So werden wir die dialektische Methode der Metaphysik bei Lonergan (I) und Coreth (II) in Betrachtung nehmen. Danach wird die Funktion der dialektischen Methode gezeigt (III). Diese dialektische Methode soll einen Zugang zur operativen Explikation von „philosophia perennis“ bieten.


Die dialektische Methode der Metaphysik bei B. Lonergan und E. Coreth:

3. Tagung für Doktorandinnen und Doktoranden an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institute für Philosophie 6. -7. Juli 2001

Die dialektische Methode der Metaphysik bei B. Lonergan und E. Coreth: Zur Frage nach einer operativen Explikation des Begriffs „philosophia perennis“.

von MMag. Linus Tombari Kpalap, Universität Innsbruck.

Im 20. Jahrhundert war die Klärung von Begriffe im philosophischen Denken von großer Bedeutung. In der analytischen Philosophie wird Gewicht auf Klärung auch philosophischer Begriffe gelegt. Dem dient bei Carnap [1] die Begriffsexplikation. Für Bridgman [2] war dafür die operative Definition grundlegend. Für die Erlanger Schule bei P. Lorenzen [3] ist dafür die operative Einführung von Grundbegriffen bedeutsam.

Gegenüber Bridgman fasst Peter Hoenen [4] die operative Definition allgemeiner auf. Sie ist nicht nur auf moderne Physik beschränkt, sondern findet sich auch in der Erkenntnistheorie und Seinslehre bei Aristoteles und Thomas von Aquin.

In seinem Buch über die Anwendung der transzendentalen Methode bei einigen Neuscholastikern ist Otto Muck [5] der Meinung, dass diese Methode als operative Explikation verstanden werden kann. Bei diesen Denkern werden Gehalte der scholastischen Seinslehre neu formuliert. Dies kann als Ergebnis einer operativen Einführung der Grundbegriffe verstanden werden.
Lonergan [6] und Coreth [7] meinen, dass durch die Neuentfaltung mittels transzendentaler Methode Gehalte der klassischen Seinslehre neu entwickelt werden können, dass aber zugleich ihr wesentlicher Gehalt deutlicher herausgestellt werden kann. Denn die transzendentalphilosophische Auslegung, als Dialektik von Vollzug und Begriff, hat eine wesentliche Dynamik, die eine Möglichkeit der Integration der Wahrheitsgehalte der überlieferten Tradition des Denkens mit dem Auftrag des gegenwärtigen Denkens und einer Offenheit für eine künftige Weiterführung anbietet. Hierin kann ein Beispiel für eine philosophia perennis gesehen werden.

So werden wir die dialektische Methode der Metaphysik bei Lonergan (I) und Coreth (II) in Betrachtung nehmen. Danach wird die Funktion der dialektischen Methode gezeigt (III). Diese dialektische Methode soll einen Zugang zur operativen Explikation von „philosophia perennis“ bieten. Deshalb betrachten wir zunächst ihr gemeinsames Verständnis von philosophia perennis (IV). Das wird besonders deutlich durch das Verhältnis der Metaphysik von Lonergan und Coreth zur klassischen Metaphysik in ihrer wesentlichen Übereinstimmung und in ihrem Unterschied (V). Und darüber hinaus wird gezeigt, wie die Dynamik dieser dialektischen Methode die Möglichkeit einer künftigen Fortführung anbietet (VI), ohne dass eine künftige Fortführung zum Verlust der Wahrheitsgehalte klassischer Metaphysik wird (VII). Was ist nun von diesen Überlegungen zu erwarten? Zunächst erwarte ich eine weitere Klärung der Eigenart operativer Explikation (VIII). Dann aber kann die operative Explikation des Begriffs „philosophia perennis“ einen Beitrag zur Logik der Verwendung traditioneller philosophischer Grundbegriffe liefern (IX).

