik in ihren wichtigsten Aspekten -Sicherung von Frieden und Wohlstand im Innern und Schutz gegenüber äußeren Feinden - entfaltet worden war, verwies die folgende Vorlesung nun auf eine weitere - und letztlich wesentlichere - Dimension der Repräsentation. Ausgehend von dem empirischen Befund, daß alle politischen Gesellschaften sich selbst als Repräsentanten einer sie übergreifenden »Wahrheit« verstanden und verstehen, entwickelte Voegelin den Begriff der »transzendenten Repräsentation«. Auf sie und den ihr zugrundeliegenden Anspruch, »Wahrheit« zu repräsentieren, konzentrierten sich die folgenden Vorlesungen, in denen am empirischen Material drei Typen von »Wahrheit« herausgearbeitet wurden: Eine erste Form zeigte sich in den alten Reichen des Nahen Ostens, die sich als Repräsentanten der kosmischen Ordnung verstanden und analog zum umfassenden Makrokosmos das Reich als Mikrokosmos interpretierten und ordneten. Ein Bruch mit dieser »kosmologischen Wahrheit« vollzog sich mit der griechischen Philosophie, mit der eine neue Stufe des Weltverständnisses und damit von »Wahrheit« erreicht wurde. Den Anstoß bildeten Transzendenzerfahrungen, in denen das Göttliche als außerkosmisch situiert erfahren und die Seele als das Sensorium dieser Partizipation am göttlichen Seinsgrund entdeckt wurde. Dieser dem transzendenten Seinsgrund gegenüber offene und in dieser Offenheit zugleich sich psychisch ordnende Mensch - der Philosoph - wurde damit zum Repräsentanten einer neuen »theoretischen« bzw. »anthropologischen Wahrheit«. Eine weitere Variante von »Wahrheit« - Voegelin spricht von »soteriologischer Wahrheit« - entwickelt sich mit dem Christentum. Eine Darstellung des Kampfes dieser drei Typen von »transzendenter Repräsentation« um die existentielle Repräsentation im Römischen Reich beschloß den ersten Teil der Vorlesungen. (Fs) (notabene)

14a Ein zentraler Punkt besteht nun darin, daß Voegelin diese drei Typen von »Wahrheit« und die ihnen zugrunde liegenden und sie damit begründenden »Erfahrungen« nicht isoliert und gleichwertig nebeneinanderstellte, sondern als Abfolge eines Prozesses deutete, in dessen Verlauf der Mensch »das Verständnis seiner Menschlichkeit und gleichzeitig das Verständnis ihrer Grenzen gewinnt.«7 Der Punkt, an dem sich in diesem Prozeß der differenzierende geistige Fortschritt ereignet, ist die Beziehung des Menschen zu Gott, dessen außerkosmische Transzendenz sich erst in den differenzierenden Erfahrungen der griechischen Philosophie, der israelitischen Offenbarung und des Christentums erschloß. Während jene Bewegungen der Psyche auf das als jenseitig erfahrene göttliche Sein für Voegelin zum kognitiven Kern von Rationalität wurden, manifestierte sich diese Rationalität in der Akzeptanz der durch die in jenen »Erfahrungen« transparent gewordenen Seinsverfassung. (Fs) (notabene)

15a Damit war das Fundament gelegt, von dem aus Voegelin nun die westliche Moderne in ihrer besonderen geistigen Struktur sowohl darstellen wie bewerten konnte. Dabei ergab sich aus den bisher entwickelten Prämissen eine Konsequenz: Wenn unter Rationalität das Akzeptieren der Realitätsverfassung in ihrer ganzen Tiefenstruktur bis in die Transzendenz des göttlichen Seinsgrundes verstanden wird und wenn sich der Grad dieser Rationalität aus einem möglichst differenzierten Wissen um diese Struktur ergibt, dann bedeutete die Abwendung von dieser Erfahrung und der sich mit ihr enthüllenden Realitätsverfassung zugleich einen Verlust an Rationalität. Eine solche Abwendung von der Transzendenz ist nun aber ein spezifisches Merkmal der modernen Gesellschaft; ihr und dem Typus der von ihr repräsentierten »gnostischen Wahrheit« widmeten sich die drei abschließenden Vorlesungen. Mit ihnen beginnt die Gnosis-These. (Fs)

15b Die Erfahrungen der griechischen Philosophen und der christlichen Denker hatten ein doppeltes Ergebnis: Indem sie die radikale Transzendenz des Seinsgrundes ins Bewußtsein hoben, zerstörten sie die »kosmologische Wahrheit« von der Göttlichkeit des Kosmos und leiteten einen Prozeß ein, der zur Entgöttlichung des Kosmos und der temporalen Sphäre der Macht führte. Damit verwandelte sich aber nicht nur die Geschichte auf der Machtebene in ein sinnloses Geschehen, es veränderte sich auch die Vorstellung von der Erfüllung und Vollendung menschlicher Existenz. Nach christlicher Vorstellung erfolgte diese nicht in dieser Welt, sondern in der visio beatifica, durch Gnade im Tod. In der vierten - für die Gnosis-These zentralen - Vorlesung skizzierte Voegelin nun die Prozesse, in deren Verlauf es seit dem Hochmittelalter zur Wiedervergöttlichung der Welt kam.8 Dabei arbeitete er vor allem die entscheidende Rolle der Geschichtsspekulation von Joachim von Fiore heraus, dessen trinitarische Eschatologie nicht nur zum Modell eines Denkens wird, in dem die Geschichte als ein zielgerichteter, auf innerweltliche Erfüllung drängender Prozeß verstanden wird, sondern die auch die zentralen Kategorien und Symbole liefert, die von nun an die Selbstinterpretation der modernen politischen Gesellschaft bestimmen. Das gilt insbesondere für das Symbol des »Dritten Reiches«.9 Von weitreichender Bedeutung für diese Prozesse erwies sich eine Reihe zentraler Elemente - vor allem das Absterben des Transzendenzbewußtseins und das Hineinziehen des christlichen Eschatons aus dem Jenseits in die Geschichte, die damit wieder sinnvoll wurde und ein Ziel erhielt, das nicht nur spekulativ erfaßt, sondern auch aktivistisch realisiert werden konnte. Voegelin arbeitete bei dieser Darstellung die drei zentralen Varianten des politischen Gnostizismus heraus: den Utopismus mit seiner spekulativen Ausmalung einer vollkommenen Gesellschaft; den Progressivismus, der in den Fortschrittsideologien den Weg in die immanente Vollendung weist; und den revolutionären Aktivismus, der Strategien für die Schaffung der vollkommenen Gesellschaft und die Schöpfung des vollkommenen Menschen entwirft und in die Tat umsetzt.10 Letzterem ist die fünfte Vorlesung gewidmet, die am Fall der puritanischen Bewegungen im 16. Jahrhundert den Aufstieg der gnostischen Sekten und ihren Kampf um die existentielle Repräsentation darstellt. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation im deskriptiven Sinn: Ungenügen; repräsentativer Charakter der Sowjetinstitutionen; keine Übereinstimmung über Reräsentation

Kurzinhalt: ... ein repräsentatives System ist nur dann wirklich repräsentativ, (1) wenn es keine Parteien, (2) wenn es eine Partei, (3) wenn es zwei oder mehr Parteien gibt, oder (4) wenn die zwei Parteien als Flügel einer Partei angesehen werden können.

Textausschnitt: 3 Ungenügen des deskriptiven Repräsentationsbegriffs

58a Beim Aufwerfen dieser Fragen werden wir uns wieder an das aristotelische Verfahren halten, die Symbole, wie sie in der Wirklichkeit vorkommen, zu untersuchen. Ein geeigneter Anlaß für solches Fragen ist der repräsentative Charakter der Sowjetinstitutionen. Die Sowjetunion besitzt eine Verfassung, sogar eine geschriebene, die Institutionen vorsieht, welche im großen ganzen unter den deskriptiven Typus der Repräsentation subsumiert werden können. Dennoch gehen die Meinungen in bezug auf ihren repräsentativen Charakter zwischen den westlichen Demokraten und den Kommunisten weit auseinander. Der Westen erklärt, daß es mit dem Mechanismus der Repräsentation allein nicht getan sei, daß der Wähler eine echte Wahl haben müsse und daß das Parteimonopol, das die Sowjetverfassung vorsieht, eine Wahl unmöglich mache. Die Kommunisten halten dem entgegen, daß das Anliegen des wahren Repräsentanten das Interesse des Volkes zu sein habe, daß der Ausschluß von Parteien, welche Sonderinteressen vertreten, notwendig sei, um die Institutionen wirklich repräsentativ zu machen, und daß nur Länder, in denen das Monopol der Repräsentation der kommunistischen Partei vorbehalten ist, genuine Volksdemokratien seien. Das Argument dreht sich somit um die Mittlerfunktion der Partei im Repräsentationsprozeß. (Fs)

58a Der Fall ist zu unklar, um sofort ein Urteil zu fällen. Die Situation regt vielmehr dazu an, noch etwas tiefer zu schürfen; und die Verwirrung läßt sich ohne Mühe steigern, wenn man sich vergegenwärtigt, daß zur Zeit der Gründung der amerikanischen Republik hervorragende Staatsmänner der Meinung waren, daß wahre Repräsentation nur möglich sei, wenn es überhaupt keine Parteien gibt. Andere Denker wieder schreiben das Funktionieren des englischen Zweiparteiensystems der Tatsache zu, daß die zwei Parteien ursprünglich zwei Fraktionen der englischen Aristokratie waren; und wieder andere entdecken auf dem Grunde des amerikanischen Zweiparteiensystems eine Homogenität, die die beiden Parteien als Flügel einer einzigen Partei erscheinen läßt. Wenn man die Vielfalt der Meinungen zusammenfaßt, läßt sich daher die folgende Reihe bilden: ein repräsentatives System ist nur dann wirklich repräsentativ, (1) wenn es keine Parteien, (2) wenn es eine Partei, (3) wenn es zwei oder mehr Parteien gibt, oder (4) wenn die zwei Parteien als Flügel einer Partei angesehen werden können. Um das Bild zu vervollständigen, sei schließlich noch der Typenbegriff des Mehrparteienstaates hinzugefügt, der nach dem ersten Weltkrieg Schule machte mit seiner Implikation, ein repräsentatives System sei nicht arbeitsfähig, wenn es zwei oder mehr Parteien habe, die in Grundfragen nicht übereinstimmen. (Fs) (notabene)

59a Aus dieser Mannigfaltigkeit von Meinungen darf man schließen, daß der elementar-deskriptive Typus repräsentativer Institutionen das Problem der Repräsentation nicht erschöpft. Durch den Meinungskonflikt hindurch läßt sich der Konsensus erkennen, daß das Repräsentationsverfahren nur dann sinnvoll ist, wenn gewisse, seine Substanz betreffende Erfordernisse erfüllt sind, und daß die verfassungsmäßige Einrichtung des Verfahrens nicht automatisch die gewünschte Substanz liefert. Weiter besteht Übereinstimmung darüber, daß gewisse Mittlerinstitutionen, die Parteien, etwas mit der Wahrung oder Korrumpierung dieser Substanz zu tun haben. Jenseits dieses Punktes jedoch beginnt die Konfusion. Die fragliche Substanz steht irgendwie mit dem Willen des Volkes in Zusammenhang, jedoch wird nicht klar, was mit dem Symbol "Volk" gemeint ist. Dieses Symbol muß zu späterer Prüfung beiseite gestellt werden. Ferner deutet die Meinungsverschiedenheit über die Zahl der Parteien, die das Einströmen der Substanz garantieren oder verhindern, auf ein tiefer liegendes, nicht zureichend analysiertes Problem hin, das durch das Zählen der Parteien nicht erfaßt werden kann. Ein Typenbegriff wie der "Einparteienstaat" muß daher als theoretisch von zweifelhaftem Wert betrachtet werden. In der Tagesdebatte mag er zur kurzen Bezugnahme brauchbar sein, er ist aber offensichtlich nicht zureichend geklärt, um in der Wissenschaft annehmbar zu sein. Er gehört der elementaren Klasse an wie der deskriptive Typenbegriff repräsentativer Institutionen. (Fs)

60a Diese ersten methodischen Fragen haben zwar nicht in eine Sackgasse geführt, aber der Gewinn ist unsicher, weil zuviel auf einmal einbezogen wurde. Das Problem muß zum Zweck der Klärung eingeschränkt werden; und aus diesem Anlaß ist weiteres Reflektieren über das reizvolle Thema der Sowjetunion angezeigt. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation im existentiellen Sinn; Artikulierung der Gesellschaft zur historischen Existenz (als Voraussetzung fürRepräsentation)

Kurzinhalt: Dieser Prozeß, in dem eine Vielzahl von Menschen sich zu einer handlungsfähigen Gesellschaft gestaltet, soll die Artikulierung einer Gesellschaft, ihr Durchbruch zur historischen Existenz genannt werden.

Textausschnitt: 4. Repräsentation im existentiellen Sinn

60b Wenn es auch radikale Meinungsverschiedenheiten darüber geben mag, ob die Sowjetregierung das Volk repräsentiert, so kann doch nicht der geringste Zweifel daran bestehen, daß die Sowjetregierung die Sowjetgesellschaft im Sinne einer politischen Gesellschaft, die für geschichtliche Aktion in Form ist, repräsentiert. Die Gesetze und Verwaltungsmaßnahmen der Sowjetregierung sind innerstaatlich wirksam in dem Sinne, daß die Anordnungen der Regierung, abgesehen von dem politisch irrelevanten Spielraum des Ungehorsams, beim Volk Gehorsam finden; und die Sowjetunion ist eine Macht auf dem historischen Schauplatz, weil ihre Regierung eine enorme Militärmaschine, die aus den menschlichen und materiellen Hilfsquellen der Sowjetgesellschaft gespeist wird, wirksam in Bewegung setzen kann. (Fs)

61a Auf den ersten Blick zeigt sich schon, daß mit solchen Urteilen das Argument sich theoretisch viel fruchtbarerem Boden genähert hat. Denn mit der Bezeichnung der politischen Gesellschaften als handlungsfähiger Einheiten rücken die klar unterscheidbaren Machteinheiten in der Geschichte ins Blickfeld. Politische Gesellschaften müssen, um handlungsfähig zu sein, eine innere Struktur besitzen, kraft deren einige ihrer Glieder - der Herrscher, die Regierung, die Fürsten, der Souverän, die Obrigkeit etc., je nach der Terminologie der Zeiten - imstande sind, für ihre Befehlsakte regelmäßigen Gehorsam zu finden; und diese Akte müssen den existentiellen Bedürfnissen einer Gesellschaft dienlich sein, wie dem Schutz des Reiches und der Wahrung des Rechts - wenn eine mittelalterliche Klassifikation der Zwecke gestattet ist. Solche Gesellschaften, die zum Handeln organisiert sind, existieren jedoch nicht von Ewigkeit als kosmische Tatbestände, sondern sie wachsen in der Geschichte. Dieser Prozeß, in dem eine Vielzahl von Menschen sich zu einer handlungsfähigen Gesellschaft gestaltet, soll die Artikulierung einer Gesellschaft, ihr Durchbruch zur historischen Existenz genannt werden. Als Ergebnis der politischen Artikulierung gibt es dann Menschen, die wir Herrscher nennen, die für die Gesellschaft handeln können, Männer, deren Handlungen nicht ihrer Person, sondern der Gesellschaft als einem Ganzen zugerechnet werden - was zur Folge hat, daß z. B. die Verkündung einer allgemeinen, ein menschliches Lebensgebiet regelnden Vorschrift nicht als eine ethische Lektion angesehen, sondern von den Gliedern der Gesellschaft als Erlaß einer Vorschrift verstanden wird, die für sie verbindliche Gültigkeit besitzt. Wenn die Handlungen einer Person auf diese Weise wirksam der Gesellschaft zugerechnet werden, dann ist sie deren Repräsentant. (Fs) (notabene)

62a Wenn die Bedeutung der Repräsentation in diesem Kontext auf wirksame Zurechnung gegründet werden soll, wird es jedoch nötig sein, die Repräsentation von anderen Typen der Zurechnung zu unterscheiden; es wird nötig sein, den Unterschied zwischen einem Agenten und einem Repräsentanten zu klären. Unter einem Agenten soll daher eine Person verstanden werden, die von ihrem Auftraggeber ermächtigt wurde, ein spezielles Geschäft nach Weisungen durchzuführen, während unter einem Repräsentanten eine Person verstanden werden soll, die kraft ihrer Position im Gefüge der Gemeinschaft befugt ist, ohne besondere Weisungen für ein spezielles Geschäft, für eine Gesellschaft zu handeln, und gegen deren Handlungen die Glieder der Gesellschaft nicht wirksam Widerstand leisten. Ein Delegierter bei den Vereinten Nationen z. B. ist ein Agent seiner Regierung und handelt nach Weisungen, während die Regierung, die ihn delegiert hat, der Repräsentant der betreffenden politischen Gesellschaft ist. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation und Artikulierung der Gesellschaft; Prozess der Artikulierung: Magna Charta (Parlament: commune consilium regni nostri) - Heinrich VIII (Symbol: Körper; Haupt - Glieder) - Lincoln (Symbol Volk)

Kurzinhalt: Wenn die Artikulierung sich über die ganze Gesellschaft ausdehnt, dann wird auch der Repräsentant sich ausdehnen bis zu der Grenze, an der die Mitgliedschaft der Gesellschaft bis zum letzten Individuum politisch artikuliert ist und ... Volk ...

Textausschnitt: 5. Repräsentation und Artikulierung der Gesellschaft

62b Es liegt auf der Hand, daß der repräsentative Herrscher einer zur historischen Existenz artikulierten Gesellschaft diese nicht als ganze vertreten kann, ohne in irgendeiner Beziehung zu den anderen Gliedern der Gesellschaft zu stehen. Hier ergeben sich Schwierigkeiten für die politische Wissenschaft unserer Zeit, weil unter dem Druck der demokratischen Symbolik der Widerstand gegen eine terminologische Unterscheidung der beiden Relationen so stark geworden ist, daß auch die politische Theorie ihm nachgibt. Die Herrschergewalt ist Herrschergewalt auch in einer Demokratie, aber man scheut sich, dieser Tatsache ins Auge zu sehen. Die Regierung repräsentiert das Volk und das Symbol "Volk" hat die zwei Bedeutungen absorbiert, die z. B. im mittelalterlichen Sprachgebrauch ohne emotionalen Widerstand als das "Reich" und die "Untertanen" unterschieden werden konnten. (Fs) (notabene)

63a Dieser Druck der demokratischen Symbolik ist nur die letzte Phase einer Reihe terminologischer Komplikationen, die im hohen Mittelalter zugleich mit der Artikulierung der westlichen politischen Gesellschaften beginnen. Die Magna Carta spricht z. B. vom Parlament als dem commune consilium regni nostri, dem "Gemeinsamen Rat unseres Reiches"i. Untersuchen wir diese Formel. Sie bezeichnet das Parlament als den Rat des Reiches, nicht etwa als die Repräsentation das Volkes, während das Reich selbst possessiv des Königs ist. Die Formel ist charakteristisch für eine Epoche, in der zwei Perioden im Prozeß der Artikulierung zusammentreffen. In einer ersten Phase ist der König allein der Repräsentant des Reiches, und der Sinn dieses Repräsentationsmonopols wird noch durch das dem Symbol "Reich" beigefügte Possessivpronomen bewahrt. In einer zweiten Phase beginnen sich innerhalb des Reiches Kommunen wie die "shires" (Grafschaften), die "boroughs" (Landstädte) und die "cities" (Städte) so weit zu artikulieren, daß sie in der Lage sind, sich selbst handlungsfähig zu repräsentieren; und selbst die Barone sind nicht mehr nur individuelle Lehensträger, sondern gestalten sich zum baronagium, zu der handlungsfähigen Gemeinschaft, als die es in der forma securitatis der Magna Carta erscheint. Die Einzelheiten dieses komplizierten Prozesses müssen hier nicht aufgezeigt werden. Das theoretisch Interessante daran ist, daß die Repräsentanten der artikulierten Gemeinschaften, wenn sie im Rat zusammentreten, Gemeinschaften höherer Ordnung bilden, letztlich die beiden Kammern des Parlaments, das als der repräsentative Rat einer noch größeren Gesellschaft zu verstehen ist, nämlich des gesamten Reiches. Mit fortschreitender Artikulierung der Gesellschaft entwickelt sich somit eine eigenartige vielschichtige Repräsentanz, zugleich mit einer Symbolik, die deren innere hierarchische Struktur ausdrückt. (Fs)

64a Das Hauptgewicht der Repräsentation verblieb während der auf die Magna Carta folgenden Jahrhunderte beim König. Die "writs of summons" des 13 . und 14. Jahrhunderts, die Ladungen zum Parlament, weisen eine sich gleichbleibende Terminologie auf, in der die Artikulierung der Gesellschaft zwar anerkannt wird, die neuen Teilnehmer an der Repräsentation aber in die königliche Repräsentation miteinbezogen werden. Nicht nur das Reich ist "des Königs", auch die Prälaten, die Magnaten und die Städte sind es. Einzelne Kaufleute werden dagegen nicht in die repräsentative Symbolik eingeschlossen; sie sind nicht "des Königs", sondern immer "des Reiches" oder "der Stadt", d. h. des Ganzen oder einer artikulierten Unterabteilung.1 Gewöhnliche Einzelglieder der Gesellschaft sind einfach "Einwohner" oder "Mitbürger des Reiches"2. Das Symbol "Volk" erscheint nicht als Bezeichnung einer Stufe in der Artikulierung und Repräsentation; es wird nur gelegentlich als Synonym für Reich gebraucht, etwa in einer Wendung wie das "gemeine Wohl des Reiches"3. (Fs)

65a Die Verschmelzung dieser repräsentativen Hierarchie zu einem einzigen Repräsentanten, dem "König im Parlament" (the King in Parliament), erforderte geraume Zeit; daß sich ein solcher Verschmelzungsprozeß vollzog, wurde erst Jahrhunderte später theoretisch erfaßbar in einer berühmten Stelle in Heinrichs VIII. Parlamentsrede über den Fall Ferrer. Bei dieser Gelegenheit, im Jahre 1543, sagte der König: "Wir werden durch unsere Richter davon in Kenntnis gesetzt, daß Wir zu keiner Zeit so hoch in Unserem königlichen Stande stehen wie zur Zeit der Parlamentstagung, zu der Wir als Haupt und ihr als Glieder zu einem politischen Körper zusammen vereinigt und verbunden sind, in solchem Maße, daß jedwede Beleidigung oder Verletzung, die (während dieser Zeit) dem geringsten Mitglied des Hauses zugefügt wird, so beurteilt wird, als richte sie sich gegen Unsere Person und das ganze Parlament." Der Rangunterschied zwischen König und Parlament wird hier noch gewahrt, aber er kann jetzt symbolisiert werden durch das Verhältnis von Haupt und Gliedern innerhalb eines Körpers; der mehrschichtige Repräsentant ist zu "einem politischen Körper" geworden, wobei der Stand des Königs durch seine Teilnahme an der parlamentarischen Repräsentation und das Parlament durch seine Teilnahme an der Majestät der königlichen Repräsentation gleichermaßen erhöht werden. (Fs)

66a Die Richtung, in der sich die Symbole verlagern, wird aus diesem Passus klar geworden sein. Wenn die Artikulierung sich über die ganze Gesellschaft ausdehnt, dann wird auch der Repräsentant sich ausdehnen bis zu der Grenze, an der die Mitgliedschaft der Gesellschaft bis zum letzten Individuum politisch artikuliert ist und dementsprechend die Gesellschaft ihr eigener Repräsentant wird. Symbolisch wird diese Grenze in der meisterhaften, dialektischen Prägnanz von Lincolns "Regierung des Volkes, durch das Volk, für das Volk" erreicht. Das Symbol "Volk" bedeutet in dieser Formel der Reihe nach die artikulierte politische Gesellschaft, ihren Repräsentanten und die Gesamtheit ihrer Glieder, die durch die Handlungen des Repräsentanten gebunden ist. Die unübertreffliche Fusion demokratischer Symbolik mit theoretischem Inhalt in dieser Formel ist das Geheimnis Ihrer Wirksamkeit. Der historische Prozeß, in welchem diese Grenze der Artikulierung, die sich im Symbol "Volk" ausdrückt, erreicht wird, soll uns noch im weiteren Verlauf dieser Untersuchungen beschäftigen. Vorläufig sei vermerkt, daß der Übergang zur dialektischen Grenze eine Artikulierung der Gesellschaft bis hinunter zum Individuum als vertretbarer Einheit zur Voraussetzung hat. Dieser besondere Typus der Artikulierung ist nicht überall anzutreffen; er findet sich in der Tat nur in westlichen Gesellschaften. Er gehört durchaus nicht zum menschlichen Wesen, sondern ist unlösbar an gewisse historische Bedingungen gebunden, die nur im Westen vorzufinden sinu. Im Orient, in dem die spezifischen Bedingungen historisch nicht auftreten, kommt dieser Typus der Artikulierung überhaupt nicht vor - und der Orient umfaßt den größeren Teil der Menschheit. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Theorie der Repräsentation in der westlichen Gesellschaft; Artikulierung d. Gesellschaft, weitere Differenzierung: Fortescue (Analogie des Organismus; corpus mysticum); intentio populi - Volk - mystische Substanz d.

Kurzinhalt: Um näher an diese mysteriöse Substanz heranzukommen, übertrug er das christliche Symbol des corpus mysticum auf das Reich... Die intentio populi ist ... ist vielmehr das nicht faßliche Lebenszentrum der Gesamtheit des Reiches. Das Wort "Volk" bedeutet ...

