Brian Cronin, Einführung zum Denken Lonergans

1. Teil I - Denken: direkte und inverse Einsicht
1. Suche nach den Grundlagen
2. Vom Inhalt zu den Tätigkeiten


1.1.2.1 Bewusstheit, Bewusstsein

Man kann hier eine Reihe von beinahe synonym gebrauchten Ausdrücken anführen. Wir verwenden Ausdrücke wie: auf etwas aufmerksam zu sein, auf etwas zu achten, sich einer Sache bewusst zu sein, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf etwas richten. Wir wollen die Begriffe "bewusst" und "Bewusstsein" inhaltlich sehr klar bestimmen und sie dann immer in diesem Sinne verwenden. Die meisten von uns haben keine Schwierigkeit, um zwischen dem Bewusstsein und dem Nicht-Bewusstsein zu unterscheiden. Wenn man tief schläft und keine Träume hat, ist man ohne Bewusstsein. Erhält man einen harten Schlag auf den Kopf, verliert man möglicherweise das Bewusstsein. Unterzieht man sich einer Operation, so hofft man, dass einem der Anästhesist zur Bewusstlosigkeit verhilft. Im Bewusstsein ist man sich dessen gewahr, was um einen herum geschieht, wer man ist und was man tut. Im Nicht-Bewusstsein nimmt man nichts wahr, weder sich selbst noch von einem unterschiedene Objekte. Bewusstsein ist einfach das abstrakte Substantiv für die Erfahrung, dass man sich einer Sache oder eines Vorganges bewusst ist. Wenn man bewusstlos ist, hat man das Bewusstsein verloren. Kommt man nach dem Schlag auf den Kopf wieder zu sich, erlangt man allmächlich wieder das Bewusstsein; wird man in eine Narkose versetzt, verliert man langsam das Bewusstsein. Es gibt beim Bewusstsein nichts, was esoterisch oder kompliziert wäre, es ist eine uns allen vertraute Erfahrung. Bewusstsein im eigentlichen Sinn ist nicht bloß ein Gegenstandsbewusstsein, sondern zugleich und im selben Akt ein Selbstbewusstsein des Subjektes, das ein Gegenstandsbewusstsein hat. Es handelt sich nicht um zwei separate Akte, der eine als Bewusstsein von Gegenständen und der andere als Bewusstsein des Subjektes. Das Entscheidende beim Bewusstsein ist, dass wir im selben Akt, durch den wir ein Bewusstsein von Gegenständen erlangen, zugleich ein Bewusstsein unserer selbst als des Subjektes haben. In einer gewissen Hinsicht kann man sagen, dass Maschinen ein Gegenstandsbewusstsein haben können: ein Radar "sieht" Objekte, ein Sonar "hört" Geräusche und Kassen "lesen" Strichcode. Aber nur wenige würden sagen, dass solche Maschinen ein Bewusstsein haben. Sie können auf Gegenstände reagieren, aber es gibt kein gleichzeitiges Bewusstsein eines Selbst. Wenn wir ein Bewusstsein von Gegenständen haben, sind wir implizit zugleich dessen bewusst, dass wir die Subjekte dieses Bewusstseins sind. "Bewusst zu sein" bezieht sich nicht auf irgendeine besondere geistige Tätigkeit, sondern auf die Erfahrung, dass wir uns in all unseren täglichen Tätigkeiten, vom Spazieren angefangen bis zum Essen, Studieren und Schlafengehen, indirekt dessen bewusst sind, dass wir die Subjekte all dieser Tätigkeiten sind. Der Ausdruck Bewusstsein erhält oft andere Bedeutungen: manchmal bezieht er sich auf "alles, was im Kopf vor sich geht", manchmal auf die Tätigkeiten des Denkens, Fühlens und Erkennens selbst. Es gibt eine Vielzahl von Theorien über das Bewusstsein, die es als mysteriös und problematisch erscheinen lassen. Für uns ist es einfach die Gegebenheit, dass