I

Lonergan begründet eine Metaphysik methodisch durch seine Dialektik von Position und Entfaltung. Die Position ist für ihn die dynamische Struktur des Erkenntnisvollzugs. Die Entfaltung der Position kann der Position entsprechen als Weiterführung, oder der Position widersprechen als Gegenposition. Die Dialektik Lonergans hat eine Ähnlichkeit mit Coreths Dialektik, weil es auch hier um eine Zweiheit von Vollzug und Begriff geht. Aber bei Lonergan geht es in der konkreten Ausprägung zunächst um Einsicht in den Vollzug der Einsicht, die oft nicht beachtet wird. In Rahners Sprache geht es darum, das, was bekannt aber nicht erkannt ist, erkannt zu machen. Die Einsicht in die Einsicht führt zur Herausarbeitung einer wiederkehrenden Struktur des menschlichen Erkennens. Diese wiederkehrende Struktur des menschlichen Erkennens bezeichnet er als Erkenntnisstruktur oder heuristische Struktur. Diese Struktur beinhaltet die Ebenen von Erfahrung, Verstehen und Urteil. Die Erkenntnisstruktur bildet das, was er „Grundposition“ nennt. Die Entfaltung dieser Grundposition führt zu Aussagen in den Gebieten der Epistemologie, Metaphysik, Ethik und Theologie, usw. So ergibt sich hier eine Dialektik zwischen Grundposition und ihrer Entfaltung. Die Grundposition entspricht der dynamischen Struktur des Vollzugs. Die Entfaltung dieser Grundstruktur des menschlichen Erkennens wird in anderen Wissensbereichen angewendet. Alle Aussagen in jedem Bereich des menschlichen Erkennens kann man auf die Grundposition über Erkennen, Objektivität, und Realität zurückführen. Weiter zeigt sich diese Dialektik als Dialektik von Position und Gegenposition. Eine Gegenposition ist die Entfaltung, die der Grundposition über das Erkennen, Objektivität und Realität widerspricht. Eine Gegenposition widerspricht der Grundposition, aber entspricht einer Gegengrundposition. So entsteht ein kritische Nachweis der Entfaltung der Grundposition. Die Aussagen, die der Grundposition über Erkennen, Objektivität, und Realität entsprechen, brauchen eine Weiterführung. Die Aussagen, die der Grundposition widersprechen, verlangen eine kritische Umwandlung. In jeder Entfaltung bleibt die Grundstruktur des Erkenntnisvollzugs unaufhebbar. Sie bleibt die Möglichkeitsbedingung für jede Entfaltung, ob die Entfaltung eine Position oder Gegenposition besagt.

Die Entfaltung der Grundposition besteht in der konkreten Ableitung der Erkenntnisstruktur. Die Erkenntnisstruktur ist die dynamische Struktur von Erfahrung, Verstehen und Urteil. Die explizite Metaphysik ist die Verwirklichung der Erkenntnisstruktur durch die konkrete Ableitung der Seinsstrukturen aus der Struktur des Erkenntnisvollzugs. So werden von der Struktur von Erfahrung, Verstehen und Urteil die Seinsstrukturen von Potenz, Form und Akt abgeleitet. Die Methode der Metaphysik ist eine Vermittlung aus der Struktur des Erkenntnisvollzugs. Das Verhältnis zwischen der latenten Metaphysik und der expliziten Metaphysik entspricht der Zweiheit von Vollzug und Begriff. Die Adäquatheitsbedingung einer expliziten Metaphysik ist die Isomorphie zwischen der Struktur des Erkenntnisvollzugs und der Struktur des Seins, da Lonergan das Sein vom Erkennen aus versteht und auslegt.

Eine andere Formulierung seiner dialektischen Methode der Metaphysik betrifft das, was Lonergan „methodical exigence“ nennt. Was Lonergan „methodical exigence“ nennt, sind die Aufforderungen: Verstehen! Verstehen Sie systematisch! Wandeln Sie Gegenpositionen um! Entwickeln Sie Positionen! Übernehmen Sie Verantwortung für ihr Urteil! [8] Diese Aufforderungen betreffen die heuristische Struktur des menschlichen Erkennens, wenn wir hier auch nicht auf Einzelheiten eingehen können. Denn jedes Verstehen und systematisches Verstehen setzt die Gegebenheit des zu verstehenden Faktums voraus. Durch ein reflektierendes Verstehen wird eine Gegenposition umgewandelt und eine Position weitergeführt. Und dieses reflektierende Verstehen ist notwendig für ein berechtiges Urteil über eine Position. Diese methodische Aufforderungen hat Lonergan auf den Aufsatz ‚Metaphysics as Horizon’ [9] angewendet.

Die Dialektik von Position und Gegenposition entspricht der Dialektik von Vollzug und Begriff. So werden wir eine andere Gestaltung der Dialektik von Vollzug und Begriff in Coreths methodischer Grundlegung der Seinsmetaphysik weiterforschen.