Textausschnitt: 6. Theorie der Repräsentation in der westlichen Gesellschaft

67a Artikulierung ist die Bedingung der Repräsentation. Um zur Existenz zu gelangen, muß eine Gesellschaft sich artikulieren, indem sie einen Repräsentanten hervorbringt, der für sie handelt. Die Klärung dieser Begriffe kann jetzt weitergerührt werden. Hinter dem Symbol "Artikulierung" verbirgt sich nichts Geringeres als der historische Prozeß, in dem politische Gesellschaften, die Nationen, die Reiche entstehen und vergehen, sowie die zwischen diesen Ausgangs- und Endpunkten stattfindenden Evolutionen und Revolutionen. Dieser Prozeß ist historisch nicht so individuell verschieden für jeden Fall einer politischen Gesellschaft, daß es unmöglich wäre, das Feld der Varianten unter einige allgemeine Typen zu bringen. Das ist jedoch ein großes Thema (Toynbee hat mit ihm zehn Bände gefüllt), und wir müssen es beiseite lassen. Was uns hier angeht, ist die Frage, ob die Implikationen des Begriffs der Artikulierung noch weiter differenzert werden können. Das ist in der Tat möglich, und es liegen eine Anzahl bemerkenswerter Versuche zu weiterer Theoretisierung vor. Der Natur der Sache nach werden solche Versuche immer dann unternommen, wenn die Artikulierung einer Gesellschaft an einem kritischen Wendepunkt angelangt ist; das Problem wird interessant, wenn eine Gesellschaft im Entstehen oder in der Auflösung begriffen ist oder wenn sie sich in einer epochalen Phase ihres geschichtlichen Ablaufs befindet. Ein solcher Einschnitt im Entwicklungsprozeß der westlichen Gesellschaften wurde um die Mitte des 15. Jahrhunderts durch die Konsolidierung der westlichen Nationalstaaten nach dem Hundertjährigen Krieg markiert. In dieser kritischen Epoche unternahm Sir John Fortescue, einer der feinsten politischen Denker Englands, eine Theoretisierung des Problems der Artikulierung. Wir müssen uns ansehen, was er zu ihm zu sagen hatte. (Fs)

77a Die politische Realität, die Fortescue vornehmlich interessierte, waren die Königreiche England und Frankreich. Sein geliebtes England war ein dominium politicum et regale, das was man heute als konstitutionelles Regime bezeichnen würde; das böse Frankreich Ludwigs XI. war ein dominium tantum regale, so etwas wie eine Tyrannei - aber immerhin als Exil nicht zu verachten, wenn das konstitutionelle Paradies zu ungastlich wurde.1 Fortescues Verdienst war es nun, nicht bei einer statischen Schilderung der beiden Regierungstypen Halt gemacht zu haben. Er bediente sich zwar der statischen Analogie des Organismus, wenn er darauf bestand, daß das Reich einen Herrscher so wie der Körper einen Kopf brauche, aber in einer brillanten Passage seines Werkes De Laudibus Legum Anglie verlieh er der Analogie Dynamik, indem er die Schaffung eines Reiches mit dem Entstehen eines gegliederten Körpers aus dem Embryo verglich.2 Ein politisch nicht artikulierter Sozialzustand bricht aus in die Artikulation des Reiches: ex populo erumpit regnum. Fortescue prägte den Ausdruck "Eruption" als terminus technicus für die beginnende Artikulierung einer Gesellschaft, und den Ausdruck: "Proruption" für das weitere Fortschreiten der Artikulierung, wie etwa den Übergang von einem nur königlichen zu einem politischen Reich. Diese Theorie der Eruption eines Volkes ist nicht die Theorie eines Naturzustandes, aus dem ein Volk durch einen Vertrag zu rechtlicher Ordnung gelangt. Fortescue war sich des Unterschiedes wohl bewußt. Um ihn deutlich zu machen, kritisierte er die Definition Augustins, nach der ein Volk eine durch Konsens zu rechter Ordnung und Interessengemeinschaft assoziierte Menge ist. Ein solches Volk, so betonte Fortescue, wäre acephalus, d. h. ohne Haupt, der Rumpf eines kopflosen Körpers; zu einem Reich gelange man nur, wenn ein Haupt errichtet wird (rex erectus est), das den Körper regiert. (Fs)

69a Schon die Schöpfung der Begriffe von Eruption und Proruption ist eine keineswegs geringe theoretische Leistung, denn sie ermöglicht es uns, jene Komponente in der Repräsentation zu erkennen, die fast vergessen wurde, als die Rechtssymbolik der folgenden Jahrhunderte die Interpretation der politischen Realität zu beherrschen begann. Aber Fortescue leistete noch mehr. Er begriff, daß die Analogie des Organismus ihm als Gerüst bei der Konstruktion seines Eruptionsbegriffes dienen konnte, daß sie im übrigen aber nur von geringem Erkenntniswert war. Es war da ein Etwas an einem artikulierten Reich, eine Art Substanz, welche die verbindende Kraft der Gesellschaft lieferte, und dieses Etwas ließ sich mit der organischen Analogie nicht erfassen. Um näher an diese mysteriöse Substanz heranzukommen, übertrug er das christliche Symbol des corpus mysticum auf das Reich. Das war ein bedeutsamer Schritt in seiner Analyse, der in mehr als einer Hinsicht von Interesse ist. Erstens war die Tatsache, daß er überhaupt getan werden konnte, symptomatisch für das Dahinschwinden der in Kirche und Imperium artikulierten christlichen Gesellschaft; und entsprechend war sie symptomatisch für die zunehmende Konsolidierung der Nationalreiche, d. h. für deren Abschließung als Gesellschaften mit einem eigenen Zentrum. Zweitens deutete dieser Schritt darauf hin, daß die Reiche einen eigentümlichen Höchstrang an Ordnung erlangt hatten. Bei der Übertragung des corpus mysticum auf das Reich können wir die Entwicklung auf einen Typus von politischer Gesellschaft hin spüren, der die Nachfolge nicht nur des Imperiums, sondern auch der Kirche antreten wird. Gewiß hat Fortescue solche Folgen nicht einmal in undeutlichem Umriß gesehen; aber seine Übertragung zielte doch auf einen Repräsentanten ab, der die Gesellschaft für den Gesamtbereich menschlicher Existenz einschließlich der geistigen Dimension vertreten würde. Fortescue selbst war sich im Gegenteil bewußt, daß auch die Bezeichnung des Reiches als ein corpus mysticum nur analogisch zu verstehen sei. Das tertium comparationis wäre das sakramentale Band der Gemeinschaft, aber das sakramentale Band konnte für ihn weder der Logos Christi sein, der in den Gliedern des christlichen corpus mysticum lebt, noch ein pervertierter Logos, wie er in modernen totalitären Gemeinschaften lebt. Wenn er sich aber auch nicht klar war über die Implikationen seiner Suche nach einem immanenten Logos der Gesellschaft, so fand er doch eine Bezeichnung für ihn; er nannte ihn die intencio populi. Diese intencio populi ist das lebendige Zentrum des mystischen Leibes des Reiches; Fortescue beschrieb sie, wiederum in einer Analogie aus dem organischen Bereich, als das Herz, von dem aus die politische Vorsorge für das Wohl des Volkes als nährender Blutstrom in Kopf und Glieder des Körpers geleitet wird. Man beachte die Funktion der organischen Analogie in diesem Zusammenhang. Sie dient nicht der Identifizierung eines Gliedes der Gesellschaft mit einem entsprechenden Organ des Körpers, sondern bemüht sich im Gegenteil, zu zeigen, daß das belebende Zentrum eines Sozialkörpers nicht in einem seiner menschlichen Gliederzu finden ist. Die intentio populi ist weder in dem königlichen Repräsentanten noch im Volk als einer Vielheit von Untertanen lokalisiert, sie ist vielmehr das nicht faßliche Lebenszentrum der Gesamtheit des Reiches. Das Wort "Volk" bedeutet in dieser Formel nicht rein äußerlich eine Menge von Menschen, sondern die mystische Substanz, von der her die Eruption zur Artikulierung erfolgt; und das Wort intencio bedeutet den Drang oder Trieb dieser Substanz, aufzubrechen und sich selbst in artikulierter Existenz als ein Seiendes zu behaupten, das kraft seiner Artikulierung für sein Wohlergehen zu sorgen vermag. (Fs) (notabene)

71a Als Fortescue seinen Gedanken in The Governance of England konkret anwandte, unterzog er die Idee des königlichen Repräsentanten noch einer weiteren Klärung, indem er ihn mit der feudalen hierarchischen Auffassung vom königlichen Stand kontrastierte. Nach der feudalen Auffassung war der König "der höchste weltliche Stand auf Erden", im Rang niederer als der geistliche Stand, aber höher als die Lehensträger innerhalb des Reiches.3 Fortescue anerkannte zwar die Ständeordnung innerhalb der Christianitas; er war weit davon entfernt, den Gedanken an einen geschlossenen souveränen Staat zu hegen; aber er zwang das neue corpus mysticum als einen Fremdkörper in den mystischen Leib Christi hinein, wenn er dem königlichen Repräsentanten eine doppelte Funktion zuwies. In der Ordnung der Christianitas blieb der König für ihn der höchste weltliche Stand, aber zugleich faßte er den königlichen Stand als ein Amt auf, das integral den Schutz und das Recht im Reich garantiert. Fortescue zitiert Thomas: "Der König ist für das Reich gegeben und nicht das Reich für den König"; daraus folgert er: Der König ist in seinem Reich, was der Papst in der Kirche ist, ein servus servorum Dei; um dann den Schluß zu ziehen: "Alles was der König unternimmt, sollte auf sein Reich bezogen sein" - die höchstmögliche konzentrierte Formulierung des Repräsentationsproblems.4 (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: 7. Die Begründung der Völkerwanderungsreiche; König: notwendig für die historische Existenz einer politischen Gesellschaft; Paulus Diaconus: Geschichte d. Langobarden

Kurzinhalt: Um Handlungsfähigkeit zu gewinnen, bedurfte es eines Königs; Verlust des Königs bedeutete Verlust der Handlungsfähigkeit; und wenn die Gemeinschaft nicht handelte, dann brauchte sie keinen König.

Textausschnitt: 7. Die Begründung der Völkerwanderungsreiche

72a Die Durcharbeitung dieser Symbolik war Fortescues persönliche Leistung als Theoretiker. Die Reiche Englands und Frankreichs übten durch ihre Existenz als Machteinheiten einen sichtbaren Einfluß auf die damalige Zeit aus, nachdem der hundertjährige Krieg das Feld der feudalen Besitzstände entwirrt und zur territorialen Abgrenzung der Reiche geführt hatte. Fortescue versuchte zu klären, was es mit diesen sonderbaren neuen Gebilden, den Reichen, eigentlich auf sich hatte; und seine Theorie war die ingeniöse Lösung eines Problems, das die politische Realität stellte. Zu dieser Lösung empfing er jedoch Anregungen aus einem Traditionsbestand, betreffend politische Artikulierung, der sich aus der Zeit der Völkerwanderung, noch vor der Gründung des westlichen Kaisertums, bis ins 15. Jahrhundert erhalten hatte. In einem zu wenig beachteten Abschnitt seines Governance of England nahm er sich eine der vielen Versionen der Gründung von Völkerwanderungs-Königreichen durch eine Gruppe trojanischer Flüchtlinge als Modell für politische Artikulierung. Die Sage von der Gründung westlicher Königreiche durch eine Schar Trojaner, die von einem Sohn oder Enkel des Aeneas angeführt wurde, war weitverbreitet. In den ersten Jahrhunderten westlicher Geschichte diente sie dem Zweck, für die Neugründungen eine Würde gleich der römischen zu beanspruchen. In Fortescues Modell war es eine solche Schar unter Brutus, dem Heros Eponymos der Briten, die für England am Anfang seiner Welt stand. Als eine solch "große Gemeinschaft", so schreibt er, "wie es die Gefolgschaft war, die mit Brutus in dieses Land kam, willens war, sich zu vereinen und einen politischen Körper, genannt das Reich, zu bilden, mit einem Haupt, um es zu regieren, [...] erwählten sie jenen Brutus zu ihrem Haupt und König. Und nach ihrem Zusammenschluß zu einem Reich bestimmten sie und er, daß selbiges Reich durch solche Gesetze, wie sie allen ihnen zustimmten, regiert und verteidigt werde"1. (Fs)

73a Die trojanische Komponente der Sage, die Rivalität mit Rom, ist für uns nur von sekundärem Interesse; aber wir erhalten hier im Gewand der Sage Nachricht über die Artikulierung von Stämmen der Völkerwanderung zu politischen Gesellschaften. Die Sage erzählt von der Anfangsphase eines solchen Prozesses und sie regt an, einen kurzen Blick auf die Originalberichte über solche Gründungen zu werfen sowie auf die Terminologie, in der die Artikulierung geschildert wird. Ich werde zu diesem Zweck einige Stellen aus der Geschichte der Langobarden von Paulus Diaconus auswählen, die in der zweiten Hälfte des B. Jahrhunderts geschrieben wurde. (Fs)

73b Im Bericht des Paulus Diaconus beginnt die aktive Geschichte der Langobarden damit, daß nach dem Tod zweier Herzöge das Volk beschloß, es wolle fortan nicht mehr in kleinen, lose zusammenhängenden Stammesgruppen unter Herzögen leben, sondern "wie die anderen Völker sich einen König setzen".2 Diese Formulierung steht zwar unter dem Einfluß des israelitischen, in Samuel berichteten Verlangens nach einem König wie die anderen Völker, aber der faktische Prozeß der Artikulierung von Stämmen zu einem Reich wird erkennbar berichtet. Als im Verlauf der Wanderung sich der lose Stammesverband als zu schwach erwies, wurde zum Zweck einer wirksameren militärischen und administrativen Führung ein König gewählt; und dieser König wurde aus einer Familie genommen, "die allgemein als besonders vornehm angesehen war". Der Bericht greift zurück bis auf die historisch konkreten Anfänge der Artikulierung. In jener Situation war, erstens, etwas vorhanden, was als das soziale Rohmaterial bezeichnet werden kann, bestehend aus Gruppen auf der Stammesebene, die homogen genug waren, um sich zu einer größeren Gesellschaft zu artikulieren. Ferner ist ein Druck der Umstände erkennbar, von denen der Anstoß zur Artikulierung ausging. Und schließlich gab es Glieder der Gruppe, die durch Charisma des Blutes und der Person hinreichend ausgezeichnet waren, um zu erfolgreichen Repräsentanten zu werden. (Fs)

74a Folgen wir dem Geschichtsschreiber der Langobarden noch etwas weiter. Nach der Wahl eines Königs begannen die siegreichen Kriege. Zuerst wurden die Heruler besiegt und ihre Macht dermaßen gebrochen, daß "sie keinen König mehr hatten"3. Darauf folgte der Krieg mit den Gepiden, in dem das entscheidende Ereignis der Tod des Sohnes des Gepidenkönigs war, "der mehr als andere für den Ausbruch des Krieges verantwortlich gewesen war"4. Nach dem Tod des Prinzen flohen die Gepiden und wiederum "sanken sie schließlich so tief, daß sie keinen König mehr hatten". Ähnliche Stellen ließen sich aus anderen Geschichtsschreibern der Völkerwanderungszeit zusammentragen. Nur ein bezeichnendes Beispiel möge noch gegeben werden: Isidor von Sevilla berichtet, wie die Alanen und Sueben durch die Goten die Unabhängigkeit ihres Königreichs einbüßten, aber seltsamerweise ihre Königsherrschaft in Spanien auf lange Zeit hinaus beibehielten, "obwohl sie in ihrer ungestörten Ruhe sie gar nicht gebraucht hätten". In der gesamten Geschichtsschreibung der Völkerwanderungszeit, vom 5. bis zum 8. Jahrhundert, wurde über die historische Existenz einer politischen Gesellschaft in der Sprache der Erlangung, des Besitzes oder Verlustes des rex, des königlichen Repräsentanten, berichtet. Um Handlungsfähigkeit zu gewinnen, bedurfte es eines Königs; Verlust des Königs bedeutete Verlust der Handlungsfähigkeit; und wenn die Gemeinschaft nicht handelte, dann brauchte sie keinen König.5 (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation (deskriptiv - existentiell); Hauriou: Dritte Republik; Sätze über die Beziehungen zwischen Macht und Recht

Kurzinhalt: Wenn eine Regierung lediglich im konstitutionellen Sinn repräsentativ ist, wird ihr früher oder später durch einen repräsentativen Herrscher im existentiellen Sinn ein Ende bereitet; und sehr wahrscheinlich wird der neue existentielle Herrscher nicht ...

Textausschnitt: 8. Disintegration

75a Die oben untersuchten theoretischen Sätze gehören in das Zeitalter der Gründung und der spätmittelalterlichen Konsolidierung der westlichen politischen Gesellschaften. Das Problem der Artikulierung zog erneut das Interesse auf sich, als die Gesellschaft in die Gefahrenzone der Auflösung geriet. Die Malaise der Dritten Republik war das Klima, in dem Maurice Hauriou seine Repräsentationstheorie entwickelte. Ich gebe hier eine kurze Zusammenfassung der Theorie, wie sie vonHauriou in seinem Precis de droit constitutionnel dargelegt wurde.1 (Fs)

76a Nach Hauriou ist die Gewalt einer Herrschaft legitim kraft ihres Fungierens als Repräsentant einer Institution, insbesondere des Staates. Der Staat ist eine nationale Gemeinschaft, in der die herrscherliche Gewalt die Geschäfte der res publica führt. Die erste Aufgabe einer Herrschergewalt ist die Schaffung einer politisch geeinten Nation durch die Umformung der vorgegebenen, unorganisierten Vielheit zu einem organisierten, zum Handeln befähigten Körper. Ihren Ursprung hat eine solche Institution in der Leitidee, in der idée directrice, die Institution zu verwirklichen, sie auszuweiten und ihre Macht zu vermehren; und die besondere Funktion eines Herrschers ist die Schöpfung dieser Idee und ihre Verwirklichung in der Geschichte. Die Institution erreicht ihre vollkommene Durchbildung, wenn der Herrscher sich selbst der Idee unterstellt und wenn zugleich das consentement coutumier der Glieder der Gesellschaft erreicht wird. Repräsentant sein heißt, in herrschender Stellung das Werk der Realisierung der Idee durch institutionelle Verkörperung zu lenken; und die Gewalt eines Herrschers hat Autorität, sofern es ihm gelingt, seine faktische Macht zum Repräsentanten der Idee zu machen. (Fs)

76b Aus dieser Auffassung leitet Hauriou dann eine Reihe von Sätzen über die Beziehungen zwischen Macht und Recht ab: (1) die Autorität einer repräsentativen Gewalt geht existentiell der Regelung dieser Gewalt durch positives Recht voran; (2) Gewalt ist kraft ihrer Basis in der Institution ein Rechtsphänomen; insofern eine Gewalt repräsentative Autorität besitzt, kann sie positives Recht setzen; (3) der Ursprung des Rechts kann nicht in gesetzlichen Bestimmungen gefunden werden, sondern muß in der Entscheidung gesucht werden, durch die anstelle einer Streitsituation eine geordnete Gewalt tritt. (Fs)

77a Die hier umrissene Theorie sowie die Reihe der Sätze richteten sich gegen wohlbekannte Schwächen der Dritten Republik. Die aus Haurious Analyse zu ziehende Lehre kann in folgender These zusammengefaßt werden: Um repräsentativ zu sein, genügt es nicht, wenn eine Regierung im konstitutionellen Sinn repräsentativ ist (unser deskriptiver Typus repräsentativer Institutionen); sie muß auch im existentiellen Sinn repräsentativ sein, indem sie die Idee der Institution verwirklicht. Und die hierin implizierte Mahnung kann in der folgenden These entwickelt werden: Wenn eine Regierung lediglich im konstitutionellen Sinn repräsentativ ist, wird ihr früher oder später durch einen repräsentativen Herrscher im existentiellen Sinn ein Ende bereitet; und sehr wahrscheinlich wird der neue existentielle Herrscher nicht allzu repräsentativ im konstitutionellen Sinn sein. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation im Römischen Reich 3; Augustinus, Civitas Dei; Altar der Victoria; Ambrosius (Theokratie)

Kurzinhalt: "Während alle Menschen, die der römischen Herrschaft unterstehen, Euch Kaisern und Fürsten der Welt dienen (militare), dient (militare) Ihr Eurerseits dem allmächtigen Gott und dem heiligen Glauben."

Textausschnitt: 3 Die politische Funktion der Civitas Dei

120a Die Klassifizierungen entstanden im Laufe des Kampfes um die Repräsentation; sie waren geladen mit den Spannungen von innerer Unsicherheit und Widerstand. Die Analyse dieser Spannungen wird zweckmäßig mit einer Kuriosität der Civitas Dei beginnen. Das Werk war, was seine politische Funktion betrifft, ein livre de circonstance. Die Eroberung Roms durch Alarich 410 n. Chr. hatte die heidnische Bevölkerung des Reiches aufgewühlt, die den Fall Roms als Strafe der Götter für die Vernachlässigung ihres Kultes ansah. Die gefährliche Welle der Empörung schien eine umfassende Kritik und Widerlegung der heidnischen Theologie im allgemeinen und ihrer Argumente gegen das Christentum im besonderen zu erfordern. Die augustinische Lösung dieser Aufgabe war sonderbar, insofern sie die Gestalt eines kritischen Angriffs auf Varros Antiquitates annahm, eines Werkes, das nahezu fünf Jahrhunderte früher verfaßt worden war, um die schwindende Begeisterung der Römer für ihre zivile Religion neu zu beleben. Die Begeisterung war seit Varro nicht merklich gewachsen; und von der nicht-römischen Bevölkerung konnte man kaum größeren Eifer als von den Römern selbst erwarten. Zur Zeit des Augustinus zählte die heidnische Reichsbevölkerung in ihrer Mehrheit zu den Anhängern der Mysterien von Eleusis, der Isis, des Attis und des Mithras und nicht der kultischen Gottheiten des republikanischen Rom; und dennoch erwähnte er die Mysterien nur flüchtig, während er die theologia civilis der eingehenden Kritik im VI. und VII. Buch unterzog. (Fs)

120b Die Antwort auf diese Kuriosität ist nicht in einer Statistik der Religionszugehörigkeit zu finden; sie muß vielmehr im Problem der öffentlichen Repräsentation der transzendenten Wahrheit gesucht werden. Die Loyalisten der römischen Zivilreligion waren in der Tat nur eine kleine Gruppe, aber der römische Kult war bis weit in die Hälfte des vierten Jahrhunderts hinein der Staatskult des Reiches geblieben. Weder Konstantin noch seine christlichen Nachfolger hatten es für ratsam gehalten, ihre Funktion des pontifex maximus von Rom aufzugeben. Zwar kam es unter den Söhnen Konstantins zu schweren Eingriffen in die Freiheit der heidnischen Kulte, doch der große Schlag fiel erst unter Theodosius mit dem berühmten Gesetz von 380, welches das orthodoxe Christentum zum obligatorischen Glauben für alle Untertanen des Reiches machte, alle Andersgläubigen als töricht und geistesgestört brandmarkte und ihnen mit dem ewigen Zorn Gottes wie auch der Strafe des Kaisers drohte.1 Bis zu diesem Zeitpunkt war die kaiserliche Gesetzgebung in religiösen Angelegenheiten, wie es in der vorherrschend heidnischen Gesellschaft nicht anders zu erwarten war, nicht sehr energisch durchgesetzt worden; und nach der Zahl der sich immer wiederholenden Gesetze zu schließen, kann die Durchsetzung auch nach 380 nicht allzu wirksam gewesen sein. Jedenfalls, in Rom selbst wurden die Gesetze ignoriert und der offizielle Kult war heidnisch geblieben. Nun wurde jedoch der Angriff ernsthaft auf dieses empfindliche Zentrum konzentriert. 382 gab Grabanus, der Kaiser des Westreiches, seinen Titel pontifex maximus auf und lehnte dadurch die Verantwortung der Regierung für die Opferhandlungen Roms ab; gleichzeitig wurde die finanzielle Förderung des Kultes eingestellt, so daß die kostspieligen Opfer und Feste nicht länger fortgesetzt werden konnten. Die einschneidendste Maßnahme aber war die Entfernung von Bild und Altar der Victoria aus dem Versammlungsraum des Senats. Die Götter Roms waren nicht mehr in der Hauptstadt des Reiches repräsentiert.'' (Fs)

122a Es war tief befriedigend, vom heidnischen Standpunkt, daß Gratianus 383 ermordet und die Stadt vom Gegenkaiser Maximus bedroht wurde, und daß zudem eine schlechte Ernte eine Hungersnot hervorrief. Offensichtlich zeigten die Götter ihren Zorn, und die Zeit schien günstig für die Forderung an den jungen Kaiser Valentinian II., die Maßnahmen gegen den römischen Kult rückgängig zu machen, besonders aber den Altar der Victoria wieder aufzustellen. Die Bittschrift der heidnischen Partei im Senat wurde dem Kaiser 384 durch Symmachus überreicht. Bedauerlicherweise fiel jedoch die Ernte des Jahre 384 hervorragend aus, und das lieferte Ambrosius, der die christliche Seite vertrat, ein billiges Argument.2 (Fs)

122b Die Denkschrift des Symmachus war ein edles Plädoyer für die römische Tradition, die auf dem alten Prinzip des do ut des beruhte. Mißachtung des Kultes führe zur Katastrophe; vor allem Victoria habe dem Imperium Segen gebracht und dürfe nicht mißachtet werden,3 und dann tritt der Autor mit einem Anflug von Toleranz dafür ein, daß es jedermann gestattet sein solle, die eine Gottheit auf seine Weise zu verehren.4 Ambrosius konnte, wie schon angedeutet, in seiner Antwort leicht das do ut des Prinzip widerlegen;5 und es fiel ihm auch nicht schwer zu zeigen, daß die edle Toleranz des Symmachus nicht ganz so eindrucksvoll war, wenn man bedachte, daß sie in der Praxis für christliche Senatoren den Zwang bedeutete, sich an den Opfern für Victoria zu beteiligen.'6 Das entscheidende Argument war jedoch in dem Satz enthalten, der das Repräsentationsprinzip formulierte: "Während alle Menschen, die der römischen Herrschaft unterstehen, Euch Kaisern und Fürsten der Welt dienen (militare), dient (militare) Ihr Eurerseits dem allmächtigen Gott und dem heiligen Glauben."7 Das klingt beinahe wie der mongolische Auftrag Gottes, der in dem vorigen Kapitel behandelt wurde, ist aber in Wirklichkeit dessen Umkehrung. Die Formulierung des Ambrosius rechtfertigt die imperiale Monarchie nicht durch einen Hinweis auf die monarchische Herrschaft Gottes - obwohl auch dieses Problem im römischen Reich akut wurde, wie wir bald sehen werden. Ambrosius spricht überhaupt nicht von Herrschaft, sondern von Dienst. Die Untertanen dienen den Fürsten auf Erden als ihren existentiellen Repräsentanten, und Ambrosius hatte keine Illusionen über die Quelle der kaiserlichen Position: Die Legionen schaffen Victoria, bemerkte er verächtlich, und nicht Victoria das Reich.8 Die politische Gesellschaft in historischer Existenz beginnt die Farbe der Temporalität im Gegensatz zur geistlichen Ordnung anzunehmen. Über dieser temporalen Sphäre des Dienstes der Untertanen steht dann der Kaiser, der Gott allein dient. Der Appell des Ambrosius richtet sich nicht an den imperialen Herrscher, sondern an den Christen, der zufällig Träger dieses Amtes ist. Der christliche Herrscher wird ermahnt, nicht Unwissenheit vorzugeben und die Dinge treiben zu lassen; wenn er seinen Glaubenseifer nicht positiv bekunde, wie er es sollte, so möge er wenigstens dem Götzendienst und den heidnischen Kulten seine Zustimmung versagen.9 Ein christlicher Kaiser wisse, daß er nur dem Altar Christi Ehre erweisen solle, und "die Stimme unseres Kaisers sei das Echo Christi".10 In kaum verhüllter Sprache droht der Bischof dem Kaiser mit Exkommunikation, falls er der Bittschrift des Senats stattgeben sollte.11 Die Wahrheit Christi könne nicht durch das Imperium mundi repräsentiert werden, sondern nur durch den Dienst an Gott. (Fs) (notabene)

124a Das sind die Anfänge einer theokratischen Herrschaftsauffassung im strengen Sinne, wobei unter Theokratie nicht eine Priesterherrschaft zu verstehen ist, sondern die Anerkennung der Wahrheit Gottes durch den Herrscher.12 Diese Auffassung kam in der nächsten Generation im augustinischen Bild des Imperator felix in Civitas Dei, V, 24-26 zur vollen Entfaltung. Das Glück des Kaisers lasse sich nicht nach den äußeren Erfolgen seiner Herrschaft beurteilen (Augustinus wies insbesondere auf die Erfolge heidnischer und auf das Mißgeschick und gewaltsame Ende einiger christlicher Herrscher hin), das wahre Glück des Kaisers lasse sich nur nach seinem Verhalten als Christ auf dem Throne beurteilen. Die Kapitel über den imperator felix sind der erste "Fürstenspiegel". Sie stehen am Beginn dieser mittelalterlichen Literaturgattung und haben, seitdem Karl der Große sie zu seinem Leitfaden gemacht hat, einen unabschätzbaren Einfluß auf die Idee und Praxis westliclhen Herrschertunis ausgeübt. (Fs) (notabene)

125a In der Streitfrage um den Altar der Victoria trug Ambrosius den Sieg davon. In den folgenden Jahren verschärfte sich die Situation noch mehr. 391 verbot ein Gesetz des Theodosius alle heidnischen Zeremonien in der Stadt Rom.13 Ein Gesetz seiner Söhne schaffte im Jahre 396 die letzten Privilegien heidnischer Priester und Hierophanten ab.14 Durch ein 407 für Italien erlassenes Gesetz wurden alle Zuwendungen für epula sacra und rituelle Spiele unterbunden, die Entfernung der Standbilder aus den Tempeln, die Zerstörung von Altären und Rückgabe der Tempel ad usum publicum angeordnet.15 Als 410 Rom in die Hände der gotischen Angreifer fiel, hatte der altrömische Kult in der Tat ein aktuelles Anliegen für die Opfer der jüngst erlassenen heidenfeindlichen Gesetzgebung, und der Fall der Stadt konnte sehr wohl propagandistisch gedeutet Nverden als die Rache der Götter für die der Zivilreligion Roms angetane Schmach. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation im Römischen Reich 4; römische Ziviltheologie (Varro, Cicero; existentielles Problem d. Heidentums); Augustinus, Civitas Dei; civitas terrena - coelestis; Kosmopolis der Philosophen - Imperium Romanum (Vgl. Japan)

Kurzinhalt: ... archaische Erfahrung der Sozialordnung vor ihrer Auflösung durch die Erfahrung der mystischen Philosophen. In den griechischen Quellen kommt man an diese archaische Schicht nie wirklich heran, weil

Textausschnitt: 4. Der existentielle Gehalt der römischen Ziviltheologie

125a Die Kuriosität ist verständlich geworden - aber nur um eine andere an ihre Stelle treten zu lassen. Die christlichen Vorkämpfer in diesem Streit waren nicht an der Rettung heidnischer Seelen interessiert; sie waren in einem politischen Kampf um den öffentlichen Kult des Reiches begriffen. Zwar richtete sich der Appell des Ambrosius an den Christen auf dem Thron, und es kann kein Zweifel über die Aufrichtigkeit seiner Absichten bestehen, wenn wir uns einen Zusammenstoß mit Theodosius im Jahre 390 aus Anlaß des Massakers von Thessalonike vergegenwärtigen. Wenn jedoch der Christ Kaiser ist, so wird seine christliche Amtsführung die Heiden in die gleiche Lage versetzen, in der sich die Christen unter heidnischen Kaisern befanden. Es ist sonderbar, daß sowohl Ambrosius als auch Augustinus, während sie mit Erbitterung den Kampf um die existentielle Repräsentation des Christentums führten, fast gänzlich blind für dieses Problem waren. Nichts schien auf dem Spiel zu stehen als die Wahrheit des Christentums im Gegensatz zur Unwahrheit des Heidentums. Dies besagt nicht, daß ihnen der hiermit verbundene existentielle Gehalt der Problematik überhaupt nicht zum Bewußtsein gekommen wäre. Im Gegenteil, das Faszinierende der Civitas Dei liegt gerade darin, daß Augustinus, wenn er auch offensichtlich das existentielle Problem des Heidentums nicht erfaßte, doch recht beunruhigt darüber war, daß sich hier etwas seinem Griff entzog. Seine Stellungnahme gegenüber Varros theologia civilis ähnelte der eines aufgeklärten Intellektuellen gegenüber dem Christentum - er konnte einfach nicht begreifen, daß ein intelligenter Mensch ernstlich solchen Unsinn behaupten könne. Er zog sich aus der Schwierigkeit durch die Annahme, Varro, der stoische Philosoph, habe nicht an die römischen Gottheiten glauben können, sondern habe sie unter dem Deckmantel einer ehrerbietigen Darstellung der Lächerlichkeit preisgeben wollen.1 Es wird nötig sein, Varro selbst sowie seinen Freund Cicero sprechen zu lassen, um den Punkt herauszufinden, der Augustinus entgangen war. (Fs)