wir auf etwas in unserem Umfeld aufmerksam sein und zugleich unserer selbst als des Subjektes bewusst sein können, das eben aufmerksam ist. Es gibt auch verschiedene Bewusstseinsgrade. Es gibt Dingen, deren wir uns voll bewusst sind, andere, die an der Peripherie unseres Bewusstseins liegen, und wieder andere, von denen wir überhaupt kein Bewusstsein haben. Wir können völlig ohne Bewusstsein davon sein, dass wir einen leeren Magen haben, oder uns eines Hungers nur leicht bewusst oder auch von Hunger bis zum Ausschluss von allem anderen übermächtigt sein. Es verhält sich ein wenig wie beim Sehfeld. Unser Blick richtet sich auf einen Mittelpunkt oder Brennpunkt, und wir sind uns dessen voll und ganz bewusst. Außerdem sind wir uns eines vagen Randgebietes um diesen bestimmten Brennpunkt herum bewusst, aber wir nehmen in diesem Randgebiet erst etwas wahr, wenn sich darin etwas bewegt oder etwas unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht. Weiter gibt es Dinge am Rande dieses Sehfeldes, die wir fast überhaupt nicht wahrnehmen. Wir könnten vielleicht von Bewusstseinsschichten sprechen. Wir sind uns vieler Dinge zugleich bewusst, aber nur ein Ding befindet sich ganz im Mittelpunkt unseres Bewusstsein, die anderen sind es zu verschiedenen Graden. Wenn wir Auto fahren und zugleich telefonieren, sind wir uns vieler Dinge bewusst, jedoch zu verschiedenen Graden. Das Fahren geschieht automatisch, wir wenden unsere Aufmerksamkeit dem Anruf zu, wenn aber ein Fußgänger eben die Straße überquert, vergessen wir den Anrufer und lenken die Aufmerksamkeit auf die Bremse. Bis zu einem gewissen Grad können wir die Aufmerksamkeit unseres Bewusstsein steuern. Wir sind uns für gewöhnlich unseres Atmens nicht bewusst, wenn du aber eine Ausbildung als Berufsänger erhältst, so lernst du dein Atmen zu beherrschen. Eine tüchtige Schreibkraft wird sich für gewöhnlich der Fingerbewegungen nicht bewusst sein; wenn du aber auf eine neue Tastatur übergehst, so musst du eine bewusste Anstrengung unternehmen, um deine Fingerbewegungen zu kontrollieren. Wenn wir ein klassisches Gemälde studieren, können wir unsere Aufmerksamkeit von den Farben auf die Proportionen, Formen und auf die ausgedrückten Gefühle richten. Anderseits, wenn wir in einer Bibliothek Forschung betreiben, so trachten wir danach, unsere Aufmerksamkeit auf unsere Arbeit zu richten, werden aber dabei von unseren Urlaubsplänen oder von Bildern aus unlängst gesehenen Filmen abgelenkt. Wir können das Bewusstsein nicht so beherrschen, wie wir es gerne hätten. Versuche, dich für fünf Minuten auf ein Bild oder eine Idee zu konzentrieren, und du wirst sehen, wie schwer das ist. Unsere Darlegung des Bewusstseins ist keine philosophische Theorie, sondern eine Sache der Erfahrung. Der Zustand des Bewusstseins ist etwas Gegebenes und nicht etwas durch Lernen Erworbenes. Bewusstsein bedeutet einfach, wach zu sein, aufmerksam zu sein und im Zustand des Erfahrens zu sein. Wenn du die Erfahrungen nicht erkennst, auf die ich mich bezogen habe, hast du entweder die Zusammenhänge missverstanden oder sie nicht auf deine eigene Erfahrung bezogen. Es gibt nicht viele Menschen, die behaupten würden, dass sie zugleich ein Buch lesen und sich dessen nicht bewusst sind.

 

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