II

Für Coreth hat die dialektische Methode der Metaphysik die Darstellung der Dialektik von Vollzug und Begriff. Dies findet man in seinem Aufsatz „The dialectic of performance and concept“ [10] , und in weiteren Abhandlungen.

In seiner Auslegung dieser Dialektik geht Coreth einerseits in die Geschichte der von Kant her kommenden transzendentalen Problematik. Nach Coreth ist bereits in der Geschichte der transzendentalen Problematik von Kant bis zu Heidegger die konkrete Ausprägung des Wesens der transzendental dialektischen Vermittlung unzureichend. Das Wesen der transzendentalen Vermittlung besteht in der Zweiheit von Vollzug und Begriff. Nur in der Bewahrung dieser Zweiheit kann die transzendentale Vermittlung zur Grundlegung einer Seinsmetaphysik führen. Aber die Geschichte der transzendentalen Problematik zeigt, daß die Zweiheit von Vollzug und Begriff nicht bewahrt wird. Deswegen hat die Anwendung der transzendentalen Vermittlung von Kant bis Heidegger das Ergebnis gezeigt, daß eine Seinsmetaphysik auf dem Boden der transzendentalen Reflexion nicht möglich ist. In der Geschichte der Anwendung der transzendentalen Reflexion gab es immer eine Vernachlässigung eines der wesentlichen Elemente in der Zweiheit von Vollzug und Begriff. Bei Kant, bei den Neukantianern, und bei Husserl ist eine Vernachlässigung des Ansatzes im Vollzug. So setzen Kant, die Neukantianer und Husserl den Ansatz der transzendentalen Reflexion im Subjekt als formale Bedingung des Erkenntnisvollzugs. Sie begreifen das Subjekt des Erkennens nicht in seinem aktuellen Vollzug. Bei Fichte, Schelling, und Heidegger ist der Ansatz der transzendentalen Reflexion im aktuellen Vollzug des Subjekts. Fichte und Schelling vernachlässigen die Befragung des Ansatzes im Vollzug nach seiner Möglichkeitsbedingung. Sie nehmen den Ansatz im Vollzug als Ausgangspunkt der transzendentalen Deduktion, ohne eine vorhergehende transzendentale Reduktion des Vollzugs auf seine Möglichkeitsbedingung. Bei Heidegger gibt es zwar eine Befragung des Vollzugs nach seiner Möglichkeitsbedingung, aber die apriorische Bedingung des Vollzugs bleibt begrifflich unfaßbar. Die apriorische Bedingung des Selbstvollzugs des Menschen entzieht sich jeder begrifflichen Faßbarkeit. Auch Hegel setzt im aktuellen Vollzug des Subjekts an. Er befragt den Vollzug nach seiner Möglichkeitsbedingung. Aber Hegels Verfahren subsumiert den Vollzug im Begriff. Die begriffliche Auslegung der Möglichkeitsbedingung des Vollzugs hebt den Vollzug auf. Daraus folgt eine Zweideutigkeit im Verfahren Hegels. Einerseits ist es die Reduktion des Vollzugs auf seine apriorische Bedingung. Andererseits nimmt er den Vollzug als Begriff, so daß eine Zweiheit von Begriff und Begriff entsteht, und nicht eine Zweiheit von Vollzug und Begriff. Obwohl bei ihm die Vermittlung der Unmittelbarkeit ein Grundprinzip ist, und das Ergebnis der Vermittlung der Unmittelbarkeit eine vermittelte Unmittelbarkeit ist, wird in der Tat die Unmittelbarkeit in die Vermittlung aufgehoben.

Es gibt nicht nur die Vernachlässigung des Ansatzes im Vollzug, sondern es gibt auch die Vernachlässigung der Vermittlung aus dem Vollzug. Bei Kant, Hegel, bei den Neukantianern, bei Husserl und Heidegger muß die transzendentale Reflexion die apriorische Bedingung des Subjekts einholen, weil diese nicht unmittelbar einsichtig ist. Die apriorische Bedingung muß vermittelt werden. Sie bedarf einer Vermittlung. Für Hegel besonders muß alles vermittelt werden. Für Heidegger ist die Vermittlung aus dem Selbstvollzug nicht begrifflich faßbar. Die Vernachlässigung jener Elemente der Zweiheit von Vollzug und Begriff zeigt, warum es nicht möglich war, durch eine transzendentale Reflexion eine Seinsmetaphysik auszulegen.