127a Der unfaßliche Punkt wurde von Augustinus selbst mit großer Sorgfalt dargelegt; er beunruhigte ihn offenbar sehr. Varro hatte in seinen Antiquitates zuerst die res humanae und dann erst die res divinae Roms behandelt.2 Als erstes muß die Stadt existieren; dann erst kann sie an die Institution des Kultischen herangehen. "Wie der Maler vor dem Gemälde da ist und der Architekt vor dem Gebäude, so sind die Städte früher da als ihre Institutionen.3 Diese Auffassung Varros, daß die Götter von der politischen Gesellschaft eingesetzt worden seien, stieß bei Augustinus auf Unverständnis und Empörung. Er seinerseits beharrte darauf, daß "wahre Religion nicht von irgendeiner civitas terrena eingesetzt" sei, sondern daß der wahre Gott, der Inspirator der wahren Religion, "die civitas coelestis eingesetzt" habe.4 Varros Standpunkt schien besonders verwerflich, weil die menschlichen Dinge, denen er den Vorrang einräumte, nicht allgemein menschlich, sondern nur römisch waren.5 Überdies verdächtigte Augustinus ihn der Täuschung, weil Varro zugab, er würde res divinae an die erste Stelle gesetzt haben, wenn er die Absicht gehabt hätte, die Natur der Götter erschöpfend zu behandeln,6 und weil er ferner zu verstehen gab, daß in Religionsfragen vieles wahr sei, was das Volk nicht wissen solle, und vieles falsch, was das Volk nicht ahnen dürfe.7 (Fs)

128a Was Augustinus nicht verstehen konnte, war die Kompaktheit des römischen Erlebens, die untrennbare Gemeinschaft von Göttern und Menschen in der historisch konkreten civitas, die Gleichzeitigkeit der menschlichen und göttlichen Einsetzung einer Sozialordnung. Für ihn hatte sich die Ordnung der menschlichen Existenz bereits in die civitas terrena der Profangeschichte und die civitas coelestis göttlicher Einsetzung geschieden. Das Verständnis wurde auch nicht durch die anscheinend etwas primitiven Formulierungen des Enzyklopädisten Varro erleichtert. Der geschmeidigere Cicero äußerte die gleichen Überzeugungen wie sein Freund Varro, doch mit mehr begrifflicher Schärfe, durch die Gestalten seiner De natura deorum, insbesondere durch den princeps civis und pontitex Cotta. In der Debatte über die Existenz der Götter stehen sich die Ansichten des Philosophen und des römischen princeps civis gegenüber. Im Gegensatz des princeps philosophiae Sokrates8 zum princeps civis Cotta9 zeigt Cicero subtil die unterschiedlichen Quellen der Autorität auf: die auctoritas philosophi stößt mit der auctoritas majorum10 zusammen. Der Würdenträger des römischen Kultes ist nicht geneigt, die unsterblichen Götter und ihre Verehrung anzuzweifeln, gleichgültig was andere sagen mögen. In religiösen Fragen folgt er den Priestern, die ihm im Amt vorangegangen sind, und nicht den griechischen Philosophen. Die Auspizien des Romulus und die Riten des Numa legten die Grundlagen des Staates, der niemals seine Größe hätte erlangen können, ohne sich die Unsterblichen durch den Ritus geneigt zu machen.11 Er anerkennt die Götter auf Grund der Autorität der Vorfahren, aber er ist bereit, die Meinung anderer anzuhören. Und nicht ohne Ironie lädt er Balbus ein, die Gründe, rationes, für seine religiösen Überzeugungen darzulegen, die er als Philosoph ja haben müsse, während er, der Pontifex, verpflichtet sei, seinen Vorfahren ohne Räsonnement zu glauben.12 (Fs)

129a Die Darlegungen Varros und Ciceros sind für den Theoretiker unschätzbare Dokumente. Die römischen Denker sind in ihrem politischen Mythos fest verwurzelt, zugleich war ihnen jedoch durch ihre Berührung mit der griechischen Philosophie diese Verwurzelung bewußt. Die Berührung hat die Festigkeit ihrer Gesinnung nicht beeinträchtigt, sondern sie lediglich mit den Mitteln ausgestattet, ihren Standpunkt klarer zu machen. Die konventionelle Darstellung Ciceronischer Ideen übersieht leicht, daß sich in seinem Werk etwas bedeutend Interessanteres finden läßt als eine Variante der Stoa, etwas, was keine griechische Quelle uns zu geben vermag, nämlich die archaische Erfahrung der Sozialordnung vor ihrer Auflösung durch die Erfahrung der mystischen Philosophen. In den griechischen Quellen kommt man an diese archaische Schicht nie wirklich heran, weil die frühesten literarischen Dokumente, die Dichtungen des Homer und Hesiod, schon großartig freie Neugestaltungen mythischer Stoffe sind - im Falle Hesiods sogar in bewußter Opposition einer von ihm als Individiuum gefundenen Wahrheit gegen die Lüge, das pseudos des älteren Mythos. Vielleicht waren die Wirren im Gefolge der dorischen Invasion die Ursache dafür, daß die Geschlossenheit der griechischen Sozialexistenz soviel früher zerbrach, ein Schock, wie ihn Rom nie erlitt. Jedenfalls war Rom ein ardiaisches Überbleibsel in der hellenistischen Zivilisation des Mittelmeerraums, und dies in noch verstärktem Maße, als dieser Raum sich fortschreitend christianisierte. Man könnte die Situation etwa mit der Rolle Japans in einer Kulturwelt, die von westlichen Ideen beherrscht wird, vergleichen. (Fs) (notabene)

130a Römer wie Cicero verstanden das Problem sehr wohl. In seinem Werk De re publica zum Beispiel stellte er absichtlich den römischen Stil politischer Ordnung dem griechischen gegenüber. In der Debatte über die beste politische Ordnung (status civitatis) nimmt wiederum ein princeps civis, Scipio, gegen Sokrates Stellung. Scipio weigert sich, in der Art des platonischen Sokrates über die beste Ordnung zu diskutieren. Er will nicht eine "fiktive" Ordnung vor seinen Zuhörern aufbauen, sondern zieht es vor, einen Bericht über die Ursprünge Roms zu geben.13 Die Ordnung Roms ist jeder anderen überlegen - dieses Dogma wird nachdrücklich als die Voraussetzung der Debatte aufgestellt.14 Die Diskussion selbst kann sich uneingeschränkt über alle griechischen Wissensgebiete erstrecken, aber dieses Wissen ist nur insofern von Bedeutung, als es sich nutzbringend auf die Probleme römischer Ordnung anwenden läßt. Den höchsten Rang nimmt zwar der Mann ein, der den Traditionen seiner Väter noch die "fremdländische Gelehrsamkeit" (adventiciam doctrinam) hinzufügen kann. Gilt es aber zwischen den beiden Möglichkeiten der Lebensgestaltung zu wählen, so ist die vita civilis des Staatsmannes der vita quieta des Weisen vorzuziehen.15 (Fs) (notabene)

131a Der Denker, der es fertigbringt, von der Philosophie als von einer "fremdländischen Gelehrsamkeit" zu sprechen, die zwar anzuerkennen sei, aber doch nur als Würze, die der geistigen Überlegenheit noch die letzte Vollendung gibt, hat, wie man wohl sagen darf, weder die geistige Revolution, die sich in der Philosophie ausdrückte, noch die Natur ihres universalen Anspruchs auf den Menschen verstanden. Die sonderbare Weise, in der Cicero seine Anerkennung der griechischen Philosophie mit belustigter Geringschätzung vermischt, läßt erkennen, daß die Wahrheit der Theorie, wenn sie auch als Erweiterung des intellektuellen und sittlichen Horizontes aufgefaßt wurde, dennoch keine existentielle Bedeutung für einen Römer haben konnte. Rom war bis hinunter zu den Einzelheiten des täglichen Lebens das Rom seiner Götter. Eine erkenntnismäßige Teilnahme an der geistigen Revolution der Philosophie würde das Eingeständnis bedingt haben, daß das Rom der Vorfahren gestorben und eine neue Ordnung im Entstehen sei, in welche die Römer eingehen müßten - so wie die Griechen, gewollt oder ungewollt, in die imperialen Gebilde Alexanders und der Diadochen und schließlich Roms eingehen mußten. Das Rom der Generation Ciceros und Caesars war einfach noch nicht so weit, wie es das Athen des vierten vorchristlichen Jahrhunderts gewesen war, das Platon und Aristoteles hervorbrachte. Die Substanz Altroms behielt ihre Wirksamkeit bis tief in die Kaiserzeit hinein, und sie schwand merklich erst in den Wirren des dritten nachchristlichen Jahrhunderts. Nun erst war für Rom die Zeit gekommen, in das von ihm selbst geschaffene Imperium einzugehen, und nun erst trat der Kampf, den die verschiedenen in Frage kommenden Typen der Wahrheit miteinander austrugen - die Philosophien, die orientalischen Kultreligionen und das Christentum - in seine entscheidende Phase. Diese forderte von dem existentiellen Repräsentanten, dem Kaiser, die Entscheidung, welche transzendente Wahrheit er vertreten würde, nachdem der Mythos Roms seine ordnende Kraft verloren hatte. Cicero kannte solche Probleme noch nicht, und als er ihnen in seiner "fremdländischen Gelehrsamkeit" begegnete, bog er die unerbittliche Drohung ab: den stoischen Gedanken, daß jeder Mensch zwei Länder habe, die Polis seiner Geburt und die Kosmopolis, wandelte er geschickt in den Gedanken um, jeder Mensch habe in der Tat zwei Vaterländer, nämlich seinen ländlichen Geburtsort - für Cicero sein Arpinum - und Rom.16 Die Kosmopolis der Philosophen war für Cicero in historischer Existenz verwirklicht; sie war das Imperium Romanum.17 (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation im Römischen Reich 5; Augustus; Patronatsverhältnis als sakramentale Bindung im römischen Sinne -> Prinzipat; princeps civitatis, amicitia, clientella; Antonius, Oktavianus (Aktium)

Kurzinhalt: Das Prinzipat entstand somit dadurch, daß die Zahl der großen Patronats-Principes zunächst auf die drei des Triumvirats zusammenschmolz, dann auf Antonius und Oktavianus, bis schließlich der Sieger von Aktium diese Stellung als Monopol für sich ...

Textausschnitt: 5. Der princeps als existentieller Repräsentant

132a Die Kraft seiner archaischen Geschlossenheit sicherte Rom sein Überleben im Ringen um das Weltreich. Dieses erfolgreiche Überleben stellt jedoch eine der großen Fragen der Geschichte, nämlich die Frage, wie die Institutionen des republikanischen Rom - die an sich für die Organisation eines Weltreichs eben so wenig geeignet waren wie die Institutionen Athens oder einer anderen griechischen Polis - in solcher Weise gewandelt werden konnten, daß aus ihnen ein Kaiser als existentieller Repräsentant des den Mittelmeerraum umfassenden orbis terrarum hervorging. Der Umwandlungsprozeß ist in vielen Einzelheiten dunkel und wird es wegen der schlechten Quellenlage wohl für immer bleiben müssen. -Aber die sorgfältige Analyse und Auswertung der Materialien durch zwei Generationen von Gelehrten hat doch ein zusammenhängendes Bild des Prozesses erbracht, wie es sich in der eindringlichen Abhandlung über den Prinzipat von Anton von Premerstein findet.1 (Fs)

133a Die Hauptlast der Wandlung zur imperialen Herrschaft wurde nicht von der republikanischen Verfassung getragen. Zwar wurde die Zahl der Senatoren durch die Ernennung von Männern aus den Provinzen vermehrt, um dem Senat den Charakter einer Repräsentation des Imperiums zu geben, wie dies bereits durch Caesar geschehen war; auch wurde das Bürgerrecht auf Italien, und nach und nach auf andere Provinzen, ausgedehnt. Aber eine Entwicklung der Repräsentation durch Volkswahlen in den Provinzen des Imperiums war unmöglich angesichts der konstitutionellen Starrheit, die Rom ebenso wie den anderen Poleis eigentümlich war. Die Anpassung mußte sich auf soziale Institutionen außerhalb der eigentlichen Verfassung stützen; und die Hauptinstitution, die sich zum Amt des Kaisers entwickelte, war die des princeps civis oder princeps civitatis, des sozialen und politischen Führers. (Fs)

133b In der frühen republikanischen Geschichte bezeichnete der Ausdruck "princeps" einen führenden Bürger. Der Kern der Institution war das Patronat, ein Verhältnis, das durch Gunsterweisungen, wie politische Unterstützung, Darlehen, persönliche Geschenke entstand, die ein gesellschaftlich einflußreicher Mann einem Mann niedrigeren gesellschaftlichen Ranges, der solche Gunst nötig hatte, erwies. Durch Gewährung und Annahme solcher Gunstbezeigungen wurde eine unter der Sanktion der Götter stehende geheiligte Bindung zwischen zwei Männern geschaffen. Der Empfangende, der Klient, wurde Gefolgsmann des Schutzherrn, und ihr Verhältnis wurde durch fides, die Treue bestimmt. Es versteht sich, daß der Schutzherr ein Mann von sozialem Rang und Wohlstand sein mußte, ferner daß die Bildung einer größeren clientela das Vorrecht von Mitgliedern der patrizisch-plebejischen Nobilität war und daß die bedeutendsten Senatoren konsularischen Ranges zugleich die mächtigsten Schutzherren sein würden. Solche Schutzherren in den höchsten Rängen der Ämterhierarchie waren die principes civitatis. Einer von ihnen mochte ein Führer von unbestrittener Vorrangstellung sein, wenn er einer der alten Patrizierfamilien angehörte und das Amt eines princeps senates und unter Umständen auch noch das des pontifex maximus innehatte. Die römische Gesellschaft war also ein kompliziertes Gewebe von Gefolgschaftsverhältnissen. Sie war hierarchisch organisiert, da die Klienten eines mächtigen Schutzherrn selbst wiederum Schutzherren einer ansehnlichen clientela sein konnten. Ferner herrschte in ihr das Prinzip des Wettbewerbs, da die principes Rivalen im Kampf um die höchsten Ämter und allgemein um politische Mach waren.2 Der Inhalt der römischen Politik in der spätrepublikanischen Zeit war der Machtkampf wohlhabender Führer von Parteien, deren Grundlage das Patronatsverhältnis war. Unter solchen Führern waren dann Verträge möglich, die sogenannten amicitiae. Vertragsbruch führte zu entsprechenden Feindseligkeiten, den inimicitiae, denen die gegenseitige Anschuldigung, die altercatio, voranging. Zur Zeit der Bürgerkriege nahm die altercatio die Form propagandistischer, an die Öffentlichkeit gerichteter Schriften an, in denen das schimpfliche Verhalten des Gegners im einzelnen geschildert wurde. Eine solche inimicitia unterschied sich rechtlich von einem regulären Krieg, einem bellum justum des römischen Volkes gegen einen Staatsfeind. Der letzte Krieg des Octavianus gegen Antonius und Cleopatra beispielsweise wurde der Rechtsform nach Cleopatra gegenüber als regulärer Krieg, gegenüber Antonius und seiner römischen clientela aber als eine inimicitia geführt.3 (Fs) (notabene)

135a Die Umwandlung der ursprünglichen Institution des Prinzipates in einige wenige riesige Parteiorganisationen wurde durch die militärische Expansion Roms und die sich daraus ergebenden sozialen Veränderungen verursacht. Die Kriege des dritten Jahrhunderts mit ihren Eroberungen in Griechenland, Afrika und Spanien hatten das Nachschubwesen vor ein unlösbares Problem gestellt. Die überseeischen Gebiete konnten nicht von Armeen, die durch jährliche Aushebungen erneuert wurden, erobert und gehalten werden; es war unmöglich, die alten Kontingente jedes Jahr zurückzuholen und durch neue zu ersetzen. Die Provinzarmeen mußten zu Berufsheeren mit zehn- und zwanzigjähriger Dienstzeit werden. Die heimkehrenden Veteranen waren eine entwurzelte Masse, für die durch Landzuteilungen, Siedlungsunternehmen oder die Erlaubnis, in der Stadt Rom zu wohnen und die damit verbundenen Privilegien zu genießen, gesorgt werden mußte. Um solche Begünstigungen zu erlangen, mußten sich die Veteranen auf ihre militärischen Befehlshaber, die principes waren, verlassen, was zur Folge hatte, daß ganze Armeen zur clientela eines princeps wurden. Wenn irgendetwas für die Entwicklung des spätrepublikanischen Rom kennzeichnend ist, so ist es die Zähigkeit, mit der die Standesdisziplin des römischen Adels während eines ganzen Jahrhunderts durchhielt, ehe die mächtigen neuen Parteiführer sich gegen den Senat stellten und das politische Leben Roms zu einer privaten Auseinandersetzung unter sich machten. Überdies wurde es notwendig, infolge des ungeheuren Anwachsens der Zahl der Klienten sowie deren Vermehrung durch bewaffnete Formationen für Kriegsdienst und Straßenkämpfe die bisher formlosen Beziehungen durch eine besondere Eidesleistung, durch welche der Klient in fides an seinen Schutzherrn gebunden wurde, zu formalisieren. Zu diesem Punkt sind die Quellen besonders spärlich, aber es können doch solche Eide in steigender Zahl und Vielfalt nach dem Jahr 100 v. Chr. festgestellt werden.4 Schließlich wurde das Gefüge dieses Systems noch durch den erblichen Charakter der clientela bestimmt. Die Vererbung der clientela spielte im Zuge der Bürgerkriege des ersten vorchristlichen Jahrhunderts eine recht bedeutende Rolle. So kamen zum Beispiel Octavianus in seinen ersten Kämpfen gegen Antonius Caesars Veteranenkolonien in Campania sehr zugute, die, da er Caesars Erbe war, seine clientela geworden waren.5 Und das Siedlungsgebiet solcher ererbter Klientelen von Soldaten bestimmte sogar den Kriegsschauplatz. So mußten beispielsweise die Pompejaner in Spanien niedergekämpft werden, weil Pompejus seine Soldaten auf der Iberischen Halbinsel angesiedelt hatte.6 (Fs)

135a Das Aufkommen des Prinzipats kann somit als eine Fortentwicklung des Patronats bezeichnet werden, welches im übrigen in seiner bescheideneren Form bis tief in die Kaiserzeit hinein weiterbestand. Wenn der Schutzherr ein princeps civis war, so wurde seine clientela zum Werkzeug politischer Macht, und durch die Einbeziehung von Veteranenheeren wurde sie zum Werkzeug militärischer Macht, die mit den verfassungsmäßigen Streitkräften rivalisierte. Politischer Einfluß, Reichtum und die militärische clientela bedingten und steigerten einander wechselseitig, insofern als die politische Position das militärische Kommando sicherte, das zur Eroberung und Ausbeutung von Provinzen erforderlich war, während die Ausnutzung der Provinzen nötig war, uni die clientela mit Beutegut und Land zu versehen, und die Klientel wiederum für die Aufrechterhaltung des politischen Einflusses zu sorgen hatte. Als die Zahl der Rivalen sich auf einige wenige große Parteiführer verringert hatte, war der Punkt, an dem die konstitutionelle Legalität zerbrechen mußte, erreicht, besonders wenn Senat und die Magistrate unter sich in die rivalisierenden Klientelen gespalten waren. Im Leben eines jeden großen Parteiführers des letzten vorchristlichen Jahrhunderts kam die Zeit, da er sich zu entscheiden hatte, ob er die Grenze zwischen Legalität und Illegalität überschreiten wollte. Die berühmteste dieser Entscheidungen war Caesars Entschluß, über den Rubikon zu gehen.7 Und Oktavianus, ein kühler, berechnender Politiker, entschied sich dafür, seinen letzten Krieg gegen Antonius als inimicitia zu führen, da die Erklärung des Antonius zum Staatsfeind die gleiche Erklärung gegen ihn selbst hätte hervorrufen können, denn beide waren Konsuln, und ein Teil des Senats stand im Lager des Antonius. Die gegenseitige Erklärung der Rivalen zu Staatsfeinden hätte Rom gleichsam in zwei einander bekämpfende Staaten gespalten; und eine solche Erschütterung der Republik in ihren konstitutionellen Grundfesten hätte die gleichen katastrophalen Ergebnisse zeitigen können, wie die gleichgeartete Situation im Kampf auf Leben und Tod zwischen Caesar und Pompejus - die Ermordung des siegreichen Führers durch republikanische Schwärmer ein Jahr nach seinem Triumph. Das Prinzipat entstand somit dadurch, daß die Zahl der großen Patronats-Principes zunächst auf die drei des Triumvirats zusammenschmolz, dann auf Antonius und Oktavianus, bis schließlich der Sieger von Aktium diese Stellung als Monopol für sich in Anspruch nahm.8 (Fs)

138a Die Repräsentationsordnung Roms nach Aktium war eine geschickte Kombination der alten republikanischen Verfassung mit der neuen existentiellen Repräsentation der Bevölkerung des Imperiums durch den princeps. Die direkte Verbindung zwischen princeps und Volk wurde durch die Ausdehnung des Klienteneides auf das gesamte Volk gesichert. 32 v. Chr. hatte Oktavianus, ehe er in seinem Kampf mit Antonius eintrat, von Italien und den Westprovinzen einen solchen Eid, die sogenannte coniuratio des Westens gefordert. Dies war ein dem Octavianus pro partibus suis, d. h. als Parteiführer, geleisteter Eid.9 Für die Ausdehnung des Eides auf die Ostprovinzen, die nach Aktium erfolgt sein muß, sind keine Quellen greifbar.10 Jedenfalls wurde der dem princeps in der Form von 32 v. Chr. zu leistende Eid zu einer ständigen Einrichtung. Er wurde erneut den Nachfolgern des Augustus bei ihrer Thronbesteigung geleistet,11 und von Caius Caligula an wurde er alljährlich erneuert.12 Die vom Patronat her bestimmte Gliederung einer Gruppe in Führer und Gefolgsleute hatte sich ausgeweitet zur Form der Repräsentation eines imperialen Gebildes. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation im Römischen Reich 6; Die Schwächen der sakramentalen Bindung; Sol Invictus, Gebet des Licinius; Hendrik Berkhof, konstantinische Wende; homo-ousios, Konstantin

Kurzinhalt: Seine Wirksamkeit beruhte darauf, daß das Patronatsverhältnis als sakramentale Bindung im römischen Sinne erlebt wurde. Der neue Augustus erkannte das Problem.

Textausschnitt: 6. Die Schwächen der sakramentalen Bindung

139a Der vom patrozinialen zum imperialen erweiterte Prinzipat war die Einrichtung, die den neuen Herrscher zum existentiellen Repräsentanten der weiträumigen Ansammlung eroberter Gebiete und Völkerschaften machte. Es versteht sich, daß dies ein nicht sehr stabiles Instrument war. Seine Wirksamkeit beruhte darauf, daß das Patronatsverhältnis als sakramentale Bindung im römischen Sinne erlebt wurde. Der neue Augustus erkannte das Problem. Seine Gesetzgebung zur religiösen und sittlichen Reform muß zum Teil als der Versuch verstanden werden, sakrale Gefühle, welche bereits zur Zeit von Varros Antiquitates im Schwinden waren, neu zu stärken. Angesichts der unübersehbaren orientalischen Bevölkerung war dies eine hoffnungslose Aufgabe, vor allem da diese Völker des Ostens in stets wachsender Zahl nach Rom einströmten und trotz aller Verbote an ihren nichtrömischen Kulten festhielten. Die Aufgabe wurde noch hoffnungsloser, als sogar nichtrömische Kaiser den Thron bestiegen, als auf die Julische Dynastie die aus der Provinz stammenden Flavier, die Spanier, die Syrer und die Illyrer folgten. (Fs) (notabene)

140a Das Mittel, um den Mangel des Sakralen in der Position des Kaisers zu beheben, ließ sich nur langsam auf Umwegen über Experimente und Mißerfolge finden. Die Vergöttlichung des Kaisers nach dem Vorbild des hellenistischen Königtums erwies sich als ungenügend. Es mußte auch entschieden werden, welche göttliche Macht aus der Masse der kultischen Gottheiten im Reich er repräsentierte. Unter dem Druck dieses Problems machte die religiöse Kultur der römischen Mittelmeerländer einen Prozeß durch, der gewöhnlich Synkretismus oder theokrasia, d. h. Verschmelzung von Gottheiten genannt wird. Diese Entwicklung steht keineswegs vereinzelt da. Dem Wesen nach ist es derselbe Prozeß, den die nahöstlichen Reiche zu früherer Zeit durchgemacht hatten, nämlich der Prozeß der Neuinterpretation der Unmenge lokaler Kultgottheiten in dem politisch geeinten Gebiet als Erscheinungen des einen höchsten Gottes, der damit zum Reichsgott wurde. Unter den eigenartigen Verhältnissen des kulturell buntgewürfelten römischen Staatsgebietes war es gewiß nicht leicht, mit solch einem höchsten Gott zu experimentieren. Einerseits durfte dieser Gott keine begriffliche Abstraktion sein, sondern mußte in einer verständlichen Beziehung zu einem oder mehreren der konkret erlebten Götter, welche als hohe Götter galten, stehen. Wenn aber andererseits seine Beziehung zu einem konkret vorhandenen Gott zu eng wurde, so gefährdete dies seinen Wert als der über allen Einzelgöttern stehende Gott. Der Versuch des Heliogabal (218-22), den Baal von Emesa als höchsten Gott in Rom einzuführen, mißlang. Ein beschnittener Caesar, der eine vestalische Jungfrau heiratete, um die Verbindung zwischen Baal und Tanit zu symbolisieren, erwies sich als zu starke Zumutung für die römische Tradition. Heliogabal wurde von seiner Prätorianergarde ermordet. Der Illyrer Aurelian (270-71) hatte mehr Erfolg, als er einen durch ein ausreichendes Maß von Unklarheit charakterisierten Sonnengott, den Sol Invictus, zum höchsten Gott des Imperiums und sich selbst zu dessen Abkömmling und Repräsentanten erklärte. Mit einigen Abänderungen, die unter Diokletian (284-305) erfolgten, hielt sich dieses System bis 313 n. Chr. (Fs)

141a Die Tatsache, daß der Reichskult Gegenstand von Experimenten war, darf jedoch nicht über den religiösen Ernst hinwegtäuschen, mit dem diese Experimente unternommen wurden. Der spätrömische Summodeismus war dem Christentum geistig nahe genug gekommen, um die Konversion fast zu einem leichten Übergang zu machen. Das Gebet des Licinius vor seiner Schlacht gegen Maximinus Daza im Jahre 313 ist noch erhalten. In der Nacht erschien Licinius ein Engel und sicherte ihm den Sieg zu, wenn er und die Armee es beten würden: (Fs)

Höchster Gott, wir beten zu Dir. Heiliger Gott, wir beten zu Dir. Alle Gerechtigkeit befehlen wir Dir, Unser Wohl befehlen wir Dir, Unser Reich befehlen wir Dir.
Durch Dich leben wir, durch Dich sind wir siegreich und erfolgreich. Höchster, heiliger Gott, erhöre unsre Gebete.
Wir erheben unsere Hände zu Dir, Erhöre uns, o heiliger, höchster Gott. (Fs)

142a Die Begebenheit und das Gebet werden uns von Lactantius berichtet1, wobei als bekannt vorausgesetzt wird, daß der Sieg auf einer ähnlichen Konversion wie der Konstantins im vorangegangenen Jahr beruhte. Das Christentum des Licinius ist in Anbetracht der antichristlichen Politik, die er in den folgenden Jahren führte, zumindest zweifelhaft, aber Lactantius schien dieses Gebet, das ebensogut von seinem heidnischen Gegner Maximinus hätte gesprochen werden können, ein Bekenntnis zum Christentum zu sein. (Fs)

142b Die genaue Bedeutung der überraschenden Wendung, die in den Jahren 311-13 dem Christentum die Freiheit brachte, ist noch immer umstritten. Die neueste Interpretation des holländischen Theologen Hendrik Berkhof scheint jedoch, soweit die Quellenlage dies gestattet, die mysteriöse Angelegenheit verständlich zu machen.2 Das beharrliche überleben der Christen trotz heftiger Verfolgungen überzeugte anscheinend die Regenten Galerius, Licinius und Konstantin davon, daß der Gott der Christen mächtig genug sei, um seine Anhänger im Unglück zu beschützen, daß er eine Realität sei, die mit Vorsicht behandelt werden müsse. Das Edikt des Galerius vom Jahre 311 erklärte, daß unter dem Druck der Verfolgungen die Christen weder ihre kultischen Pflichten gegenüber den offiziellen Göttern erfüllten noch ihren eigenen Gott in gebührender Form verehrten.3 Diese Beobachtung gab anscheinend den Ausschlag für den plötzlichen Umschwung in der Politik. Wenn der mächtige Gott der Christen von seinen eigenen Anhängern nicht gebührend verehrt wird, könnte er Rache nehmen und die Schwierigkeiten der Herrscher, die seine Verehrung verhindern, noch vergrößern. Das war das gute, alte römische Prinzip des do ut des.4 Das Edikt schrieb den Christen vor, daß sie als Gegenleistung für ihre neugewonnene Freiheit für den Kaiser, für das öffentliche Wohl sowie für ihr eigenes zu beten hätten.5 Dies war nicht eine Konversion zum Christentum, sondern vielmehr eine Einbeziehung des christlichen Gottes in das kaiserliche System der Divinitas.6 Das Edikt des Licinus vom Jahr 313 erklärte, daß die frühere christenfeindliche Politik revidiert worden sei, "so daß alles, was im himmlischen Wohnsitz divinitas ist, uns und allen, die unsrer Herrschaft unterstehen, günstig sei".7 Der kuriose Ausdruck divinitas war mit dem offiziellen Polytheismus und der Anerkennung des Summus Deus der Reichsreligion vereinbar, klang jedoch gleichzeitig monotheistisch genug, um auch Christen zufriedenzustellen. Daß die Bedeutung in der Schwebe blieb, war vermutlich beabsichtigt - man spürt die geschickte Hand Konstantins, der später in der christologischen Debatte auf dem erhaben bedeutungslosen Ausdruck homo-ousios bestand. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation im Römischen Reich 7; Celsus (Verteidigung d. Polytheismus); De-Divinisation der Welt (revolutionäre Substanz): Ende einer geschichtlichen Epoche

Kurzinhalt: Da die Regionen der Erde von Anbeginn verschiedenen herrschenden Geistern und überwachenden Mächten zugewiesen worden seien, sei der religiöse Aufruhr zugleich eine politische Revolte. Wer den nationalen Kult zerstören wolle, plane auch die Zerstörung ...