In Coreths systematischer Grundlegung der Metaphysik aus dem Erkenntnisvollzug des Fragens befindet sich auch die Dialektik von Vollzug und Begriff. Denn das transzendentale Fragen nach dem Vollzug des Fragens führt zur Vermittlung aus dem Ansatz im Fragenvollzug. Dadurch wird das wird das Vollzugswissen im Fragen zum Begriff gebracht werden. Dieses Vollzugswissen wird als das Wissen um die Grundstrukturen des Seins erwiesen. Aber dieses aus dem Vollzug des Fragens vermittelte Wissen um das Sein und seine Strukturen erschöpft die Fülle des im Vollzug des Fragens mitgesetzten Wissen nicht. Deswegen müssen und können wir auf jedem Schritt der transzendentalen Vermittlung weiter fragen nach der Bedingung des Fragens. Darin geschieht eine ständig kreisende Bewegung zwischen dem Vollzug und dem Begriff. Bei dieser transzendentalen Vermittlung aus dem Vollzug des Fragens zeigt sich wiederum die Dialektik von Vollzug und Begriff.

III

Als Übergang zur methodischen Bestimmung des Begriffs „philosophia perennis“ werden wir zunächst die Funktionen der dialektischen Methode bei Lonergan und Coreth erklären, die eine methodische Bestimmung des Begriffs ermöglicht. Die Dialektik von Vollzug und Begriff bzw. Position und Gegenposition hat vier wesentliche Funktionen.

Es gibt eine Vermittlungsfunktion, eine kritische Funktion, eine Transformationsfunktion und eine kumulative Funktion. Es gibt eine Vermittlungsfunktion der Dialektik von Vollzug und Begriff. Bei der Vermittlungsfunktion geht es darum, die latente Metaphysik, die im Vollzug operativ ist, zum Begriff zu bringen. Durch diese Vermittlungsfunktion steht die Dialektik von Vollzug und Begriff im Dienst der Vermittlung der Unmittelbarkeit. Die latente Metaphysik im Vollzug des Erkennens wird durch transzendentale Vermittlung zur expliziten Metaphysik. Im Vollzug des Fragens bzw. Vollzugs der Einsicht ist eine latente Metaphysik.

Die zweite Funktion der Dialektik von Vollzug und Begriff ist die kritische Funktion. Die kritische Funktion der Dialektik von Vollzug und Begriff dient zur Rechtfertigung nicht nur der Auslegung, die der Grundstruktur des Erkenntnisvollzugs entspricht, sondern sie zeigt das, was in jeder Auslegung fehlt, die der Grundstruktur des Erkenntnisvollzugs widerspricht oder sie vernachlässigt. Nach dem Maßstab der Grundstruktur des Erkenntnisvollzugs werden alle Philosophien nach ihrer Geltung gemessen, ob die ausgelegte Philosophie der apriorischen Struktur des auslegenden Philosophen entspricht oder nicht. Es kann sein, daß die ausgelegte Philosophie als Aussage über das Erkennen, die Objektivität und die Realität nicht der Vollzugsbedingung des Philosophen entspricht. So entsteht ein Widerspruch zwischen der Auslegung und dem Vollzug des Philosophen. Eine Auslegung, die der Vollzugsbedingung ihrer Möglichkeit nicht entspricht, verliert ihren Geltungsanspruch.

Dies führt uns zur dritten Funktion der Dialektik von Vollzug und Begriff: der Transformation. Hierin besteht die Transformationsfunktion der Dialektik von Vollzug und Begriff. Die Umwandlung einer Gegenposition dient auch der Entfaltung von einer Position. So gibt es keinen absoluten Irrtum in einer sinnvollen Aussage. Die Transformationsfunktion nimmt die sinnvollen Elemente innerhalb eines Irrtums, um zum besseren Verständnis einer Wahrheit beizutragen.

Die vierte Funktion ist die Kumulation. Die kumulative Funktion der Dialektik von Vollzug und Begriff bietet die Entfaltung einer Position nicht nur die Berechtigung durch kritischen Nachweis, sondern auch eine Bereicherung durch die Unwandlung der Gegenposition. Dies ermöglicht einen systematischen Aufbau des durch die transzendentale Vermittlung aufgewiesenen Wissens um das Sein.