Textausschnitt: 7 Celsus über den revolutionären Charakter des Christentums

143a Die Probleme der Reichstheologie konnten jedoch nicht durch einen linguistischen Kompromiß gelöst werden. Die Christen wurden mit gutem Grund verfolgt; denn im Christentum war eine revolutionäre Substanz enthalten, die es mit dem Heidentum unvereinbar machte. Die neue Allianz mußte die soziale Wirksamkeit dieser revolutionären Substanz fördern. Was das Christentum so gefährlich machte, war seine kompromißlose, radikale De-Divinisation der Welt. Das Problem ist vielleicht am deutlichsten von Celsus formuliert worden in seinem Alethes Logos (ca. 180 n. Chr.), der kompetentesten Kritik des Christentums von heidnischer Seite. Die Christen, so klagte er, verwerfen den Polytheismus mit der Begründung, man könne nicht zwei Herren dienen.1 Dies sah Celsus als die "Sprache der Revolte (stasis)" an.2 Er gab zu, daß unter Menschen diese Regel gelte. Aber Gott könne nichts entzogen werden, wenn man seiner Göttlichkeit in den vielen Erscheinungsformen seines Reiches diene. Im Gegenteil ehren wir den Allerhöchsten und sind ihm wohlgefällig, wenn wir viele von denen ehren, die ihm angehören.3 Suchen wir dagegen einen Gott heraus und ehren ihn allein, so führen wir Klüngelbildung in das Gottesreich ein.4 Eine solche Haltung werde nur von Menschen eingenommen, die außerhalb der menschlichen Gesellschaft stehen und ihre sie isolierenden Leidenschaften auf Gott übertragen.5 Die Christen seien daher Unruhestifter im Bereich von Religion und Metaphysik, sie seien ein Aufruhr gegen die Gottheit, welche die ganze Welt bis in all ihre Verästelungen harmonisch beseele. Da die Regionen der Erde von Anbeginn verschiedenen herrschenden Geistern und überwachenden Mächten zugewiesen worden seien,6 sei der religiöse Aufruhr zugleich eine politische Revolte. Wer den nationalen Kult zerstören wolle, plane auch die Zerstörung der nationalen Kulturen.7 Und da sie alle im Imperium ihren Platz gefunden hätten, sei der Angriff der radikalen Monotheisten auf die Kulte ein Angriff auf das Gefüge des Imperium Romanum. Nicht, daß es etwa nicht wünschenswert sei, sogar nach Meinung des Celsus, wenn Asiaten, Europäer, Libyer, Hellenen und Barbaren sich auf einen einzigen nomos einigen, aber, so fügt er geringschätzig hinzu - "wer dies für möglich hält, weiß nichts".8 Die Antwort des Origines in seinem Contra Celsum war, daß dies nicht nur möglich sei, sondern sicherlich geschehen werde.9 Celsus, so darf man wohl sagen, sah die Implikationen des Christentums sogar noch klarer als Cicero die der griechischen Philosophie. Er erfaßte das existentielle Problem des Polytheismus, und er wußte, daß die christliche De-Divinisation der Welt das Ende einer geschichtlichen Epoche brachte und die ethnischen Kulturen des Zeitalters radikal umwandeln würde. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation im Römischen Reich 8; d. Monotheismus des Philo: Parallelkonstruktion: imperiale Monarchie - göttlicher Weltmonarchie; Eusebius (Christus - Augustus, pax romana); Imperium - Problem d. Trinität (Arius); Ende: politischer Theologie: Kirche

Kurzinhalt: Der göttliche monarchische Herrscher des Kosmos regiert die Welt durch seine geringeren Abgesandten in der gleichen Weise, wie der persische Großkönig sein Reich durch die Satrapen in den Provinzen regiert. Philo paßte diese Konstruktion ...

Textausschnitt: 8. Der metaphyische Monotheismus des Philo

145a Der Glaube, das Christentum ließe sich dazu benützen, der politischen Theologie des Imperiums entweder allein oder in Verbindung mit der heidnischen Konzeption eines Summus Deus neue Impulse einzuflößen, sollte bald enttäuscht werden. Dennoch hatte dieser Glaube seinen guten Grund, insofern er sich auf eine christliche Tendenz stützen konnte, den einen Gott des Christentums in der Richtung auf einen metaphysischen Monotheismus hin zu interpretieren.1 Daß man sich auf dieses Experiment einließ, war eine verständliche Versuchung auf dem Wege der östlichen Religionen, als diese sich in der hellenistischen Umwelt fanden und anfingen, sich in der Sprache der griechischen Spekulation auszudrücken. Tatsächlich war die christliche Entwicklung in dieser Richtung nicht die erste dieser Art, sie folgte vielmehr dem Beispiel des Philo Judaeus, und Philo hatte schon die vorbereitenden peripatetischen Spekulationen des ersten vorchristlichen Jahrhunderts zur Verfügung. Aristoteles hatte in seiner Metaphysik folgenden Grundsatz formuliert: "Die Welt hat nicht den Wunsch, schlecht regiert zu werden; die Herrschaft vieler ist nicht gut, einer sei der Herr."2 In der peripatetischen Literatur vor Philo, für die das repräsentative Beispiel das pseudo-aristotelische De mundo ist, wurde dieser Grundsatz zu den großen Parallelkonstruktionen von imperialer Monarchie und göttlicher Weltmonarchie ausgearbeitet.3 Der göttliche monarchische Herrscher des Kosmos regiert die Welt durch seine geringeren Abgesandten in der gleichen Weise, wie der persische Großkönig sein Reich durch die Satrapen in den Provinzen regiert.4 Philo paßte diese Konstruktion seinem jüdischen Monotheismus an, um ein Instrument für die Propaganda des Judentums als Ein-Gott-Kult im Imperium zu schaffen.5 In offensichtlicher Anlehnung an eine peripatetische Quelle macht er den jüdischen Gott zu einem "König der Könige" im persischen Sinne, während alle anderen Götter in den Rang untergeordneter Herrscher versetzt wurden.6 Er wahrte sorgfältig die Stellung der Juden als des auserwählten Volkes, aber zog sie geschickt aus ihrer metaphysischen Sackgasse, indem er den Dienst Jahwes zum Dienst des Gottes machte, der den Kosmos im peripatetischen Sinne regiert.7 Er bezog sich sogar auf Platons Timaeus, um Jahwe zum Gott zu machen, der die Ordnung, die taxis der Welt, im konstitutionellen Sinne herstellt.8 Indem die Juden diesem Gott dienen, dienen sie ihm stellvertretend für die Menschheit. Und als er den Passus aus der aristotelischen Metaphysik mit dem homerischen Vers zitierte, betonte er nachdrücklich, daß der Vers für die kosmische wie für die politische Herrschaft zu gelten habe.9 (Fs)

148a Philos Spekulation wurde von christlichen Denkern übernommen.10 Die Anpassung an die christliche Situation im Imperium erreichte durch Eusebius von Caesarea in der Zeit Konstantins ihre volle Entfaltung.11 Eusebius war, wie viele christliche Denker vor und nach ihm, stark beeindruckt von dem zeitlichen Zusammenfallen des Erscheinens Christi mit der Befriedung des Imperiums durch Augustus. Sein großes historisches Werk war zum Teil von seinem Interesse an der vorsehungsbestimmten Unterjochung ehemals unabhängiger Nationen durch die Römer motiviert. Als die autonome Existenz der politischen Gebilde im Mittelmeerraum durch Augustus beseitigt war, konnten die Apostel des Christentums unbehelligt das ganze Gebiet des Imperiums durchziehen und das Evangelium predigen. Sie hätten ihre Mission kaum durchführen können, wenn nicht der Zorn der "Abergläubischen der Polis" durch die Angst vor der Macht der Römer in Schach gehalten worden wäre.12 Die Errichtung der pax romana war überdies nicht nur von pragmatischer Bedeutung für die Ausbreitung des Christentums, sondern dem Eusebius schien sie eng verknüpft mit den Mysterien des Gottesreiches. In der vorrömischen Zeit, so meinte er, hätten Nachbarn nicht in wahrer Gemeinschaft gelebt, sondern wären in ständige Streitigkeiten miteinander verwickelt gewesen. Augustus habe die pluralistische Polyarchie aufgelöst. Durch seine Monarchie habe sich Friede über die Erde gebreitet in Erfüllung der biblischen Verheißungen aus Mich 4,4 und PS 71,7. Kurz, Eusebius übertrug die eschatologischen Prophezeiungen des Friedens Gottes ins Politische dadurch, daß er sie auf eine pax Romana bezog, die historisch mit der Erscheinung des Logos zusammenfiel.13 Und schließlich betrachtete Eusebius das Werk, das Augustus begonnen hatte, als von Konstantin vollendet. In seiner Rede zum Tricennium pries er Konstantin, weil er in seiner imperialen Monarchie dem Vorbild der göttlichen gefolgt sei: der eine basileus auf Erden repräsentiere den einen Gott, den einen König im Himmel, den einen Nomos und Logos.14 Das war in der Tat eine Rückkehr zur imperialen Repräsentation der kosmischen Wahrheit. (Fs)

149a Die Harmonie konnte nicht von Dauer sein. Sie mußte in die Brüche gehen, sobald Christen mit wacherem Sinn sich des Problems annahmen. Die Frage trat durch den Kampf um die Christologie in ihre kritische Phase ein. Celsus hatte über die Christen gespottet, weil sie ihren eigenen Monotheismus nicht ernst nähmen und in Christus einen zweiten Gott hätten.15 Das war in der Tat die große Frage, die in der christologischen Debatte entschieden werden mußte, als sie durch die Häresie des Arius aufgerührt worden war. Es mußten die Symbole gefunden werden, um den einen Gott als drei Personen in einer interpretieren zu können: und wenn das Trinitätsproblem einmal verstanden war, wurden Konstruktionen wie die des Eusebius unmöglich. Begreiflicherweise neigten die Kaiser und Hoftheologen zur Seite der Arianer; denn die trinitarische Debatte störte ernsthaft die monotheistische Ideologie, von der die Auffassung vom Kaiser als dem Repräsentanten des einen Gottes abhing. Nachdem der Widerstand des Athanasius, unterstützt von den Westchristen, der trinitarischen Symbolik zum Sieg verholfen hatte, konnten die Spekulationen über eine Parallelität der himmlischen und der irdischen Monarchie nicht weitergeführt werden. Der Begriff der göttlichen Monarchie verschwand nicht aus dem Sprachgebrauch, erhielt aber eine neue Bedeutung. Gregor von Nazianz beispielsweise erklärte, die Christen glaubten an die göttliche Monarchie, aber - so fuhr er fort - sie glaubten nicht an eine einzige Person in der Gottheit, denn eine solche Gottheit wäre eine Quelle der Zwietracht. Die Christen glaubten an die Dreieinigkeit, und diese Dreieinigkeit Gottes habe in der Schöpfung nicht ihresgleichen. Die eine Person eines imperialen Monarchen könne nicht die dreieinige Gottheit repräsentieren.16 In welchem Maße es unmöglich geworden war, in der Politik mit der Idee eines dreieinigen Gottes zu operieren, mag an einer Begebenheit aus der Regierungszeit Konstantins IV. Pogonatus (668-85) veranschaulicht werden: die Armee verlangte, daß er seine beiden Brüder zu Mitkaisern mache, damit es auf Erden eine Repräsentanz der göttlichen Trinität gebe.17 Dies klingt eher wie ein Scherz denn wie ein ernst hafter Vorschlag, und es war vielleicht unvermeidlich, daß im Verlaufe der Ereignisse den zweiten und dritten Personen der kaiserlichen Trinität die Nasen abgeschnitten wurden. (Fs) (notabene)

151a Die andere brillante Idee des Eusebius, nämlich der Gedanke, in der pax Romana die Erfüllung eschatologischer Prophezeiungen zu erblicken (ein Gedanke, der stark an Ciceros Neigung erinnert, die vollkommene Ordnung der Philosophen durch Rom verwirklicht zu sehen), mußte unter dem Druck der Wirren des Zeitalters zerfallen. Doch mag der Kommentar des Augustus zur Prophezeiung in PS 45,10 als Beleg für die formelle Gegenposition der Orthodoxen dienen. Die Prophezeiung lautet: "Er macht, daß Kriege aufhören bis ans Ende der Erde." Hierzu erklärt Augustinus: "Dies sehen wir noch nicht verwirklicht. Bisher haben wir Kriege. Unter den Nationen sind es Kriege um die Vorherrschaft. Ferner gibt es auch Kriege zwischen den Sekten, zwischen Juden, Heiden, Christen und Häretikern, und diese Kriege nehmen sogar zu; auf der einen Seite wird für die Wahrheit gekämpft, auf der anderen für die Lüge. In keiner Hinsicht wurde das Aufhören der Kriege bis ans Ende der Erde erfüllt. Aber vielleicht, so hoffen wir, wird es noch erfüllt werden."18 (Fs) (notabene)

151b Das ist das Ende der politischen Theologie im orthodoxen Christentum. Das spirituale Schicksal des Menschen im christlichen Sinne kann auf Erden nicht durch die Machtorganisation einer politischen Gesellschaft, es kann nur durch die Kirche repräsentiert werden. Die Sphäre der Macht wurde einem radikalen Prozeß der De-Divinisation unterworfen, sie war temporal geworden. Die zweifache Repräsentation des Menschen in Gesellschaft durch Kirche und Reich bestand durch das ganze Mittelalter hindurch. Die spezifisch modernen Repräsentationsprobleme hängen mit der Re-Divinisation der Gesellschaft zusammen. Die nächsten drei Kapitel werden sich mit diesen Problemen beschäftigen. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Der Gnostizismus - das Wesen der Modernität 1; Sieg d. Christentums; De-Divinisation - Re-Divinisation; Chiliasmus; Augustinus: neues Konzept d. Geschichte (temporale - spirituale Ordnung); röm: Reich: Repräsentanz der menschlichen Temporalität - Kirche

Kurzinhalt: Augustinus ... lehnte den Buchstabenglauben an das tausendjährige Reich rundweg als "lächerliche Mär" ab und gab die kühne Erklärung, das tausendjährige Reich sei die Herrschaft Christi in seiner Kirche im gegenwärtigen Säkulum, das ...

Textausschnitt: IV. Der Gnostizismus - das Wesen der Modernität

1. Der Sieg des Christentums

153a Der Zusammenstoß zwischen den verschiedenen Typen der Wahrheit im Römischen Reich endete mit dem Sieg des Christentums. Das schicksalhafte Resultat dieses Sieges war die De-Divinisation der temporalen Sphäre der Macht; und wir haben vorausgenommen, daß die spezifisch modernen Probleme der Repräsentation in Zusammenhang mit der Re-Divinisation von Mensch und Gesellschaft stehen würden. Die beiden Ausdrücke bedürfen einer näheren Definition, vor allem da der Begriff der Modernität und in seinem Gefolge die Periodisierung der Geschichte von dem Sinn der Re-Divinisation abhängig sind. Unter De-Divinisation soll also der historische Prozeß verstanden werden, in dessen Verlauf die Kultur des Polytheismus an der Atrophie des Erlebens starb und die menschliche Existenz in der Gesellschaft neugeordnet wurde durch das Erlebnis der Bestimmung des Menschen - durch die Gnade des welttranszendenten Gottes - zum ewigen Leben in seliger Schau. Unter Re-Divinisation soll jedoch nicht ein Wiederaufleben der polytheistischen Kultur im griechischrömischen Sinne verstanden werden. Die Charakterisierung moderner politischer Massenbewegungen als neuheidnisch, die sich einer gewissen Beliebtheit erfreut, ist irreführend, da sie die historische Einmaligkeit der modernen Bewegungen einer oberflächlichen Ähnlichkeit preisgibt. Die moderne Re-Divinisation hat ihren Ursprung vielmehr im Christentum selbst, insofern sie von Komponenten in ihm herrührt, die von der allgemeinen Kirche als häretisch unterdrückt worden waren. Die Natur dieser Spannung innerhalb des Christentums wird daher näher zu bestimmen sein. (Fs) (notabene)

154a Die Spannung war durch die Tatsache gegeben, daß das Christentum historisch als eine messianische Bewegung des Judentums seinen Anfang genommen hatte. Das Leben der urchristlichen Gemeinschaften war in seinem Erleben noch nicht fixiert, sondern schwankte zwischen der eschatologischen Erwartung der Parusie, die das Reich Gottes bringen würde, und der Auffassung von der Kirche als der Apokalypse Christi in der Geschichte. Da die Parusie sich nicht ereignete, entwickelte sich die Kirche von der Eschatologie des Gottesreiches in der Geschichte zur Eschatologie einer transhistorischen, übernatürlichen Vollendung. Im Verlauf dieser Entwicklung löste sich das Wesen des Christentums von seinem historischen Ursprung ab.1 (Fs) (notabene)

154b Diese Ablösung begann schon im Leben Jesu selbst,2 und sie wurde grundsätzlich durch die pfingstliche Herabkunft des Hl. Geistes vollendet. Dennoch wurde die Erwartung eines unmittelbar bevorstehenden Kommens des Reiches Gottes immer aufs neue durch das Erdulden der Verfolgungen bis zur Weißglut gesteigert; und der großartigste Ausdruck des apokalyptischen Pathos, die Offenbarung des Johannes, wurde trotz der Bedenken über ihre Vereinbarkeit mit der Idee der Kirche in den Kanon aufgenommen. Diese Aufnahme hatte schicksalhafte Folgen, denn mit der Offenbarung wurde die revolutionäre Ankündigung des tausendjährigen Reiches anerkannt, in welchem Christus mit seinen Heiligen auf dieser Erde herrschen würde.3 Nicht nur sanktionierte die Kanonisierung die dauernde Wirksamkeit der jüdischen apokalyptischen Literatur im Christentum, sondern sie warf auch unmittelbar die Frage auf, wie der Chiliasmus mit der Idee und der Existenz der Kirche in Einklang gebracht werden könne. Wenn der Gehalt des Christentums lediglich in dem brennenden Wunsch nach Befreiung von der Welt bestand, wenn die Christen in der Erwartung des Endes der unerlösten Geschichte lebten, wenn ihr Schicksal nur durch das Reich im Sinne des 20. Kapitels der Offenbarung erfüllt werden konnte, dann wurde die Kirche zu einer kurzlebigen Gemeinschaft von Menschen herabgewürdigt, die auf das große Ereignis warteten und hofften, es werde sich zu ihren Lebzeiten ereignen. Auf theoretischer Ebene ließ sich das Problem nur durch die gewalttätige Interpretation lösen, die Augustinus in seiner Civitas Dei lieferte. Er lehnte den Buchstabenglauben an das tausendjährige Reich rundweg als "lächerliche Mär" ab und gab die kühne Erklärung, das tausendjährige Reich sei die Herrschaft Christi in seiner Kirche im gegenwärtigen Säkulum, das bis zum Jüngsten Gericht und der Ankunft des ewigen Reiches im Jenseits fortdauern werde.4 (Fs) (notabene)

155a Die augustinische Konzeption der Kirche blieb ohne wesentliche Änderung bis zum Ende des Mittelalters historisch wirksam. Die revolutionäre Erwartung einer Wiederkunft, welche die Struktur der Geschichte auf Erden verklären würde, war als "lächerlich" abgetan; der Logos war in Christus Fleisch geworden; der Mensch hatte die Gnade der Erlösung empf angen; außer der pneumatischen Präsenz Christi in der Kirche gab es keine Divinisation der Gesellschaft. Der jüdische Chiliasmus wurde zusammen mit dem Polytheismus verbannt, so wie der jüdische Monotheismus zusammen mit dem heidnischen metaphysischen Monotheismus verbannt worden war. So verblieb die Kirche allein als der universal-geistige Verband der Heiligen und Sünder, die ihren Glauben an Christus bekennen, als die Repräsentantin der civitas Dei in der Geschichte, als der Blitz aus der Ewigkeit in die Zeit. Und entsprechend verblieb die Machtorganisation der Gesellschaft als die temporale Repräsentation des Menschen in dem spezifischen Sinne einer Repräsentation jenes Teiles der menschlichen Natur, die mit der Verklärung der Zeitlichkeit in die Ewigkeit ihr Ende findet. Die eine christliche Gesellschaft hatte sich in die spirituale und temporale Ordnung artikuliert. In ihrer temporalen Artikulierung anerkannte sie die Conditio humana ohne chiliastische Phantastereien, und zugleich erhöhte sie die natürliche Existenz, indem sie die geistige Bestimmung durch die Kirche repräsentieren ließ. (Fs) (notabene)

156a Das Bild muß abgerundet werden, indem man sich vergegenwärtigt, daß die Idee der temporalen Ordnung durch das römische Reich historisch konkretisiert wurde. Rom wurde in die Idee einer christlichen Gesellschaft hineinkonstruiert dadurch, daß die danielische Prophezeiung der Vierten Monarchie5 auf das imperium sine fine6 als das letzte Reich vor dem Ende der Welt7 bezogen wurde. Parallel zur Kirche als der historisch konkreten Repräsentanz der spiritualen Bestimmung stand das römische Reich als die historisch konkrete Repräsentanz der menschlichen Temporalität. Die Auffassung vom mittelalterlichen Reich als der Fortsetzung Roms war daher mehr als ein vager historischer Nachklang der Vergangenheit; sie war ein Teil der Geschichtsauffassung, nach der das Ende Roms das Ende der Welt im eschatologischen Sinne bedeutete. Was den Ideenbereich anbelangt, so erhielt sich diese Auffassung noch über Jahrhunderte, wenn auch ihre emotionale und institutionelle Basis zerfiel. Die Weltgeschichte wurde gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts von Bossuet in seiner Histoire universelle zum letzten Mal in augustinischer Tradition konstruiert. Der erste Moderne, der es wagte, in direktem Gegensatz zu Bossuet eine Weltgeschichte zu schreiben, war Voltaire.8 (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Der Gnostizismus - das Wesen der Modernität 2a; Symbolik der Wiedervergöttlichung; Joachim von Flora (Fiore); Symbol der Trinität; Symbole: 3 Zeitalter, Führer, Prophet Bruderschaft; nationalsozialistisches Reiche (Sonderfall)

Kurzinhalt: In seiner trinitarischen Eschatologie schuf Joachim das Aggregat der Symbole, die bis zum heutigen Tag die Selbstinterpretation der modernen politischen Gesellschaft beherrschen.

Textausschnitt: 2. Die Symbolik der Wiedervergöttlichung

157a Die westliche christliche Gesellschaft war in die spirituale und temporale Ordnung artikuliert, mit Papst und Kaiser als den obersten Repräsentanten in existentiellem wie in transzendentem Sinn. Aus dieser Gesellschaft mit ihrem festgelegten System von Symbolen erheben sich nun mit dem Wiederaufsteigen der Eschatologie des Reiches die spezifischen Repräsentationsprobleme. Die Bewegung hatte eine lange soziale und geistige Vorgeschichte, doch brachte das Verlangen nach der De-Divinisation [sic; eg: Re-Divinisation???; Richtigkeit der eg-Deutung ergibt sich aus 175a] der Gesellschaft erst gegen Ende des zwölften Jahrhunderts eine schärfer umrissene neue Symbolik hervor. Die Analyse wird von dem ersten klaren und umfassenden Ausdruck der Idee in der Person und im Werk des Joachim von Flora ausgehen. (Fs)

158a Joachim brach mit der augustinischen Auffassung einer christlichen Gesellschaft, als er das Symbol der Trinität auf den Ablauf der Geschichte anwandte. In seiner Spekulation hatte die Menschheitsgeschichte drei den Personen der Trinität entsprechende Zeitabschnitte. Die erste Periode der Welt war das Zeitalter des Vaters; mit dem Erscheinen Christi begann das Zeitalter des Sohnes. Aber das Zeitalter des Sohnes war nicht das letzte der Geschichte, es folgte ihm als drittes das Zeitalter des heiligen Geistes. Die drei Zeitalter wurden als Steigerungen spiritualer Erfüllung charakterisiert. Das erste Zeitalter entfaltete das Leben des Laien, das zweite das aktiv-kontemplative Leben des Priesters, und das dritte sollte das vollkommene spirituale Leben des Mönches bringen. überdies hatten die drei Zeitalter vergleichbare innere Strukturen und eine errechenbare Dauer. Der strukturelle Vergleich ergab, daß jedes Zeitalter mit einer Trinität führender Persönlichkeiten beginnt, d. h. mit zwei Vorläufern, denen der eigentliche Führer des Zeitalters folgte. Aus der Errechnung der Zeitdauer konnte man schließen, daß das Zeitalter des Sohnes im Jahre 126o ablaufen würde. Der Führer des ersten Zeitalters war Abraham, der des zweiten Christus; und Joachim sagte voraus, daß um das Jahr 1260 der Dux e Babylone, der Führer des dritten Zeitalters, erscheinen würde.1 (Fs) (notabene)

159a In seiner trinitarischen Eschatologie schuf Joachim das Aggregat der Symbole, die bis zum heutigen Tag die Selbstinterpretation der modernen politischen Gesellschaft beherrschen. (Fs) (notabene)

159b Das erste dieser Symbole ist die Auffassung der Geschichte als einer Folge dreier sich ablösender Zeitalter, deren letztes das abschließende Dritte Reich ist. Als Varianten dieses Symbols sind die humanistische und die enzyklopädistische Periodisierung der Geschichte in Altertum, Mittelalter und Neuzeit erkennbar; ferner Turgots und Comtes Theorie von der Aufeinanderfolge einer theologischen, einer metaphysischen und einer wissenschaftlichen Phase; Hegels Dialektik der drei Stadien der Freiheit und der selbstbewußten geistigen Vollendung; die Marx'sche Dialektik von den drei Stufen des primitiven Kommunismus, der Klassengesellschaft und des endzeitlichen Kommunismus; und schließlich das nationalsozialistische Symbol des Dritten Reiches - obwohl dies ein besonderer Fall ist, der weiterer Untersuchung bedarf. (Fs) (notabene)

159c Das zweite Symbol ist das des Führers.2 Es wurde unmittelbar wirksam in der Bewegung der franziskanischen Spiritualen, die in Franziskus die Erfüllung der Weissagung Joachims sahen. Seine Wirksamkeit würde verstärkt durch Dantes Spekulation über den Dux des neuen spiritualen Zeitalters. Seine Spur kann weiterhin verfolgt werden durch die parakletischen Figuren, die homines spirituales und homines novi des Spätmittelalters, der Renaissance und der Reformation. Es läßt sich als eine Komponente in Machiavellis principe erkennen. Im Zeitalter der Säkularisierung erscheint es in den übermenschen Condorcets, Comtes und Marx', bis es schließlich den Schauplatz unserer Zeit in Gestalt der parakletischen Führer der neuen Reiche beherrscht. (Fs) (notabene)

160a Das dritte Symbol, das bisweilen in das zweite übergeht, ist das des Propheten des neuen Zeitalters. Um der Idee eines abschließenden Dritten Reiches Gültigkeit und Überzeugungskraft zu verleihen, muß angenommen werden, daß der Ablauf der Geschichte als ein verstehbares, sinnvolles Ganzes der menschlichen Erkenntnis zugänglich sei, entweder durch eine direkte Offenbarung oder durch spekulative Gnosis. Daher wird der gnostische Prophet oder in den späteren Stadien der Säkularisierung der gnostische Intellektuelle zu einem Bestandteil der modernen Zivilisation. Joachim selbst ist das erste Exemplar der Gattung. (Fs) (notabene)

160b Das vierte Symbol ist das der Bruderschaft autonomer Personen. Das dritte Zeitalter des Joachim werde, kraft der erneuten Herabkunft des Geistes, die Menschen ohne sakramentale Gnadenvermittlung zu Gliedern des neuen Reiches umgestalten. Im dritten Zeitalter werde die Kirche zu bestehen aufhören, weil die charismatischen Gaben, die zum vollkommenen Leben notwendig sind, den Menschen ohne Spendung der Sakramente erreichen. Zwar hat Joachim selbst das neue Zeitalter konkret als eine mönchische Ordnung aufgefaßt, aber die Idee einer Gemeinschaft der im Geiste Vollendeten, die ohne institutionelle Autorität zusammenleben können, war nunmehr prinzipiell formuliert. Die Idee ließ unzählige Varianten zu. Sie ist in verschiedenen Graden von Reinheit in den Sekten des Mittelalters und der Renaissance zu verfolgen, wie auch in den puritanischen Kirchen der Heiligen. In ihrer säkularisierten Form ist sie zu einer machtvollen Komponente des zeitgenössischen demokratischen Bekenntnisses geworden. Und sie ist das dynamische Zentrum des Marx'schen Mystizismus vom Reich der Freiheit und vom Absterben des Staates. (Fs) (notabene)

161a Das nationalsozialistische Dritte Reich ist ein Sonderfall. Zwar ist Hitlers Voraussage eines Tausendjährigen Reiches auf die joachitische Spekulation zurückzuführen, wie sie in Deutschland durch den Wiedertäuferflügel der Reformation und durch das Johanneische Christentum eines Fichte, Hegel und Schelling vermittelt wurde. Dennoch erscheint die konkrete Anwendung des trinitarischen Schemas auf das im Jahre 1806 zu Ende gegangene erste Deutsche Reich, auf das 1918 untergegangene Bismarckreich und das Dritte Reich der nationalsozialistischen Bewegung, verglichen mit den weltgeschichtlichen Spekulationen der deutschen Idealisten, eines Comte oder eines Marx, flach und engstirnig. Der nationalistisch-zufällige Einschlag ist darauf zurückzuführen, daß das Symbol des "Dritten Reichs" nicht dem spekulativen Bestreben eines Philosophen von Rang entstammt, sondern durch zweifelhafte literarische Übertragungen entstanden ist. Die nationalsozialistischen Propagandisten entnahmen es dem gleichnamigen Buch Moeller van den Brucks;3 und Moeller, der ohne nationalsozialistische Ambitionen war, hatte es bei seiner Arbeit an der deutschen Dostojewski-Ausgabe als geeignetes Symbol entdeckt. Die russische Idee vom Dritten Rom hat denselben Charakter einer Vermischung der Eschatologie des spiritualen Reiches mit ihrer Verwirklichung durch eine politische Gesellschaft wie die nationalsozialistische Idee des Dritten Reiches. Diese andere Abart der politischen Re-Divinisation muß jetzt untersucht werden. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Der Gnostizismus - das Wesen der Modernität 2b; Konstantinopel (2. Rom), Caesaropapismus; Moskau (3. Rom); Iwan IV. (Maximilian II.); Napoleon, 2. Nationen: Russland - der Westen

Kurzinhalt: Zu genau dem Zeitpunkt, als die westliche Reichsorganisation endgültig auseinanderbrach, als die westliche Gesellschaft sich in die Nationen und die Vielzahl von Kirchen neu artikulierte, trat Rußland seine Laufbahn als der Erbe Roms an.

Textausschnitt: 162a Die augustinische Konzeption von der Kirche wurde nur im Westen in der Weise historisch wirksam, daß sie zu einer klaren doppelten Repräsentation der Gesellschaft durch die spirituale und die temporale Macht führte. Diese Entwicklung wurde sicher dadurch begünstigt, daß der Sitz des temporalen Herrschers geographisch weit von Rom entfernt lag. Im Osten hingegen entstand die byzantinische Form des Caesaropapismus in direkter Fortführung der Stellung des Kaisers im heidnischen Rom. Konstantinopel war das zweite Rom, wie dies die Erklärung Justinians zur consuetudo Romae sichtbar werden ließ: "Unter Rom ist jedoch nicht nur das alte Rom, sondern auch unsere königliche Stadt zu verstehen."1 Nachdem Konstantinopel an die Türken gefallen war, entstand in russischen kirchlichen Kreisen die Idee Moskaus als des Nachfolgers des orthodoxen Imperiums. Ich darf hier die bekannten Stellen aus den Briefen des Philotheos von Pskov zitieren.
Die Kirche des ersten Rom fiel infolge der gottlosen Häresie des Apollinaris. Die Tore des zweiten Rom wurden durch die Ismaeliten eingeschlagen. Heute erstrahlt die heilige apostolische Kirche des dritten Rom in deinem Reich im Glorienschein des christlichen Glaubens über die ganze Welt. Wisse, o frommer Zar, daß alle Reiche der rechtgläubigen Christen sich zu dem deinen vereint haben. Du bist auf der ganzen Erde der einzige Zar aller Christen [] Nach den prophetischen Büchern werden alle christlichen Reiche ihr Ende finden und sich zu einem Reich vereinigen, dem unseres Gossudars, das heißt zum Reich Rußlands. Zwei Rom sind gefallen, aber das dritte wird bestehen, und es wird kein viertes geben.2

163a Es dauerte etwa ein Jahrhundert, bis der Gedanke institutionell verwirklicht war. Iwan IV. war der erste Rurikide, der sich im Jahre 1547 zum Zar der Orthodoxen krönen ließ;3 und 1589 wurde der Patriarch von Konstantinopel gezwungen, den ersten autokephalen Patriarchen von Moskau einzusetzen, nunmehr mit der offiziellen Anerkennung Moskaus als des Dritten Rom.4 (Fs)

164a Die Daten des Aufkommens und der institutionellen Verwirklichung der Idee sind von Bedeutung. Die Regierungszeit Iwans des Großen fällt mit der Zeit der Konsolidierung der westlichen Nationalstaaten (England, Frankreich und Spanien) zusammen, die Regierungszeiten Iwans IV. und Fjodors I. mit der westlichen Reformation. Zu genau dem Zeitpunkt, als die westliche Reichsorganisation endgültig auseinanderbrach, als die westliche Gesellschaft sich in die Nationen und die Vielzahl von Kirchen neu artikulierte, trat Rußland seine Laufbahn als der Erbe Roms an. Von Anfang an war Rußland nicht eine Nation im westlichen Sinne, sondern ein Kulturkreis, der ethnisch von den Großrussen beherrscht und durch die Symbolik der Nachfolge Roms zu einer politischen Gesellschaft gestaltet wurde. (Fs)

164b Daß die russische Gesellschaft einer eigenen Kategorie angehörte, wurde im Westen nur allmählich erkannt. 1488 versuchte Maximilian I. es noch, Rußland in das westliche politische System einzugliedern, indem er Iwan dem Großen eine Königskrone anbot. Der moskowitische Großfürst lehnte diese Ehrung mit der Begründung ab, seine Autorität stamme von seinen Ahnen, habe den Segen Gottes und bedürfe daher keiner Bestätigung durch den Kaiser des Westens.5 Ein Jahrhundert später, zur Zeit der Türkenkriege, ging Maximilian II. einen Schritt weiter, indem er Iwan IV. die Anerkennung als Kaiser des griechischen Ostens als Gegengabe für Hilfeleistung anbot.6 Wiederum hatte der russische Herrscher kein Interesse, nicht einmal an einer Kaiserkrone, denn zu jener Zeit beschäftigte sich Iwan bereits mit dem Ausbau des russischen Reiches, indem er den Feudaladel beseitigte und durch den neuen Dienstadel, die oprichnina, ersetzte.7 Durch diese blutige Operation drückte Iwan der Schreckliche Rußland den Stempel jener unzerstörbaren Gesellschaftsgliederung auf, die bis zum heutigen Tag Rußlands innerpolitische Geschichte bestimmt hat. Transzendental unterschied sich Rußland von allen westlichen Nationen als der imperiale Repräsentant der christlichen Wahrheit; und durch seine soziale Neugliederung, aus welcher der Zar als der existentielle Repräsentant hervorging, wurde es von der Entwicklung repräsentativer Institutionen im Sinne der westlichen Nationalstaaten radikal abgeschnitten. Napoleon erkannte schließlich das russische Problem, als er 1802 sagte, es gäbe nur zwei Nationen auf der Welt: Rußland und den Westen.8 (Fs)

165a Rußland entwickelte einen Repräsentationstypus sui generis in transzendenter wie existentieller Hinsicht. Die Verwestlichung, die sich seit Peter dem Großen vollzog, bewirkte keine grundlegende Änderung dieses Typus, weil sie hinsichtlich der sozialen Gliederung praktisch ergebnislos blieb. Man kann wohl von einer persönlichen Verwestlichung in den Schichten des hohen Adels im Gefolge der napoleonischen Kriege sprechen, in der Generation eines Tschaadajew, Gagarin und Petscherin. Aber die einzelnen aristokratischen Diener des Zaren wandelten sich nicht in einen Adelsstand, in ein artikuliertes baronagium um. Vielleicht wurde die Notwendigkeit gemeinsamen ständischen Handelns als Voraussetzung für eine politische Verwestlichung nicht einmal erkannt. Sollte aber die Möglichkeit einer Evolution in dieser Richtung jemals bestanden haben, so war sie doch mit dem Dekabristenaufstand von 1825 erledigt. Unmittelbar nach diesem Ereignis kam mit Khomyakow die slawophile antiwestliche Geschichtsphilosophie auf, die mit großer Wirkung auf die Intelligentsia des mittleren Adels die Apokalypse des Dritten Rom zu einer messianischen, eschatologischen Sendung Rußlands für die Menschheit erhob. Bei Dostojewski bewirkte diese Übertragung des Messianismus die Kristallisation zu der seltsamen ambivalenten Vision eines autokratischen, orthodoxen Bußland, das irgendwie die Welt erobern und in dieser Eroberung zur freien Gesellschaft aller Christen im wahren Glauben erblühen würde.9 Diese ambivalente Vision in ihrer säkularisierten Form inspiriert eine russische Diktatur des Proletariats, das durch seine Welteroberung zum marxistischen Reich der Freiheit erblühen wird. Der Versuch einer Artikulierung der russischen Gesellschaft im westlichen Sinne, der unter dem Regime der liberalen Zaren unternommen wurde, ist mit der Revolution von 1917 zu einer Episode der Vergangenheit geworden. Das Volk als Ganzes nimmt wieder die Stellung von Dienern des Zaren im altmoskowitischen Sinne ein, wobei die Kader der kommunistischen Partei seinen Dienstadel darstellen. Die oprichnina, die Iwan der Schreckliche auf der Basis der agrarischen Wirtschaft etabliert hatte, wurde in verstärktem Maße wiedererrichtet auf der Basis einer industriellen Wirtschaft.10 (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Die gnostische Revolution 2; Hooker: Charakteristik des Puritaners; "cause" (Waffe d. P.); Anprangerung d Übelstände; Erzeugung einer vernunftresistenten Haltung

Kurzinhalt: Diese Aufgabe läßt sich psychologisch dadurch bewältigen, daß jeder Fehler und Übelstand, der infolge der menschlichen Schwäche unvermeidlich ist, der Tätigkeit oder Untätigkeit der Regierung zugeschrieben wird.

Textausschnitt: 2. Hookers Charakteristik des Puritaners

189a Um eine Bewegung in Gang zu bringen, bedarf es vor allem eines Mannes, der eine Sache, cause, verficht. Aus dem Zusammenhang bei Hooker geht hervor, daß der Ausdruck cause noch nicht lange in der Politik gebraucht wurde und daß wahrscheinlich die Puritaner diese gewaltige Waffe der gnostischen Revolutionäre selbst eingeführt haben. Um seine Sache voranzutreiben, wird ihr Verfechter "in Hörweite der Menge" scharfe Kritik an den sozialen Übelständen und insbesondere an dem Verhalten der oberen Schichten üben. Häufige Wiederholung wird unter den Hörern die Ansicht hervorrufen, die Sprecher seien ausgezeichnet durch Integrität, Eifer und Heiligkeit, denn nur Menschen, die ausnehmend gut sind, könnten sich durch das Böse so tief verletzt fühlen. Der nächste Schritt besteht darin, den Unwillen des Volkes auf die bestehende Regierung zu konzentrieren. Diese Aufgabe läßt sich psychologisch dadurch bewältigen, daß jeder Fehler und Übelstand, der infolge der menschlichen Schwäche unvermeidlich ist, der Tätigkeit oder Untätigkeit der Regierung zugeschrieben wird. Indem sie auf diese Weise alles Übel der Welt einer bestimmten Institution zur Last legen, erbringen die Sprecher der breiten Masse gegenüber, die von sich aus niemals an einen derartigen Zusammenhang gedacht hätte, den Beweis für ihre eigene Klugheit; und zugleich weisen sie auf den Punkt, der anzugreifen ist, um das Übel aus der Welt zu schaffen. Nach solcher Vorbereitung wird die Zeit gekommen sein, um eine neue Regierungsform als das "unfehlbare Heilmittel aller Übelstände" anzupreisen. Denn Menschen, die "von Abneigung und Unzufriedenheit gegen die bestehenden Dinge" erfaßt sind, sind verblendet genug, "sich einzubilden, daß alle Dinge (deren Vorteile sie rühmen hören) ihnen helfen, am meisten aber jene, die sie am wenigsten erprobt haben." (Fs)

190a Wenn eine Bewegung wie die puritanische sich auf die Autorität einer literarischen Quelle - in diesem Fall der Bibel - stützt, so müssen deren Führer sodann "die Vorstellungen und Ideen der Menschen auf solche Weise" formen, daß die Anhänger automatisch Schriftstellen und biblische Ausdrücke mit ihrer eigenen Lehre in Verbindung bringen, wie schlecht begründet diese Verbindung auch sein mag, und ebenso automatisch blind sind gegenüber dem Inhalt der Schrift, der mit ihrer Doktrin unvereinbar ist. Darauf folgt der entscheidende Schritt zur Konsolidierung einer gnostischen Haltung, d. h. "das Überzeugen leichtgläubiger Menschen, die für angenehme Irrtümer dieser Art aufgeschlossen sind, daß sie kraft besonderer Erleuchtung durch den Heiligen Geist jene Dinge in der Schrift zu erkennen vermögen, die andere zwar lesen, aber nicht erkennen". Sie werden sich selbst als die Auserwählten fühlen; aus diesem Gefühl erwächst "eine schroffe Trennung zwischen ihnen und dem Rest der Welt"; und in der Folge wird die Menschheit sich in "die Brüder" und "die Weltlichen" scheiden. (Fs)

190b Wenn die gnostische Erfahrung konsolidiert ist, ist das soziale Rohmaterial für die existentielle Repräsentation durch einen Führer vorbereitet. Denn - so fährt Hooker fort - solche Menschen werden die Gesellschaft ihrer eigenen Leute derjenigen der übrigen Welt vorziehen, sie werden bereitwillig Ratschläge und Weisungen von den Meistern der Lehre annehmen, sie werden ihre eigenen Angelegenheiten zurückstellen, ein Übermaß an Zeit dem Dienst der Sache widmen und den Führern der Bewegung großzügige materielle Hilfe zukommen lassen. Eine besonders wichtige Funktion bei der Formierung solcher Gemeinschaften kommt den Frauen zu, weil sie schwach im Urteil und gefühlsmäßig zugänglicher sind, taktisch eine günstige Stellung zur Beeinflussung von Gatten, Kindern, Dienstboten und Freunden einnehmen, weil sie besser als Männer für eine Art Nachrichtenorgan zur Erkundung der Stimmung innerhalb ihres Kreises geeignet und freigebiger in finanziellen Hilfeleistungen sind. (Fs) (notabene)

191a Ist ein soziales Milieu dieser Art erst einmal organisiert, dann wird es schwer, wenn nicht unmöglich sein, es durch Überredung wieder aufzubrechen. "Öffnet irgendjemand mit einer gegenteiligen Meinung den Mund, um sie zu überzeugen, so werden sie ihre Ohren verschließen, sie werden seine Worte nicht erwägen, auf alles werden sie mit einer Wiederholung der Worte des Johannes antworten: 'Wir sind von Gott; wer Gott kennt, hört uns'. Im übrigen seid ihr von der Welt. Denn was ihr sprecht, ist der Welt hohler Prunk und leerer Wahn, und die Welt, der ihr angehört, hört auf euch." Sie sind Vernunftgründen unzugänglich und verfügen über wohleinstudierte Antworten. Gibt man ihnen zu verstehen, daß sie unfähig seien, über solche Dinge zu urteilen, so werden sie antworten: "Gott hat die Einfältigen auserwählt." Zeigt man ihnen überzeugend, daß sie Unsinn reden, so wird man die Antwort zu hören bekommen: "Auch der Apostel Christi wurde für wahnsinnig gehalten." Versucht man die vorsichtigste Mahnung zur Disziplin, so werden sie sich über die "Grausamkeit blutdürstiger Männer" auslassen und sich in die Rolle der "um der Wahrheit willen verfolgten Unschuld" versetzen. Kurz, ihre Haltung ist psychologisch unangreifbar und durch Vernunftgründe nicht zu erschüttern.1 (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Die gnostische Revolution 3; Revolte gegen die geistige Kultur; 2 Werkzeuge gnostischer Revolution: "koran" (eigener Kanon d. Schriftauslegung), Tabu; Hooker (über Calvin); Diderot und d'Alembert; Comte (Kalender); Rede- und Pressefreiheit; Averroes

Kurzinhalt: Die theoretische Diskussion kann zwar durch verfassungsmäßige Garantien geschützt werden - praktisch hängt sie jedoch von der Bereitschaft ab, theoretische Argumente zu gebrauchen und anzuerkennen. Ist diese Bereitschaft nicht vorhanden, so kann sich ...

Textausschnitt: 3 Die Revolte gegen die geistige Kultur

192a Hookers Beschreibung des Puritaners läßt sich so klar auch auf spätere Typen gnostischer Revolutionäre anwenden, daß es sich erübrigt, diesen Punkt herauszuarbeiten. Aus seiner Analyse geht jedoch ein Problem hervor, das Beachtung verdient. Das Bild des Puritaners ergab sich aus dem Zusammenstoß zwischen dem Gnostizismus auf der einen Seite und der klassischen und christlichen Tradition, die Hooker repräsentierte, auf der anderen. Es wurde von einem Denker gezeichnet, dessen Geist und Bildung bemerkenswert waren. Die Auseinandersetzung mußte sich also zwangsläufig der Frage zuwenden, die in neueren Darstellungen des Puritanismus sehr vernachlässigt wird, nämlich der Frage der intellektuellen Defekte der gnostischen Position, welche das rationale Argument und seine soziale Funktion des Überzeugens zerstören. Hooker erkannte; daß die puritanische Position sich keineswegs auf die Schrift gründete, sondern eine Sache, cause, völlig anderen Ursprungs war. Sie bediente sich der Schrift, wenn aus dem Zusammenhang gerissene Stellen ihre Sache förderten, während sie im übrigen die Schrift, mitsamt den Traditionen und Interpretationsvorschriften, die das Christentum in fünfzehn Jahrhunderten entwickelt hatte, schlechthin ignorierte. In der Anfangsphase der gnostischen Revolution war diese Tarnung nötig - denn weder konnte damals eine offensichtlich anti-christliche Bewegung in der Gesellschaft auf Erfolg hoffen, noch hatte der Gnostizismus sich schon so weit vom Christentum, entfernt, daß seine Träger sich der Richtung, in der sie sich bewegten, bewußt geworden wären. Dennoch war die Distanz vom Christentum bereits so groß, daß die Trennung von kompetenter Kritik als solche erkannt werden konnte. Um die Entlarvung zu verhindern, wurden zwei technische Mittel entwickelt, die bis zum heutigen Tage Hauptwerkzeuge der gnostischen Revolution geblieben sind. (Fs)

193a Um die biblische Tarnung wirksam zu machen, mußten die der Schrift entnommenen Belegstellen sowie ihre Auslegungen standardisiert werden. Eine wirkliche Freiheit der Schriflauslegung für jedermann, seinen Neigungen und seinem Bildungsgrad entsprechend, würde dieselben chaotischen Zustände ergeben haben, wie sie die ersten Jahre der Reformation charakterisierten; und wenn man eine Interpretation so viel gelten ließ wie die andere, gäbe es außerdem nichts mehr gegen die Tradition der Kirche einzuwenden, die sich ja schließlich auch auf eine Interpretation der Schrift gründete. Aus diesem Dilemma von Chaos und Tradition erwuchs das erste der technischen Mittel, nämlich die systematische Formulierung der neuen Lehre in biblischen Ausdrücken, wie Calvin sie in seinen Institutiones gab. Ein Werk dieser Art sollte dem doppelten Zweck dienen, einen Leitfaden zur richtigen Lektüre der Schrift und zugleich eine authentische Formulierung der Wahrheit zu bieten, die ein Zurückgreifen auf frühere Literatur überflüssig machen würde. Zur Bezeichnung dieser Gattung gnostischer Literatur bedarf es eines terminus technicus; da das Studium gnostischer Phänomene noch zu jung ist, um einen solchen Ausdruck entwickelt zu haben, werden wir uns vorläufig mit dem arabischen Begriff koran behelfen. Das Werk Calvins kann also als der erste bewußt geschaffene gnostische Koran bezeichnet werden. (Fs) (notabene)

194a Ein Mensch, der einen solchen Koran zu schreiben vermag, ein Mensch, der mit der intellektuellen Tradition der Menschheit brechen kann, weil er in dem Glauben lebt, daß mit ihm eine neue Wahrheit und eine neue Welt beginne, muß sich in einem doch eigenartigen pneumopathischen Zustand befinden. Hooker, der äußerst traditionsbewußt war, hatte einen feinen Spürsinn für diese Verirrungen des Geistes. In seiner von vorsichtiger Zurückhaltung diktierten Charakteristik Calvins beginnt er mit der nüchternen Feststellung: "Seine Vorbildung war das Studium des Zivilrechtes." Sodann fährt er mit einiger Bosheit fort: "Theologische Kenntnisse eignete er sich weniger durch Hören und Lesen an, als durch das Belehren anderer"; und er schloß mit dem niederschmetternden Urteil: "Denn wenngleich Tausende in seiner Schuld waren, da sie Kenntnisse dieser Art von ihm empfingen, so stand er doch nur in der Schuld Gottes, des Urhebers des heiligsten Quells, des Buches des Lebens, und in der Schuld der bewundernswerten Gewandtheit seines Verstandes."1 (Fs)

194b Das Werk Calvins2 war das erste, aber nicht das letzte seiner Art; und überdies hat die literarische Gattung ihre Vorgeschichte. In den Anfangsphasen des abendländischen gnostischen Sektierertums wurde die Stellung eines Koran von den Werken des Scotus Eriugena und des Dionysius Areopagita eingenommen; in der joachitisdhen Bewegung spielten die Werke des_ Joachim von Flora unter dem Titel Evangelium aeternum diese Rolle In der späteren westlichen Geschichte, zur Zeit der Säkularisierung, brachte jede Welle der Bewegung einen neuen Koran hervor. Im achtzehnten Jahrhundert erhoben Diderot und d'Alembert für die Encyclopédie francaise als der umfassenden Darbietung alles überlieferungswerten menschlichen Wissens den Anspruch auf eine dem Koran entsprechende Funktion. Nach ihrer Ansicht brauchte niemand auf ein Werk älteren Datums als die Encyclopedie zurückzugreifen, und aller zukünftigen Wissenschaft würde nur die Bedeutung von Ergänzungen zu der großen Wissenssammlung zukommen.3 Im neunzehnten Jahrhundert schuf Auguste Comte sein eigenes Werk als Koran für die positivistische Zukunft der Menschheit, ergänzte es aber großzügig durch sein Verzeichnis der hundert großen Bücher - eine Idee, die noch immer ihren Reiz hat. Schließlich sind in der kommunistischen Bewegung die Werke Karl Marx' zum Koran der Gläubigen geworden, ergänzt durch die patristische Literatur des Leninismus und Stalinismus. (Fs) (notabene)

195a Das zweite technische Mittel zur Abwendung unbequemer Kritik ist eine notwendige Ergänzung des ersten. Der gnostische Koran ist die Kodifizierung der Wahrheit und als solcher die geistige und intellektuelle Nahrung der Gläubigen. Aus unserer heutigen Erfahrung mit totalitären Bewegungen wissen wir, daß dieses Mittel ziemlich narrensicher ist, weil es mit der freiwilligen Selbstzensur der Anhänger rechnen kann. Wer aufrichtiger Anhänger einer Bewegung ist, wird Literatur nicht anrühren, die gegen seine kostbaren Glaubensinhalte argumentiert oder sie mißachtet. Dennoch wird die Zahl der Gläubigen vielleicht klein bleiben und die Ausdehnung sowie der politische Erfolg ernsthaft in Frage gestellt werden, wenn die Wahrheit der gnostischen Bewegung ständig wirksamer Kritik von verschiedenen Seiten ausgesetzt ist. Dieses Hemmnis kann verringert und praktisch ausgeschaltet werden, wenn über die Instrumente der Kritik ein Tabu ausgesprochen wird. Wer sich der verbotenen Instrumente bedient, wird gesellschaftlich boykottiert und unter Umständen auch politisch in Verruf geraten. Die Verbotserklärung über die Instrumente der Kritik wurde tatsächlich mit großer Wirkungskraft von den gnostischen Bewegungen immer da angewandt, wo sie ein gewisses Maß politischen Erfolges erzielten. Der Situation entsprechend mußte im Gefolge der Reformation dieses Tabu die klassische Philosophie und die scholastische Theologie treffen; und da der größere und gewiß der ausschlaggebende Teil der westlichen Geisteskultur unter diese beiden Kategorien fiel, wurde diese Kultur in genau dem Maß zerstört, in dem das Verbot an Wirksamkeit gewann. Tatsächlich war die Zerstörung so tiefgehend, daß die westliche Gesellschaft sich nie völlig von dem Schlag erholt hat. Eine Begebenheit aus dem Leben Hockers mag die Situation veranschaulichen. Der an Hooker gerichtete anonyme Christian Letter des Jahres 1599 enthielt die bittere Klage: "Obwohl wir in all Euren Büchern viele Wahrheiten und heikle Themen mutig behandelt finden, haben doch in all Euren Abhandlungen weitgehend Aristoteles, der Patriarch der Philosophen (mit einer Reihe anderer Schriftsteller) und die geistreichen Scholastiker irgendwie ihre Hand im Spiel. Hier wird der Verstand über die Schrift erhoben und angelesenes Wissen über das Predigen."4 Solche Klagen über die Verletzung des Tabus waren keine harmlosen Meinungsäußerungen. In der Affaire mit Travers im Jahre 1585 war Hooker ähnlichen Angriffen ausgesetzt gewesen. Diese schlossen mit den drohenden Worten, daß solche "Widersinnigkeiten [...] seit den Tagen der Königin Mary in unserem Lande an öffentlichen Orten nicht mehr gehört worden sind". In seiner Antwort an den Erzbischof von Canterbury mußte Hooker sehr zerknirscht seiner Hoffnung Ausdruck geben, daß er "nichts Ungesetzliches begangen habe", wenn er sich in seinen Predigten einige theoretische Unterscheidungen und Abschweifungen gestattete.5 (Fs)

197a Da der Gnostizismus von den theoretischen Irrtümern lebt, die oben besprochen wurden, ist das Tabu über die Theorie im klassischen Sinne die unvermeidliche Voraussetzung für seine soziale Ausbreitung und sein Überleben. Die Unvermeidlichkeit des Tabus hat schwerwiegende Folgen für die öffentliche Debatte in Gesellschaften, in denen gnostische Bewegungen hinreichend sozialen Einfluß errungen haben, um die Kommunikationsmittel und das Erziehungswesen zu überwachen. In dem Maß, in dem die Kontrolle wirksam wird, ist die theoretische Diskussion über Fragen, welche die Wahrheit der menschlichen Existenz berühren, in der Öffentlichkeit unmöglich, weil der Gebrauch theoretischer Argumente verboten ist. Wie sorgsam auch die verfassungsmäßigen Rede- und Pressefreiheiten gewahrt werden mögen, wie eingehend auch die theoretische Diskussion in kleinen Kreisen gepflegt wird und wie sehr sie auch in den praktisch privaten Veröffentlichungen einiger Gelehrter fortgeführt werden mag, in der politisch relevanten öffentlichen Sphäre wird die Diskussion zu dem Spiel mit geladenen Würfeln werden, zu dem sie in der westlichen Gesellschaft unserer Zeit geworden ist - ganz zu schweigen von dem Niveau der Diskussion in totalitären Reichen. Die theoretische Diskussion kann zwar durch verfassungsmäßige Garantien geschützt werden - praktisch hängt sie jedoch von der Bereitschaft ab, theoretische Argumente zu gebrauchen und anzuerkennen. Ist diese Bereitschaft nicht vorhanden, so kann sich eine Gesellschaft, wenn es um die Wahrheit der menschlichen Existenz geht, für ihr Funktionieren nicht auf Argument und Überzeugung verlassen; andere Mittel müssen in Erwägung gezogen werden. (Fs) (notabene)

198a Das war die Lage, in der sich Hooker befand. Eine Diskussion mit seinen puritanischen Gegnern war unmöglich, weil sie nicht bereit waren, auf Argumente einzugehen. Die Gedanken, die ihn in seiner Bedrängnis beschäftigten, lassen sich aus den Aufzeichnungen entnehmen, die er kurz vor seinem Tode auf einem Exemplar des vorhin zitierten Christian Letter notierte. Unter den Zitaten aus verschiedenen Autoritäten findet sich eine Stelle aus Averroes: (Fs)