IV

Der methodische Zugang zur Metaphysik bei Coreth und Lonergan bietet eine Bestimmung des Begriffs philosophia perennis an. Die Eigenart dieser Bestimmung der philosophia perennis besteht darin, daß sie methodisch ausgerichtet ist, anders als die geschichtlichen Bestimmungen dieses Begriffs, die sich mehr oder weniger an inhaltlichen Ergebnissen orientieren.

Coreths eigene Anwendung dieses Begriffes bezieht sich auf den klassischen Metaphysikbegriff. Er spricht von der Metaphysik der aristotelischen thomistischen Tradition als philosophia perennis. [11] Dazu wird eine Weiterführung der Wahrheitsgehalte dieser Metaphysiktradition durch den Dialog mit der modernen Philosophie gekennzeichnet als eine Befruchtung der philosophia perennis. So versteht Coreth den Dialog zwischen der scholastischen Metaphysik und der modernen Philosophie als eine Art von philosophia perennis, wenn es um einen neuen Vollzug der alten Wahrheit geht, ohne daß man die Wahrheitsgehalte der Überlieferung preisgibt. [12]

Aber eine endgültige Auslegung der philosophia perennis bleibt eine nie endende Aufgabe. Deswegen stellt Coreth den Begriff der philosophia perennis in die Problematik der Geschichtlichkeit und Wahrheit. Er will von der Sachproblematik der Geschichtlichkeit und Wahrheit zeigen, wie eine Rede von philosophia perennis möglich ist.

Lonergan selbst bekennt, daß er von dem geleitet wird, was Papst Leo XIII in Aeterni Patris im Sinne einer philosophia perennis ausgedrückt hat. Papst Leo stellt sich innerhalb der Erneuerung christlicher Philosophie die Aufgabe, daß man die alte Wahrheit neu verwirklicht, indem man sie durch die neuen Einsichten ergänzt und vervollständig: vetera novis augere et perficere. Lonergan bekräftigt dies als leitendes Ideal seiner historischen Untersuchung und seiner systematischen Arbeit. So bezeichnet er seine Untersuchung, „Einsicht“, als eine Übertragung der zwingenden Genialität des Thomas von Aquin auf die Probleme einer späteren Zeit. [13] In diesem Sinn hat er eine Wahrheit der Überlieferung ergänzt und vervollständigt.

So ergibt sich ein gemeinsames Verständnis von philosophia perennis bei Coreth und Lonergan. Beide verstehen den Begriff im Bezug auf die Wiederaufnahme und Weiterführung der überlieferten Wahrheitsgehalte.

V

Bei Coreth und Lonergan geht es um einen neuen Vollzug der klassischen Metaphysik. Ihre Gestaltung der Metaphysik unterscheidet sich von der klassischen Metaphysik. Dieser Unterschied besteht in der Methode der Durchführung durch transzendentale Befragung des Erkenntnisvollzugs.

Ihre Gestaltung der Metaphysik entspricht inhaltlich der klassischen Metaphysik. Denn bei Coreth ist die Entfaltung der Seinsstrukturen aus dem methodischen Ansatz im Fragen, wenn der Vollzug des Fragens nach der Bedingung seiner Möglichkeit befragt wird. Diese aus dem Vollzug des Fragens abgeleiten Seinsstrukturen entsprechen dem, was in der klassischen Metaphysik als Seinsprinzipien bezeichnet wird. Das Sein wird aufgefasst als das, wonach wir fragen können, und worum wir wissen können. Das Prinzip von Einheit und Vielfalt lässt sich von der Reflexion auf den Vollzug des Fragens bestimmen. Denn das, wonach alls Fragen sich rechtet ist einerseits identisch, anderseits differenziert. Sie sind identisch im Sein, aber nicht identisch als verschiedene Seiende. Es gibt eine Vermittlung der Wahrheit und Gutheit des Seins. Der Grund der Fähigkeit nach dem Sein im ganzen zu fragen ist, dass alles Wißbare ein in seinsmäßiger Weise Wahres ist. Die Möglichkeit des Fragens besteht auch in dem Wollbaren oder Liebbaren, das in den Horizont des Strebens und Wollens als seinsmäßig Gutes oder Werthaftes fällt.