"Das Argument (sermo) betreffend die Erkenntnis, die Gott in seiner Herrlichkeit von sich und der Welt hat, ist verboten. Noch strenger ist es untersagt, es schriftlich niederzulegen. Denn das Verständnis der Gemeinen faßt solche Tiefen nicht; und wenn sie diese Erkenntnis zum Gegenstand ihrer Diskussionen machen, so werden sie sich und die Gottheit zerstören. Daher ist ihnen die Diskussion dieser Erkenntnis untersagt. Es genügt für ihre Glückseligkeit, wenn sie das verstehen, was sie mit ihrem Verstand erfassen können. Das Gesetz (d. i. der Koran), dessen hauptsächliche Absicht es war, die Gemeinen zu unterrichten, hat sich einer verständlichen Mitteilung über diesen Gegenstand nicht etwa deshalb enthalten, weil er dem Menschen unzugänglich ist. Aber wir besitzen nicht die menschlichen Instrumente, welche Gott, in verständlicher Mitteilung über ihn, zu assimilieren vermöchten. Wie geschrieben steht: 'Seine Linke schuf die Erde, aber seine Rechte maß den Himmel.' Daher ist diese Frage dem Weisen vorbehalten, den Gott der Wahrheit geweiht hat."6 (Fs)

199a In diesen Sätzen drückte Averroes die Lösung aus, die das Problem der theoretischen Diskussion in der islamischen Kultur gefunden hatte. Der Kern der Wahrheit ist das Erfahren der Transzendenz im anthropologischen und soteriologischen Sinne. Seine theoretische Explikation ist nur unter den "Weisen" mitteilbar. Die "Gemeinen" haben in einem einfachen Fundamentalismus die Wahrheit so anzuerkennen, wie sie in der Schrift symbolisiert wird. Sie müssen sich des Theoretisierens enthalten, dessen sie erfahrungs- und verstandesmäßig nicht fähig sind, weil sie Gott nur zerstören würden. Hält man sich den "Gottesmord" vor Augen, der in der westlichen Gesellschaft begangen wurde, als die progressivistischen "Gemeinen" sich in die Auslegung der menschlichen Existenz in Gesellschaft und Geschichte einmischten, so muß man zugeben, daß Averroes nicht ganz unrecht hatte. (Fs) (notabene)

199b Die Struktur einer Zivilisationsgesellschaft steht jedoch nicht im Ermessen ihrer individuellen Mitglieder. Die islamische Lösung, welche die philosophische Diskussion auf esoterische Zirkel beschränkte, deren Existenz den breiten Massen nahezu unbekannt war, ließ sich nicht auf die Situation Hockers übertragen. Die westliche Geschichte war andere Wege gegangen, und die Diskussion der "Gemeinen" hatte schon weit um sich gegriffen. So mußte Hooker die zweite Möglichkeit erwägen, daß eine Diskussion, die nicht zu einer Einigung durch Argument führen konnte, durch die Autorität der Regierung zum Abschluß gebracht werden mußte. Seine puritanischen Gegner waren nicht Partner in einer theoretischen Diskussion. Sie waren gnostische Revolutionäre, die sich in einen Kampf um die existentielle Repräsentation eingelassen hatten, der - hätten sie gesiegt - den Sturz der englischen Sozialordnung, die Beherrschung der Universitäten durch Puritaner, die Ersetzung des Common Law durch das biblische Recht zur Folge gehabt hätte. Es war daher durchaus angezeigt, diese zweite Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Denn Hooker hatte verstanden, was heute so wenig verstanden wird; daß gnostische Propaganda politische Aktion und nicht etwa Wahrheitssuche im theoretischen Sinne ist. Mit seiner unbeirrbaren Empfindsamkeit diagnostizierte er sogar die nihilistische Komponente im Glauben der Puritaner, daß ihre Disziplin, da sie "der absolute Befehl des Allmächtigen Gottes ist, allgemein angenommen werden müsse, wenn auch die Welt dabei völlig auf den Kopf gestellt würde". Darin, schloß Hooker, "liegt die größte Gefahr von allem".7 In der politischen Kultur seiner Zeit war es noch außer Zweifel, daß die Regierung, und nicht die Untertanen, die Ordnung einer Gesellschaft repräsentierte. "Als ob nicht, wenn der öffentliche Konsensus des Ganzen etwas festgesetzt hat, jedermanns Urteil hiermit verglichen nur privat sei, auch wenn er zu einem öffentlichen Amt berufen sein mag. Friede und Ordnung ist daher in keiner Weise möglich, wenn die begründete Stimme der Gesamtgesellschaft oder des politischen Körpers nicht jeder Privatstimme ähnlicher Art in demselben Körper vorangeht."8 Konkret bedeutet das, daß die Regierung die Pflicht zur Aufrechterhaltung der Ordnung, wie auch der von ihr repräsentierten Wahrheit hat. Wenn ein gnostischer Führer auftritt und erklärt, daß Gott oder der Fortschritt, die Rasse oder die Dialektik ihn zum existentiellen Herrscher auserkoren habe, so darf die Regierung nicht das in sie gesetzte Vertrauen verraten und abdanken. Und diese Regel duldet auch für Regierungen, die unter einer demokratischen Verfassung und einer bill of rights wirken, keine Ausnahme. Justice Jackson hat in seinem Dissent im Falle Terminiello diesen Punkt entscheidend formuliert: die Bill of Rights ist kein Selbstmordvertrag. Eine demokratische Regierung darf nicht zum Komplizen ihres eigenen Umsturzes werden, indem sie gnostischen Bewegungen gestattet, im Schutze einer trüben Interpretation der Grundrechte gefährlich anzuwachsen; und wenn infolge ihrer Nachlässigkeit eine solche Bewegung bis zu dem Gefahrenpunkt angewachsen ist, an dem sie durch die berüchtigte "Legalität" der Volkswahlen die existentielle Repräsentation an sich reißen könnte, dann darf eine demokratische Regierung sich nicht dem "Willen des Volkes" beugen, sondern muß die Gefahr mit Gewalt unterdrücken und sich notfalls über den Buchstaben der Verfassung hinwegsetzen, um ihren Geist zu retten. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Die gnostische Revolution 3; Engel der Offenbarung und die puritanische Armee; Offenbarung (1000 Jahre); A Glimpse of Sion's Glory; Organisation der neuen Welt (Queries), Kongregationalismus, Puritanismus; Wesen gnostischer Kriege

Kurzinhalt: Die wirkliche Gefahr der heutigen Kriege liegt nicht in der technisch bedingten globalen Ausdehnung des Kriegsschauplatzes. Ihr eigentliches Verhängnis beruht vielmehr darauf, daß sie dem Wesen nach gnostische Kriege sind, d. h. Kriege zwischen Welten ...

Textausschnitt: 4. Der Engel der Offenbarung und die puritanische Armee

201a So weit Hooker - doch muß nun die Gegenseite zu Wort kommen. Als erstes wird das eigentümliche Erlebnis der gnostischen Revolutionäre zu betrachten sein. Der üblichen Behandlung des Puritanismus als einer christlichen Bewegung muß entgegengehalten werden, daß im Neuen Testament keine Stelle zu finden ist, aus der sich eine Aufforderung zu revolutionärer politischer Aktion entnehmen ließe. Nicht einmal die Offenbarung des Johannes, die von eschatologischer Erwartung des Reiches glüht, das die Heiligen aus der Unterdrückung dieser Welt befreien soll, betraut eine puritanische Armee mit der Errichtung dieses Reiches. Der gnostische Revolutionär hingegen interpretiert das Kommen des Reiches als ein Ereignis, das seiner militärischen Mitwirkung bedarf. In Kapitel 20 der Offenbarung steigt ein Engel vom Himmel nieder und stürzt Satan auf 1000 Jahre in die abgrundtiefe Hölle. In der puritanischen Revolution maßen sich die Gnostiker diese Rolle des Engels an. Einige Stellen aus einem 1641 unter dem Titel A Glimpse of Sion's Glory erschienenen Pamphlet mögen diese eigentümliche Stimmung der gnostischen Revolution vermitteln. (Fs)

202a Der Verfasser der Schrift ist von eschatologischen Erwartungen beseelt.1 Der Fall Babylons steht unmittelbar bevor; das neue Jerusalem wird in Bälde kommen. "Babylons Fall ist Sions Aufstieg, Babylons Zerstörung ist Jerusalems Errettung." Zwar ist Gott die letzte Ursache des bevorstehenden glücklichen Umschwungs, aber auch die Menschen sollten sich durch Taten verdient machen, um das Kommen zu beschleunigen. "Gesegnet, wer die Brut Babylons gegen die Felsen schmettert. Gesegnet, wer zum Sturz Babylons beiträgt." Und wer sind die Menschen, die das Kommen Zions beschleunigen, indem sie die Brut Babylons gegen den Felsen schmettern? Es sind die "gemeinen Leute". "Gott will sich der gemeinen Leute bedienen bei seinem großen Werk der Verkündung des Reiches seines Sohnes." Die gemeinen Leute haben eine Vorrangstellung bei der Förderung des Reiches Christi. Denn die Stimme Christi "kommt zuerst aus der Menge, von dem gemeinen Volk. Sie vernehmen als erste die Stimme, ehe andere sie hören. Gott bedient sich der gemeinen Leute und der Menge, um zu verkünden, daß der Allmächtige Herr Gott herrscht." Christus kam nicht zu den oberen Ständen, sondern zu den Armen. Der Adel, die Weisen und die Reichen, und insbesondere die höhere Geistlichkeit sind vom Geist des Antichrist besessen. Daher wird die Stimme Christi "wahrscheinlich von denen ausgehen, die die Menge ausmachen, die so verächtlich sind", von "der Menge des gemeinen Volkes". In der Vergangenheit "war das Volk Gottes so wie heute noch ein verachtetes Volk". Die Heiligen werden Parteigänger, Schismatiker und Puritaner genannt, Aufrührer und Störer des Staates. Dieser Makel soll jedoch von ihnen genommen werden; und die Herrscher sollen zutiefst davon überzeugt werden, daß "die Einwohner Jerusalems, das sind die in einer Kirche versammelten Heiligen Gottes, die Männer des besten Commonwealth sind". Dieser überzeugung der Herrscher wird durch drastische Veränderungen in sozialer Hinsicht nachgeholfen werden. Der Verfasser zitiert Isaias 49,23: "Könige sollen deine Pfleger, und ihre Fürstinnen deine Säugammen sein; sie werden vor dir niederfallen zur Erde aufs Angesicht und deiner Füße Staub lecken." Die Heiligen hingegen werden in dem neuen Reich verherrlicht werden; sie "sollen alle in weißes Linnen gekleidet werden, wie es den Heiligen gebührt". (Fs)

203a Außer der Kleiderreform für die Heiligen und dem Staublecken für die Herrscher werden auch einschneidende Veränderungen im Gefüge der gesetzlichen und wirtschaftlichen Institutionen stattfinden. Was die Rechts-Institutionen betrifft, so wird die Schönheit und Herrlichkeit des Reiches höchstwahrscheinlich jeden gesetzlichen Zwang überflüssig machen. "Es ist fraglich, ob Anordnungen überhaupt nötig sein werden, zumindest in der heutigen Form [...] die Anwesenheit Christi wird jegliche Anordnung erübrigen." Was die wirtschaftlichen Verhältnisse betrifft, so wird Überfluß und Wohlstand herrschen. Christus hat die ganze Welt für die Heiligen erkauft, und sie wird ihnen geliefert werden. "Alles ist euer", sagt der Apostel, "die ganze Welt". Und mit großem Freimut gibt der Verfasser den Beweggrund seiner Überzeugung an: "Ihr seht, daß die Heiligen heute in dieser Welt nur wenig besitzen; jetzt sind sie die Ärmsten und Geringsten von allen. Aber dann [...] soll die Welt ihnen gehören. Nicht nur der Himmel soll euer Königreich sein, sondern auch diese Welt im Leib." (Fs)

204a Das alles hat nichts mit Christentum zu tun. Die biblische Tarnung kann nicht verschleiern, daß hier Gott in den Menschen hineingezogen wird. Der Heilige ist ein Gnostiker, der die Verklärung der Welt nicht der Gnade Gottes jenseits der Geschichte überlassen, sondern selbst hier und jetzt in der Geschichte das Werk Gottes tun will. Zwar weiß der Verfasser der Streitschrift, daß gewöhnliche menschliche Kräfte das Reich nicht errichten werden, sondern daß die menschlichen Anstrengungen nur Ergänzungen der Aktion Gottes sind. Der Allmächtige Gott wird den Heiligen zu Hilfe kommen und "wird diese Dinge tun durch jene Macht, durch welche er imstande ist, sich alle Dinge untertan zu machen. Berge werden eingeebnet werden, und er wird kommen, springend über Berge und Hindernisse. Nichts wird ihn hemmen." Aber in diesem kommenden "Gott" erkennen wir die Dialektik der Geschichte, die über These und Antithese springt, um mit ihren Gläubigen in der Ebene der kommunistischen Synthese zu landen. (Fs)

205a Der zweite Punkt, der betrachtet werden muß, ist das Programm der Revolutionäre für die Organisation der Gesellschaft, nachdem die alte Welt durch ihre Anstrengungen neu geschaffen sein wird. Im allgemeinen sprechen sich die Gnostiker über diesen Punkt nicht sehr deutlich aus. Man geht von der Voraussetzung aus, daß die neue, verklärte Welt die Übel der alten Welt nicht kennt. Daher besteht deren Schilderung gewöhnlich in der Negierung der gegenwärtigen Mißstände. Der "Blick" auf Zions Herrlichkeit ist eine Kategorie der Gnosis, nicht bloß der Titel einer zufälligen Streitschrift. Der "Blick" zeigt exemplarisch einen Zustand des Wohlstandes und Überflusses, eines Minimums von Arbeit und der Abschaffung staatlichen Zwanges; als Zeitvertreib von populärem Reiz werden noch einige Mißhandlungen von Mitgliedern der früheren Oberschicht eingestreut. Über solche "Blicke" kommt die Schilderung gewöhnlich nicht weit hinaus; die besseren Denker unter den gnostischen Revolutionären, wie Marx und Engels, rechtfertigen ihre Zurückhaltung mit der Begründung, man könne über die Institutionen einer verklärten Gesellschaft nicht viel aussagen, weil wir keine Erfahrungen von sozialen Verhältnissen unter der Bedingung einer verklärten menschlichen Natur besitzen. Glücklicherweise ist uns jedoch ein puritanisches Dokument, das sich mit der Organisation der neuen Welt befaßt, in Gestalt der Queries erhalten geblieben, die eine Gruppe von Fifth Monarchy Sektierern an Lord Fairfax ridhtete.2 (Fs)

205a Zur Zeit der Queries, im Jahre 1649, war die Revolution schon voll im Gange. Sie hatte ein Stadium erreicht, das dem der Russischen Revolution entsprach, als Lenin über die "nächsten Aufgaben" schrieb. In ähnlicher Weise formuliert eine der Queries: "Was ist also das gegenwärtige Interesse der Heiligen und des Gottesvolkes?" Die Antwort enthält den Vorschlag, die Heiligen sollten sich in Kirchengesellschaften und Korporationen nach Art des Kongregationalismus zusammentun; wenn genug solcher Kongregationen entstanden seien, sollten diese sich zu Generalversammlungen oder Kirchenparlamenten nach Art der Presbyterianer vereinigen; "und dann wird Gott ihnen Autorität und Herrschaft über die Nationen und Königreiche der Welt geben". Da es sich um ein geistiges Königreich handelt, kann es nicht "durch menschliche Macht und Autorität" errichtet werden. Der Geist Gottes selbst wird sein Volk rufen und versammeln "und es in mehrere kleine Familien, Kirchen und Korporationen formen". Und erst wenn diese geistigen Keimzellen sich genügend vermehrt haben, sollen sie "die Welt beherrschen" durch Versammlungen solcher Beauftragter Christi und Repräsentanten der Kirchen, wie diese sie erwählen und delegieren werden. Das klingt alles verhältnismäßig harmlos und friedlich. Das Schlimmste, was geschehen könnte, wäre eine gewisse Ernüchterung, falls der Geist sich mit der Durchdringung der neuen Welt Zeit ließe. (Fs)

206a Tatsächlich ist die Sache aber nicht ganz so harmlos. Die Heiligen bringen ihre Queries vor den Lord General of the Army und das General Council of War. Unter diesen Umständen schwingt in der Formel, daß "Gott den Heiligen Autorität und Herrschaft über die Nationen und Königreiche der Welt" geben wird, ein beunruhigender Ton mit. Man möchte fragen: wer sind diese Nationen und Königreiche, über welche die Heiligen herrschen werden? Sind es die Nationen und Königreiche der alten Welt? Aber in diesem Falle wären wir ja noch gar nicht in der neuen Welt. Und wenn wir aber in der neuen Welt sind - über wen könnten die Heiligen dann herrschen außer über sich selbst? Oder werden einige ungläubige Nationen der alten Welt übriggelassen, damit die Heiligen sie nach Herzenslust unterdrücken und auf diese Weise ihrer neuen Herrscherposition eine besondere Würze verleihen können? Kurz: die Gestalt der Dinge, die da kommen, sieht ganz so aus wie das, was spätere Gnostiker die Diktatur des Proletariats nennen. (Fs)

207a Der Verdacht wird durch weitere Einzelheiten bestätigt. Die Queries unterscheiden zwischen "Beamten Christi" und "Christlichen Amtspersonen". Die Herrschaft des Geistes wird alle weltliche Herrschaft abschaffen einschließlich jener der Christlichen Amtspersonen Englands. Die Unterscheidung ist der beste Beweis dafür, daß in Revolutionen der puritanischen Art tatsächlich zwei Wahrheitstypen miteinander um die existentielle Repräsentation ringen. Die Queries gestehen beiden Wahrheitstypen den Namen Christentum zu, doch sind diese beiden Typen so grundverschieden, daß sie respektive die Welten der Dunkelheit und des Lichts repräsentieren. Der puritanische Sieg mag die Struktur der Welt, einschließlich der parlamentarischen Institutionen Englands, unangetastet lassen, aber der innewohnende Geist wird sich radikal gewandelt haben. Und diese radikale Wandlung wird sich politisch im radikalen Wechsel der Führungsschicht ausdrücken. Überzeugend mahnen die Verfasser der Queries: "Bedenket, ob es nicht eine weit größere Ehre für Parlamente, Behörden etc. ist, als Beamte Christi und Repräsentanten der Kirchen zu herrschen, denn als Beamte eines weltlichen Königreichs und Repräsentanten eines lediglich natürlichen und irdischen Volkes?" Es genügt also nicht, ein christlicher Repräsentant des englischen Volkes im Parlament zu sein, denn das Volk als solches gehört der natürlichen Ordnung der alten Welt an. Das Parlamentsmitglied muß vielmehr die Heiligen und die Gemeinschaften des neuen Königtums repräsentieren, die vom Geist selbst geleitet sind. Daher muß die alte politische Führungsschicht ausgeschaltet werden, denn "welches Recht und welchen Anspruch haben lediglich natürliche und weltliche Menschen auf Herrschaft und Regierung, Menschen, denen ein gelheiligter Anspruch auch nur auf die geringsten äußeren Segnungen fehlt?" Oder noch deutlicher: "Wie kann das Königreich ein Reich der Heiligen sein, wenn die Gottlosen Wähler sind und in die Regierung gewählt werden?" Diese Einstellung kennt keinen Kompromiß. Wenn wir neue Himmel und eine neue Erde erwarten, "wie kann es da zulässig sein, die alte weltliche Regierung als neu aufzuputzen?" Das einzig richtige Vorgehen ist jenes, das "die endgültige Unterdrückung der Feinde der Gotthörigen" bewirkt. (Fs)

208a Eine ausführliche Interpretation ist nicht vonnöten. Ein paar sprachliche Modernisierungen werden genügen, um die Bedeutung dieser Vorschläge herauszustellen. Die historische Ordnung des Volkes wird durch das Aufkommen einer Bewegung, die nicht "von dieser Welt" ist, zerstört. Soziale Mißstände können nicht durch Gesetzgebung reformiert werden. Mängel des Regierungsmechanismus können nicht durch Verfassungsänderungen behoben werden. Meinungsverschiedenheiten können nicht durch Kompromisse beseitigt werden. "Diese Welt" ist Finsternis, die dem neuen Licht weichen muß. Daher sind Koalitionsregierungen unmöglich. Die politischen Figuren der alten Ordnung können in der neuen Welt nicht wieder gewählt werden; diejenigen, die nicht Mitglieder der Bewegung sind, werden in der neuen Ordnung kein Wahlrecht haben. Alle diese Veränderungen werden durch den "Geist" oder, wie die Gnostiker heute sagen würden, durch die Dialektik der Geschichte erfolgen. Aber bei den politischen Vorgängen werden die heiligen Genossen ihre Hand im Spiel haben, und diese Hand wird wohlbewaffnet sein. Wenn die Führer der alten Ordnung nicht freundlich lächelnd den Rückzug antreten, werden sie als Feinde der Gotthörigen beseitigt oder, nach heutigem Sprachgebrauch, liquidiert werden. In den Queries hat die Verwirklichung der neuen Welt jenes Stadium erreicht, in dem in der russischen Revolution Lenin seine Betrachtungen unter dem koketten Titel veröffentlichte: "Werden die Bolschewiken die Staatsmacht behalten?" Und ob sie es werden! Und niemand wird sie mit ihnen teilen. (Fs)

209a Das neue Königreich wird sowohl in seiner Substanz wie auch in seinem Herrschaftsanspruch universal sein. Es wird sich "über alle Personen und Dinge der Welt" ausdehnen. Die Revolution der Gnostiker hat das Monopol der existentiellen Repräsentation zum Ziel. Die Heiligen sehen voraus, daß der Universalcharakter ihres Anspruchs von der Welt der Finsternis nicht ohne Kampf anerkannt, sondern vielmehr eine ebenso universale Allianz der Welt gegen sie hervorrufen wird. Die Heiligen müssen sich daher zusammenschließen "gegen die Mächte des Antichrist in dieser Welt". Und die Mächte des Antichrist werden sich wiederum "weltweit gegen die Heiligen zusammenschließen". Die beiden Welten, die in zeitlicher Folge einander ablösen sollen, werden demnach in der historischen Wirklichkeit zu zwei universalen bewaffneten Lagern, die einen Kampf auf Leben und Tod miteinander ausfechten. Aus der gnostischen Mystik der beiden Welten entsteht das Schema der universalen Kriege, das im zwanzigsten Jahrhundert herrschend wurde. Der Universalismus des gnostischen Revolutionärs bewirkt die universale Allianz gegen ihn. Die wirkliche Gefahr der heutigen Kriege liegt nicht in der technisch bedingten globalen Ausdehnung des Kriegsschauplatzes. Ihr eigentliches Verhängnis beruht vielmehr darauf, daß sie dem Wesen nach gnostische Kriege sind, d. h. Kriege zwischen Welten, die sich gegenseitig vernichten wollen. (Fs) (notabene)

210a Die Auswahl der zur Veranschaulichung von Wesen und Richtung der gnostischen Revolution dienenden Materialien mag vielleicht unfair erscheinen. Ein Kritiker könnte einwenden, daß der Puritanismus als Ganzes nicht mit seinem linken Flügel gleichgesetzt werden dürfe. Eine solche Kritik wäre gerechtfertigt, wenn es die Absicht gewesen wäre, eine historische Darstellung des Puritanismus zu geben. Die vorliegende Analyse befaßt sich jedoch mit der Struktur gnostischer Erfahrungen und Ideen, einer Struktur, die sich in der Tat auch dort findet, wo die Folgen zur Ehrbarkeit der Institutionen Calvins oder des presbyterianischen Covenantismus abgeschwächt sind. Die große Spannweite von rechts nach links innerhalb einer jeden Welle der Bewegung, der Kampf zwischen den beiden Flügeln, den die heftigen Ausbrüche in den einzelnen nationalen Räumen hervorriefen, wie auch die vorübergehenden Stabilisierungen einer lebensfähigen Ordnung sind jedoch Phänomene innerhalb der gnostischen Revolution. Diese Phänomene, die zur Dynamik der Revolution gehören, berühren nicht deren Wesen. Und das Wesen läßt sich tatsächlich am besten an seinen radikalen Erscheinungsformen studieren, dort, wo es nicht durch Kompromisse, wie sie um des politischen Erfolges willen eingegangen werden, verwischt ist. Außerdem ist dieses Verfahren nicht eine Sache der Konvenienz, sondern eine methodologische Notwendigkeit. Denn die gnostische Revolution verfolgt das Ziel, die Natur des Menschen zu ändern und eine verklärte Gesellschaft zu errichten; und da dieses Programm in der geschichtlichen Realität nicht durchführbar ist, müssen die gnostischen Revolutionäre unvermeidlich ihren teilweisen oder totalen Erfolg im existentiellen Kampf durch einen Kompromiß mit der Wirklichkeit institutionalisieren. Was immer dieser Kompromiß nun ergeben mag, es wird keinesfalls die von der gnostischen Symbolik erträumte verklärte Welt sein. Würde also der Theoretiker die gnostische Revolution auf der Ebene ihrer zeitweiligen Stabilisierungsperioden, ihrer politischen Taktik oder der gemäßigten Programme, die bereits den Kompromiß ins Auge fassen, studieren, so könnte das Wesen des Gnostizismus als die treibende Kraft der westlichen Revolutionen nie in den Blick kommen. Der Kompromiß würde für das Wesentliche gehalten werden, und das Wesentliche in der Vielgestalt gnostischer Phänomene würde verschwinden. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Die gnostische Revolution 5a; Theorie der Repräsentation bei Hobbes (Leviathan); Kampf um d. existentielle Repräsentation; Christentum - Naturrecht; Fehlen für ein Verständnis d. Wahrheit d. Seele

Kurzinhalt: Wie kann die christliche theologia supranaturalis als theologia civilis eingesetzt werden? Durch diesen sonderbaren Versuch brachte Hobbes ein Problem ans Licht, das bei unserer Analyse der genera theologiae und deren Konflikt im Römischen Imperium ...

Textausschnitt: 5. Die Theorie der Repräsentation bei Hobbes

211a Die englische Revolution ließ deutlich werden, daß der Kampf gnostischer Revolutionäre um die existentielle Repräsentation die öffentliche Ordnung einer großen Nation zu zerstören vermag - falls ein derartiger Beweis nach den acht Bürgerkriegen in Frankreich und dem Dreißigjährigen Krieg in Deutschland noch nötig war. Das Problem der öffentlichen Ordnung verlangte dringend nach theoretischer Neubehandlung, und diese Aufgabe fand in Thomas Hobbes1 einen Denker, der ihr gewachsen war. Die neue Repräsentationstheorie, die Hobbes in seinem Leviathan entwickelte, erkaufte zwar ihre eindrucksvolle Geschlossenheit um den Preis einer Simplifizierung, die selbst in die Klasse gnostischer Missetaten gehört. Wenn aber ein scharfer und unnachgiebiger Denker vereinfacht, wird er dennoch eine neue Klarheit in die Frage bringen. Die Vereinfachung kann berichtigt werden, während die neue Klarheit einen dauernden Gewinn darstellt. (Fs)

212a Die Hobbes'sche Repräsentationstheorie trifft ins Herz des Übels. Auf der einen Seite findet sich eine politische Gesellschaft, die ihre etablierte Ordnung in historischer Existenz aufrechterhalten will; auf der anderen stehen innerhalb der Gesellschaft die einzelnen Individuen, welche die öffentliche Ordnung im Namen der neuen Wahrheit notfalls mit Gewalt ändern wollen. Hobbes löste diesen Konflikt, indem er entschied, daß es keine öffentliche Wahrheit außer dem Gesetz von Friede und Eintracht in einer Gesellschaft gäbe. Eine Meinung oder Lehre, die Zwietracht fördert, war dadurch als unwahr erwiesen.2Um seine Entscheidung zu stützen, verwandte Hobbes das folgende Argunment: (Fs)

(1) Im Bewußtsein des Menschen gibt es einen Befehl der Vernunft, der ihn zu Friede und Gehorsam im Rahmen einer bürgerlichen Ordnung geneigt macht. Die Vernunft läßt ihn erstens erkennen, daß er sein natürliches Leben, das sein weltliches Glück erstrebt, nur dann zu Ende leben kann, wenn er mit seinen Mitmenschen in Frieden lebt. Zweitens läßt sie ihn erkennen, daß er nur dann in Frieden und ohne Mißtrauen gegen die Absichten der anderen leben kann, wenn jedermanns Leidenschaften durch die stärkere Gewalt eines Zivilregimes zu gegenseitiger Duldung gebändigt werden.3 (Fs)
(2) Dieser Befehl der Vernunft wäre jedoch nichts weiter als ein Lehrsatz ohne verpflichtende Kraft, wenn er nicht als das Hören des Gotteswortes verstanden würde, als Seinen Befehl, der sich in der Seele des Menschen kundtut. Nur sofern die Stimme der Vernunft als göttlicher Befehl aufgefaßt wird, ist er Naturrecht.4 (Fs)

(3) Dieses Naturrecht schließlich ist nicht ein Recht, das tatsächlich die menschliche Existenz beherrscht, noch ehe die Menschen, in denen es als eine Friedensneigung lebt, seine Vorschrift befolgt und sich zu einer zivilen Gesellschaft unter einem öffentlichen Repräsentanten, dem Souverän, zusammengeschlossen haben. Erst nachdem sie übereingekommen sind, sich einem gemeinsamen Souverän zu unterstellen, ist das Naturrecht tatsächlich zum Recht einer Gesellschaft in historischer Existenz geworden.5 "Das Naturrecht und das Zivilrecht schließen also einander ein und sind einander gleich in der Ausdehnung."6 (Fs)

213a Die existentielle und transzendente Repräsentation treffen bei der Artikulierung einer Gesellschaft zu geordneter Existenz zusammen. Durch ihren Zusammenschluß zu einer politischen Gesellschaft unter einem Repräsentanten verwirklichen die sich verbündenden Glieder die göttliche Seinsordnung in der menschlichen Sphäre.7 (Fs)

214a In dieses etwas leere Gefäß einer politischen Gesellschaft gießt nun Hobbes den westlich-christlichen Zivilisationsgehalt, indem er ihn durch den Engpaß der Sanktion, die der souveräne Repräsentant erteilt, fließen läßt. Die Gesellschaft kann wohl ein christliches Commenwealth sein, weil das in der Schrift geoffenbarte Wort Gottes sich nicht in Widerspruch mit dem Naturrecht befindet.8 Dennoch werden der zu rezipierende Schriftkanon9, die ihm aufzuerlegende dogmatische und rituelle Interpretation10, wie auch die Organisationsform der geistlichen Hierarchie11 ihre Autorität nicht aus der Offenbarung beziehen, sondern daraus, daß der Souverän sie mit Gesetzeskraft ausstattet. Diskussionsfreiheit betreffend die Wahrheit der menschlichen Existenz in der Gesellschaft wird es nicht geben. Öffentliche Außerung von Meinungen und Doktrinen unterliegt der Regelung und ständigen Kontrolle durch die Regierung. "Denn die Handlungen der Menschen entspringen ihren Meinungen. In der rechten Lenkung ihrer Meinungen besteht also die rechte Lenkung der menschlichen Handlungen im Hinblick auf ihren Frieden und ihre Eintracht." Darum hat der Souverän darüber zu entscheiden, wer öffentlich zu einer Zuhörerschaft sprechen darf, über welches Thema und mit welcher Tendenz. Außerdem wird eine präventive Buchzensur für nötig erachtet.12 Im übrigen besteht Freiheit für die friedlichen Geschäfte der Bürger, denn dies ist der Zweck, zu dem sich die Menschen in einer zivilen Gesellschaft zusammenschließen.13

215a Bei der Beurteilung der Hobbes'schen Repräsentationstheorie muß man die Fallstricke des politischen Jargons unserer Zeit vermeiden. Nichts wird gewonnen, wenn man die Theorie auf die Waagschalen von Freiheit und Autorität legt, und nichts durch eine Klassifizierung Hobbes' als Absolutisten oder Faschisten. Eine kritische Interpretation muß sich an die von Hobbes selbst in seinem Werk aufgezeigten theoretischen Absichten halten. Diese Absichten lassen sich aus dem folgenden Passus entnehmen: (Fs)

Denn es ist.offensichtlich auch für den Geringstbefähigten, daß die Handlungen der Menschen aus ihren Meinungen erwachsen, die sie über das Gute oder Böse haben, das sich aus diesen Handlungen für sie selbst ergibt. Infolgedessen werden Menschen, sobald sie von der Meinung besessen sind, ihr Gehorsam gegenüber der souveränen Macht sei ihnen schädlicher als ihr Ungehorsam, die Gesetze mißachten, dadurch das Gemeinwesen zugrunderichten und Verwirrung und Bürgerkrieg auslösen, zu deren Verhütung das Zivilregime ja doch eingesetzt wurde. Aus diesem Grunde wurde in allen heidnischen Gemeinwesen der Souverän als "Hirte des Volkes" bezeichnet, weil es keinen Untertanen gab, der berechtigt gewesen wäre, das Volk zu unterweisen, es sei denn mit der Erlaubnis und Ermächtigung des Souveräns. (Fs)

215b Und es kann nicht die Absicht des Christentums sein, so fährt Hobbes fort, die Souveräne "der zur Bewahrung des Friedens unter ihren Untertanen und zur Verteidigung gegen auswärtige Feinde erforderlichen Macht" zu berauben.14 (Fs)

216a Aus diesem Passus wird Hobbes' Absicht erkennbar, das Christentum (das als substantiell identisch mit dem Naturrecht verstanden wird) als eine englische theologia civilis im varronischen Sinne zu etablieren. Im ersten Moment scheint eine solche Absicht in sich selbst widerspruchsvoll zu sein. Wie kann die christliche theologia supranaturalis als theologia civilis eingesetzt werden? Durch diesen sonderbaren Versuch brachte Hobbes ein Problem ans Licht, das bei unserer Analyse der genera theologiae und deren Konflikt im Römischen Imperium in der Schwebe geblieben war. Bei Gelegenheit dieser Analyse machten wir darauf aufmerksam, daß Ambrosius und Augustinus merkwürdig verständnislos dafür waren, daß ein Christ auf dem Thron unter ihrer Führung die Heiden genau so behandeln würde, wie heidnische Kaiser vormals die Christen behandelt hatten. Sie faßten das Christentum als eine dem Polytheismus überlegene Wahrheit der Seele auf, erkannten aber nicht, daß die römischen Götter die Wahrheit der römischen Gesellschaft symbolisierten, daß mit dem Kult eine Kultur zerstört wurde, wie Celsus dies begriffen hatte, daß ein existentieller Sieg des Christentums nicht eine Bekehrung von Einzelpersonen zu einer höheren Wahrheit war, sondern daß damit einer Gesellschaft eine neue theologia civilis gewaltsam auferlegt wurde. Im Falle Hobbes' ist die Situation umgekehrt. Wenn er das Christentum unter dem Aspekt seiner substantiellen Identität mit dem Diktat der Vernunft behandelt und die Autorität des Christentums aus der Sanktion der Regierung ableitet, so zeigt er damit, daß ihm genau so merkwürdig das Verständnis für den Sinn des Christentums als Wahrheit der Seele abgeht, wie den Vätern das Verständnis für den Sinn der römischen Götter als einer Wahrheit der Gesellschaft fehlte. Um zur Wurzel dieser Merkwürdigkeiten vorzudringen, wird es nötig sein, das epochale Ereignis des Öffnens der Seele nochmals zu

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Ende d. Modernität 3; Liberalismus und Kommunismus; Lenin (Himmel auf Erden); Varianten d. Immanentisierung: teleologische, axiologische, aktivistische; 2. Weltkrieg (danach: gnostische Politik); Welle: rechts-links

Kurzinhalt: Die Dynamik der Gnostik bewegt sich auf zwei Linien: (1) In der Dimension der historischen Tiefe bewegt sich der Gnostizismus von der unvollständigen Immanentisierung des Hohen Mittelalters zur radikalen Immanentisierung der Gegenwart; (2) ...

Textausschnitt: 3 Liberalismus und Kommunismus

238a Die Darstellung der Gefahren des Gnostizismus als Ziviltheologie der westlichen Gesellschaft hat wahrscheinlich einige Bedenken erweckt. Denn die Analyse war voll zutreffend nur für die progressiven und idealistischen Varianten des Gnostizismus, wie sie in den westlichen Demokratien vorherrschen; sie läßt sich nicht ebensogut auf die aktivistischen Varianten anwenden, wie sie in den totalitären Reichen vorherrschen. Und wieviel Verantwortung für die gegenwärtige Situation man auch immer den Progressivisten und Idealisten zur Last legen mag, so sind doch die Aktivisten die furchtbarste und unmittelbare Gefahrenquelle. Der enge Zusammenhang zwischen den beiden Gefahren erfordert darum eine Klärung - umsomehr als die Repräsentanten der zwei gnostischen Spielarten Gegner im Kampf auf der Weltbühne sind. Der Analyse dieser weiteren Fragen kann mit Vorteil die Erklärung eines berühmten liberalen Intellektuellen zum Problem des Kommunismus als Vorwort dienen: (Fs)

Lenin hat sicherlich recht, wenn ihm als Endziel vorschwebte, seinen Himmel auf Erden zu errichten und die Grundsätze seines Glaubens der Textur einer universalen Menschheit einzugraben. Ebenso hatte er recht, wenn er erkannte, daß das Vorspiel zum Frieden der Krieg ist und daß es müßig ist anzunehmen, die Tradition ungezählter Generationen ließe sich sozusagen über Nacht umändern.1 (Fs)

Die Macht jeder übernatürlichen Religion, eine solche Tradition aufzubauen, ist geschwunden; das Depositum der wissenschaftlichen Forschung seit Descartes ist ihrer Autorität zum Verhängnis geworden. Es ist daher schwer zu ersehen, auf welcher anderen Grundlage die zivilisierte Tradition wieder aufgebaut werden könnte als auf jener, auf welche sich die Idee der russischen Revolution gründet. Sie entspricht, abgesehen von der übernatürlichen Basis, ziemlich genau dem geistigen Klima, in dem das Christentum zur offiziellen Religion des Westens wurde.2 (Fs)

Es ist sogar in gewissem Sinne richtig, wenn behauptet wird, das russische Prinzip gehe tiefer als das christliche, weil es die Erlösung für die Massen durch Erfüllung im Diesseits sucht und dadurch die wirkliche Welt, die wir kennen, neu ordnet.3 (Fs)

240a Wenige Stellen könnten den Bankrott des liberalen Intellektuellen unserer Zeit deutlicher aufzeigen als diese. Philosophie und Christentum liegen außerhalb seines Erfahrungsbereiches. Die Wissenschaft wird ein Werkzeug zur Beherrschung der Natur; und im übrigen macht sie den Menschen so blasiert, daß er nicht an Gott glaubt. Der Himmel wird auf Erden errichtet werden. Die Selbsterlösung, die Tragödie des Gnostizismus, die Nietzsche durchlebte, bis sie seine Seele zerbrach, ist ein Lebensinhalt, den jeder Mensch mit dem Gefühl gewinnt, er leiste seinen Beitrag zur Gesellschaft gemäß seinem Können, wofür er als Gegenleistung seinen Wochenlohn erhält. Es gibt keine Probleme menschlicher Existenz in der Gesellschaft außer der immanenten Befriedigung der Massen. Die politische Analyse zeigt, wer der Gewinner im Machtkampf sein wird, so daß der Intellektuelle sich rechtzeitig auf die Position eines Hoftheologen des kommunistischen Reiches vorbereiten kann. Und wer schlau genug ist, wird ihm in seinem kundigen Wellenreiten auf der Woge der Zukunft folgen. Der Fall ist heute zu gut bekannt, um eines weiteren Kommentars zu bedürfen. Es ist der Fall der kleinen Parakleten, in denen sich der Geist regt; derer, die den Drang verspüren, eine öffentliche Rolle zu spielen und als Lehrer der Menschheit aufzutreten; der Menschen, die in gutem Glauben ihre Überzeugung an die Stelle kritischer Erkenntnis setzen und mit gutem Gewissen ihre Meinung über Probleme äußern, die ihr Fassungsvermögen übersteigen. Man sollte auch nicht die innere Folgerichtigkeit und Ehrlichkeit dieses Übergangs vom Liberalismus zum Kommunismus bestreiten; denn wenn der Liberalismus als die immanente Erlösung von Mensch und Gesellschaft verstanden wird, ist der Kommunismus zweifellos sein radikalster Ausdruck; es handelt sich um das Ende einer Entwicklung, die schon durch John Stuart Mills Glauben an den Advent des Kommunismus für die Menschheit vorweggenommen wurde. (Fs)

241a In mehr technischer Sprache kann man das Problem folgendermaßen formulieren: Die drei zur Wahl stehenden - Varianten der Immanentisierung - die teleologische, die axiologische und die aktivistische - sind nicht einfach drei koordinierte Typen, sondern sie stehen in einer dynamischen Relation zueinander. In jeder Welle der gnostischen Bewegung werden die fortschrittlichen und utopistischen Varianten die Tendenz zeigen, einen politischen rechten Flügel zu bilden, der die letzte Vollendung einer allmählichen Evolution überläßt und sich mit einer Spannung zwischen dem Erreichten und dem Ideal zufriedengibt, während die aktivistische Variante dahin tendiert, einen politischen linken Flügel zu bilden, der die Gewalt zur Verwirklichung des vollkommenen Reiches einsetzt. Die Streuung der Gläubigen von der Rechten zur Linken wird zum Teil durch persönliche Faktoren wie Begeisterungsfähigkeit, Temperament und Ausdauer bestimmt; zum anderen, und vielleicht bedeutsameren Teile, ergibt sie sich jedoch aus der Beziehung der Gläubigen zur zivilisatorischen Umwelt, in der sich die gnostische Revolution vollzieht. Denn man darf nicht vergessen, daß die westliche Gesellschaft nicht durch und durch modern ist, sondern daß die Modernität etwas in ihr Gewachsenes, ihrer klassischen und christlichen Tradition Entgegengesetztes ist. Wäre in der westlichen Gesellschaft nichts anderes vorhanden als der Gnostizismus, dann wäre der Schritt nach links nicht aufzuhalten, weil er in der Logik der Immanentisierung liegt, ja er wäre schon längst vollzogen. Tatsächlich aber haben sich die großen westlichen Revolutionen der Vergangenheit nach ihrem jeweiligen Linksausschlag stets zu einem Zustand öffentlicher Ordnung beruhigt, der das Gleichgewicht der sozialen Kräfte, mit ihren wirtschaftlichen Interessen und kulturellen Traditionen, ausdrückte. Die Befürchtung oder Hoffnung- je nach der persönlichen Einstellung -, auf die "partiellen" Revolutionen der Vergangenheit würde die "radikale" Revolution und die Errichtung des Endreiches folgen, beruht auf der Annahme, daß die Traditionen der westlichen Gesellschaft nunmehr ausreichend zerstört und die berühmten Massen zum letzten Sturm bereit seien.4 (Fs)

242a Die Dynamik der Gnostik bewegt sich auf zwei Linien: (1) In der Dimension der historischen Tiefe bewegt sich der Gnostizismus von der unvollständigen Immanentisierung des Hohen Mittelalters zur radikalen Immanentisierung der Gegenwart; (2) mit jeder Welle und jedem revolutionären Ausbruch bewegt er sich in der Amplitude von rechts und links. Die These jedoch, daß die beiden Linien der Dynamik auf Grund ihrer inneren Logik in unserer Zeit zusammentreffen müßten, daß die westliche Gesellschaft nunmehr reif sei, dem Kommunismus zu verfallen, daß der Lauf der westlichen Geschichte von nichts anderem als der Logik ihrer Modernität bestimmt sei - das ist eine impertinente These der gnostischen Propaganda und hat nichts mit einem kritischen Urteil über Politik zu tun. Dieser These müssen eine Anzahl von Tatsachen entgegengehalten werden, die heute verdrängt werden, weil die öffentliche Diskussion von den liberalen Klischees beherrscht wird. Erstens hat die kommunistische Bewegung in der westlichen Gesellschaft selbst, wenn sie ihren Appell an die Massen ohne die Unterstützung der Sowjetregierung zu richten hatte, so gut wie gar nichts erreicht. Die einzige gnostische aktivistische Bewegung, die einen beachtlichen Erfolg erzielte, war die nationalsozialistische Bewegung auf einer begrenzten nationalen Basis; und der selbstmörderische Charakter eines solchen aktivistischen Erfolges wird durch die grauenhafte innere Korrruption des Regimes, solange es bestand, sowie durch die Trümmer der deutschen Städte und die Teilung des Reiches ausreichend bezeugt. Zweitens ist die Notlage des Westens angesichts der sowjetischen Gefahr, sofern sie auf die Schaffung des oben beschriebenen Machtvakuums zurückgeht, nicht von den Kommunisten verursacht worden. Das Machtvakuum wurde aus freien Stücken von den westlichen demokratischen Regierungen auf der Höhe eines militärischen Sieges, ohne Druck von irgendeiner Seite geschaffen. Drittens hat die Tatsache, daß die Sowjetunion eine sich auf dem Kontinent ausdehnende Großmacht ist, nichts mit Kommunismus zu tun. Die derzeitige Ausbreitung der Sowjetherrschaft über die Satellitenstaaten entspricht ziemlich genau dem Programm eines slavischen Imperiums unter russischer Hegemonie, wie es beispielsweise Bakunin Nikolaus I. unterbreitet hatte. Es ist durchaus denkbar, daß eine nicht-kommunistische russische Hegemonialmacht heute die gleiche Ausdehnung wie das Sowjetreich hätte und eine noch größere Gefahr darstellte, weil sie vielleicht besser konsolidiert wäre. Viertens ist das Sowjetreich trotz seiner gewaltigen Macht nicht eine überwältigende Gefahr durch seine bloße materielle Stärke. Elementare Statistik zeigt, daß die Arbeitskraft, die Rohstoffquellen und das Industriepotential des Westens jeder Kraft, über die die Sowjetunion verfügt, gewachsen sind - ohne Berücksichtigung der im Hintergrund stehenden amerikanischen Macht. Die Gefahr erwächst aus dem nationalen Partikularismus und der lähmenden geistigen und moralischen Verwirrung des Westens. (Fs)

244a Das Problem der kommunistischen Gefahr geht auf das Problem der Lähmung und der selbstzerstörerischen Politik des Westens infolge der gnostischen Träumerei zurück. Die oben zitierten Stellen decken die Störungsquelle auf. Die Gefahr des Abgleitens von der Rechten zur Linken liegt in der Natur des Traumes. Da der Kommunismus ein radikalerer und folgerichtigerer Typus der Immanentisierung ist als der Progressivismus oder der soziale Utopismus, hat er die logique du coeur auf seiner Seite. Die westlichen gnostischen Gesellschaften befinden sich in einem Zustand geistiger und emotionaler Lähmung, weil es nicht möglich ist, grundlegende Kritik an der gnostischen Linken zu üben, ohne dadurch gleichzeitig die gnostische Rechte zu sprengen. Erlebnismäßige und geistige Revolutionen dieser Größenordnung erfordern jedoch Zeit und den Wechsel zumindest einer Generation. Man kann nicht mehr tun, als die Problemlage formulieren. Auch unter den günstigsten äußeren Verhältnissen wird die kommunistische Gefahr lauern, solange die öffentliche Diskussion in den westlichen Gesellschaften von den gnostischen Klischees beherrscht wird; das heißt also: solange die Erkenntnis von der Struktur der Wirklichkeit, die Pflege der Tugenden der sophia und prudentia, die Disziplin des Intellekts, die Pflege theoretischer Kultur und des Lebens des Geistes in der Öffentlichkeit als "reaktionär" gebrandmarkt werden, während Mißachtung der Struktur der Wirklichkeit, Ignoranz betreffend Tatsachen, Fehlkonstruktion und Verfälschung der Geschichte, unverantwortliche Meinungsäußerung auf Grund aufrichtiger Gesinnung, philosophische Unbildung, geistige Trägheit, agnostische Überheblichkeit als die großen Tugenden des Menschen angesehen werden, deren Besitz die Karriere sichert - kurz: solange die Kultur des Geistes als Reaktion und sittliche Verkommenheit als Fortschritt gilt. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Ende d. Modernität 4a; Hobbes; Existenz (Gegenbewegung zu gnostischen Revolutionären); libido dominandi; Leidenschaften (Natur d. Menschen); Gegenposition zur klassischen u. christl. Ethik (Zwecke, summum bonum)

Kurzinhalt: Die menschliche Natur müßte in der bloßen Existenz ihre Erfüllung finden ... Hobbes stellte der gnostischen Immanentisierung des Eschaton, welche die Existenz gefährdete, eine radikale Immanenz der Existenz entgegen, die das Eschaton leugnete.

Textausschnitt: 4.Hobbes

245a Die Funktion des Gnostizismus als der Ziviltheologie der westlichen Gesellschaft, seine Zerstörung der Wahrheit der Seele und seine Mißachtung der Existenzproblematik wurden ausführlich genug geschildert, um die schicksalhafte Bedeutung des Problems klarzumachen. Die Untersuchung kann jetzt zu dem großen Denker zurückkehren, der die Natur des Problems entdeckte und versuchte, es durch seine Repräsentationstheorie zu lösen. Im siebzehnten Jahrhundert schien die Existenz der englischen nationalen Gesellschaft in Gefahr, von den gnostischen Revolutionären zerstört zu werden, so wie heute in größerem Ausmaß dieselbe Gefahr die Existenz der gesamten westlichen Gesellschaft bedroht. Hobbes versuchte, dieser Gefahr durch die Entwicklung einer Ziviltheologie zu begegnen, welche das Existieren einer Gesellschaft zu der von ihr vertretenen Wahrheit machte - neben dieser sollte keine andere Wahrheit gelten. Das war zu seiner Zeit eine sehr vernünftige Idee, insofern sie das ganze Gewicht auf die Existenz legte, die von den Gnostikern arg vernachlässigt worden war. Aber ihr praktischer Wert stand und fiel mit der Annahme, daß die transzendente Wahrheit, welche die Gesellschaften zu repräsentieren versuchten, nachdem die Menschheit durch Philosophie und Christentum hindurchgegangen war, ihrerseits vernachlässigt werden konnte. Im Gegensatz zu den Gnostikern, die eine Gesellschaft nicht für existenzwürdig hielten, wenn ihre Ordnung nicht einen bestimmten Wahrheitstypus repräsentierte, erklärte Hobbes nachdrücklich, daß jede Ordnung gut sei, wenn sie nur die Existenz der Gesellschaft gewährleistet. Um diesem Gedanken Gültigkeit zu verleihen, mußte er seine neue Idee vom Menschen schaffen. Die menschliche Natur müßte in der bloßen Existenz ihre Erfüllung finden; eine über die Existenz hinausgehende Bestimmung des Menschen müßte verneint werden. Hobbes stellte der gnostischen Immanentisierung des Eschaton, welche die Existenz gefährdete, eine radikale Immanenz der Existenz entgegen, die das Eschaton leugnete. (Fs) (notabene)

246a Das Ergebnis dieser Bemühung war ambivalent. Um seine Stellung gegen die kämpfenden Kirchen und Sekten zu behaupten, mußte Hobbes bestreiten, daß deren Eifer von einer, wenn auch fehlgeleiteten Wahrheitssuche beseelt sei. Ihr Kampf mußte, vom Standpunkt der immanenten Existenz aus gesehen, als ein ungezügelter Ausdruck ihres Machttriebs interpretiert und ihr vorgeblich religiöses Anliegen als Tarnung ihrer existentiellen Leidenschaft entlarvt werden. Bei der Durchführung dieser Analyse erwies sich Hobbes als einer der größten Psychologen aller Zeiten; seine Demaskierung der libido dominandi hinter dem Vorwand religiösen Eifers und reformierenden Idealismus ist heute noch so gültig wie zur Zeit, als er sie niederschrieb. Diese großartige psychologische Leistung wurde jedoch teuer erkauft. Hobbes diagnostizierte richtig das korrumpierende Element der Leidenschaft in der Religiosität der puritanischen Gnostiker. Aber er interpretierte nicht die Leidenschaft als Quelle der Korruption im Leben - des Geistes, sondern das Leben des Geistes als das Extrem der existentiellen Leidenschaft. Er konnte daher die Natur des Menschen nicht von ihrer maximalen Differenzierung durch die Erfahrung der Transzendenz her interpretieren, und vor allem konnte er nicht die Leidenschaft und besonders die Grundleidenschaft der superbia als die stets gegenwärtige Gefahr des Abfalls von der wahren Natur erkennen. Er mußte im Gegenteil das Leben der Leidenschaft als die Natur des Menschen deuten, so daß die Phänomene des geistigen Lebens als Extreme der superbia erschienen. (Fs) (notabene)

247a Dieser Konzeption gemäß ist We have become completely secular die Natur des Menschen in seinen Leidenschaften zu suchen, während die Gegenstände, auf die sich die Leidenschaften richten, kein legitimer Gegenstand der Untersuchung sind.1 Das ist die fundamentale Gegenposition zur klassischen und christlichen Ethik. Die aristotelische Ethik geht von den Zwecken der Handlungen aus und erforscht die Ordnung des Menschenlebens im Sinne einer Ausrichtung aller Handlungen auf einen höchsten Zweck, das summum bonum. Hobbes hingegen betont, daß es das summum bonum, "von dem in den Büchern der alten Moralphilosophen gesprochen wird",2 nicht gebe. Mit dem summum bonum verschwindet jedoch die Quelle der Ordnung aus dem menschlichen Leben, und nicht nur aus dem Leben des Einzelmenschen, sondern auch aus dem der Gesellschaft. Denn - wie an früherer Stelle ausgeführt - die Ordnung des Lebens in der Gesellschaft beruht auf der homonoia im aristotelischen und christlichen Sinne, d. h. auf der Teilnahme am gemeinsamen nous. Hobbes steht daher vor der Aufgabe, eine Gesellschaftsordnung aus isolierten Einzelpersonen zu konstruieren, die nicht auf einen gemeinsamen Zweck ausgerichtet, sondern nur von ihren individuellen Leidenschaften angetrieben sind. (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Ende d. Modernität 4b; Hobbes: Gesellschaft (offenes Feld von Rivalen); Glück (Machttriebe; den Nächsten überholen); Vertragssymbolik - Souverän (Verschmelzung v. Personen; Leviathan); Person, prosopon (Sich-Präsentieren); summum bonum - malum

Kurzinhalt: Wenn die Seelen nicht am Logos teilhaben können, dann wird der Souverän, der die Seelen in Schrecken versetzt, "das Wesen des Commonwealth" sein.