Und bei Lonergan geschieht die Bestimmung des Seins durch die wiederkehrende heuristische Struktur. Das Sein ist das Zielobjekt des Erkenntnisstrebens. Und die Seinsstrukturen wie Potenz, Form, und Akt entsprechen den drei Ebenen der wiederkehrenden heuristischen Struktur. Potenz steht zur Ebene der Erfahrung, wie Form zur Ebene des Verstehens, und Akt zur Ebene des Urteils. Weil das Erkennen von etwas immer von der drei Ebenen des Erkenntnisstrebens konstituiert ist, wird zugleich die Struktur des erkannten Objekts von Potenz, Form und Akt konstituiert. So steht Lonergans und Coreths Gestaltung der Metaphysik im Verhältnis zur klassischen Metaphysik als ihre methodische Fortbestimmung.

VI

Die Methode der dialektischen Vermittlung aus dem Erkenntnisvollzug hat eine wesentliche Dynamik. Diese Dynamik besteht in der schrittweisen Vermittlung aus dem Erkenntnisvollzug. Die schrittweise Vermittlung besagt, daß das, was anfänglich im Vollzug des Erkennens mitgegeben ist, durch die transzendentale Vermittlung ans Licht gehoben wird. Aber dieses vermittelte Wissen erschöpft das in Vollzugs des Erkennens mitgegebene unthematische Wissen um das Sein nicht. Deswegen wird eine weitere Vermittlung aus dem Erkenntnisvollzug verlangt, um das unthematische Wissen zum klaren Ausdruck zu bringen. Dadurch wird es eine schrittweise Vermittlung ergeben. Jeder Schritt der Vermittlung ist offen für einen weiteren Schritt der Vermittlung. Dies gilt nicht nur für den Einzelschritt der metaphysischen Auslegung, sondern es gilt auch für die gesamte Auslegung der Metaphysik. Die Dynamik der schrittweisen Vermittlung und der fortbestimmenden Vertiefung ermöglicht eine systematische Entfaltung des unthematischen Wissens um das Sein und die Weiterführung des Inhalts einer systematisierten Seinsauslegung. Diese Dynamik ist der Grund einer möglichen Aneignung des Wahrheitsgehalts der klassischen Metaphysik im neuen Vollzug. Sie ist auch der Grund für jede künftige Aneignung und Weiterführung der Seinsauslegung bei Lonergan und Coreth. Die Dynamik der Offenheit für Weiterführung zeigt sich sowohl in der Einzeldynamik der schrittweisen Vermittlung als auch in der Gesamtdynamik der Seinsauslegung.

VII

Daß der Horizont eines neuen Wissens den alten unzureichenden Wissenshorizont in seinem Geltungsanspruch radikal widerlegt, hat Kant gezeigt, wenn er seine Transzendentalphilosophie als Aufhebung im Sinne einer Widerlegung der von ihm genannten dogmatischen Metaphysik sieht. Er vergleicht diese Art von Aufhebung mit der zwischen Alchemie und Chemie, Astrologie und Astronomie.

Lonergan und Coreth werden einerseits mit Kant über die Entstehung von höheren Gesichtspunkten bzw. höheren Horizonten, die die anderen integrieren oder aufheben, übereinstimmen. Es findet seine Berechtigung in der Entwicklung der Wissenschaften und der Erweiterung von Fachgebieten. Andererseits ist es das Ergebnis von Coreth und Lonergan, wenn auch durch die Verwendung einer transzendentalen Methode erreicht, daß der Seinshorizont als unbegrenzter Horizont und Horizont der unbedingten Geltung bzw. als der höchste Gesichtspunkt unübersteigbar bleibt. Der Seinshorizont bzw. Seinsgesichtpunkt ist die Bedingung jeder Erkenntniserweiterung, jedes Fragens und jedes Erkenntnisstrebens. Nur innerhalb des Seinshorizonts ist jede neue Einsicht möglich. Der Seinshorizont ist die Möglichkeitsbedingung für die Entfaltung und Entstehung jedes Teilhorizonts. Die Neubegründung der klassischen Metaphysik bei Lonergan und Coreth zeigt die Unaufhebbarkeit der Seinsmetaphysik von Aristoteles und Thomas von Aquin. So wenn der Inhalt einer objektiven Seinsmetaphysik, wie es die klassische Metaphysik ist, nach der Bedingung seiner Möglichkeit befragt wird, und wenn dieser Inhalt der objektiven Seinsmetaphysik selbst in der Struktur der menschlichen Erkenntnis impliziert ist, kann die Befragung des Inhalts einer objektiven Seinsmetaphysik nach der subjektiven Bedingung ihrer Möglichkeit den Inhalt zwar nicht radikal aufheben, wohl aber neu gestalten, im Sinne einer Fortbestimmung. Dies gilt nicht nur für die Seinsmetaphysik, sondern auch ihre Vollendung in der Gotteslehre.