Textausschnitt: 248a Die Einzelheiten der Konstruktion sind wohl bekannt. Es wird genügen, die Hauptpunkte ins Gedächtnis zurückzurufen. Menschliches Glück ist für Hobbes ein kontinuierliches Fortschreiten des Begehrens von einem Objekt zum anderen. Es ist das Ziel des Menschen, "nicht nur einmal und für die Dauer eines Augenblicks zu genießen, sondern die Bahn seines künftigen Begehrens auf immer zu sichern":1 "So daß ich an die erste Stelle als allgemeine Neigung der Menschheit ein beständiges, ruheloses Begehren von Macht über Macht setze, das erst im Tode endet."2 Eine Vielheit von Menschen ist nicht eine Gemeinschaft, sondern ein offenes Feld rivalisierender Zentren des Machttriebs. Der ursprüngliche Machttrieb wird daher durch Mißtrauen gegenüber dem Nebenbuhler und durch die Lust, sich an der erfolgreichen Überwindung des anderen zu erfreuen, noch verstärkt.3 "Wir müssen annehmen, daß dieser Wettlauf kein anderes Ziel, keinen anderen Siegeskranz kennt als den, der Erste zu sein." In diesem Wettlauf "beständig überholt zu werden ist Unglück. Beständig den Nächsten überholen ist Glückseligkeit. Und die Laufbahn verlassen heißt Sterben."4 Leidenschaft, die sich am Vergleich steigert, ist Stolz.5 Dieser Stolz kann verschiedene Formen annehmen, deren wichtigste in der Analyse der Politik für Hobbes der Stolz war, göttliche Inspirationen zu haben oder generell im Besitz unbestrittener Wahrheit zu sein. Solcher Stolz im Exzess ist Wahnsinn.6 "Wenn ein Mann in Bedlam (Irrenhaus von London) dich mit vernünftigem Gespräch unterhalten würde und du beim Abschied wissen wolltest, wer er sei, um ein andermal seine Höflichkeit erwidern zu können, und er dir sagen würde, er sei Gott Vater, dann, meine ich, bedürfte es keiner ungewöhnlichen Handlung mehr, um seinen Wahnsinn zu beweisen."7 Wird aber solcher Wahnsinn gewalttätig und versuchen die von der Inspiration Besessenen, sie anderen aufzuzwingen, so wird das Ergebnis in der Gesellschaft "das aufrührerische Gebrüll einer aus den Fugen geratenen Nation sein."8 (Fs) (notabene)

249a Da Hobbes Ordnungsquellen in der Seele nicht anerkennt, kann die Inspiration nur durch eine Leidenschaft ausgetrieben werden, die noch stärker ist als der Stolz, ein Paraklet zu sein, und das ist die Furcht vor dem Tode. Der Tod ist das größte Übel. Wenn das Leben nicht durch die Ausrichtung der Seele auf ein summum bonum geordnet werden kann, muß Ordnung sich auf die Furcht vor dem summum malum9 gründen. Aus der gegenseitigen Furcht erwächst die Bereitschaft, sich durch Vertrag einer Regierung zu unterwerfen. Wenn die vertragschließenden Parteien übereinkommen, eine Regierung zu haben, "übertragen sie all ihre Macht und Stärke einem Manne oder einer Versammlung von Männern, welche all ihren Willen durch Stimmenmehrheit auf einen einzigen Willen reduzieren kann."10 (Fs) (notabene)

250a Der Scharfsinn Hobbes zeigt sich am deutlichsten in seiner Erkenntnis, daß die Vertragssymbolik, die er in Übereinstimmung mit den Gepflogenheiten des siebzehnten Jahrhunderts verwandte, nicht das Wesentliche an der Sache ist. Der Zusammenschluß zu einem Gemeinwesen unter einem Souverän mag sich in Rechtsform vollziehen, aber seinem Wesen nach ist er eine psychologische Wandlung der sich zusammenschließenden Personen. Die Hobbes'sche Konzeption des Prozesses, durch welchen eine politische Gesellschaft existent wird, kommt der Auffassung Fortescues über die Schaffung eines neuen corpus mystycum durch die Eruption eines Volkes ziemlich nahe. Die Vertragspartner schaffen nicht etwa eine Regierung, die sie als Einzelpersonen repräsentiert. Durch den Vertragsakt hören sie auf, selbstbestimmende Personen zu sein und lassen ihre Machttriebe in einer neuen Person, dem Gemeinwesen, aufgehen, und der Träger dieser neuen Person, ihr Repräsentant, ist der Souverän. (Fs) (notabene)

251a Diese Konstruktion machte einige Distinktionen hinsichtlich der Bedeutung des Wortes "Person" erforderlich. "Eine Person ist derjenige, dessen Worte oder Handlungen entweder als seine eigenen angesehen werden oder als solche, welche die Worte und Handlungen eines anderen Menschen oder einer anderen Sache repräsentieren." Repräsentiert er sich selbst, so ist er eine natürliche Person; repräsentiert er einen anderen, so wird er eine künstliche Person genannt. Die Bedeutung des Wortes "Person" wird auf das lateinische persona und das griechische prosopon zurückgeführt, auf das Gesicht, die äußere Erscheinung oder die Maske des Schauspielers auf der Bühne. "So daß eine Person dasselbe ist wie ein Schauspieler, auf der Bühne wie auch in der gewöhnlichen Unterhaltung, und als Person auftreten heißt darstellen oder repräsentieren, sich selbst oder einen anderen."11 (Fs) (notabene)

eg, Lonergan, Constitution.doc.61/1:
"18 Beginning with St Thomas, 'person' has been defined as 'a distinct subsistent in an intellectual nature.' (41; Fs)
'Nature', in the Aristotelian sense, is the principle of motion and rest in that in which it (motion or rest) exists of itself and not by accident.
'Nature' in another sense, a medieval sense, is a substantial essence considered in relation to operation. (41; Fs)
A nature is intellectual when by understanding and willing it can operate within the entire realm of being. It makes no difference, either, if 'nature' is taken in the Aristotelian or in the later sense. (41; Fs)
A person, therefore, is that which subsists as distinct in an intellectual nature.
62/1 Accordingly, since a person subsists, beings that do not subsist are not persons; therefore the intrinsic principles of being, accidents, possible beings, and 'beings of reason' are all excluded from the formality of person. (41; Fs)

Because a person is a distinct subsistent, whatever subsists without being distinct in every respect is not a person. Thus God, who is subsistent existence itself, is not some fourth person in addition to the Father, the Son, and the Holy Spirit. (41; Fs)

251b Dieser Begriff der Person gestattet es Hobbes, den sichtbaren Bereich repräsentativer Worte und Taten von dem unsichtbaren Bereich der Seelenvorgänge zu trennen, was zur Folge hat, daß die sichtbaren Worte und Aktionen, die immer von einem bestimmten, physischen Menschen herrühren müssen, auch Einheiten psychischer Vorgänge repräsentieren können, die aus der Wechselwirkung menschlicher Einzel-Seelen hervorgehen. Im Naturstand hat jeder Mensch seine eigene Person, in dem Sinne, daß seine Worte und Handlungen den Machttrieb seiner Leidenschaften repräsentieren. Im Zivilstand werden die menschlichen Einheiten von Leidenschaft gebrochen und zu einer neuen Einheit, genannt das Commonwealth, verschmolzen. Die Handlungen der menschlichen Individuen, deren Seelen sich vereinigt haben, können die neue Person nicht repräsentieren; deren Träger ist der Souverän. Die Schaffung dieser Person des Commonwealth, betont Hobbes, ist "mehr als Zustimmung oder Übereinstimmung", wie dies aus der Vertragssprache vermutet werden könnte. Denn die menschlichen Einzelpersonen hören zu existieren auf und verschmelzen zu der einen Person, die vom Souverän repräsentiert wird. "Das ist die Zeugung des großen Leviathan, oder vielmehr, um es ehrerbietiger auszudrücken, jenes sterblichen Gottes, dem wir unter dem unsterblichen Gott unseren Frieden und unseren Schutz verdanken." Die vertragschließenden Menschen kommen überein, "ihren Einzelwillen seinem Willen, und ihr Einzelurteil seinem Urteil zu unterwerfen." Diese Verschmelzung von Einzelwillen ist "eine reale Einheit ihrer aller"; denn der sterbliche Gott "hat die Verfügungsgewalt von so viel Macht und Stärke auf sich übertragen, daß deren Schreckwirkung ihn in die Lage versetzt, ihrer aller Willen zu gestalten zum Frieden im Lande und zur gegenseitigen Unterstützung gegen äußere Feinde."12 (Fs) (notabene)

252a Der Stil der Konstruktion ist hervorragend. Wenn angenommen wird, daß die menschliche Natur nichts weiter als leidenschaftliche Existenz ohne ordnende Kräfte der Seele ist, wird tatsächlich das Grauen vor der Vernichtung zur alles beherrschenden Leidenschaft, welche die Unterwerfung unter eine Ordnung erzwingt. Wenn der Stolz sich nicht der Dike beugen oder durch die Gnade erlöst werden kann, muß er durch den Leviathan gebrochen werden, der "König aller Kinder des Stolzes" ist.13 Wenn die Seelen nicht am Logos teilhaben können, dann wird der Souverän, der die Seelen in Schrecken versetzt, "das Wesen des Commonwealth" sein.14 Der "König der Stolzen" muß den amor sui brechen, dem nicht durch den amor Dei geholfen werden kann.15 (Fs) (notabene)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Ende d. Modernität 2b; Gnostizismus: klass. und chr. Ethik: sophia, prudentia - gnostische Traumwelt: Nichtanerkennung der Realität; gnost. Gesellschaften: magische Operationen; Definition: Friede, Krieg; Aufstieg der nationalsozialistischen Bewegung

Kurzinhalt: Die Interpretation der sittlichen Korrruption als Moralität, und der Tugend der sophia und prudentia als Immoralität, ist eine schwer aufzulösende Verwirrung ... Die gnostischen Politiker haben jedoch die Sowjetarmee an die Elbe gebracht ...

Textausschnitt: 233a Die Art der Schwierigkeit, der man hier begegnet, läßt sich wohl am besten an einem Beispiel aufzeigen. In der klassischen und christlichen Ethik ist die erste der sittlichen Tugenden die sophia oder prudentia, weil ohne angemessenes Verständnis der Struktur der Realität, einschließlich der conditio humana, die sittliche Handlung mit rationaler Zuordnung von Mittel und Zweck nicht möglich ist. In der gnostischen Traumwelt hingegen ist die Nichtanerkennung der Realität das erste Prinzip. Infolgedessen gelten gewisse Handlungstypen, die in der realen Welt wegen der realen Folgen, die sie zeitigen, als sittliche Erkrankung angesehen werden, in der Traumwelt als sittlich, weil sie ganz andere Folgen beabsichtigt hatten. Die Kluft zwischen beabsichtigter und wirklicher Folge wird nicht der gnostischen Unsittlichkeit, die Struktur der Realität zu ignorieren, zugeschrieben, sondern der Unsittlichkeit irgendeiner anderen Person oder Gesellschaft, die sich nicht so verhält, wie sie sich gemäß der Traumkonzeption von Ursache und Wirkung verhalten sollte. Die Interpretation der sittlichen Korrruption als Moralität, und der Tugend der sophia und prudentia als Immoralität, ist eine schwer aufzulösende Verwirrung, und die Aufgabe wird nicht erleichtert durch die Bereitschaft der Träumer, jeden Versuch einer kritischen Klärung als unsittliches Unterfangen zu brandmarken. In der Tat wurde beinahe so gut wie jeder große politische Denker, der die Struktur der Realität anerkannte, von Macchiavelli bis zur Gegenwart, von gnostischen Intellektuellen als unmoralisch gebrandmarkt - ganz zu schweigen von jenem bei Intellektuellen so beliebten Gesellschaftsspiel, Platon und Aristoteles zu Faschisten zu stempeln. Die theoretische Schwierigkeit wird also noch durch persönliche Probleme vergrößert. Und es steht außer Zweifel, daß der stetige Strom des gnostischen beschimpfenden Tadels, der sich gegen die politische Wissenschaft im kritischen Sinne richtet, das Niveau der öffentlichen Diskussion über politische Fragen der Gegenwart stark herabgedrückt hat. (Fs) (notabene)

234a Die Identifizierung von Traum und Wirklichkeit als Prinzip zeitigt praktische Ergebnisse, die seltsam erscheinen mögen, aber kaum als überraschend angesehen werden können. Die kritische Erforschung von Ursache und Wirkung in der Geschichte ist verboten; die rationale Koordinierung von Zweck und Mittel in der Politik ist daher unmöglich. Gnostische Gesellschaften und ihre Führer erkennen zwar Gefahren, wenn sie ihre Existenz bedrohen, aber sie begegnen ihnen nicht durch adäquate Maßnahmen in der Welt der Wirklichkeit. Vielmehr tritt man diesen Gefahren durch magische Operationen in der Traumwelt entgegen, wie Mißbilligung, Zurückweisung, moralische Verurteilung, Deklarationen von Grundsätzen, Resolutionen, Appelle an die Meinung der Menschheit, Brandmarkung von Feinden als Agressoren, Ächtung des Krieges, Propaganda für Weltfrieden und Weltregierung etc. Die geistige und sittliche Korrruption, die sich in dem Aggregat solcher magischer Operationen ausdrückt, kann eine Gesellschaft mit der unheimlichen, geisterhaften Atmosphäre eines Irrenhauses durchdringen, wie wir es zu unserer Zeit in der Krise des Westens erleben. (Fs)

235a Eine erschöpfende Studie der Manifestationen gnostischen Irrsinns in der Praxis der gegenwärtigen Politik würde weit über den Rahmen dieser Abhandlung hinausgehen. Die Analyse muß sich auf jenes Symptom konzentrieren, das den selbstzerstörerischen Charakter gnostischer Politik am besten veranschaulicht, nämlich auf die Seltsamkeit des dauernden Kriegszustandes zu einer Zeit, in der jede politische Gesellschaft durch ihre Repräsentanten ihren brennenden Wunsch nach Frieden bekundet. In einer Zeit, in der Krieg Frieden und Frieden Krieg ist, dürften einige Definitionen angebracht sein, um die Bedeutung dieser Ausdrücke klarzustellen. Friede soll eine zeitweilige Ordnung sozialer Beziehungen bedeuten, die adäquat ein Gleichgewicht existentieller Kräfte zum Ausdruck bringt. Dieses Gleichgewicht kann durch verschiedene Ursachen gestört werden, wie etwa Bevölkerungszunahme in diesem und Bevölkerungsabnahme in einem anderen Gebiet, technische Entwicklungen, die rohstoffreiche Gebiete begünstigen, Verlagerung von Handelsstraßen etc. Krieg soll bedeuten die Anwendung von Gewalt zum Zwecke der Wiederherstellung eines Gleichgewichts, entweder durch Unterdrückung der störenden Zunahme existentieller Kräfte oder durch eine Neuordnung sozialer Beziehungen, die adäquat das neue Kräfteverhältnis der existentiellen Mächte zum Ausdruck bringt. Politik soll den Versuch bedeuten, das Gleichgewicht der Kräfte herzustellen oder die Ordnung anzupassen durch diplomatische Methoden oder durch den Aufbau abschreckender Gegenkräfte bis an den Rand des Krieges. Diese Definitionen sollten jedoch nicht als der Weisheit letzter Schluß in so gewaltigen Fragen, wie es Friede, Krieg und Politik sind, angesehen werden, sondern lediglich als eine Erklärung der Regeln, die unsere Formulierung des vorliegenden Problems bestimmen. (Fs) (notabene)

236a Die gnostische Politik ist insofern selbstzerstörend, als Maßnahmen, die dazu bestimmt sind, den Frieden herzustellen, die Störungen, die zum Krieg führen, noch steigern. Der Mechanismus dieser Selbstzerstörung wurde soeben durch die Schilderung magischer Operationen in der Traumwelt dargelegt. Wenn einer einsetzenden Störung des Gleichgewichts nicht durch die entsprechende politische Aktion in der Welt der Wirklichkeit begegnet wird, sondern statt dessen mit magischen Beschwörungen, kann sie zu solchen Ausmaßen anwachsen, daß ein Krieg unvermeidlich ist. Der Musterfall hierfür ist der Aufstieg der nationalsozialistischen Bewegung zur Macht, zunächst in Deutschland, dann den ganzen Kontinent bedrohend, mit der Begleitung des gnostischen Chores, der wehklagend seiner moralischen Entrüstung über solch barbarisches und reaktionäres Gebaren in einer fortschrittlichen Welt Ausdruck verlieh - ohne auch nur einen Finger zu rühren, um den aufsteigenden Kräften rechtzeitig durch eine geringe politische Anstrengung Einhalt zu gebieten. Die Vorgeschichte des zweiten Weltkriegs wirft die ernste Frage auf, ob der gnostische Traum die westliche Gesellschaft nicht bereits so tief unterhöhlt hat, daß rationale Politik unmöglich geworden und der Krieg zum einzigen Mittel geworden ist, um Störungen im Gleichgewicht der existentiellen Kräfte auszugleichen. (Fs)

236b Die Kriegsführung und die Nachkriegszeit sind leider dazu angetan, diese Vermutung eher zu begründen als zu entkräften. Wenn ein Krieg überhaupt einen Zweck hat, so ist es die Wiederherstellung des Kräftegleichgewichts und nicht die Verschlimmerung der Störungen; die Verminderung des störenden Krafftübermaßes, nicht die Zerstörung von Kraft bis zu dem Punkt, der ein neues gleichgewichtstörendes Machtvakuum entstehen läßt. Die gnostischen Politiker haben jedoch die Sowjetarmee an die Elbe gebracht, China den Kommunisten ausgeliefert, zur gleichen Zeit Deutschland und Japan demilitarisiert und obendrein die amerikanische Armee demobilisiert. Das sind abgedroschene Wahrheiten, und doch ist es vielleicht nicht genügend klar, daß nie zuvor in der Menschheitsgeschichte eine Weltmacht ihren Sieg dazu benützt hat, ein Machtvakuum zu ihrem eigenen Nachteil zu schaffen. Wiederum muß wie bei früheren Gelegenheiten darauf hingewiesen werden, daß Phänomene dieser Größenordnung sich nicht durch Ignoranz und Dummheit erklären lassen. Diese Politik wurde als Sache eines Prinzips verfolgt, auf Grund gnostischer Traumannahmen betreffend die menschliche Natur im allgemeinen, betreffend die mysteriöse Entwicklung der Menschheit zu einem Zustand des Friedens und der Weltordnung, betreffend die Möglichkeit der Errichtung einer internationalen Ordnung im luftleeren Raum ohne Beziehung zur Struktur des existentiellen Kraftfeldes, und schließlich betreffend Armeen, die anstelle der Kräfte und Konstellationen, welche die Armeen aufbauen und in Bewegung setzen, als Kriegsursache angesehen werden. Die aufgezählte Reihe von Aktionen sowie die Traumannahmen, auf welche sie sich gründen, machen wohl deutlich, daß der Kontakt mit der Realität zumindest stark gestört und daß die pathologische Substitution der Traumwelt in hohem Maße Wirklichkeit geworden ist. (Fs)

237a Weiter ist noch zu bemerken, daß das einzigartige Phänomen einer Großmacht, die zu ihrem eigenen Schaden ein Machtvakuum schafft, von dem ebenfalls einzigartigen Phänomen der militärischen Beendigung eines Krieges ohne den Abschluß von Friedensverträgen begleitet war. Auch dieses reichlich beunruhigende Phänomen ist nicht mit der verwirrenden Komplexität der Probleme, die einer Lösung bedürfen, zu erklären. Wiederum liegt es an der Traumbesessenheit, daß es den Repräsentanten gnostischer Gesellschaften unmöglich ist, eine Politik zu formulieren, die der Struktur der Realität Rechnung trägt. Es kann zu keinem Frieden kommen, weil der Traum sich nicht in die Realität übertragen läßt und die Realität den Traum noch nicht gebrochen hat. Niemand vermag vorauszusagen, welcher Alpträume von Gewalttaten es bedarf, um den Traum zu brechen, und noch weniger, wie die westliche Gesellschaft au bout de la nuit aussehen wird. (Fs)

238a Die gnostische Politik ist also selbstzerstörerisch insofern, als ihre Außerachtlassung der Struktur der Realität zu einem dauernden Kriegszustand führt. Dieses System der Ketten-Kriege kann nur auf eine von zwei Weisen zu Ende kommen. Entweder wird es zu schrecklichen physischen Zerstörungen kommen, begleitet von revolutionären Veränderungen der Sozialordnung über alles Voraussagbare hinaus. Oder es wird im Verlauf des natürlichen Generationswechsel zur Absage an das gnostische Träumen kommen, bevor das Schlimmste geschehen ist. In diesem Sinne ist die oben gemachte Andeutung zu verstehen, daß das Ende des gnostischen Traums vielleicht näher ist, als man normalerweise annehmen möchte. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Ende d. Modernität 5; Hobbes' Symbolik radikaler Immanenz; 1 amor sui - Dei: H., Rochefoucauld; Psychologie des "modernen" Menschen; 2 Verfallstyp als Normaltyp; 3 Leviathan

Kurzinhalt: Eine spezifisch "moderne" Psychologie entwickelte sich als die empirische Psychologie des "modernen" Menschen, d. h. des Menschen, der intellektuell und spirituell fehlorientiert ist und darum vor allem von seinen Leidenschaften her motiviert wird.

Textausschnitt: 5. Hobbes' Symbolik

253a Joachim von Flora hatte ein Aggregat von Symbolen geschaffen, das die Selbstinterpretation moderner politischer Bewegungen im ganzen beherrschte. Hobbes schuf ein vergleichbares Aggregat, das die Komponente radikaler Immanenz in der modernen Politik zum Ausdruck brachte. (Fs)

253b Das erste dieser Symbole kann als die neue Psychologie. bezeichnet werden. Ihre Natur läßt sich am besten durch ihr Vorhältnis zur augustinischen Psychologie, von der sie herstammt, definieren. Augustinus unterschied zwischen dem amor sui und dem amor Dei als den organisierenden Willenszentren der Seele. Hobbes entledigte sich des amor Dei und gründete seine Psychologie ausschließlich auf den amor sui, in seiner Sprache: auf die Selbstüberheblichkeit oder den Stolz des Individuums. Durch diese Ausschaltung des amor Dei aus der Interpretation der Psyche fand eine Entwicklung, die mindestens bis zum zwölften Jahrhundert zurückverfolgt werden kann, ihren Abschluß. Mit dem Erscheinen des selbstvertrauenden Individuums in der Gesellschaft zog dieser neue Typus mit seinem Streben nach öffentlichem Erfolg, über den jeweiligen Status hinaus, die Aufmerksamkeit auf sich. Schon Johannes von Salisbury hat ihn in seinem Policraticus in Ausdrücken beschrieben, die denen Hobbes' sehr ähnlich sind.1 Im Gefolge der institutionellen Umwälzungen des Spätmittelalters und der Reformation wurde dann der Typus so häufig, daß er als der "normale" Menschentypus erschien und als solcher Gegenstand allgemeinen Interesses wurde. Das psychologische Werk Hobbes' fand seine gleichzeitige Parallele in der Psychologie Pascals, wenn auch Pascal in der christlichen Tradition lebte und den Menschen, der nur von seinen Leidenschaften gelenkt wird, als den Menschen bezeichnete, der dem einen oder anderen Typus des Libido zum Opfer gefallen ist. Und ebenfalls zur selben Zeit begann mit La Rochefoucauld die Psychologie des "Weltmenschen", der von seinem amour-propre (dem augustinisecen amor sui) angetrieben wird. Um sich die weite Verbreitung des Phänomens zu vergegenwärtigen, erinnere man sich der nationalen Sonderbildungen in der französischen Psychologie der Moralisten und Romanschriftsteller, in der englischen Psychologie von Lust und Schmerz, des Assoziationismus und des Selbstinteresses, und der deutschen Bereicherungen durch die Psychologie des Unbewußten der Romantiker und die Psychologie Nietzsches. Eine spezifisch "moderne" Psychologie entwickelte sich als die empirische Psychologie des "modernen" Menschen, d. h. des Menschen, der intellektuell und spirituell fehlorientiert ist und darum vor allem von seinen Leidenschaften her motiviert wird. Es wird zweckmäßig sein, die Ausdrücke "Orientierungspsychologie" und "Motivierungspsychologie" einzuführen, um eine Wissenschaft der gesunden Psyche im platonischen Sinne, in der die Ordnung der Seele durch transzendente Orientierung geschaffen wird, von der Wissenschaft der fehlorientierten Psyche zu unterscheiden, die durch ein Gleichgewicht der Motivationen geordnet werden muß. Die "moderne" Psychologie in diesem Sinne ist insofern eine unvollständige Psychologie, als sie sich nur mit einem bestimmten pneumopathologischen Menschentypus befaßt. (Fs) (notabene)

255a Das zweite Symbol betrifft die Idee vom Menschen selbst. Da der "Verfallstyp" wegen seiner empirischen Häufigkeit als der "Normaltyp" verstanden wurde, entwickelte sich eine philosophische Anthropologie, in welcher die Krankheit als die "Natur des Menschen" interpretiert wurde. Der Raum gestattet es nicht, uns intensiver mit diesem Problem zu befassen. Es muß genügen, auf die Linie hinzuweisen, die von den Existenzialisten unserer Zeit zurück zu den Existenzphilosophen des siebzehnten Jahrhunderts läuft. Was kritisch zu dieser Philosophie immanenter Existenz zu sagen ist, wurde grundsätzlich schon von Platon in seinem Gorgias gesagt. (Fs) (notabene)

256a Das dritte Symbol schließlich ist die spezifisch Hobbes'sche Schöpfung des Leviathan. Seine Bedeutung wird heute kaum verstanden, weil das Symbol vom Gerede über Absolutismus erdrückt wird. Die vorausgegangene Darstellung dürfte gezeigt haben, daß der Leviathan das Ordnungskorrelat zur Unordnung der gnostischen Aktivisten ist, die sich ihrer superbia bis zum Extrem des Bürgerkrieges hingeben. Der Leviathan läßt sich nicht mit der historischen Form der absoluten Monarchie identifizieren. Die royalistischen Zeitgenossen verstanden das sehr wohl; und ihr Argwohn gegenüber Hobbes war gerechtfertigt. Ebensowenig läßt sich das Symbol mit dem Totalitarismus auf dessen eigener symbolischer Ebene eines Endreiches der Vollkommenheit identifizieren. Es umreißt vielmehr eine Komponente des Totalitarismus, die dann zum Vorschein kommt, wenn eine Gruppe gnostischer Aktivisten tatsächlich das Monopol existentieller Repräsentation in einer historischen Gesellschaft erlangt. Die siegreichen Gnostiker können weder die menschliche Natur verklären noch ein irdisches Paradies etablieren. Was sie in der Tat erreichen, ist ein allmächtiger Staat, der rücksichtslos jede Quelle von Widerstand ausschaltet, in erster Linie die lästigen Gnostiker selbst. Soweit unsere Erfahrung mit totalitären Imperien reicht, ist deren charakteristischer Zug die Unterdrückung der Diskussion über die gnostische Wahrheit, die sie selbst zu repräsentieren vorgeben. Die Nationalsozialisten unterdrückten die Diskussion der Rassenfrage, sobald sie an der Macht waren. Die Sowjetregierung verbietet die Diskussion über den Marxismus und dessen Weiterentwicklung. Das Hobbes'sche Prinzip, daß die Gültikkeit der Schrift sich von der Sanktion der Regierung herleite, und daß ihre öffentliche Verkündung vom Souverän zu überwachen sei, wird von der Sowjetregierung in die Tat umgesetzt durch die Beschränkung des Kommunismus auf die "Parteilinie". Die Parteilinie mag sich ändern, aber die Änderung der Interpretation wird von der Regierung bestimmt. Intellektuelle, die dennoch darauf bestehen, eigene Meinungen über den Sinn der koranischen Schriften zu haben, fallen der Säuberung zum Opfer. Die gnostische Wahrheit, die von den ursprünglichen gnostischen Denkern frei hervorgebracht wurde, wird eingedämmt zur Wahrheit der öffentlichen Ordnung in immanenter Existenz. Daher ist der Leviathan das Symbol des Schicksals, das die gnostischen Aktivisten ereilt, wenn sie in ihrem Traum wähnen, das Reich der Freiheit zu verwirklichen. (Fs)

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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Ende d. Modernität 6; Widerstand gegen den Gnostizismus; englische, amerikansiche, französische, deutsche Revolution (verschiedene Grade an Immanentisierung)

Kurzinhalt: Die deutsche Revolution schließlich, die sich in einer Umwelt ohne starke institutionelle Tradition vollzog, brachte zum ersten Mal ökonomischen Materialismus, Rassenbiologie, korrupte Psychologie, Szientismus und technologische Brutalität voll ins ...

Textausschnitt: 6. Der Widerstand gegen den Gnostizismus

257a Das Symbol des Leviathan wurde von einem englischen Denker als Antwort auf die puritanische Gefahr entwickelt. Unter den größeren politischen Gesellschaften Europas hat jedoch gerade England dem gnostischen Totalitarismus den stärksten Widerstand entgegengesetzt; und das Gleiche gilt für Amerika, das von denselben Puritanern begründet wurde, welche die Besorgnisse Hobbes' erweckt hatten. Hierzu mag eine abschließende Bemerkung angebracht sein. (Fs)

257b Die Erklärung ist in der Dynamik des Gnostizismus zu finden. Wie mehrfach erwähnt, ist die Modernität eine mit der mittelmeerischen Tradition rivalisierende Entwicklung innerhalb der westlichen Gesellschaft. Ferner wurde erwähnt, daß der Gnostizismus selbst einen Radikalisierungprozeß durchmachte, von der mittelalterlichen Immanentisierung des Geistes, die Gott in seiner Transzendenz beließ, bis zur späteren radikalen Immanentisierung des Eschaton, wie wir sie bei Feuerbach und Marx finden. Die Unterhöhlung der westlichen Zivilisation durch den Gnostizismus ist ein langsamer, sich über ein Jahrtausend erstreckender Prozeß. Die verschiedenen politischen Gesellschaften des Westens nun stehen in unterschiedlicher Relation zu diesem langwierigen Prozeß, je nach dem Zeitpunkt, zu dem sich ihre nationalen Revolutionen ereigneten. Dort, wo die Revolution früher erfolgte, war ihr Träger eine weniger radikale Welle des Gnostizismus, und gleichzeitig war der Widerstand, den die Kräfte der Tradition ihr entgegensetzten, wirksamer. Wo die Revolution später erfolgte, wurde sie von einer radikaleren Welle getragen, und die traditionelle Umwelt war durch das allgemeine Vordringen der Modernität bereits tiefer unterhöhlt. Die englische Revolution im siebzehnten Jahrhundert ereignete sich zu einer Zeit, als der Gnostizismus noch nicht seine radikale Säkularisierung durchgemacht hatte. Wie oben ausgeführt, waren die linksgerichteten Puritaner bestrebt, sich als Christen, wenn auch als solche von besonders reiner Art, auszugeben. Als die Regelung von 1690 getroffen wurde, hatte England sich die institutionelle Kultur eines aristokratischen Parlamentarismus sowie die Mores eines christlichen Gemeinwesens bewahren können, die nun als nationale Institutionen sanktioniert wurden. Die amerikanische Revolution, deren Debatte schon stark durch die Psychologie der Aufklärung beeinflußt war, hatte doch immerhin das Glück, noch innerhalb des institutionellen und christlichen Klimas des ancien régime zum Abschluß zu kommen. In der französischen Revolution war dann die radikale Welle des Gnostizismus so stark, daß sich die Nation spaltete: in die laizistische Hälfte, die sich auf die Revolution gründet, und die konservative Hälfte, die sich um die Rettung der christlichen Tradition bemühte und heute noch bemüht. Die deutsche Revolution schließlich, die sich in einer Umwelt ohne starke institutionelle Tradition vollzog, brachte zum ersten Mal ökonomischen Materialismus, Rassenbiologie, korrupte Psychologie, Szientismus und technologische Brutalität voll ins Spiel - kurz: sie war ein Phänomen hemmungsloser Modernität. Die westliche Gesellschaft als Ganzes ist somit eine vielschichtige Zivilisation, in welcher die amerikanische und englische Demokratie die älteste, am festesten konsolidierte Schicht kultureller Tradition darstellt, während der deutsche Bereich ihre fortschrittlichste, modernste Schicht bildet. (Fs) (notabene)

259a In dieser Situation gibt es einen Hoffnungsstrahl: Denn die amerikanischen und englischen Demokratien, die in ihren Institutionen die Wahrheit der Seele am stärksten repräsentieren, sind gleichzeitig auch existentiell die stärksten Mächte. Aber es wird aller unserer Anstrengungen bedürfen, um diesen Funken zu einer Flamme zu entfachen durch die Unterdrückung der gnostischen Korrruption und die Wiederherstellung der Kräfte der Zivilisation. Heute ist das Schicksal in der Schwebe. (Fs; E04; 29.11.2004)

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