Lonergan und Coreth haben gezeigt, daß die klassische Rede von Sein die Voraussetzungen gehabt hat, die durch eine transzendentale Vermittlung solcher Voraussetzungen den Sinn und die Geltung solcher Rede bestätigen kann. Und die transzendentale Vermittlung dieser Voraussetzungen zeigt, daß sie für jede mögliche Rede von Sein notwendig sind. Deswegen hat eine Gestaltung der Metaphysik, die auf die transzendentale Vermittlung dieser Möglichkeitsbedingungen jeder Rede von Sein aufgebaut ist, nach Lonergan eine gewisse Stabilität. Diese Stabilität besteht darin, daß sie keine radikale Veränderung haben kann. Die radikale Veränderung meint hier eine totale Aufhebung in einer anderen geltenden Rede von Sein. Der erste Grund für die Stabilität besteht darin, daß sich diese Grundlegung der Metaphysik auf die Struktur des Erkenntnisstrebens bezieht. Und jede künftige Grundlegung einer Seinsmetaphysik muß die Erkenntnisstruktur verwenden, die diese Gestaltung der Metaphysik schon ermöglicht hat. Ein zweiter Grund von Lonergan ist es, daß diese metaphysische Auslegung eine rein heuristische Erklärung ist. Sie deutet einerseits an, wie wir das Urwissen um das Sein aufdecken und auslegen können. Andererseits grenzt sie aus, wie wir das Seinswissen nicht aufdecken und auslegen können. Die Grundbegriffe sind operativ und allgemein bestimmt. Sie beziehen sich nicht auf ein konkretes Objekt, wohl aber erklären sie jedes konkrete Objekt. So ist der Gesichtspunkt dieser Metaphysik revolutionär unaufhebbar. [14]

VIII    

- Die Dialektik von Vollzug und Begriff führt bei Lonergan und Coreth zu einer operativen Bestimmung des Begriffs „philosophia perennis“. Es steht uns nun, die Eigenart dieser operativen Bestimmung zu klären.    

- Die operative Bestimmung eines Begriffs besagt, dass der Sinn des einzuführenden Begriffs abhängig von den Operationen ist, die ihn einführt. In dem Sinne spricht man von einer operativen Definition. Bei Lonergan und Coreth dient die Dialektik von Vollzug und Begriff zur operativen Bestimmung des Sinnes dessen, was im herkömmlichen Denken unter „philosophia perennis“ verstanden wurde.    

- Der Begriff „philosophia perennis“ ist in einem zweifachen Sinn operativ. Erstens, der Bezug einer Seinslehre auf Gehalte der herkömmlichen Metaphysik geschieht durch deren operative Interpretation und Weiterentfaltung gemäß der Dialektik von Vollzug und Begriff. Und zweitens, damit erhält der überlieferte Begriff „philosophia perennis“ selbst eine operative Weiterentfaltung. Diese operative Bestimmung gibt dem Begriff „philosophia perennis“ eine Präzisierung. Die Präzisierung eines Begriffs, der operativ eingeführt ist, nennen wir eine operative Explikation.    

- Aber wie bezeichnet man diese Art von operativer Explikation? Wir können zwei Arten von operativer Explikation unterscheiden. Erstens, es gibt eine Explikation von einem Begriff, der vorher nicht operativ eingeführt wurde, und zweitens, eine Explikation von einem Begriff, der bereits operativ definiert wurde. Die operative Explikation von „philosophia perennis“ gehört zur Explikation von Begriffe, die vorher nicht operative einführt wurde, obwohl dieser Begriff schon im wissenschaftlichen Bereich verwendet wurde. Die operative Bestimmung von „philosophia perennis“ gibt eine Präzisierung, die in der herkömmlichen Verwendung des Begriffs gefehlt hat.

IX    

Die operative Explikation des Begriffs „philosophia perennis“ zeigt einen Beitrag zur Logik der Weiterverwendung traditioneller philosophischer Grundbegriffe. Ein traditionell philosophischer Begriff wie „philosophia perennis“, der eine operative Bestimmung hat, hat auch eine heuristische Funktion. Die Verbindung zwischen der operativen Bestimmung eines Begriffs und seiner heuristischen Funktion bleibt weiter zu klären.

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Fußnoten:

[1] R. Carnap, Der logische Aufbau der Welt. Hamburg, 1998; „Strawson on Linguistic Naturalism“, in: A. Schilpp (Hg.), The Philosophy of Rudolf Carnap, La Salle-Illinois, 1963, 933-940.

[2] P. Bridgman, The Logic of Modern Physics, New York, 1927.

[3] W. Kamlah, P. Lorenzen, Logische Propädeutik, Mannheim, 1967; Vladimir Richter, Untersuchungen zur operativen Logik der Gegenwart. Freiburg/München, 1965.

[4] P. Hoenen, „De definitione operativa“, Gregorianum 35 (1954) 371-405.

[5] O. Muck, Die transzendentale Methode in der scholastischen Philosophie der Gegenwart, Innsbruck, 1964.

[6] B. Lonergan, Einsicht: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, Cuhaven, 1995.

[7] E. Coreth, Metaphysik. Eine methodisch-systematische Grundlegung. Innsbruck, 31980.

[8] Es heißt hier: Understand, understand systematically, reverse counter-positions, develop positions, take responsibility for your judgment. In seinem Aufsatz, “Method in Catholic Theology, schreibt Lonergan: “ A method, I take it, is a set of rules or directives for the advancement of a science.... My rules, then, are five in number. They are: (1) Understand. (2) Understand systematically. (3) Reverse counterpositions. (4) Develop positions. (5) Accept the responsibility of judgment” ( B. Lonergan, Philosophical and Theological Papers 1958-1964, Collected Works of B. Lonergan, Vol. 6., Toronto: University of Toronto Press, 1996, s.29-53). Dazu schreibt David Tracy: “ In some of his earliest thoughts on methodical activity, Bernard Lonergan set down the following five very general rules: first, understand; second, understand systematically; third, develop positions; fourth, reverse counter-positions; fifth, accept responsibility for judgment” ( D. Tracy, The Achievement of Bernard Lonergan, New York: Herder and Herder, 1970, s.xiii).

[9] B. Lonergan, „Metaphysics as Horizon“ Gregorianum 44 (1963) 307-18.

[10] Dieser Aufsatz, „Dialectic of performance and concept“ Spirit as Inquiry 2 (1964) 147-154, hat teilweise inhaltliche Übereinstimmung mit Coreths 1960 in der Zeitschrift für katholische Theologie erschienenden Aufsatz „Ansatz und Vermittlung der Metaphysik“, und auch teilweise mit dem Zusatz auf Seite 93 (ich verwende die Auflage von 1980) in Coreths „Metaphysik: eine systematisch-methodische Grundlegung“, teilweise auch mit der methodischen Überlegung über die Art und Weise der Vermittlung (s.61-71) und dem letzten Teil dieser Untersuchung „Rückblick“, worin Coreth das methodische Vorgehen seiner Metaphysik noch betont: „Im Fortgang der Reflexion auf den Vollzug des Fragens nach dem Sein hat sich das Wissen um das Sein Schritt für Schritt weiter fortbestimmt. Darin zeigt sich eine Dynamik und Dialektik... Es ist also eine Dialektik, in der dasselbe sich durchhält und fortbestimmt, nämlich das Sein, ohne daß wir jedoch den letzten Endpunkt dieser Bewegung des je sich selbst übersteigenden Wissens um Sein einholen und dadurch die Bewegung aufheben könnten“(besonders s.553-554), sowie Coreths Aufsatz „Die Gestalt einer Metaphysik heute“, der in der Zeitschrift „Philosophisches Jahrbuch“ in 1962 veröffentlicht wurde. Hier genügt es zu zeigen, daß „Dialectic of performance and concept“ der methodische Grundzug Coreths Metaphysik ist. Stützt die mehrfache Erscheinung dieser Dialektik nicht die Behauptung, daß diese Dialektik einen archimedischen Punkt in Coreths metaphysische Auslegung darstellt?

[11] Coreth spricht hier vom „metaphysischen Denken der philosophia perennis“, Vgl seine Rezension in ZKTh 81 (1959) s.110. Er bezeichnet die Hegelsauslegung bei Möller und Ogiermann als ein Gespräch mit Hegel „im katholischen Raum“, „von dem man vielleicht noch manches erhoffen darf für die philosophia perennis“, in seiner Rezension in Scholastik 27 (1952) s.417.

[12] E. Coreth, Beiträge, s.20.

[13] B. Lonergan, Einsicht, s.835-836.

[14] B. Lonergan, Einsicht, s.454-455.


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